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Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft E-Book

Theodor, Rohmer

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The Project Gutenberg eBook, Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft, by Theodor Rohmer

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Title: Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft

Author: Theodor Rohmer

Release Date: April 16, 2014 [eBook #45418]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DEUTSCHLANDS BERUF IN DER GEGENWART UND ZUKUNFT***

E-text prepared by Ralph Janke, Jana Srna, Norbert Müller, and the Online Distributed Proofreading Team (http://www.pgdp.net) from page images generously made available by the Google Books Library Project (http://books.google.com)

Note:

Images of the original pages are available through the Google Books Library Project. See

http://www.google.com/books?id=W0MAAAAAcAAJ

The cover image was created by the transcriber and is placed in the public domain.

Anmerkungen zur Transkription

Zeichensetzung und Rechtschreibung wurden weitgehend übernommen, auch dort, wo mehrere verschiedene Schreibweisen benutzt wurden, außer bei offensichtlichen Fehlern.

Die Korrekturen, die in der Anmerkung des literarischen Comptoir's genannt werden, sind vorgenommen worden.

Deutschlands Berufin der Gegenwart und Zukunft.

Von

Theodor Rohmer.

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz dumm wird, womit soll man salzen?

Ev. Matth. 5, 13.

Zürich und Winterthur,

Verlag des literarischen Comptoir’s.

1841.

Seinemältesten BruderFriedrich Rohmerin Ehrfurcht und LiebegewidmetvomVerfasser.

Vorwort.

Der Verfasser hält es für unnöthig, die Tendenz dieser Schrift im Voraus zu bezeichnen, weil er hofft, sie werde sich dem Leser von selbst ergeben. Wohl aber glaubt er, über die Art ihrer Entstehung und den Wirkungskreis, den er ihr wünscht, Einiges sagen zu müssen.

Es war nicht seine Absicht, irgend eine Gelehrsamkeit oder sonst ein äußeres Wissen darin zu entwickeln; der Zweck schien es ihm nicht zu fordern. Der Gegenstand ist wichtig genug, um Gelehrte und Ungelehrte in gleichem Maße zu beschäftigen. Er übergibt sie daher allen denen, welchen das Wohl des Vaterlandes am Herzen liegt, gleichviel weß Standes und Ranges sie sonst sein mögen, und setzt nur das Eine voraus, daß der, der sie lieset, mit dem geschichtlichen Material, welches er besitzt, es sei klein oder groß, geistig gewirthschaftet, und mit der politischen Anschauung, die ihm eigen ist, sie sei eng oder weit, in Gedanken geschaltet hat. Dies fügt er hinzu, weil ohne das Vieles in einem andern Lichte erscheinen muß, als es zu erscheinen bestimmt ist.

Die vaterländische Bewegung, welche seit dem Herbste des vorigen Jahres begonnen und seitdem in steigendem Maße zugenommen hat, war es nicht zunächst, was diese Schrift verursacht hat. Sie wäre auch ohnedem geschrieben worden; die Ansichten, die hier ausgesprochen sind, waren vorhanden, ehe die politische Krisis eintrat. Der Verfasser erwähnt diesen Umstand nicht, als ob er sich zu vornehm bedünkte, gleich Andern davon ergriffen worden zu sein, oder als ob er den Vorgang nicht nach seiner vollen Bedeutung zu würdigen wüßte; sondern weil es ihm wichtig ist, das kleine Buch nicht als Etwas angesehen zu wissen, was es in keiner Weise ist — nämlich als eine durch die Lage des Augenblicks veranlaßte politische Flugschrift. Wohl aber hat das Erwachen eines höheren Sinnes sein Vorhaben beschleunigt, und er darf hoffen, daß heutzutage Vieles mit Theilnahme begrüßt wird, was in andern Zeiten verlacht worden seyn würde.

Im Uebrigen war er genöthigt, sich in der Darstellung auf die politischen und socialen Verhältnisse und auch innerhalb dieses Gebiets nur aufs Allgemeinste zu beschränken. Er wollte nur von Deutschland sprechen, und hat absichtlich darauf verzichtet, in das Leben der einzelnen Staaten einzugehn. Um das zu zeigen, was er zu zeigen bemüht war, gab es auch außerdem verschiedene Wege. Er hätte können den Zustand der Wissenschaft, der Kultur und des geistigen Lebens beleuchten und von hier aus zu demselben Ziele gelangen, das man als höchste Aufgabe des deutschen Geistes aufgestellt finden wird. Anderseits wäre es sehr wichtig gewesen, die materiellen Fortschritte zu würdigen und zu entwickeln, wie Deutschland allein durch richtige Benutzung seiner derartigen Hülfsmittel zu dem äußern Rang erhoben werden könne, der ihm gebührt. Allein beide Gebiete sind so umfangsreich, daß ein eigenes, größeres Buch dazu kaum hinreichen würde. Doch wird man ein näheres Eingehn in die materiellen Fragen um so leichter entbehren, als diese Dinge von der periodischen Presse und sonst von befugten Richtern täglich gründlicher besprochen werden; und wenn er allerdings der Meinung ist, daß die höchste kommercielle und industrielle Blüthe allein nicht genügend sei, um uns selig zu machen, so wird ihn deßhalb Niemand einer Mißachtung der patriotischen Bestrebungen zeihn. Was aber Philosophie und Literatur betrifft, so mußte er, nach dem Zweck der Schrift, sich aller näheren wissenschaftlichen Kritik enthalten; und wenn er, wie natürlich, diesen Boden berührt hat, so geschah es nur aus dem socialen Gesichtspunkt. In diesem Sinne wird man Alles gesagt finden, was über die heutigen Systeme, über die Verdorbenheit des Geistes und der Literatur, über Theologie und Pietismus gesagt ist. Denjenigen also, welche einer philosophischen Schule angehören — und deren sind wahrlich nicht wenige in Deutschland — übergibt der Verfasser auf gutes Glück hin dies Buch. Geben darf er es ihnen, weil er weiß, daß Viele, oder wenigstens Manche, die auf einen philosophischen Namen getauft sind, dem, was vorhanden ist, zwar als dem verhältnißmäßig Besten huldigen, nichts desto weniger aber sehr wohl wissen oder sehr vernehmlich fühlen, daß das Höchste noch nicht erreicht, das lebendige Evangelium, dessen die Zeit bedarf, noch nicht erschienen ist. Auf gutes Glück aber muß er es geben, weil er sich verhindert sah, auf eine logische Diskussion darüber einzugehen und demohngeachtet genöthigt war, seine Meinung unumwunden auszusprechen.

