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Seitenzahl: 51
AUSGEWÄHLTE GEDICHTEVONTHEODOR TAGGER
LEIPZIGKURT WOLFF VERLAG
Bücherei „Der jüngste Tag“, Bd. 62/63
Gedruckt Ende 1918 bei E. Haberland in Leipzig
Ich liebe dich, Herr. Aufgerissen
über alle Maßen stehe ich
zwischen den Tagen. Ich habe keine
Hinneigung mehr, bin nur noch Schwanken,
allem zugeöffnet —, und beraubt.
Aber
es kommt einmal deine Hand
und du verschließt mich
leise, daß ich reife und mich
ausblaue in mir. O,
hebe mein Weinen auf, Herr,
laß mich erseligen
an dir, du Grünen und du Träne an den Zweigen des Frostes.
Herr, du mein Mond,
o scheine mir wieder nächtliche Erlösung.
Gieße die heißen
und dunkelen Balsame aus deinen Händen,
hebe die Lider vor den Psalmen deiner Augen.
O, wie kannst du kühlen, sänftigen und verscheinen!
O, wie kannst du, Herr, überschleiern!
Sieh, ich leide hier an den schmerzlich schreckvollen Tagen,
ach, die brennenden Tumulte der Sonne wirren mich müd
und schwindelig, daß vor meinen Augen alles
auseinandersplittert. Ich fasse nicht mehr,
was die Erscheinungen sagen,
ich höre nicht mehr die Stillen in den Stimmen,
nur mehr das Klirren, ununterbrochen
und sehne mich, Herr, ach, nach dir, o du, du Herr,
du Nacht, du Dunkelblau der Tröstungen, du Überschleierer aller Anblendungen.
Alles in mir brüllt zu dir hin,
alles reißt sich dir zu.
Ich bin nicht mehr dein Baum und dein Wild,
dein Knecht und dein Kind.
Ich bin dein Hunger, deine Müdigkeit,
der Schlag aus deinem Mund,
und der Schmerz aus deiner Hand.
O Herr, o Donner
der über meine Himmel weht,
ich will zu dir restlos mich verflüchtigen,
o Blitz du, streife mich an und verbrenne
mich in die Landschaft.
Alle Schritte führen
mich den einen Weg,
südliches Orchester des Herzens
tausend Stimmen unter einem Stab.
Ich habe keine Bilder
und keine Gesichte stelle ich
vor den Blick, ihn zu verschließen.
Ungeheuer bauen sich
meine Leben auf.
Was ich fasse
zerteilen meine Hände in die Verse
des Augenblicks,
Ding weilen
in Sänften meines Denkens.
Lang und im geduldigen Lauf
trage ich sie vorüber an den Denkmälern
vergessenen Aufwands.
Anhauchen Herzen,
steigen schlagend vor meinem Munde auf,
Verzückungen der Knie — o welche Strophen!
Lieder, menschliches Veräußern,
strenge Hände, angelehnte Blicke,
und das weibliche Verschaukeln der Schultern,
aufgestellte Seelen und die Verschlingungen des Teppichs
umrasen sanft meine segelnde Stirn.
Führen
Zypressen der Blicke
mich in einen Hain,
drehen elektrische Bahnen
auf der Straße,
und klein um mich herum,
Menschen schwimmen.
Aber ich gehe,
wie Moses,
auf den Wellen
schaukelnd über sie hin.
Winkt der Turm Verheißung der Sammlung,
und ich breite die Arme, mich zu zerstreun.
Bahnhofshallen dunkeln
kirchlich an,
Wiesen blühen auf den Asphalten,
Autos werden breite, mähende Kühe,
die Welt steht still auf einer platten Scheibe.
Gott herbstet
vor meinen Augen,
aber ich trage mich nicht
zu seinem Verwelken hin.
Ich blüte,
unbegrenzt
kommen Farben ohne zu verfallen.
Pole sammeln mit fechtenden Spitzen sich wieder,
meine Brust trägt sie beide im Schoß.
Sommernächtig verkupfern kaum angekündete Lieder,
lösen langsame Blätter von den Herzen sich los.
Blutig wandet die Seele Blick und Gedächtnis,
alles wird Einkreis, Brot und gequält.
Bleibt ein Traum, schwarzes, dünnes Vermächtnis,
plötzlich stehen und verzählt.
Landschaften wellen keinen Hügel, und die berauschten
weißen Hirsche springen nicht mehr auf und ab.
Milchstraße, äthernde Augen, ländliches Geräusch vertauschten
sich und dunkelten in den Morgen hinab.
Zinnober und Sepia wäscht der gelbe Aufgang
aus dem Gesichte der Nacht. Ich gehe, unbändig angetan,
fröstelnd und vergeblich lang
über die Wiesen der Gassen hinan.
Da der Herr Abraham aus seinem Lande rief, ihm zu folgen:
sanft mit des Gläubigen unbedunkeltem Herzen nahm Abraham sich auf und folgte.
Fünfundsiebzigjährig zog er aus Haran mit den leichten Schritten des Jünglings
bis zum berühmten Tale und nahm Mühsal und Unruh späten Aufbruchs
mit der milden Demut des Wanderers zu Gott.
Gab voll Verheißung sein Weib dem Pharao preis, um zu leben,
und war Abraham wie der Strauch Strauch ist und blüht
und nicht fertig wird, es zu sein. Dieweil Lot sich krümmte
und feilschte um die Worte des Herrn, verbrannt sein Gesicht war
und nicht schimmerte zu den blauen Wiesen trächtiger Einfalt.
Doch der Herr hat verflucht sein Geschlecht und mit der Faust
gestoßen in die dunklen Keller von Neugier und Verbrechen.
Ließ erstarren sein Weib und die Töchter schänden vom Vater,
daß in die Ewigkeit sie der Mißbrauchnis des Lebens
unzüchtiges, drohendes Beispiel sind. Straflos schreien
die Taten des Herrn, aus der Menschen Lust und Wildnis