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Dieser Band enthält folgende Krimis: (499) Trevellian und der Bazooka-Killer (Alfred Bekker) Trevellian und das schärfste Girl der CIA (Jan Gardemann) Der Rennbahn-Erpresser (Thomas West) Die geheime Macht (Peter Wilkening) Wer steckt hinter dem tödlichen Attentat auf Brian Imperioli? Der Mafioso besaß eine Menge Feinde – und zwei Söhne, die er verstoßen hatte. Da sind aber auch noch alte Rechnungen offen, die in der Zeit des Vietnamkrieges entstanden. Die ErmittlerTrevellian und Tucker müssen sich auf eine Spur konzentrieren. Aber ist das auch die Richtige? Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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Super Action Krimi Viererband 1003
Copyright
Trevellian und der Bazooka-Killer
Trevellian und das schärfste Girl der CIA: Kriminalroman
Der Rennbahn-Erpresser
Die geheime Macht
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Trevellian und der Bazooka-Killer (Alfred Bekker)
Trevellian und das schärfste Girl der CIA (Jan Gardemann)
Der Rennbahn-Erpresser (Thomas West)
Die geheime Macht (Peter Wilkening)
Wer steckt hinter dem tödlichen Attentat auf Brian Imperioli? Der Mafioso besaß eine Menge Feinde – und zwei Söhne, die er verstoßen hatte. Da sind aber auch noch alte Rechnungen offen, die in der Zeit des Vietnamkrieges entstanden. Die ErmittlerTrevellian und Tucker müssen sich auf eine Spur konzentrieren. Aber ist das auch die Richtige?
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
COVER A.PANADERO
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Krimi
Der Umfang dieses Buchs entspricht 111 Taschenbuchseiten.
Wer steckt hinter dem tödlichen Attentat auf Brian Imperioli? Der Mafioso besaß eine Menge Feinde – und zwei Söhne, die er verstoßen hatte. Da sind aber auch noch alte Rechnungen offen, die in der Zeit des Vietnamkrieges entstanden. Die ErmittlerTrevellian und Tucker müssen sich auf eine Spur konzentrieren. Aber ist das auch die Richtige?
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
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© Roman by Author / COVER STEVE MAYER
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
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Der Killer wartete im dritten Stock eines leerstehenden Bürohauses in der South Bronx. Von hier aus konnte er den Zufahrtsweg zum Firmengelände von Matthews & Partners überblicken. Draußen herrschte Dunkelheit. Regen klatschte gegen die Fensterscheiben, die sich nicht öffnen ließen. Der Killer stanzte mit einem Glasschneider ein annähernd kreisförmiges Stück heraus.
Anschließend öffnete er ein langgezogenes Spezialfutteral und holte eine Bazooka hervor. Er steckte die Mündung durch das Loch im Glas und justierte die Zieloptik.
Das wird der letzte Weg für den ›Großen Alten‹!, dachte er zufrieden.
Eine kühle, stürmische Nacht in New York. Vom Atlantik peitschte ein scharfer Wind durch die schnurgeraden Häuserzeilen bis hinauf zur South Bronx, dem heruntergekommensten Teil der Acht-Millionen-Metropole. Ganze Straßenzüge standen unter der Kontrolle aggressiver Drogengangs. In manche Gebiete trauten sich selbst die Einsatzkräfte des New York Police Department nur in Mannschaftsstärke hinein.
Eine schwarze Limousine bog in die 132. Straße ein, eine trostlose Sackgasse. Zu beiden Seiten rosteten Lagerhallen mit Wellblechdächern vor sich hin. Nur ein Teil der Straßenbeleuchtung funktionierte noch.
Ein siebensitziger Van vom Typ Chrysler Voyager folgte der Limousine dichtauf.
Beide Fahrzeuge fuhren auf das Gelände von Matthews & Partners, einer inzwischen Bankrott gegangenen Fabrik für Plastikverpackungen. In der Haupthalle hatte es vor zwei Jahren einen verheerenden Brand gegeben. Das Gebäude war komplett ausgebrannt. Noch immer stand es als Ruine da, die bis heute nicht saniert worden war.
Rußgeschwärzte Betonwände ragten vier Stockwerke hoch empor. Vom Dach waren nur die Stahlträger übrig geblieben.
Die Türen des Vans öffneten sich.
Ein halbes Dutzend Bewaffneter sprang heraus. Männer in dunklen Rollkragenpullovern und Sturmhauben, die nur die Augen frei ließen. Bewaffnet waren sie mit MPs, automatischen Pistolen und Pumpguns.
Die Männer schwärmten aus, hielten die Waffen im Anschlag.
Jetzt erst öffnete sich die Beifahrertür der Limousine.
Ein Mann im schwarzen Anzug und mit asiatischen Gesichtszügen umrundete den überlangen Wagen. Er spannte einen Schirm auf, öffnete hinten links die Tür. Zwei Dobermänner sprangen ins Freie. Sie setzten sich hechelnd auf den Boden und spitzten die Ohren.
Ächzend folgte ihnen ein schwergewichtiger Mann Ende fünfzig. Ein grauer Bart umrahmte sein breites Gesicht. Er trug einen braunen Kaschmirmantel und schlug den Kragen hoch.
»Ich hoffe, dieser Bastard hält sich an die Verabredung, Nguyen«, wandte er sich an den Asiaten.
Dieser neigte leicht den Kopf. »Wenn Sie mich fragen, ist das ein Amateur, Mr. Imperioli.«
»Den Eindruck habe ich langsam auch.« Der Dicke schüttelte gedankenverloren den Kopf. »Mein Instinkt sagt mir, dass noch mehr dahinter steckt.« Er bückte sich und kraulte einem seiner Dobermänner den Nacken.
Scheinwerfer leuchteten auf.
Mehrere Motorräder brausten auf das Firmengelände. Es waren drei Harleys und ein so genanntes Trike.
Die Maschinen stoppten.
Die Harley-Fahrer trugen Lederjacken mit der Aufschrift BRONX PIRATES. Ihre Bewaffnung bestand aus Pumpguns.
Der Trike-Fahrer schien ihr Anführer zu sein.
Auch er trug eine Lederjacke, dazu ein Piratentuch. Er stieg von seiner dreirädrigen Maschine. Unter seiner Lederjacke blitzte der weiße Perlmuttgriff eines Magnum-Revolvers vom Kaliber 4.57 hervor.
Lässig kaute der Trike-Fahrer auf seinem Kaugummi, machte schließlich sogar eine Blase damit und ließ sie geräuschvoll zerplatzen.
»Sie sind spät dran, Alan Reilly!«, stellte Brian Imperioli fest.
Das Gesicht des Trike-Fahrers erstarrte zu einer Maske. »Ich mag es nicht, wenn man mich bei meinem Sklaven-Namen nennt«, erklärte er großspurig. »Ich bin der Bronx Commander. Kapiert?«
Imperiolis Lächeln wurde eisig. »Cassius Clay alias Muhammad Ali hatte vielleicht das Recht, sich einen anderen Namen zu geben – aber nicht ein kleiner Gang-Leader, dem ich gestatte, in ein paar Straßenzügen Kokain zu verkaufen.«
Alan Reilly stutzte. »Hey, was soll das?« Er klemmte mit zur Schau gestellter Lässigkeit die Daumen hinter den Gürtel mit dem breiten Totenkopf-Verschluss. »Warum so giftig, Mr. Imperioli? Ich sehe überhaupt keinen Anlass für Streit. Die Geschäfte laufen wunderbar. Ich hoffe, Sie haben die nächste Lieferung gleich dabei. Unsere Leute können gar nicht so viel Crack aufkochen, wie uns die Junkies am liebsten aus den Händen reißen würden!« Der Mann, der sich selbst »Bronx Commander« nannte, lachte heiser. »Wir mussten das Zeug dermaßen verdünnen, dass einige Kunden schon anfingen zu meckern.«
»Was Sie nicht sagen, Reilly.« Imperioli machte dem Bronx Commander ein Zeichen. »Kommen Sie, ich möchte mit Ihnen etwas unter vier Augen besprechen.«
»Und was ist mit dem neuen Stoff?«
»Sie kriegen schon, was Sie brauchen, Reilly!«
»Verdammt, ich heiße Bronx Commander!«
Reilly trat auf Imperioli zu, zögerte aber plötzlich mit Blick auf die beiden Dobermänner. Imperioli lachte leise, kraulte dabei die Tiere erneut hinter den Ohren. »Die sehen nur gefährlich aus, in Wirklichkeit sind das ganz friedliche Tiere …«
»Wenn Sie es sagen.«
»Kommen Sie mit zum Wagen!«
Reilly folgte Imperioli.
Nguyen, der Leibwächter blieb bei ihnen. Nach wenigen Schritten erreichten sie die Limousine.
»Scheiße, was gibt‘s denn so Wichtiges?«
»Werden Sie gleich sehen!«
Imperioli schnipste mit den Fingern.
Seine Männer rissen daraufhin ihre Waffen hoch und feuerten. Die MPs ratterten los. Mündungsfeuer leckten aus den kurzen Mündungen heraus.
Die drei Harley-Fahrer kamen nicht dazu, auch nur einen einzigen Schuss abzugeben. Ihre Körper zuckten unter den Treffern.
Ehe Reilly zu seinem Magnum-Revolver greifen konnte, versetzte Nguyen dem Gang-Leader eine Kombination von Karateschlägen. Der selbst ernannte Bronx Commander sackte ächzend zu Boden. Trotz der brutalen Schläge schaffte er es noch, die Waffe herauszureißen.
Der Leibwächter kickte sie ihm zielsicher aus der Hand.
Die Dobermänner knurrten.
»Bewegen Sie sich nicht, Reilly!«, befahl Imperioli. »Sonst zerfleischen die Hunde Sie!«
Der Bronx Commander rang nach Luft.
Imperioli trat näher an ihn heran. Die Dobermänner wichen nicht von der Seite ihres Herrn. Sie hechelten.
»Verdammt, was soll das?«, brachte Reilly schließlich heraus.
»Ich lass mich nicht für dumm verkaufen, Reilly«, erwiderte Imperioli kalt.
»Ich habe alles getan, was Sie wollten!«
»So?« Imperioli lachte zynisch. »Sie sind doch ein erbärmlicher Feigling, Reilly. Ich kann es nicht leiden, wenn man mich betrügt, aber noch weniger kann ich es ausstehen, wenn mich jemand anlügt!«
»Mr. Imperioli, wir können über alles reden …«
Der Dicke gab seinem Leibwächter ein Zeichen.
