4,99 €
Der "Deutsche Novellenschatz" ist eine Sammlung der wichtigsten deutschen Novellen, die Paul Heyse und Hermann Kurz in den 1870er Jahren erwählt und verlegt haben, und die in vielerlei Auflagen in insgesamt 24 Bänden erschien. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden in dieser Edition die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht. Dies ist Band 12 von 24. Enthalten sind die Novellen: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. Hoefer, Edmund: Rolof, der Rekrut. Holtei, Karl von: 's Muhme-Leutnant-Saloppel.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 306
Deutscher Novellenschatz
BAND 12
Deutscher Novellenschatz, Band 12
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849661205
Das Korpus „Deutscher Novellenschatz“ ist lizenziert unter der Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz und Teil des Deutschen Textarchivs. Eine etwaige Gemeinfreiheit der reinen Texte bleibt davon unberührt. Näheres zum Korpus und ein weiterführender Link zu den Lizenzbestimmungen findet sich unter https://www.deutschestextarchiv.de/novellenschatz/. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht.
www.jazzybee-verlag.de
Kurt von Koppigen.1
's Muhme-Leutnant-Saloppel.93
Rolof, der Rekrut.111
Jeremias Gotthelf.
A. Bitzius (s. über ihn Bd. VII, S. 8 unserer Sammlung) hat außer den Schilderungen seiner ländlichen Umgebung eine Anzahl romantischer Erzählungen geschrieben, welche jedoch im Ganzen nicht eben glücklich sind, bis auf eine, die freilich nur mit Unrecht dieser Klasse beigezählt wird, da sie vielmehr zwischen seinen romantischen und seinen Dorfgeschichten höchst eigentümlich mitten inne steht und eine wie die andere der beiden Gattungen übertreffen dürfte. Denn obgleich „Kurt von Koppigen“ im Mittelalter spielt und sogar mit legendenartigen Wunderbegebenheiten schließt, so ist diese Geschichte dennoch nichts weniger als romantisch, sie ist im Gegenteil realistisch durch und durch. Gotthelf zeichnet das dreizehnte Jahrhundert von der ländlichen Seite im Gegensatze zu der höfischen, die zwar nicht allen Edelsitzen auf dem Lande fehlte, aber dem ganzen Deutschland jenes Jahrhunderts doch nur so flüchtig und zerbrechlich erglänzte, wie der Regenbogen im Wasserfall. Er stellt uns auf den Boden, auf welchem ein „Herzog“ von Urslingen, am Kaiserhofe in den höchsten Würden, sich von feinen ländlichen Standesgenossen als simpler Freiherr behandeln lassen musste; auf den Boden, auf welchem ein Schenk von Winterstetten, der unter Friedrich II. Reichsschenke, Statthalter in Schwaben und Erzieher des Königs Heinrich gewesen, völlig verarmt zu Fuß mit seinem Knechte von einem Herrn zum andern betteln ging. Wie mit einer Art Intuition schildert er jene Zustände, in welchen das mittelalterliche Leben Deutschlands nach seiner wahren Gestalt erscheint; Zustände, welche, als das Reich Schiffbruch litt und mit ihm die entlehnte, in der Blüte schon vom Wurme benagte Bildung versank, mit einer nur deshalb nicht überraschenden Plötzlichkeit hervorbrachen, weil sie schon vorher, schwach niedergehalten, das eigentliche Wesen der Gesellschaft ausgemacht hatten. Sieht man jedoch näher zu, so wird man gewahr, dass er sich eines einfachen Kunstmittels bedient und eben damit den rechten Punkt trifft, indem er nämlich frischweg mit einem Griff in die nächste Nähe seine Bauern in die alten Eisenkleider steckt und sie in diesen als vollkommene Repräsentanten des wilden Adels jener zuchtloseren Zeiten hantieren lässt. Durch diese Verwertung eines lebendig angeschauten Materials erlangt er ohne sonderliches Studium des historischen Details eine Lebenswahrheit, mit welcher seine Dichtung sich nicht unwürdig neben die aus dem Mittelalter selbst stammende berühmte Erzählung vom „Meier Helmbrecht“ stellen darf, die freilich einen unnachahmlichen Reichtum von Einzelzügen bietet und auch weiterhin ein vollständigeres Zeitbild entfaltet, indem sie uns den festen Stand des freien Bauern gegenüber dem adeligen Räuber kennen lehrt. Hierin steht Gotthelf zurück, aber was er gibt, ist ganz und voll gegriffen, und seine Gestalten wetteifern an Fleisch und Blut mit den lebendigen Gestalten jener alten Erzählung. Dies ist umso bewundernswerter, als er, wie gesagt, sich wenig mit dem alten Kostüm zu schaffen macht. Ja, selbst der Ton des Erzählers, obwohl markig, wie von Gotthelf zu erwarten, ist nichts weniger als altertümlich. Und nicht bloß dieses: sogar an jenen Seitensprüngen und Seitenhieben, mit welchen er bei jeder Gelegenheit die Gegenwart zu bedienen gewohnt ist, fehlt es auch bei diesem so ungelegenen Anlasse nicht; so dass man sich freilich mehr als einmal versucht fühlen könnte, die störenden modernen Auswüchse wegzuschneiden. Allein wir hielten uns in diesem wie in ähnlichen Fällen zu einem eigenmächtigen Verfahren nicht berechtigt; und nur eine einzige Stelle von nicht ganz einem Dutzend Worten (S. 104 des Originaldrucks), die uns geradezu unmöglich schien, glaubten wir mit gutem Gewissen auslassen zu dürfen. Ein Bedenken anderer Art möchte Manchem der schon oben berührte Schluss erregen, der mit seinen Wundererscheinungen, die sich nicht als bloße Vision geben wollen, allerdings hart and die äußerliche Grenze der Novelle greift. Indessen ist es denn doch dem Gemälde aus einer Zeit so blühender Sagenbildung nicht eben ungemäß, eine große psychologische Wendung in das Gewand dieser Zeit zu neiden, die eine innere Umkehr und Umwandlung ohne das sichtbare Hereintragen einer höheren Zeit für ein Unding angesehen hätte; und was man auch an Einzelheiten der Erzählung aussetzen mag, dem Ganzen wird niemand den Ebenwert der besten geist- und charaktervollsten Holzschnitzereien, wie sie aus den Händen der Meister jener lebenskräftigen Zunft hervorgegangen sind, streitig machen.
