Der weise Realist - Martin Mantz - E-Book

Der weise Realist E-Book

Martin Mantz

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Beschreibung

Ähnlich wie jeder Organismus durchleben auch Unternehmen einen Lebenszyklus. Jedes Unternehmen unterliegt somit einem Alterungsprozess, beginnend mit der Geburt bis hin zum Ableben. Dazwischen gibt es viele Hürden zu meistern: Der Marktvorteil von gestern wird durch die Trends von morgen ersetzt. Vor allem der Stillstand ist in Unternehmen besonders tückisch. Dieser führt zwangsläufig zum Rückschritt beziehungsweise zur vorzeitigen Alterung und dann zum Unternehmenstod. Doch gibt es Möglichkeiten, diesen Alterungsprozess zu verlangsamen oder gar zu verhindern? Martin Mantz zeigt, wie wichtig ein Bewusstsein für den Lebenszyklus in der Führungsebene eines Unternehmens ist. Der Alterungsprozess ist unvermeidlich, doch bietet der Autor mithilfe der Säulen des ESVI (Ergebnisorientierung, Systematisierung, Vision und Integration) Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Führungskräften Möglichkeiten, in den eigenen Lebenszyklus innovativ einzugreifen. Dabei legt er den Fokus auf menschenzentrierte Unternehmensführung und zeigt Ihnen, wie auch Sie zum weisen Realist in Ihrem Unternehmen werden!

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Martin Mantz

Der weise Realist

Martin Mantz

Der weise Realist

Die Vitalität menschenzentrierter Unternehmensführung

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe

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werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei

Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage

© 2024 Mentoren-Media-Verlag,

Königsberger Str. 16, 55218 Ingelheim am Rhein

Lektorat : Deniz S. Özdemir, Mainz

Korrektorat: Sarah Küper, Mainz

Umschlaggestaltung: Nadine Nagel, Mainz

Umschlagsgrafik: Freepik.com/Kampus - Plant growing from seedling into

tree vector illustrations set

Satz und Layout: Deniz S. Özdemir, Mainz

Grafiken: Balkendiagramme – Martin Mantz in Anlehnung an Ichak

Adizes, Grafiken »Corporate Lifecycle« – Martin Mantz in Anlehnung an

ESVI®

Autorenfoto: Chris Born, Höchst im Odenwald

eBook-Herstellung: Bookwire, Frankfurt am Main

eISBN: 978-3-98641-132-9

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit

schriftlicher Genehmigung des Verlages. Sämtliche Inhalte in diesem

Buch entsprechen nicht automatisch der Meinung und Ansicht des

Mentoren-Media-Verlages.

www.mentoren-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Was macht Unternehmertum aus?

Kapitel 2 ESVI® – Von erfolgreichen Unternehmerinnen und Unternehmern

Von der Idee zur Selbständigkeit

Die neue Rolle des Menschen im Unternehmen (New Work)

Die vier vitalen Erfolgskriterien nach dem ESVI®-Konzept

Herausforderungen in den verschiedenen Lebensphasen eines Unternehmens

Kapitel 3 Der weise Realist – Vom Krisenmeider zum Chancenerkenner

Die Lebensphasen eines Unternehmens

Die Idee

Das Startup-Unternehmen

Das Go-Go-Unternehmen

Das positionierte Unternehmen

Das Unternehmen in der Blütezeit

Das Unternehmen in der stabilen Phase

Das aristokratische Unternehmen

Das Unternehmen in der Phase der frühen Bürokratie

Das bürokratische Unternehmen

Das tote Unternehmen

ESVI® als Instrument für die Standortbestimmung

Die ESVI®-Analyse

Kapitel 4 Die Entwicklung zum menschenzentrierten Unternehmen

Kapitel 5 Schlussfolgerungen

Danksagung

Vorwort

Auf den ersten Blick ist dies ein Buch mit sieben Siegeln, die den Zugang schützen zu verborgenen Aspekten der Weisheit in Führung und Management. Aber dann werden die Siegel der Reihe nach geöffnet und es offenbaren sich die bestgehüteten Geheimnisse auf dem Stufenweg zum Erfolg.

Als Bildungsinstitut haben wir den IFAR-ETHIK-AWARD 2022 an Martin Mantz vergeben, weil er durch seine besondere Art in Führung und Management der jungen Generation vorlebt, wie eine erstrebenswerte Zukunft gestaltet werden kann. Martin hat über Jahre ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut, das mit hoher Kompetenz Compliance Solutions für Teamarbeit und Kundenorientierung verwirklicht. Dazu gehört ein veröffentlichtes Leitbild, ein ganzheitlicher Methoden-Mix, anerkannte Zertifizierungen, ein liebevolles Menschenbild sowie die altruistische Ausrichtung in Geist, Stil und Etikette.

Jetzt hat er das Unternehmen in die Hände der jüngeren Generation gegeben und zeigt mit diesem Buch tiefgründige Kenntnisse in Compliance, Digitalisierung und Rechtssicherheit für zeitgerechte Unternehmensführung, die in spiegelgleicher Weisheit dem Management genauso wie dem Kunden nützen.

In den drei Hauptzyklen einer Unternehmensentwicklung, nämlich Wachstum, Stabilität und Niedergang, braucht es unterschiedlich passende Werkzeuge und Methoden in Führung und Management. Denn wenn Manager die richtigen Sachen falsch machen oder die falschen Sachen richtig machen, bekommt das Unternehmen in jedem Fall Probleme. Die Kunst besteht darin, die richtigen Sachen richtig zu machen. Und genau diese Kunst in Management und Führung zeigt der Autor hier durch alle Zyklen vom Start-Up über die stabile Phase bis zum Kontrollverlust! Es geht also um nichts Geringeres, als um die Existenz in einer nachhaltigen Zukunft.

In diesem Sinne ist dieses Werk ein Handbuch für wahre Management-Künstler. Herzlich willkommen in der kraftvollen Zukunft mit dieser gesunden Wirtschaftsethik. Es freut mich voller Zuversicht, dass es in der jungen Generation Leser wie Sie gibt, die diesen Staffelstab übernehmen und zum Besten des Ganzen damit weitergehen.

Korai Peter Stemmann

Kapitel 1 Was macht Unternehmertum aus?1

Es gibt keine festen Regeln dafür, wer ein erfolgreicher Unternehmer sein kann und es tatsächlich auch wird. Doch ich möchte hier zu Beginn einige Beispiele anhand meiner Erfahrungen aufzeigen. Sicher wird man nicht als Unternehmer geboren, aber man muss schon ein paar persönliche Neigungen mitbringen, die sich, bevor man Unternehmer wird, weiter ausprägen.

