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Seitenzahl: 252
The Project Gutenberg eBook, Aus halbvergessenem Lande, by Theodor Schiff, Illustrated by Karel Klíč and K. Žádnik
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Title: Aus halbvergessenem Lande
Culturbilder aus Dalmatien
Author: Theodor Schiff
Release Date: October 13, 2015 [eBook #50197]
Language: German
Character set encoding: UTF-8
***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK AUS HALBVERGESSENEM LANDE***
Note:
Images of the original pages are available through Internet Archive. See
https://archive.org/details/aushalbvergessen00schi
Anmerkungen zur Transkription
Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.
Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches.
CULTURBILDER AUS DALMATIENvon
Theodor Schiff.
MIT ZEICHNUNGEN VON K. KLÍČ UND K. ŽÁDNIK.
WIEN, 1875. VERLAG VON KLÍČ & SPITZER.
(Alle Rechte vorbehalten.)
Einleitung
3
Ein abgeschnittener Kopf.
7
Arme Seelen als Schiffsrheder.
15
Die Pestgräber von Botticelle.
25
Das Paternosterhaus.
34
Jacuve Ciciola und seine Liebe.
41
Wandelnde Kreuze.
48
Hippolytos und Phaedra.
57
Der Frau Mare Kargotic Gesang.
64
Türkischer Tabak.
70
Don Martine von Karakaschitza.
77
Ein Gerichtstag in der Morlakei.
87
Ein türkisches Schnupftuch.
95
Ein Richter in Bosnien.
103
Morlakischer Winter.
110
Die streitbaren Bocchesen.
118
Der Gouverneur von Scoglio Stipansko.
125
Wie die Agave zum Blühen kam.
135
Das Omblathal bei Ragusa.
141
Ein Fischzug bei Lesina.
149
Das Gigg des Kaisers.
155
Ein schmaler Streifen Landes, lang gestreckt und dünn bevölkert, liegt Dalmatien fernab vom emsigen Verkehre der Völker, eingeschlossen zwischen dem massigen Gebirgsgrat der türkischen Grenze und den ruhelosen Wogen des Meeres.
Die Söhne des alten Hellas hatten einst seine Inseln bevölkert – und die heitere Sitte ihres Vaterlandes war mit ihnen eingezogen in die neue Erde. Die stolze Roma hatte ihren wuchtigen Arm ausgestreckt über die lachende Küste – und wie mit einem Zauberschlage wuchsen blühende, reich bevölkerte Städte, wuchsen riesige Paläste hervor, und schöne Tempel in heiterem Säulenschmucke spiegelten sich in den Fluthen der Adria. Barbarenhorden brachen in das Land, Schrecken, Tod und Verderben in ihrem – Gefolge und zugleich mit ihnen hielt das Christenthum seinen stillen Einzug, siegreich in seiner holden Demuth, freiheitkündend in seiner sanften göttlichen Lehre. Das finstere, gewaltthätige Ritterthum entvölkerte mit seinen Kreuzzügen Europa – und Richard Löwenherz fand in Ragusa eine Freistatt. Der erste Napoleon hatte das Land mit seinen Geierkrallen erfasst, und in den kurzen Jahren seines Besitzes hoben sich der Handel und die Industrie des Landes zu nie geahnter Blüthe.
Und heute?
Die erlauchte Krämer-Republik Venedig hat Dalmatiens Forste ausgerodet, – türkische Barbarei in demselben ihre blutigen Zeichen gelassen, – das reichbegabte und dabei so arme Volk verkümmert jetzt in seiner Einsamkeit und das Gespenst des Hungers hält alljährlich seinen Umzug durch die schauerlich nackten Felsengebirge. Heute hat sich die Weltgeschichte abgewendet von dem schönen armen Lande, das in unthätiger Ruhe langsam dahinsiecht, – heute spricht man von Dalmatien wie von einer sagenhaften Erde, und von seinem Volke wie von verklungenen Geschlechtern.
Darum habe ich es versucht, den Schleier zu lüften, der über Dalmatien liegt und über seinen Bewohnern. Ich habe nichts erdichtet und nichts erfunden, sondern einfach erzählt, was ich im Laufe langer Jahre dort gesehen, und die Erinnerungen niedergeschrieben, die mir geblieben sind aus dem Vaterlande meiner Kinder – aus dem halbvergessenen Lande.
Wien im September 1875.
Theodor Schiff.
Aus halbvergessenem Lande.
