34,99 €
Die Deutsche Bank im Wandel der Zeit Seit ihrer Gründung im März 1870 sieht die Deutsche Bank ihren Auftrag darin, Investitionsströme und Handelsbeziehungen Deutschlands mit der übrigen Welt auch in Zeiten politischer und gesellschaftlicher Umbrüche auszubauen. Genau diese Rolle eines der größten Finanzinstitute Europas beleuchten drei renommierte Historiker. Spannend erzählen sie von den ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen anderthalb Jahrhunderte – und was sie für die Deutsche Bank bedeuteten. In den verschiedenen Epochen ihrer 150-jährigen Geschichte sah sich die Deutsche Bank vor zahlreiche Herausforderungen gestellt. Kenntnisreich und lebendig erzählen die Autoren von den Wegen, die das Geldinstitut finden musste, um mit den tiefen Zäsuren der Zeit und unterschiedlichen Anforderungen umzugehen. Mit dem Ersten Weltkrieg endete schlagartig die Phase der ersten Globalisierung.Der überwiegend nationale Rahmen, in den sich die Bank zwischen 1914 und 1989 einordnen musste, endete mit dem Fall der Mauer. Anschließend standen wieder europäische und sogar globale Aspekte im Vordergrund. Die Deutsche Bank wandte sich dem angloamerikanischen Kapitalmarktgeschäft zu – was ein weiteres außergewöhnliches Kapitel in der bewegten Geschichte der Bank bedeutete.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2020
Der Abschnitt »Globalisierung und Krise 1989 – 2020« (Globalisation and Crisis, 1989 – 2020)von Catherine R.Schenk wurde übersetzt von Thorsten Schmidt. Der Originaltext erscheint 2020 bei Bloomsbury, London.
Die Orthographie der zitierten Quellen wurde behutsam an die heutige Schreibweise angepasst.
Mit 218 Abbildungen, 34 Graphiken
sowie 22 Tabellen.
Besuchen Sie uns im Internet: www.ullstein-buchverlage.de http://www.ullstein-buchverlage.de
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
Impressum
Vorwort
Einleitung
IM ZEITALTERDER ERSTEN GLOBALISIERUNG1870 – 1914
WERNER PLUMPE
I. Die Gründung der Deutschen Bank und die Anfänge des Geschäfts 1870 – 1875
1. Gründerjahre
2. Die Idee einer deutschen Bank für den Welthandel
3. Von der Idee zur Initiative
4. Patriotische Phantasien?
5. Die Gründung
6. Verwaltungsräte und »einfache Commis«
7. Die Anfänge der Außenhandelsfinanzierung und des überseeischen Geschäfts
8. Anfänge des Inlandsgeschäfts
9. Krise, Revolte und Übernahmen
II. Konsolidierung in schwieriger Zeit: Die Ära Wallich 1876 – 1887
1. Die Folgen des Gründerkrachs
2. Die Tücken des Alltags
3. Amerika
4. Emissionsgeschäfte
III. Expansive Jahre: Die Ära Siemens 1887 – 1900
1. Das Ende der Depression und der Übergang zur Hochkonjunktur
2. Das Normalgeschäft
3. Der Ausbau der Präsenz im In- und Ausland
4. Große Projekte
5. Die Anatolische Eisenbahn
6. Industriefinanzierung im Inland
7. Das Engagement der Banken in der Kritik
IV. Auf der Schiene des Erfolgs: Die Ära Gwinner 1901 – 1914
1. Im wilhelminischen Wirtschaftswunder
2. Globale Perspektiven
3. Glanz und Elend des Amerikageschäfts
4. Die Bagdadbahn
5. Die Steaua Română
6. Marokko
7. Nichts als Ärger an der Wien und nur gute Geschäfte an der Limmat
8. Der »Fürstentrust«
9. »Eisen im Feuer«
V. Der Konzern: Organisationsstrukturen, Personalentwicklung und regionale Gestalt 1870 – 1914
1. Organisation
2. Personal
3. Kopf und Glieder: die Regionalstruktur der Deutschen Bank
VI. Vom Störenfried zum Platzhirsch: Die Deutsche Bank in Politik und Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg
1. Politische Prägungen
2. Die Deutsche Bank und die internationale Finanzdiplomatie
3. Währungs-, Handels- und Finanzpolitik
4. Die Deutsche Bank in der wilhelminischen Gesellschaft
Bilanz: Die Deutsche Bank 1870 – 1914
ZWISCHEN STAAT UND MARKT 1914 – 1989
ALEXANDER NÜTZENADEL
Einleitung
I. Das Ende der Weltwirtschaft: Krieg, Revolution und Inflation
1. Verlust des Auslandsgeschäfts
2. Auf tönernen Füßen: Kriegsfinanzierung und Staatsanleihen
3. Der Weg in die Fläche
4. Revolution und Inflation
5. Prekäre Internationalisierung
6. Konsolidierung und Konzentration
II. Zeitalter der Extreme: Krise, Diktatur und Expansion
1. Die Bankenkrise von 1931
2. Die Bank im Nationalsozialismus
3. Großraumwirtschaft
4. Überlebensstrategien
5. »Kommerzielle und moralische Schuld«
6. Rückkehr zum Weltmarkt
III. Deutschland AG: Rheinischer Kapitalismus und Weltmarkt
1. Structure follows strategy?
2. Die Mühen der Ebene
3. Der Konzern in der Gesellschaft
4. Euromarkt und internationales Finanzgeschäft
5. Staatsfinanzierung und internationale Schuldenkrise
6. »First class or no class«. Auf dem Weg zur globalen Investmentbank
GLOBALISIERUNG UND KRISE 1989 – 2020
CATHERINE R. SCHENK
I. Der Erwerb von Morgan Grenfell
1. Erste Schritte 1983 – 1987
2. Die Verhandlungen
3. Die Übernahme von Morgan Grenfell: die Entscheidung fällt
4. Mauern errichten
5. Fazit
II. Der Aufbau der Investmentbank 1991 – 1998
1. Skandale auf dem Heimatmarkt: die Metallgesellschaft und Schneider
2. Erste Initiativen im Investment Banking 1991 – 1993
3. Der Weg nach Madrid 1994
4. Der Aufbau von Deutsche Morgan Grenfell 1995 – 1996
5. Die Transformation von Deutsche Morgan Grenfell 1996 – 1998
6. Enttäuschung und erneute Restrukturierung 1997– 1998
7. Krise und weitere Restrukturierungen
8. Fazit
III. Der Erwerb von Bankers Trust 1999
1. Die richtige Strategie: wachsen, ausbauen oder kaufen?
2. Die Auswahl eines Übernahmeziels
3. Krise und neue Gelegenheiten
4. Ein neuer Anlauf
5. Die Übernahme von Bankers Trust: die letzten Hürden
6. Fazit
IV. Die gescheiterte Fusion mit der Dresdner Bank 1999 – 2000
1. Der erste Versuch
2. Der zweite Versuch
3. Das Vorhaben scheitert
4. Fazit
V. Die Privatkundenbank: Aschenputtel oder gute Fee?
1. Die Integration des ostdeutschen Bankwesens
2. Die Neuordnung des Privatkundengeschäfts in Deutschland
3. Der Einstieg ins Direktbankgeschäft: die Bank 24
4. Expansion im Inland: Berliner Bank und Norisbank
5. Die Einführung des Euro
6. Die europäische Retail-Strategie der Deutschen Bank
7. Die Übernahme der Postbank
8. Fazit
VI. Der Weg bis 2007
1. Der Aufbau des Handelsgeschäfts in den USA
2. Strukturelle Veränderungen: Neuausrichtung des Investment Banking
3. Der Verkauf des Tafelsilbers
4. Der Aufstieg der globalen Investmentbank 2001 – 2004
5. In Erwartung des Abschwungs 2005 – 2007
6. Fazit
VII. Die Weltfinanzkrise 2008 – 2012
1. Geschäftsentwicklung während der Krise
2. Hypo Real Estate
3. Projekt Erasmus: ABN AMRO und Fortis
4. Ärger an der Spitze: die lange Ära Ackermann
5. Die griechische Staatsschuldenkrise
6. Das Ende der Ära Ackermann
VIII. Erneute Krise 2012 – 2020
1. Anshu Jain und Jürgen Fitschen 2012 – 2015
2. Juristische Probleme I: LIBOR
3. John Cryan und Jürgen Fitschen 2015 – 2017
4. Juristische Probleme II: RMBS und Devisengeschäfte
5. Geschäftsentwicklung 2012 – 2018
6. Christian Sewing 2018 – 2020
ANHANG
Anmerkungen
Abkürzungsverzeichnis
Quellenverzeichnis und genutzte Archive
Literaturverzeichnis
Personenregister
Institutionen- und Ortsregister
Bildnachweis
Wenn wir in diesem Jahr 150 Jahre Deutsche Bank feiern, dann schauen wir auf eine äußerst bewegte Geschichte zurück. Sie begann mit der Gründung im ersten Stock eines unscheinbaren Hauses in der Französischen Straße in der Mitte Berlins. Sie schließt zwei Weltkriege und fast ein halbes Jahrhundert ein, in dem die Deutsche Bank sich auf den nationalen Markt konzentrieren musste. Und sie umfasst das vorerst letzte Kapitel, in dem sich unsere Bank wieder global etabliert hat.
Analysen über unsere Geschichte gibt es viele, über kaum ein anderes Unternehmen in Deutschland wurde und wird mehr geschrieben. Auch wir selbst haben uns mehrfach mit unserer Historie auseinandergesetzt. So zum Beispiel zu unserem 125-jährigen Firmenjubiläum vor 25 Jahren, als wir als erster deutscher Konzern unsere Verantwortung in der Zeit des Nationalsozialismus umfassend aufgearbeitet haben.
Warum also braucht es nun ein weiteres Buch?
Es hat viel mit unserer Rolle und unserem Selbstverständnis zu tun. Die renommierten Historiker Werner Plumpe (Goethe-Universität Frankfurt am Main), Alexander Nützenadel (Humboldt-Universität Berlin) und Catherine R. Schenk (University of Oxford) haben die 150-jährige Entwicklung anhand der verschiedenen Phasen der Internationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft analysiert. Ein Ansatz, der für die Deutsche Bank aktueller nicht sein könnte. Wir sehen auch heute noch unsere Bestimmung darin, heimischen Unternehmen Investitionen und Handel weltweit zu ermöglichen – als ihre globale Hausbank. Schon das erste Statut der Bank vom März 1870 hob diese große Bedeutung des Auslandsgeschäfts hervor: Der Geschäftszweck sei »insbesondere Förderung und Erleichterung der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland, den übrigen Europäischen Ländern und überseeischen Märkten«.
