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Krimi von Peter Wilkening Erzählt werden die Geschichten von dem Jungwolf, der sich aus der Lausitz aufmacht, ein eigenes Revier zu finden, dem achtjährigen Kai Müller aus Marwitz, der von seinen Mitschülern gehänselt wird, und dem Neu-Rentner Meier aus Berlin, dessen Frau psychische Probleme hat. Was haben diese Protagonisten in einer Zeit, da in die Geschehnisse um die von „König Karl“ ausgerufen und regierte „Freie Republik Bärenklau“ wieder Bewegung kommt, gemeinsam oder was führt sie am Ende zusammen? Peter Wilkening geboren am 12.6.1962 in Bremerhaven, gelebt in Berlin und Bärenklau (Oberkrämer), verstorben am 3.7.2018
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Der Wolf von Oberkrämer: Krimi
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Krimi von Peter Wilkening
Erzählt werden die Geschichten von dem Jungwolf, der sich aus der Lausitz aufmacht, ein eigenes Revier zu finden, dem achtjährigen Kai Müller aus Marwitz, der von seinen Mitschülern gehänselt wird, und dem Neu-Rentner Meier aus Berlin, dessen Frau psychische Probleme hat.
Was haben diese Protagonisten in einer Zeit, da in die Geschehnisse um die von „König Karl“ ausgerufen und regierte „Freie Republik Bärenklau“ wieder Bewegung kommt, gemeinsam oder was führt sie am Ende zusammen?
Peter Wilkening geboren am 12.6.1962 in Bremerhaven, gelebt in Berlin und Bärenklau (Oberkrämer), verstorben am 3.7.2018
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
Ich widme diesen Roman den Wölfen, die sich wieder in Deutschland ansiedeln wollen.
Ich grüße insbesondere alle Einwohner der Gemeinde Oberkrämer.
Gedankt sei Herrn Georg Burkard für seine kritische Durchsicht und Frank Kluckert für seine technische Unterstützung.
Die folgende Geschichte ist natürlich reine Fiktion und völlig frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind daher rein zufällig.
(Peter Wilkening)
Friedrich Wilhelming erwacht schweißgebadet aus einer unruhigen Nacht. Er hat geträumt. Sein Traum ist ihm so präsent, als wenn er alles in Wirklichkeit erlebt hätte. In seinem Traum ist er in die „Freie Republik Bärenklau (FRB)“ eingedrungen, in den Dorfgasthof gestürmt und hat den großen König Karl mit einem wuchtigen Revolver erschossen. Er verspürt jetzt noch riesengroße Genugtuung. Schuldgefühle kennt er nicht. Ja, er ist stolz auf den Friedrich in seinem Traum. Er hat etwas getan, das schon lange hätte getan werden müssen. Er hat durch seine Tat Bärenklau befreit. Von einem rücksichtslosen Menschen, einem Diktator, wie er im Buche steht.
Friedrich fasst in diesem Moment den Entschluss, tatsächlich etwas gegen Karl zu unternehmen. Er kann einfach nicht mehr mit ansehen, dass nur wenige Kilometer von seinem Wohnsitz entfernt großes Unrecht geschieht. Dass seine eigentliche Heimat Bärenklau von Karl und seinen Mannen regiert und beherrscht wird. Dass möglicherweise Halunken in seinem Haus wohnen. Nein, damit muss Schluss sein, und zwar so schnell wie möglich.
Aber was kann er tun? Wie kann er Abhilfe schaffen? Er muss ein Zusammentreffen der „Initiative der aufrechten Bürger (IdaB)“ organisieren. Und dann wird man weitersehen.