Für mich ist der Unternehmer beziehungsweise die Unternehmerin der Inbegriff von Freiheit, Reichtum und Erfolg, Risikobereitschaft und Heldentum, Innovation, Kreativität und Neuanfang. Jeder Unternehmer beginnt seine unternehmerische Laufbahn mit einem persönlichen Traum. Mein Traum, mein Why, war der Wunsch nach Freiheit. Sie war ein wesentlicher Faktor für meinen Werdegang als Unternehmer. Bereits als Kind suchte ich wie viele Kinder, Jugendliche und auch noch viele Erwachsene nach Vorbildern. Für mich waren Biografien von Menschen mit großen gesellschaftlichen Taten Vorbilder. Auch hier nenne ich gerne meine drei Helden Nelson Mandela, Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Sie waren Helden der Idee von Freiheit und Gerechtigkeit. Was heißt das? Persönliche Beziehungen zu Personen im privaten Umfeld spielen eine große Rolle. Für mich war meine große Schwester ein unternehmerisches Vorbild. Sie war eine kluge sowie fröhliche Ärztin und verstand es auf wunderbare Art und Weise, ihr fröhliches Temperament mit einem ernsten Beruf, Wohlstand und Bodenständigkeit in Einklang zu bringen. Meine Schwester führte eine Arztpraxis, in der auffallend viel gelacht wurde und Fröhlichkeit das Arbeiten bestimmte. Obgleich wir in derselben Familie aufwuchsen, war sie dennoch ein so großer Kontrast zu meinem Elternhaus und später so anders als meine Umgebung in einem streng hierarchisch geführten Maschinenbauunternehmen. Aus der Retrospektive betrachtet, hatten also alle meine Vorbilder etwas mit Freiheit, Reichtum und Erfolg, Risikobereitschaft und Heldentum, Innovation, Kreativität und Neuanfang zu tun. Es lohnt sich also, im privaten Umfeld nach Vorbildern zu suchen, denen man nacheifern kann, will und darf.

Alle Attribute haben in der Regel ihre Berechtigung, weil sie bestimmte Charakteristika beschreiben. Diese unterscheiden sich von einem Arbeitnehmer beziehungsweise einer Arbeitnehmerin, der oder die ordentlich die Schule besucht, ein Studium nach einer anständigen Lehre absolviert, eine vernünftige Arbeitsstelle mit der Absicht, dort in Rente zu gehen, gefunden hat. Man könnte auch sagen, der Unternehmer unterscheidet sich stark vom Arbeitnehmer, der leicht in die gesellschaftlichen Strukturen und Vorstellungen einzuordnen ist. Ja, das Unternehmertum ist um einiges aufregender als das Dasein als Angestellter – es hat etwas von einem Abenteuer. Wenn es gelingt, ist es gut, wenn es schief geht, dann ist man ein Versager. Das ist der Preis dafür, etwas Besonderes zu sein, mit der Chance, innerlich und äußerlich reich zu werden.

Förderlich ist es, wenn man Gelegenheiten findet, das unternehmerische Denken zu üben. Dabei hilft es, zunächst seinen Vorbildern über die Schulter zu schauen und eigenständig Lösungen für bestehende Probleme zu finden. Meine unternehmerische Denkweise bekam ich früh von Zuhause mit. Meine Eltern hatten ein eigenes Ingenieurbüro mit drei Angestellten. Der Überlebenskampf als Unternehmer und die Frage, welche Chancen und Risiken das Geschäft mit sich bringen, waren täglich ein Thema: beim Frühstück, beim Mittag- und beim Abendessen. Ich lauschte bereits als Kind den Unterhaltungen meiner Eltern, fand es spannend, wie Probleme in Lösungen umgewandelt wurden, und versuchte, mich daran zu beteiligen. Oftmals wurde ich dafür ausgelacht, aber mit einem Wohlwollen, da es doch meinen Eltern zeigte, dass ich Anteil nahm. So trainierte ich kontinuierlich mein Beurteilungsvermögen.

Wie man ein Unternehmer mit menschenzentrierter Unternehmensführung wird, habe ich erst später im Laufe meines Lebens gelernt. Es gibt hierfür keine Lehre und kein Studium. Neben dem erlernten Wissen haben mich dabei meine innere Haltung zu Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Engagement geprägt. Das hatte nicht immer etwas mit faktenbasiertem Wissen über Unternehmertum zu tun, doch die Biografien von Nelson Mandela, Mahatma Gandhi, Martin Luther King und anderen haben mir gezeigt, welche Lebensleistungen im Namen von Mut und dem Streben nach Gerechtigkeit möglich sind. Es war nicht die hierarchische Karriereleiter, die mich anspornte, mir war der menschliche Umgang miteinander wichtiger. Der menschliche Umgang war meine persönliche Vision, mein inneres Streben. Dieses Streben lässt auch nicht nach, wenn man sich gegen andere durchsetzen muss, um erfolgreich zu sein. Dies betrifft nicht nur die Rolle in der Führung, sondern gleichermaßen der Umgang miteinander unter Kollegen.

Hierzu ist erforderlich, seine eigene Haltung ständig zu überprüfen und anzupassen. Meine ersten Berufserfahrungen als Angestellter sammelte ich in der Industrie als Konstrukteur im Sonderanlagenbau als Maschinenbauingenieur. Ich lernte neben der Freude an meiner Arbeit auch Machtspiele, Intrigen und andere Mechanismen von unmenschlich gewordenen Funktionsträgern kennen, die nur ihrem Aufstieg auf der Karriereleiter dienten. Dieses oft als der »Ernst des Lebens« bezeichnete Umfeld nahm mir zunehmend Freude an meiner Arbeit und den freien Umgang mit Kollegen. Nicht die fachliche Kompetenz brachte Anerkennung, sondern diplomatisches Geschick bis zur Rücksichtlosigkeit schienen für die persönliche Karriere entscheidend zu sein. So erfuhr ich bei einem Glas Bier vom Kollegen, dass man ihm und mir gleichzeitig unter dem Versprechen der Geheimhaltung einen Posten als Abteilungsleiter angeboten hatte. Es sollte derjenige den Posten erhalten, der sich gegen den anderen durchsetzen würde. Instinktiv und unmittelbar verzichtete ich auf diesen Karriereschritt. Obgleich mir der Beruf viel Freude bereitete, wollte ich mich diesem Feld der Machtspiele zunehmend entziehen. Meinem Drang nach geistiger Freiheit und einem inneren Impuls folgend, studierte ich Rechtswissenschaften. Hiervon versprach ich mir mehr Freiheit in meiner beruflichen Ausübung. Jedem Gründer sollte aber bewusst sein, dass nicht jede Geschäftsidee oder Partnerschaft funktioniert. Meist braucht es mehrere Anläufe oder deren Anpassungen.

