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Diese philosophische Schrift konfrontiert den Leser mit einer radikalen Infragestellung seiner alltäglichen Erfahrungswelt und leitet ihn an, mit sich selbst und seinen tiefsten Überzeugungsgrundsätzen in Auseinandersetzung zu treten. Ziel dabei ist es, das rationale Denken von zwanghaften Mustern zu befreien und der geistigen Gesinnung damit zur Unabhängigkeit zu verhelfen. Die zentralen Themen dieser kritischen Selbstprüfung sind das Interpretieren von Sinnesdaten, das Wahrnehmen und Benennen von Gegenständen, das Feststellen von Tatsachen, das Prüfen von Aussagen, das Formulieren von Fragen, das Entwickeln von Handlungsintentionen sowie das Erklären von Ereigniszusammenhängen. Aus einem Bruch aller Überzeugungsgrundlagen schließlich steigt keine neue Weltanschauung hervor, welche die alte ersetzt, sondern der zerbrochene und befreite Mensch, der keine Weltanschauung mehr vertritt, weil er keine Welt sieht: Er ruht untrennbar in ihr.
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Seitenzahl: 112
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Vorwort
Der zerbrochene Mensch
Anmerkungen
Quellenverzeichnis
Der nachfolgende Text beinhaltet keine Antworten auf große philosophische Fragen, keine Erklärungen komplexer Ereigniszusammenhänge, keine Anleitung zur Erlangung von Weisheit oder Glückseligkeit. Er ist vielmehr eine Aneinanderreihung kurzer Gedankengänge, die allesamt ausschließlich auf das Eine abzielen: den Leser seiner Fesseln aus Sinn und Verstand und Unsinn und Unverstand zu entreißen und ihn damit in die Welt zu stoßen. In jedem Gedankengang ist dieser Stoß aus einer etwas anderen Richtung versucht, in der Absicht, die Sprache des Lesers je zu treffen. Die Methode, mit der der Stoß erfolgt, ist die strenge Selbstprüfung dessen, woran der Leser glaubt. Aus einem Bruch aller Glaubensgrundlagen schließlich steigt keine neue Weltanschauung hervor, welche die alte ersetzt, sondern der zerbrochene und befreite Mensch, der keine Weltanschauung mehr vertritt, weil er keine Welt sieht: Er ruht untrennbar in ihr.
Wie soll ich nur anfangen? Es hat doch schon längst begonnen! Mit dem ersten Wort des Kindes ist es bereits zu spät. Wer nur anhebt zur Frage, wird zugrunde gehen. Doch dann ist es still.
Ist das ein Blatt? Weil was?!
Dinge benennen heißt: Dinge erklären. 'Dies ist ein Blatt, weil ...' Wer aber ist es, der sieht?!
Du kannst einen Gegenstand nicht aussprechen. Ein Satz kann nicht sagen, was ein Gegenstand ist. Daher: Ich sehe nichts.1
Was liegt am Argument? Ein Argument, das dich überzeugt, hast du vollzogen. So gibst du dir letztlich selbst das Argument. Es bleibt also die Frage nach der Überzeugung. Es braucht ein Motiv, um überzeugt zu sein.
Frag weiter, immer weiter, bis du bei der Frage nach dem Grund angelangt bist und sich das Antworten endlich gegen dich wendet: Warum ist überhaupt Etwas und nicht vielmehr Nichts? Argumentiere weiter, immer weiter, und sieh zu, wie jede Argumentation ins Leere läuft. So gehst du zugrunde. So wird es still und einmal bist du bereit, dich auszuliefern.
Zeig mir ein Ja! Zeig mir ein Nein!
Wonach fragst du?? Sieh doch vor dich hin! Wo ist da ein Grund?!
Jedes Einzelerkennen bringen wir uns in Form eines Urteils zum Bewusstsein. Daher: Ich sehe nichts.2
Um des Urteilens überdrüssig zu werden, frag dich, warum das ein Blatt sei oder eben keines.
Wie verschieden sind doch Begriff und Welt. Wie absurd ist es, nach der Welt zu fragen. Liefer dich aus!
Der Satz 'Der Stuhl ist ein Gegenstand' besagt nur, der Stuhl gehöre zu den Gegenständen, aber nicht, welcher Gegenstand er sei.3
Was aber ist ein Gegenstand anderes als eine willkürlich gezogene Grenze, als etwas mental Gesondertes? Er hat nur die Wichtigkeit, die du ihm gibst. Daher: Lass den Gegenstand Gegenstand sein und mit ihm seine Wichtigkeit.