Den ganzen Sonntag verbringt Friedrich damit, die alten Mitglieder der IdaB anzurufen. Treffpunkt und Zeit sind abzusprechen. Man verständigt sich auf nächsten Dienstag, also in einer Woche, um 18.00 Uhr, in der Reiterschenke in Eichstädt. Zugesagt haben der Pfarrer Sven Böhlmann, der Maler Richard Fahrenheit, der amtierende Gemeindedirektor Dirk Hopsraff, der Friedhofsverwalter Sören Hanke, der Rentner Erwin Kahles und der Kirchenvorstand Hubert Gattersohn. Nicht erreichen konnte er bisher den ehemaligen Sprecher der Bürgerinitiative gegen die Müllverbrennungsanlage, Günther Lojewski, und Frank, den ehemaligen Freund von Maria. Der junge Mann soll wegen eines Arbeitsplatzangebotes aus Oberkrämer weggezogen sein. Der Reporter Harry Hupfer arbeitet und wohnt bekanntlich in Hamburg. Vom alten Stammtisch und der IdaB sind also mit ihm insgesamt noch sieben Personen geblieben und auffindbar.
Friedrich überlegt, wen er noch als Verstärkung zu ihrer Zusammenkunft einladen könnte. Da fällt ihm nur Maria Sander ein. Sie wohnt mit ihrer Mutter in einer kommunalen Wohnung in Marwitz. Maria hat eine Menge erlebt, ist eine starke Frau und Persönlichkeit, hängt ebenfalls an ihrer Heimat Bärenklau und könnte daher ihr Treffen mit Sicherheit bereichern. Er schaut auf
seine Armbanduhr. Es ist 19.00 Uhr. Also noch nicht zu spät für einen Anruf. Schon wählt Friedrich ihre Nummer. Erna Sander, die Mutter von Maria, meldet sich.
„Guten Tag, Frau Sander, hier spricht Friedrich Wilhelming, ist Ihre Tochter zu sprechen?“
„Leider nicht, Herr Wilhelming, Maria ist zu ihrer Freundin Clara Höfer nach Leegebruch gefahren. Soll sie sich melden, wenn sie zurückkommt?“
„Das wäre nett, Frau Sander, vielen Dank und Auf Wiederhören!“
„Auf Wiederhören!“
Es ist bereits 22.00 Uhr, als sich Maria meldet. Sie ist neugierig, zu erfahren, um was es geht. In wenigen Sätzen klärt Friedrich sie auf. Maria sagt begeistert zu. Friedrich freut sich, sie bald wiederzusehen.
Der erste Schritt jedenfalls ist getan. Es bleibt nun abzuwarten, ob und was die Freunde gegen Karl und die FRB erreichen können.
Es ist tiefschwarze Nacht. In der Weite der Muskauer Heide in Sachsen ist das Heulen der Wölfe zu hören. Schon seit dem Jahr 2000 gibt es hier wieder freilebende Wolfsfamilien. Insgesamt drei Wolfsrudel haben sich in der Oberlausitz einen neuen Lebensraum erschlossen: das Neustädter Rudel im Westen, das Nochtener Rudel in der Mitte und das Daubitzer Rudel im Osten der Muskauer Heide.
Das Wolfsheulen hört sich heute Nacht traurig an. Es gilt, Abschied zu nehmen. Der zweijährige Wolfsrüde muss das Territorium des Neustädter Rudels verlassen. Er muss nun eigene Wege gehen und sich selbst zur späteren Fortpflanzung ein Revier suchen. Seine Eltern schauen ihm nach, wie er Richtung Westen nach Brandenburg verschwindet. Der Rüde schaut sich nicht noch einmal um. Dass lässt sein Stolz nicht zu. Seine Eltern sollen ihn nicht für einen Schwächling halten. Die anderen Wolfsrudel stimmen in das Geheule seiner Familie ein. Aber man will ihm auch deutlich machen: „Hier hast du nichts mehr zu suchen! Lass dich nicht in unseren Revieren blicken!“ So bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Weite zu suchen. Eigentlich wäre er noch gern bei seiner Familie geblieben. Da verspürte er Geborgenheit und Schutz. Jetzt ist er allein. Ganz allein. Nach der ersten Euphorie hat er plötzlich Angst. Was wird die Zukunft bringen?