Nguyen versetzte dem am Boden liegenden Bronx Commander daraufhin einen brutalen Tritt. Reilly stöhnte auf, krümmte sich wie ein Embryo zusammen.
»Warum haben Sie Koks von der Konkurrenz genommen, Reilly? Sie wussten doch, was darauf folgt!«
»Bitte, Mr. Imperioli!«
»Wer wimmert da wie ein Baby? Der Bronx Commander?«
»Es wird nie wieder vorkommen, Mr. Imperioli!«
»Nein, wird es auch nicht!«, bestätigte der Dicke mit eisigem Unterton. Er pfiff zwischen den Zähnen hindurch. Die Dobermänner gehorchten. Mit gefletschten Zähnen stürzten sie sich auf Reilly. Fast eine halbe Minute lang gellten die Schreie des Bronx Commanders ungehört durch die kalte Nacht. Dann war Ruhe.
»Sollen wir hier aufräumen, Sir?«, erkundigte sich Nguyen.
Brian Imperioli schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ich möchte, dass alles genauso bleibt, wie es jetzt ist! Das soll dem Rest dieser Rattenbande eine Warnung sein! Mich hintergeht man nicht!«
Nguyens asiatisches Gesicht blieb vollkommen regungslos. »Wie Sie wünschen, Sir.«
Er gab seinen Leuten ein Zeichen. Die Bodyguards stiegen wieder in den Van. Türen klappten. Brian Imperioli blickte mit einem zufriedenen Lächeln auf Reilly hinab. Sein Gesicht war kaum noch zu erkennen, so schlimm hatten die Dobermänner gewütet.
»Niemand betrügt einen Imperioli!«, murmelte der Dicke vor sich hin.
Der Van mit den Bodyguards startete bereits.
»Avanti, Jungs!«, rief Imperioli.
Die Dobermänner waren damit gemeint. Sie setzten sich augenblicklich in Bewegung und hetzten hechelnd zur Limousine. Der Chauffeur öffnete ihnen die Hintertür. Sie sprangen auf die Rückbank und warteten dort artig auf ihr Herrchen. Brian Imperioli folgte ihnen gemessenen Schrittes. Wenig später hatte auch er zusammen mit Nguyen auf der Rückbank Platz genommen.
»Einer muss die Drecksarbeit übernehmen«, erklärte Imperioli düster, nachdem die Tür geschlossen war.
»Ja, Sir«, bestätigte Nguyen.
»Das war schon damals in Vietnam so. Verdammt, die Drecksarbeit blieb immer an mir hängen. Weißt du, wie die Jungs mich damals genannt haben?«
»Nein, Sir.«
»Den Mann ohne Nerven.« Einer der Dobermänner schmiegte sich an Brian Imperioli. Der Dicke kraulte ihn daraufhin hinter den Ohren. Das Tier knurrte wohlig. »Eigentlich würde ich mich ja liebend gerne aus dem blutigen Teil des Business zurückziehen. Ich war lange genug der Schlächter. Aber was bleibt mir für eine Wahl?«
Imperioli langte in die Innentasche seines Mantels, holte ein Zigarrenetui heraus und steckte sich eine dicke Havanna in den Mund. Nguyen gab ihm Feuer.
Der Wagen setzte sich in Bewegung und folgte dem Van mit Imperiolis bewaffneter Kampftruppe.
»Wir haben einfach zu viele Weicheier in der Familie«, meinte der große Boss mit deutlich hörbarer Resignation in der Stimme. Er sah Nguyen offen an. »Aber was kann man von einer Jugend erwarten, die mit dem silbernen Löffel voll Koks auf die Welt gekommen ist? Denen fehlt einfach die nötige Härte. Am Ende bleibt es doch wieder an den alten Haudegen hängen, alles zusammenzuhalten …«
»Ja, Sir«, sagte Nguyen.
Die beiden Wagen fuhren die Sackgasse zurück, über die sie auf das Firmengelände gelangt waren.
Ein Blitz zerriss die Nacht.
Eine gewaltige Explosion war zu hören.
Der Van verwandelte sich in einen Feuerball.
Imperiolis Chauffeur trat auf die Bremse. Die Reifen quietschten. Imperioli hatte sich nicht angeschnallt und wurde mitsamt den Hunden nach vorn gegen die gepanzerte Trennscheibe zur Chauffeurkabine geschleudert. Brian Imperioli stöhnte auf. Er war benommen. Blut rann ihm an der Stirn hinab.
»Alles in Ordnung, Mr. Imperioli?«, fragte Nguyen, der sich besser hatte schützen können.
Imperiolis Augen waren schreckgeweitet.
Nur Sekunden später verwandelte sich auch seine Limousine in einen explodierenden Feuerball.
Ein regnerischer, trüber Morgen in New York City. Der gesamte Big Apple glich einer Waschküche. Die Wischer des Sportwagen schafften es kaum, die Scheiben einigermaßen frei zu halten.
Ich hatte Milo gerade an der bekannten Ecke abgeholt und war auf dem Weg zur Federal Plaza, als uns der Anruf aus dem Hauptquartier erreichte. Es war unser Chef persönlich. Da ich die Freisprechanlage eingeschaltet hatte, konnten Milo und ich ihn beide hören.
»Guten Morgen«, meldete sich Assistant Director Jonathan D. McKee, der Leiter des FBI Field Office New York. Anschließend gab er uns eine Adresse in der Bronx durch und erklärte: »Dort hat es heute Nacht ein Attentat auf Brian Imperioli gegeben. Eine genaue Identifizierung der Opfer war noch nicht möglich. Aber die Kollegen der City Police gehen davon aus, dass Imperioli tot ist.«
Ich ordnete mich an einer Ampel rechts ein. Der Tatort lag genau entgegengesetzt zu unserer gegenwärtigen Fahrtrichtung.
»Das bedeutet Krieg«, meinte Milo.
»Ich kann nur hoffen, dass Sie sich irren, Milo«, erwiderte Mr. McKee. »Jedenfalls drohen monatelange Ermittlungsarbeiten jetzt bedeutungslos zu werden …«
Mr. McKee spielte damit darauf an, dass wir seit geraumer Zeit begonnen hatten, ein Netz um Imperioli herum aufzubauen. Der Italoamerikaner hatte im Verlauf der letzten dreißig Jahre eine steile Karriere in der Unterwelt gemacht. Als graue Eminenz beherrschte er inzwischen einen beträchtlichen Teil des Kokainhandels. Ganze Bezirke hatte er unter seiner Kontrolle. In letzter Zeit hatte er insbesondere in der Bronx stark an Boden gewonnen und die dort traditionell etablierten puertoricanischen Syndikate zurückgedrängt und lieferte sich nun einen Konkurrenzkampf mit der Chinatown-Connection.
»Einzelheiten wird Ihnen Captain Ron Gallego von der Homicide Squad III des 103. Precinct erläutern«, erklärte Mr. McKee. »Er leitet den Einsatz am Tatort. Nur so viel kann ich Ihnen schon sagen: Der Angriff auf Imperioli erfolgte sehr wahrscheinlich mit einer Bazooka.«
Ich pfiff durch die Zähne. »Spricht für Profis«, meinte ich.
Mr. McKee war derselben Ansicht. »Fragt sich nur, wer diese Killer in Bewegung gesetzt hat.«
»Na, da kommt doch nahezu jeder in Frage, der sich in den letzten zehn Jahren auf dem Kokainmarkt breit zu machen versuchte«, sagte ich.
»Nicht zu vergessen die Konkurrenz aus der eigenen Familie«, ergänzte Milo.
Wir wussten durch V-Männer, dass es innerhalb des Imperioli-Clans erhebliche Meinungsverschiedenheiten über den zukünftigen Kurs der Familiengeschäfte gab.
»Der Große Alte«, wie Imperioli inzwischen gleichermaßen respektvoll und ängstlich genannt wurde, hatte die Zügel fest im Griff gehabt.
Wer nicht nach seiner Pfeife tanzte, den hatte Brian Imperioli aus dem Weg geräumt. Auch innerhalb der eigenen Verwandtschaft hatte er mit eisernem Besen gekehrt. Drei Cousins waren unter bislang ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Der Große Alte war allerdings clever genug, um zu verhindern, dass irgendeine Spur zu ihm führte.
»Dieser Fall hat Priorität«, kündigte Mr. McKee an. »Wenn wir nicht sehr schnell Licht in die Sache bringen und es uns gelingt, den Sumpf trockenzulegen, in dem der Imperioli-Clan operiert, dann wird ein blutiger Kampf um die Neuverteilung der Macht und der Drogenmärkte ausbrechen.«
Wir setzten das Rotlicht auf das Dach des Sportwagens, um schneller durch den dichten Verkehr des Big Apple zu kommen. Zur morgendlichen Rushhour war das kein Vergnügen.
Als wir auf den Franklin D. Roosevelt Drive gelangten, ging es etwas schneller voran. Wir fuhren Richtung Norden, am East River entlang. Zu unserer Rechten tauchte Wards Island auf, eine unbewohnte Insel, auf der sich die nach Harlem führende East 125 th Street mit dem Grand Central Parkway nach Queens und dem in die Bronx führenden Bruckner Expressway traf.
Wir passierten eine Unterführung der 125 th Street, gelangten auf den Harlem River Driveway und bogen anschließend rechts in die 135 th Street. Zweihundert Meter weiter überquerten wir das Harlem River genannte Verbindungsstück zwischen Hudson und East River. Unser Ziel war das Gelände von Matthews & Partners, einer stillgelegten Fabrik ganz im Süden der Bronx. Das Gelände war weiträumig abgesperrt. Die Kollegen der City Police befanden sich in hoher Mannschaftsstärke im Einsatz. Der Regen tropfte ihnen von den Mützen.
»Die Jungs sind an einem Tag wie diesem um ihren Job nicht zu beneiden, Jesse«, meinte Milo.
Ich lächelte dünn. »Du vergisst, dass wir gleich auch noch hinaus in diese Waschküche müssen!«
»Mistwetter.«
Besonders zu bedauern waren die Kollegen der Scientific Research Division, dem zentralen Erkennungsdienst sämtlicher New Yorker Polizeieinheiten. Der Regen war auf Seiten der Mörder. Einen Teil der Spuren würde er unwiederbringlich vernichten.
Wir wurden von den NYPD-Kollegen angehalten. Ich ließ die Scheibe hinunter und zeigte meine ID-Card.