Ein Gegenstand ist gegeben, wenn für jedes Beliebige bestimmt ist, ob es zu dem Gegenstand gehört oder nicht. Daher: Ich sehe nichts.4
Wer hat dir die Welt erzählt?
'Ein Gedanke ist dies und ist jenes und ist so und auch so, aber nicht so. Und ist er auch so?' Wie seltsam, dass wir über bestimmte Dinge reden. Ein was?? Ist 'ein Gedanke' denn ausgemacht? Gilt er? Wieso kann ich da sein, ohne von ihm zu wissen? Er ist nicht mehr als bloß Begriff. Warum aber sollte ich mich um Begriffe kümmern? Begriffe kommen und gehen.
"Begriffe können die Welt verändern!" Welche Welt? Wo fängt die Welt an? Kümmer dich um dich selbst, damit veränderst du die Welt.
Als Tatsache gilt wohl nur das, worin wir uns nicht irren können. Und worin könnten wir uns nicht irren? Was ist ausgewiesen? Was ist vor einem anderen ausgezeichnet? Wovon sind wir überzeugt? Was gilt? Wir sind geneigt zu sagen: 'In den unmittelbaren Empfindungen können wir uns nicht irren.' Aber wenn sie unmittelbar sein sollen, sind sie noch nicht benannt. Verwechsel deine Empfindungen nicht mit ihrer Interpretation. Das Neugeborene kann sich nicht irren! Das Huhn kann sich nicht irren! Denn etwas als Irrtum bezeichnen, heißt: von etwas überzeugt sein. Daher: Still!
Ein Argument bezieht und stützt sich stets auf beständig gehaltene Geistesobjekte. Was aber liegt an Objekten des Geistes? Sie kommen, sie gehen. Was haben sie mit dir zu tun? Warum für Ersonnenes Erklärungen suchen? Warum erst Verwirrung stiften und dann versuchen, sie wegzudiskutieren?5
Weil was?! Du fuchtelst in der Luft und spuckst Töne. Mehr hast du nicht.
Das letzte Argument lautet: 'Ja siehst du denn nicht ...?!' Und das ist doch kein Argument. So ist es mit allem Argumentieren. Es verläuft sich, es zwingt nicht.6
Manchen Tages befindest du dein Verständnis von einem bestimmten Begriff für unklar. Du stellst Überlegungen und Experimente an, um den Begriff mit anderen unklaren Begriffen zu schärfen. Seltsam. Unter welchen Bedingungen erscheint dir ein Begriff klar oder unklar, klarer oder unklarer als ein anderer? Aber irgendwann wird es still sein.
Doch sprich, welche Empfindung hast du nun? Eine solche etwa? Ist nicht jede Empfindung vielmehr eine diese, hier und jetzt? Wieso aber benennst du sie? Wieso formst du sie? Wieso beachtest du sie überhaupt? Wieso schaffst du dir etwas Beständiges hin? Was ist eine Empfindung mehr als eine Empfindung? Was ist diese Empfindung mehr als nur ein Begriff? Lass die Empfindung Empfindung sein, kümmer dich nicht um sie.
Wo fängt 'das Äußere' an, wo ist die Grenze zwischen Innen und Außen? Alles ist außen, kümmer dich nicht darum! Im Besonderen, kümmer dich nicht um irgendein Inneres. Daher: Raus! Raus aus der Welt der Gedanken, lebe in der Welt der Sinne! Beiß meinen Finger, schau nicht, worauf er zeigt!
"Wer bist du?"
›Klatsch!‹ (ich schlage die Hände zusammen)
Die Welt ist eine und unveränderlich, solange wir nicht auf Einzelheiten achten. Wozu aber auf Einzelheiten achten? Wozu ihnen Bedeutung geben? Wozu sie unterscheiden? Wozu sie überhaupt erst erfinden? Lass die Welt dahin gestellt!7
Aller Veränderung liegt etwas zugrunde, woran die Veränderung geschieht, was also selbst unverändert bleibt. Das bist du.8
Was liegt an den Begriffen? Hier hast du einen Begriff. Und nun?? Du bist da.
Wer fragt?! Wer fordert mich auf, Stellung zu beziehen? Frag dich selbst, welche Stellung beziehst du? Diese? Jene? Warum die eine, nicht die andere? Eine Stellung beziehen heißt: aus Nichts etwas schaffen. Wozu aber sich etwas hinschaffen? Du bist immer derselbe.
Was heißt es, eine Frage zu beantworten? Was ist das Kriterium dafür, dass eine Frage als beantwortet gilt?