Im Anschluss an das Jurastudium gründete ich mit einem Partner mein erstes Unternehmen, ein Ingenieurbüro für juristisch-technische Dienstleistungen. Mein Part war der Bereich Organisationsrecht und Managementsysteme. Es war mein erstes Unternehmen und meine erste Geschäftsidee, die jedoch bereits nach zwei Jahren noch in der Startup-Phase scheiterte. Die Auffassungen unter uns Partnern über Geschäftsführung, unsere Lebenssituationen usw. waren zu unterschiedlich. Wir trennten uns und ich betrieb meinen Teil als Berater für Managementsysteme in einer kleinen GmbH weiter und zusätzlich als freier Auditor sowie Trainer für Managementsysteme. Meine nun dritte Betätigung lag darin, Unternehmen in Hinblick auf ihre Organisationsqualität zur Erbringung von Produkten und Dienstleistungen zu begutachten und auf eine mögliche Zertifizierung vorzubereiten. Das Ziel bestand darin, den zu begutachtenden Unternehmen Impulse zur Entwicklung ihrer Prozesse und Teams zu geben. Ich lernte viele unterschiedliche Unternehmen kennen, teils in der Wachstums- oder stabilen Phase, aber mehr noch in der Phase der Alterung. Letztere waren Unternehmen mit klassisch tayloristisch2 geprägten Führungsverhalten. »Wir hier oben – ihr da unten«, beherrschten das Betriebsklima. Der Karriere dienende Machtspielchen bestimmten den Arbeitsalltag, die die Innovationen von unten ausbremsten. Häufig waren es Ängste um den erworbenen Besitzstand der Führungskräfte, die den Entwicklungsprozess vieler talentierter Mitarbeiter blockierten und nicht nach oben kommen ließen. Diese verlernten dadurch zunehmend, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Meine unternehmerische Herkunft führte mich im Kontrast dazu, Unternehmensbegutachtungen erst dann als erfolgreich zu werten, wenn neue Ideen und Lösungen hervorgebracht wurden. Die Blockadehaltung vieler Führungskräfte verhinderte, dass das Potenzial in dem Vor-Ort-Wissen und der Situationskompetenz der Mitarbeiter genutzt wurde.

Diese Negativbeispiele waren für meinen weiteren Weg als Unternehmer sehr hilfreich. Heute weiß ich, dass man vom unternehmerischen Leben in allen Wachstums- und Alterungsphasen eines Unternehmens lernen kann. Wichtig ist es, eine Lernkultur zu entwickeln, um aus Erfolgen, Fehlern und Niederlagen die tieferliegenden Ursachen zu ergründen, und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Wenn sich ein Unternehmen gut entwickelt, dann liegt es in den meisten Fällen an der Unternehmenskultur, an der eigenen Ausstrahlung, am Umfeld im Büro usw. Hierbei sind nicht nur die eigenen Erfahrungen wichtig, sondern auch die Erfahrungen sowie die guten und schlechten Empfehlungen, die andere machen oder geben. Denn das kann ich sicher sagen: Menschen, die unternehmerische Fehler gemacht hatten, waren für mich gleichfalls die wichtigsten Lehrer. Für mein viertes, am Ende wirklich erfolgreiches Compliance-Unternehmen waren diese Erfahrungen sehr wertvoll. Ich hatte die Nachteile der streng hierarchischen Unternehmensführung kennengelernt. Diese Art der Unternehmensführung schien zunehmend überholt zu sein, da sie zu wenig das Innovationspotenzial von unten nutzt.

Zum erfolgreichen, menschlich orientierten Unternehmer braucht es neben den fachlichen Kompetenzen und der Nächstenliebe aber auch weitere Charaktereigenschaften. Dabei handelt es sich um die Entschlossenheit und Ausdauer – das sogenannte Durchbeißen. Nach Niederlagen immer wieder aufzustehen. Oft zog ich in schlaflosen Nächten meine Bettdecke über mein Gesicht, weil ich nicht weiterwusste. Doch es musste weitergehen. Es ist wie beim Schwimmen im See. Man kann nicht einfach aufhören, zu schwimmen. So legte ich mir selbst entwickelte Sprüche zurecht, die ich mir in scheinbar aussichtslosen Situationen immer wieder sagte: »Drei Schritte vor, zwei zurück«, »Man muss auch mal danebentreten, um nicht auf der Strecke zu bleiben« oder wie es der berühmte Fußballtorwart Oliver Kahn in einem Interview formulierte: »Mund abputzen, immer weitermachen«3. Doch eines darf ich nicht vergessen. Zum erfolgreichen Unternehmertum gehört zusätzlich die Bereitschaft, stets dazuzulernen und sich selbst Mut zu machen. Ich hatte zudem das Glück, dass ich unter meinen vielen Geschwistern viele Mentoren hatte, die ich je nach Situation fragen konnte. Und immer bekam ich wohlwollende Antworten, Hinweise oder Ratschläge. Dadurch lernte ich Chancen und Risiken zu erkennen und richtig einzustufen. Das wünsche ich jeder und jedem.

Zum Unternehmertum gehört aber auch ein gewisses Maß an Teamfähigkeit. Sicher bin ich selbst kein Vorbild für Teamfähigkeit, weil meine, für die meisten Unternehmer typische Ungeduld mir hier und dort im Weg steht. Doch gleichzeitig bin ich ein großer Fan des Mannschaftssports und setze mich leidenschaftlich dafür ein, gemeinsam zu spielen. Ich kann mich riesig über jeden Punkt beim Volleyball oder bei jedem Tor im Fußball freuen, mich mit Begeisterung mit anderen gegenseitig abklatschen und anfeuern. Persönliche Macken, Animositäten, frühere Streitigkeiten, Herkunft, Sexualität, politische Zugehörigkeit, all das hat wie im Fußballstadion keine Bedeutung. Obgleich ich gern gewinne, ist nicht das Gewinnen wichtig, wichtiger ist, dass wir gut spielen und jeder sein Bestes gibt. Ich bin unausstehlich, wenn ich merke, dass sich jemand nicht für das Spiel einsetzt oder die Mitspieler nicht bereit sind, über eigene Grenzen zu gehen. Denn erst diese Art der Zusammenarbeit macht uns glücklich!

Glückliche Menschen sind leistungswilliger und leistungsfähiger. Wie wir später noch lesen werden, ist die Konzentration auf die Leistung ein wesentliches Element der Phase des Positionierens. Die Freude an Leistung ist in jedem Menschen vorhanden, doch schlummert sie häufig im Verborgenen. Diese gilt es zu entdecken, zu entfalten und für alle nutzbar zu machen. Für Unternehmen habe ich dafür eine Leistungsformel entwickelt, nach der die Charaktereigenschaften beziehungsweise das Mindset der Mitarbeiter eine wichtige Rolle spielen. Ich will einfach nicht mit Stinkstiefeln oder Leistungsverweigerern zusammenarbeiten. Was jemand außerhalb des Teams tut oder denkt, ist gleichgültig. Doch wenn jemand in eine Mannschaft eintritt, dann erwarte ich vollen Einsatz. Die Leistungsformel spielt beim Aufbau eines menschenzentrierten Unternehmens eine wesentliche Rolle. Doch dazu später mehr.

Hieran schließt sich eine weitere Eigenschaft eines erfolgreichen Unternehmers an: die unbändige Freude, Entwicklungen bei anderen Menschen, am Unternehmen und bei sich selbst zu sehen. Wie die Aufgabe eines Trainers ist es die Aufgabe von Führungskräften, die professionellen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich die Spieler und Mitarbeiter entwickeln können. Zum Beispiel basiert der Erfolg von FC Bayern München auf der Idee, alles professionell gestalten zu wollen, vom Marketing über das Trainingszentrum, die Kabine und deren Abläufe usw. bis hin zu der Qualität der Spieler, vor allem deren Charaktereigenschaften und Entwicklungspotenziale.