Die alte Zanetta sass auf ihrem uralten Lehnstuhl und liess sich's wohl geschehen. An einem spiessartigen Stück Holz, das sie durch das Band der breiten grossblumigen Schürze gesteckt hatte, war der Flachs befestigt, den sie mit den knöchernen Fingern ihrer linken Hand langsam herabzupfte, und in der rechten Hand liess sie das länglichrunde Holz »il fuso« kreisen, um das sich das gesponnene Garn wickelte. Auf ihrem Kopfe lagen zwei grosse Krautblätter und über denselben ein viereckig gefaltetes schneeweisses Tuch. Signora Zanetta behauptet seit dreissig Jahren täglich, dass sie heute Kopfschmerzen habe, und dass sie nur frische Krautblätter durch vierundzwanzig Stunden auf den Kopf zu legen brauche, um den Kopfschmerz für immer zu vertreiben. Und darum trägt sie seit dreissig Jahren Krautblätter auf dem Kopf und darüber das viereckig gefaltete weisse Tuch, was zusammen den Eindruck eines bösartigen Turbans exotischer Herkunft hervorbringt. Ein von tausend Runzeln durchfurchtes Gesicht, dessen Mund noch eine untadelhafte Reihe blendend weisser Zähne zeigte, ein verblichenes, aber höchst sauber gehaltenes Kleid, an den zusammengeschrumpften Füssen reine weisse Strümpfe und ein paar türkische Schuhe von dickem rothen Leder, sass die Signora Zanetta auf ihrem Lehnstuhl und um sie schwirrten die Schwärme von Fliegen, wie sie die dreissig Grad Hitze eines Julitages in Spalato zu erzeugen vermögen.
Ein grosses Gemach mit niedriger Decke – an den Wänden rohe Alfresco-Malereien, sämmtlich Theile der Seeküste darstellend, an welcher Herren und Damen in altväterischer Tracht lustwandeln, während in der Ferne der ruhig glänzende Spiegel des Meeres sich endlos erstreckt, – in der Mitte des Zimmers ein ungeheurer Tisch aus dunklem Holze, – an den beiden Längsseiten des Zimmers zwei kleine, schwerfällige, mit Flügelthüren versehene Kasten, auf denen mindestens ein Dutzend blankpolirter messingener Oellampen stand, – über dem einen Kasten ein schauerlich gemaltes, den Kaiser Franz als Jüngling vorstellendes Bild, dem gegenüber ein stark zerfressener Kupferstich mit der Darstellung des bethlehemitischen Kindermordes hing, – eine alte Wanduhr in einem bis an die Decke reichenden Kasten, – so sah das Gemach aus, in welchem Signora Zanetta sass, spann und es sich wohl geschehen liess.
In Spalato ist Alles alt. Die Häuser, das Pflaster, die Familien, die Kirchen, die Sprache, – Alles ist uralt. Die Domkirche wurde zu Ende des dritten Jahrhunderts von dem alten Christenverfolger Diocletian dem Jupiter erbaut, – die Sphinx vor derselben ist eine Kleinigkeit älter und entstammt der achtzehnten Dynastie der Pharaonen, – und das am Meeresstrande befindliche Franziskaner-Kloster macht einen förmlich modernen Eindruck, weil es erst im Jahre 1212 vom heiligen Franz von Assisi gegründet wurde, – ja, auf dem beliebtesten Spazierwege Spalatos konnte man noch zu Ende der Sechziger-Jahre halb städtisch, halb »national« gekleidete Bürger mit einem rückwärts herabbaumelnden Zopfe sich ergehen sehen. Das Italienisch, das in allen Bürgerfamilien gesprochen wird, ist genau dasselbe, das man in Venedig vor hundert Jahren hörte und in Goldoni's Lustspielen noch heute lesen kann. Eine Familie, die ihren sogenannten Adel erst von hundert oder zweihundert Jahren herwärts datirt, wird so ziemlich als neugeadelt angesehen, und ich kenne selbst in Spalato eine Familie, deren Mitglieder allen Ernstes behaupten, dass ihre in Salona ansässigen Vorfahren bereits römische Patrizier gewesen seien. Salona wurde aber im Jahre 639 nach Christi Geburt zerstört, und das mag der Grund sein, warum das betreffende Adelsdiplom nicht aufgefunden werden konnte.