Eben so wenig war es ihm vergönnt, die ganze Geschichte, alte und neue, in seinen Kreis zu ziehen, um daraus mit doppeltem Gewicht die Nothwendigkeit dessen, wovon er durchdrungen ist, zu erhärten. Er konnte blos Seitenblicke werfen; und bemerkt überdies insbesondere, daß alles, was in historischer Beziehung vorkömmt, nur Betrachtung über Geschichte, keineswegs Geschichte sein soll — zwei ungemein verschiedene Dinge. Ueberhaupt wollte er zunächst nicht schildern, wessen die Zeit bedarf, sondern was für Deutschland vonnöthen ist; jenes berührt den Menschen im Allgemeinen, dieses den Deutschen; auf letzteres mußte er sich in dem, was über Geschichte und Christenthum gesagt ist, beschränken.

Da der Verfasser nicht im Sinne irgend einer Partei, sondern in deutschem Sinne zu schreiben bemüht war: so bietet er sie auch den deutschen Staatsmännern. Er kann dieß unbefangen thun, weil, obwohl er die Politik der heutigen Zeiten meist tadelnd, selten lobend besprochen hat, er sich dennoch bewußt ist, weniger Menschen und Maßregeln, als die Zeit getadelt und beklagt zu haben, deren Sklaven wir alle sind und deren nothwendige Endentwicklung er darzustellen gesucht hat. Da nun die Zeit als ein historisch Gegebenes vor ihm lag, so mußte er freilich mit derselben Offenheit sprechen, als man von früheren Epochen spricht; aber sein Ziel war eben deßhalb in allen Stücken nicht der Kampf, sondern die Versöhnung, die in einer größern Zukunft liegt. Vielleicht wundert man sich, mit welchem Rechte er dem Staatsmann eine Theilnahme an politischen Ideen zumuthet, deren Verwirklichung in der unmittelbaren Gegenwart gar nicht, in einer nähern Zukunft nur theilweise, theilweise erst in Jahrhunderten, ja wie Viele meinen werden, niemals gedenkbar sei. Allein fürs erste glaubt er, daß ein Deutscher, der die politische Stellung zu zeichnen versucht, die nach Natur und Geschichte seinem Vaterlande in Europa gehört, ohne weiteres berechtigt, ja verpflichtet sei, sich an diejenigen zu wenden, in deren Hand es liegt, die Wirklichkeit dem Ideale wenigstens mehr und mehr anzunähern. Sodann ist er überzeugt, daß das Bedürfniß einer Vermittlung der Gegensätze, und einer höhern, als bis jetzt vorhanden ist, sich Allen unabweislich geltend macht, welche in den Gang der Dinge einzugreifen berufen sind. Ferner, und nicht weniger, daß die Nothwendigkeit einer organischen, auf natürlichen Grundlagen beruhenden äußeren Politik, im Gegensatze der zögernden und momentan beschwichtigenden, tagtäglich einleuchtender und dringender gefühlt wird. Was endlich den Einfluß der Psychologie auf den Staat betrifft, so weiß jeder Staatsmann, daß die erste Kunst des Regierens darin besteht, für jede Stelle das rechte Talent, für jedes Geschäft den rechten Charakter zu finden, mit Einem Worte jeder Individualität den richtigen Platz anzuweisen; und wie weit er sich dieses auch ausführbar denke, in allen Fällen muß ihm doch ein geistiger Hebel für diese Kunst als das höchste Ziel der Staatswissenschaft erscheinen.

Es bleibt noch übrig, einiges Einzelne zu bemerken. Was über die Organisation der Völkerstämme auf der Erde, sodann diesen entsprechend in Europa, gesagt ist, hat der Verfasser nicht in dem Sinne hingestellt, als sei damit eine neue Eintheilung der Raçen gefunden, welche er für untrüglich hielte. Was er gesagt hat, ist ihm allerdings, so weit er bis jetzt zu sehen vermocht hat, Wahrheit; seine Absicht aber war hauptsächlich die, mit Bestimmtheit zu zeigen, daß eine ursprüngliche Harmonie der Völkerordnung existire, daß diese gefunden werden, und daß die Politik auf eine solche Grundlage fußen müsse. Diese Ueberzeugung ist es, die er dem Leser einzuflößen gesucht hat; ob diejenige Harmonie, die er aufstellt, gerade die richtige sei, mag der Einzelne für sich nach Gutdünken entscheiden.

Was im 3ten Kapitel des zweiten Theiles, Seite 73, von den französischen Prätensionen gesagt ist, bezieht sich, wie sich im Grunde von selbst versteht, nur auf die Meinung, welche die Franzosen von ihrem Berufe im Allgemeinen haben, nicht aber auf ihre Eroberungsprätensionen. Diese letztern sind zu lächerlich, das ganze französische Treiben, soweit es sich hierauf bezieht, zu verächtlich, um es in einem Buche von so ernstem Inhalt zu erwähnen.

Der Verfasser sagt es hier ausdrücklich: er war nicht gewillt, die eigenen Gedanken und die eigenen Heilmittel den Zeitgenossen vorzutragen. Er hat sich nur berufen gefühlt, mit allem, was an ihm ist, auf ein Kommendes hinzuweisen, vor dem er sich beugt. Wohl weiß er, daß der Glaube an einen Messias zu denjenigen Dingen gehört, welche schon an sich ein übles Vorurtheil erwecken, weil nur zu leicht jugendliche Thorheit sich damit verschwistert. Indessen getröstet er sich, daß manche bedeutende Männer diesen Glauben getheilt, und Einer der größten (Lessing) ihn in einer eignen Schrift dem deutschen Volke hinterlassen hat. Er hat also gegen die, welche dergleichen von vornherein als Unsinn betrachten, einen glänzenden Schild; und die Andern mögen aus dem Inhalte des Buches selbst urtheilen.

Vielleicht wird es Manche geben, welche mit dem, was über die politische Stellung Deutschlands gesagt ist, übereinstimmen, ohne einen innern Vorgang von der geschilderten Art für nöthig zu halten; und wieder Andere, welche mit ihm die letztere Hoffnung theilen, ohne der politischen Ansicht beizupflichten. Die ersteren wünscht der Verfasser wenigstens überzeugen zu können, daß er durch Hinweisung auf ein geistiges Ziel die praktische und reelle Tüchtigkeit, welche endlich anfängt in der Nation um sich zu greifen, nicht verkleinern, die alte Träumerei in keiner Art wieder erwecken, sondern im Gegentheil den äußeren Bestrebungen höhere, (weil innerlichere) Bedeutung hat geben wollen. Die Andern aber, daß, wie man auch von Hegemonie, von Gleichgewicht und von politischer Zukunft denken möge, — jetzt die Zeit gekommen sei, um das deutsche Volk zu einer Stufe zu erheben, die seiner würdig ist, und daß zu diesem Zweck sich ohne Zaudern alle Kräfte vereinigen sollen, die das Vaterland besitzt.