***
Die Gestalt der Erde geht vorüber, gleich bleibt sich das Menschenherz für und für. Es wechseln über dem Schosse der Erde die Jahreszeiten, aber es wandelt sich nicht der Schoss der Erde. Lieblich ist's im weichen, warmen Frühlingswehen, aber wer des Eises gewohnt ist, sehnt nach des Nordpols eisigen Winden sich. Wer gewohnt ist an milde Sitten, an ein weichlich Leben, den schaudert vor der Rauheit vergangener Zeiten; wer in jenen Zeiten gelebt, den würde, in unsere Zeit versetzt, der Ekel töten, gleich dem Fische des Meeres das süße Wasser. So hat Gott es geordnet, der Mensch wird es nicht ändern. Aber Gott will auch, dass der Mensch betrachte die vergangenen Zeiten; nicht als Eintagsfliege ohne Zukunft hat Gott den Menschen geschaffen, und wer die ihm geordnete Zukunft genießen will, muss sich dazu stärken an der Vergangenheit. Wie jede Jahreszeit ihre Vorzüge hat und ihre Einflüsse, so jede Zeit im Weltenlauf. Aus den vergangenen Zeiten soll der Mensch das Gute nehmen und damit bessern sich und seine Zeit, mit dem Schlimmen jener Zeiten soll er Frieden und Genügen bringen ins alte Herz, welches von Natur weder Frieden noch Genügen hat, welches alle Tage geführt werden muss an den Born der Zufriedenheit, aus welchem die Freude an Gottes Ordnung quillt und der Dank für jede gute Gabe, die kommt aus der gesegneten Hand, welche sich öffnet zur geeigneten Zeit und speiset und tränket Alles, was da lebt, auf geeignete Weise.
Vor 600 Jahren war es anders als jetzt im Schweizerlande. Da war es wild nicht bloß in den Bergen, sondern auch im ebenen Lande; gering war der Anbau, gering dessen Ertrag, desto größer war der Wald, desto zahlreicher die Gewässer, von denen man oft nicht wusste, sollte man See oder Sumpf, Bach oder Fluss sie heißen. Viel Wild war in den Wäldern, mächtige Fische in den Gewässern; wer Herr sei im Lande, der Mensch oder das Tier, schien nicht entschieden, denn ebenso oft, als der Mensch des Tieres Lager zerstörte, zerstörte das Wild des Menschen Anbau. Düstere Türme waren zerstreut durchs Land, sie ragten aus den schwarzen Tannen heraus und über sie empor, wie greise Helden aus niederem Volke. Breit wie eine Henne über ihren Küchlein lag hie und da ein Kloster im Tale ruhig und gutmütig; höher schienen die Bäume, grüner das Gras in seiner Nähe. Heitere Gehöfte, wie sie jetzt blitzen mit ihren hellen Fenstern Stunden weit über das Land herein, sah man wenige oder keine in niedrigerem Lande; mehr in Wald und Sumpf, als im Hause, lebte damals der Mensch. Darum wandte man auch wenig Sorgfalt auf des Hauses Ausstattung oder gar Verzierung. Bäuerinnen wohnten schlechter, als heute Bettlerinnen; wenn Edelfrauen es gehabt hätten in ihren kahlen, kalten Schlösschen, wie heutzutage Bäuerinnen auf ihren reichen Gehöften, sie wären von Königinnen beneidet worden. Damals ging es einfach zu: Gold und Silber war wenig im Schweizerlande; die Dienstmägde von jetzt haben vielleicht mehr Seide am Leibe, als damals zu finden gewesen wäre im ganzen Lande.
Im schönen weiten Aartal, nicht weit davon, wo es von der wilden Emme fast rechtwinklig durchschnitten wird, da, wo jetzt das reiche Dorf Koppigen steht im Bernbiet, stand damals, wo jetzt noch auf dem Hügel, der Bühl genannt, Spuren zu sehen sind, ein kleines Schlösschen. Von Koppigen hießen die Edlen, welchen es gehörte. Die Gegend war nicht im Glanze, wie jetzt; gar mancher Kraft war noch keine Schranke gezogen, zerstörend konnte sie walten nach Belieben; keine Dämme fassten die Emme ein und hinderten sie, ihr Bett zu verlassen, rechts und links lustwandelnd durch die Fluren. Ihr beliebtester Spaziergang war rechts bei Kirchberg vorbei über die weiten Felder gegen Koppigen hin, den großen Sümpfen und kleinen Seen zu, welche noch jetzt zwischen Koppigen und der Aare liegen. Spärlich bewohnt war diese Gegend, und sehr arm waren die Bewohner, arm wie die Edlen im Schlösschen.
