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Österliche und andere Ergötzlichkeiten - eine kriminalistische Reise in Siziliens Vergangenheit
Vigàta, 1890. Ein mysteriöses Geschehen hält die Bewohner des sizilianischen Küstenstädtchens in Atem: Am Karfreitag, während der Aufführung des Passionsspiels, verschwand auf rätselhafte Weise der den Judas verkörpernde Direktor der örtlichen Bankfiliale. Hat ein Verrückter im religiösen Wahn den Verrat an Jesus Christus gerächt? Oder hat ein verschuldeter Bankkunde die Gelegenheit genutzt, sich des Gläubigers zu entledigen? An phantasievollen Theorien mangelt es nicht, doch als sich die Wahrheit herausstellt, sorgt diese für eine gewaltige Überraschung.
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.
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Seitenzahl: 184
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Weitere Titel des Autors
Über dieses Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
Zitat
1: Wie Patò verschwindet und die Ermittlungen mühselig in Gang kommen
L’Araldo di Montelusa
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
An den Signor Marisciallo der Carabbinera von Vicàta
Anonymer Brief
L’Araldo di Montelusa
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
L’Araldo di Montelusa
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
Provinzialkommando der Königlichen Carabinieri Montelusa – Der Hauptmann und Kommandant
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
L’Araldo di Montelusa
Zitat – Hauswand
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Banca Di Trinacria – Provinzialdirektion Montelusa – Der Direktor
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
Wer hat Antonio Patò gesehen?
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Provinzialkommando der Königlichen Carabinieri Montelusa – Der Hauptmann und Kommandant
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Provinzialkommando der Königlichen Carabinieri Montelusa – Der Hauptmann und Kommandant
Königliches Ministerium des Innern – Der Unterstaatssekretär
La Gazzetta dell’Isola
Königliche Präfektur Montelusa – Der Präfekt
Provinzialkommando der Königlichen Carabinieri Montelusa
Königliches Polizeipräsidium Montelusa
2: Ermittlungen und Hypothesen
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
L’Araldo di Montelusa
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
La Gazzetta dell’Isola
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
Advokat Professor Attilio Locuratolo
Königliche Präfektur Montelusa – Der Präfekt
L’Araldo di Montelusa
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Königliches Ministerium des Innern – Der Unterstaatssekretär
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
L’Araldo di Montelusa
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Bischöfliche Kurie Montelusa
La Gazzetta dell’Isola
Grand Hotel Des Palmes
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Rathaus Vigàta
La Gazzetta dell’Isola
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Sir Michael Christopher Enscher
Königliches Ministerium des Innern – Der Unterstaatssekretär
Zitat – Hauswand
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
La Gazzetta dell’Isola
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Rathaus Vigàta
Provinzialkommando der Königlichen Carabinieri Montelusa
Königliches Polizeipräsidium Montelusa
3: Erstes und zweites Resultat
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
Königliches Polizeikommissarist Vigàta
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Königliches Polizeikommissarist Vigàta
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Brief in Abschrift
An den Signor Maresciallo der Königlichen Carabinieri Paolo Giummàro – Station der Kgl. Carabinieri Vigàta
Prof. Dott. Cav. Emerico Notarbartolo
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
L’Araldo di Montelusa
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Station der Königlichen Carabinieri Vigàta