Wenn er also die Zukunft von Deutschland an ein geistiges Ereigniß knüpft, welches zunächst nicht durch des Volkes Bemühung hervorgebracht werden kann, so glaubt er sie nichtsdestoweniger in vollem Maße abhängig von dem Verhalten der Nation. Er sieht eine göttliche Fügung hereinbrechen über das deutsche Volk, und im Bewußtsein, daß die Zeit erfüllet ist, ermahnt er es, ihr würdig entgegen zu kommen.

So legt er das Buch dem Vaterlande vor. Seine Stimme ist gleichsam die eines Predigers:

„Bereitet dem Herrn den Weg und machet richtig seine Steige.“

In diesem Sinne wünscht er fromm, daß sie nicht verhallen möge.

Heidelberg am 25. August 1841.

Der Verfasser.

Anmerkung des literarischen Comptoir’s.

Das literarische Comptoir bittet folgende sinnstörende Druckfehler zu verbessern:

Seite 23, letzte Zeile, statt „inneren Kraft“ „inneren Kraft seines Vorgängers“ Seite 31, Zeile 9, statt „Gewalt bemühte“ „Gewalt; bemühte“ Seite 112, in der Anmerkung statt „liegt“ „trägt“

Einleitung. Das deutsche Bewußtsein.

In einer Zeit, wie die unsrige ist, so bewegt nach innen, so inhaltsschwanger nach außen, schaut das Auge jedes denkenden Menschen in die Zukunft, und wer irgend fähig ist durch Geist oder Bildung, hineinzublicken in das Treiben der Geschichte, sucht durch Anschauung dessen, was ist, durch Vergleichung dessen, was war, in das verworrene Räthsel dessen, was da kommt, einzudringen. Die Deutschen, wie sie große Politiker sind und in unbefangener gründlicher Kenntniß des Auswärtigen jedem andern Volk überlegen, verfolgen jede Krise auf’s Genaueste, und was in der Levante, wie in China, in Rußland, wie in Nordamerika vorgeht, wenn es irgend beträchtlich genug ist, um sich in das große Gewebe der Geschichte einfügen zu lassen, daraus spinnen sie den rothen Faden fort, den ihre großen Meister durch die Vergangenheit des Menschengeschlechts gezogen; die Zukunft des Orients, die Aussichten jedweden europäischen Staates, die Bestimmung, die jedem einzelnen vom Schicksal gegeben ist, — das Alles liegt ihnen klar, wie keinem andern Volk vor Augen. Aber es ist traurig zu sagen, und doch wahr, ja seit langer Zeit bewährt — sie, die Alles zu wissen meinen, wissen Nichts von sich selbst; von des deutschen Volkes Beruf und Sendung, von seiner Stellung unter den europäischen Völkern, von seiner Zukunft weiß Niemand zu sagen. Und wie sollte es anders sein? Ist ja doch der Deutsche von französischen und englischen Zuständen oft besser unterrichtet, als von denen des eignen Vaterlandes; ist ihm doch das staatliche und politische Treiben andrer Völker klarer aufgeschlossen, als das Staatsleben des vielgegliederten Bundes? Darum verzichtet er, über sich selbst zu denken, und anstatt getroffen zu werden von der seltsamen Stellung, worein Deutschland durch das Geschick versetzt worden ist, und zu fragen, was sie bedeuten wolle, glaubt er sich geboren zu ewiger Ruhe, und sieht ruhig über seinem Haupte die Geschichte vorüberziehen, wie sie von andern Mächten gespielt wird, wie sie ihm (denn jenen andern hat es so beliebt) nicht mitzuspielen ziemt. Da haben sich denn in Europa einige allgemeine unbestimmte Begriffe über das deutsche Volk gebildet; es ist den Einen eine seltsame Völkerfamilie, in die Mitte von Europa gesetzt, um das Gleichgewicht zwischen romanischen und slavischen Weltmächten, nicht durch politische Kraft, sondern durch die Schwere seines Daseins zu erhalten, trefflich zur Assimilation und immer geeignet, wo es gilt, verunglückte Pläne der Vergrößerung durch Stücke seines eigenen Fleisches zu ergänzen; den Andern ein großes gebildetes Volk von Denkern, voll Geist und Wissen, geschaffen um zu denken, wo die Andern handeln, aber doch so verrostet in unpraktischem Studium, daß die Schätze des Geistes, die es aus den tiefen Schachten zu Tage fördert, gleich ungeschliffenen Edelsteinen, erst von Andern verständlich und zum Gemeingute Europas gemacht werden können; den Dritten ein sinnender, träumender Haufe voll gutmüthiger Pietät, versunken in Idealität, Poesie und Musik, und so ungeschickt für die Dinge dieser Welt, daß ihr politisches Leben, kümmerlich genährt von den Brocken, die von der Herren Tische fallen, niemals zur Mündigkeit gedeihen kann. Diese Vorstellungen, genährt, ja zuweilen verbreitet von deutschen Auswanderern, finden den Weg nach Deutschland, und weil sie von außen kommen, und weil überdieß all das auch zu klar am Tage liegt, so werden sie wohl auch geglaubt. Denn die Masse, allzuferne von den Reminiscenzen deutscher Herrlichkeit, und wenig begeistert von den neuen, folgt wie allenthalben dem Zuge, der von den höhern Klassen ausgeht; und der Mittelstand, d. h. die große Masse der Gebildeten, in denen der Kern des Volkes beruht, wird durch Verhältnisse und Umgebungen, hauptsächlich aber durch die Erziehung von einer höhern Ansicht der Dinge abgeschreckt. Nämlich von Allem, was den Geist und das Herz, wenn nicht zur Vaterlandsliebe (welche ja der aufgeklärten Mitwelt wenig mehr, als eine längst verschollene republikanische Thorheit ist), doch wenigstens zu irgend einem nationalen Gefühl antreiben kann, ist im öffentlichen Unterricht Nichts zu finden. Nicht nur, daß die Religion, welcher als Grundlage unserer ganzen Bildung die unmittelbarste Wirksamkeit zukommt, außer aller Beziehung zu den humanen Studien steht, während doch beide sich durchdringen und beleben sollten; daß die Geschichte fast überall entweder zu allgemein oder zu provinziell, nirgend in deutschem Sinne vorwiegend behandelt wird; sondern auch die antiken Sprachen selbst dienen lediglich zu logisch-grammatischer Verstandesübung; es gilt für unnöthig, durch tieferes Verständniß der lebensvollen Wahrheiten des klassischen Alterthums auf die Gemüther zu wirken. So ist der Lauf in den deutschen Gymnasien; noch weniger vermag der Realunterricht, weil nur auf materielle Bedürfnisse zielend, den Ideen eine höhere Richtung zu verleihen. Wenn endlich der Geist selbstständig zu werden beginnt, so geht die Erziehung auf die Hochschulen über; die Blüthe der Nation wird hier gebildet, und die Männer, denen diese Aufgabe anvertraut ist, sind im Auslande die deutsche Aristokratie genannt: aber ohne diesen Ausspruch bestreiten zu wollen, auch sie sind mit wenigen Ausnahmen heutzutage nicht geneigt, die menschliche Bildung im Ganzen und frische thatkräftige Entwicklung des Geistes dem Reichthum des Wissens vorzuziehen. Ist der Jüngling also beladen, so gilt seine erste Sorge dem, was mit einem widrigen Ausdruck Carrière genannt wird; dazu kann, wer sich den Geist ungetrübt von der Last des Gedächtnisses, die Seele frisch und frei von dem Streben erhalten will, das die Wissenschaft, nach Schillers Worten, zur Kuh herabwürdigt, selten gelangen; die Mehrzahl in Nahrungs- und Beförderungssorgen erdrückt, kommt weit genug, um Weiber zu nehmen und zu sterben. Diese letztere Klasse, was kann sie anderes, als jedes Streben nach deutschem Ruhm und deutscher Größe zu den unreifen Träumen werfen, an denen die deutsche Burschenschaft, und das mit Recht, sich verblutet hat? Der höhere Stand aber und der höchste, theils geschreckt von eben dieser Erscheinung, theils einseitig befangen in der Stellung, worein ihn der Prinzipienkampf der Zeit verweist, ohne lebendigen Zusammenhang mit dem Volke (denn der alte Erbadel schließt sich ab, während der Verdienstadel der Bureaukratie angehört), ist jedem Aufschwunge, wenn auch nicht innerlich, doch amtlich abgeneigt, der, über Kunst und Wissenschaft, über materielle Interessen hinausgehend, das Volksbewußtsein ergreift, ohne zu bedenken, daß politische Unmündigkeit allein es ist, was den deutschen Völkern, wie den deutschen Fürsten am Mark des Lebens zehrt. Die Wenigen aber, die ein tieferes Bewußtsein in sich tragen, hüllen sich in kraftloses Schweigen; sei es, weil sie mißverstanden zu werden fürchten, sei es, weil sie indolent geworden durch bittere Erfahrung, oder endlich, weil sie keine Hoffnung sehen, als in der Umkehr der jetzigen Zustände; und diese hinwiederum erscheint ihnen unausführbar auf gesetzlichem Wege, denn jeder andere Weg widerstrebt dem deutschen Geist, noch mehr dem deutschen Herzen. Wohl gibt es noch Manche, die vernehmlich sprechen und es ehrlich meinen, aber den Meisten ist die deutsche Freiheit nur die Tochter des französischen Liberalismus, und sind sie ja ächt deutschen Sinnes, so schwindet die allgemeine Idee vor den nächsten Bedürfnissen der lokalen Gegenwart.