Nachdem er mehrere Stunden durch den Wald gelaufen ist und die Morgendämmerung aufzieht, hört er plötzlich in der Nähe Geräusche, die er nicht deuten kann und die ihn verunsichern. Er bleibt stehen und blickt angestrengt in die Richtung, aus der der Lärm zu kommen scheint. Große Schatten fliegen vor ihm vorbei. Er spürt, dass von diesen seltsamen Dingen eine große Gefahr für ihn ausgeht. Er geht vorsichtig weiter an den Rand des Waldes. Er weiß, er muss auf die andere Seite gelangen, um seinen Weg fortsetzen zu können. Er lauscht in den Morgen. Und als er keinen Lärm mehr hört, will er schnell die Straße überqueren. Er hat es schon fast geschafft, als ein Auto mit hoher Geschwindigkeit naht. Der Fahrer sieht ihn nicht. Ein Zusammenstoß scheint unausweichlich.
Doch mit einem gewaltigen Sprung aus dem Instinkt heraus bringt sich der Wolf in Sicherheit. Da hat er noch einmal Glück gehabt. Er fühlt, wie seine Kräfte schwinden. Noch ein wenig zitternd von der Aufregung, sucht er sich im Dickicht des Waldes einen Platz zum Ausruhen. Das haben ihm seine Eltern mit auf den Weg gegeben. Er soll sich in der Nacht fortbewegen und jagen und am Tage ruhen und sich versteckt halten. Und auf die elterlichen Ratschläge sollte man besser hören. Zumal er es ja mangels eigener Erfahrung nicht besser weiß.
Er wartet bis zum Abend in seinem Versteck. Es bleibt alles ruhig und er unbehelligt, so dass er sich von seiner nächtlichen Tour erholen kann. Langsam bekommt er aber Hunger. Er streckt seine Schnauze nach oben und versucht eine Witterung von Wild aufzunehmen. Lange Zeit tut sich nichts. So durchstreift er mit knurrendem Magen den Wald. Da wittert er ein Reh. Es muss ganz in seiner Nähe sein. Und schon sieht er es. Das Reh hat seinen Feind noch nicht bemerkt. Mit schnellen Sprüngen greift der Wolf an. Das Reh ist zu überrascht, um die Flucht zu ergreifen. Und als es aus seiner Erstarrung erwacht, ist es schon zu spät. Der Wolf packt es mit seinen gewaltigen Zähnen am Nacken und beißt sich fest. Das Reh hat keine Chance und ist in wenigen Minuten tot. Zufrieden lässt sich der Wolf mit seiner Beute nieder und beginnt hastig zu fressen. Und er ist stolz auf sich. Selbst mit seinen Eltern hat er erlebt, dass das Jagen viel mehr Zeit in Anspruch nehmen kann. Er hat heute Nacht seine Arbeit schnell erledigt. Nach einer Weile setzt der Wolf seinen Weg, satt und ein bisschen träge, fort.
Kai Müller ist 8 Jahre alt, wohnt mit seinen Eltern in Marwitz, in der Siedlung am Feld, und besucht die dritte Klasse der Elfenbein-Grundschule in Vehlefanz.
Früher ist er gern zur Schule gegangen, aber heute sieht es anders aus. Er wird von einigen Mitschülern seit ein paar Monaten gehänselt. Vor dem Unterrichtsbeginn, in den Pausen und auf dem Heimweg. Drei Jungs haben es auf ihn abgesehen. Sie schupsen ihn und bespucken ihn manchmal sogar. Sie lachen ihn aus, weil er im Vergleich zu ihnen klein und schwach ist. Sie machen sich über ihn lustig, weil er kein Handy hat. So gerät er immer mehr in eine Isolation. Auch seine anderen Klassenkameraden wenden sich zunehmend von ihm ab. Wer will schon einem Verlierer zugeordnet werden, zu den Schwachen gehören? Ab und zu sagt Kai zu seinen Eltern, dass er Bauchweh habe, damit er nicht zur Schule gehen muss. Das kommt in letzter Zeit immer öfter vor. Vor allen Dingen seine Mutter macht sich deshalb große Sorgen um ihn. Natürlich leiden auch seine schulischen Leistungen darunter. Bis zur zweiten Klasse war er noch ein sehr guter Schüler. Der Klassenbeste! Es schien ihm alles in den Schoß zu fallen. Das Lesen, Schreiben und Rechnen fiel ihm außerordentlich leicht. Wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass er bei den Rabauken in der Klasse auf Ablehnung stieß. Besonders vor Uwe, einem für sein Alter bereits großen, kräftigen und etwas dicklich wirkenden Jungen, muss er sich in Acht nehmen. Wenn er Kai sieht, kommt er sofort und boxt ihm auf die Schulter. So ging der Streit auch los. Uwe knuffte ihn und Kai fing vor Schmerzen sofort zu weinen an.