Dieses arme Schlösschen war nebst der Emme auch eine Ursache von der Armut der Gegend. Es glich einem alten offenen Schaden, welcher die gesunden Säfte eines Körpers verzehrt, dem Wirbel im Strome, der Alles an sich reißt, was in seinen Bereich kommt. Wir sind gar weit von der Ungerechtigkeit entfernt, dieses Schlösschen einem Krebsschaden zu vergleichen, eben weil es ein Schlösschen war. Wir wissen zu wohl, dass in jenen Zeiten viele Schlösser der süßen Quelle glichen, welche die Umgegend befruchtet, den müden Wanderer erquickt, der Magnet ist, welcher die Anwohner zieht, nicht um sie zu verzehren, sondern um sie zu laben. Klöster und Schlösser waren sehr oft in jener Zeit, was jetzt noch die Oasen sind in den afrikanischen Wüsten. Aber in Koppigen war es anders: die Herren von Koppigen waren ein angesehenes Geschlecht, aber seit Jahren waren sie umso ärmer geworden, je vornehmer sie sich dünkten. Schöne, stattliche Männer waren die Herren von Koppigen. Schon damals fiel es den Menschen bei, sich durch Heiraten zu heben und ihre persönlichen Vorzüge so gleichsam als Einsatz in dem verwegenen Spiel geltend zu machen. So heirateten die stattlichen Männer in vornehme Familien, erhielten zur Mitgift hohen Stolz, vornehme Angewöhnungen und Verwandte, welche sie gebrauchten, wenn es ihnen kommod war, hinterher dann taten, als hätten sie sie nicht gebraucht. Es gibt keine gefährlichere Stellung auf Gottes Erde, als den Kopf gen Himmel zu strecken, während man Nichts unter den Füßen hat. Hochmut zieht die Hoffart nach, hinterher kommt die Armut; wo diese drei in einem Menschen oder einem Geschlechte hausen, da ist ein gefährlich Dabeisein, ehedem wie jetzt. Hoffart und Hochmut schämen sich begreiflich der Armut, greifen zu allen Mitteln, um wenn auch nicht reich zu werden, so doch die Armut zu verdecken. Je nach Stand und Zeit wird List und Gewalt versucht, doch zumeist umsonst; während man Andere arm macht, wird man selbst alle Tage ärmer, hochmütiger und verachteter. Die Schwierigkeit, reich zu werden, wird zur Unmöglichkeit, in Schmach und Not geht der Mensch oder die Familie unter. Dies ist die Geschichte von tausend und abermals tausend Familien oder Menschen. Auf diesen Wegen wandelten eben auch die Herren von Koppigen.
Im wilden Leben war die Familie zusammengeschmolzen; zurzeit, in welcher unsere Geschichte beginnt, lebten im Schlösschen nur noch Mutter und Sohn, jung war der Vater erschlagen worden, als er eine Herde Kühe rauben wollte. Grimhilde hieß die Frau von Koppigen, und nie passten Name und Person besser zusammen, als bei ihr. Sie war eine Gräfin gewesen aus vornehmem Hause und hatte den Herrn von Koppigen geheiratet, weil sie nicht fromm genug war für ein Kloster und den Grundsatz hatte: wenn sie keinen reichen Mann kriegen könne, so nehme sie einen armen denn einer sei jedenfalls besser als gar keiner. Als sie diesen Grundsatz ins Werk setzte, war sie zu sehr vernünftigen Jahren gekommen. Der wilde Koppiger auf seinem magern Ross, der sich an ihr Haus zu klammern suchte, wie ein in den Strom Gefallener an einen Weidenzweig, fand erst Gnade in ihren Augen, als alle Hoffnung auf was Besseres durchaus verschwunden war. Von je böser als schön, hatte sie jetzt borstige, gerade herausstehende Haare um den Mund wie sie bei den Katzen üblich sind. Sie war lang und hager, hatte schwarze, stechende Augen, eine krumme Nase, hatte eine Stimme, welche tönte wie Peitschenhiebe, und wenn sie ging, machte sie Schritte, als wolle sie über den Schlossgraben springen. Sie besaß von ihrer alten Herrlichkeit nichts mehr als den Hochmut, desto greller trug sie ihn zur Schau; ihren Zorn, dessen sie nichts Anderes hatte, ließ sie an Allem aus, was in den Bereich ihrer langen Arme kam; sie war fürchterlich unbarmherzig. Zu ihrem Schlösslein gehörte ein kleines Gebiet, auf welchem eigene Leute wohnten, aber spärlich, wie auf magerem Ackerlein dünn die Halme stehen. Es hat eine eigentümliche Bewandtnis mit Land und Leuten; beide wollen weich gepflegt, freigebig genährt sein, dann gedeihen sie üppig, dann ist ihr Ertrag ein reicher; unter einer harten Hand verkümmern sie, je mehr man von ihnen begehrt, desto weniger geben sie: der ausgesogene Acker gibt keine Ernte, ausgesogene Leute zahlen keine Steuern, und wenn der Acker keine Ernte gibt, geht der Zehenten von selbst ein. Der Ertrag steht also im umgekehrten Verhältnis mit dem Bedarf; je nötiger Einer wird, desto weniger wird ihm; der ärmste Bauer, welcher das Geld am nötigsten hätte, hat zumeist den magersten Hof, der nichts abträgt. Es liegt hierin eine große staatswirtschaftliche Lehre, welche beachtet werden sollte; aber es ist noch immer so, dass den Unmündigen offenbar wird, was den Weisen der Welt verborgen bleibt. Je nötiger die Herren von Koppigen wurden, desto mehr sogen sie ihre Leute aus; wenn sie selbst nichts mehr hatten, nahmen sie das Erste Beste, was sie fanden. So geschah es, dass Pferde und Kühe Raritäten wurden im Koppiger Gebiete. Wenn nun aber der Bauer kein Vieh mehr hat, was helfen ihm da Äcker, und wenn der Bauer seine Äcker nicht mehr baut, was helfen dann dem Junker Zehenten und Bodenzinse. So hatten die Herren von Koppigen gewirtschaftet, unter Frau Grimhilde ward es nicht besser. Wie gesagt, hatte Frau Grimhilde nichts mitgebracht, als großen Hochmut und etwas