»Alles klar! Fahren Sie weiter«, sagte der Officer. »Captain Gallego von der Homicide Squad wartet schon auf Sie!«
»Danke.«
Der Tatort befand sich in einer trostlosen Sackgasse, die auf das Firmengelände führte. Dutzende von Einsatzfahrzeugen blockierten den Weg. Wir stiegen aus. Ich schlug den Kragen meiner Jacke hoch. Es regnete immer noch Bindfäden. Ein rauer Wind fegte vom East River zwischen den Gebäuden hindurch.
Zwei ausgebrannte, verkohlte Autowracks fielen mir auf.
Wir trafen Captain Gallego im Gespräch mit einem SRD-Kollegen und einem Gerichtsmediziner. Milo und ich kannten Gallego seit einem Auffrischungskurs im Combat-Schießen, an dem wir alle drei im letzten Jahr teilgenommen hatten. Inzwischen war Gallego zum Captain befördert worden und leitete eigenständig eine Mordkommission des 103. Reviers.
Das Wasser tropfte von der Baseball-Kappe.
»Hi!«, grüßte er, als er uns bemerkte. »Das FBI ist ja schneller, als ich dachte!«
»Wir waren noch nicht einmal im Büro, da wurden wir schon hierher beordert«, sagte ich.
Gallego schüttelte den Kopf. »Aus dem Bett direkt an einen Ort wie diesen – es gibt Tage, an denen sollte man besser nicht aufstehen, was?«
Ich nickte. »Kann man wohl sagen.«
»Unsere Leute arbeiten hier mit Hochdruck, um so viele Spuren wie möglich zu sichern.« Gallego deutete zu einem der leerstehenden Gebäude. »Aus dem dritten Fenster von links im vierten Stock wurde zweimal mit einer panzerbrechenden Bazooka geschossen. Im ersten Wagen befanden sich wahrscheinlich sechs Personen. Die Kollegen werden etwas Zeit brauchen, um das genau rekonstruieren zu können.«
»Verstehe.«
Ein unangenehmer, verbrannter Geruch hing in der Luft.
»Das Kennzeichen des zweiten Wagens blieb erhalten. Er ist auf Mr. Brian Imperioli zugelassen. Die endgültige Identifizierung der Leichen wird noch etwas auf sich warten lassen, wie ihr euch denken könnt. Insgesamt waren drei Personen in der Limousine.«
»Und trotzdem seid ihr relativ sicher, dass der große Boss persönlich im Wagen gesessen hat?«, hakte Milo nach.
Ich beobachtete derweil, wie sich die Kollegen der SRD und des Coroners am Wrack der Limousine zu schaffen machten. Eine Seite war mit einem Schneidbrenner regelrecht aufgeschnitten worden. Ein paar graue Plastikbeutel lagen auf dem Boden. Ich wollte gar nicht genau wissen, was sich darin befand.
»Es gab zwei verkohlte Hundekadaver im Inneren des Wagens«, berichtete Gallego. »Das waren wahrscheinlich Imperiolis berüchtigte Dobermänner. Kurz zuvor waren die Hunde wohl noch im Einsatz.« Er deutete in Richtung des Firmengeländes. »Komm mit, Jesse. Die Kollegen haben das meiste schon weggeräumt, aber ihr solltet euch trotzdem selbst ein Bild machen.«
Milo und ich wechselten einen verwirrten Blick.
Wir folgten Gallego die wenigen Meter bis zum Firmengelände.
Ein Trike und mehrere Harleys standen auf dem Hof vor der ausgebrannten Fabrikhalle herum. Ein Leichenwagen des Coroners befand sich etwas abseits. Blutlachen waren auf dem Asphalt zu sehen.
»Die Leichen sind bereits geborgen worden«, erklärte Gallego. »Auf Kreidemarkierungen haben wir verzichtet. Hat ohnehin keinen Sinn bei diesem Wetter.«
Der zuständige Gerichtsmediziner umrundete den Wagen. Wir gingen auf ihn zu. Der Regen wurde noch etwas heftiger, so als wäre das Wetter auf der Seite der Mörder.
Der Gerichtsmediziner hieß Dr. Ray MacMillan. Das schüttere feuerrote Haar klebte ihm am Kopf.
»Jesse Trevellian, stellvertretender Special Agent in Charge, FBI«, stellte ich mich kurz vor. »Dies ist mein Kollege Special Agent Milo Tucker.«
Dr. MacMillan nickte knapp. »Es sind insgesamt drei Tote, die wir hier fanden« , berichtete er. »Drei Männer starben durch MP-Feuer, der vierte durch Bisswunden. Insbesondere das Bisswundenopfer war in einem grauenhaften Zustand und kaum noch zu identifizieren.«
»Wir vermuten, dass es sich um den Fahrer des Trike handelt, und haben die Zulassungsnummer überprüft«, mischte sich Captain Gallego ein.
»Und?«, hakte ich nach.
»Der Zerfleischte heißt wahrscheinlich Alan Reilly. Hatte eine lange Liste von Vorstrafen, war hier in der Bronx eine lokale Größe als Gang-Leader und nannte sich Bronx Commander. Die anderen drei sind auch bekannt. Jesper Thomas, Nolan Gottfried und Ashton Gutierrez – gehörten wie Reilly zu den Bronx Pirates, die sich ihre Maschinen wahrscheinlich mit dem Handel von Crack finanzierten.«
»Brian Imperioli war der Große Alte im Kokain-Geschäft«, meinte Milo. »Eigentlich ist er ein paar Nummern zu groß, um eine Gang wie die Bronx Pirates persönlich mit Kokain zu beliefern.«
»Für mich sieht das wie eine Bestrafungsaktion aus«, sagte ich. »Imperioli hat sich mit dem Bronx Commander getroffen, um ihn für irgendetwas zur Rechenschaft zu ziehen.« Ich zuckte die Achseln. »Wer weiß, vielleicht hat er einen Teil des Stoffs auf eigene Rechnung verkauft …«
»Und als Imperioli den Ort der Auseinandersetzung verließ, hat ihn jemand mit einer panzerbrechenden Bazooka in die Luft gejagt«, ergänzte Milo.
»Das könnte einer der Bronx Pirates gewesen sein«, vermutete Gallego. »Die hatten wahrscheinlich ein paar Leute um den Treffpunkt herum postiert, die Imperioli dann niedergestreckt haben.«
Gallegos Handy schrillte. Er nahm den Apparat ans Ohr, sagte zwei Mal kurz »Ja!«, wandte sich anschließend an mich und erklärte: »Das war Lieutenant Raskinowicz. Unsere Leute haben die Stelle gefunden, von der aus gefeuert wurde.«
»Dann nichts wie hin«, schlug ich vor.
Es war aus dem dritten Stock eines leerstehenden Bürogebäudes geschossen worden. Das Licht funktionierte nicht, wir waren auf Taschenlampen angewiesen.
Lieutenant Raskinowicz deutete auf ein rundes Loch im Glas. »Da hatte jemand einen guten Glasschneider!«, stellte der gedrungen wirkende NYPD-Beamte fest.
Ich warf einen kurzen Blick durch das Fenster. Man hatte eine gute Übersicht über die Zufahrt zum Firmengelände von Matthews & Partners. »Der ideale Punkt für einen Schützen, um ein vorbeifahrendes Auto abzuschießen«, stellte Milo fest.
»Offenbar hat er gewusst, dass Imperiolis Limousine gepanzert war und er daher nicht einfach ein Scharfschützengewehr benutzen kann!«, erwiderte ich.
»Wenn du mich fragst, ist der Tathergang klar: Der Mörder hat mitbekommen, dass es auf dem Gelände von Matthews & Partners eine Schießerei gegeben hat. Drei der Bronx Pirates wurden ja regelrecht durchsiebt, das muss man hier noch gehört haben! Dann sieht er Imperiolis Limousine das Firmengelände verlassen und schlägt zu!«
»Das heißt, du gehst davon aus, dass es einer dieser Gang-Krieger war«, stellte ich fest.
Milo nickte. »Bist du anderer Ansicht?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich habe noch keine Meinung.«
Etwas blendete uns. Es war eine sehr helle Lampe, mit der jemand in den Raum hineinleuchtete.
»Gehen Sie bitte alle zurück! Sie sind im Begriff, Spuren zu vernichten«, meldete sich ein Kollege der Scientific Research Division zu Wort. Er trat näher. Das Wasser tropfte nur so von seinem schneeweißen Schutzoverall. »Es ist besser, Sie alle verschwinden hier jetzt, damit meine Kollegen und ich hier in Ruhe nach Spuren suchen können.«
»Viel konnten Sie draußen wohl nicht finden«, meinte Gallego.
Der SRD-Kollege grinste. »Man sollte ein Gesetz gegen schlechtes Wetter einführen! Das wäre ein größerer Beitrag zur Verbrechensbekämpfung als der Patriot Act!«
Niemand zweifelte ernsthaft daran, dass dies ein Fall im Zuständigkeitsbereich des FBI war.
»Wenn diese Bronx Pirates es tatsächlich gewagt haben sollten, den Großen Alten aufs Kreuz zu legen, dann ergibt das eigentlich nur Sinn, wenn wir annehmen, dass irgendein anderes Syndikat den Drogenhandel neu aufteilen will«, meinte Milo, während wir zur letzten Adresse von Alan Reilly, dem selbst ernannten Bronx Commander, fuhren. »Schließlich dürften auch Reilly und seine Leute nicht lebensmüde gewesen sein, die wussten doch ganz genau, wie Imperioli reagieren würde.«
»Und dass sie es trotzdem getan haben, heißt, dass sie glaubten, jemand würde ihnen den Rücken frei halten«, schloss ich.
»Genau, Jesse.«
»Ich fürchte, der Krieg um die Bronx geht jetzt erst richtig los!«
Alan Reillys letzte gemeldete Adresse lautete 455 Deventer Road. Er hatte sie zumindest seinem Bewährungshelfer gegenüber angegeben, nachdem er seine letzte Haftstrafe nur zu zwei Dritteln hatte absitzen müssen. Wegen guter Führung. Es war kaum zu glauben.
455 Deventer Road war ein typischer New Yorker Brownstone-Bau, fünfstöckig und eine der besseren Adressen in der South Bronx. Ein zum Wohnhaus umgebautes Lagerhaus.
Ich parkte den Sportwagen am Straßenrand. Kurz danach trafen zwei Einsatzfahrzeuge der City Police ein. Schließlich musste Reillys Wohnung durchsucht und versiegelt werden. Ein Team der Scientific Research Division erwarteten wir eigentlich auch noch.