Der professionelle Fußball als Mannschaftssport und als Vorbild für unternehmerisches Handeln spielt bei all diesen Aspekten eine wesentliche Rolle. Durch meine Laufbahn hinweg sah ich zunehmend die Parallelen und vor allem die Erkenntnis, dass im Fußball die Spieler und nicht die Funktionäre im Mittelpunkt stehen. Gute und professionelle Rahmenbedingungen sind die Voraussetzungen dafür, dass die Spieler sowie Mitarbeiter sich entfalten können und bereit sind, ihre Talente einzubringen und ihr Wissen an die jüngeren Spieler und Mitarbeiter weiterzugeben. Dazu gehören neben der Spielintelligenz auch motivierende Zielsetzungen, professionelles Stärken-Coaching, gute Sprach- und Dialogkompetenz zur Bewältigung von Konflikten, systematische Prozesse, professionelle Auswertung von Daten, eine Lernkultur usw.

Doch wie ich lernen durfte, reicht es nicht nur, eine gute Unternehmerin oder ein guter Unternehmer mit den benannten Eigenschaften zu sein, um das eigene Unternehmen erfolgreich zu führen oder am Leben zu halten. So wie ehemals berühmte Fußballmannschaften untergehen, so ereilt dieses Schicksal auch einst namhafte Unternehmen. Dafür gibt es viele Gründe. Meist scheint es die verlorengegangene Fähigkeit zur Innovation zu sein. Doch Innovation ist kein lebloses Gebilde. Innovation kommt aus den Unternehmen von innen heraus, zunächst über diejenigen, die mit ihren Ideen das Unternehmen auf die Welt gebracht haben. Später sind es die engagierten und kreativen Mitarbeiter, die die zentrale Rolle in den Unternehmen einnehmen. Sie bringen ihre Fähigkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen sowie Persönlichkeit in das Unternehmen und bestimmen seine Leistungsfähigkeit. Durch ihre positiv geprägten Interaktionen tauschen sie Informationen aus, treffen Entscheidungen, koordinieren Aufgaben und lösen Probleme. Ihre inneren Haltungen beeinflussen somit die Effektivität und Effizienz eines Unternehmens.

In den letzten Jahrzehnten hat sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen, der starken Einfluss auf die Unternehmensentwicklung hat. Die meisten Unternehmen sind nach dem klassischen Taylorismus aufgebaut. Im Zentrum steht allein die Gewinnmaximierung, die Kunden sind Mittel zum Zweck, die Mitarbeiter sind eine austauschbare Ressource. Um die Effektivität zu steigern und gleichbleibende Qualität zu sichern, sind die Arbeitsvorgänge in kleine Prozesseinheiten standardisiert und erleichtern so den Austausch von Mitarbeitern. Die aktive Beteiligung der Mitarbeiter an der Entwicklung des Unternehmens ist von vielen Führungskräften nicht gewünscht, da sie zu viel Unruhe in das Unternehmen bringen. Die Entwicklung des Unternehmens bleibt also den ranghöheren Mitarbeitern vorbehalten. Eine klare Hierarchie legt den Rang und damit die Mitwirkungsrechte im Unternehmen fest. Nach dem Prinzip von Command and Control werden die Arbeiten angewiesen und eng überwacht, um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter die vorgegebenen Standards und Vorgaben einhalten. Es herrscht der transaktionale Führungsstil nach dem Prinzip des Austausches von Leistung und Gegenleistung. Gleichzeitig sorgen extern eingekaufte Beratungen dafür, die Mitarbeiter überflüssig zu machen. Rationalisierungen, Automatisierungen, Digitalisierung usw. mit dem Ziel, Effektivität und Effizienz zu steigern, sind wichtige Elemente unternehmerischer Tätigkeit.

Während früher das Wissen den oberen Hierarchieebenen vorbehalten war, ist es nun durch das Internet für alle und jeden verfügbar. Damit neigt sich die circa 100 Jahre andauernde Phase des Taylorismus, der Vorstellung, dass das Wissen allein in der Führungsebene angesiedelt ist, dem Ende. Durch die Aufteilung der Arbeitsaufgaben in kleinere, spezifische Aufgaben und die Standardisierung der Arbeitsabläufe konnte die Effizienz gesteigert werden. Tayloristische Organisationsformen zielten darauf ab, die Produktivität der Mitarbeiter zu maximieren und Verschwendung zu minimieren. Im Gegensatz dazu steht die posttayloristische Unternehmenswelt, in der die vitale Innovationsfähigkeit den Unterschied macht. Sie braucht nun Investitionen in die Menschen, nicht mehr in Maschinen. Die Investitionen in die Menschen macht sie zu Treibern einer Unternehmenskultur, in der sie ihren Lebenssinn mit Arbeit verbinden können. Sie streben nach Glück und Erfolg im Beruf. Das neue Zauberwort heißt daher folgerichtig New Work. New Work im hier verstandenen Sinn ist das Streben nach Arbeit, die ich wirklich wirklich möchte. Es ist das Bedürfnis nach dem Sinn von Arbeit und dem beglückenden Gefühl von Erfolg im Beruf.4

Unabhängig von diesen gesellschaftlichen Entwicklungen durchläuft jedes Unternehmen wie jeder andere Organismus einen Lebenszyklus, von der Idee bis zum Tod. Anders als beim Menschen können jedoch neue Impulse die Unternehmen zu einem neuen Leben verhelfen. Es geht darum, den Alterungsprozess der Unternehmen aufzuhalten oder sogar zu stoppen. Meine jahrelange Tätigkeit als Gutachter für Unternehmen, meine eigenen Erfahrungen als Unternehmer haben mir gezeigt, dass die auf Entwicklung von Persönlichkeiten ausgerichtete Unternehmenskultur der Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens und den persönlichen Erfolg der Mitarbeiter darstellen. Und so habe ich eine eigene Vision von Unternehmen entwickelt, die ich selbst in meinem Unternehmen erfolgreich umgesetzt habe beziehungsweise weiterhin umsetze und mithilfe dieser Vision mein Unternehmen seither auch überdurchschnittliche Wachstumsraten erzielt.

Wenn die Annahmen richtig sind, dass glückliche Mitarbeiter erfolgreicher sind als unglückliche Mitarbeiter, dann brauche ich als Unternehmer lediglich die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Auch wenn ich es lange abgelehnt habe, selbst Vorbild für andere zu sein, habe ich irgendwann erkannt, dass das gar nicht meine Entscheidung ist. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu uns kommen, bin ich als Führungskraft automatisch Vorbild, ob ich es will oder nicht. Damit geht eine ganz besondere Verantwortung einher. Diese Vision ist aber nicht nur die Grundlage für meinen weiteren beruflichen Weg, sondern auch für dieses Buch. Denn ich möchte nicht nur ein positives Vorbild für meine Mitarbeitenden sein, sondern auch für diejenigen, die ebenfalls Unternehmertum als den großen Schritt in das nächste Abenteuer sehen. Wesentlich hierfür ist eine gründliche und aufrichtige Selbstreflektion. In welcher Phase des Lebenszyklus steht mein Unternehmen und gegebenenfalls auch ich? Die entsprechenden Lebensphasen eines Unternehmens habe ich selbst alle mehrfach durchlaufen. Jede Lebensphase erfordert einen anderen Fokus.