La Gazzetta dell’Isola
Königliches Ministerium des Innern – Der Unterstaatssekretär
Territorialkommando der Königlichen Carabinieri von Palermo – Der Kommandierende General
Königliches Ministerium des Innern – Der Leiter des Kabinetts s. Exz., Des Ministers
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Königliche Präfektur Montelusa – Der Präfekt
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
L’Araldo di Montelusa
Königliches Polizeipräsidium Montelusa – Der Polizeipräsident
Königliches Polizeikommissariat Vigàta
4: Drittes und letztes Resultat
La Gazzetta dell’Isola
Königliche Präfektur Montelusa – Der Präfekt
Provinzialkommando der Königlichen Carabinieri Montelusa
Königliches Polizeipräsidium Montelusa
Zu Händen von Maresciallo Giummàro Paolo
L’Araldo di Montelusa
Anmerkung
Romane aus der Serie um Commissario Montalbano
Die Form des Wassers
Der Hund aus Terracotta
Der Dieb der süßen Dinge
Die Stimme der Violine
Das Spiel des Patriarchen
Der Kavalier der späten Stunde
Das kalte Lächeln des Meeres
Die Passion des stillen Rächers
Die dunkle Wahrheit des Mondes
Die schwarze Seele des Sommers
Die Flügel der Sphinx
Die Spur des Fuchses
Das Ritual der Rache
Die Tage des Zweifels
Der Tanz der Möwe
Das Spiel des Poeten
Das Lächeln der Signorina
Das Labyrinth der Spiegel
Die Spur des Lichts
Eine Stimme in der Nacht
Das Nest der Schlangen
Das Bild der Pyramide
Einzelbände aus der Serie um Commissario Montalbano
Das Paradies der kleinen Sünder
Die Nacht des einsamen Träumers
Die Rache des schönen Geschlechts
Der falsche Liebreiz der Vergeltung
Der ehrliche Dieb
Weitere Titel
Neuigkeiten aus dem Paradies
Das Netz der großen Fische
Österliche und andere Ergötzlichkeiten – eine kriminalistische Reise in Siziliens Vergangenheit
Vigàta, 1890. Ein mysteriöses Geschehen hält die Bewohner des sizilianischen Küstenstädtchens in Atem: Am Karfreitag, während der Aufführung des Passionsspiels, verschwand auf rätselhafte Weise der den Judas verkörpernde Direktor der örtlichen Bankfiliale. Hat ein Verrückter im religiösen Wahn den Verrat an Jesus Christus gerächt? Oder hat ein verschuldeter Bankkunde die Gelegenheit genutzt, sich des Gläubigers zu entledigen? An phantasievollen Theorien mangelt es nicht, doch als sich die Wahrheit herausstellt, sorgt diese für eine gewaltige Überraschung.
eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.
Andrea Camilleri (1925-2019) ist der erfolgreichste zeitgenössische Autor Italiens und begeistert mit seinem vielfach ausgezeichneten Werk ein Millionenpublikum. Ob er seine Leser mit seinem unwiderstehlichen Helden Salvo Montalbano in den Bann zieht, ihnen mit kulinarischen Köstlichkeiten den Mund wässrig macht oder ihnen unvergessliche Einblicke in die mediterrane Seele gewährt: Dem Charme der Welt Camilleris vermag sich niemand zu entziehen.
Andrea Camilleri
Der zweite Kussdes Judas
Aus dem Italienischenvon Christiane v. Bechtolsheim
Digitale Neuausgabe
beTHRILLED in der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2000 by Arnoldo Mondadori Editore SpA
Titel der italienischen Originalausgabe: »LA SCOMPARSA DI PATÒ«
Originalverlag: Arnoldo Mondadori Editore SpA, Milano
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2003/2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Copyright Cover © corbis/A. Belov
Umschlaggestaltung: Gisela Kullowatz
eBook-Erstellung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-7517-3296-3
be-thrilled.de
lesejury.de
Fünfzig Jahre zuvor war während der Aufführung eines Mysterienspiels, der Passion Christi nach dem Cavalier d’Orioles, Antonio Patò, der den Judas spielte, wie es seine Rolle vorschrieb, in der Versenkung verschwunden. Sie hatte sich ebenso pünktlich aufgetan wie in den mehr als hundert Proben und Aufführungen zuvor. Nur dass (und das gehörte nicht zu der Rolle) von diesem Augenblick an niemand mehr etwas von Antonio Patò sah und hörte. Dieses Ereignis war sprichwörtlich geworden, um das mysteriöse Verschwinden von Personen und Dingen zu bezeichnen.