Mit dem Aufzug fuhren wir hinauf in den dritten Stock. Der Flur war übersät mit Kameras. In letzter Zeit gaben sich die städtischen Behörden größte Mühe, diesen Stadtteil von seinem Schmuddel-Image zu befreien. Es gab durchaus Erfolge. Allerdings frage ich mich, ob man eine mit Drogengeldern finanzierte Luxusrenovierung wirklich dazu zählen konnte. Leute wie Alan Reilly, der selbst ernannte Bronx Commander, verdünnten das Kokain, das sie von Syndikaten geliefert bekamen, mit Mehl, kochten es auf, und so wurde Crack daraus. Die Droge der Armen. Crack machte sofort abhängig. Die Betroffenen glichen oft Zombies, die wie lebende Tote durch die Straßen wankten und nur noch einen Gedanken kannten: wie sie an den nächsten »Stein« kommen konnten, wie man eine Crackportion auch nannte. Alles andere wurde den Betreffenden vollkommen gleichgültig. Wenn wir im Crack-Milieu zu ermitteln hatten, so trafen wir immer wieder auf völlig vernachlässigte und sich selbst überlassene Kleinkinder, die hilflos zwischen Bergen aus Müll dahinvegetierten, weil sich ihre süchtigen Eltern nicht mehr um sie kümmerten.
Diese Dinge konnte ich nicht vergessen, wenn ich an Männer wie Alan Reilly dachte, der sich großkotzig als Bronx Commander inszenierte, eine teure Maschine fuhr und wie ein Stadtteilpate aufzutreten beliebte. Das, womit sie angaben, war mit dem Leiden vieler Unschuldiger erkauft.
Allerdings hatte niemand – und das galt auch für einen Gangster wie Alan Reilly – es verdient, bei lebendigem Leib von beißwütigen Hunden zerfleischt zu werden.
Ähnliches galt natürlich auch für Brian Imperioli, der auf höherer Ebene daran verdient hatte, dass in der Bronx Crack-Zombies an den Folgen ihrer Sucht elendig verreckten. Wir waren gehalten, die Opfer von Verbrechen alle gleich zu behandeln und mit derselben Intensität nach ihren Mördern zu suchen – ob es sich nun um unschuldige Kinder oder berüchtigte Gangster handelte.
Wir erreichten Reillys Wohnungstür.
Er hatte sich eine besonders gesicherte Panzertür einbauen lassen.
Das musste seinen Grund haben. Im Leben hatte der Bronx Commander offensichtlich nicht nur Freunde gehabt.
Die Chipkarte, mit der man durch diese Tür gelangen konnte, hatte sich bei seinen Sachen gefunden. Nachdem die SRD-Kollegen sie im Schnelldurchgang nach Fingerprints und anderen Spuren abgesucht hatten, war sie uns durch Captain Gallego ausgehändigt worden. Jetzt holte Milo sie hervor, steckte sie in den dazugehörigen Schlitz, und wir konnten eintreten.
Die Wohnung bestand – abgesehen von Küche und Bad – aus einem einzigen, großen Raum. Die Einrichtung war in Schwarz gehalten. Kleidungsstücke lagen verstreut auf dem Boden. Es gab einen Rechner, zwei Spielkonsolen und einen überdimensional großen Flachbildschirm. Die Hüllen einiger Computerspiele lagen auf dem Boden. Alles Ego-Shooter.
»Die Konflikte, die Reilly im wirklichen Leben hatte, haben ihm offenbar noch nicht gereicht«, stellte Milo süffisant fest.
Unsere uniformierten Kollegen vom NYPD durchsuchten die Wohnung nach Drogen. Aber Reilly war zu clever, um hier Crack aufzubewahren.
Das Foto einer jungen Frau fiel mir auf. IN LIEBE – TAYLA stand darauf. Ich schätzte sie auf achtzehn oder neunzehn Jahre. Das Haar war dunkel gelockt, die Augen rehbraun. Im Register an der Telefonanlage fand ich die Nummer und Adresse einer gewissen Tayla Brown. Das war sie vermutlich. Sie wohnte nur ein paar Blocks entfernt. Vielleicht konnte sie uns irgendwelche sachdienlichen Hinweise geben.
Milo hatte in der Zwischenzeit den Rechner aktiviert und ließ nun die Finger über die Tastatur gleiten.
Die Passwortfunktion war noch auf Werkseinstellung – wie bei zwei Dritteln aller in Gebrauch befindlichen Rechner. Jedenfalls sagten Statistiken das, und deswegen hatten es Computerkriminelle auch so verdammt leicht.
»Reilly war online«, stellte er fest. »Er hat einige Black-Metal- und Gothic-Seiten besucht. Außerdem noch einen Server in Russland, den wir uns mal näher ansehen sollten … und dann sind da natürlich jede Menge Online-Spiele …«
»Was ist mit seinem E-Mail-Postfach?«, hakte ich nach.
»Der Zugang ist verschlüsselt.«
»Versuch den Namen, Vornamen, das Geburtsdatum …«
»… oder den Namen der Freundin. Ich weiß.«
Ich sah ihm über die Schulter. Mit dem Codewort »Tayla« hatte er Erfolg.
Eine Mail fiel ihm auf.
An der Adresse war erkennbar, dass sie vom John Doe Memorial Asylum stammte.
»Wieso hatte der eisenharte Bronx Commander Mailkontakt zu einer psychiatrischen Klinik?«
Milo öffnete die Mail.
Dort stand nur ein Wort in Großbuchstaben.
WANN?
Milo sah im Ausgangskorb des Mailprogramms nach, ob Reilly auf diese Nachricht geantwortet hatte.
»Keine Antwort«, stellte er fest.
»Er könnte sie gelöscht haben«, gab ich zu bedenken. »Unsere Spezialisten an der Federal Plaza werden sich das alles einmal genauer ansehen müssen.«
Das Pirates Inn war ein Billardlokal am Rande des Port Morsis Shopping District. Es lag in einer engen Sackgasse, die vom Bruckner Boulevard abzweigte.
Tayla Brown arbeitete hier als Bedienung.
Das Pirates Inn lag in einer alten, umfunktionierten Fabrikhalle im Cast-Iron-Stil. Rein optisch passte die düstere Ästhetik dieses Gebäudes kaum noch zu den schmucken Läden, die hier in letzter Zeit entstanden waren und die billigen Striplokale und die leerstehenden Mietshäuser abgelöst hatten. Neues Leben war in diese Straße zurückgekehrt, nachdem sie lange Zeit ein Kampfgebiet verschiedener Gangs gewesen war. Der Bruckner Boulevard hatte eine Grenze zwischen den verfeindeten Gruppierungen gebildet. Jetzt herrschte Ruhe. Auch wenn die äußere Fassade und die Passanten auf dem Boulevard das nicht erahnen ließen – es war die Ruhe des Friedhofs. Mit Unterstützung der Syndikate hatten die Bronx Pirates hier die Macht übernommen. Viele der neuen Geschäfte bezahlten Schutzgelder an sie. Der Unterschied zu den streitbaren Vorgängern war nur, dass sich die Geldgier der Bronx Pirates in Grenzen hielt.
Im Pirates Inn war kaum etwas los. Ein paar einsame Spieler standen an den Tischen und ließen die Kugeln über den grünen Filz fliegen. Hier und da wechselten ein paar Dollarnoten den Besitzer. Im Hintergrund wurde Gitarren orientierte Rockmusik gespielt.
Normalerweise war der Pirates Inn ein Treffpunkt der Gang, die dieses Viertel beherrschte. Tayla hatte schon gesehen, wie das Kokain hier kiloweise den Besitzer wechselte.
Aber im Moment war keiner der Pirates so dumm, hier aufzutauchen. Schließlich musste man damit rechnen, dass der Tod des Bronx Commanders eine Menge Wirbel machte.
Tayla Browns Augen waren rotgeweint.
Seit einem halben Jahr war sie mit Alan Reilly zusammen gewesen. Ihre Mutter, bei der sie noch lebte, hatte alles getan, um sie und Alan auseinanderzubringen. Tayla spülte gedankenverloren die Gläser, und ihre Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Sie hatte es einfach cool gefunden, die Freundin des Bronx Commanders zu sein – nicht einfach nur irgendein Girl, das seinen Vater nie kennengelernt hat und dessen Mutter dem Alkohol verfallen war. Ihr Bruder war cracksüchtig gewesen, im Rausch auf ein Motorrad gestiegen und so schwer verunglückt, dass er aus dem Koma nicht wieder erwacht war.
Dennoch – Alan Reilly hatte sie damit innerlich nie in Verbindung gebracht. Er war für sie so etwas wie der weiße Ritter gewesen, der seiner Cinderella aus der Bronx anbot, sie auf sein Pferd zu nehmen und mit ihr davonzureiten. Nur dass sein Pferd ein Trike gewesen war. Eine dreirädrige Maschine, wie sie sonst niemand in der ganzen South Bronx besaß.
Alan hatte mit Geld nur so um sich geworfen. Es hatte ihm nichts bedeutet. Tayla hatte sogar das Gefühl gehabt, dass er es im Grunde seines Herzens verachtet hatte. Zumindest war er immer mit dieser Attitüde aufgetreten.
Das Wichtigste aber war, dass er sie geliebt hatte.
So, wie noch niemand zuvor in ihrem Leben.
Sie spürte plötzlich eine Hand auf ihrem Rücken. »Ich weiß, dass du mich für diese Worte hassen wirst, Tayla, aber du solltest es nicht so schwer nehmen«, sagte eine weibliche, aber dennoch ziemlich tiefe Stimme – angeraut durch jahrzehntelanges Kettenrauchen und viel Whiskey. Sie gehörte Samantha Jameson, der Inhaberin des Pirates Inn. Sie war 42 Jahre alt, schlank und trug eine Mähne aus schwarz gefärbten Haaren.
Tayla wirbelte herum. »Wie kannst du so etwas sagen?«, fragte sie fassungslos.
»Irgendwann musste es doch so weit mit Alan kommen«, war Samantha Jameson überzeugt. Sie zündete sich eine Zigarette an, obwohl das eigentlich inzwischen in allen New Yorker Lokalen verboten war. Aber erstens glaubte sie nicht, dass einer der wenigen Gäste sie bei den Behörden melden würde, und zweitens war es eine Art Trotzreaktion. Gegen das Rauchverbot verstieß sie ganz bewusst immer wieder, weil sie der Meinung war, dass sich ein Bürgermeister in diese Dinge nicht einzumischen hatte.
»Ich habe ihn geliebt!«, sagte Tayla.