Dieses instinktive Gespür für die Situation des Unternehmens kennzeichnet den weisen Realisten. Ein weiser Realist zu sein bedeutet, eine bestimmte Denkweise und Haltung einzunehmen, die auf einer Kombination von Weisheit und Realismus basiert. Das Wissen über den »Corporate Lifecycle« geht über das Sammeln von Fakten und Informationen hinaus. Es ist die Fähigkeit, dieses Wissen auf eine kluge und verständige Weise anzuwenden. Hierzu gehört Einfühlungsvermögen in die handelnden Personen und ein bestimmtes Gespür für die konkrete Situation, in der sich das Unternehmen befindet. So wie man als Vater oder Mutter eines Kindes instinktiv weiß, wann der nächste Entwicklungsschritt erfolgt, erspürt der erfahrene Unternehmer den nächsten Schritt, sei es die neuen Erfordernisse des Marktes, aufkommender und ernst zu nehmender Wettbewerb oder interne Unternehmenssituation, wenn beispielsweise die Dinge gut oder schlecht laufen. Es ist die Fähigkeit, die Realität objektiv und nüchtern zu betrachten, während man gleichzeitig über Einsicht und Urteilsvermögen verfügt.

Als weiser Realist erkennt man die Tatsachen und Herausforderungen des Lebens an und akzeptiert sie, anstatt sie zu leugnen oder zu idealisieren. Es ist, wie es ist; und es gibt auch zu wenig Zeit, um sich an Dingen aufzureiben, die man nicht ändern kann. Man betrachtet die Welt und die Situationen, mit denen man konfrontiert ist, mit einem klaren Verstand und einer rationalen Perspektive.

Ein weiser Realist ist in der Lage, die Realität aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und dabei sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte zu berücksichtigen. Wie wir später sehen werden, konzentrieren sich die Beobachtungsfelder auf die erzielten Ergebnisse, die vorhanden oder nicht vorhandenen Strukturen, die Bedeutung einer unternehmerischen Vision und vor allem die Integration der Mitarbeiter. Der weise Realist ist sich bewusst, dass das Leben nicht immer einfach oder perfekt ist und dass es Hindernisse, Rückschläge und Unsicherheiten geben kann. Man kann auch sagen: Immer drei Schritte vor und zwei zurück, aber stetig voran! Darin liegt der starke Glaube an die eigenen Fähigkeiten und die Möglichkeit, positive Entwicklungen zu bewirken.

Ein weiser Realist verbindet also die Erkenntnis der Realität mit einem klugen und überlegten Handeln. Man ist sich bewusst, dass es Grenzen und Herausforderungen gibt, aber man ist auch in der Lage, Chancen zu erkennen und diese zu nutzen. Hierbei unterscheidet er sich vom Zauderer, der die Risiken in den Vordergrund stellt und vor lauter Bedenken die sich bietenden Chancen nicht erkennt. Denn in jedem Risiko liegt eine Chance. Als ich mein erfolgreichstes Geschäftsmodell, die digitale Compliance, auf die Welt brachte, rieten mir viele von meinem Vorhaben ab. Das war meine Chance; und bevor der Wettbewerb das große Potenzial erkannt hatte, hatte ich mir bereits einen Wettbewerbsvorteil erarbeitet. Ich war in der Lage, unsere Dienstleistung immer wieder der Realität anzupassen. Wir waren flexibel und reagierten in einer Phase, in der wir uns neu positionieren mussten, auf aktuelle Veränderungen. So entwickelten wir die richtigen Strategien für ein nicht nur wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen.

Es ist die »intuitive Erkenntnis«, die aus einem tiefen Gespür heraus entsteht. Diese Intuition wird durch einen ständigen Wechsel zwischen Gespür und Erfahrung erworben und hat sich zu einer Fähigkeit entwickelt, Informationen oder Erkenntnisse ohne bewusstes Nachdenken oder logische Schlussfolgerungen zu erfassen. Es ist ein Gefühl oder eine innere Gewissheit, die auf Erfahrungen, Wissen und einem tiefen Verständnis basiert. Intuitive Erkenntnisse können oft als plötzliche Eingebungen oder Einsichten auftreten und in verschiedenen Bereichen des Lebens, einschließlich persönlicher Entscheidungen oder beruflicher Herausforderungen, genutzt werden.

Ähnlich verhielt es sich bei meiner Entscheidung, auf das Maschinenbaustudium das Studium der Rechtswissenschaften folgen zu lassen, die zu der Entwicklung meines überaus erfolgreichen Compliance-Modells, der menschenzentrierten Unternehmensführung, führte. Es ist der berühmte Impuls unter der Dusche oder beim plötzlichen Aufwachen in der Nacht. Die Eingebung zum Jurastudium kam mir bei einer rasenden Abfahrt auf Skiern auf einer letzten Abfahrt am Abend. Es war ein Geistesblitz, der am Ende meiner Fahrt wie im Rausch zur sicheren Erkenntnis wurde: »Ja, das mache ich!«.

Zu den Fähigkeiten des Unternehmers gehört auch zu erkennen, wann der richtige Zeitpunkt zum Loslassen gekommen ist. Als ich mein Unternehmen verkaufte, sagte mir ein Manager: »Ich habe zum ersten Mal erkannt, dass Unternehmenskultur einen wirtschaftlichen Wert hat.« Dies war für mich das größte Kompliment, das ich erhalten konnte.

Bei mir ist es die in der Meditation, im Focusing oder ähnlichen Methoden erworbene Fähigkeit, eine gezielte Aufmerksamkeit oder Konzentration auf einen bestimmten Aspekt oder eine bestimmte Aktivität zu richten. Sie schafft bessere Klarheit, Verständnis oder Effizienz, indem man sich auf eine Aufgabe konzentriert, seine Gedanken sammelt und seine Energien auf eine bestimmte Aufgabe oder ein bestimmtes Ziel lenkt. Wissenschaftlich nachweisbar sind diese Mechanismen dennoch nicht. Es ist auch noch nicht wissenschaftlich bestimmt, wann man weise ist. Doch manchmal reicht der gesunde Menschenverstand, eine gemeinsame Erkenntnis oder eine Weisheit aus dem Volksmund. So bin ich immer erstaunt, wenn meine Aussagen »Glückliche Menschen sind leistungsfähiger als unglückliche« und »Gute Beziehungen machen glücklicher als Geld« als Geldmacherei eingestuft werden.

Die Bezeichnung Weiser Realist wurde mir vom IFAR-Institut5verliehen. Ich war überrascht, stolz und im ersten Moment überwältigt. Mit der Zeit konnte ich mich mit der Bezeichnung anfreunden, weil es mir gelungen ist, meinen Traum vom glücklichen Mitarbeiter in weiten Teilen umzusetzen.

Wenn die Leser dieses Buches einige Impulse für ihre unternehmerische Tätigkeit mitnehmen können, so machen sie auch mir damit die größte Freude. Denn mein Ziel ist es, dass jeder Unternehmer und jede Unternehmerin beziehungsweise ihr Unternehmen zum weisen Realisten wird, wie schon der Titel dieses Buches es besagt.

