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Das Kursbuch 212 beschäftigt sich mit der Frage, wie der Umgang mit knappen Gütern beziehungsweise mit Knappheit vor sich geht. Werner Plumpe untersucht in seinem Beitrag historisch und systematisch die Steuerungskapazitäten des Staates und setzt sich mit der Illusion auseinander, der Staat könnte schon angemessene Steuerungskapazitäten dem Wirtschaftsgeschehen gegenüber übernehmen, wenn er nur wollte. Er nennt dies eine romantische Illusion, die sich am Ende an einer Gesellschaft bricht, die sich solchen Steuerungsansprüchen entzieht.
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Seitenzahl: 34
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Inhalt
Werner PlumpeMächtig machtlosRomantische Illusionen in der Geschichte staatlicher Steuerung und Wirtschaftskontrolle
Der Autor
Impressum
Werner PlumpeMächtig machtlosRomantische Illusionen in der Geschichte staatlicher Steuerung und Wirtschaftskontrolle 1
I. Ein Souveränitätsdefizit?
Vor einigen Jahren veröffentlichte der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl ein schmales Bändchen mit dem Titel Der Souveränitätseffekt.2 Darin vertrat er die These, die meisten Staaten hätten seit der Frühen Neuzeit bei der Bildung der jeweiligen Zentralbanken, die zumindest anfangs überwiegend private Institute waren (manche sind es teilweise noch heute), staatliche Souveränität zugunsten privater Interessen aufgegeben; entsprechend sei die vermeintlich öffentliche Geldpolitik stets mehr oder weniger im privaten Interesse ausgefallen. Vogl kritisierte das deutlich und suggerierte damit zugleich, dass der Staat, sollte er es nur energisch genug wollen, in der Lage sei, souverän zu handeln und eine wirksame Geldpolitik auch gegen einzelne Sonderinteressen durchzusetzen. Der Verzicht auf die Souveränitätsdurchsetzung erscheint in dieser Sicht nicht nur vermeidbar; er war und ist ein veritabler Fehler, der sich auch in der staatlichen Geld- und Währungspolitik der Nachkriegszeit mit ihren geldpolitisch autonomen Zentralbanken weiter fortgesetzt habe, wodurch den Staaten die politische Nutzung des Geldes faktisch aus der Hand genommen worden sei. So ergibt sich das heute durchaus populäre Bild, für zumindest einen relevanten Teil der sozialen und wirtschaftlichen Defekte der Gegenwart sei der Staat gerade durch Unterlassung verantwortlich.
Das ist keineswegs die vereinzelte Stimme eines Literaturwissenschaftlers, der sich ein wenig in den Bereich der Geldtheorie und -politik verirrt hatte. Die Kritik an der Rolle des »bürgerlichen Staates« gehört nicht nur zum Standardrepertoire marxistischer Sozialkritik. Die Vorstellung, der Staat könne, wenn er nur wolle, ganz anders handeln, ist deutlich darüber hinaus verbreitet. Nicht zuletzt die gegenwärtig recht intensiv diskutierte »neue monetäre Theorie« geht davon aus, dass der Staat durch gezielte (und theoretisch unbegrenzte) Geldschöpfung seine Zwecke, wenn er es nur wolle, effektiv verfolgen könne. »Grenzen der Wirksamkeit des Staates« werden dabei kaum diskutiert, Einwände, eine derart unbegrenzte Staatsaktivität sei etwa inflationsfördernd, werden mit dem Argument zurückgewiesen, so wie der Staat willkürlich Geld schaffe, könne er es im Zweifelsfall etwa durch Steuererhöhungen oder Vermögensabgaben auch wieder einsammeln.3 Geldknappheit als Einschränkung staatlicher Handlungsmöglichkeiten kann es in dieser Sicht streng genommen nur freiwillig, vom Staat durch unterlassene Geldschöpfung selbst herbeigeführt, geben; sie ist, sollte es zu ihr kommen, ein politisch bedingter Fehler, genauer Folge von interessengeleitetem Handeln, denn der insofern nicht souveräne Staat gebe Handlungsspielräume zugunsten privater Wirtschaftsinteressen auf. Das war ja auch Vogls Argument. Konstitutiv für derartige Annahmen ist die alte Vorstellung, wenn der Staat nur wolle, könne er Wirtschaft und Gesellschaft umfassend steuern, und dieses Wollen bestehe gerade darin, sich gegen Sonderinteressen im Zweifel auch hart durchzusetzen. Die wirtschaftlichen Leiden der Welt erscheinen als Folgen einer Vorherrschaft von Sonderinteressen, denen gegenüber der Staat das Gemeinwohl erst durchsetzen müsse. Nur dann sei er souverän.
II. Der eudämonische Staat und der Liberalismus
Ob diese Annahmen zutreffen, ist wiederholt mit guten Argumenten bestritten worden. Die Frage ist zunächst eine ganz andere: Trifft der vermeintlich einfache Befund historisch überhaupt zu? Denn so neu ist die Vorstellung, der Staat könne eigentlich so viel Geld schaffen, wie er benötige, und es gegebenenfalls später wieder einsammeln, keineswegs. Vielmehr hat es zahlreiche Experimente gegeben, deren Erfolg oder Scheitern einiges darüber aussagen, was es mit der wirtschaftlichen Souveränität des Staates und der souveränen Nutzung von derartigen Medien wie Geld und Recht auf sich hat. Schon das 16. und 17. Jahrhundert hatte sich darüber den Kopf zerbrochen, wie die Handlungsmöglichkeiten des Staates effektiv zu nutzen und eventuell sogar zu vergrößern seien. Dass er angesichts steigender Kosten für Militär und Verwaltung insbesondere nach der sogenannten militärischen Revolution 4 hierfür dringend zusätzliche Einnahmen benötigte, die über die Nutzung der bisherigen Einkommensquellen (Eigenwirtschaft, gelegentlich beigetriebene Steuern) hinausgingen, war offenkundig. Die Frage war, wie der sich im Zuge dieser Entwicklung organisatorisch ausdifferenzierende Staat an diese Mittel kommen sollte, und genau hier kommt historisch das ins Spiel, was bei Vogl der »Souveränitätseffekt« heißt. Eigentlich hätten die Monarchien beziehungsweise Herrschaften ihre Untertanen kurzerhand zu Mehrleistungen verpflichten können,5