LEONARDO SCIASCIA, Tote auf Bestellung
Wie Patò verschwindet und die Ermittlungen mühselig in Gang kommen
Redakteur: Pasquale Mangiaforte
Donnerstag, 20. März 1890
PASSIONSSPIEL IN VIGÀTA
Gestern erreichte uns die Kunde, dass die Vorbereitungen zum Passionsspiel, das morgen – am Karfreitag, wie seit zwanzig Jahren Tradition – in Vigàta aufgeführt wird, in vollem Gange sind. Der Aufführung, die um drei Uhr nachmittags beginnt, werden beiwohnen: S. Exz., der Hochwürdigste Bischof von Montelusa, Monsignore Angelo Boscaìno; S. Exz., der Präfekt, Grande Ufficiale Francesco Tirirò; der Questore, Commendatore Liborio Bonafede; der Garnisonskommandant, Oberst Emilio Bousquet; der Kommandant der Königlichen Carabinieri Montelusa, Hauptmann Arturo Carlo Bosisio; der Hafenkapitän, Hauptmann Ortensio Benvenuto; Bürgermeister Cavaliere Antonio Caruana und der gesamte Rat der Stadt. Ein gern gesehener Gast wird Commendatore Gaetano Rizzopinna sein, Abgeordneter der Oppositionspartei. Nicht anwesend sein wird indes der Unterstaatssekretär im Ministerium des Innern, S. Exz., Grande Ufficiale Senator Artidoro Pecoraro, weil er mit Regierungsgeschäften überlastet ist. Schade! Die Bürgerschaft hätte die Gelegenheit wahrgenommen, um sich um ihn zu scharen und ihm für seine beiden neuesten Geschenke zu danken: die Installation der großen Senkgrube und das kommunale Waschhaus.
Man erwartet einen großen Andrang von Zuschauern aus den umliegenden Ortschaften. Für diesen Fall hat Bürgermeister Caruana geeignete Vorkehrungen getroffen, einschließlich Imbiss-Stätten und Latrinen.
Dieses Jahr wurde die große Bühne für das Passionsspiel, erbaut unter Leitung des hervorragenden Zimmermanns Cosimo Vapano, nicht mehr am Fuß der Treppe zur Hauptkirche errichtet, sondern vor dem gegenüberliegenden Palast der Marchesi Curtò di Baucina.
Marchese Simone Curtò gestattet, was von den Bürgern sehr begrüßt wird, die Benutzung von vier der Vorratshaltung dienenden Lagerräumen, deren Türen auf den großen Innenhof des Herrenhauses hinausgehen. In zweien dieser Lagerräume können sich bequem die hundert Komparsen umziehen, die nach Geschlechtern getrennt sind, sodass keine Vermischung derselben zu beklagen sein wird. Die beiden anderen Lagerräume werden der gleichen Verwendung dienen: Hier können sich die verehrten Schauspielerinnen wie auch die werten Schauspieler umkleiden, 22 an der Zahl, unter denen sich die Namen von Honoratioren und ehrbaren Kaufleuten aus Vigàta finden, die schon in der Vergangenheit auf solche Weise ihre tief empfundene Frömmigkeit öffentlich zum Ausdruck gebracht haben.
Der Volksmund heißt den März einen verrückten Monat: Wir wünschen von ganzem Herzen, dass er bis morgen wieder zu Verstand kommen und den Anwesenden einen heiteren Himmel bescheren möge.
An den
Signor Questore
Polizeipräsidium
Montelusa
Vigàta, den 20. März 1890
Tgb.-Nr. 208
Betreff: Verwarnungsermächtigung
Am gestrigen Tage circa um zehn Uhr morgens erschien ein Bote der hiesigen Filiale der Banca di Trinacria, Piazza Grande Nr. 16, und berichtete uns verstört von einem heftigen Streit, der sich im Bureau von Antonio Patò, dem Direktor der o.g. Filiale, abgespielt hat.
Ich begab mich augenblicklich an Ort und Stelle und fand außer Patò in dem Bureau auch den Getreidehändler Gerlando Ciaramiddaro vor, der vor Wut schäumte und noch nicht zufrieden war, dass er alle Unterlagen, die auf dem Schreibtisch des Filialdirektors lagen, auf den Boden geworfen hatte, dem es nicht genügte, dass er die Beine eines Stuhls abgebrochen hatte, der sich nicht damit beschied, mitten ins Zimmer uriniert zu haben, sondern Patò auch noch ein mit Tinte gefülltes Tintenfass ins Gesicht geschleudert hatte und sich gerade anschickte, zu noch schwereren Tätlichkeiten überzugehen.