„Du Memme! Du Mädchen!“, riefen die drei Freunde und tanzten um ihn herum. Und Kai weinte immer lauter. Bis eine Lehrerin diesem Vorfall ein Ende setzte. So haben die Jungs erkannt, wie sie ihn treffen und zum Weinen bringen können. Kai hat in ihren Augen Schwäche gezeigt, und so macht es seinen Feinden immer wieder Spaß, ihn zu ärgern. Und Kai erträgt dieses Spießrutenlaufen. Er geht weder zum Klassenlehrer, um sich über Uwe und seine Bande zu beschweren, noch spricht er mit seinen Eltern darüber. Er will kein Verräter sein. Er will sein Problem irgendwann selbst lösen. Doch solange muss er diese Tortur erleiden. Kai denkt auch, dass er selbst schuld ist an dieser Misere. Wenn er so wäre wie die anderen Jungs in seiner Klasse, würde man ihn wahrscheinlich akzeptieren. Aber er spielt nicht gerne Fußball, Sport ist für ihn ohnehin nur eine Belastung, dafür ist er lieber mit Mädchen als mit Jungs zusammen. Darüber hinaus interessiert er sich nicht für Computer- oder Videospiele, sondern liest viel, vorzugsweise Tierbücher, und hört mitunter die klassische Musik seiner Eltern.
Heute scheint er Glück zu haben. Noch sind seine Feinde nicht auf ihn aufmerksam geworden. Nach dem Klingeln versucht er schnell den Schulbus zu erreichen. Doch er muss an der Haltestelle warten.
Und da sieht er Uwe mit seiner Bande schon herannahen. Jetzt haben sie ihn auch gesehen. Ängstlich geht Kai einen Schritt zurück und hofft darauf, dass der Schulbus bald kommt. Und tatsächlich, da ist er. Die Tür geht auf und Kai ist als einer der Ersten im Bus. Er setzt sich in die vorderste Reihe, die noch frei ist, auf den Sitz am Fenster auf der linken Seite in Fahrtrichtung direkt hinter dem Fahrer. Hier sollte er weitgehend vor ihren Schikanen sicher sein. Aber sie haben ihn nicht aus den Augen verloren. Hoffentlich setzt sich der dicke Uwe jetzt nicht neben ihn.
Doch plötzlich lässt sich Stefanie auf den Platz neben ihm nieder. So muss Uwe missmutig weiterziehen. Und er schafft es noch nicht einmal, Kai zur Strafe für seine Feigheit, sich hinter einem Mädchen zu verstecken, einen Schlag zu versetzen. Kai blickt dankbar zur Seite und murmelt „Danke!“
Stefanie blickt ihn nur verwundert und fragend an, um sich dann ihrem Bravoheft zu widmen. Sie reden auf der Fahrt von Vehlefanz bis Eichstädt kein Wort miteinander. Dann muss Stefanie aussteigen. Glücklicherweise müssen hier auch die Jungs den Bus verlassen. So kommt Kai heute tatsächlich ungeschoren davon. Er steigt frohgelaunt in Marwitz an der ersten Haltestelle am Ortsrand aus und schlendert nach Hause.
Heinz Meier erwacht mit einem guten und einem schlechten Gefühl. Er freut sich auf der einen Seite darüber, dass er seit gestern berentet ist und nicht mehr zur Arbeit gehen muss. Auf der anderen Seite weiß er nun noch nicht, wie er die vielen langen Tage, die vor ihm liegen, gestalten soll. Er schaut auf die Uhr. Es ist 5.30 Uhr. Seine Zeit zum Aufstehen. Bisher, nun kann er liegen bleiben. Aber er hat heute morgen noch gar keine Ruhe dazu. Daran wird er sich erst gewöhnen müssen.