Weniges an Schmuck und Kleidern. Sie rechnete viel auf ihre Familie, trieb einstweilen Hoffart so viel und solange sie konnte, schonte Nichts, hätte gerne den großen Grafen von Buchegg, Burgdorf und Andern es gleichgetan. Als ihr Mann vom wilden Küher erschlagen worden, erfuhr sie, wie viel Rechnungen einer vornehmen Tochter, welche arm geheiratet, welche sie auf ihre Familie macht, wert sind. Man ist glücklich, sie vergessen zu können, braucht alle Mittel, ihr die Erinnerungen an ihre Familie zu vertreiben. So ward Koppigen durch Frau Grimhilde ärmer, als es je gewesen war, ihre Kostbarkeiten waren dahin, Zufluss von außen kam ihr nicht; Hunger litt sie freilich nicht: Wald und Wasser waren bevölkerter als jetzt. Schon damals belebte die Forelle die klaren Bäche, und größer und mächtiger als jetzt. Der Lachs stieg zur Laichzeit die Bäche herauf, hellen Kies suchend für seine Nachkommenschaft; der schwerfällige Karpfen, der glatte Aal und manche andere gemeinere Fischart lebten in dem Gewässer. Das Wildschwein fand sich häufiger als jetzt der Hase; in Rudeln strich das Reh durch den Wald, weidete auf den Fluren; stolze Hirsche brachen durch die Büsche, schwammen durch die Flüsse, verschwanden, wenn Hunde an sie setzten, in des Juras dunklen Klüften. An Wild und Fischen hatte also Frau Grimhilde nicht Mangel, auch das Holz, sie zu kochen, brauchte sie nicht zu sparen. Auch war sie nicht gezwungen, selbst zu fischen und zu jagen, das tat Jörg, der Knecht, der einzige dienstbare Geist, welcher ihr übrig geblieben war. Früher war er Geselle des Ritters gewesen, seither Alles in Allem geworden: Burgvogt, Jägermeister, Fischverwalter, Erzieher, Waffenmeister, und wenn sie eine Kuh hatten, so war er es, der sie fütterte und molk. In Kurt, dem Junker, wuchs ihm ein immer tüchtigerer Gehilfe zu. Kurt war ein Kind der freien Luft, gutmütig von Natur, aber nichts als Jäger und Fischer fast von der Mutter Brust weg; was er mit List und Gewalt erbeuten konnte, war sein, Beute zu machen, so viel möglich, ward ihm zur Religion, eine andere hatte er nicht. Von Schreiben und Rechnen wusste er nichts, es waren damals noch keine Schulmeister in Koppigen. Kurt war Jürgens Freude, dagegen der Gegenstand von der Mutter Schelten; zerfallen mit der ganzen Welt, goss sie die Galle darüber über die nächste Umgebung aus, wie üblich. Wie einem armen Weibe Erdäpfelsuppe lästig wird, wenn es dreimal im Tage Erdäpfelsuppe essen soll, so hatte es Frau Grimhilde mit Fischen und Wildbret. Der arme Junker Kurt mochte seiner Mutter bringen, was er wollte, den fettesten Rehbock, den schönsten Salm, die Mutter schalt ihn aus. Der leibeigene Junge konnte seiner Mutter das Gleiche bringen, trotz allen adeligen Rechten, denn wo keine Gewalt mehr ist, da hören auch alle Rechte auf. Kurt hätte Lust gehabt, gegen seine Mutter sich zu empören, aber das war eine gewaltige Frau: erst beugte er sich ihrem Arm, später ihrem Geiste, sie regierte ihn wie ein Bärenführer seine Bären: sie knurren wohl und tanzen doch. Dagegen ward Jürg sein Freund. Derselbe liebte ihn als den Sohn seines Herrn, behandelte ihn mit dem Respekt eines Knechtes und unterrichtete Kurt in Allem, was er liebte, und stärkte ihn täglich im Glauben, dass erlaubt sei Alles, wozu man gelangen könne mit List oder Gewalt. Dieser Unterricht bewährte sich als sehr naturgemäß; Kurt fasste ihn mit der größten Leichtigkeit und übte sich darin mit der größten Freudigkeit. Es entwickelte sich in ihm ein gewaltiger Körperbau, er wagte sich täglich an gefährlichere Tiere, dem Wildschwein ward sein Spieß gefährlich, dem Bären ging er nicht mehr aus dem Wege, aber freundliche Worte erbeutete er dessentwegen von seiner Mutter nicht. Eines Tages hatte man in Koppigen eine seltene Erscheinung: ein Hausierer stand unterm Tore und bot seine War feil, Schmucksachen für hohe und niedere Weiber. Frau Grimhilde besah sich die Herrlichkeiten mit funkelnden Augen, und als sie sich endlich von ihnen losreißen musste, weil sie kein Geld hatte, schossen ihre Augen tödliche Blitze. Als der Hausierer die leeren Hände und die glühenden Augen sah, machte er, dass er fortkam, dachte, da sei er zum letzten Male gewesen. Er hatte Recht, doch nicht so, wie er es meinte, denn nicht lange ging's, kam Kurt mit dem ganzen Kram des Hausierers wieder zum Tore herein. Er hatte der Mutter Gier gesehen und gedacht, wenn je, so sei jetzt die Gelegenheit, ihr Freude zu machen und gute Worte abzugewinnen, und im nächsten Busche erschoss er mit der Armbrust den Hausierer. Er hatte Recht gehabt, die Mutter hatte Freude, lobte ihn, es war ihr, als breche ein junger Tag für sie an, an welchem sich verwirklichen würden ihre bereits verblichenen Träume von Glanz und Reichtum. Für sie waren die Tage des geselligen Verkehrs, wo man sich gerne schmückt, gerne prangt mit seiner Leibesgestalt, vorüber, und die Tage waren Frau Grimhilde gekommen, wo der Mensch gerne das Sammeln beginnt in immer ängstlicherer Hast, als ob er Leib und Seele vom Tode freikaufen könnte. Sie verschloss daher die neuen Schätze in alte Truhen, welche seit undenklichen Zeiten leer gestanden; ermunterte zum entschiedenen Fortschritt auf der begonnenen Laufbahn. Jürg war damit vollkommen einverstanden; auch ihm war durch Kurts unerwartete Heldentat ein Licht aufgegangen, ein neues Leben mit