Hinweis:

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern an einigen Textstellen nur eine grammatische Form (das generische Maskulinum) der Personenbezeichnung verwendet. Sämtliche Angaben beziehen sich jedoch selbstverständlich auf Angehörige aller Geschlechter.

1Die folgenden Überlegungen in diese Kapitel beruhen neben meinen eigenen auch auf: Aumann, Matthias (2022). Mythos Unternehmer. Warum es nur die wenigsten Selbstständigen schaffen, Mission Mittelstand GmbH, Cloppenburg.

2Der Taylorismus befasst sich mit der Analyse und Synthese von Arbeitsmethoden. Erzielt wird dabei die Steigerung der Produktivität der Angestellten, sie sollen effizienter arbeiten.

3https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/mund-abputzen-und-weitermachen-2107042.html; besucht am 26.02.2024.

4Vgl. Bergmann, Frithjof (2020). Neue Arbeit, neue Kultur, Arbor, Freiburg.

5Siehe hier für mehr Informationen: https://ifar.de/; besucht am 19.03.2024.

Kapitel 2ESVI®– Von erfolgreichen Unternehmerinnen und Unternehmern

Von der Idee zur Selbständigkeit

Ich machte mir in der ersten Startup-Phase meines ersten Unternehmens nach meinem Jurastudium weniger Gedanken, was einen guten Unternehmer ausmacht. »Es würde schon irgendwie funktionieren.« Diesen Mut und das Selbstvertrauen hatte ich. Vielleicht war es auch, trotz meines nicht mehr jugendlichen Alters, eine gute Portion Leichtsinn. So wie ich haben viele Menschen in Bezug auf Selbständigkeit oder Unternehmertum verzerrte Vorstellungen, Annahmen oder Überzeugungen. Diese sind oft kulturell oder gesellschaftlich geprägt und entsprechen nicht der Realität. Mein innerer Treiber war mein Drang nach persönlicher und beruflicher Freiheit und mein tiefer innerer Wunsch, glücklich und erfolgreich im Beruf zu sein. Doch meine Vorstellung, dass es einfach ist, ein eigenes Unternehmen zu gründen und schnell erfolgreich sowie reich zu werden, war falsch. So ist sie auch bei anderen.

Oft werden die damit verbundenen Herausforderungen, Risiken und die harte Arbeit nicht berücksichtigt. Man braucht eine gewisse Besessenheit, um alle Hindernisse zu überwinden und die Träume zu realisieren. Denn gerade Selbständige unterstehen dem Druck, Geld verdienen zu müssen, müssen die Erwartungen der Kunden erfüllen und sind rund um die Uhr, also 24/7 unterwegs. Dem Unternehmer sind feste Arbeitszeiten und freie Wochenenden fremd. Zur Realität gehören auch die Unsicherheiten und möglichen finanziellen Risiken. Viele brauchen ihre Ersparnisse auf oder verschulden sich bei Banken oder Kreditgebern. Meist dauert es mehrere Jahre, bis ein gewisser Wohlstand erreicht ist. Auch wenn dieser erreicht ist, können externe Einflüsse das Geschäftsmodell nachhaltig und negativ beeinflussen. Die Bankenkrisen oder die Corona-Pandemie beispielsweise haben viele Selbständige zurückgeworfen und zu neuer Verschuldung geführt.

Um zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Selbständigkeit vorliegen, werden Berater und Freunde hinzugezogen. Doch diese sind oft nicht geeignet, denn sie wollen eher ermutigen und sind nicht bereit, als Verderber von Ideen zu gelten. Hinterher wissen es alle ohnehin besser. Daher ist es wichtig, sich eher mit erfahrenen Bekannten beziehungsweise erfahrenen Freunden auszutauschen und nicht jeden als Ratgeber anzuerkennen.

Das finanzielle Risiko ist am größten. Auf jeden Fall sollte man ohne finanzielle Absicherung seinen jetzigen Job nicht kündigen. Ich bin immer wieder erschrocken, wie viele Menschen ihren sicheren Job kündigen, in der Hoffnung, ihre Idee und ihr Traum zur Selbständigkeit wird gelingen. Wichtig ist es immer, einen Plan B zu haben. Zum Glück ist unser Sozialsystem so engmaschig geknüpft, dass niemand hindurchfallen muss. Aber das finanzielle Auskommen ist nur das eine. Es können zusätzlich psychische Belastungen, der Verlust sozialer Bindungen usw. hinzukommen. Denn oft ist nicht die erste Idee der wirkliche Erfolg.

Auch mir war dennoch bewusst, dass das Scheitern eines Unternehmens dazu gehört. Diese Sorge konnte mir niemand abnehmen. Schätzungsweise 95 Prozent aller Ideen und Vorhaben scheitern, weil das tatsächliche Unternehmertum in seinem Lebenszyklus eine Vielzahl von Herausforderungen bereithält. Heute weiß ich, dass es den idealen Unternehmer oder den richtigen Zeitpunkt für eine Unternehmensgründung nur in Broschüren kluger Unternehmensberatungen gibt. Auch die Vision des Unternehmers oder der Unternehmerin von dem zukünftigen Unternehmen spielt im Laufe des Lebenszyklus eine entscheidende Rolle. Geht es zunächst darum, die Markttauglichkeit des eigenen Produktes oder der Dienstleistung unter Beweis zu stellen, erhält die Vision mit dem späteren Wachstum zunehmend Bedeutung. Dann steht im Vordergrund, die Funktionsfähigkeit des Unternehmens innen sicherzustellen.

Die neue Rolle des Menschen im Unternehmen (New Work)

Die Herausforderungen von Unternehmen und damit an die Unternehmensführung stehen nicht nur im Zusammenhang mit dem Lebenszyklus und der dazugehörigen Herausforderungen, auf die ich später eingehen werde, sondern auch mit den sich ändernden Rahmenbedingungen. Unternehmen müssen sich kontinuierlich an neue Marktbedingungen, Kundenbedürfnisse und Technologien anpassen. Die Fähigkeit, innovative Produkte und Dienstleistungen anzubieten und sich den sich ändernden Markttrends anzupassen, trägt zu überdurchschnittlichem Wachstum und Stabilität bei. Dabei können sie ihr Geschäft diversifizieren, indem sie in neue Märkte expandieren, neue Produkte entwickeln oder neue Kundensegmente ansprechen. So verringern Unternehmen das Risiko von Marktsättigung oder von Veränderungen in der Nachfrage und halten ihr Unternehmen frisch und wettbewerbsfähig.

Hierzu sind Investitionen in Forschung und Entwicklung erforderlich, um neue Technologien, Produkte oder Prozesse zu entwickeln, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Die Anziehung und Bindung von talentierten Mitarbeitern sind hierfür entscheidend. Dabei geht es aber nicht nur darum, das Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten. Die Gesellschaft entwickelt sich zunehmend von einer Wissens- zu einer ergänzenden Sinngesellschaft. War Gelderwerb in den letzten Jahrzehnten eine Herausforderung zum Überleben, wächst nun das Bedürfnis nach einer Arbeit, die die Menschen wirklich wirklich wollen. Wegweisend ist Frithjof Bergmann, der als Begründer von New Work gilt.6Dabei geht es darum, in einem Unternehmen den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und ihre individuellen Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen. Das Hauptziel ist es, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit als sinnstiftend und erfüllend zu erleben.