Es ist überhaupt ein merkwürdiges Volk, das der Dalmatiner und besonders der Spalatiner Adelsgeschlechter. In den engen Gassen der Stadt, in den verstecktesten und übelriechendsten Winkeln derselben sitzen sie in ihren Häusern, denkend der vergangenen Herrlichkeit, als noch der »Conte« nicht viel weniger als ein Souverain und der arme Morlake nicht viel mehr als ein Sklave war, und es für jede Ungerechtigkeit, die der »Conte« beging, höchstens eine Geldstrafe gab, für das Vergehen des armen Bauern aber nur das Ermessen und die Willkür seines Herrn massgebend war. Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen, diese Conti, und so gut österreichisch sie auch im Allgemeinen sein mögen, so denken sie doch noch immer an das verrottete Pascha-Regiment der in ihrem Fett erstickten Republik von Venedig. Ja, – sowie man heute noch allenthalben auf den Mauern und öffentlichen Gebäuden der dalmatinischen Städte den Löwen des San Marco über seine vergangene Herrlichkeit in steinerner Faulheit trauern sieht, so würden sämmtliche »Conti« nicht im mindesten sich wundern, wenn eines schönen Tages wieder einmal so ein Provveditore der Republik auf einem altartigen Segelschiffe angefahren käme, um die verrottete Zopfwirthschaft von neuem zu beginnen.
So wie es unter depossedirten Fürsten üblich sein mag – ich stelle es mir wenigstens so vor, – sich gegenseitig mit »Majestät« anzusprechen, so hört man die Spalatiner alten Familien einander den Titel »Conte« geben, ohne dass weder der eine noch der andere Theil das mindeste Anrecht auf diese Bezeichnung hätte. Das »gemeine« Volk thut dann das Gleiche in seinem Umgange mit den »Conti«, und so wird in Spalato, da man dort nach altvenetianischer Weise die Leute bei ihrem Taufnamen ruft, nur von einem Conte Mome1, Conte Zane2, Conte Toni, von einer Contessa Mare3, Contessa Lele4 und Contessa Bare5 gesprochen.
In dem Hause eines solchen Conte war es, wo ich der alten Zanetta gegenüber sass, die spinnend und kopfnickend mir ihre Erinnerungen erzählte. Da war sie als dreizehnjähriges Kind in die Familie gekommen, in der sie jetzt als dreiundachtzigjährige Greisin das Gnadenbrod ass. Ihren Herrn, den Conte Anastasio, der vor einem Jahre als siebzigjähriger Greis gestorben, hatte sie damals auf den Armen getragen, – dessen Mutter, die Contessa Nene6, war damals eben erst seit zwei Jahren verheiratet gewesen und trotz ihrer Jugend eine gar strenge Frau. »Ja, ja, damals hatten die Diener noch Respect vor dem Herrn und der Frau, und wenn sie pfeifen hörten (denn in jener Zeit gebrauchte man noch keine Glocken in den Zimmern), da stürzten sie Alle holterpolter in's Zimmer, – nicht wie jetzt, wo die Magd hereinschleicht, als ob sie der Frau damit eine Gnade erwiese.«
»Damals,« so erzählte Zanetta, während sich ihre bleichen runzlichten Wangen in Erinnerung an die vergangene Herrlichkeit rötheten, »damals konnte der Herr noch den Diener strafen, ohne dass irgend ein Prätor oder sonst ein Beamter sich unberufenerweise hineinmischte. Wenn das heute geschehen wäre, dass man der seligen Lustrissima7 ihr ganzes Silbergeschirr stahl, wie es bald vor siebzig Jahren geschehen, wer weiss, ob nicht der Joso8, der Lump, noch frei ausgegangen wäre, aber so hat er es bitter genug büssen müssen, – unser Herrgott habe seine Seele gnädig.« – Und Signora Zanetta faltete die Hände und schien ein Gebet für den »Joso« zu murmeln, so dass ich sie, so lange sie in ihrer Andacht versunken war, nicht unterbrechen wollte.