»Er hat dich mit seinem Geld geblendet, Schätzchen. Da verwechselst du etwas!«, erwiderte Samantha hart. »Tayla, einer, der sich von seinen Leuten wie eine Comic-Figur nennen lässt, der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Bronx Commander – dass ich nicht lache!«
»Samantha!«
»Ist doch wahr.«
Samantha sprach in gedämpftem Tonfall weiter. »Er hat sich einfach übernommen. Hat gedacht, er wäre unverwundbar oder so etwas …«
»Was weißt du denn schon!«
Die Geräusche mehrerer Motorräder ließen die beiden Frauen aufhorchen. Eine Harley wurde demonstrativ aufgedreht. Da wollte sich jemand offenbar schon von Weitem ankündigen.
»Oh, nein!«, murmelte Tayla.
Sie legte das Tuch zur Seite, mit dem sie gerade noch Gläser abgetrocknet hatte.
Am liebsten hätte sie fluchtartig das Pirates Inn verlassen, aber es war zu spät. Die Türen flogen auseinander.
Drei Männer in Lederjacken kamen herein. Auf den Jacken waren Aufnäher mit einem Totenkopf zu sehen – dem Symbol der Bronx Pirates.
Der Mann in der Mitte hatte ein kantiges Gesicht und dunkle Augen. Er war sehr breitschultrig. Für einen kurzen Moment schob sich die Jacke zur Seite, und ein großer Revolver vom Kaliber 3.57 wurde sichtbar.
Tayla kannte den Kerl nur zu gut.
Er hieß Mike Vanderill und hatte von Anfang an ein Auge auf sie geworfen. Selbst als klar gewesen war, dass sie dem Bronx Commander gehörte, hatte er es nicht sein lassen können. Einmal war es deswegen zwischen Alan und Mike beinahe zu einer handfesten Auseinandersetzung gekommen.
Mike Vanderill nannte sich innerhalb der Gang »The Shark«, was Tayla ziemlich lächerlich fand.
Die Kerle in seiner Begleitung – beide deutlich kleiner als er, waren ihm treu ergeben. Ihre wirklichen Namen kannte Tayla nicht. Sie wusste nur, dass ihre Gang-Namen Skeleton und Ghost lauteten. Die beiden verteilten sich im Raum. Ghost spielte unsachgemäß mit einem Queue herum.
»Was wollt ihr hier?«, rief Samantha. »Ihr müsst doch verrückt sein, hier aufzutauchen!«
»Maul halten, Alte!«, knurrte Mike Vanderill und trat an den Tresen heran. Ghost holte derweil sein Springmesser heraus, ließ die Klinge herausschnellen und zog sie wieder ein.
Mike Vanderill umrundete den Tresen. »Tayla, zier dich nicht so. Alan ist tot …«
»Passt dir wohl gut in den Kram, was?«, fauchte Tayla.
Vanderill grinste. »Hey, du bist halt eine richtige Wildkatze.«
»Lass mich einfach in Ruhe, hörst du?«
»Vielleicht werde ich ja der Nachfolger des Bronx Commander!«
Er fasste sie beim Handgelenk. Sein Griff war eisern. Wie ein Schraubstock.
Es war unmöglich für sie, sich daraus zu befreien.
»Du tust mir weh!«
»Ich will nur, dass du mir mal richtig zuhörst, Tayla! Dein Typ ist nicht mehr! Die Karten werden neu gemischt, und wenn du dein interessantes Leben weiterführen willst, wird das wohl kaum mit den paar Mäusen klappen können, die dir Samantha für den Abwasch im Pirates Inn zahlt!«
Er drückte sie grob gegen die Wand.
Tayla schlug der Puls bis zum Hals.
»Lasst sie in Ruhe, Jungs!«, mischte sich Samantha ein.
Mike Vanderill drehte den Kopf in ihre Richtung und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Du solltest dir sehr gut überlegen, wem du hier versuchst, Vorschriften zu machen!«
Samantha biss sich auf die Unterlippe. Besonders mutig war sie nicht. Aber das war auch ein Grund dafür, weshalb man ihr nie etwas getan hatte und das Pirates Inn noch in ihrem Besitz war. Sie war vorsichtig, duckte sich, wo immer es ging, und hielt sich aus allem heraus. Das war das Beste.
Milo und ich hatten versucht, Tayla Brown zu finden. Bisher erfolglos. Sie wohnte noch bei ihrer Mutter. Nachdem wir Tayla dort nicht antrafen und erfahren hatten, dass sie gerade ihrem Job als Bedienung nachging, fuhren wir zum Bruckner Boulevard. Von der Mutter wussten wir, dass sie dort in einem Billardlokal arbeitete.
Den Sportwagen stellte ich in der Nähe des Eingangs ab. Wir stiegen aus, ich überprüfte kurz, ob meine SIG Sauer P226 geladen war. Anschließend betraten wir das Lokal.
Hinter dem Tresen drückte ein von hinten ziemlich grobschlächtig wirkender Mann eine junge Frau gegen die verspiegelten Regale. Ich erkannte sie sofort anhand des Fotos, das wir in Alan Reillys Wohnung gesehen hatten. Es handelte sich um Tayla Brown.
Eine Flasche fiel zu Boden und zerplatzte klirrend.
Der Kerl drehte sich kurz um.
Er griff sich Tayla, hielt sie wie ein Schutzschild vor sich und riss den gewaltigen 3.57er Revolver unter der Jacke hervor.
Ehe Milo irgendetwas tun konnte, richtete er den Lauf seines Revolvers auf meinen Kollegen. Der Kerl feuerte unmittelbar.
Milo wurde in der Brust getroffen. Die Wucht des Geschosses ließ ihn rückwärts taumeln und stöhnend zu Boden gehen.
Aber nur einen winzigen Augenblick später hatte ich aus meiner eigenen Waffe geschossen.
Meine Kugel traf den Kerl an der Schulter. Er schrie auf und taumelte zurück. Ein weiterer Schuss wummerte aus seinem großkalibrigen Revolver und schlug in den Tresen. Holz splitterte.
»FBI! Waffe weg!«, rief ich.
Der Kerl starrte in den Lauf meiner Waffe.
Einen Augenblick lang hing alles in der Schwebe. Der Kerl blinzelte nach links, zu einem seiner Begleiter hin. Aber die beiden anderen Männer, die Lederjacken mit den Emblemen der Bronx Pirates trugen, verhielten sich ruhig. Sie rührten sich nicht.
So ließ auch der Mann mit dem Colt die Waffe sinken. Ich trat auf ihn zu, nahm sie ihm ab und steckte sie mir hinter den Gürtel. Anschließend nahm ich die Handschellen hervor, warf sie ihm zu und befahl ihm, sich die Dinger anzulegen. Das war zwar nicht so, wie es in den entsprechenden Handbüchern für den Polizeidienst steht, aber ich konnte ihm die Schellen nicht selbst anlegen, weil ich nach wie vor die beiden anderen Kerle im Auge behalten musste.
Anschließend sah ich mir seine Schusswunde an.
Samantha Jameson kam mit einem Handtuch und schlang es als provisorischen Verband um Vanderills Wunde. »Der Emergency Service wird ja wohl bald hier sein«, meinte sie und ging hinter den Tresen zurück.
Ich blickte zu Milo hinüber, der sich langsam regte.
»Es tut höllisch weh«, sagte er. Er betastete vorsichtig seinen Brustkorb und öffnete seinen Blouson. Die Jacke war völlig ruiniert. Darunter kam der graue Kevlar-Stoff unserer Einsatzwesten zum Vorschein, die wir zum Glück beide angelegt hatten, bevor wir uns auf den Weg vom Matthews & Partners-Gelände zum Pirates Inn begeben hatten. Schließlich wussten wir inzwischen durch telefonische Rückfragen mit der Zentrale, dass dieses Lokal ein beliebter Treffpunkt der Gang war und einige ihrer Mitglieder dafür bekannt waren, gerne und schnell zur Schusswaffe zu greifen.
Ächzend stand Milo auf.
»Sie haben das Recht zu schweigen«, belehrte mein Kollege den Festgenommenen. »Falls Sie auf dieses Recht verzichten …«
»Ich kenne den Sermon«, knurrte er.
Ich durchsuchte ihn schnell, fand noch ein paar Hieb- und Stichwaffen sowie einen kleinkalibrigen 22er, den er im Ärmel trug, und einen Führerschein, der auf den Namen Mike Vanderill ausgestellt war. Ich war schon gespannt, was wir herausbekamen, sobald wir seinen Namen in unser Datenverbundsystem NYSIS eingaben.
Die beiden anderen Bronx Pirates wichen ein Stück zurück.
»Hände hoch und an die Wand !«, befahl ich ihnen. Eine Jacke mit der Aufschrift BRONX PIRATES zu tragen oder sich eine ganz spezielle Form des Totenkopfs auf die Lederjacke aufbügeln zu lassen, war nicht strafbar.
Das Tragen bestimmter Waffen jedoch schon. Die Waffengesetze New Yorks waren für US-amerikanische Verhältnisse relativ streng. Ich fand eine SIG Sauer P226, wie wir sie selbst benutzten. Diese sechzehnschüssige Pistole war längst zur Standardwaffe sämtlicher New Yorker Polizeieinheiten geworden und hatte den bei einigen Kollegen immer noch sehr beliebten Smith & Wesson Revolver vom Kaliber .38 Special abgelöst, der mit seiner sechsschüssigen Trommel einfach nicht mehr über genug Feuerkraft verfügte, um mit den gut gerüsteten Gangstersyndikaten der heutigen Zeit mithalten zu können.
Der zweite Mann besaß eine Beretta.
Beide Waffen konfiszierte ich. Außerdem stellten wir anhand der mitgeführten Dokumente die Personalien fest. Ihren Führerscheinen nach waren beide Männer Motorradliebhaber. Sie hießen Daniel Montago und Kevin LaCoste. Milo verständigte unterdessen telefonisch die Kollegen, deren Aufgabe es sein würde, die Männer abzuholen. Bei LaCoste und Montago würde man es wahrscheinlich bei einem Protokoll belassen, bevor die Sache an die Staatsanwaltschaft ging und sie wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz angeklagt wurden. Geld- oder Bewährungsstrafen waren dabei üblich. Für Mike Vanderill allerdings stand mehr auf dem Spiel.
Ich wandte mich an Tayla Brown.
»Jesse Trevellian, FBI«, stellte ich mich vor und deutete kurz in Milos Richtung. »Das ist mein Kollege Special Agent Milo Tucker. Wir wollten zu Ihnen.«
»Zu mir?« Ihre Stimme klang tonlos.