Das Verhältnis zwischen Frage und Antwort ist ein emotionales.
Wer eine Frage stellt, muss ausweisen, warum er sie für stellbar und beantwortbar hält. Das aber kann er nicht.
Fragen werden nicht durch Diskussionen und dialektische Gefechte ausgetragen. Geduldig musst du sie mit dir herumtragen und dich redlich bemühen, ihnen Antwort zu stehen. Denn allein gehst du zugrunde! Mit dir selbst wirst du ringen, bis du zerbrichst!9
Was treibt dich zum Hinterfragen? Eine befriedigende Antwort verweist doch nur auf vertraute Begriffe und Konzepte. Die Angst schwindet, doch die Fragerei hält bloß ein. Wohlan, frag weiter, immer weiter, bis dir das Frage-Antwort-Spiel selbst vertraut geworden ist, bis dich das Fragen langweilt und das Antworten verdrießt, bis du endlich sagst: 'Aber das ist nur eine Frage.'
Wer eine Frage stellt, fragt als Geborener. Daher: Wer fragt, muss erst noch das Sterben lernen. Sterben heißt, auch das Ich nicht mehr zu beachten.10
Was hat das Messen mit mir zu tun? "Ich messe deine Kragenweite." Na und? "Ich messe deine Kragenweite für das Schafott!" Na und? "Du wirst noch um dein Leben flehen." Na und?
Zugrunde gehen heißt: im Widerstreit der Standpunkte unterliegen.
Da ist ein Satz. Da ist ein anderer Satz. Was aber haben die Sätze mit mir zu tun? Wir sind geneigt zu sagen: 'Sie sind Ausdruck unserer Gedanken.' Na und? Gedanken kommen und gehen. Ich aber bin immer derselbe.
Wer keine Worte gebraucht, muss sich nicht um ihre Inhalte kümmern. Wer sich nicht um Inhalte kümmert, kann auch Worte gebrauchen, ohne in Verwirrung zu geraten.
Der Zustand der Welt ist unabhängig davon, ob wir pessimistisch oder optimistisch denken. Überhaupt ist er unabhängig davon, wie wir denken. Daher: Lass die Gedanken Gedanken sein. Lass sie kommen und gehen.
Kümmer dich nicht darum, was der Geist den Sinnesempfindungen hinzufügt. Die Sinnesdaten allein geben noch keine Anschauung. Daher: Ich sehe nichts.
Zusammengesetztes wird von mir zusammengesetzt.
Ein alter Mann sitzt auf einer Parkbank. Stell dich vor ihn hin und erzähl ihm begeistert von deiner Erkenntnis. So tief sie auch sein mag, was ist es mit deiner Erkenntnis, wenn er ihr nicht folgt? Du kannst noch so energisch rufen und zeigen, es regt sich nichts in diesem Mann. Du bist aufgebracht, er ist gleichmütig. So ist es mit aller Erkenntnis. Daher: Kümmer dich nicht um sie.
Am Ende jeder Erklärung, Begründung oder Rechtfertigung steht der Satz: 'Weil ich es so sehe.'
Was siehst du?!
Wenn gar niemand sich wunderte, es gäbe nie ein Problem zu lösen. Was liegt daran, sich zu wundern? Wer sich über Einzelnes wundert, zeigt, dass er keine Einwände gegen das Ganze hat.11
"Siehst du dein Haus dort?" Das ist mein Haus? In dem kleinen Ding sollen all die großen Zimmer sein?12
Zum Wort besteht Distanz, sobald es interpretiert wird, sobald es Symbol, Stellvertreter wird. Lass das Wort Wort sein und die Distanz verschwindet. Denn wozu Distanz bestehen lassen, wo es keine gibt?
Was liegt an Emotionen? Auch Emotionen kommen und gehen. "Aber ich bin Emotion!" Du bist, was du sagst? "Ich bin, der ich bin!" Sagt das nicht nur jemand, der die Frage nach der Identität gestellt hat? Doch was ist 'wer', was ist 'bin', was ist 'ich'? Wozu sich um eine Antwort bemühen, wo doch die Frage selbst hinterfragt werden kann? Denn: Welche Frage soll ich stellen?!
Lass deine Bedürfnisse Bedürfnisse sein, dann musst du dich nicht um ihre Befriedigung kümmern. Ertrage, dass es keinen Bezugspunkt gibt. Du bist der Interpret. Was du nicht in die Welt setzt, das gibt es nicht. Wovon du dich nicht distanzierst, damit bist du identisch.