So steht er auf, seine Frau schläft noch, öffnet die Wohnungstür und holt sich die Tageszeitung. Er beginnt lustlos, die Zeitung durchzublättern und entscheidet sich zunächst, den Sportteil zu lesen. Doch er kann sich nicht konzentrieren. In seinen Gedanken ist er bei seiner gestrigen Verabschiedung in seiner Firma. Sein Chef hatte ihm zum Dank für seine jahrzehntelangen Dienste eine Abschiedsfeier ausgerichtet. Mit einem üppigen Buffet und einer reichlichen Getränkeauswahl. Zum Schluss war er in dem mittelständischen Unternehmen immerhin der Vertreter des Personalchefs gewesen, also durchaus ein leitender Angestellter. Deshalb konnte er es sich auch leisten, früher in Rente zu gehen. Mit 62 Jahren und entsprechenden Abschlägen. Er hat sein Auskommen. Das reicht für ihre Eigentumswohnung in Berlin-Hermsdorf und einen Mercedes und dafür, dass seine Frau nie zu arbeiten brauchte.
„Lieber Heinz, du wirst uns allen fehlen!“ Jetzt duzt ihn sein Chef. Das hat er bisher nicht gemacht. Gustav Schulze, der Eigentümer des Computerunternehmens, hält eine längere Rede. Heinz hört gar nicht richtig zu, dazu ist er viel zu aufgeregt. Er registriert aber, dass seine Kolleginnen und Kollegen langsam unruhig werden. Gustav hört sich wie immer gern selbst reden. Aber dann kommt er doch zum Ende: „Aus diesem Grund wünschen wir dir einen frohen Unruhestand“, die Mitarbeiter lachen höflich über diesen Scherz, „und vor allen Dingen viel Gesundheit! Damit du dein Gehirn weiter trainierst und nicht einrostest, darf ich dir als Abschiedsgeschenk einen hochmodernen Schachcomputer überreichen.“
Gustav überreicht das Geschenk und schüttelt Heinz mit einem kumpelhaften Schulterklopfen die Hand. Die Mitarbeiter klatschen.
„Er lebe hoch. Dreimal hoch. Hoch, hoch, hoch !“
Heinz ist etwas verlegen, bedankt sich artig in der Runde und nimmt seine Frau, die ihn heute zu seinem Ehrentage begleitet hat und etwas verloren in der Ecke steht, in seine Arme. Helga ist in diesem Moment sehr stolz auf ihren Mann. Sie sehen beide glücklich und zufrieden aus. Auch noch nach 35 Ehejahren. Sicherlich es gab Höhen und Tiefen. Aber sie haben ihre Probleme und Schwierigkeiten immer gemeinsam gemeistert. Und sie führen kein schlechtes Leben. Nein, wirklich nicht. Helga konnte immer ihren Neigungen nachgehen: Malen und ehrenamtliche Mitarbeit in der Kirchengemeinde und im Kirchenvorstand. Damit konnte auch sie ihr Leben ausfüllen. Und dann waren ihre schönen Urlaubsreisen. Dafür haben sie jetzt noch mehr Zeit. Sie verfügen auch über die entsprechenden finanziellen Mittel, so sparsam wie sie sonst gelebt haben. Eine Kreuzfahrt auf einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff haben sie sich als Erstes vorgenommen. Da sie keine Kinder haben, leider, können sie ihr Geld ruhigen Gewissens ausgeben und sind nicht angehalten, Rücksicht auf irgendwelche Nachfahren zu nehmen.