»Sie waren die Freundin von Alan Reilly, den man hier in der Gegend auch den Bronx Commander genannt hat, nicht wahr?«
Sie nickte schluckend. »Ja«, flüsterte sie so leise, dass es kaum mehr als ein Hauch war.
»Sie wissen, was mit ihm geschehen ist?«, fragte ich.
»So etwas spricht sich hier mit Lichtgeschwindigkeit herum, Agent Trevellian.«
»Alan Reilly wurde zusammen mit drei anderen Männern brutal ermordet. Wahrscheinlich von den Gorillas eines Mafioso namens Imperioli, der seinerseits nur kurze Zeit später umgebracht wurde. Jetzt ist es unsere Aufgabe, den Fall aufzuklären.«
Tayla Brown stemmte die schlanken Arme in die Hüften und lachte rau. »So wie Sie das sagen, klingt es fast so, als würden Sie selbst wenigstens daran glauben«, höhnte sie. »In Wahrheit ist es Ihnen bei jemandem wie Alan doch völlig gleichgültig. Sie hoffen doch jetzt nur darauf, irgendeines der großen Tiere dranzukriegen, mit denen er seine krummen Geschäfte gemacht hat! So ist es doch, oder?« Sie atmete tief durch, ihre Brüste hoben und senkten sich dabei. Tränen glitzerten in ihren rehbraunen Augen. Sie wischte sie hastig weg.
»Da irren Sie sich«, erwiderte ich sachlich. »Aber zunächst hätte ich gerne gewusst, was sich soeben hinter dem Tresen abgespielt hat.«
»Für mich sah das mindestens wie eine üble Nötigung aus«, ergänzte Milo.
»Das war gar nichts!«, meldete sich Vanderill zu Wort.
»Zuerst würde ich das gerne von Miss Brown hören«, schnitt ich Vanderill das Wort ab.
Dessen Gesicht wurde dunkelrot, und ich war heilfroh, dass er die Hände wenigstens vorne zusammengekettet hatte, denn ich stufte sein Temperament trotz der Schusswunde als ziemlich unberechenbar ein.
Taylas Augen wurden schmal. Sie fixierte Mike Vanderill mit ihrem Blick. Sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Dir passt es doch hervorragend, dass der Bronx Commander jetzt weg vom Fenster ist, weil du denkst, dass du dann bei mir landen kannst! Aber da bist du schief gewickelt, mein Lieber! Ich will nichts von dir! Selbst, wenn du der letzte Kerl auf der Welt wärst!«
Als Tayla mit geballten Fäusten auf Vanderill losgehen wollte, hielt ich sie am Oberarm fest.
»Ich denke, Mister Vanderill hat das verstanden«, stellte ich fest.
Wenig später trafen unsere Kollegen ein. Insgesamt acht G-men, darunter die Agenten Jay Kronburg und Leslie Morell, stellten ihre Einsatzfahrzeuge vor dem Pirates Inn ab und traten ein.
»Ihr solltet nicht mit einem Sportwagen durch die Gegend fahren, sondern mit einem Fahrzeug, das geräumig genug ist, um Verhaftete zu transportieren«, witzelte Jay.
Ich grinste. »Dann hätten wir ja keinen Grund gehabt, Verstärkung zu rufen«, meinte ich. Ich deutete auf Vanderill. »Der Kerl hier hätte Milo erschossen, wenn der keine Kevlar-Weste getragen hätte. Vielleicht fragt ihr ihn unterwegs mal, weshalb er so nervös ist, dass er gleich auf jeden schießt, den er nicht kennt. Mit mir spricht er nicht.«
Vanderill und seine beiden Begleiter sollten gerade von unseren Leuten hinausgeführt werden, da zischte plötzlich etwas durch das Fenster. Glas splitterte und Sekundenbruchteile später verwandelte sich das Innere des Billardlokals in eine Explosionshölle.
Instinktiv warfen wir uns alle zu Boden. Ich riss Tayla Brown mit hinunter. Wir landeten hart auf dem Boden. Gleichzeitig spürte ich, wie die Hitzewelle über mich hinwegstrich. Ich hatte für einen Moment das Gefühl, mir würden die Haare vom Kopf gesengt.
Der Explosionslärm betäubte mir die Ohren.
Im nächsten Augenblick war es vorbei.
Draußen war das Geräusch eines Wagens zu hören, der mit quietschenden Reifen davonfuhr.
Tayla Brown schien unverletzt zu sein.
Ich rappelte mich auf, riss die SIG heraus und stürzte in Richtung Tür. Nur aus den Augenwinkeln heraus sah ich das Schreckensszenario um mich herum. Das Lokal glich einem Trümmerfeld. Mike Vanderill lag in eigenartig verrenkter Haltung auf dem Boden. Neben ihm einer unserer G-men. Er hieß Todd Grossner und war frisch aus Quantico zu uns gekommen. Erst seit einer Woche arbeite er bei uns im Field Office New York.
Milo erhob sich ebenfalls.
Ich stürzte an ihm vorbei, erreichte die Tür.
Der Wagen, aus dem das Explosivgeschoss abgefeuert worden war, bog gerade um die Ecke. Es handelte sich um einen Van. Das Nummernschild war verklebt.
Ich legte die P226 an, aber es war zu spät.
Der Van war auf und davon.
Milo, der als Zweiter ins Freie gelangte, hatte bereits sein Handy am Ohr, um eine Großfahndung einzuleiten.
»Alles in Ordnung, Milo?«, fragte ich, nachdem Milo das Handy wieder einsteckte. Er hatte auch gleich sämtliche in der Nähe verfügbaren Kräfte des Emergency Service angefordert.
»Mit mir schon. Aber da drinnen sieht es übel aus.«
»Ich weiß«, sagte ich tonlos.
Wir kehrten in das Pirates Inn zurück.
Jay Kronburg kümmerte sich um Vanderill, der verletzt am Boden lag. Er versuchte zu sprechen, aber mehr als ein heiseres Krächzen kam nicht über seine Lippen. Er hatte durch die Explosion schwere Verletzungen davongetragen.
Für unseren Kollegen Grossner konnten wir jedoch nichts mehr tun. Zwei weitere G-men waren schwer verletzt. Samantha Jameson hingegen hatte außer ein paar Schrammen durch umherfliegende Teile nichts weiter abbekommen, da sie sich hinter dem Tresen hatte verbergen können.
Draußen schrillten schon die Sirenen der Einsatzfahrzeuge des Emergency Service, die die Schwerverwundeten in die Krankenhäuser der Umgebung bringen würden.
Tayla Brown wandte sich an mich. »Ich danke Ihnen«, sagte sie. »Sie haben mich zu Boden gerissen, und wenn Sie das nicht getan hätten, stünde ich vielleicht nicht mehr hier.«
»Wir müssen alles über Alan Reilly wissen«, erklärte ich. »Mit wem er Geschäfte gemacht hat, wer vielleicht etwas gegen ihn hatte, und so weiter und so fort«, sagte ich.
Sie zuckte die Achseln. »Macht ihn das vielleicht wieder lebendig?«
»Nein, natürlich nicht.«
Sie seufzte hörbar. »Ich kann jetzt nicht mit Ihnen reden, Agent Trevellian.«
»Sagen Sie ruhig Jesse zu mir.«
Sie wollte einfach gehen. Und ich spürte, dass es keinen Sinn hatte, sie unter Druck zu setzen. Hier und heute würde sie uns nichts mehr preisgeben. Deshalb gab ich ihr meine Karte. »Rufen Sie an, wenn Sie vielleicht doch reden wollen.«
Sie schluckte und meinte nach einer kurzen Pause: »Ich wüsste nicht worüber, Agent Trevellian!«
Das Angebot, mich Jesse zu nennen, wies sie damit von sich. Sie wollte ganz offensichtlich die Distanz wahren und sich mir gegenüber eindeutig abgrenzen. »Oder bin ich verhaftet?«
»Natürlich nicht. Gegen Sie liegt nichts vor.«
»Dann ist es ja gut!«
Die Fahndung nach dem Van, aus dem heraus der Anschlag auf das Pirates Inn verübt worden war, lief auf Hochtouren. Wir setzten unseren Helikopter ein und bekamen außerdem umfangreiche personelle Unterstützung durch die Kollegen der City Police.
Anderthalb Stunden dauerte es nur, bis der Van gefunden wurde.
Er war in der Nähe einer U-Bahn-Station abgestellt und mit einer Lkw-Plane bedeckt worden, um vor allem eine Fahndung aus der Luft zu erschweren. Glück für uns, dass ziemlich windiges Wetter herrschte und die Plane daher teilweise zur Seite geweht worden war.
Aller Wahrscheinlichkeit nach waren der oder die Täter über die Subway entkommen.
Zwei Tage später saßen Milo und ich mit einigen weiteren G-men im Büro von Jonathan D. McKee, dem Chef des FBI Field Office New York.
Inzwischen gab es einiges an neuen Erkenntnissen, die sich vor allem aus den Untersuchungen unserer Labors und der Scientific Research Division ergaben. Unser Innendienstler Special Agent Max Carter fasste diese Erkenntnisse zusammen. Die sterblichen Überreste von Brian Imperioli waren inzwischen anhand von genetischen Vergleichstests mit seinen Söhnen Alex und Leon sowie durch einen Vergleich des Zahnprofils eindeutig identifiziert. Ansonsten hatten sich noch insgesamt drei Mann in der Limousine befunden. Bei zweien wusste man inzwischen, um wen es sich handelte. Tim Dalbelli war ein alter Gefolgsmann Imperiolis gewesen. Der Name des anderen Mannes lautete Nguyen Van Thö, über den bisher nur bekannt war, dass es sich um einen in New York geborenen Sohn vietnamesischer Einwanderer gehandelt hatte. Die Identität des dritten Mannes war noch unbekannt. Dafür sagten die Ballistiker, dass aus den Waffen, die wir bei allen drei Männern gefunden hatten, auf Alan Reilly geschossen worden war.
»Es waren allerdings auch die Insassen des Vans an dieser Hinrichtung beteiligt«, erläuterte Dave Oaktree, unser ebenfalls anwesender Chefballistiker. »Jedenfalls wurden in den Körpern der Opfer noch weitere Projektile sichergestellt, die wir den Waffen bei den Leichen im Van zuordnen konnten.«
Max Carter ergriff wieder das Wort. »Die Verletzungen, die Alan Reilly vor seinem Tod zugefügt wurden, passen nach dem vorläufigen Bericht des Coroners zu den Gebissen der beiden Dobermänner, die sich mit Imperioli im Wagen befanden.«
Mr. McKee steckte die Hände in die Taschen. Er zog die Augenbrauen hoch und machte ein ernstes Gesicht. Seit vor langer Zeit seine gesamte Familie einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, hatte er sich voll und ganz dem Kampf für das Recht verschrieben.