Ich hielt den Rasenden, der in einem fort Todesdrohungen gegen den Filialdirektor ausstieß, fest und erfuhr von Letzterem, der verständlicherweise sehr erregt war, dass der Streit entstanden sei, weil er Ciaramiddaro den Aufschub der Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von Lit. 280 verweigert habe, das diesem vor nunmehr vierundzwanzig Monaten gewährt worden sei.
Auf den Hinweis, die Banca di Trinacria könne sich keine weiteren Außenstände leisten, die Zahlung sei jetzt fällig, sei Ciaramiddaro aufgesprungen, habe wie ein Irrer geschrien:
»Du wirst gleich sehen, wer hier fällig ist, du Scheißkerl!« und habe dann mit oben erwähntem Vandalismus begonnen.
Nachdem ich Ciaramiddaro scharf gerügt und aus dem Bureau entfernt hatte, bat ich Patò, mir den Vorfall ausführlich darzulegen. Doch er weigerte sich hartnäckig, ging auf mein Drängen nicht ein und versicherte, es sei nicht seine Art, sich über seine Schuldner nachteilig zu äußern.
In der Tat ist Antonio Patò bei den Bürgern Vigàtas wohlgelitten und beliebt, denn er gilt als Mann von großer Redlichkeit, untadeligem Benehmen und gottesfürchtiger Gesinnung.
Nicht von ungefähr nimmt er es, meines Wissens seit vier oder fünf Jahren, auf sich, im »Passionsspiel«, das hier alljährlich aufgeführt wird, die Rolle des Judas zu spielen. Als Buße für seine Sünden bietet er dem Herrn den Hohn und Spott der Zuschauer dar, die der Figur des Verräters Christi Hass und Verachtung entgegenbringen.
Was Ciaramiddaro Gerlando anbelangt: Er ist als gewalttätig und rücksichtslos bekannt, und man munkelt, dass er obendrein dem berüchtigten Mafiachef Calogero Pirrello nahe steht. Dieser ist auf freiem Fuß, weil er in dem Prozess, in dem er wegen dreifachen Mordes angeklagt war, aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde.
Daher ersuche ich den hochwerten Herrn, mich ermächtigen zu wollen, Gerlando Ciaramiddaro wegen seines ständig wiederkehrenden Benehmens, oft Vorbote blutiger Raufhändel, eine Verwarnung zu erteilen.
Der Polizeikommissar
(Ernesto Bellavia)
An den
Signor Marisciallo der
Carabbinera von
Vicàta
Der Unterzeichnete Vasapolli Onofrio genannt Nofriu gebohren in Montirriali wo er immer noch wohnt im Ortsteil Sfirlazza ohne Hausnummer bringt Euch zur Kentnis, das Vasapolli Arturo genannt Tutù seit gestern abend weg ist.
Der ist mein Bruder, der ist 45, und die Herren Ärzte von der Irrenanstalt in Montilusa haben gesagt, das er nach zehn Jaren Anstalt wieder gesund is.
Mit Verlaup, einen Scheißdreck gesund, Ihr müsst wissen, das er jeden Morgen, wenn er zum Kacken in den Weinberg geht, auf ein Weinblatt kakt, und dann nimmt er das mit nach Haus und isst es mit Schafsmilch. Der ist völlig verrückt, das weiß meine arme Frau, die quelt sich nehmlich mit ihm rum, weil er von morgens bis abends keinen Finger rürt, er tut sich nur jede halbe Stunde hinknien und beten und dabei schreit er dermaßen sein mea culpa, das sogar die Hunde erschrecken und weglaufen. Die Doktoren von der Anstalt sagen, das wär ein harmloser religiöser Wahn. Von wegen harmlos!
Tutù ist ja lieb und nett, aber er wird zu einem tollwütigen Hund, wenn er höhrt, wie jemand flucht oder unanstendige Sachen sagt. Neulich hab ich arg fluchen müsen, weil mir ein dicker Stein auf den Fuß gefalen ist, da ist er mir über die Felder hinterhergerannt, mit der gedengelten Sense in der Hand, und hat geschrien, das er mir den Kopf abhaut.