Entsprechend baute die Deutsche Bank ihr internationales Geschäft von Anfang an konsequent aus. Sie eröffnete bereits in den ersten Jahren Filialen im japanischen Yokohama, in Schanghai und in London. Die internationale Expansion war erfolgreich. Im Frühjahr 1914 bezeichnete die Frankfurter Zeitung die Deutsche Bank als »größte Bank der Welt«. Wie kaum ein anderes Finanzinstitut hatte sie von der Globalisierung profitiert und diese zugleich vorangetrieben. Diese erste Phase von der Gründung 1870 bis 1914 beschreibt Werner Plumpe eindrucksvoll. Er verdeutlicht besonders gut, wo die Wurzeln, die Stärken der Deutschen Bank liegen – und zwar im Geschäft mit Unternehmen. Es ist also genau jener Bereich, den wir im vergangenen Jahr mit unserer neuen Strategie wieder ins Zentrum unserer Bank gestellt haben.
Man kann sich nur vage vorstellen, welch anderen Verlauf nicht nur die Geschichte unseres Landes, sondern auch unserer Bank genommen hätte, wenn von Deutschland nicht zwei Weltkriege ausgegangen wären. Mit dem Ersten Weltkrieg brach auf einen Schlag ein Großteil der internationalen Kundenbeziehungen ab, die deutsche Industrie musste sich wieder viel stärker national orientieren – und so auch ihre größte Bank.
Die Geschichte der Deutschen Bank ist also sehr eng verflochten mit der Deutschlands und Europas. Die lange Zeit der Nationalisierung hat die Bank bis Ende der 1980er-Jahre geprägt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs haben wir zwar am Wirtschaftswunder teilhaben dürfen und es mitgestaltet. Aber obwohl Europa stärker zusammenwuchs, blieben Bankgeschäfte eine weitgehend nationale Angelegenheit. Nicht durch Zufall haben wir unsere internationale Expansion erst wieder erheblich beschleunigt, als sich der Eiserne Vorhang öffnete. Auch wenn die geopolitischen Rahmenbedingungen die Möglichkeiten lange Zeit begrenzten: Den Anspruch einer globalen Hausbank hat die Deutsche Bank nicht aufgegeben, wie Alexander Nützenadel im zweiten Teil des Buches beschreibt.
Es ist dieser Anspruch, der nach dem Mauerfall eine erneute Welle der Internationalisierung der Deutschen Bank einleitete. Mit der Übernahme der britischen Merchant Bank Morgan Grenfell begann eine Expansion ins globale Kapitalmarktgeschäft, um den wachsenden Bedürfnissen der heimischen Konzerne gerecht zu werden
Diese Entwicklung, das beschreibt Catherine R. Schenk im dritten Teil des Buches ausführlich, war keineswegs geradlinig. Sie brachte zwar Erfolge, aber auch schwere Rückschläge mit sich. Fehlende Kontrollen und übertriebener Wachstumsdrang führten gerade im Vor- und Umfeld der Finanzkrise zu Verwerfungen und Fehlentwicklungen, für die wir hohe Vergleichszahlungen und manchmal auch Strafen bezahlen mussten. Wir haben unsere Lehren aus den Übertreibungen gezogen und in den vergangenen Jahren unter anderem die Kontrollen in allen Bereichen massiv verschärft. Außerdem haben wir uns als Bank Anfang 2017 offiziell entschuldigt.
Richtig ist aber auch: Nur durch die Expansion seit 1989 sind wir auch heute noch eine der wenigen europäischen Banken mit globalem Netzwerk. Wir sind der weltgrößte Abwickler von Euro-Transaktionen und der größte Dollar-Abwickler außerhalb der Vereinigten Staaten. Wir haben eine einzigartige globale Infrastruktur, die uns von allen anderen deutschen und europäischen Banken unterscheidet. Das macht uns für nahezu alle international agierenden Konzerne in Deutschland zu einem natürlichen, verlässlichen und vielseitigen Partner.
Die Geschichte zeigt: Die vergangenen Jahre waren nicht die schwierigsten der Deutschen Bank. Diese großartige Institution hat schon schwere Krisen bewältigt. Und eins hat sie immer wieder ausgezeichnet: ihre Widerstandskraft. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Bank einfacher, sicherer und robuster gemacht, kurzum: Wir haben kräftig aufgeräumt. Jetzt sind wir wieder in der Lage, nachhaltig und erfolgreich zu wachsen. Unsere Strategie, die wir im Sommer 2019 verkündet haben, baut auf unseren Wurzeln auf. Und auf das, was Generationen von Menschen, die für unsere Bank arbeiteten, geschaffen haben: Seit 150 Jahren verbinden wir Welten, um Menschen und Unternehmen dabei zu helfen, ihre Pläne umzusetzen und ihre Ziele zu erreichen. Wir sind und bleiben die globale Hausbank. Und unser Anspruch ist es, einen positiven Beitrag zu leisten – für unsere Kunden, die Mitarbeiter, die Wirtschaft und die Gesellschaft.
Für das vorliegende Buch hat die Deutsche Bank den Autoren die Türen zu ihrem firmeneigenen Archiv erneut weit geöffnet. Ihnen ist es mit diesem Buch gelungen, unser Haus aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Dabei haben sie wissenschaftlich unabhängig gearbeitet. Insofern stellen ihre Analysen nicht zwingend die Meinung unserer Bank dar – laden aber umso mehr zu Reflexion und Diskussion ein.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und inspirierende Erkenntnisse.
Frankfurt am Main, im Januar 2020
Ihr
Christian Sewing
Vorsitzender des VorstandsDeutsche Bank AG
Die Deutsche Bank, die 2020 ihr 150. Gründungsjubiläum begeht, kann auf eine Geschichte zurückblicken, die stark von internationalen politischen und wirtschaftlichen Ereignissen sowie von der wechselhaften Entwicklung Deutschlands geprägt wurde. Sie hat zwei Epochen der Globalisierung – im 19. wie im späten 20. Jahrhundert – erlebt. Sie hat aber auch den wirtschaftlichen Protektionismus der Zwischenkriegszeit, die NS-Diktatur, zwei Weltkriege und zahlreiche Auf- und Abschwünge in den weltwirtschaftlichen Beziehungen erfahren und sich ihnen angepasst. Schließlich haben das rasche Wachstum der deutschen Wirtschaft nach 1945 und Deutschlands Platz in Europa die Bank ebenso geformt, wie sie auch selbst diese Entwicklungen beeinflusst hat.
1870 in Berlin während des Gründerbooms entstanden, wurde die Deutsche Bank groß in der ersten Phase der Globalisierung vor dem Ersten Weltkrieg. In dieser Zeit folgte sie dem deutschen Handel und der innovativen und erfolgreichen Industrie auf die ausländischen Märkte. Da in Deutschland das Modell der Unternehmensfinanzierung durch Banken verbreiteter war als die direkte Kapitalmarktfinanzierung, ergaben sich für die Deutsche Bank Möglichkeiten, am industriellen Wachstum der deutschen Wirtschaft unmittelbar teilzuhaben. Auf dem Höhepunkt der Globalisierung zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Deutsche Bank in die Rolle einer globalen Hausbank der deutschen Industrie und des deutschen Handels hineingewachsen. Die Bezeichnung »Hausbank« beschreibt eine enge und vorrangige, wenn nicht sogar ausschließliche Beziehung zwischen einem Unternehmen und dessen Bank, die ihm die gesamte Palette an Finanzdienstleistungen bereitstellt. Im deutschen Fall wurde diese enge Verbundenheit dadurch verstärkt, dass Banken an Industrieunternehmen beteiligt und in deren Aufsichtsräten vertreten waren.
Der Erste Weltkrieg und die drei ihm folgenden Jahrzehnte voller Unruhe und Gewalt zerstörten weitgehend das von Anfang an internationale Geschäftsmodell der Deutschen Bank. Die Folgen der deutschen Niederlage von 1918 wurden nun rasch für die Bank deutlich: Plötzlich hatte sie einen Großteil des internationalen Geschäfts sowie der internationalen Filialen und Beteiligungen verloren, aber es kam auch im heimischen Kapitalmarktgeschäft zu einem erheblichen Substanzverlust. Der Aufstieg des Nationalsozialismus sowie die erneuten Spannungen zwischen Deutschland und seinen europäischen Nachbarn führten dazu, dass diese Verluste nicht nur kurzfristig auf den Krieg und dessen unmittelbare Folgen beschränkt blieben. Vereinzelte Versuche während der Zwischenkriegszeit, im internationalen Geschäft erneut Fuß zu fassen, konnten nicht kontinuierlich weiterverfolgt werden, und so blieben die Aktivitäten der Bank unter der nationalsozialistischen Diktatur und im Zweiten Weltkrieg weitgehend auf den deutschen Herrschaftsraum beschränkt.
Aus der globalen Hausbank der Jahre vor 1914 wurde eine vornehmlich auf den Inlandsmarkt zurückgeworfene deutsche Universalbank. Politik spielte nun für das Geschäft der Bank zunehmend eine größere Rolle und wurde während der NS-Zeit für ihre Strategie zur Bestimmungsgröße schlechthin. Als das führende Finanzinstitut Deutschlands war die Deutsche Bank in die nationalsozialistische Kriegswirtschaft eingebunden. Sie kollaborierte mit dem Regime und kam mit dessen Verbrechen in Berührung.
Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte an die älteren Traditionen aus der Zeit vor 1914 nicht nahtlos angeknüpft werden. Die politische und wirtschaftliche Teilung Deutschlands durch die Besatzungsmächte schnitt die Bank von ihrem Ursprungsort Berlin ab. In den Westzonen zerschlug die amerikanische Besatzungsmacht die Konzernstrukturen der großen Banken, da diese aus ihrer Sicht mit der Rüstungs- und Kriegspolitik des »Dritten Reichs« zu eng in Verbindung gestanden hatten. Zugleich ging es den Amerikanern aber auch um eine Belebung des Wettbewerbs im Bankensektor. Die drei Berliner Großbanken – neben der Deutschen Bank waren dies die Dresdner Bank und die Commerzbank – wurden daher in zahlreiche kleinere Regionalinstitute zerschlagen. Im beginnenden »Wirtschaftswunder« gelangten diese Banken zwar regional rasch wieder zu großer Bedeutung, doch erst 1957 gelang es, die Nachfolgeinstitute als Deutsche Bank an dem neuen westdeutschen Bankenplatz in Frankfurt am Main wieder zu vereinen.
Nun war allerdings das Geschäftsmodell der Deutschen Bank nach 1957 ein anderes als das vor 1914. Eine internationale Infrastruktur der Bank gab es nicht mehr; die Expertise der Bankmitarbeiter konzentrierte sich auf das Inlandsgeschäft und die Industriefinanzierung über Kredite; die andauernde Schwäche des deutschen Kapitalmarkts in den 1950er-Jahren ließ die Finanzierung der Industrie durch Kapitalmarktprodukte, die im Kaiserreich hervorragend funktioniert hatte, nicht zu. All dies erschien im Grunde nicht so wichtig, gemessen an der Stabilisierung und dem Ausbau guter Beziehungen zu den großen industriellen Kunden, deren Außenhandel ebenso begleitet wie ihr Investitionsbedarf durch feste Hausbankbeziehungen gedeckt wurde. Hinzu kamen aus unterschiedlichen Gründen der Aufbau dauerhafter Beteiligungen der Finanzwirtschaft an der Industrie und Überkreuzverflechtungen zwischen Banken und Versicherungen. In dieser später sogenannten Deutschland AG war die Deutsche Bank neben der Dresdner Bank, der Allianz oder der Münchener Rück zweifellos einer der wichtigsten Akteure und blieb es letztlich bis in die 1990er-Jahre.
Die Verwerfungen der ersten Jahrhunderthälfte und die spezifischen Bedingungen des westdeutschen Wiederaufbaus erforderten Änderungen in der Geschäftsstrategie der Bank. Dabei ging es weniger um deliberative Entscheidungen oder gar strategische Weichenstellungen der Spitze der Bank, auch wenn deren Handeln von großer Bedeutung war. Im Kern ging es jeweils um das unternehmerische Nachvollziehen letztlich politisch geschaffener Marktbedingungen, in deren Folge sich die Handlungsmöglichkeiten der Bank nach 1914 sukzessive verengt hatten. Das war, insbesondere im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht erfolglos, und insofern sah sich die Bank zu ihrem einhundertsten Geburtstag 1970 durchaus zu Recht an der Spitze des Finanzsystems eines der wirtschaftlich bedeutendsten Länder der Welt. Doch die mit den mehrfachen Änderungen des eigenen Profils verbundenen Risiken und Nachteile wurden spätestens mit der Öffnung der Weltwirtschaft im Zuge der zweiten Globalisierung seit den 1980er-Jahren offenkundig.
Angesichts des Strukturwandels der globalen Finanzmärkte einerseits und des Auslaufens des industriellen Booms in den 1970er-Jahren andererseits gewannen die internationalen Märkte immer mehr an Gewicht. Dies geschah zunächst einfach vom Volumen her infolge der Geld- und Kapitalströme, etwa durch Euro- und Petrodollars, dann angesichts der stagnierenden oder doch nur mäßig wachsenden Ertragschancen im herkömmlichen Geschäft der Handels- und Industriefinanzierung. Schließlich kam hinzu, dass viele große Unternehmen im Kontext der sich verschärfenden globalen Konkurrenz restrukturiert werden mussten, wodurch die Kapitalmärkte stark aufgewertet wurden. Erst nach und nach wurde auch klar, dass dieser erneute Wandel hin zu einer offenen, globalen Ökonomie, die nicht mehr bei den jeweiligen nationalen Besonderheiten verharrte, gravierende Änderungen für das Geschäft der Bank notwendig machen würde. Anfangs scheute man in der Deutschen Bank – wie generell in der europäischen Finanzwelt – eine offensive internationale Expansion auch deshalb, weil die kriegsbedingten Verluste im Auslandsgeschäft noch bei vielen Akteuren fest im Bewusstsein verankert waren. Erst nach und nach stellte sich das Haus darauf ein, den globalen Finanzmärkten mit eigenen strategischen Entscheidungen und Weichenstellungen zu begegnen – Maßnahmen, die zwar keine Wiederherstellung des Zustands vor 1914 nach sich zogen, aber doch darauf hinausliefen, an das ursprüngliche Modell einer führenden, international agierenden Großbank anzuknüpfen und das durch eine entsprechende Präsenz sowie ein umfangreiches Netzwerk an Korrespondenzbanken, Repräsentanzen, Filialen und Tochtergesellschaften auch deutlich sichtbar zu machen.
Nur war das alles leichter gesagt als getan. Zwar verfügte die Bank – nicht zuletzt wegen ihrer starken Stellung in der »Deutschland AG« – über eine große Ertragskraft und besaß gewaltige Reserven (inklusive der umfangreichen Industriebeteiligungen), aber der internationale Kompetenzverlust nach 1914 und die im Wiederaufbau typischen Spezialisierungen von Organisationsstruktur und Personalprofil waren keine sonderlich guten Vorbedingungen, um kraftvoll auf das umkämpfte internationale Parkett zurückzukehren. Die globalen Finanzmärkte wurden dominiert von einer kleinen Anzahl leistungsfähiger und hochkompetitiver Finanzunternehmen, insbesondere amerikanischen Investmentbanken, die groß geworden waren, nachdem die Trennbankengesetzgebungvon 1933 in den USA das Geschäft mit Privatkunden vom Investment Banking separiert hatte. Diese Banken konnten sich vor allem dank des raschen Wachstums des Wertpapierhandels in den 1980er-Jahren bestens entwickeln. Die Zugangsbarrieren für Nachzügler waren hoch, erst recht für eine Bank, die derartige Geschäfte lange eher nebenbei betrieben hatte.
Die Deutsche Bank stand daher vor der Aufgabe, sich überhaupt erst einmal an den internationalen Finanzplätzen etablieren zu müssen, wo sie bisher nur schwach vertreten war. Es war schon bald klar, dass die bestehenden organisatorischen und personellen Ressourcen für die internationale Expansion der Bank und ihre Rückkehr auf die großen Finanzmärkte der Welt nicht genügen würden. Das galt vor allem für den notwendigen Ausbau des internationalen Kapitalmarktgeschäfts, bei dem jetzt das amerikanische Investment Banking als weltweiter Maßstab diente.
Folgerichtig kam es seit dem Ende der 1980er-Jahre zu einer forcierten internationalen Expansion der Bank durch Akquisitionen, indem zum Teil die Erträge aus der sukzessiven Auflösung der »Deutschland AG« genutzt wurden, um zunächst in London, später in New York und schließlich weltweit zu expandieren. Auf diese Weise gelang es ihr, zu einem führenden europäischen Akteur des Investment Banking, insbesondere des Wertpapier- und Derivategeschäfts, aber auch des Devisenhandels zu werden. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten schien diese Strategie, zumal im Boom der Finanzmärkte vor der Krise 2007/08, derart erfolgreich, dass sie das Gesicht und Wesen der Bank dramatisch veränderte.
1989, nach der Übernahme von Morgan Grenfell, wurde London – wie übrigens vor 1914 – zur wichtigen Schaltstelle der Bank und Sitz der neuen Investmentbankaktivitäten. Auch New York, wo die Bank bis zum Ersten Weltkrieg durch zahlreiche Kooperationen und befreundete Banken vertreten gewesen war, entwickelte sich – nach dem Erwerb von Bankers Trust 1999 – zu einem zentralen Ort des nunmehr in der Tat wieder globalen Finanzkonzerns und katapultierte die Deutsche Bank in die Spitzengruppe der globalen Banken. Der Boom der Finanzmärkte nach der Jahrtausendwende war hierbei Fluch und Segen zugleich: Segen, weil er der globalen Expansion ein überaus günstiges Umfeld schuf; Fluch, weil er den Wettbewerb der führenden Institute derart verschärfte, dass zunehmend riskante Strategien auf der Suche nach höheren Renditen und Wachstum verfolgt wurden, die schließlich maßgeblich zu aufgeblähten Bilanzen und undurchsichtigen Risikostrukturen beitrugen.
Zugleich wurde damit die Rolle der Investmentbanker, die seit den 1990er-Jahren in Heerscharen zur Bank gekommen waren, strategiebestimmend. In einem von scharfer Konkurrenz gekennzeichneten Umfeld waren die Mitarbeiter und ihre Fähigkeiten, wettbewerbsfähig und innovativ zu sein und Kunden zu gewinnen, der eigentliche Aktivposten der Bank. Im Investment Banking erforderte dies, die Kriterien für Anreize und Vergütungen zu ändern, was kurzfristiges Denken verstärkte und maßgeblich zur Überhitzung des Geschäfts beitrug – eine Strategieverschiebung, deren Folgen die Spitze der Bank in Frankfurt nicht kontrollieren konnte. Solange die Ergebnisse für die Aktionäre stimmten, schien das indes hinnehmbar, ja wünschenswert zu sein. Aber die rasche Ausdehnung des Geschäftsumfangs und der Größe der Bank erhöhten die Anforderungen an das Management und verursachten operationelle Risiken, die sich rasch zeigten, als das Wachstum der Finanzmärkte abrupt endete.
Aufgrund der komplexen Verflechtung der Wertpapierverbriefung, die die globalen Investmentbanken seit den 1990er-Jahren entwickelt hatten, führte das Platzen der Immobilienblase 2007/08 in den USA zu krisenhaften Kettenreaktionen im weltweiten Finanzsystem. Zunächst schien die Deutsche Bank, verglichen mit anderen großen Häusern, dabei sogar noch einigermaßen glimpflich davonzukommen. Doch die Krise offenbarte, auf welche Weise die Bank ihre Unternehmenssteuerung und ihre operationellen Systeme überstrapaziert hatte. In den zehn Jahren nach der Krise kämpfte sie damit, sich neu zu erfinden und wieder stetige Gewinne zu erwirtschaften. Das führte schließlich zu einem Rückzug aus dem globalen Aktienhandel und einer Strategieänderung hin zur globalen Hausbank mit einer erneuerten Betonung des Firmenkunden- und Transaktionsgeschäfts und der Vermögensverwaltung.
Die Geschichte der Deutschen Bank zeigt freilich, dass sie mit derartigen Herausforderungen nicht das erste Mal konfrontiert ist. Schon in den umfangreichen Berichten der Berliner Finanzjournalisten zum 25-jährigen Bestehen der Bank 1895 war zu lesen, dass keineswegs alle Projekte der Bank reibungslos gelaufen waren, der Vorstand aber wiederholt Wege gefunden hatte, aus seinen Fehlern zu lernen; auch besaß die Bank genügend Substanz, um durchaus schmerzhafte Abschreibungen vorzunehmen. Die Bankenkrise zu Anfang der 1930er-Jahre traf das Unternehmen zum Beispiel heftig. Im Unterschied zu anderen Instituten konnte es sich jedoch relativ schnell von der Krise erholen und musste nur in geringem Umfang staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. Während des »Dritten Reichs« erwies sich dies als Vorteil und ermöglichte der Deutschen Bank ein höheres Maß an Autonomie, als dies etwa bei der Dresdner Bank der Fall war. Im Mai 1945 stand sie gleichwohl vor dem Nichts, ein Schicksal, das sie mit der gesamten deutschen Wirtschaft teilte. Doch auch dieses Mal gelang es, die verbliebenen Kräfte zu mobilisieren und dank der zweifellos günstigen Umstände des »Wirtschaftswunders« den Weg zurück an die Spitze der deutschen Finanzwelt zu finden. Die Widerstandsfähigkeit, die die Bank in den Nachkriegsjahren bewiesen hatte, sollte im folgenden Jahrhundert jedoch auf eine harte Probe gestellt werden.
Die Geschichte der Bank war und ist insofern alles andere als eine simple Erfolgsgeschichte, und so ist sie auch in den Darstellungen zu früheren Jubiläen nicht erzählt worden, auch wenn jede Zeit diesen Darstellungen ihren Stempel aufgedrückt hat. Die Jubiläen 1920 und 1945 wurden aus naheliegenden Gründen damals nicht gefeiert. Die Festschrift zum 100. Geburtstag von 1970 aus der Feder des Finanzjournalisten und Archivars der Bank Fritz Seidenzahl[1] ist gekennzeichnet durch einen durchaus vom Selbstbewusstsein des Wiederaufbauerfolgs getragenen, wohlwollenden wie zugleich kritischen Blick vor allem auf die Frühgeschichte der Bank, die Zeit des Ersten Weltkriegs und die frühen 1920er-Jahre. Die Darstellung zur Weltwirtschafts- und Bankenkrise hält hingegen kritischen Ansprüchen ebenso wenig stand wie die nur kursorische Behandlung der Rolle der Bank in Diktatur und Zweitem Weltkrieg. Das hat bereits seinerzeit die Öffentlichkeit sehr beschäftigt, weshalb sich Angriff und Verteidigung der Bank in den Medien eine Zeit lang die Waage hielten.[2] Schließlich wurde aber doch mehr und mehr klar, dass ein derartiges bewusstes »Beschweigen« nicht zu rechtfertigen war. Nicht zuletzt diese offenkundigen Auslassungen auszugleichen war folgerichtig eine Aufgabe der vielfach gewürdigten wissenschaftlichen Darstellung von 1995 zum 125-jährigen Bestehen der Bank, die mit der von Harold James verfassten kritischen Aufarbeitung ihrer Geschichte im »Dritten Reich« nicht nur den Erwartungen der deutschen und amerikanischen Öffentlichkeit entgegenkam, sondern zugleich einen Markstein in der deutschen Unternehmensgeschichtsschreibung setzte.[3] Die Vorbildfunktion bestand darin, dass sich das führende Unternehmen der »Deutschland AG« nicht länger um eine Aufarbeitung seiner Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus herumdrückte oder sie verharmloste, sondern unabhängigen Historikern die Möglichkeit einräumte, gerade diese problematische Phase der Geschichte der Bank zu durchleuchten und die Ergebnisse der Arbeit einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.
Nun, zum 150. Jubiläum, haben sich die Verhältnisse erneut gewandelt, und wiederum andere, durchaus neue Fragen zur Geschichte der Bank sind drängend geworden und sollen mit dieser Darstellung aufgegriffen werden. Auf Initiative des Historischen Instituts der Deutschen Bank wurde bereits 2015 gemeinsam mit einem Autorenteam aus Wirtschafts-, Finanz- und Unternehmenshistorikern das Konzept entwickelt, das diesem Buch zugrunde liegt. Neu ist dabei nicht nur, dass die internationale Dimension der Tätigkeit der Deutschen Bank eine von Anfang an prägende Rolle erhält; neu ist auch, dass die Geschichte der Bank in den letzten 25 Jahren in ihre langfristige historische Entwicklung eingeordnet wird. Zugleich ermöglicht der neue Blick, sichtbare Kontinuitäten und Brüche bis in die Gegenwart deutlich zu benennen. Damit verschiebt sich zwangsläufig auch insgesamt die Perspektive.
Durch die Turbulenzen in dem Jahrzehnt seit 2008 werden Wendepunkte in der Geschichte der Bank deutlich, die zu Beginn der 1990er-Jahre und schon gar am Ende der 1960er-Jahre weniger augenfällig waren. Heute ist offenkundig, dass die Zeit zwischen dem Beginn des Ersten Weltkriegs und dem Ende des Kalten Kriegs eine Zeit der politisch determinierten Marktstrukturen war beziehungsweise die Politik in wichtigen Punkten eine maßgebliche Rolle bei der Definition der Handlungsmöglichkeiten der Bank spielte. Ursächlich dafür war nicht allein die Zerstörung der internationalen Arbeitsteilung und der offenen Kapitalmärkte zwischen den Kriegen, sondern auch die Schaffung des europäischen Wirtschaftsraums und seine zunehmend intensiver werdende institutionelle Regulierung seit den 1950er-Jahren.
Demgegenüber hatten politische Faktoren vor 1914 und seit 1989 in wesentlichen Punkten eine andere Tragweite. Gewiss war die Politik auch im Kaiserreich keineswegs bedeutungslos für die geschäftliche Entwicklung – und ist es heute ebenso wenig. Die aktuelle Instabilität des europäischen Währungsraums und das Aufkommen einer Art von Neomerkantilismus in den USA verweisen auf neue politische Brüche, deren mittelfristige Bedeutung bisher kaum seriös einzuschätzen ist. Für die Bank aber hatten die politisch bestimmten Zäsuren zwischen 1914 und 1989 erst recht weitreichende Folgen. In dieser Zeit musste ihr Geschäftsmodell politischen Vorgaben folgen, die es vor 1914 nicht gab und die sich nach 1989 deutlich abgeschwächt haben. Die Bank hat es verstanden, sich den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen, unter anderem an die Entstehung freierer weltwirtschaftlicher Strukturen nach 1945 (zumindest in der westlichen Hemisphäre). Es gelang ihr auch, ihre Geschäfte in Westdeutschland erfolgreich fortzuführen, doch das entsprach – betrachtet man die Gründung und die Entwicklung der ersten Jahrzehnte – gerade nicht der grundsätzlichen Identität des Hauses, das sich stets als globaler Akteur begriff und folgerichtig auch so auftrat.
Die Deutsche Bank ist, so könnte man vielleicht etwas überpointiert sagen, nach 1989 zu ihren historischen Wurzeln zurückgekehrt, doch freilich auf nunmehr völlig veränderter Grundlage. Diese neuen Bedingungen bedeuteten nicht zwangsläufig größere Risiken als vor 1914. Volumen, Tempo und die technischen Möglichkeiten waren sicher größer als während des ersten Zeitalters der Globalisierung, doch die Verlustgefahren auf dem amerikanischen oder asiatischen Markt waren den Vorstandsmitgliedern der Bank auch schon vor dem Ersten Weltkrieg stets nur zu bewusst. Während vor 1914 zwar das Geschäft global war, blieben die Bank selbst und ihr Milieu weiterhin national gefärbt, wie das im Übrigen auch bei den britischen, französischen oder amerikanischen Instituten der Fall war, auch wenn die Bankiers der Vorkriegszeit schon eine Art kosmopolitische Elite bildeten. Heute sind zwar die nationalen Milieus im globalen Finanzgeschäft zugunsten einer homogeneren weltweiten Geschäftskultur weitgehend verschwunden. Dennoch sind sich die Zeiten vor 1914 und nach 1989 ähnlicher als das zwischen diesen Epochejahren liegende »kurze 20. Jahrhundert«, in dem die politischen Implikationen zweier Weltkriege und des Kalten Kriegs regelrechte »Lager« schufen, die untereinander nur bedingt kooperationsfähig waren.
Eine derartige Dreiteilung des Zeitraums von anderthalb Jahrhunderten liegt auch dieser Studie zugrunde. Die Bank wird durchweg als Finanzakteur begriffen, der sich den wechselnden externen wirtschaftlichen und politischen Marktbedingungen nicht vollständig entziehen konnte. Zwar hat die Bank im Einzelnen versucht, Marktentwicklungen zu beeinflussen, und dabei auch ihre vielfältigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu nutzen verstanden, doch sollten ihre Macht und ihr Einfluss nicht überschätzt werden. In einem Großteil der früheren Forschungsliteratur erscheint sie geradezu als Spinne im Netz der Gestaltung der ökonomischen und politischen Verhältnisse, was den Charakter des Instituts, das sich unter schwierigen und wandelnden Marktbedingungen behaupten musste, aber deutlich verzeichnet. Die Bank folgte in der Regel den Märkten, nicht aber die Märkte der Bank. So sehr ihre Vertreter Lobbyarbeit betrieben, so sehr achtete die Politik darauf, die Bank als Verbündeten, ja als Helfer etwa für ihre außenpolitischen Ambitionen heranzuziehen. Dennoch war das Interesse der Bank nicht darauf gerichtet, eine politische Bedeutung zu erlangen, vielmehr stand immer das Geschäftsinteresse im Vordergrund. Einzelne Bankvorstände mochten politische Überzeugungen haben und sich für diese starkmachen; für den Geschäftsalltag war das ziemlich nebensächlich, und die Vorstände, die ohnehin stets an kollektive Entscheidungen gebunden waren, wussten, dass am Ende nur zählte, was unterm Strich stand.
Die Darstellung ist entsprechend in Großkapitel aufgeteilt, in denen zunächst der Frage nachgegangen wird, wie die Bank in der jeweiligen Wettbewerbssituation unter den jeweils vorherrschenden Marktbedingungen ihre Handlungsspielräume begriff und definierte sowie Handlungsstrategien entwickelte. Ihre strategische Ausrichtung war des Weiteren eng mit der organisatorischen und der personellen Ausdifferenzierung des Hauses verknüpft, die sich gegenseitig stützten und ermöglichten. Die Darstellung hebt insbesondere die frühe Internationalisierung der Bank hervor, die schon in den 1870er-Jahren in London und Ostasien und bald auch in Lateinamerika begann. Unterstrichen wird auch ihre sehr frühe Bereitschaft, in Deutschland neben Berlin an wichtigen Außenhandelsstandorten präsent zu sein. Strategie und Organisation bestimmten die Möglichkeit, Handlungschancen zu identifizieren und zu nutzen, sowohl im Passiv- als auch im Aktivgeschäft, sowohl in ihrer internationalen Präsenz als auch im nationalen Rahmen. Diese globalen Ambitionen kamen in den 1980er-Jahren erneut zum Vorschein; zum Teil als Defensivstrategie, um die Kunden der Bank in Deutschland zu binden, aber auch mit Blick auf die enormen kurzfristig möglichen Einnahmen im neuen Umfeld des globalen Wertpapierhandels. Dadurch wiederum wandelten sich die Struktur, das Personal und die Geschäftstätigkeit.
Die Gliederung der Geschichte der Bank in drei Hauptphasen war auch für die Wahl der Autoren entscheidend, ging es doch weniger um die Aufklärung banktechnischer Details als um das Nachzeichnen historischer Linien und um die Betrachtung von Wandlungsprozessen, auf die die Bank selbst oft nur begrenzten Einfluss hatte. Dabei standen unternehmens- und wirtschaftshistorische Aspekte in den Teilen von Werner Plumpe und Alexander Nützenadel im Vordergrund, während Catherine R. Schenks Untersuchung des Strukturwandels der Bank im Kontext der erneuten Globalisierung vor allem aktuelle finanzhistorische Perspektiven aufzeigt. Die Unterschiede zwischen den Kapiteln sind insofern gut zu erkennen, doch ebenso werden durchweg Fragen der Organisations- und Personalentwicklung, des Images und des öffentlichen Ansehens der Bank erörtert. Die Autoren schrieben ihre Beiträge zwar im Auftrag der Bank, waren aber wissenschaftlich an keinerlei Vorgaben gebunden und konnten die von ihnen gewählten Schwerpunkte ohne Einschränkungen untersuchen. Zur Unterstützung des Projekts stellte die Bank alle gewünschten Unterlagen so weit wie möglich zur Verfügung, sodass erstmals eine Bankgeschichte entstehen konnte, die auf der Basis umfangreicher Quellenbestände bis an die Schwelle zur Gegenwart reicht. Rechtliche Auswirkungen aus der jüngsten Zeit haben notwendigerweise die Details, die offengelegt werden können, eingeschränkt, aber das hat keinen Einfluss auf das Gesamtbild der Darstellung. Dass die Ansichten der Autoren nicht notwendigerweise die Meinung der Leitung der Bank widerspiegeln, sei ausdrücklich betont.
Enorm profitiert haben wir von der Arbeit und dem Rat von Martin L. Müller, dem Leiter des Historischen Instituts der Deutschen Bank. Matthias Kemmerer leistete unschätzbare tägliche Unterstützung, erleichterte die Quellenarbeit und übte nicht selten Kritik, die aber immer mit nützlichen Hinweisen verbunden war. Überdies waren die Mitarbeiter des Historischen Instituts der Bank entscheidend an der Bildauswahl beteiligt, ohne die das Buch anders aussehen würde, ja sehr viel weniger Glanz und Anschaulichkeit besäße. Das Archiv des Historischen Instituts der Deutschen Bank ist von zentraler Bedeutung, um die Entwicklung des deutschen Wirtschafts- und Finanzsystems zu verstehen und Wissenschaftlern Quellen eines der Hauptakteure der Entwicklung des globalen Wirtschaftssystems zugänglich zu machen. Ohne dieses Archiv wäre unser kollektives Verständnis des Verlaufs der Weltgeschichte in vielerlei Hinsicht ärmer.
Neben den umfangreichen schriftlichen Quellen standen führende frühere und aktive Manager der Bank Catherine R. Schenk als Zeitzeugen für ausführliche Gespräche zur Verfügung. Bei einem Workshop an der Universität Frankfurt am Main konnten die Autoren im Juli 2018 ihr Konzept einer größeren Expertenrunde vorstellen und in diesem Kreis kritisch diskutieren. Deren Hinweise und Anregungen sind in die Manuskripte eingeflossen. Allen Teilnehmern dieses Treffens gebührt unser Dank.[4]
Marco Krönfeld von der Bonnier Verlagsgruppe setzte sich mit großem Engagement für dieses Buchprojekt ein, wie auch die Lektorinnen Tanja Ruzicska und Palma Müller-Scherf, die die Manuskripte durchsahen und wichtige Hinweise zur Verbesserung ihrer Lesbarkeit gaben. Das Kapitel von Catherine R. Schenk übersetzte Thorsten Schmidt aus dem Englischen, dem es hervorragend gelang, die umfangreiche Finanzterminologie verständlich ins Deutsche zu übertragen. Dass verbleibende Mängel allein die Autoren verantworten, versteht sich freilich von selbst.
Werner PlumpeAlexander NützenadelCatherine R. Schenk
WERNER PLUMPE
»Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«,[1] fragt der Bandit Mackie Messer in Brechts Dreigroschenoper Ende der 1920er-Jahre. Wenig subtil will er damit zu verstehen geben, das Bankgeschäft sei nicht unbedingt ehrlicher als der Bankraub, dafür aber ertragreicher. Mit einer Bank kann man Geld verdienen, unter Umständen sogar sehr viel. Das war zumindest im 19. Jahrhundert unstrittig, als erfolgreiche Bankiers wie die Rothschilds es zu breiter öffentlicher Anerkennung gebracht hatten. Problematischer war schon eher, wie man dies beginnen sollte. Davon spricht Brecht nicht, sondern er unterstellt einfach: Gründe eine Bank und werde reich. Einen derartigen Automatismus aber gibt es nicht. Das wusste das 19. Jahrhundert, und das weiß auch die Gegenwart. Bankgründungen gibt es so viele wie Bankkrisen und Bankrotte. Große Namen der Finanzwelt sind längst Schall und Rauch – und das keineswegs nur aufgrund großer Krisen. Auch das alltägliche Geschäft überforderte viele Banken, denen es nicht gelang, es zu konsolidieren. Sie verspekulierten sich oder gingen Risiken ein, die sich als nicht gerechtfertigt erwiesen.
Die Gründung einer Bank mag noch einfach sein, ihre erfolgreiche Führung ist es nicht. Es gibt keinen selbstverständlichen Weg zum Erfolg, der überdies auch nicht dauerhaft sein muss. Die Bedingungen des Bankgeschäfts ändern sich laufend. Erfolgsrezepte der Vergangenheit helfen in der Zukunft unter Umständen nicht. Es kann sogar nachteilig sein, zu sehr an einer erfolgreichen Vergangenheit zu hängen und den Wandel zu verschlafen. Und selbst das Gründungsgeschäft kann schwierig sein. In der Mitte des 19. Jahrhunderts standen einer Bankgründung erhebliche Barrieren im Weg. Der Finanzsektor war keineswegs unterentwickelt. Es gab eine Vielzahl entsprechender Institute. Das waren private Bankhäuser, in denen Bankiers mit ihrem persönlichen Vermögen Bankgeschäfte betrieben, zumeist im Bereich der Kreditvergabe, der Finanzierung des Handels und der Staaten. Wer kein entsprechendes Vermögen und, vor allem, wer keine einschlägige Expertise besaß, hatte wenig Aussicht, ein ertragreiches Bankgeschäft zu eröffnen. Es verhielt sich ganz anders, als Brecht es suggerierte: Ohne bereits vermögend zu sein, konnte man kaum ein erfolgreicher Bankier werden. Und auch das allein hätte nicht gereicht: Ohne hinreichende Erfahrung und ohne eine entsprechende Reputation war das Bankgeschäft von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die großen Privathäuser profitierten von ihren familiär konstituierten Traditionslinien, die von den Anfängen im regionalen und überregionalen Handel über einfache Kreditgeschäfte bis hin zur hohen Kunst der Staatsfinanzierung reichten. Allen voran verkörperten die Rothschilds diese Kombination von Wohlstand, Familie und Erfahrung, um deren Erhalt die jeweils geschäftsführenden Generationen bemüht waren.[2] Bei Banken wie Bethmann in Frankfurt am Main, Mendelssohn, Bleichröder und Warschauer in Berlin oder Warburg in Hamburg war es nicht anders. Der familiäre Zusammenhalt war nicht trivial, denn das Bankgeschäft wurde von der Vermögensseite wie von der Wissensseite her vererbt. Eine formale Ausbildung war außerhalb der privaten Bankhäuser nicht zu bekommen. Die eigenen Söhne oder vielversprechende, häufig verwandtschaftlich verbundene Kandidaten lernten zunächst im eigenen Haus und setzten ihre Ausbildung in befreundeten Häusern an möglichst bedeutenden internationalen Plätzen fort, bevor sie als Partner in das väterliche Bankgeschäft heimkehrten. Zugleich wurde das Konnubium zwischen den Bankiersfamilien gepflegt. Bankierssöhne und Bankierstöchter als Ehepartner waren keine Seltenheit. In bestimmten Familien gab es die stillschweigende oder auch offen ausgesprochene Erwartung, persönliche Interessen und geschäftliche Aussichten in Einklang zu bringen. Die europäische und teilweise auch die amerikanische Bankenwelt war zwar nicht unbedingt ein closed shop, aber doch eine homogene Welt weniger, häufig verschwägerter Familien.
Hier zu reüssieren war nicht unmöglich, doch überaus schwer. Vor allem gelang es Neugründungen kaum, in die Staatsfinanzierung, den »heiligen Gral« des großen Bankgeschäfts, vorzudringen. Gute Beziehungen und eine große Finanzkraft waren unbedingte Voraussetzungen. Ohne den umfänglichen ökonomischen Strukturwandel, der mit der Durchsetzung des Industriekapitalismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts verbunden war, wäre der Aufstieg neuer Banken kaum vorstellbar gewesen. Erst die entstehende große Industrie schuf neue Finanzierungsbedingungen. Zunächst bei den großen Eisenbahnprojekten und später im industriellen Bereich entstanden Engpässe, die mit den herkömmlichen Mitteln der Privatbankiers allein nicht bewältigt werden konnten. Die Privatbankiers spielten bei der Gründung von Eisenbahnaktiengesellschaften zwar noch eine erhebliche Rolle, auch das Börsen- und Anleihegeschäft ergänzte ihre bisherigen Praktiken, aber die Mobilisierung von Kapital für den laufenden Betrieb der Industrie, insbesondere also der Betriebskredit und die langfristige Finanzierung, passten weniger zu den traditionellen Instituten. So entstanden alternative Modelle, von denen die Gründung des Crédit Mobilier durch die Brüder Péreire in Paris auch deshalb zum Vorbild wurde, weil hier eine neue Aktienbank das erste Mal in großem Maße crowd funding betrieb, also ein weit angelegtes Einlagengeschäft als Basis für die Ausweitung des Aktivgeschäfts im industriellen Bereich nutzte. Das war Erfolg versprechend, aber auch riskant. Denn das Aktienkapital der Bank war beschränkt und reichte im Zweifelsfall kaum aus, alle Einleger zu befriedigen, sollte es größere Ausfälle geben. Das Pariser Bankhaus scheiterte trotz der wohlwollenden Förderung durch die französische Regierung genau hieran. 1867 wurde es liquidiert.
Bei dessen Gründung 1852 konnte man das noch nicht ahnen. Der Crédit Mobilier faszinierte vielmehr. Das französische Modell fand auch östlich des Rheins große Aufmerksamkeit, die aber nicht nur von Hochachtung getragen war. Im Gegenteil: Vor allem der preußischen Regierung erschien diese Art des Bankgeschäfts hoch spekulativ. War man bei der Lizenzierung von Aktiengesellschaften ohnehin restriktiv, so lehnte die Berliner Regierung zwischen 1848 und 1870 konsequent alle Versuche ab, auf preußischem Staatsgebiet Aktienbanken nach französischem Vorbild einzurichten. Die ersten Bank-Aktiengesellschaften entstanden in den 1850er-Jahren nicht in Preußen, sondern in anderen deutschen Staaten, etwa in Darmstadt, Gotha, Hamburg, Hannover oder in Österreich. Interessierte Kreise in Preußen, Kaufleute aus dem Rheinland und Angehörige der Berliner Hochfinanz erkannten den wachsenden Finanzbedarf der sich in den Gründerjahren mächtig ausbreitenden Industrie. Sie suchten dieser Problematik durch die Gründung von Kommanditgesellschaften auszuweichen, und das durchaus erfolgreich. Die Disconto-Gesellschaft von 1851, gegründet von David Hansemann, und die Berliner Handels-Gesellschaft von 1856, deren Gründer aus den großen Berliner Privatbanken kamen, vereinigten Züge der älteren Privatbankiers – ihre Direktionen bildeten mit eigenen Kommanditeinlagen haftende Geschäftsinhaber – mit der Variante einer Aktiengesellschaft (KGaA). Beide Banken engagierten sich in der Folgezeit umfangreich im Bereich der Industriefinanzierung, übernahmen auch Industrieunternehmen in eigene Regie oder hielten größere Aktienpakete von Unternehmen im eigenen Portfolio, um sie später unter günstigen Bedingungen an die Börse bringen zu können.
Abb. 1: David Hansemann (1790 – 1864), der Gründer der Disconto-Gesellschaft.
Angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Gründerzeit der 1850er- und 1860er-Jahre war das kein schlechtes Geschäft. Gegen Ende der 1860er-Jahre nahm der Gründerboom allerdings hoch spekulative Züge an. Wegen der steigenden Börsenkurse wurden immer mehr Aktiengesellschaften gegründet beziehungsweise bestehende Unternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt. Mit der Liberalisierung des Aktienrechts im Juni 1870 im Norddeutschen Bund, wodurch die Lizenzierungspflicht für Aktiengesellschaften auch in Preußen entfiel, wurden diese Umgründungen einfacher. Jetzt konnten auch Aktienbanken gegründet werden, die sich vornehmlich damit beschäftigten, Unternehmen in Aktiengesellschaften umzuwandeln und dabei Kursarbitrage in großem Stil zu betreiben.[3] Diese Agiotage genannte Geschäftsform war populär. Seit 1870 schossen viele neue Aktienbanken aus dem Boden, nicht selten sogenannte Maklerbanken,[4] deren eigentlicher Zweck es war, von den im Börsenboom möglichen Gründungsgewinnen zu profitieren. Bei manchem dieser Häuser und seinen Geschäftspraktiken fühlt man sich schon an Bertolt Brechts gerissenen Helden Mackie Messer erinnert. Wurden in der gesamten Zeit vor 1870 in Preußen Aktiengesellschaften mit einem Kapital von 9,2 Milliarden Mark gegründet, so brachten es die Gründungen zwischen 1870 und 1874 allein auf die seinerzeit schwindelerregende Höhe von 12,87 Milliarden Mark.[5] Das konnte nicht gut gehen. Der Gründerkrach 1873 setzte diesem Boom ein frühes Ende. Die meisten Maklerbanken mussten ihre Schalter so schnell schließen, wie sie eröffnet worden waren. Aber auch zahlreiche seriöse Bankhäuser, die sich am Gründerboom spekulativ beteiligt und auf den dauerhaften Aufstieg der neuen industriellen Aktiengesellschaften gesetzt hatten, standen vor einem Scherbenhaufen. Der Gründerkrach und die Gründerkrise hinterließen tiefe Spuren in ihren Bilanzen und drückten deren Börsenwert auf ein niedriges Niveau. Der Börsenwert der Disconto-Gesellschaft halbierte sich fast zwischen Ende 1872 und Ende 1873. Auch die Darmstädter Bank für Handel und Industrie und die Berliner Handels-Gesellschaft erlitten schwere Kurseinbußen. Die Dividendenzahlungen sanken drastisch oder mussten wie im Fall der Berliner Handels-Gesellschaft ganz eingestellt werden.[6]
Abb. 2: Karikatur zum Gründerschwindel 1873 in der satirischen Zeitschrift Kladderadatsch.
Wenig verwunderlich also, dass die Öffentlichkeit bei der Gründung der Deutschen Bank als Aktiengesellschaft im März 1870 davon ausging, hier entstehe lediglich ein weiteres Agiotage-Haus. Aber die Männer, die die Gründung der Deutschen Bank bereits seit den späten 1860er-Jahren planten, waren nicht von der Spekulationswelle getrieben. Sie repräsentierten Bank- und Handelshäuser, die an diesem Boom teilnahmen beziehungsweise hätten teilnehmen können, wenn sie es gewollt hätten. Die Motive, die zur Gründung der Deutschen Bank führten, waren zwar auch Ausdruck des wirtschaftlichen Booms jener Jahre, setzten aber an einem anderen Punkt an. Der Aufstieg der deutschen Industrie, der in den 1850er- und 1860er-Jahren deutlich zugenommen hatte – allein die gewerbliche Produktion verdoppelte sich zwischen 1850 und 1870[7] –, war eng mit einer entsprechenden Expansion des deutschen Außenhandels verbunden. Der Bedarf an Rohstoffimporten stieg kräftig. Gleichzeitig wuchs auch die deutsche Güterausfuhr, in der gewerbliche Produkte eine zunehmende Bedeutung erlangten. Die Einfuhr stieg von 1850 bis 1870 von 545 Millionen Mark auf 2,188 Milliarden Mark, während die Ausfuhr im gleichen Zeitraum von 522 Millionen auf 1,967 Milliarden Mark wuchs.[8] Insgesamt nahm der Außenhandel in dieser Zeit also stärker als das Inlandsprodukt zu. In der Finanzierung des Außenhandels, aber auch im Ausbau der großen, mit dem Handel verbundenen Infrastruktur lag eine Geschäftschance, die von deutschen Unternehmen bisher kaum wahrgenommen wurde.[9] Es war zudem offensichtlich, dass es sich bei der weltwirtschaftlichen Expansion, das Wachstum des Außenhandels war keineswegs auf Deutschland beschränkt, nicht um eine Eintagsfliege handelte. Eine neue Zeit begann.
Abb. 3: Ein Zentrum des deutschen Außenhandels: der Hamburger Hafen um 1870.
Auch wenn man für diese Zeit noch nicht wirklich von einer ersten Globalisierung sprechen kann, änderte sich der Charakter der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung. Die neuen Transportmöglichkeiten, seien es nun Eisenbahnen oder Dampfschiffe, ließen die Standorte der Weltwirtschaft enger zusammenrücken. Die Fahrzeiten sanken dramatisch, die Transportkosten gingen deutlich zurück, die weltweiten Preisunterschiede ebneten sich ein – eine einheitliche Weltwirtschaft erschien zumindest als Möglichkeit am Horizont.[10] Gleichzeitig wusste die Welt auch mehr voneinander. Die Seekabel, die Europa und Amerika miteinander verbanden, ermöglichten den Austausch von Informationen zwischen den großen Welthandelsplätzen in New York, London und Hamburg im Minutentakt, was vorher Tage oder Wochen gedauert hatte. Die Telegraphenkabel blieben nicht auf den Atlantik beschränkt, sondern verbanden bald alle wichtigen Standorte der Weltwirtschaft miteinander. Der Vordere und Mittlere Osten wurden ebenso erschlossen wie Indien, China und Japan, von Australien als wichtigem Ort des britischen Empire zu schweigen.[11] Bedingte der weltweite Konjunkturaufschwung der 1850er- und 1860er-Jahre ohnehin eine Intensivierung des internationalen Warenaustauschs, so wurde er zusätzlich nicht nur von den technischen Neuerungen befeuert, hinzu kamen weitere bedeutende Faktoren. Die Goldfunde in Kalifornien und Australien begünstigten ausgehend von Großbritannien, wo sich der Goldstandard durchgesetzt hatte, eine Ausweitung der Geldmenge. Die deflationäre Grundstimmung der Jahre vor der Revolution von 1848 war vorbei. Und das Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs, durch den der Baumwollexport der Südstaaten zum Erliegen gekommen war, brachte eine Normalisierung des Atlantikhandels. Die umfangreiche Baumwollausfuhr setzte wieder ein und erreichte schnell ihr altes Niveau. Die Baumwollimporte waren vor dem Bürgerkrieg der größte Einzelposten der deutschen Importbilanz und sollten es bald wieder werden.[12]
Aufmerksamen Beobachtern entging nicht, dass es ausländische Finanzhäuser waren, die den deutschen Exporteuren und Importeuren die notwendigen Kredite zur Finanzierung des Außenhandels gegen gute Zinsen und Provisionen einräumten. Nach der Gründung der Deutschen Bank war von 50 Millionen Mark die Rede, die der deutschen Volkswirtschaft jährlich dadurch entgingen, dass es keine oder nur eine rudimentäre inländische Finanzinfrastruktur für den Außenhandel gab. Franz Urbig, der spätere Geschäftsinhaber der Disconto-Gesellschaft und nach der Fusion 1929 Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft, schätzte die Summe allein nach England fließender Provisionen für Mitte der 1880er-Jahre auf 5 Millionen Pfund, was etwa einem Betrag von 100 Millionen Mark entsprach. Das von deutschen Handelshäusern ständig in Anspruch genommene Kreditvolumen schätzte er gar auf 300 Millionen Pfund.[13] Ein gewaltiges Geschäft, das sich deutsche Banken da entgehen ließen. Die wenigen Institute, traditionelle Privatbankiers in Bremen und Hamburg, die sich überhaupt engagierten, waren auf die Hilfe von Londoner Banken angewiesen, solange Wechsel in deutscher Währung international nicht diskontierbar waren. Hier lagen also erhebliche Chancen, deren Nutzung gewinnversprechend war, wie die Erfolge der großen Londoner Merchant Bankers oder des Pariser Comptoir d’Escompte zeigten, die ihr Geschäft nicht selten auch mit deutschen Angestellten durchführten.[14] Die Erinnerungen von Hermann Wallich, der von 1863 bis 1870 für Überseefilialen des Comptoir d’Escompte tätig war und in den ersten Jahrzehnten bei der Deutschen Bank eine prägende Figur werden sollte, sind ein getreuer Spiegel dieser Geschäftsmöglichkeiten, inklusive der Schwierigkeiten, die die alltägliche Vertretung eines Bankhauses auf Réunion oder in Ostasien seinerzeit mit sich brachte.[15] Wallichs Biographie zeigt auch exemplarisch, wie eng die europäischen Banken personell zwischen dem Rheinland, Paris und London gerade wegen der Finanzierung des internationalen Handels bereits verbunden waren. Denn um an internationalen Finanzgeschäften teilnehmen zu können, waren die jeweiligen Häuser auf Kooperationspartner an den Schlüsselstellen des Welthandels angewiesen.[16] Für die deutschen Privatbankiers waren solche Verbindungen lebenswichtig. Die enge Verbindung des seinerzeit führenden Berliner Bankhauses Bleichröder mit den Pariser Rothschilds mag dies belegen.[17]
In den Berliner Zirkeln, die in den späten 1860er-Jahren die Gründung einer Außenhandelsbank forcierten, waren diese Zusammenhänge bekannt, ja Alltagsgespräch. Die beiden führenden Köpfe des Gründerzirkels der Deutschen Bank, Adelbert Delbrück und Ludwig Bamberger, hatten selbst einschlägige Erfahrungen gesammelt. Adelbert Delbrück war Chef eines privaten Bankhauses. Der aus einer jüdischen Bankiersfamilie aus Mainz stammende Ludwig Bamberger war Mitglied des Zollparlaments beziehungsweise des Norddeutschen Reichstags und zuvor in Rotterdam, London und Paris als Bankier tätig gewesen.[18] Dass es nahe lag, im Bereich der Außenhandelsfinanzierung aktiv zu werden, zeigte zudem die Tatsache, dass es zur gleichen Zeit verschiedene Initiativen gab, die in die gleiche Richtung wiesen, vor allem der Plan zur Gründung der Internationalen Bank in Hamburg. Der Hintergrund dürfte der gleiche gewesen sein, den Ludwig Bamberger in seinen Erinnerungen der Gründung der Deutschen Bank zuschrieb:
Irgend ein Zufall hatte die ersten Verbindungen mit Brasilien herbeigeführt, und fügten sich daran eine Reihe anderer, namentlich mit den La Platastaaten. Ein großer Teil dieser, sowie der ostasiatischen Geschäfte, die auch mit einflossen, mußte immer über London geleitet werden, wohin die Kredite eröffnet und die Waren konsigniert wurden, und diese Erfahrungen gaben den Anstoß, daß, als Ende der sechziger Jahre bei meinem ersten längeren Aufenthalt in Berlin Adalbert [sic!] Delbrück […] mir von dem Unternehmen einer zu gründenden Deutschen Bank sprach mit der Aufforderung, mich an deren Bildung und Organisation zu beteiligen, ich willig darauf einging im Hinblick auf die dem deutschen Bankgeschäft nach transatlantischen Gebieten zu erobernde Ausdehnung, für die ich mir einige Kenntnisse zutraute.[19]
Es war also der Privatbankier Adelbert Delbrück, Chef des Hauses Delbrück, Leo & Co. und Vetter des Chefs des Reichskanzleramts Rudolph Delbrück, der den Stein ins Rollen brachte. Die Zusammenarbeit mit Ludwig Bamberger bot sich dabei nicht nur wegen dessen Erfahrungen im internationalen Bankgeschäft an. Bamberger war auch ein einflussreicher liberaler Politiker mit bewegter revolutionärer Vergangenheit, dessen Kompetenz vor allem im Bereich der Währungs- und Geldpolitik lag. Seit den späten 1860er-Jahren hatte sich Bamberger auf die Seite Bismarcks geschlagen, dessen Politik er in der französischen Öffentlichkeit verteidigte und zu dessen einflussreichem Berater er während des Kriegs von 1870/71 wurde.[20] Es würde zu weit gehen, dem Gründungszirkel der Deutschen Bank um Delbrück und Bamberger einen direkten politischen Einfluss zuzuschreiben. In der Gründungsphase der Deutschen Bank aber standen beide bis hin zum Kanzler des Norddeutschen Bundes und preußischen Ministerpräsidenten Bismarck in hohem Ansehen. Bismarck hatte gegenüber Bamberger ältere Differenzen beigelegt, während er mit dem ebenfalls einflussreichen nationalliberalen Politiker und Bankier Johannes von Miquel, zeitweilig Mitglied der Direktion der Disconto-Gesellschaft, nicht recht warm wurde.[21] Bambergers vertraute Stellung zu Bismarck dürfte aber nicht nur das staatliche Konzessionierungsverfahren der Deutschen Bank begünstigt haben. Auch für deren weitere Entwicklung war Bambergers Währungs- und Geldpolitik in den frühen 1870er-Jahren entscheidend.[22]
Abb. 4/5: Die Gründer: Adelbert Delbrück (1822 – 1890) und Ludwig Bamberger (1823 – 1899).
Hinderlich für das Engagement deutscher Banken im internationalen Geschäft war das Fehlen einer international anerkannten deutschen Währung. Selbst im Zollvereinsgebiet, das in etwa dem späteren Reichsgebiet entsprach, war es nicht zu einer wirklichen Währungsvereinheitlichung gekommen. Bei der Gründung des Kaiserreichs existierten noch sechs verschiedene Währungszonen in Deutschland, die den nationalen Wirtschaftsaustausch durchaus behinderten, von der Schwierigkeit, mit diesen Währungen am internationalen Handel teilzunehmen, ganz zu schweigen.[23] Ludwig Bamberger war ein entschiedener Befürworter des Übergangs vom föderal zersplitterten Bimetallismus mit seinen zahlreichen Gold- und Silbermünzen und verschiedenen Denominationen zu einem am britischen Vorbild orientierten Goldstandard. In seinem 1876 erschienenen Buch Reichsgold[24] trat er als glühender Verfechter des Goldes auf, das Garant wie Voraussetzung kluger Fiskalpolitik und eines widerstandsfähigen Banksystems sei.[25] Der Goldstandard hatte in Bambergers Sicht einen doppelten Vorteil: Er zwang die Regierungen zu einer vorsichtigen Geld- und Fiskalpolitik, und er machte die deutsche Währung international konkurrenzfähig, auch wenn die gleichberechtigte Stellung der Mark an den führenden Geld- und Kapitalmärkten bestenfalls um 1900 erreicht wurde. Für die Geschäftspolitik der Banken war das ein zentraler Punkt. Die Deutsche Bank blieb ihrem Gründer bei der Verteidigung des Goldstandards gegen seine vor allem agrarkonservativen Kritiker treu. Karl Helfferich, der 1908 in den Vorstand der Deutschen Bank aufrückte, verdankte seine Karriere auch seinem energischen Eintreten für das Lebenswerk Ludwig Bambergers, dem Helfferich persönlich und programmatisch eng verbunden war.[26] In gewisser Hinsicht übernahm die Bank damit ein linksliberales Erbe. Auch Adelbert Delbrück war Mitglied der Fortschrittspartei gewesen und hatte sich in Berlin sowohl in der Kommunalpolitik als auch im Vorstand des Deutschen Handelstages engagiert. Dieses Erbe prägte die politische Positionierung der Deutschen Bank. Ihr Eintreten für eine liberale, auf den Goldstandard orientierte Geld- und Fiskalpolitik sowie der ebenfalls mit der liberalen Tradition verbundene Einsatz für einen möglichst freien internationalen Handel brachten sie in Opposition zu den Agrariern wie zu deren politischer Vertretung, den konservativen Parteien. Der sich in der Bank verkörpernde Liberalismus spiegelte indes nicht nur die Überzeugungen ihrer frühen Repräsentanten. Er folgte auch ihren Interessen, die eben von einer einengenden Handelspolitik so wenig profitieren konnten wie von einer laxen und undisziplinierten Geld- und Finanzpolitik.
Das von Adelbert Delbrück angestoßene Projekt zur Gründung einer Außenhandelsbank stand anfänglich unter einem günstigen Stern. Die wirtschaftliche Lage war gut, die Rahmenbedingungen eines Börsenganges vielversprechend, der Kreis potenzieller Unterstützer und Interessenten ausreichend. Delbrück war sich allerdings bewusst, dass die Gründung eines neuen Instituts bei den etablierten Banken nicht gerade auf Gegenliebe stoßen würde. Es war daher klug zu signalisieren, dass es nicht um ein Konkurrenzinstitut ging. Im Gegenteil – die anderen Häuser wurden aufgefordert, sich direkt oder indirekt an der Errichtung einer Bank zu beteiligen, die ein bis dahin kaum und von Berlin aus schon gar nicht bedachtes Geschäftsfeld aufnehmen sollte. Für Banken, die in der Finanzierung des grenzüberschreitenden Handels selbst nicht aktiv waren oder aktiv werden konnten, musste die Beteiligung an einem solchen Spezialinstitut attraktiv sein. »Durch vertrauliche Besprechungen und Korrespondenzen in den zunächst interessierten Kreisen« warben die Initiatoren für dieses Projekt.[27]
Der Gründerkreis weitete sich aus, zumal viele im internationalen Warenverkehr erfahrene Männer sich aufgeschlossen zeigten. Offenbar hatten Delbrück und Bamberger einen Punkt getroffen, auch wenn die angestrebte Zusammenarbeit mit Berlins führendem Bankhaus Mendelssohn & Co. nicht zustande kam. Dafür gehörten Privatbankiers und Großkaufleute aus Berlin, Frankfurt, den Hansestädten, Elberfeld mit dem umliegenden Bergischen Land und dem Rheinland dem Gründungskomitee an. Sie pflegten zumeist auch enge Beziehungen in die internationale, vor allem die US-amerikanische Geschäftswelt.[28] Insbesondere in New York kreuzten sich die Wege maßgeblicher Gründer, die sich mindestens schon ein Jahrzehnt vor der Entstehung der Bank kannten.[29] Über reiche USA-Erfahrung verfügte auch der Bremer Kaufmann Hermann Henrich Meier.[30] Er war dort bereits in den 1830er-Jahren im Handelsunternehmen seines Vaters tätig gewesen und hatte sich stark für den Handel und die Schifffahrt zwischen Bremen beziehungsweise Bremerhaven und den Vereinigten Staaten eingesetzt. 1857 zählte er zu den Mitbegründern des Norddeutschen Lloyds. Meier war es auch, der nach einer ersten positiven Resonanz einen Experten für das überseeische Geschäft empfahl, der mit einer Denkschrift über Struktur und Aufgaben des neuen Bankhauses beauftragt wurde. Die Wahl fiel auf den Niederländer Gustav Dufresne.[31] Er hatte 1863 für die Chartered Bank of India, Australia & China, die ihren Hauptsitz in London hatte, eine Agentur in Batavia, dem damaligen Niederländisch-Indien (heute Jakarta), eröffnet. 1867 war er nach Amsterdam zurückgekehrt.[32] Den ostasiatischen Markt, der eines der Geschäftsfelder der zu gründenden Bank werden sollte, kannte er also aus eigener Erfahrung.
In der Denkschrift war der Anspruch des zu gründenden Hauses klar formuliert. Es ging um die Nutzung der Chancen, die der stark wachsende deutsche Außenhandel einem solchen Institut zu bieten schien, und explizit darum, die Vormachtstellung britischer Banken bei der Finanzierung des deutschen Außenhandels zu brechen. Dufresne nannte die finanziellen Erfolge der britischen Oriental Bank, der Chartered Mercantile Bank of India, London & China, der Chartered Bank of India, Australia & China und der Hongkong & Shanghai Banking Corporation, vor allem aber auch des französischen Comptoir d’Escompte:
[der] seit 8 bis 9 Jahren Etablissements in Ostindien, China, Japan eröffnet und – obschon der Stütze namhafter französischer Häuser an den verschiedenen Plätzen im Osten entbehrend, […] – zeigen die Operationen dieser Branchen [gemeint sind »Filialen«, W. P.] doch so glänzende Resultate, dass die Direktion in ihrem letzten Jahresbericht auf die Etablissements in Indien, China, Japan als eine wesentliche Stütze dieser großartigen Schöpfung des Jahres 1848 hinweisen mochte. In diesem Zeitraum vom 1. Juli 1867 bis 15. Juni 1868 haben die Branchen Kalkutta, Bombay, Hongkong, Shanhay, Réunion und London dem Comptoir d’Escompte an Zinsen und Gewinn eine Total-Summe von circa frcs. 4 250 000 verdient und der letzte Jahresbericht hebt besonders den hohen Wert der Branchen in Zeiten hervor, wo niedrige Disconto-Sätze in Europa die Gewinne sehr geschmälert haben würden, hätten die Branchen nicht die Ausgleichung geboten.[33]
Ähnliche Gewinnaussichten stellte Dufresne dem Gründerkreis für das vorgeschlagene Bankprojekt in Aussicht.
Abb. 6: Ein Vorbild bei der Gründung der Deutschen Bank: der Comptoir d’Escompte, der mit seinen Filialen in Indien und Ostasien den französischen Außenhandel finanzierte. Die Filiale in Schanghai leitete von 1867 bis 1870 Hermann Wallich, der anschließend zur Deutschen Bank nach Berlin wechselte.
Die finanziellen Anreize wurden von einer nationalen Rhetorik gerahmt, die die Gründung der Bank von Anfang an begleitete. In diesem und allen folgenden Texten wurde das Interesse des neu zu gründenden Instituts, das im Sommer 1869 schon den Namen »Deutsche Bank« trug, mit dem Interesse des Landes gleichgesetzt.[34] Insofern war bereits die Namensgebung Programm,[35] und das Ausspielen der patriotischen Karte in der Vertretung der eigenen Interessen wurde rasch zur Routine. Aber auch der Zeitgeist zwischen den Einigungskriegen und der Reichsgründung kam einer derartigen vaterländischen Redeweise sehr entgegen. Die Gründer sahen selbstverständlich, dass es um die Selbstbehauptung einer privaten Bank in einem umkämpften internationalen Geschäftsfeld ging. Die nationale Rhetorik mochte in der deutschen Öffentlichkeit helfen, geschäftlich war sie wahrscheinlich eher nachteilig. So war man auch von Anfang an für internationale Kooperationen offen und thematisierte das in der Denkschrift auf eine Weise, die sogar eine internationale Kapitalbeteiligung an dem neuen Bankhaus nicht ausschloss: »Aber nicht ausschließlich deutsche Mitwirkung braucht das Unternehmen zu stützen, das sich auf den kosmopolitischen Standpunkt stellen sollte.«[36] Das war nicht nur dahergesagt. Auch später war den verantwortlichen Vorständen der Bank stets klar, welche Bedeutung die grenzüberschreitende Kooperation besaß. Man war selbstbewusst deutsch und definierte sich auch durch den Bezug zum nationalen Markt, dessen Vernetzung mit dem Weltmarkt aber die internationale Einbindung ebenso bedingte. Noch in den 1890er-Jahren konnte Vorstandssprecher Georg Siemens daher betonen, als er sich einer Initiative zur Förderung einer Kaiser-Wilhelm-Bibliothek und damit des Deutschtums in Posen nicht anschließen wollte: »Wir sind nicht national, sondern international.«[37]
Diese Offenheit war Bedingung für die mit der Außenhandelsfinanzierung zwangsläufig eng verbundene internationale Kooperation. Das Gründungskomitee, das sich im Sommer 1869 bildete, war folglich auch alles andere als national borniert. Den Vorsitz hatte Victor von Magnus, der Chef des Berliner Bankhauses F. Mart. Magnus übernommen. Damit stand eine Persönlichkeit an der Spitze, die kaschierte, dass das bedeutende Bankhaus Mendelssohn zur Kooperation nicht bereit war. Außerdem war mit Adelbert Delbrück ein weiterer Berliner Privatbankier im Komitee vertreten. Die anderen Angehörigen des Gründungskomitees waren als Privatbankiers oder Kaufleute meist international tätig, so Hermann Zwicker vom Berliner Bankhaus Schickler & Co. und Adolph vom Rath, der Mitinhaber des Kölner Bankhauses Deichmann & Co. Der Kaufmann Gustav Kutter war der deutschen Öffentlichkeit weniger bekannt. Er war um 1850 nach New York gegangen, um mit seinem Geschäftspartner Eduard Luckemeyer die Kurzwarenfirma Kutter, Luckemeyer & Co. zu gründen.[38] Zwanzig Jahre später hatte das Unternehmen Vertretungen in New York, Zürich, Lyon und Berlin. Daneben war Kutter der diskrete Interessenvertreter des Frankfurter Bankhauses Sulzbach in Übersee. Auch diese Privatbank sollte bei Gründung der Deutschen Bank eine prominente Rolle spielen, bündelte sie doch die Frankfurter Investoren und wurde damit der größte Einzelaktionär der neuen Bank. Kaum weniger wichtig war Gustav Müller, der sich nach zwei Jahrzehnten als Außenhandelskaufmann in Stettin 1865 als Privatbankier in Berlin niedergelassen hatte. Er verfügte über wertvolle Beziehungen zur südwestdeutschen Finanzszene und vertrat – einschließlich seiner eigenen Aktien über 162 000 Taler – rund 10 Prozent des Kapitals, darunter die Stimmrechte von Köster & Co. in Mannheim, Bamberger & Co. in Mainz und der Kgl. Württembergischen Hofbank in Stuttgart. Wie viele aus dem Gründerkreis war auch er politisch bei den Nationalliberalen engagiert und gehörte jeweils mehrere Jahre dem Preußischen Abgeordnetenhaus, dem Reichstag des Norddeutschen Bundes, dem Zollparlament und dem ersten gesamtdeutschen Reichstag als Abgeordneter an.[39]
Nimmt man zu diesen Personen noch Ludwig Bamberger hinzu, rundet sich das Bild. Ein Kreis von international und national tätigen, bereits eng miteinander vernetzten Privatbankiers und Großhandelskaufleuten mit meist liberalem Hintergrund machte sich daran, ein Geschäftsfeld durch eine Neugründung zu erobern, das lukrativ war, für dessen Bearbeitung den jeweiligen Gründerhäusern aber Kapazitäten und Kompetenzen fehlten. Da die Bedingungen für die Gründung einer Aktienbank besser nicht hätten sein können, ergriff man die Gunst der Stunde und lud für den 22. Januar 1870 zu einer Gründerversammlung nach Berlin ein. Dem Statutenentwurf entsprechend, der eine Arbeitsteilung zwischen Verwaltungsrat (dem späteren Aufsichtsrat) als Kontrollgremium der Eigentümer und Direktion (dem späteren Vorstand) als ausführendem Leitungsorgan vorsah, wurde dort ein vorläufiger Verwaltungsrat von zehn Personen gewählt. Neben den sieben Angehörigen des Gründungskomitees gehörten ihm drei weitere im internationalen Geschäft erfahrene Persönlichkeiten an; unter anderem der Altonaer Kaufmann Wilhelm von Pustau, Inhaber des gleichnamigen Handelshauses, das 1845 in Kanton eine Niederlassung und zugleich die erste deutsche Handelsvertretung in China eröffnet hatte.[40]