»Mr. Imperioli steht jetzt vor einem höheren Richter – und der wird unsere kriminaltechnische Unterstützung nicht brauchen«, stellte er fest. »Aber der Tod dieses Mannes, den man nicht umsonst den Großen Alten genannt hat, wird nicht ohne Folgen bleiben.«
»Sie spielen auf das Syndikat an, das sich in der Bronx breit machen und die alteingesessenen Bosse vertreiben will«, meinte Max.
Mr. McKee nickte. »Wir müssen wissen, was an diesen Gerüchten dran ist. Ich persönlich glaube zwar auch nicht, dass ein einfacher Gang-Leader so dumm ist, sich mit dem Imperioli-Syndikat anzulegen, ohne dafür Rückendeckung zu haben, aber bis jetzt wissen wir einfach nichts Konkretes darüber !« Er wandte sich an Special Agent in Charge Clive Caravaggio. Der flachsblonde Italoamerikaner war sein Stellvertreter im Field Office. »Versuchen Sie alles an V-Leuten zu aktivieren, was uns jemals in Little Italy eine Auskunft gegeben hat!«
»Habe ich schon versucht, Sir, aber das gestaltet sich bislang sehr zäh!«
»Was meinen Sie damit, Clive?«
»Da scheinen momentan alle auf Tauchstation zu gehen. Die warten erst einmal ab, wer die Geschäfte des Großen Alten übernimmt.«
»Imperiolis Söhne Alex und Leon wirkten reichlich kühl, als wir sie um eine genetische Vergleichsprobe zur Identifizierung ihres Vaters baten«, mischte sich unser indianischer Kollege Blacky Blackfeather ein. »Der Große Alte hat sie auf unbedeutende Capo-Posten innerhalb der Imperioli-Organisation gesetzt, weil er sie für unfähig hielt. Das kommt einer Verstoßung gleich. Zweiter Mann in der Organisation war bislang Victor DiAndrea, der Lieblingsneffe des Alten.«
»Ich würde bei keinem der drei ausschließen, dass sie letztlich hinter dem Mord an Brian Imperioli stecken«, äußerte Caravaggio. Er wandte sich in meine Richtung. »Davon unabhängig könnten sie den oder die Killer geschickt haben, die das Pirates Inn angegriffen haben. Schließlich können es sich die Imperiolis von niemandem bieten lassen, dass ihr Familienoberhaupt ermordet wird.«
»Du meinst, die Familie macht die Bronx Pirates für den Tod des Großen Alten verantwortlich«, schloss ich.
Clive nickte entschieden. »Liegt doch auch auf der Hand, oder?«
Ich hatte da noch meine Zweifel. Es waren auch andere Konstellationen denkbar, nur gab es bislang keine Anhaltspunkte, die mich ermutigt hätten, weiter in diese Richtung zu denken. Mein Instinkt sagte mir, dass das alles viel zu glatt zusammenpasste.
Unser Computerspezialist Craig E. Smith hatte sich Alan Reillys Computer vorgenommen. »Er hatte Mailkontakt zu einem dieser dubiosen Server in Russland«, erläuterte er. »Solche Server werden häufig zur anonymen Kontaktaufnahme genutzt.«
»Vielleicht hat er über diesen Server einen Profikiller engagiert, um Imperioli aus dem Weg zu räumen«, vermutete Mr. McKee.
»Aber warum hat dieser angebliche Profi dann erst zugeschlagen, nachdem es offenbar zu einem Treffen zwischen den Bronx Pirates und Imperioli kam?«, gab ich zu bedenken. »Mir scheint, uns fehlt da noch ein Detail … Was ist mit dem Mailkontakt zu der psychiatrischen Klinik?«, fragte ich Agent Smith.
Er hob die Augenbrauen und blickte kurz auf seine Unterlagen. »Du meinst das John Doe Memorial Asylum in Newark?«
»Richtig.«
»Wir haben das telefonisch abgeklärt. Es gibt keinerlei Erklärung dafür. Reilly ist weder selbst in psychiatrischer Behandlung gewesen, noch hat er dort Verwandte oder Freunde besucht.«
Mr. McKee verschränkte die Arme. »Morgen ist Brian Imperiolis Beerdigung am St. Josephs Cemetery in der Bayard Street.« Er wandte sich an Milo und mich. »Mischen Sie beide sich unter die Trauergemeinde und hören Sie sich etwas um.«
»In Ordnung, Sir«, sagte ich.
»Im Gegensatz zu Clive und Blacky sind wir beide den Imperioli-Söhnen ja auch noch nicht übel aufgestoßen«, ergänzte Milo.
»Ein paar Kollegen werden sich in der Umgebung auf die Lauer legen und Fotos schießen«, fuhr unser Chef fort. »Es ist immer interessant zu sehen, wer da so auftaucht – und vor allem, wer nicht!«
Maria Imperioli saß wie versteinert da. Von ihrem Gesicht war kaum etwas zu sehen. Der schwarze Schleier verdeckte es und ließ nur die Mundpartie frei.
Die Witwe des ›Großen Alten‹ war fünfundzwanzig Jahre jünger als ihr ermordeter Mann. Sie war Brian Imperiolis zweite Frau gewesen. Sie hatte in einem der Nobelclubs in Alphabet City bedient, in die Brian für ein paar Jahre sein Geld investiert hatte, um es besser waschen zu können. Brian Imperiolis Söhne hatten es ihr immer übel genommen, dass der Große Alte ihre Mutter verlassen hatte. Anfangs hatte sie versucht, mit Alex und Leon einigermaßen auszukommen. Aber das war ihr mehr schlecht als recht gelungen.
Ein schlanker Mann, Mitte vierzig, mit kurz geschorenen grauen Haaren, stand am Fenster. Blickte hinaus auf die Elizabeth Street.
»Chinatown dehnt sich immer weiter aus, während Little Italy Straßenzug für Straßenzug an die Gelben verliert«, meinte Victor DiAndrea hart. Er drehte sich zu Maria um. Seine Krawatte hatte mehr gekostet als bei den meisten New Yorkern der ganze Anzug. Eine goldene Nadel hielt sie exakt in ihrer Position. Victor DiAndrea wirkte aus dem Ei gepellt wie ein Katalog-Model.
»Brian ist noch nicht einmal unter der Erde«, sagte sie. »Da solltest du dich mit solchen abfälligen Bemerkungen zurückhalten!«, fand Maria.
DiAndrea lächelte kühl. »Wieso? Weil Brian seit seiner Zeit in Vietnam so ein Asien-Faible hatte?«
»Meinetwegen.«
»Für meinen Geschmack war er gegenüber den Schlitzaugen immer viel zu weichherzig«, war DiAndrea überzeugt. »Erinnere dich an die Krise vor zwei Jahren …«
»Brian hat mich zu wenig in seine Geschäfte eingeweiht, als dass ich mich an diese sogenannte Krise erinnern könnte«, sagte Maria.
»Ach, komm schon, spiel nicht die Unschuldige ! Ich bin überzeugt davon, dass du immer ganz genau wusstest, was läuft – mag Brian es dir nun freiwillig verraten oder du es auf eigene Faust herausgefunden haben.«
»Vic, hör auf. Das hat doch alles keinen Sinn.«
»Vor zwei Jahren hätten die Männer Schlange gestanden, um Raymond Wou, diesen Möchtegern-Paten aus Chinatown, umzublasen! Die Bottoni-Familie, der Scirea-Clan, unsere eigenen Leute … Dein herzensguter Mann hat es mit seinem Veto verhindert. Wer hätte schon etwas gegen das Wort des Großen Alten sagen wollen? Und was haben wir nun davon? Diese Schlitzaugen nehmen uns die Butter vom Brot.«
»Du übertreibst, Vic!«
»Nein, ich übertreibe nicht. Gegen Ende hat Brian es wohl auch erkannt, was für ein Fehler es war, Raymond Wou zu vertrauen. Er hat bitter dafür bezahlt. Nicht nur, dass Wou unserer Organisation nach und nach die halbe Bronx abgenommen hat, am Ende hat er auch noch sein wahres Gesicht gezeigt, als er Brian umbringen ließ.«
»Ich glaube nicht, dass Raymond für Brians Tod verantwortlich ist«, erwiderte die Witwe. Sie blickte auf.
»Ach, nein?«, fragte Vic DiAndrea. »Und weshalb nicht?«
»Die beiden kennen sich aus Vietnam. Brian hat dafür gesorgt, dass Raymond die Flucht in die USA gelang, als die Vietcong Saigon eroberten.«
»Davon wusste ich nichts«, sagte Victor.
»Es mag später das eine oder andere Problem zwischen den beiden gegeben haben, aber sie hätten dafür immer eine Lösung gefunden.«
»Dann sag ich dir jetzt auch mal was: Diese Drogendealer, die deinen Mann umgebracht haben, sind nichts anderes als Wous Marionetten. Das Schlitzauge hat den Bronx Pirates ein gutes Angebot gemacht, die Seite zu wechseln; dein Mann fährt in die Bronx, um für Ordnung zu sorgen und die Sache zu klären, wie man das von einem Boss erwarten kann, und kriegt dafür eine Granate in den Wagen gebrannt. So sieht es aus!«
Die Witwe erhob sich.
Sie trat näher an Victor heran.
Ihre mit schwarzer Spitze behandschuhten Finger strichen zärtlich über seinen Oberarm. Dann zog sie ihre Hand jedoch zurück, fast so, als hätte sie ein elektrischer Schlag getroffen.
Es schickte sich einfach nicht, was sie tat. Maria Imperioli war eine gute Katholikin. Sie war ihrem Mann gegenüber zumindest nach außen immer loyal gewesen, auch wenn es schon längst keine leidenschaftliche Liebe mehr gewesen war, die sie beide miteinander verbunden hatte. Das Verhältnis, das sie zwischenzeitlich mit Victor DiAndrea unterhalten hatte, stand dazu nicht im Widerspruch. Eine Scheidung wäre für Maria nie in Frage gekommen, auch wenn sie wusste, dass Victor sich in dieser Hinsicht mehr von ihr erhofft hatte.
Er sah sie an.