Sieh nur, auf was alles du zeigst. Mal hierauf, mal darauf. Woher weiß ich, worauf du diesmal zeigst? So bin doch stets ich es, der zeigt oder nicht zeigt. Du sagst: 'Sieh dies!' Ich aber sage: 'Beiß zu!'
Derjenige ist der Handelnde, der in das Beobachtete eine Handlung hineinlegt. Derjenige, der die vermeintliche Handlung geistig vollzieht.
Gib auf die Täterschaft, du handelst nicht. "Wer handelt dann? Gott?" Weder gibt es einen Gott, noch einen Handelnden. Alles, was es gibt, hast du geschaffen. "Ist das eine Erkenntnis?" Nur wenn du sagst, dass es eine ist.
"Weshalb die Täterschaft aufgeben?" Damit dich die Ergebnisse deines Handelns nicht berühren. Sie können dich schuldig sprechen, sie können dich einsperren; das ist ihr Speer. Du aber kannst davon laufen, mit Händen und Füßen strampeln oder in der Zelle sitzen und mit den Schultern zucken; das ist dein Speer. Doch sorgen darum, was geschieht, das brauchst du dich nicht. Aus solchem Holz soll dein Speer geschnitzt sein.13
Ist es so? Ich sage nicht, dass es so ist. "Aber hier steht es doch." Und doch bist du es, der es sagt.
Was heißt denn 'es ist so'? Dass es dir so begegnet? Und damit hört dein Wundern plötzlich auf? Wie seltsam. Warum dich nicht weiter wundern? Warum eine erklärte Welt vor dir hertragen, sodass du gar nur sie sehen kannst?
'Ich habe Recht', was soll das heißen?? Du bist da.
Ich sehe nichts. Wo ist denn dasselbe Ding, das so verschieden erscheint?14
Was berechtigt uns, dieses für wirklich und jenes für scheinbar zu erklären??
Der Zerbrochene sagt: 'Seltsam ist doch die Welt. Wenn ich sie nicht anerkenne, verschwindet sie.'
Die Anweisung für den Täter lautet: Tu, bis du zugrunde gehst. Tu, bis der Antrieb versiegt. Tu, bis du sagst: 'Früher, als ich noch tätig war, als ich noch zu tun wusste, als ich noch rief: So!'
"Der eingetauchte Stab ist optisch geknickt, haptisch gerade und relativistisch gekrümmt!" Na und?
Was wird denn gemessen? Ereignisse werden nicht gemessen, sie werden vollzogen. Einen Gegenstand erfassen kannst du nur, indem du ihn als Ereignis erfährst. Diesen Vollzug lass bleiben oder lass geschehen. Denn: Du bist immer derselbe.
Ich entferne nicht durch rhythmisches Kreisen der Borsten Bakterien von meinem rechten Schneidezahn - dennoch habe ich mir die Zähne geputzt. Ich führe nicht den linken Schnürsenkel unter den rechten hindurch, forme zwei Schlaufen und knüpfe einen Knoten - dennoch habe ich mir die Schuhe gebunden. Welche Handlung ich vollziehe, entscheidet sich im Kopf; und eben auch, ob eine Handlung überhaupt.
Ein Hund wird als Hund wahrgenommen dadurch, dass er als Hund wiedererkannt wird. Die Welt kategorial zu erfassen, bedarf eines Trainings. Es wieder sein zu lassen, ebenfalls. Daher: Geduld!15
Was wir zum ersten Mal erleben, ist uns fremd. Es könnte ganz anders verlaufen, es würde uns darum nicht sonderbarer scheinen. Sein Verlauf ist uns an sich durch nichts bestimmt. Warum es nicht dabei belassen? Warum sich etwas hinerklären? Was entscheidet darüber, ob eine Erklärung abgeschlossen ist?!16
Ein Meister, der spricht, handelt strategisch. Die Beweggründe dafür haben ihre eigene Geschichte. Er bringt seinen Geist zur Ruhe und überwindet damit das Leid, nicht seine Herkunft.
'Dieses ist der Fall' heißt: 'Dieses ist der Fall, vorausgesetzt jenes ist der Fall.' Aber ist jenes der Fall?
Wir verfügen über kein Kriterium dafür, worüber ein Satz spricht. Daher: Ich verstehe nichts.17
"Welche Betrachtungsweise erfasst die Wirklichkeit?" Gar keine. Weshalb sollte sich die Wirklichkeit betrachten lassen? Und von wem? Zu einer Betrachtungsweise werden wir erzogen. 'So musst du den Hobel führen, damit das herauskommt.' Und dabei betrachten wir das Werkstück, nicht die Späne.