Letzte Woche hat er gehöhrt, das das Pasionspiel in Vicàta aufgeführt werden soll, und da ist er gantz rot geworden und hat gesagt, das der Judas dieses Mal nicht ungeschoren davonkommt und das er ihn bei der Gelegenheit eigenhändig umbringt. Weil Tutù seit gesstern weg ist und heute Nacht nicht heimgekomen ist, hab ich mir gedacht, das er vielleicht nach Vicàta gegangen ist, weil er den Judas umbringen will.
Nur damit wir der Verantwortung enthoben sind, ich und meine Frau Signora Spirticato Rosalia.
Kreutz von Vasapolli Onofrio
X
Ich der Unterzeichnete Mercurio Alfonzo zweiter Bürgermeister von Montereale erkläre, das das Kreutz von dem Analphabeten Vasapolli Onofrio von Vasapolli Onofrio persönlich ist. Gezeichnet
Mercurio Alfonzo
DU
SPIELST
DEN
JUDAS
UND
BIST
SCHLIMMER
ALS
ER
(Text eines anonymen Briefes, bestehend aus schlampig aufgeklebten, aus Zeitungen ausgeschnittenen Buchstaben)
Redakteur: Pasquale Mangiaforte
Freitag, 21. März 1890
(Gewiss findet es bei unseren treuen Lesern Anklang, wenn wir angelegentlich der heutigen Aufführung des Passionsspiels in Vigàta diesen gelehrten Artikel des bekannten Professors und angesehenen Forschers für Volksgebräuche Consolato Federigo veröffentlichen.)
HIRTENSPIEL UND PASSIONSSPIEL
Bei der vor allem bäuerlichen Bevölkerung im westlichen Teil unseres schönen Trinacria erfreuen sich zwei Theaterspiele allenthalben der größten Beliebtheit. Ohne jeden Zweifel ist hier einmal das »Hirtenspiel« zu nennen, das an den Weihnachtsfeiertagen öffentlich aufgeführt wird, und dann das gemeinhin »Passionsspiel« genannte Stück, das in der Karwoche unter freiem Himmel zur Aufführung kommt.
Das »Hirtenspiel«, dessen eigentlicher Titel »Die Emanzipation des Menschen durch Das Wort« lautet, wurde im späten achtzehnten Jahrhundert von dem Kapuzinerpater Fedele Palermo Tirrito aus San Biagio Platani in einem Prolog und drei Akten komponiert. Es fand beim niederen Volk wie beim Bürgertum so großen Anklang, dass es, nach Aussage des Gelehrten Alfonso Zaccaria, sogar ein Dorf gab, das »eine fahrende Lustspieltruppe weit über ein halbes Jahr bei sich beherbergte und den Schauspielern ein kleines Stück Land zusicherte, das sie umstechen und auf dem sie Saubohnen und andere Gemüse anbauen konnten, unter der Bedingung, dass sie allabendlich das Hirtenspiel aufführten (allerdings mit der Auflage, dass der Nardo aus dem Ort stammte)«.
Das Werk hat weitgehend chorhaften Charakter und setzt beim Kampf zwischen Luzifer und dem Engel an: Der eine will die Geburt des Erlösers verhindern, der andere sie mit allen erdenklichen Mitteln begünstigen. Sie sind von zahlreichen Figuren umgeben, doch unter allen ragt der einfältige und komische Schäfer namens Nardo hervor. Man pflegt mit dieser Rolle einen ungeübten Schauspieler zu betrauen, ausgewählt unter jenen, die sich im Dorf durch Bauernschläue hervortun. Die Rolle des Nardo ist also improvisiert und daher stark von der momentanen Laune des jeweiligen Akteurs getragen. Nardo, hat der bereits zitierte Zaccaria vortrefflich geschrieben, »verkörpert den rebellischen Geist des einfachen Publikums, die Revolten gegen die Knechtschaft, den natürlichen Hang zum Spott, zum höhnischen Kontern, zur saftigen Komik«.
So nimmt es nicht Wunder, dass die erheiterndsten Einfälle der ortsansässigen Nardos nicht innerhalb der Dorfgrenzen geblieben sind, sondern von Ort zu Ort weitergetragen wurden, wobei die neuen Ideen das ursprüngliche »Hirtenspiel« verdrängten und es mittlerweile äußerst schwierig ist, die Urfassung von Pater Fedele zu rekonstruieren. Von den verfälschten Szenen, die zum festen Bestandteil des Repertoires wurden, ist jene Szene denkwürdig, in der Nardo, mit künstlichem Bart und in fremdem Rock, vor den Toren Bethlehems auf den Teufel stößt. Et de hoc satis, unsere eigentliche Absicht ist es ja, den Nichtkundigen das »Passionsspiel« zu erläutern, wie es heute aufgeführt wird.