seinen alten Knochen zu beginnen, hoffte auch er. Die allergrößte Freude hatte jedoch Kurt selbst; hatte er es doch einmal der Mutter recht gemacht, hatte er doch jetzt den Anfang gemacht, mächtig und reich zu werden! Von Gewissensbissen war begreiflich keine Rede, List und Gewalt üben, war ja sein Gottesdienst. Die Ausführung hatte jedoch ihre Schwierigkeit: die Gegend um Koppigen war arm und öde, doch liefen zwei Straßen nicht ferne dabei vorbei. Die eine, etwa eine Stunde entfernt, führte von Burgdorf ins Aargau; die andere, viel näher noch bei Koppigen, von Burgdorf auf Solothurn. Diese Straßen waren nicht unbesucht, manch reicher Fang ließ darauf sich tun, aber das Ding war gefährlich. Den Grafen im Lande war an der Sicherheit der Straßen viel gelegen, sie hatten den Nutzen davon, und wenn auf denselben geraubt werden musste, wollten sie es selbst tun; nun ist's kitzelig, Mächtigen ins Handwerk zu greifen. Wäre es bekannt geworden, der junge Koppigen mache die Straßen unsicher, sein Leben wäre verfallen gewesen, sein Schlösslein geschleift worden, und seine Mutter hätte zusehen können, wo sie einen ruhigen Platz zum Sterben finde. Kurt hatte auch kein schnelles Ross, um zu erscheinen und zu verschwinden wie ein Blitz; er musste wie ein gemeiner Räuber zu Fuß sich versuchen. Das tat denn auch der wilde Junge mit Lust und Geschick; anfangs begleitete ihn wohl der alte Jürg, half ihm aus oder führte die Verfolger auf falsche Fährte; aber allmählich ward ihm dieses Leben zu Fuße beschwerlich. Frau Grimhilde entbehrte ihn nicht gerne, dem raschen Kurt war der Alte oft zu langsam, dass er je länger je lieber allein ging. Er wäre ein schöner Jägerjunge gewesen, an welchem selbst Diana, die heidnische Göttin der Jagd, Freude gehabt, wenn sie noch gelebt hätte, wenn er manierlich geschoren und gewaschen gewesen wäre; aber absichtlich geschwärzt und von Natur behaart, glich er eher einem Waldteufel als einem Menschen. So strich er mehr als halbwild Tage, Wochen herum, bis er Beute fand zum Heimbringen. Er trieb sich zwischen Solothurn und Büren, zwischen Solothurn und dem Aargau, zwischen dem Aargau und Burgdorf herum, kannte alle Wildwege durch Wald und Sumpf, aber spärlich war doch seine Beute; das Beste durfte er nie fassen, weil nach dem Werte der War dieselbe bewacht und beschirmt war. Er wagte sich wohl an Zwei, sprang, wenn der Erste vom Bolzen der Armbrust fiel, auf den Zweiten mit der Keule ein; aber zu Solchem fand die Gelegenheit sich selten, und oft bei der größten Gefahr war die Beute am kleinsten. Damals war gar viel herrenloses Gesindel im Lande, das unstet lebte und so gut als möglich vom Raube. Mit solchem musste Kurt bekannt werden; er wurde es Zuerst mit dem Speer in der Hand, als ein halbes Dutzend wilder Gesellen aus einem Busche sprangen, um mit ihm eine von ihm erlegte Beute zu teilen. Aber wie Gleiches und Gleiches sich gerne gesellt, wurde bald der Friede vermittelt und gute Bekanntschaft gemacht. Das Leben in der neuen Genossenschaft machte Kurt glücklich, gefiel ihm unendlich; nun hatte er Zeugen seiner Heldentaten, die hoch zu rühmen wussten, was er vollbrachte, und gar sehr vervielfältigten sich die Gelegenheiten zu denselben, da mit Mehreren mehr zu unternehmen war und weit in der Runde ihnen Alles verkundschaftet wurde. Dann ward in Klüften und Wäldern reich getafelt, mit wilden Dirnen ein wildes Spiel getrieben und, war man dessen satt, mit den Männern um die Beute gewürfelt. Das war ein anderes Leben im weiten Wald bei lustigen Dirnen, als im engen Schlösslein zu Koppigen bei der keifenden Mutter; darum sah man ihn auch immer seltener im engen Schlösslein. Diesem hätte Frau Grimhilde eben so viel nicht nachgefragt, aber Kurt kam auch immer mit leereren Händen; das war, was ihr Kurts Leben missfallen ließ. Er wurde in der Teilung betrogen und verlor am Ende noch in dem gedoppelten Spiele das Wenige, was ihm zugefallen war; darum hatte sie ihn nicht zum gemeinen Räuber geraten lassen, wo sie nichts hatte davon und Kurt auch nichts, als die einförmige Aussicht auf einen simplen Galgen. Auch Jürg, dem Knecht, war dieses Leben nicht recht, so hatte er es doch nicht gemeint, als er anfänglich dazu die Hand bot; er war einer der Knechte, welche am Hause hängen fast ebenso sehr als am Herrn, welche Alles dran setzen, des Hauses Glanz zu mehren, seinen Verfall zu wenden. Im Räuberleben sah er nichts Unrechtes; aber da hatte es der Vater doch anders getrieben, als der Sohn, nicht als ein Buschschleicher, sondern auf ritterliche Weise zu Ross mit Schwert und Lanze, und er, Jörge, hintendrein, nicht viel geringer anzusehen als der Ritter selbst. Dass das Schloss zu Koppigen nichts Besseres werden solle als eine gemeine Räuberhöhle, in die und aus welcher man leise zu Fuß schlich, wie die Maus aus ihrem Loche, so hatte er es sich nicht gedacht, das wollte nicht in seinen alten Kopf. Frau Grimhilde schalt, Jörg bat; aber nun hatte Kurt seinen Kopf und keinen Glauben zu Mutter und Knecht. Das neue Leben in der wilden Gesellschaft gefiel ihm allzu wohl, ein lustigeres hatte er nicht erlebt, was fragte er der Zukunft nach, da er so lustig lebte, was fragte er Koppigen nach, da es so lustig war im weiten grünen Walde! Je mehr man ihn mit solchem Gerede plagte, desto weniger kam er heim, es ging ehedem akkurat wie heute.