»Und wie war denn die Geschichte, Signora Zanetta, mit dem Joso und dem Silbergeschirr und der Lustrissima?«
»So, wissen Sie das nicht? Hier weiss es Jedermann. Das heisst, Jene, die es gewusst haben, sind eigentlich meistentheils todt, ich aber erinnere mich noch gar gut daran. Damals war ich ein junges Ding und eben erst von der Insel Brazza herübergekommen, weil mich die selige Lustrissima als Magd wollte. Ich bin auch seit jener Zeit nicht mehr aus dem Dienste der Familie ……* getreten, und so hat auch mein Herr, der Conte Nico9, als er vor dreissig Jahren starb, es ausdrücklich im Testamente hinterlassen: La Signora Zanetta resta calzata e vestita in casa ……*, monda e netta10. Auch arbeite ich, was ich will, und seit zehn Jahren putze ich nur mehr alle Morgen die Oellampen, denn das jetzige Volk von Mägden ist zu faul und zu schmutzig zu einem solchen Geschäft. Also richtig, dass ich auf den Joso komme, der war damals Knecht beim Conte Nico und wohnte draussen in dem Hause von Lovrett, eine Viertelstunde vor der Stadt auf dem Wege gegen Paludi. Dort hatte er die Felder zu bearbeiten, die auf weit und breit um das Haus herum dem Conte Nico gehörten. Sie gehören auch jetzt noch der Familie ……*«
»Also, die Lustrissima lag in ihrem ersten Kindbett mit dem kleinen Conte Anastasio, den Sie ja selbst noch gekannt haben und der erst im vorigen Jahre gestorben, und weil es schon gegen zwölf Uhr Mittags war, um welche Zeit gewöhnlich die anderen Frauen zur Lustrissima zu Besuche kamen, so hatte ich den kleinen Conte Anastasio, der eingeschlafen war, in seine schöne Wiege gelegt und putzte ein wenig den Staub von den Möbeln des ersten vor dem Schlafzimmer der Lustrissima befindlichen Zimmers. Da ruft die Lustrissima und sagt: »Zanetta, mir kommt vor, als ob ich einen Geruch von Zwiebel verspürte, – war gewiss der Joso draussen im anderen Zimmer?« Der Joso, müssen Sie wissen, ass sehr gerne frische Zwiebel und roch auch gewöhnlich danach. Sag' ich, nein, Lustrissima, der Joso ist noch nicht zum Essen gekommen und in der Küche draussen wird ihm die Minestra kalt. Sagt die Lustrissima: »Ich weiss nicht, aber die ganze verflossene Nacht träumte mir von Melonen, die mir der Joso brachte, das bedeutet einen Diebstahl. Nimm hier die Schlüssel und sieh in der schwarzen Truhe nach, die draussen steht, ob alles Silberzeug da ist.« Sage ich: Ja, Lustrissima! nehme den Schlüssel und will die Truhe aufsperren, da fehlt aber etwas im Schloss und ich kann nicht damit zu Stande kommen. Unterdessen kommt der Conte Nico nach Hause, der lässt den Schlosser holen, und wie der Deckel endlich aufspringt, ist die Kiste leer. Ja, – von Melonen träumen bedeutet immer Diebe im Hause.«
»Der Conte Nico – Gott hab' ihn selig! – läuft selbst gleich zum Municipium und es werden alle Rondari11 avisirt und die Truhen von uns Dienstleuten wurden alle durchsucht, aber es fand sich nichts und die Rondari konnten auch keinem Diebe auf die Spur kommen. Da liess der Conte Nico alle Dienstleute in's Zimmer kommen und wir mussten niederknien und er machte alle Fenster auf. Einer nach dem Andern mussten wir bei offenem Fenster schwören, dass wir es nicht gethan hätten, – und schliesslich sprach Niemand mehr davon.«
»Die Lustrissima aber hatte sich das schöne Silberzeug zu Herzen genommen, wurde schwer krank und lag durch drei Monate im Bette, obwohl man ihr nach und nach mindestens hundertundfünfzig Blutegel setzte und der alte Doctor R., der Grossvater des jetzigen Doctor R., ihr viele Male zu Ader liess. Wie es ihr schon besser geht, – aber noch sehr schwach war sie, – kommen eines Morgens unsere beiden Knechte, die im Hause wohnen, vom Feld herein und mit ihnen drei Rondari. Die tragen etwas in einer Torba12 und wollen mit der Lustrissima sprechen. Der Conte Nico war schon zeitlich Früh nach Castelli geritten und weil die Lustrissima noch so schwach war, so hatte ich gerade ein schönes Stückchen Schöpsenfleisch für sie gebraten, das ich ihr mit einem Glase Vugava13 hineintragen wollte. Wie die Rondari und die Knechte aber hören, dass der Conte Nico nicht zu Hause sei, liessen sie sich schon gar nicht mehr halten und sagten, wenn ich sie nicht hineinführe zur Lustrissima, so würden sie ohne mich zu ihr in's Zimmer gehen; sie hätten etwas, das die Lustrissima zum Lachen bringen würde, und das thäte ihr gewiss besser als alle Medicinen und Blutegel des Doctors.«