Autor der »Erlösung Adams im Tode Jesu Christi« (in Wahrheit der ursprüngliche Titel dessen, was gemeinhin »Passionsspiel« genannt wird) ist Cavaliere Filippo Orioles. Über diesen Schriftsteller konnte ich nichts in Erfahrung bringen, so viel ich in Büchern und Manuskripten auch gesucht habe. Glücklicherweise wird er im »Palermitanischen Tagebuch« des Marchese Villabianca erwähnt, in einem bisher unveröffentlichten Kapitel, in dem Folgendes nachzulesen ist:
»August 1793. Aus zwei Gründen schreibe ich ausnahmsweislich in diesen Erinnerungen über den Tod eines kleinen Mannes namens Filippo Orioles. Erstens war er ein guter Poet und Stegreifdichter lateinischer Verse, der mit seinen dramatischen Werken seinen Namen in den öffentlichen Buchdruckerpressen hinterlassen und die Passion Jesu Christi zur Aufführung gebracht hat. Zweitens wurde er hundertsechs Jahre alt, was sich bei den Menschen selten ereignet.«
Es bedarf der Erklärung, dass Villabianca, wenn er Orioles einen »kleinen Mann« nennt, sich nicht auf dessen körperliche Erscheinung bezieht, sondern vielmehr auf seine Herkunft, sodass man wohl zu Recht behauptet, Orioles stünde der Titel Cavaliere nicht zu, den er darüber hinaus mit der adeligen Partikel »de« andeutete, die er seinem Nachnamen voranstellte.
Die Tragödie besteht aus drei Akten mit einem Prolog und sieht nicht weniger als 44 Akteure vor, die jedoch, wie der Autor in der gedruckten Ausgabe von 1750 selbst vermerkt, auf 19 beschränkt werden können. Noch nie hat eine Tragödie von sizilianischer Feder bei uns solchen Anklang gefunden wie die »Erlösung Adams«. Weit verbreitet und ungezählt sind die handgeschriebenen Abschriften in ganz Sizilien, die durch grobe Fehler, Possen, willkürliche Interpolationen und Abwandlungen verdorben sind.
Von diesen Abwandlungen mag die erheblichste jene sein, bei der es um den Tod des Judas geht. In der Ausgabe von 1750, die vom Autor an der Buchdruckerpresse hätte geprüft werden sollen, was aber anscheinend unterblieb, wurde Judas’ Tod dem Zuschauer mittels einer Szene nahe gebracht, in der der Verräter ein Seil mit einer Schlinge in der Hand hält und fluchtartig von der Bühne abgeht, um sich zu erhängen, gefolgt von der Hoffnung, der Vergebung, der Reue und dem Glauben. Diese vier Figuren, die Judas’ Geleit bilden, wegzulassen rät der Autor in einer einleitenden Notiz den Theaterregisseuren, nur der Verräter solle von der Bühne geschickt werden. Offenkundig hielt Orioles es für nicht günstig, vor aller Augen eine Erhängung darzustellen, und sei es auch die Erhängung des Judas, und zwar sowohl aus moralischer Sicht (gewiss hätte sich ein Zensor der Kurie darüber empört, und mit Fug), als auch aus praktischer Sicht (da die Gefahr eines tödlichen Unfalls sehr hoch war).
Jedoch erzielte ein derartiger Abgang von der Bühne, obgleich gewürzt mit lautem Wehklagen und verzweifelten Reueschwüren, beim Publikum keine reinigende Wirkung.