Es kam der Herbst und mit ihm ein Markt zu Solothurn. Dort wohnte von je ein lustiges Volk, welches sein wahres Leben mehr außerhalb des Hauses als im Hause selbst hatte, lieber Gast war, als Gäste hatte, darum, wer lustig leben wollte, im lustigen Solothurn zahlreich an den Märkten sich fand, wo man die weiten Herbergen voll Lustbarkeit und Solothurner fand. Begreiflich waren für Kurt und seine Freunde solche Tage, was Schweinemetzgen für Krähen ist im Winter. Von Weitem her kommen die schwarzen Vögel geflogen, sobald ein Schwein zu seufzen und zu schreien beginnt; von Weitem sperren sie die Schnäbel auf nach Schweinefleisch und Blut. Mit den Männern kommen die Dirnen gezogen, die jungen als Lockvögel, die alten als Spürhunde, durch den Markt streifen sie, wie die Schwalben fliegen durch die Luft nach Beute. Da findet sich viel Gesindel zusammen, wie von allen Winden zusammengetragen, und kennt sich von Weitem. Da gibt es viele Konkurrenz, findet sich alte Liebe, entsteht neuer Hass; was man des Tags gemeinsam erbeutet, zerstört man des Nachts im wilden Streite. Kurt war auch dort, verließ aber bald die Stadt. Bestmöglichst hatte er sich unkenntlich gemacht, doch sah er bekannte Augen, welchen er ebenfalls bekannt vorzukommen schien. Zudem ärgerte ihn das fremde Gesindel aus dem Buchsgau herauf und von den Ufern der Ergolz her. Dasselbe war vertraut mit seinen Bekannten, behandelte ihn aber gröblich und schnöde. Kurt hatte noch nicht die Weise der Erfahrenen, welche sich alsbald und unmittelbar Respekt zu verschaffen wissen. Ihm schien, seine alten Freunde täten nicht das Gehörige, ihm zum Respekt zu verhelfen. Zudem schienen ihm ihre Dirnen dem Bangah, so hießen die von der Ergolz her ihr jeweiliges Haupt, überflüssige Aufmerksamkeit zu erweisen. Es war ein Bursche von schlüpfrigem Ansehen mit weitem Maul und schlechten Gliedern. Kurt hätte ihn gerne zwischen seine Finger genommen; denn ihn plagte Eifersucht von allen Sorten, aber Solothurn war zu nahe bei Koppigen, sein Inkognito durfte er nicht gefährden. Missmutig marschierte er nach Subigen, wo sie zwischen Wald und Sumpf eine sichere Stätte hatten, wohin nach der Abrede zunächst die Beute des Marktes geschleppt werden sollte. Groll in wildem Gemüte kommt gar gewaltig in Gärung in der Einsamkeit, rumpelt und poltert dumpf wie eine Gewitterwolke am fernen Horizont, bis er endlich loskracht und Feuer speit. Nach und nach fanden sich einzelne Glieder ihrer Bande ein; da Kurt mürrisch tat, taten sie ebenfalls nicht höflich mit ihm. Dies hielt Kurt für absichtliche Verhöhnung, für eine allgemeine Verschwörung gegen sich. Als es dunkel ward, schlüpften Dirnen herbei, hinter ihnen her der Bangah und hinter dem Bangah eine ansehnliche Portion Wein, um welche er des Pfaffen Köchin zu Kriegstetten erleichtert hatte. Nun kam Feuer ins Pulverfass. Wegen Kurts Unliebenswürdigkeit und anfechtigem Wesen, und weil am Ende Gleiches und Gleiches zusammenhält, die Niederen nicht ungern die Gelegenheit ergreifen, sich zusammenzutun gegen einen Höheren, wenn auch nur für Augenblicke, waren Alle gegen ihn, erst mit Worten, dann handgreiflich, bis Kurt das Bewusstsein schwand. Als er wieder zu sich selbst kam, war es Tag, einsam um ihn, er wusste lange nicht, war er auf Erden oder des Teufels. Ganz natürlich schienen ihm Busch und Bäume, aber Kopf und Glieder brannten ihm, mit dem Feuer, mit welchem nach dem Glauben, welchen Kurt oft verlacht, der Teufel die ihm Zugefallenen brennen soll. Kurios dünkte ihm, dass er einsam sei. Wär's die Hölle, dachte er, müssten Viele da sein, der Bangah namentlich, ein viel gräulicherer Sünder als er. Da kam es ihm endlich, dass er noch im Subiger Walde sei, aber zum Tode matt, und dass Wunden ihn brannten, als wäre höllisches Feuer betritt. Nach und nach kam ihm das Gedächtnis wieder; neu loderte in ihm der Zorn auf, ein Glück war's, dass er an Niemand ihn auslassen konnte, aber für immer schwur er der alten Gesellschaft ab, schwur ihr Rache nach seinen Kräften. Der Durst trieb ihn auf, mühsam schleppte er sich zu einem der vielen Bäche, stärkte sich und wusch sich rein. Er musste heim, doch nicht gern kam er mit leeren Händen, und dass man seinen Anteil an der Beute ihm nicht hatte liegen lassen, versteht sich. Kurt knurrte wohl gegen die Mutter, aber innerlich hatte er doch großen Respekt vor ihr. Wenn die Mutter ein recht resolut Weib ist, ihre Zunge zu handhaben weiß in Hohn und Zorn wie einen zweischneidenden Dolch, so hat ein Sohn, wie stark und wild er auch wird, Furcht und Bangen vor der Mutter. Es ist seltsam und doch so, dass man die Gewalt über die Söhne viel öfter bei den Müttern als bei den