Jetzt wäre der Weg für uns frei!, schien sein Blick zu sagen, aber er hütete sich davor, dies laut auszusprechen.
Er spürte offenbar, dass Maria noch Zeit brauchte. Ja, sensibel war dieser Victor DiAndrea auch in anderer Beziehung. Er hörte förmlich das Gras wachsen, und in diesem Moment fragte sich Maria, ob an dem, was er gesagt hatte, nicht vielleicht mehr dran war, als sie zunächst gedacht hatte.
»Es gibt noch ein Problem, über das wir sprechen müssen«, eröffnete sie.
DiAndrea ahnte, worauf sie hinauswollte. »Du sprichst von deinen Stiefsöhnen, nicht wahr?«
»Ja. Sie werden es wohl kaum einfach hinnehmen, wenn du die Geschäfte übernimmst.«
»Es gibt eine Methode, die beiden ruhig zu stellen«, meinte Victor.
»Und die wäre?«
»Geld.«
»Es könnte sein, dass sie dadurch nur noch gieriger werden.«
»Dann sehen wir weiter, Maria.«
Wichtig war für Victor DiAndrea jetzt erst einmal, dass er als zukünftiges Oberhaupt der Imperioli-Familie in der Bronx Flagge zeigte und bewies, dass er sich nicht so einfach auf der Nase herumtanzen ließ.
»Was ist mit The Shark?«, fragte der große kahlköpfige Mann, der sich eine Stacheldraht-Tätowierung rund um den Schädel hatte machen lassen. Sie wirkte wie eine groteske Parodie auf die Dornenkrone, die Jesus hatte tragen müssen.
Unter den Mitgliedern der Bronx Pirates hieß er wegen dieses Tattoos nur »Wire« – »Draht«.
Nach dem Tod des Bronx Commanders war Wire an dessen Stelle getreten. An ihm führte kein Weg vorbei, auch wenn sich einige Bronx Pirates einen anderen Leader gewünscht hätten.
Aber im Moment musste die Gang zusammenhalten.
Was auf dem Firmengelände von Matthews & Partners geschehen war, hatte deutlich gemacht, dass der Imperioli-Clan jetzt ihr erbitterter Feind war. Wer daran noch gezweifelt haben mochte, war seit dem Angriff auf das Pirates Inn eines Besseren belehrt worden.
»Hey, was ist mit euch los? Seid ihr Fische, oder warum seid ihr so stumm?«, bellte Wire. Diesen Ton hatte er manchmal drauf, seit er sechs Monate in einem Boot-Camp verbracht hatte. Statt ein paar Jahre wegen Drogendelikten abzusitzen, hatte er die Chance bekommen, ein paar Monate militärischen Drill über sich ergehen zu lassen. Die Hoffnung der Justiz war dabei, dass die Betreffenden Disziplin lernten und fortan nicht mehr kriminell wurden. Bei Wire war diese Rechnung offenbar nicht aufgegangen.
Kevin LaCoste und Daniel Montago trugen die Gangnamen »Ghost« und »Skeleton«.
Sie standen jetzt vor der versammelten Gang, die sich in einem der trostlosen Hinterhöfe mit ihren Maschinen getroffen hatten. Etwa dreißig Mitglieder warteten nun auf eine Antwort der beiden Männer, die Mike »The Shark« Vanderill ins Pirates Inn begleitet hatten.
»The Shark liegt im Gefängnishospital von Rikers Island und wird von Verhörspezialisten des FBI in die Mangel genommen«, ergriff schließlich Daniel Montago das Wort. »Wenn die Schussverletzung kuriert ist, die ihm dieser FBI-Agent eingebrockt hat, dann wird er wohl auf der Insel bleiben. Für viele Jahre …«
»Wer ist so bescheuert, greift einen FBI-Agenten an und schafft es nicht einmal, ihn umzulegen!«, höhnte einer der anderen Anwesenden.
Wire – dessen wirklicher Name Robert Smith lautete – brachte den Sprecher mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er fixierte die beiden. »Das FBI hat euch also hops genommen, so viel habe ich inzwischen begriffen!«
»Glücklicherweise sind wir nicht gerade auf Bewährung wie einige andere von uns«, meinte Kevin LaCoste grinsend. »Mit der Klage wegen Verstoß gegen das Waffengesetz werden unsere Anwälte schon fertig werden.«
»Was habt ihr denen noch gesagt?«, hakte Wire nach. »Die haben euch so lange festgehalten, wie es ging. Das muss doch seinen Grund haben!«
»Sie wollten immer wieder wissen, was unsere Gang mit Imperioli zu tun hat«, erklärte Kevin LaCoste. »Aber wir haben geschwiegen …«
»Und das soll auch so bleiben«, meinte Wire. Er griff unter seine Lederjacke, holte eine großkalibrige 45er Automatic hervor und drückte ab.
Kevin LaCostes Gesicht erstarrte zur Totenmaske, während mitten auf seiner Stirn das Einschussloch sichtbar wurde. Blut rann daraus hervor. LaCoste fiel auf den Rücken.
Daniel Montago wich einen Schritt zurück.
Da er unbewaffnet war, konnte er sich nicht wehren.
Robert »Wire« Smith riss den 45er in Montagos Richtung und drückte ein zweites Mal ab.
Die Kugel erwischte Montago in der Brust, genau dort, wo sich das Brustbein befand.
Er wankte.
»Mit V-Leuten mache ich kurzen Prozess« , erklärte der neue selbsternannte Leader der Bronx Pirates.
Wire schoss noch ein zweites und drittes Mal. Montagos Körper zuckte und sackte in sich zusammen.
Schweigen herrschte jetzt unter den Gangmitgliedern. Man hätte in diesem Augenblick hören können, wie eine Stecknadel auf den Asphalt fiel.
Wire schwenkte den Lauf der 45er Automatic einmal herum und vollführte mit der Waffe eine weit ausholende, gebieterisch wirkende Geste.
»Hat noch irgendjemand etwas dazu zu sagen?«
Das schien nicht der Fall zu sein.
Keiner der Bronx Pirates sagte auch nur ein einziges Wort.
Wire nickte zufrieden. »Dann sollten wir uns jetzt auf unsere gemeinsamen Todfeinde konzentrieren. Kein Bronx Pirate lässt sich von einem Imperioli über den Haufen schießen, ohne dass da noch etwas folgt!«
Es war ein windiger, kalter Tag, als der ›Große Alte‹ auf dem St. Josephs Cemetery in der Elizabeth Street zu Grabe getragen wurde.
Milo und ich mischten uns unter die Trauergäste. Grob geschätzt waren mindestens fünfhundert Personen zu dem von einer zwei Meter hohen Sandsteinmauer umgebenen Friedhof gekommen, um Brian Imperioli die letzte Ehre zu geben.
Beinahe jeder, der in Little Italy einen Namen hatte, zeigte sich. Kollegen von uns hatten zwei Zimmer im sechsten Stock des direkt neben dem St. Josephs Cemetery gelegenen Hotels Four Seasons belegt. Von dort aus hatte man einen hervorragenden Blick über das Geschehen.
Über ein Mikro und Ohrhörer waren sämtliche an diesem Einsatz beteiligten Kollegen miteinander verbunden. Die Einsatzleitung lag bei Clive Caravaggio.
Die Analyse der Videobilder, die unsere Kollegen aufzeichneten, konnte uns vielleicht wertvolle Hinweise geben. Wenn wir beispielsweise sahen, dass irgendeine der großen Familien gar keinen oder nur einen niederrangigen Vertreter zur Trauerfeier entsandt hatte, war das unter Umständen ein Zeichen für einen hinter den Kulissen ablaufenden Machtkampf, bei dem nicht auszuschließen war, dass er mit der Ermordung von Brian Imperioli etwas zu tun hatte.
»Wenn man sich hier so umsieht, dann dürften diejenigen, die noch nichts im Strafregister vorweisen können, in der Minderheit sein!«, raunte Milo mir zu. »Diese Versammlung kann einem doch wie der fleischgewordene Beweis für die Vergeblichkeit jeglicher Resozialisierungsmaßnahmen erscheinen.«
Mir fiel eine Gruppe von Männern mit asiatisch aussehenden Gesichtern auf. Sie waren vollkommen in Schwarz gekleidet. Schwarze Anzüge, schwarze Rollkragenpullover. Unter den Jacketts beulten sich hier und da die Waffen hervor. Diese Truppe von insgesamt zehn sehr drahtig und durchtrainiert wirkenden Bodyguards gruppierte sich um einen Koloss mit der buddhaähnlichen Figur eines Sumo-Ringers.
Er trug einen schneeweißen Anzug.
Weiß – die chinesische Farbe der Trauer, wie ich mich erinnerte.
»Sieh mal, wen wir da haben!«, wandte ich mich an Milo.
»Raymond Wou, die große Nummer von Chinatown«, erkannte Milo den Koloss sofort.
»Chinatown liegt ja auch nur ein paar Straßen entfernt, Milo.«
Es wunderte mich trotzdem, dass dieses Schwergewicht hier auftauchte. Schließlich hatten sowohl Imperioli als auch Wou ihre Finger im Kokainhandel in der Bronx und waren somit direkte Konkurrenten.
»Wer weiß, vielleicht steckt Wou hinter Imperiolis Tod, und sein Auftauchen hier ist so etwas wie ein Friedensangebot«, vermutete ich.
Milo zuckte die Achseln. »Vielleicht hatte Wou sogar Verbündete in der Familie.«
»Du meinst, die verstoßenen Söhne des Großen Alten?«
»Hast du sie schon gesehen, Jesse?«
»Nein.«
Ihr Platz wäre eigentlich im engeren Kreis der Familie gewesen. Aber dort waren nur die Witwe Maria und der Lieblingsneffe und wahrscheinliche Nachfolger des Großen Alten zu sehen – Victor DiAndrea.
Letzteren schätzte ich als einen typischen Vertreter der neuen Generation von Mafiosi ein, die es schafften, ihren Kragen schneeweiß zu halten. Sie hatten von vornherein einen Teil ihrer Geschäfte im legalen Bereich und waren in der Wahl ihrer Mittel sehr viel subtiler und geschickter als ihre Vorgänger. Viele von ihnen hatten studiert. Vor allem Jura oder Betriebswirtschaft. Man kam an diese Leute einfach viel schwerer heran als an die Bosse der alten Generation, weil sie peinlich genau darauf achteten, dass keine Spur zu ihnen führte und sie selbst nie mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Im schlimmsten Fall konnte ja irgendein kleiner Handlanger geopfert werden.