Bergmann betont die Wichtigkeit, dass Menschen in ihrer Arbeit einen tieferen Sinn und Zweck finden. Er glaubt, dass die meisten Menschen das Bedürfnis haben, ihre Fähigkeiten einzusetzen, einen Beitrag zu leisten und sich persönlich weiterzuentwickeln. In einem New-Work-Unternehmen sollten daher Arbeitsplätze geschaffen werden, die den Mitarbeitern ermöglichen, ihre individuellen Talente und Stärken zu entfalten. Dies kommt unmittelbar dem Unternehmen zugute. Darüber hinaus ist es für Bergmann von großer Bedeutung, dass Arbeitnehmer eine größere Freiheit, das heißt Autonomie und Flexibilität, in ihrer Arbeit haben. Dies beinhaltet beispielsweise die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten selbst zu bestimmen oder ihre Aufgaben eigenverantwortlich zu organisieren. Ein New-Work-Unternehmen sollte Raum für Kreativität und Innovation bieten, um den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Bergmann betont auch die Bedeutung der Gemeinschaft in diesem Zusammenhang. Es ist wichtig, eine Arbeitskultur zu schaffen, in der Zusammenarbeit, gegenseitige Unterstützung und ein respektvoller Umgang miteinander gefördert werden. Ein solches Umfeld ermöglicht es den Mitarbeitern, sich verbunden und wertgeschätzt zu fühlen.

Insgesamt geht es in einem New Work Unternehmen also darum, die Bedürfnisse der Menschen nach Sinn, Autonomie, Kreativität und Gemeinschaft zu erkennen und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ihnen ermöglichen, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Durch die Umsetzung dieser Prinzipien kann ein New-Work-Unternehmen ein Umfeld schaffen, in dem die Mitarbeiter motiviert, engagiert und glücklich sind. Damit steigt die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit, die sich zu einer Win-Win-Situation für Mitarbeiter und Unternehmen ergänzen. Unternehmen sollten also in die Weiterbildung und Entwicklung ihrer Mitarbeiter investieren, um sicherzustellen, dass sie über das Wissen und die Fähigkeiten verfügen, die für den Erfolg des Unternehmens erforderlich sind.

Die vier vitalen Erfolgskriterien nach dem ESVI®-Konzept

Sobald Unternehmen ihren Fokus auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legen, spielen vier ausschlaggebende Säulen eine wichtige Rolle. Der Unternehmensberater und ehemalige Professor Ichak Adizes hat hierbei vier Säulen der Erfolgskriterien herausgearbeitet, die ein Unternehmen in seinen unterschiedlichen Lebensphasen erfolgreich machen. Dieses sogenannte PAEI-Modell beinhaltet die Säulen The Producer (P), The Administrator (A), The Entrepreneur (E) und The Integrator (I). Dabei spielt jede Säule im Lebenszyklus eines Unternehmens – von der Entstehung (Geburt) bis zum Ende (Tod) – eine bestimmte Rolle. Jedes Unternehmen braucht einen angemessenen Anteil der vier Säulen, der entsprechenden Mitarbeiter. Ist eine Säule zu stark oder die jeweils anderen zu wenig ausgeprägt, so kann es dem Unternehmen schaden.7 Doch anstatt auf die Säulen Adizes aus dem letzten Jahrhundert einzugehen, schauen wir uns stattdessen das Erfolgskonzept für Unternehmen von Korai Peter Stemmann an, der auf den Erkenntnissen von Adizes ein neues, modernisiertes System mit den vier Erfolgssäulen im Lebenszyklus eines Unternehmens entwickelt hat: das ESVI®-System.8

Ich habe schon mehrfach den Lebenszyklus eines Unternehmens anhand meiner eigenen Unternehmen durchlaufen. Bereits der Start in mein Unternehmertum durchlief den Lebenszyklus in allen wichtigen Phasen: von den ersten Ideen bis hin zu den ersten richtigen Produkten und Dienstleistungen, die mir den Durchbruch zum wirklichen Unternehmer schafften. Mein erstes Unternehmen, das Ingenieurbüro, scheiterte dennoch nach der Startup-Phase noch an den unüberbrückbaren Differenzen mit meinem damaligen Partner. Das Unternehmen ist nach meinem Ausscheiden zu einem späteren Zeitpunkt untergegangen. Bei allen weiteren Versuchen hatte ich aufgrund meiner ersten Erfahrungen das Gespür für die richtigen Partner. So spielten werteorientierte Kollegen und Mitarbeiter sowie deren Charakter eine wichtige Rolle. Meinem nachfolgenden Beratungsunternehmen konnte ich vor der Alterung durch ein neues, innovatives Geschäftsmodell zu einem neuen Leben verhelfen. Bevor dieses Geschäftsmodell in den Alterungsprozess überging, habe ich es in andere Hände gegeben. Der Tod eines meiner weiteren Unternehmen ist mir somit erspart geblieben. Auch als Gutachter und Auditor für Managementsysteme in zahlreichen Unternehmen habe ich junge Unternehmen in ihren Wachstumsphasen bis hin zu alternden Unternehmen kennengelernt, und zwar in allen Unternehmensgrößen, ob mittelständisch oder als Konzerne organisiert. Allerdings konnte ich auch mehrfach den Unternehmensuntergang beziehungsweise den Tod miterleben. Mit dem Bewusstsein und dem Wissen um den Lebenszyklus von Unternehmen hätten einige dem Alterungsprozess entgegenwirken oder vor dem Tod gerettet werden können.

So bin ich aufgrund meiner Erfahrungen und Erlebnisse immer wieder erstaunt, wie praxisnah das Konzept von Korai ist. Es ist klar: Eine Abkürzung im Lebenszyklus eines Unternehmens gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss da durch. Allerdings kann das Wissen um die Elemente des ESVI® einige Geschehnisse erklären und den Prozess der Unternehmensentwicklung mit weniger Widerständen schneller machen, fördern und neue Möglichkeiten aufbringen. Der ESVI®-Lebenszyklus nach Korai beinhaltet folgende Lebensphasen: Ähnlich wie im biologischen Lebenszyklus des Menschen lässt sich der eines Unternehmens einteilen. Jedes Unternehmen kommt mit einer Idee auf die Welt, wächst, altert und stirbt.

Abbildung 2.1: Der Lebenszyklus eines Unternehmens

Ähnliches gilt für den Produktlebenszyklus. Der Produktlebenszyklus ist definiert als die gesamte Zeitspanne, in der ein Produkt am Markt zur Verfügung steht – vom Zeitpunkt seiner Einführung bis zu seinem Ausscheiden aus dem Markt. Der Lebenszyklus eines Produkts beginnt, wenn es entwickelt und auf den Markt gebracht wird, und endet, wenn es nicht mehr zum Verkauf steht.

Doch bevor wir die einzelnen Phasen des Lebenszyklus eines Unternehmens genauer betrachten, gebe ich hier zunächst einen Überblick: Der Lebensweg eines Unternehmens, von der Idee bis hin zum erfolgreichen Unternehmen, ist in der Regel lang und durchläuft stets dieselben Phasen. Wie beim Menschen, der als Baby auf die Welt kommt und genährt wird, dann als Kind immer wieder hinfällt und wieder aufsteht, sich dann in der Jugend positioniert, seine Blütezeit erfährt, zum Erwachsenen reift, dann der Alterungsprozess beginnt und unweigerlich der Tod eintritt; es sind immer wieder tiefgreifende Entscheidungen gefordert. Anders als beim Menschen ist dieser Prozess jedoch beeinflussbar. Dazu muss man die Stellschrauben kennen, die in jeder Entwicklungsphase eines Unternehmens anders sind oder sein können. Der Corporate Lifecycle ist hier in verschiedenen Phasen dargestellt. Grob lassen sich die Phasen in die Wachstumsphase, in die stabile (Erwachsenen-)Phase und in die Alterungsphase einteilen. Selbstverständlich gibt es wie beim menschlichen Lebenszyklus keine markanten Haltepunkte, anders als beim Ver-, Ein- oder Zukauf von Unternehmen oder Unternehmensteilen oder bei sonstigen radikalen Veränderungen, die einzelnen Wachstumsphasen gehen kaum spürbar ineinander über. Gleichzeitig können sich Teilbereiche, Abteilungen oder Teams in unterschiedlichen Lebensphasen befinden.

Wie beim Menschen sind lediglich der Beginn und das Ende, die Geburt und der Tod, eindeutige Merkmale. Zu Anfang einer Lebenszykluskurve, der Beginn der Wachstumsphase, steht die Idee, so wie die Geburt eines Menschen oder die Erfindung von Produkten. Bei den Kindern ist es der Wunsch der Eltern, Kinder zu haben. Bei der Geschäftsidee ist oft der Traum von Selbständigkeit der Auslöser für eine Geschäftsidee. Dann gründen manche in einer Gruppe, um gemeinsam die unterschiedlichen Fähigkeiten beim gemeinsamen Start zu nutzen. Wenn es gelingt, entwickelt sich aus der Idee das Startup-Unternehmen. Es sind in der Größe überschaubare Einheiten, denen man noch von außen ihre Kindheit anmerkt. Es sind meist junge, manchmal erfrischend unbekümmert auftretende Menschen, die der ersten Geschäftsidee entwachsen und bereit sind, sich am Markt zu etablieren. Mit dem Entwachsen aus der sprichwörtlichen Garage und dem Bemühen um einen professionellen Außenauftritt beginnt eine nach innen aufregende Go-Go-Phase. Das Durchstehen dieser manchmal schwierigen und nervenaufreibenden Phase gelingt in der Phase der Positionierung. Ähnlich wie beim Menschen bilden sich die Talente und Fähigkeiten heraus. Diese Konzentration auf das Wesentliche macht die Blütephase möglich, in der viele Unternehmen geradezu explodieren. Der Erfolg ihrer neuen Strategie wird am Markt sichtbar. Hier entwickeln sich die Hidden Champions, die durch ihre Innovationsfähigkeit und Attraktivität Wettbewerber und Investoren anlocken.

Die Merkmale einer stabilen Phase zeigen sich durch Kontinuität und ruhige Ausstrahlung. Man hat sich am Markt etabliert, die eine oder andere Auszeichnung abgeräumt und tritt selbstbewusst mit einer Marke am Markt auf. Wie im Erwachsenenalter sind die inneren und äußeren Strukturen gefestigt. Die Mitarbeiter in den stabilen Unternehmen richten sich wie die Menschen in der Erwachsenenphase ein. Es beginnt die Phase einer gewissen Trägheit. Die persönliche Vision nimmt Gestalt an, die Familie mit ein bis zwei Kindern ist gegründet, das Auto, die Eigentumswohnung oder das eigene Haus sind angeschafft. Zunehmend sind sie darauf bedacht, ihre gewonnenen Positionen im Sportverein oder im Unternehmen zu erhalten. Die Unternehmen haben die gewonnenen Marktanteile gesichert. Sie sind eigentlich fertig. Regelmäßige Kennzahlenmeetings überwachen den kontinuierlichen Erfolg des Unternehmens. Manche Unternehmen haben ihre Marktmacht so ausgebaut und sich etabliert, dass auf lange Sicht keine Konkurrenz zu fürchten ist. Man ist zufrieden mit dem erreichten Erfolg, obgleich die noch aus der Wachstumsphase bekannten überdurchschnittlichen Wachstumsraten nicht mehr erzielt werden.

Wie beim Menschen schleicht sich auf leisen Sohlen der Alterungsprozess ein. Mit der Verfestigung der Strukturen geht ein Nachlassen der Flexibilität einher. Die kleinen Wehwehchen sind normal, werden ignoriert oder nicht ernst genommen. Und so zeigen sich manche Unternehmen von den schon von außen seit langem sichtbaren Änderungen trotzdem überrascht. Scheinbar fallen sie aus allen Wolken, dass die Energiepreise rasant steigen, obgleich die Energiekrise sich seit Jahrzehnten durch Klimakrise oder Ressourcenknappheit abgezeichnet hat. In vielen Fällen kaschiert die Politik durch versteckte oder offene Subventionen den aufkommenden Krisenmodus. Doch die Politik kann nicht alles absichern, wenn die Dynamik der zunehmenden Digitalisierung neue Produkte oder Dienstleistungen etablierte Produkte und damit Unternehmen verdrängen oder sie überflüssig machen.

Mit dem offenen Ausbruch der Krise sind die etablierten Führungsstrukturen nicht mehr in der Lage, entschlossen und mutig zu reagieren. Endlose Leitungsrunden weisen regelmäßig auf die Risiken eines Neuanfangs hin und fordern erneute und teure Untersuchungen und Konzepte. Die Umstellung der Fotoindustrie, das Zeitungswesen oder die energieintensiven Industrien oder das Bemühen des CEO von Bayer, Bill Anderson, der versucht, Führungsebenen abzubauen9, mögen als Beispiele dienen.

Doch viele dieser alternden Unternehmen haben das Glück, dass sie in den Jahren ausreichend Vermögenswerte aufgebaut haben. Sie können dann die Reserven nutzen. Da ihre eigenen Produkte nicht mehr marktfähig sind, verkaufen sie Unternehmensanteile und kaufen junge vielversprechende Unternehmen auf, um hierüber die von den Eigentümern geforderte Rendite zu erzielen. Vergleichbar damit gehen Menschen neue Beziehungen mit jüngeren Partnern ein. Doch häufig übernehmen sie die jungen, dynamischen Unternehmen, passen jedoch ihr Führungsverhalten den neuen Anforderungen nicht an. Noch lässt man sie gewähren. Doch spätestens in der Blütephase der jungen Unternehmen regieren die aufgeblähten Führungsapparate von oben in die jungen Unternehmen hinein. Sie wollen die Erfolge für sich in Anspruch nehmen. Es sind die Merkmale aristokratisch geführter Unternehmen, die nun das Controlling übernehmen und über den EBIT (Earnings Before Interest and Taxes, dt. Ergebnis vor Zinsen und Steuern), wachen. Immer höhere, nur formal einvernehmlich vereinbarte Ziele spornen die Unternehmen zu höheren Leistungen an.