»Die Lustrissima hatte uns sprechen gehört und rief mir zu, dass ich die Leute nur hineinführen möchte zu ihr. Wie nun die Knechte in's Zimmer treten, bemerke ich, dass der Eine, der Ive,14 den Griff seines Handjars und auch seine Hände ganz mit Blut beschmutzt hatte, aber ich erschrak nicht, weil ich glaubte, er hätte vielleicht einen Hammel geschlachtet oder sonst etwas. Da traten die Fünfe hin vor das Bett der Lustrissima, und der Ive, der immer gut sprechen konnte, sagt zu ihr: »Gospoja,15 willst Du wissen, wo Dein Silberzeug ist?« Sagt die Lustrissima: »Freilich möchte ich's gerne wissen, aber ich fürchte, das ist schon lange in der Türkei.« Sagt der Ive: »Schau, Gospoja, kennst Du das?« und zog unter der Jacke die grosse silberne Spuckschale hervor, die noch heute drüben beim anderen Silberzeug steht. Dann griffen die Anderen in ihre Jacken und Gürtel, und nach und nach lag das ganze gestohlene Silberzeug auf dem Bette der Lustrissima zu ihren Füssen.«
»Wie das aber Alles ausgebreitet lag, sagt der Ive: »Weisst Du noch, Gospoja, wie wir alle haben bei offenem Fenster schwören müssen? Ich habe damals gar gut gesehen, wer blass geworden ist, als der Conte Nico die Fenster aufmachte. Darum habe ich seit der Zeit dem Joso aufgepasst, und jede Nacht ging ich um Lovrett herum seit dieser Zeit, bis ich einmal ein Licht sah unter den Feigenbäumen vor dem Hause. Da wusste ich, dass ein Schatz in der Erde sein musste, denn das Licht verschwand, sobald ich näher kam. Und als ich heute Nacht wieder um Lovrett herumschlich, da sah ich den Joso mit der Schaufel aus dem Hause treten und gegen die Feigenbäume gehen. Da rief ich schnell meinen Kameraden und auch die drei Rondari, die wir begegneten, und als wir nach Lovrett kamen, da hatte gerade der Joso das ganze Silber ausgegraben und wollte es in's Haus tragen. Wir aber fielen über ihn her und nahmen es ihm weg. Hier hast Du Dein Silber, Gospoja, und da ist noch etwas.« Und wie der Ive das gesagt hatte, griff er in die Torba und zog den Kopf des Joso hervor, den sie ihm abgeschnitten hatten – –«
»Die Lustrissima erschrak zwar, aber sie war eine gar tapfere Frau, – ganz wie ein Mann. Darum beruhigte sie sich bald, liess den Kopf hinaustragen und befahl mir, den Leuten Wein und Brod zu geben, bis der Conte Nico käme. Der war anfangs böse darüber, weil damals schon die Beamten anfingen, sich in Alles hineinzumischen und solche Dinge nicht leiden wollten. Aber er sprach mit den Herren auf dem Municipium, die hatten auch viel zu viel Respect vor der Familie ……*, als dass sie etwas gethan hätten. Und so fragte Niemand mehr danach, der Joso bekam eine schöne Leiche, und das Silberzeug kam auf seinen alten Platz in die schwarze Truhe. Aber für den Joso wird seit dieser Zeit alle Jahre an seinem Sterbetage, als sie ihm den Kopf abschnitten, eine heilige Messe gelesen.«
»Und wann ist die Lustrissima gestorben?« fragte ich.
»Schon vor zwölf Jahren,« sagte Signora Zanetta, indem sie die Spindel zur Erde gleiten liess, andächtig die Hände faltete und für die Lustrissima zu beten schien.
Die Signora Zanetta erzählte mir diese Geschichte genau an dem Tage, als die Schlacht bei Sedan geschlagen wurde, und lebt noch zur Stunde, in der ich dieses schreibe.
Was die Dalmatiner von uns Deutschen sagen und wie sie von uns denken, das lässt sich nicht in wenigen Worten wiedergeben, hauptsächlich schon aus dem Grunde nicht, weil unter dem Worte »Dalmatiner« zwei ganz verschiedene Nationalitäten zu verstehen sind, die einander in der Sprache gar nicht gleichen, während ihre Sitten nur Weniges mit einander gemein haben. In den Küstenstädten Nord- und Mittel-Dalmatiens, in Zara, Sebenico, Spalato, Almissa und Makarska ist die sogenannte bessere Classe, zu welcher sämmtliche »Conti«, die besser gestellte Mittelclasse und verhältnissmässig nur wenige Gewerbetreibende gehören, grösstentheils italienischer Herkunft; man spricht in der Familie italienisch mit venetianischem Dialekt und hat venetianische Sitten und Gebräuche mit einer merkwürdigen Zähigkeit bis auf den heutigen Tag festgehalten. Im Inneren des Landes hingegen, sowie in den südlicher gelegenen Städten Ragusa, Cattaro, Castelnuovo, dann auf den Inseln, herrschen slavische Sprache, Sitten, Gebräuche und Familien-Namen vor. Die Bewohner des inneren Gebirgslandes sind ausschliesslich Slaven.