Vätern findet. Es war Herbst, die Fastnachtszeit des Wildes im Walde, denn da schüttelt ihnen die milde Hand, welche sich auftut jeglicher Kreatur, wahre Herrenfressen von der mächtigen Eiche und der rot belaubten Buche, die ein Aussehen hat, wie ein alter Ritter, der sein Antlitz täglich von früh bis spät mit Rheinwein feucht erhalten hat. Auch tat sich das Wild gütlich in Laub und Gras. Zahlreich, fast wie Heuschrecken, flatterten die wilden Tauben in den reichbehängten Ästen, und kühn und trotzig führten die alten Schweine die jungen spazieren unter die wohlbekannten großgeästeten Bäume. So wild Kurt war, so leise konnte er gleiten durch der Wälder Schatten, wenn er Etwas beschleichen wollte. Ein altes Schwein tat mit einem Rudel Jungen unter einer großen Buche sich gütlich. Kurths Speer warf ein Tier nieder, über dem Geräusch erschrak der Haufe, rannte weiter, die Alte mit. Dass ein Junges fehle, merkte sie nicht. Kurt war von je nicht gewohnt, nach Grenzsteinen sich umzusehen, in seiner gegenwärtigen Stimmung tat er es vollends nicht; dass er in des Herrn von Halten Gebiet war und zunächst seinem Schlösslein, achtete er nicht. Der Herr von Halten war ein ehrbarer Mann, aber so eine Art von Nachthaube, wie man heutzutage sagen würde: er dachte nicht viel, tat nicht viel, aß und trank desto mehr und so gut wie er es haben konnte, doch war er leider auch bloß so gleichsam vornehm, aber nicht reich. Seine zahlreichste Habe waren neun Töchterlein, die umso vornehmer taten, je ärmer sie wurden, und umso spröder sich gebärdeten, je lieber sie einen Mann gehabt. Sie waren nicht so arm wie die von Koppigen, sie hatten noch Pferde und Kühe, sie spotteten daher grimmig über die von Koppigen, und doch wäre unter allen Neunen vielleicht nicht Eine zu finden gewesen, welche es verschmäht hätte, Frau von Koppigen zu werden; dass es keine ward, lag bloß daran, dass Kurt nicht von ferne daran dachte, eine Frau zu nehmen. Sie waren auch im Walde, lasen ebenfalls Buchnüsse zusammen, um Oel zu pressen zu ihren Lämplein, welche sie brennen mussten zur Winterszeit in ihrem dunklen Schlösslein, das noch heutzutage zu sehen ist. In diese hinein lief Kurt unversehens mit dem jungen Schweine auf der Achsel. Es ging den Fräuleins fast wie dem alten Schweine und seinen Jungen. sie wollten davonlaufen, als sie den Burschen erblickten, so wild und wüst anzusehen. Aber alsbald sahen sie, dass es Kurt ging wie ihnen, dass er lieber einige hundert Schritte weiter wäre als mitten unter ihnen. Denn so viel hatte er doch von einem Ritterssohn, dass er sich schämte, unter den benachbarten Fräuleins zu erscheinen in solchem Aufzug wie ein Räuber und als Wilddieb. Trotzig und stumm ging er vorüber, sie aber höhnten hinter ihm her, manch bitteres Wort kam bis zu seinem Ohr, klebte sich an seine Seele, einer Klette gleich, welche man nicht wieder los werden kann. Es juckte ihm die Hand, den Speer unter die Fräuleins zu werfen, wie früher unter die Schweine, doch hatte er so viel Verstand, dem Gelüste zu wehren, denn so viel Macht hatte der Herr von Halten noch, dass er einen solchen Frevel blutig und mit der Zerstörung von Koppigen hätte rächen können. Aber jetzt kam ihm, was Jörg und die Mutter ihm längst gesagt hatten: es war, als hätte man ihm ganz andere Augen eingesetzt. Er begriff, wie nichtsnutzig ein Bursche sei, der von Gesindel und von einem Bangah sich musste schlagen, von Weibern höhnen lassen, was ein Leben sei in solcher Schmach, und wie weit es führe, wenn man zur Not als Beute vieler Tage ein junges Schwein nach Hause bringe? Und als er nun heim kam, die Mutter ihn schalt, Jürg ärgerlich und traurig sich von ihm wandte, da ward Kurt gar elend im Gemüte, fast wäre ihm das Weinen gekommen, er verdrückte es wohl, aber da saß es innerlich. Wie finstere Wolken am Himmel jagen und streiten, bis endlich ein Gewitter sich geballt hat und losbricht, so stürmten seine Gedanken durch die Seele, bis der Entschluss sich festgestellt, ein anderes Leben zu versuchen, ein ritterliches, soweit es ihm möglich, um auf dieser Bahn wieder zu Geld und Ehren zu kommen. Als er einmal recht wusste, was er wollte, teilte er es Jürgen mit. Der hatte große Freude, zog die Schleußen seines Gedächtnisses auf und erzählte Tage lang von alten Heldentaten, von Ehren und Reichtümern, von Schlössern und Turnieren, von Kriegslisten und Fräuleins. Was Kurt des Tags gehört, träumte er des Nachts und erwachte am Morgen mit heißem Verlangen, auszuführen, was er geträumt. Mit großem Eifer schleppten sie aus allen Winkeln altes Rüstzeug zusammen, feilten und nagelten, bis sie so gleichsam eine neue Rüstung hatten, Putzten einen verrosteten