So ist denn im deutschen Volke kein klares, ausgesprochenes Bewußtsein zu finden, weder von seiner Natur, noch dem Beruf, den ihm für unsere Zeit die Vorsehung angewiesen hat. Und während der Franzose sich für den Verfechter der Civilisation, für den Erstling der Politik und des Krieges hält, während der Engländer sich zur Seeherrschaft und damit zur Kolonisation der übrigen Welttheile, während selbst der Russe sich im Lauf der Zeiten zu einer slavischen Universalmonarchie berufen glaubt, kann das deutsche Volk nur neugierig bang die Zukunft fragen, was sie aus ihm wohl machen werde; dasselbe Volk, dem in der Betrachtung des Geistes, wie in der Kenntniß aller Völker kein anderes gewachsen ist. Sich selbst kennen aber ist bei den Völkern, wie bei den Einzelnen, von Alters her die erste Bedingniß des Lebens gewesen, und könnten wir heute ein höheres Orakel, als das delphische war, um das Eine befragen, was uns Noth thut — der alte Spruch der griechischen Weisen würde vielleicht auch den Deutschen zur Antwort gegeben. Denn wie der einzelne Mann, welcher, der eigenen Natur unkundig, seine Kräfte nicht zu bemessen vermag, auch kein Gefühl hat von dem Werthe, der ihm zukommt, und von der Stellung, welche er im Verhältnisse zu Andern zu fordern berechtigt ist, so erstirbt in jeder Nation, deren Bewußtsein sich verloren hat, auch das Nationalgefühl; es erlischt der Sinn für Ruhm und Ehre, ohne den kein Gemeinwesen besteht, und von Schmach zu Schmach, von Schwäche zu Schwäche wird so lange gesunken, bis der Untergang droht. Denen freilich mag es ein Gräuel sein, wenn ein Volk sich kennt und fühlt, die in der Sprache des freien Mannes Verdacht wittern, und wie sie das Wort „Volk“ vernehmen, vor dem Gegensatz erbeben, den sie darin zu finden meinen: gleich als ob das Haupt von den Gliedern, und die Glieder vom Haupt zu trennen wären. Es ist aber in Deutschland den Fürsten nicht weniger Noth, sich kennen und fühlen zu lernen, als dem Volke; hätten sie immer sich gefühlt, es stünde anders um Deutschlands Macht und Ehre. So weit wenigstens, Dank sei es den Umständen, ist es gekommen, daß das Gefühl der Einigkeit, das Bedürfniß derselben lebhafter, als je das deutsche Volk durchdrungen hat: der erste Schritt, ohne den keine Selbstkenntniß erreicht wird. Daß in einem Augenblick politischer Krise das deutsche Volk vernehmlich seine Einigkeit, und damit den festen Willen kundgegeben, seine Rechte insgesammt zu wahren, das ist, wer fühlt es nicht? ein erfreuliches Lebenszeichen. Aber glauben, daß damit etwas gethan, frohlocken, daß die deutsche Stimme nach langer Zeit auch jenseits der Gränzen widerhallt hat, wähnen, daß ein fliegender Enthusiasmus mächtig genug sei, um zu bestehen in der großen Probe der That — das hieße zum Verdienst erheben, was zu unterlassen Schmach gewesen wäre. Sind wir so tief gesunken, daß die kleinste Zuckung gereizter Geduld uns mit Stolz erfüllt?