Im Allgemeinen wird das Cultur-Element durch den italienisch sprechenden Theil der Bevölkerung vertreten, während sich die Dalmatiner Slaven – mit alleiniger Ausnahme der Bevölkerung von Ragusa – noch in einem wenig beneidenswerthen Urzustande befinden. Ich weiss zwar nicht, ob ich es als eine für uns Deutsche beschämende Thatsache erklären soll, aber es steht fest, dass die Dalmatiner Slaven von dem Daheim der Deutschen kaum mehr wissen als vielleicht die Unterthanen Seiner Majestät des Schah's von Persien. Allenfalls hört man von einem Morlaken hin und wieder Bec (Wien) erwähnen, wobei übrigens die Frage nicht selten ist, welche Sprache denn in »Bec« gesprochen werde. Darüber hinaus gehen aber die ethnografischen und geografischen Begriffe eines Dalmatiner Bauers wohl selten.
Anders verhält es sich mit den »gebildeten«, italienisch sprechenden Dalmatinern. Diese haben noch von ihren Vorfahren oder Zwingherren, den alten Venetianern, die ganze Verachtung für die deutschen Barbaren und vielleicht von den modernen Italienern die Unkenntniss der Geografie übernommen, die sie auch je nach den Abstufungen ihrer bessern oder minder guten Erziehung ziemlich unverhüllt zur Schau tragen. Deutsche Beamte sind in Dalmatien sehr selten, die Chefs der Landes-Regierung sind und waren seit vielen Jahren der Militärgrenze oder sonst dem croatischen Stamme entnommen, die Officiere der in Dalmatien liegenden Truppen schliessen sich von dem Verkehr mit den Familien ab oder werden vielmehr zu demselben gar nicht zugelassen: da ist es natürlich, dass man mit dem Ausdrucke »Deutsch« nur einen sehr unbestimmten Begriff verbindet, und es ist mir mehr als einmal vorgekommen, dass in einer der abendlichen »Conversazioni« von einem »Deutschen aus Ungarn« oder einer »Deutschen aus Böhmen« die Rede war, worunter man ungarisch oder czechisch sprechende Leute verstand.
Aber nicht nur Barbaren sind wir Deutsche für die echten Dalmatiner, sondern auch Ketzer. – Ketzer ohne alle Ausnahme. Daher erklärt sich auch das mit einem guten Theil Misstrauen gemischte und etwas zugeknöpfte Benehmen, mit welchem der Deutsche in Dalmatien von dem Eingebornen italienischer Nationalität empfangen und im Umgange behandelt wird.
Man hat viel von den verrotteten, abergläubischen Ansichten der Tiroler gesprochen und als Entschuldigungs- oder Erklärungsgrund den Wall himmelanstürmender Berge angeführt, der Tirol bis vor Kurzem von dem Verkehre mit der Aussenwelt so ziemlich abgeschlossen hielt. Bei den Dalmatinern mag eine ähnliche Ursache die ähnliche Wirkung hervorgebracht haben. Dalmatien liegt eben ausser dem Wege des Völkerverkehrs und die befruchtenden Ideen der Neuzeit haben dort kaum einen schwachen Widerhall gefunden in seinen Bergen, in den dumpfen Häusern seiner alterthümlichen Städte und an seinen einsamen Küsten.
Wer in Spalato während der Sommer-Monate Luft schnappen will, der muss zeitlich aufstehen. Das ist nicht figürlich zu nehmen, sondern wörtlich. Die Tage sind glühend, die Nächte heiss, – aber in den Morgenstunden, allenfalls von vier bis sechs Uhr, da liegt ein prächtiger satter Schatten über der breiten Marine, dem schönen Spaziergange, der sich zwischen den dem Hafen zugewendeten Häusern der Stadt Spalato und dem Meeresufer hinzieht. Das Meer dehnt sich still und glänzend aus bis zu den noch im Schatten liegenden Inseln Brazza und Solta, die Barken am Ufer heben und senken sich in feierlich rhythmischer Bewegung, der feine blaugraue Duft, den man nur am Seegestade findet, mengt sich am weiten Horizont mit den violetten und hellrothen Farben des Himmels, schöne Möven tauchen abwechselnd in die rosige Himmelsgluth und den silberglänzenden Spiegel des Meeres. Weit draussen kommen vielleicht ein Paar Fischerboote heran mit braunrothen lateinischen Segeln, und dann blitzt plötzlich der erste Morgensonnenstrahl über Segel, Inseln, Möven und Meeresspiegel. Dann kriechen wohl einzelne Matrosen aus den Lucken ihrer Fahrzeuge, in denen sie geschlafen, und machen ihre Morgen-Toilette im Meerwasser; Weiber mit grossen Körben auf dem Kopfe bringen Milch und Gemüse zu Markte, im nahen Franziskaner-Kloster läutet es zur Frühmesse, – aber der echte Spalatiner, besonders wenn er ein Conte ist, schläft noch, – lässt sich von den Mücken stechen, deren es in den engen Gassen und Häusern Millionen gibt, und schwitzt seine Morgenträume.
Der alte Conte Lole16 war zwar ein echter Spalatiner, aber heute wich er ab von der Sitte seiner Väter und war schon um fünf Uhr auf der Marine. Er schien auf etwas oder auf Jemanden zu warten, denn er pflanzte sich, so lang er war, mitten hin vor das kleine Sanitätsgebäude und musterte, die Hand als Schutz gegen die eben aufgehende Sonne über die Augen haltend, die am Ufer verankerten Barken. Meinen Gruss erwiderte er als jenen eines alten Bekannten ziemlich flüchtig, freute sich aber doch, wie er sagte, mich so früh auf und wohl zu sehen. »Der Ante Placibat,« hub er an, immer noch mit der Hand über den Augen, »der Ante Placibat ist ein Faulpelz, – ich sehe weder ihn noch die Colombina. Und doch sollte er schon heute Früh von der Brazza gekommen sein, um gleich wieder nach Zara abzufahren. Ich bin nur seinetwegen am diese Stunde aufgestanden, um ihm Einiges mitzugeben für meinen Bruder, den Conte Duje17. Auch weiss er recht gut, dass der Don Beppo eigens seinetwegen heute schon um sechs Uhr in unserer Capelle Messe liest für eine glückliche Fahrt. Ich möchte Nichts sagen, wenn ihm die Messe nichts gelten würde, aber heute sind gerade zwei von den Knechten auf dem Felde, da ist nur die Magd und der eine Knecht bei der Messe und so kann der Kerl als Dritter zu einer giltigen heiligen Messe kommen, weil ich ihn für einen meiner Diener ausgeben kann. Er verdient's aber nicht, der ……!«
Mir war die ganze Geschichte einigermassen unverständlich. Wer ist Ante Placibat und wer die Colombina? Was ist das für eine Messe, die nur für drei Dienstboten gilt, und wem gegenüber will Conte Lole den Ante Placibat, der doch sein Knecht nicht zu sein scheint, für einen solchen ausgeben?
Ich erbat mir von Conte Lole eine diesbezügliche Erklärung, aber in demselben Augenblicke kam ein Mann auf uns zu, der offenbar der ersehnte Ante Placibat sein musste, denn er grüsste schon von Weitem und Conte Lole rief ihm in halb scherzhaftem, halb ärgerlichem Tone einige Flüche in illirischer Sprache zu. Der Mann trug ein Paar weite Beinkleider von Segeltuch, die mit einer rothen Schärpe um die Hüften befestigt waren, eine braune, vorne offene Jacke und einen breiträndigen Strohhut. Sein Anzug und die hellgrauen zusammengekniffenen Augen zeigten deutlich den Seemann. Der Conte Lole, sagte er, möge sich nur nicht ereifern. Die Colombina (und dabei wies er mit dem Daumen über die rechte Schulter) sei bereits um drei Uhr Früh angekommen und vollkommen klar zur Abreise. Wenn der Conte Lole ein wenig weiter gegen das Zollamt gehen wolle, so könne er sie hinter dem grossen Trabakel18 des Padron Ivicich liegen sehen. Auch habe er bereits einen Matrosen mit dem Mozzo19 in das Haus des Conte Lole gesendet, um mitzunehmen, was mitzunehmen wäre. Und wenn der Conte Lole und ich es erlauben, so lade er uns ein, unterdessen, bis die Leute zurückkämen, mit ihm einen schwarzen Kaffee zu trinken, der im Kaffeehause Troccoli ganz vorzüglich wäre. Und dabei machte er eine tiefe Verbeugung vor uns Beiden. Aber der Conte Lole wollte von allen dem nichts wissen, sondern trieb den Ante Placibat an, dass er jetzt gleich mit ihm nach Hause und zur Messe käme. Auch mir, sagte er, könne es nicht schaden, und wenn ich ihn begleiten wolle, so erweise ich ihm eine Ehre, obwohl die Messe für mich nicht giltig sei, denn ich wäre ein Fremder.
Dass die »Colombina« eine Küstenbarke und Ante Placibat deren Commandant (oder um in der Schiffersprache zu sprechen) ihr Padron war, das hatte ich jetzt glücklich erfahren, aber welches Bewandtniss es mit der »giltigen« Messe habe, die für mich nicht galt, blieb mir immer noch ein Geheimniss, das mir der Ergründung werth schien. Ich nahm deshalb die Einladung des Conte an und begleitete ihn durch die noch wenig belebten Gassen der Stadt, während Ante Placibat sich respectvoll immer einen halben Schritt hinter uns hielt.
Spalato ist nicht gross und um es in gerader Linie nach irgend einer Richtung zu durchmessen, benöthigt man kaum mehr als zehn Minuten. Beiläufig so lange brauchten wir auch, um zu dem Hause des Conte zu gelangen, das, wie er mir unterwegs erzählte, bereits seit zweihundert Jahren seiner Familie gehörte. Der Zugang zu demselben war nicht vielverheissend, da wir uns durch ein Gewirr der engsten und finstersten Gässchen durchwinden mussten, bis wir endlich durch einen mächtigen, wahrscheinlich noch von dem Palaste Diocletian's herstammenden Schwibbogen tretend, uns der Behausung des Conte gegenüber befanden.
Ein alterthümliches, roh in Stein gehauenes und mit grellen Farben überklextes Wappen prangte über dem hohen, aber schmalen Thore. Die weite, beinahe vollkommen finstere Vorhalle, die uns nun empfing, entsandte einen eigenthümlich muffigen, mit mephitischen Dünsten gemischten Duft, was auch der Conte zu bemerken schien, denn er murmelte, während wir die Stiege hinaufschritten, etwas über die Nachlässigkeit eines gewissen Sime20, der des Abends das Thor nicht rechtzeitig schliesse und dadurch die Schuld trage, dass sich die ganze Nachbarschaft des Hauseinganges wie eines Anstandsortes bediene. Im ersten Stocke angekommen, traten wir in eine Vorhalle, von der zwei Thüren, wie es schien, in die Wohnzimmer und eine kleinere dritte in die Capelle führte. Der Conte öffnete die Thüre.
Eine merkwürdigere Capelle und eine sonderbarere Versammlung von Andächtigen ist mir wohl niemals vorgekommen. Vor Allem trat uns eine grosse, magere, streng und sauber aussehende Dame in einfachem Hauskleide entgegen, welche durch die nichts weniger als artige Strafpredigt, die sie wegen zu langem Ausbleiben an den Conte richtete, sich als die Contessa kundgab. Als sie meiner ansichtig wurde, verstummte sie, ohne übrigens im Geringsten verlegen zu werden, und erwiderte meinen Gruss ziemlich gemessen, indem sie mir zugleich den Eintritt freigab. Der Thür gegenüber, die in ein schmales, beiläufig vier Klafter langes Gemach führte, stand ein Altar auf rohen, aus Sandstein gemeisselten Säulen. Ober demselben prangte ein aus Holz geschnitzter Heiliger und über demselben ein vergoldetes Osterlamm. Zwei Reihen schmaler Betschemel, die kaum für je zwei Personen Platz boten, liessen einen Gang frei bis zum Altare. Uralte Heiligenbilder, alte Sträusse von künstlichen Blumen und einige Kupferstiche hingen an den Wänden. Auf den Kniebänken der Betstühle sassen vier junge Damen mit glänzenden Augen, höchst derouter Toilette und ungekämmten, aber prachtvoll langen, dunkelschimmernden Haaren; sie kehrten dem Altar den Rücken und schienen sich in zwanglosem Geplauder zu unterhalten. Das waren die jungen Contessen. Ein beiläufig achtzehnjähriger Bursche, der junge Conte, lehnte an der Thüre und sprach mit einem sehr behäbig aussehenden kugelrunden geistlichen Herrn; ein Morlake und eine städtisch gekleidete höchst schlumpig aussehende Magd standen in der einen Ecke. Das war die Versammlung, welche den Conte Lole und mit ihm den Anfang der Messe erwartete.