Der Chef verabschiedet ihn mit den Worten: „Heinz, du bist bei uns stets herzlich willkommen, wenn du Langeweile hast !“
Aber das hat sich Heinz fest vorgenommen: Er wird seine Arbeitsstätte nicht noch einmal betreten. Nein, da ist er konsequent. Dieses Kapitel ist beendet. Und er versteht überhaupt nicht die Kollegen, die auch nach ihrer Berentung nicht von der Arbeit ablassen können und sich für Vertretungsdienste gern zur Verfügung stellen. Nein, da vertritt er die Meinung, dass man auch loslassen können und den Jüngeren eine Chance geben muss. Außerdem, so schön war die Arbeit nun auch nicht. Gut, er hatte dadurch einen festen Halt und Platz im Leben und sein Gehalt. Schlecht verdient hat er auch nicht. Aber ist er nicht von seinem Chef regelrecht ausgebeutet worden? Und hat er sich nicht teilweise seine Gesundheit ruiniert? Das gehört wahrscheinlich dazu. Von nichts kommt eben nichts.
Ein wenig schmerzt ihn die Tatsache, dass seine Stelle nicht wieder besetzt wird. Rationalisierung heißt das Zauberwort. Es geht nur noch um Kostensenkungen und Ausgabenkürzungen. Um den Wettbewerb. Die Preise der Produkte sind entscheidend dafür, ob die Erzeugnisse genügend nachgefragt werden. Und je kostenbewusster ein Unternehmen operiert, desto günstiger können die Preise gestaltet und die Produkte angeboten werden. Angebot und Nachfrage bestimmen den Markt. Nicht der Mensch! Um die Erhaltung der Arbeitsplätze geht es in den meisten Fällen schon lange nicht mehr. Er war hier nur ein kleines Rädchen. Ein ganz kleines. Jetzt ist er nicht mehr dabei und es geht auch ohne ihn. Vielleicht durfte er seinen Arbeitsplatz nur behalten, weil er schon über 40 Jahre in diesem Unternehmen gearbeitet hatte? Vielleicht genoss er Bestandsschutz? Er will lieber keine Antworten hören. Das führt zu nichts. Er will jetzt seinen neuen Lebensabschnitt angehen. In Ruhe und Zufriedenheit.
Und die Voraussetzungen dafür sind geschaffen.
Friedrich Wilhelming hat den heutigen Tag herbeigesehnt. Er kommt sich vor wie ein kleines Kind, das sich auf Weihnachten freut. Auf den Tag der Bescherung. Heute ist der Tag ihres Treffens. Die Freunde der IdaB versammeln sich. Die Zeit der Untätigkeit ist endlich vorbei. Sie hatten sich in ihr Schicksal ergeben. Jetzt werden sie aufbegehren. Es ist viel zu früh, als Friedrich vor der Reiterschenke in Eichstädt aus seinem kleinen Renault Twingo steigt. Aber er ist nicht der Erste. Maria ist auch schon da. Er sieht gerade noch ihren Rücken in der Gastwirtschaft verschwinden. Er betritt wenige Sekunden später das Lokal. Maria spricht am Tresen mit dem Wirt. Er deutet auf einen Gastraum im hinteren Teil seiner Gaststätte. Friedrich gibt ihm die Hand und wendet sich dann Maria zu: „Na, auch zu früh?“
„Besser zu früh als zu spät!“
„Da hast du Recht.“ Sie umarmen sich leicht wie alte Freunde und setzen sich in den für sie vorgesehenen Raum. Da es ziemlich warm ist, zieht Maria ihre Jacke aus. Sie trägt eine weiße Bluse und eine enganliegende Jeans. Mit einem anerkennenden Blick mustert er sie. Ihre fraulichen Formen sind nicht zu übersehen. Die dünne Bluse spannt unter ihrem großen Busen. Der BH zeichnet sich deutlich ab. Friedrich muss sich fast zwingen, seinen Blick von ihrem Körper abzuwenden. Mit 37 Jahren ist Maria immer noch eine sehr attraktive Frau.
„Was macht deine Schriftstellerei?“, eröffnet Maria das Gespräch.
„Es läuft. Ich schreibe jetzt mein fünftes Buch. Das letzte war nicht sehr erfolgreich. Aber ich muss ja zum Glück nicht davon leben.“
„Ich habe von deiner letzten Lesung in Berlin einen Bericht in der Zeitung gelesen.“
„Ja, das war eine gelungene Veranstaltung. Aber manchmal frage ich mich doch, was ich eigentlich wirklich bin. Ein Schriftsteller oder ein normaler Pensionär?“