Wodurch das deutsche Bewußtsein sich verloren, warum es sich zum mindesten so unsichtbar verhüllt hat, bleibt vorläufig außer Frage. Nur das ist festzuhalten: weder ein erkennbarer Instinkt der Masse, noch eine deutliche Einsicht der Gebildeten ist zu finden, wo es um die Sendung und die Rolle des deutschen Volkes sich handelt. Auf das Eine oder das Andere mag in jedem andern Lande der Schriftsteller sich berufen, der über wichtige Zeitfragen spricht; hier gilt keine Berufung; die deutsche Selbstkenntniß muß auf künstlichem Wege erreicht werden. Zu was die Deutschen berufen seien, kann nur aus der Lage der Weltverhältnisse überhaupt, aus der politischen Stellung der europäischen Völker, endlich aus ihrer Geschichte bewiesen werden, keineswegs aber aus ihrem gegenwärtigen Bewußtsein oder Zustande. Diese, die Geschichte mag zuerst uns zeigen, was die Reflexion aus der Vergangenheit sich Tröstliches für die Gegenwart und Zukunft zu holen vermag; jene, die Lage von Europa soll darauf führen, in wie weit und welchen Stücken der ganze europäische Organismus der Mitwirkung eines seiner wichtigsten Glieder bedarf; endlich, das Resultat beider Fragen, verglichen mit dem gegenwärtigen Zustande Deutschlands, wird uns die thatsächliche Wahrheit der gewonnenen abstrakten Ideen, die Möglichkeit ihrer Verwirklichung beweisen.

Erster Theil. Deutschland und seine Geschichte.

Kapitel I.Entweder — oder.

Entstehen, Blühen und Vergehen — ist das allgemeine Gesetz, dem jede organische Existenz unterliegt, nach dem die Geschichte der Menschheit, wie das Leben des Einzelnen sich regelt. Zwischen diesen äußersten Enden stehen unzählige Mittelglieder — Familien, Geschlechter, Stämme, Nationen, Völker, also daß die Geschichte ein ungeheures, von zahllosen einzelnen Entwicklungen durchschlungenes Geflechte bildet, die sämmtlich vom Größten bis zum Kleinsten demselben Gesetze gehorchen. Allein seit Herder in seinen „Ideen“ es ausgesprochen, daß die ganze Menschheit in ihrer Entwicklung nur das Leben des Einzelnen abspiegle, seit er die Grundlagen erforscht hat, auf denen die Geschichte sich entwickelt, seitdem hat Niemand die innern Gesetze gefunden, worauf die Organisation und das Wachsthum des Menschen beruht, wornach, nur in vergrößertem Maßstab, das Leben der Menschheit sich abspinnt. Ehe nicht das Räderwerk der Seele zerlegt, nicht der Gang des Uhrwerks von der Stunde der Geburt an bis zu der des Todes enthüllt ist, gibt es, zwar eine allgemeine Uebersicht mit vielen Wahrheiten, aber keine Philosophie der Geschichte. Nun ist es noch ungleich schwerer, eines Volkes Anfang, Ende, den Stand seines Lebens, sein Alter zu bestimmen. Wo ist hier Anfang, wo Ende? Wo der Augenblick, da es, vom großen Urstamm sich lostrennend, oder aus mannigfachen Stämmen geeinigt, zu Einer Persönlichkeit mit bestimmtem Charakter erwächst; wo der Augenblick, in dem es diese Individualität verliert und, mit andern verschmolzen, in die allgemeine Fluth zurücksinkt? Wie lang oder wie kurz sind die Perioden seiner Entwicklung? Wie weit gehen die Gränzen seines Daseins? — Denn es kann wohl aus der Vergangenheit eines Volkes, wie des deutschen, aus dem Eindruck der Gegenwart auf ein hohes Alter geschlossen werden; doch, wie Deutschland schon einmal aus tiefer Altersschwäche in der Reformation sich neu verjüngt, wie es allein unter allen Völkern den Sturz seines Reiches überlebt hat, so kann es auch nochmals eine Jugend beginnen. Aber wenn sie nicht wiederkehrt diese Jugend, so sind wir zumeist unter allen Nationen Europas mit dem Tode bedroht. Denn Deutschland ist die Mutter der Völker, und seit sie aufgehört zu herrschen, seit Jahrhunderten, streben mündige und unmündige Kinder, die altersschwache zu knechten, und das letzte Joch zu zerbrechen; denn noch ist Gefahr, so lang sie nur lebt. Darum, ob ein plötzlicher Tod, ob tausendjähriges Leben uns erwartet, darüber entscheidet keine Berechnung. Unser Alter, unsre Lebenskraft ist verborgen vor unseren Augen.

Nur das Eine bleibt übrig, durch Beobachtung und Gefühl die leitenden Ideen zu finden, welche die deutsche Geschichte beseelen. Wenn anders Zusammenhang, Folge, Ordnung in ihnen liegt, so muß sich zeigen, ob der Gedankengang, den sie bilden, seinen Abschluß bereits erreicht hat, oder ob im Gegentheil Einheit und Leben erst durch eine große Zukunft, als nothwendiges Glied der Kette, ihnen verliehen werden muß? —

Es ist dieser Reichthum, die Klarheit der Ideen, was die deutsche Geschichte vor denen andrer Völker auszeichnet; man sieht die äußern Ereignisse, wie Blüthen und Früchte daraus hervorsprießen. Eben deßhalb liegt nicht, eine Menge von Thatsachen zu beleuchten, in unserm Zweck, nur die allgemeinsten Vorgänge, wie sie Jedem bekannt sind, wollen wir hervorheben; und wenn hieraus andere Folgerungen entspringen, als man gewöhnlich zu ziehen pflegt, so liegt es in einer Zusammenstellung des Ganzen, welche, entweder aus übertriebener Rücksicht auf Einzelnes oder aus Ungewohnheit übersichtlichen Denkens oder, wie es zunächst geschieht, weil sie an der Gegenwart kleben, von Andern vernachlässigt wird.

So viel zeigt uns alle Geschichte, daß das Volk an sich vergänglich, veränderlich ist, während die Raçe, der Typus unwandelbar und ewig dauert. Araber, Juden, Mongolen, Neger haben bestanden und werden bestehen, so lang es Geschichte gibt; Römer, Griechen, Franzosen, Russen, Deutsche fallen dem Untergang anheim, um so schneller, je weniger sie den Typus ihrer ganzen Raçe, um so langsamer, je mehr sie ihn darstellen. Hier ist also ein ewiger Wechsel gegeben; die Deutschen, als die ersten Träger des germanischen Typus unter den jetzigen Völkern, können diesen Typus an andere Völker abgeben; so wie die germanischen Völker überhaupt als Erstlinge des kaukasischen Typus ihn wiederum einem andern Völkerstamme überlassen können. Was folgt daraus? Zwei Bemerkungen, deren eine von denen, welche über der physischen Größe und Ausbreitung des deutschen Volks die Möglichkeit des Untergangs, d. h. des Verschwimmens in fremde Nationalität vergessen, die andere von der noch größern Zahl im voraus beherzigt zu werden verdient, welche, zufrieden mit einer untergeordneten Mittelstellung ihres Vaterlands, jede Rolle Deutschlands in Europa, auch wenn sie der ursprünglichen Natur zuwiderläuft, für gefahrlos, ja im Interesse des Friedens für segensreich erachten. Einmal: dem deutschen Volk ist keine Wahl gegeben, als entweder in erster Linie den germanischen Charakter auszudrücken oder sich selbst zu verläugnen. Weiter aber: diese Erstlingschaft kann sich nicht nach innen allein, sie muß sich auch nach außen ausprägen, das Haupt der germanischen Welt ist nach der Natur Europa’s zugleich der Mittelpunkt der kaukasischen. Denn wie in der alten unverbundenen Welt, ehe Rom den Erdkreis umfaßte, Aegypter, Griechen, Perser, Juden, Indier, obwohl in mannichfacher Berührung, doch getrennt auseinander lagen, so hat die neue Zeit eine Verbindung der Völker geschaffen, welche ganz Europa mit demselben Bande verknüpft, das ehedem die griechischen Republiken umschlang; so zwar, daß jeder innere Nachlaß, wie alles innere Wachsthum einer Nation zugleich nach außen eine Rückwirkung in ganz Europa hervorruft, welche um so lebhafter ist, je höher die Nation selbst an Bedeutung steht. Eben deßhalb kann das erste germanische Volk nur herrschen, es sei geistig oder leiblich — oder untergehn.