So kam jemand auf den Gedanken, es so einzurichten, dass Judas Ischariot, wenn er mit der Schlinge in der Hand an die für den Selbstmord vorgesehene Stelle trat, wo ein künstlicher Baum bereitstand, das Seil an einem Ast festband, den Kopf in die Schlinge steckte und dabei verzweifelt den Teufel beschwor, dass sich die Erde unter seinen Füßen auftun möge. Und genau das geschah zum Entsetzen der Anwesenden, und zwar mithilfe einer eigens eingerichteten Bodenluke, die der Schauspieler selbst zum richtigen Zeitpunkt mit einer kleinen Bewegung des Fußes betätigte. Eine solche bühnentechnische Lösung fand großen Anklang. Und so hat man vor langer Zeit ebendiese für die Aufführungen des »Passionsspiels« in Vigàta gewählt.
Consolato Federigo
Anmerkung
Der Autor, Andrea Camilleri, hat lange gezögert, den Dokumenten diesen Artikel von Professor Consolato Federigo hinzuzufügen. Nicht weil er Unrichtigkeiten enthielte, sondern weil er den Aufsatz von Alfonso Zaccaria recht frei und mit etlichen groben Fehlern zitiert und dabei sogar zwei ganze Seiten plagiiert, die aus der Feder von Giuseppe Pitrè (»Sizilianische Schauspiele und Volksfeste«) stammen. Wir bitten den geneigten Leser, dies zu entschuldigen.
An den
Signor Questore
Polizeipräsidium
Montelusa
Vigàta, den 21. März 1890
Tgb.-Nr. 209
Betreff: Täglicher Bericht
Hiermit wird gemeldet, dass in Vigàta am heutigen Karfreitag, dem 21. März, angelegentlich der Aufführung des Passionsspiels außer den ortsansässigen Bürgern auch circa zweitausend Auswärtige aus den umliegenden Ortschaften auf der Piazza Grande zusammengeströmt sind.
Die Öffentliche Ordnung wurde, dank der unermüdlichen Tatkraft meiner Untergebenen, die sich in aufopfernder Weise eingesetzt haben, dennoch aufrechterhalten.
In Gewahrsam genommen wurden folgende Subjekte, deren Namen und Nachnamen im Anhang stehen.
1) sechs Taschendiebe;
2) neun Personen, die in drei verschiedene Schlägereien verwickelt waren;
3) ein Subjekt, das sich den Hosenlatz geöffnet hatte und verheirateten Frauen, Fräuleins und jungen Mädchen sein erigiertes Geschlecht zeigte. Die Festnahme wurde unverzüglich vorgenommen, nicht nur, um dieser Obszönität ein Ende zu setzen, sondern auch um den Mann vor wütenden Ehegatten, Verlobten und Brüdern zu schützen;
4) drei Subjekte, die sich partout auf die der Obrigkeit vorbehaltenen Plätze setzen wollten;
5) eine Person, die aus vollem Halse »Tod dem König und allen Tyrannen!« schrie;
6) eine weitere Person, die mit lauter Stimme »der Bürgermeister ist ein Scheißkerl!« schrie;
7) ein Subjekt, das hintereinander drei Liter Wein getrunken hatte, sich dann weigerte, die Rechnung zu bezahlen, und, damit nicht genug, auch noch versuchte, das Lokal in Brand zu setzen, was ihm teilweise gelang.
Im Verlauf der oben erwähnten Einsätze erlitten zwei Beamte geringfügige Prellungen und Schrammen.
Schließlich weise ich noch darauf hin, dass ein unbekannter Zuschauer ein Messer, ein so genanntes »liccasapuni«, dessen Klinge eine Elle misst, gegen den Schauspieler geschleudert hat, der als Judas auftrat, in diesem unserem Fall gegen Filialdirektor Antonio Patò. Glücklicherweise hat die Waffe ihr Ziel verfehlt und ist in den Bühnenbrettern stecken geblieben. Die unbedachte Tat gilt jedoch nicht als persönlich gegen Antonio Patò gerichtet, sondern als spontaner Protest eines frommen Gläubigen gegen den Verrat durch Judas.
Der Polizeikommissar
(Ernesto Bellavia)
An
Signor Capitano
Arturo Carlo Bosisio
Kommando der Königlichen Carabinieri
Montelusa
Vigàta, den 21. März 1890
Betreff: Vertraulicher Bericht
Tgb.-Nr. (nicht eingetragen)
Signor Capitano,
zu Ihrer Kenntnisnahme melde ich wie folgt: