Ohne Krisen keine Harmonie - Werner Plumpe - E-Book

Ohne Krisen keine Harmonie E-Book

Werner Plumpe

0,0

Beschreibung

Der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe betrachtet in seinem Kursbuch-Essay, wie Wirtschaftskrisen als harmonische Gleichgewichtsstörungen wirken und weder von Politikern noch von Unternehmern beeinflusst werden können. Wirtschaftskrisen gehören, laut Plumpe, zu den ältesten Erfahrungen der Menschheit. Auch die Reaktionsmuster ähneln sich seit Jahrtausenden. Heute müssen wir die Krisen als zur Harmonie dazugehörend interpretieren.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 26

Veröffentlichungsjahr: 2012

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Werner Plumpe

Ohne Krisen keine Harmonie

Eine kleine Geschichte der Gleichgewichtsstörungen in der Wirtschaft

Im April 1815 brach mit einer gewaltigen Explosion der Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa aus. Binnen weniger Minuten schrumpfte der Berg von 4000 auf 2800 Meter; der sich neu bildende Gipfelkrater hatte einen Durchmesser von bald sechs Kilometern und eine Tiefe von mehr als 1000 Metern. Die Explosion war noch in 1500 Kilometer Entfernung zu hören und zu spüren. Eine gewaltige Aschesäule stieg auf. In der Folge blieben die Sommer in Nordamerika und Westeuropa teilweise aus. In Europa wurde die Abkühlung in einem ohnehin überaus kalten Jahrzehnt noch einmal dramatisch verschärft. Die Ernten 1816 und 1817 fielen gering aus und die Nahrungsmittelpreise stiegen auf ein bis dato unbekanntes Niveau. Alles, was die Mehrzahl der Menschen besaß, musste für den Nahrungserwerb verwendet werden. Die Nachfrage nach gewerblichen Gütern ging zurück, die Arbeitslosigkeit in den Städten stieg an, das Elend wurde allgemein. Der Hunger kehrte in die Häuser der einfachen Menschen zurück. Wirtschaft, Handel, Export kamen zum Erliegen. Erst gute Ernten Anfang der 1820er-Jahre brachten wieder eine durchgreifende Besserung.

Wirtschaftskrisen, interpretiert als mehr oder minder plötzliche Verschlechterungen der materiellen Lebensbedingungen durch eine zurückgehende Wirtschaftsleistung, durch steigende Preise und/oder sinkende Einkommen beziehungsweise wachsende Arbeitslosigkeit, die sich in einer Minderung des materiellen Wohlstandsniveaus niederschlagen, gehören zweifellos zu den ältesten Erfahrungen der Menschheit. Die Reaktionsmuster ähneln sich seit Jahrtausenden: Krisen sind unvorhersehbar, haben etwas Schicksalhaftes. Dann hilft nur demütiges Beten oder kluges Verhalten, etwa nach dem Motto: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Am besten beides!

Kehren diese Krisen aber regelmäßig wieder, kann man sich auf sie einstellen. Dann macht man mit ihnen Erfahrungen, kann ihre Folgen kalkulieren und sich entsprechend vorbereiten. Vor allem kann man über ihre Ursachen nachdenken. Und wenn man ihren Grund zu kennen glaubt, kann man alles Mögliche tun, um sie zu verhindern oder doch entscheidend abzumildern. Der heutigen Welt erscheint diese Allmachtsfantasie geradezu selbstverständlich. Die gegenwärtige Finanz-, Wirtschafts- und die begleitende Staatsschuldenkrise werden daher vorrangig unter dem Gesichtspunkt ihrer Ursachen mit dem Ziel diskutiert, durch eine zukünftige Bekämpfung derartiger Ursachen ihre Wiederkehr zu verhindern.

Diese Ursachendiskussion führt mitunter zu grotesken Verzerrungen der Realität, etwa wenn die Nutzung der von der Politik extra zu diesem Zweck geschaffenen Handlungsspielräume dem Finanzsektor ursächlich als moralisches Versagen angekreidet werden. Dennoch ist diese Diskussion insgesamt nachvollziehbar. Denn kluge Politik trachtet danach, Instabilität möglichst zu vermeiden, und das setzt eine Debatte voraus. Gleichwohl wird man misstrauisch, wenn die notwendigen Diskussionen einen normativen Überschuss ausweisen, ja geradezu von dem Versprechen leben, bei richtigem Handeln – insbesondere konsequenter Verfolgung der als Spitzbuben identifizierten Akteure des Finanzsektors und ihrer ordentlichen Disziplinierung – ließen sich in Zukunft Wirtschafts- und Finanzkrisen vermeiden. Die Politik offeriert damit die Frontlinie – und die Öffentlichkeit scheint ihr bereitwillig zu folgen – eines Kampfes der Politik gegen die »Märkte«, die, wenn nicht unter Kuratel gestellt, dazu neigten, die Welt in den Abgrund zu reißen.

Die politische Zähmung der Wirtschaft