Die beglaubigte Geschichte, so weit sie unsere Entwicklung berührt, zerfällt in vier Abschnitte: in die alt-orientalische Zeit, mit den ersten großen Reichen, mit ägyptischer und jüdischer Weisheit; in die griechisch-römische Periode, worin der Weltgeist aufs südliche Europa übergeht, mit Ueberwindung persischer und karthagischer Größe; hierauf nach der großen Umwälzung der Völker und Staaten, in die christlich-germanische Weltordnung, gegenüber der muhamedanisch-arabischen, endlich in die neue Zeit, die in der Reformation die Kirche, später das Christenthum und den Staat umgestaltet, und mit der Erforschung des ganzen Erdballs eine europäische Universalmonarchie gegründet hat. Nun ist das deutsche Volk in der dritten Periode der Mittelpunkt der christlichen Ordnung gewesen; es hat durch die Reformation die vierte eröffnet; welche Stellung wird ihm, im Verlauf eben dieser Periode, zugewiesen sein?

Zweimal haben die Deutschen reinigend und verjüngend, wenn auch zerstörend zugleich, sich über Europa ergossen; am Anfange des Mittelalters und am Ende desselben, dort leiblich gegen das leibliche, hier geistig gegen das geistige Rom. Ist hierin Anfang und Ende ihrer Geschichte beschlossen, war der Protestantismus das letzte große Werk, an dem sie sich verblutet, und werden andere Völker fortsetzen, was wir begonnen? Oder im Gegentheil, war die Reformation der Grundstein eines größern Aufbau, sind wir allein befähigt, diesen Aufbau zu vollenden?

Wenn das Erstere: so wird Deutschland, nach Verlust seiner Einheit, seiner Verfassung, seines politischen Ranges, den Mächten ringsumher zur Beute fallen; es wird fallend, mit der Fülle seines Geistes die Völker durchdringen, welche, entweder leichterer oder roherer Natur, zu seinem Erbe berufen sind; endlich gleich dem alten Rom, in der Menge seiner Kinder untergehen.

Wenn das Zweite: so wird Deutschland, nach gefundener Vollendung, aus dem Zauberschlafe erwachen, und dieselbe Herrschaft, die es in der dritten Periode über die christliche Welt geübt, wird in der vierten reiner, geistiger und höher wieder erstehen. — Ein Drittes ist undenkbar in der politischen Geschichte der Völker, undenkbar nach dem Gange der Civilisation, undenkbar endlich für jeden Deutschen, dessen Seele nicht zu klein, dessen Bewußtsein nicht zu niedrig ist, um entweder ein Vaterland, groß wie ehemals, und an der Spitze der neuern Zeit, oder keines zu wollen.

Kapitel II.Aeußere Anschauung der deutschen Geschichte.

Ich gestehe, der erstere Fall muß als der wahrscheinlichere jedem Ausländer erscheinen, der die Geschichte mit kaltem und nüchternem Auge durchläuft, und kann es jedem Eingebornen, der nicht mit der ganzen Kraft des innern Bewußtseins gegen das Schicksal ankämpft, das mit drohender Vernichtung über Deutschland hereinschwebt; und dazu gehört ein Bewußtsein, wie es Wenige besitzen. Wie wenn ein Fremdling, der ohne Liebe, wie ohne Haß die neuere Zeit betrachtet, der überdieß dem deutschen Volke wohlwollen könnte, aber ohne jenen Stachel, der unser Bewußtsein gegen eine Zukunft bewaffnet, die wir nicht zu gestehen wagen, wie wenn er also spräche:

„An die ersten Vorbereitungen der Reformation knüpft sich der Verfall der politischen Größe, der nationalen Einheit. Mit den Kirchenversammlungen von Basel und Kostnitz, mit den Hussitenkriegen neigt sich die Herrlichkeit des Reiches. Wie sie unter Karl V. zum letztenmale sich erhebt, ist es nicht mehr kaiserliche Gewalt; es ist habsburgische Hausmacht; der Letzte, der des Reiches Rechte in Italien vertheidigt, der Erste, der sie, durch Uebermacht gezwungen, an Frankreich abtritt, ist eben dieser Karl V. Der Fluch der Reformation, schon zu Luther’s Zeit in den Kämpfen des Adels, im Bauernkriege entfesselt, entwickelt sich steigend bis zum dreißigjährigen Kriege; Franzosen und Schweden herrschen in Deutschland, und der westphälische Friede, der Grabstein des deutschen Lebens, wird abgeschlossen. Von hieran kein Deutschland mehr, nur Oestreich, Preußen, Baiern, Hessen, und wie sie alle heißen; der deutsche Welthandel, die deutsche Seemacht ist unwiederbringlich vernichtet; die Franzosen unter Louis XIV. herrschen zum zweitenmale über Deutschland; durch englische und habsburgische, nicht durch deutsche Macht wird ihre Herrschaft abgewehrt; aber die Knechtschaft des Geistes, worein sie Fürsten und Völker gejocht, die Willkühr, die sie jenen, der sclavische Sinn, den sie diesen eingeflößt, bleibt fort und fort. Nach kurzer Erholung entzweien sich Oestreich und Preußen, und der Mann, der siegend aus dem Kampfe hervorgeht, der größte, den Deutschland seit langer Zeit besessen, hinterläßt das Reich in tieferer Spaltung, als er es gefunden. Endlich die Revolution; aus ihr die dritte Herrschaft der Franzosen; das alte Kaiserthum stürzt, und nachdem mit Hülfe von ganz Europa Napoleon besiegt ist, wird die Trennung geheiligt; Deutschland schwindet aus der Reihe der Großmächte, und russische Uebermacht folgt der französischen. Das ist Deutschlands Geschick seit drei Jahrhunderten; nach außen hin Verfall, Entehrung, Schmach, Unterdrückung, Zerstückelung; nach innen Verlust der alten Freiheit, Ohnmacht des Volks, Verdorbenheit der Höfe, Feigheit der Gesinnung, Verläugnung des deutschen und kriechende Bewunderung fremdländischen Wesens, die wenigen schönen Blätter besudelt durch Uneinigkeit, Selbstsucht und Unentschlossenheit. Der Bund, der aus dem großen Sturz sich neu geboren hat, scheint ein Schattenbild von Natur und Einrichtung; scheint unfähig selbst in Dingen, die seinem Bereiche angehören, ein kräftiges Wort zu sprechen; die Großmächte, die sich deutsche nennen, werden aufhören, es zu sein, wenn es die eigne Erhaltung gilt, und der erste große Kontinentalkrieg wird Deutschlands letzter sein. Die Vorsehung aber hat gewollt, daß dieß seltsame Volk, noch vor seinem politischen Untergang, alle Kräfte seines reichen Geistes entfaltet, daß es in der Poesie und Literatur, in der Kunst und Musik sich ein Denkmal ewiger Größe gesetzt hat; seine Ideen, sein Geist werden auf die andern Völker übergehen.“

„Das ist die äußere Geschichte, nicht anders die innere. Die Wiedergeburt des staatlichen Lebens, dieß große Zeichen der neuern Zeit, wie ist sie in Deutschland vorgeschritten? In England, in Frankreich hat die Reformation, mittel- und unmittelbar, riesenhafte Umwandlungen hervorgerufen; auf deutsche Grundlagen hin haben andere Völker sich verjüngt. Die englische Freiheit, als der staatliche Ausdruck der germanischen Natur, hat sich dort, der moderne Liberalismus hier aus dem Volksgeist entwickelt; in Deutschland sind, unter einer Unzahl von Oligarchen, die alten Freiheiten unterdrückt, die angestammten Einrichtungen (selbst die alte Oeffentlichkeit der Gerichte) vernichtet worden; an ihre Stelle ist, und das erst in neuerer Zeit, und nur in den kleinen Staaten, das konstitutionelle System getreten, halb von den Franzosen, halb von den Engländern erborgt; aber jedes Jahr, jeder Tag beweist, wie wenig das fremde Institut im Stande ist, in den deutschen Volksgeist einzuwachsen. Aber abgesehen von der Kraft des Volkes, wie ist es um die Fürstenmacht bestellt? Ohne Centralisation, so will es der Charakter der neuen Zeit, keine Macht, darin liegt die englische, die französische, die russische Größe. Woher soll Deutschland, die vielköpfige Hyder, seine Einheit erhalten? Selbst Oestreich und Preußen, wären sie rein deutsche Mächte, würden daran scheitern; es sind Staatenconglomerate ohne die Möglichkeit der Centralisation, es gibt keine östreichische, keine preußische Nation. Vor Allem aber keine Einheit ohne Nationalgefühl, kein Nationalgefühl ohne politisches Bewußtsein. Was will ein Bewußtsein, das im höchsten Fall sich mächtig genug glaubt, Deutschlands Integrität wahren zu können, sonst aber jeder, auch der kleinsten Richtung nach außen ermangelt? Ein Volk ohne politische Tendenz, ohne Möglichkeit der Offensive, ohne Ausbreitung irgend einer Art, ist im politischen Sinne kein Volk.“

„Ohne Ausbreitung, sage ich, irgend einer Art, und komme damit auf das zweite große Werk der neuen Zeit. So weit die geographische Kunde reicht, hat Europa seine Flügel gestreckt. Spanier, Portugiesen, Engländer, Franzosen, selbst Russen, Dänen und Schweden, haben Amerika, Theile von Afrika, die größere Hälfte Asiens und Australien dem europäischen Namen unterworfen. Die Herrschaft über die civilisirte Erde naht sich dem Ziele; die einzelnen Völker werden sich theilen, England und Rußland werden Asien, Frankreich wird Afrika überkommen; und wie sie jetzt schon beginnen, durchs Schwert und Protokolle die Türkei zu regieren, so wird künftig ein großer Areopag sich bilden, der über Länder und Nationen richtet. Wo wird Deutschland sitzen im Rathe der Völker? Was haben Deutsche gethan, um Theil zu nehmen an der künftigen Größe Europa’s? Sie haben gebrütet, wo Andere handelten; ihr Loos wird sein, gleich ihren Thaten; genug, wenn Oestreich noch Sitz und Stimme behält; derselbe Areopag, einmal an Entscheidung gewöhnt, wird auch über Deutschlands Schicksal richten.“

„Wenn nun zu alle dem das Bewußtsein einer vollendeten Mission, wenn die Erinnerung an eine Vorzeit hinzukäme, die von solchen Uebeln unbefleckt wäre, dann könnte Deutschland sich noch getrösten, und der Einzelne könnte ausruhen im Gefühle eines ewigen Ruhms oder in dem Glauben an ein fremdartiges Schicksal, das zeitenweise den deutschen Charakter gebrochen habe. Aber geht sie durch, die Geschichte des Mittelalters. Sie ist groß und glorreich, aber kein Ruhepunkt, keine Stelle ist zu finden, wo der deutsche Geist sich vollendet hätte: ein rastloses, unseliges Treiben; ewige Zwietracht; die Größten vom Unglück verfolgt und hinweggerafft in der Blüthe der Jahre; unsre ganze Herrschaft nicht eignes Gut, sondern überkommen von einer frühern Vergangenheit. Uneinigkeit allenthalben und zu allen Zeiten, unauflösliche Trennung der einzelnen Volksstämme, endlose Schwankungen des politischen Lebens ohne Ziel und Vollendung, tausendfache Anschmiegung an fremde Willkür, ja fremden Geist — das sind die Grundzüge, die von Anfang zu Ende hindurchgehen; die heute noch bestehen, wie vor tausend Jahren; und wie sollten sie jemals sich verwischen?“ —

„Solche Hoffnung bietet die Geschichte. Doch wie traurig sie auch seien, jedes Volk kann dem Schicksal widerstehen, wenn es will; wenn es mit der letzten Kraft seiner Natur die drückenden Bande des Unglücks durchsprengt. Aber auch sie hat sich im Lauf der Zeiten geändert. Der deutsche Charakter, so stark und mächtig, so kraftvoll und bieder in den Zeiten des Ritterthums, wie ist er so anders geworden! Wie einst die byzantinischen Römer unter den Dogmen und Sektenkämpfen der Kirche zum jämmerlichen Volke herabgesunken sind, so ist das deutsche Gemüth durch endlose konfessionelle Subtilitäten zusammengeschrumpft, das Mark des Lebens ist vertrocknet und die ganze Mannheit auf immer verknöchert. Wer vermag in dieser trägen, spießbürgerlichen Masse das Volk wiederzuerkennen, dessen Grimm den Wälschen zum Sprüchwort geworden war! Die „deutsche Wuth“ ist längst verraucht; ein schlaffes Wohlbehagen, ein widriges Phlegma ist es jetzt, was den Deutschen im Ausland bezeichnet. Damit bestehen weder große Entschlüsse, noch kräftige Thaten; bedächtig reift das Vorhaben, und ist es erzwungen durch die dringendste Noth, so hinkt allzuspät und durchkreuzt von tausend kleinlichen Rücksichten die Ausführung nach. Die deutsche Treue ist zum Spott geworden; feige Unterwürfigkeit, knechtische Demuth hat sich mit ihrem Namen geschmückt. Mit der selbstständigen Kraft ist auch der selbstthätige Geist erloschen; was anerkannt sein soll in deutschen Landen, muß erst von außen herein oder von oben herab gepriesen werden. Die Freiheit ist nirgend zu finden, als in Liedern und Gesängen; die Einheit ist ein abstrakter Begriff, dem in Worten gehuldigt wird, nicht durch Gemeinsinn, Aufopferung und Uneigennützigkeit. Der Schlendrian hat alle Klassen ergriffen; der öffentliche Dienst geschieht um des Brodes, wenn’s hoch kommt um der Ehre willen; die alte Titelsucht hat in den Kern des Volkes gefressen und Kriecherei der Niedern gegen die Höhern, Willkühr der Höhern gegen die Niedern ist zur Ordnung geworden. Die Abmarkung der Stände, die Macht der Bureaukratie hat sich mehr, als in irgend einem Lande der Welt in die Gemüther und Geister eingewurzelt. Die Liebe zwischen Fürst und Volk, so herrlich in den alten Geschichten der Deutschen, ist ausgestorben; Argwohn von oben, Furcht und Kälte von unten, hat sich eingenistet. Alle Frische des Geistes, alle Glut der Seele vertrocknet in der engherzigen Pedanterie, deren sich kein Verhältniß des Lebens entledigen kann; tausend drückende Formen muß der Geist durchlaufen, ehe er sich emancipiren kann, und wenn er sie besteht, hat er seine Jugend zur Einbuße dahin. Die Stelle des politischen Bewußtseins vertritt eine unermeßliche Gelehrsamkeit, und diese hinwiederum, anstatt dem Volke sich zu widmen, schließt nur Einer Kaste ihre Schätze auf, während der Staat in einem kleinlichen Detailwissen den Ersatz für die Geistes- und Gemüthsgaben sucht, die er durch keine Vorschriften seinen Dienern anerziehen kann. Der kriegerische Geist verkümmert in solcher Stubenluft, die Soldateska ist eine physische Masse, unfähig jeder Begeisterung, wenn es nicht an Haus und Hof, an Leib und Leben geht. Im Uebrigen gibt es keine Nation, die an Friedfertigkeit, Geduld und Zahmheit der deutschen gliche. In Ermanglung des öffentlichen politischen Lebens, wie jeder Laufbahn im Felde, wirft sich der Volksgeist auf Handel und Industrie; aber auch hier steht die Zersplitterung, steht der Eigennutz und Schlendrian, steht die Lokalsucht und die Trägheit, stehn die Familienbande der Großen jeder großartigern Idee entgegen. Wie soll aus solch einem Charakter neues Leben erstehen? Es wird nicht und kann nicht; nur durch fremde Hand, nur in der Assimilation, wozu dieß unmündige Volk bestimmt scheint, kann solche Trägheit durchbrochen werden.“

„Zwar freilich seit dem Wiener Kongreß glaubt man in Deutschland Manches gethan, manchen Fortschritt gemacht zu haben. Und was ist es denn, das seitdem geschehen sein soll? Die Deutschen sind anfangs einer Begeisterung gefolgt, die später zum Nichts, wo nicht gar zum Gelächter geworden ist; die heilige, die nordische Allianz wußte sie dazu zu gestalten. Später nach der Julirevolution folgten sie ebenso dem französischen Anstoß; und kaum war er verraucht, so fügte man sich gleich willig der russischen Reaktion. So zwischen Restauration und Liberalismus, zwischen Rußland und Frankreich umhergeworfen, steht Deutschland inmitten zweier Bewegungen, welche beide gleich erbärmlich sind, ohne die Kraft einen eigenen Willen aufzupflanzen. Wie seltsam klingt die verächtliche Manier, womit heutzutage die Deutschen von französischem und russischem Staatsleben sprechen, wenn man weiß, daß in Deutschland die Fürsten durch den Anschluß an das russische Prinzip, die Völker durch die Furcht ihr Leben fristen, welche die französische Propaganda einflößt. Man mag den Edelmuth des deutschen Volkes bewundern, wenn es auch in seiner Versunkenheit jedes ungesetzliche Mittel verschmäht, jeden Aufruhr zurückweist: aber wo der Nationalzug nicht alle Schwierigkeiten ebnet, wo er nicht Fürsten und Volk mit einem Willen zu beseelen vermag, da ist die Kraft gebrochen, und die Erndte gereift für fremde Schnitter.“

So viel mag der nüchterne Verstand eines Ausländers aus der deutschen Geschichte neuerer Zeit für die Zukunft Deutschlands weissagen; und wenn Engländer, Franzosen, Russen nach solcher Ueberzeugung handeln, so ist es ihnen nicht zu verargen. In Wahrheit, von all diesen Thatsachen können wenige geläugnet werden; und kein Deutscher, der es ernstlich mit seinem Vaterlande meint, wird ihr Gewicht verkleinern wollen. Was hilft hier eine oberflächliche Beruhigung?

Saget nicht: es ist nicht an dem, denn die Lichtseiten unseres Daseins sind heller, als die Schattenseiten. Saget nicht: es wird nicht an dem sein, denn ein Untergang, wie dieser, ist wie ohne Beispiel in der Geschichte, so auch im Widerspruche mit allen Verhältnissen des Augenblicks. Klammert Euch nicht an den kahlen Trost, der in der Vergleichung einer erträglichen Gegenwart mit einer schlimmern Vergangenheit liegt. O, über die Halbmenschen, die den Lauf der Geschichte durch politische Berechnungen des Moments zu hemmen, die in den Aussprüchen der Fürsten, in den Adressen der Kammern, in den Hoffnungen der Journale Sicherheit und etwa gar eine Zukunft zu finden vermeinen; über die Schwächlinge, die mit den Fortschritten der jüngsten Dezennien sich brüsten und über das frohlocken, was der äußerste Drang der Zeit von uns gefordert hat. Es ist allerdings Gefahr vorhanden, große ungeheure Gefahr, nicht hier und da, nicht an einzelnen Ecken und Enden, nicht in der oder jener Beziehung, sondern Gefahr um das Dasein des deutschen Vaterlandes, und Rettung um so weniger, als die Gefahr verachtet wird.