Schuld neu auf und schlissen ein altes Schwert. Wenn Kurt zur Übung diese Rüstung getragen hatte, den Tag über mit dem Schwerte Äste von den Bäumen gehauen und Jürg mit einer Axt tapfer auf den Schild gehämmert hatte, so hatte Kurt des Nachts umso wildere Träume, fuhr als ein großer Kriegsheld in der Welt herum, baute ein großes Schloss und im Schloss ein ,tiefes schauerliches Verließ, in das Verließ warf er alle neun Fräulein von Halten und fütterte sie ihr Leben lang mit alten Buchnüssen und schwarzen Eicheln. Das waren so kurzweilige Mittel, einen langen Winter zu verkürzen, dass mancher laichende Lachs mit dem Leben wieder zur Aar und von da weiter kam, statt in Koppigen verspeist zu werden, mancher Eber die nächsten Eicheln noch erlebte und Wölfe ungestraft brüllten in der Nähe. Endlich dämmerte der Frühling, die günstige Zeit, dem Glück entgegenzureiten, nahte. Der Junker war fertig genagelt und gefeilt, sogar ziemlich eingehauen, nur Eins fehlte, um auszureiten, und welches in der Tat für Jemand, der ausreiten will, von ziemlicher Bedeutung ist, ein Pferd nämlich. Vor alten Zeiten waren Pferde in Koppigen gewesen, aber längst den Weg alles Fleisches gegangen, andere zu kaufen hatte man kein Geld, sie zu stehlen war die Gefahr größer als bis dahin das Bedürfnis. Jetzt war das Bedürfnis da, und wenn Kurt gleich mit dem Raub weiter ritt in die weite Welt hinaus, die Gefahr nicht groß. Jetzt war Not am Mann, jetzt musste eins gestohlen werden, ohne Ross konnte begreiflich der Junker nicht ausreiten, die Welt zu erobern. Guter Rat war teuer. Denn zum Pferdestehlen war die Zeit gar zu ungünstig. Bekanntlich stiehlt man Pferde am leichtesten von der Weide; aus wohlverwahrten Ställen aber in aller Stille einen Hengst zu bringen von bekannten Stuten weg und mit unbekannten Händen, ist ein vermessenes Stücklein. Gern hätte Jürg für seinen Zögling einen rechten Staatshengst gehabt, einen Ausbund mit Brüllen, Schlagen und Beißen, aber solche Hengste sind eben schwer zu stehlen, noch schwerer zu reiten, und in diesem war leider Kurt kein Ausbund. Lange spionierte Jürg im Lande herum nach etwas Dienlichem für einen armen Junker, stöberte endlich einen Klosterhengst auf, welchem bei einem Klostermaier das Gnadenbrot gegeben wurde, der es sicher zu haben glaubte, dort sein Leben in Ruhe verbringen zu können. Es ist aber halt Alles ungewiss in der Welt, wie sicher man sich auch gestellt glaubt. In einer dunklen stürmischen Nacht verschwand der Hengst aus des Meiers Stall, der Meier ließ sich nie ausreden, dass nicht der Teufel den Hengst geholt. Ohne Brüllen und Beißen hätte der sich nicht abführen lassen von menschlichen Händen, behauptete der Meier. Der Meier dachte nicht an seinen Klosterschlaf, der so dick war wie der Vorhang vor dem Allerheiligsten im Tempel zu Jerusalem und sieben Mal dicker als der Schlaf des Holofernes, der bekanntlich auch erst merkte, was Trumpf war, als Judith ihm den Kopf bereits vom Halse gestohlen hatte. Nun war Kurts Abreise unvermeidlich. Der alte Hengst brüllte gar gewaltig, als man ihn in Koppigen installieren wollte, erregte dadurch Aufsehen ringsum. Unter den Erlenstöcken hervor schossen die Wasserhühner, streckten neugierig ihre Hälse über das Wasser empor, die Enten flogen auf mit schwerem Flügelschlag und schossen einem entfernten Wasser zu. Die Rehe sprangen auf und horchten mit zitternden Beinchen, was die ungewohnten Töne zu bedeuten hätten, das wilde Schwein grunzte zornig, dass in seinem Revier ein neues Schwein ihn störe. Zwei alte Jagdhunde aber sprangen auf, heulten gar herzinniglich und wedelten aufs Zärtlichste mit ihren kurzen Schwänzen über die heimeligen, so lange nicht gehörten Töne, welche sie an die Herrlichkeit vergangener Tage erinnerten. Doch nicht bloß Hühner und Rehe kamen in Verlegenheit und in Zorn das wilde Schwein, denn zorniger als das Schwein ward die alte Grimhilde und verlegener als Reh und Huhn Jürg und Kurt. Zornig ward Grimhilde, als sie sah, dass es Ernst war mit Kurts Einfall in die Welt. Sie hatte es wie viele Eltern, sie betrachtete die Kräfte, welche sie genährt und erzogen, als ihr Eigentum, über welches sie allein verfügen, allein es nutzen konnte. Wenn Kurt fortging, wie sollte sie es machen können? Mit ihm entwich aus dem Hause die rüstige Kraft, was sollte sie beginnen allein mit dem alten Jürgen? Der schaffte ihr kaum genug Nahrung; geschweige, dass er ihr Beiträge lieferte für ihre Truhen, wie sie sich deren von Kurt zu erfreuen gehabt. Früher, als Kurts Fahrt bloß so ein Gedanke, oder, wie man im gemeinen Leben zu sagen Pflegt, eine Idee war, fand sie dieselbe beides prächtig und zeitmäßig; jetzt, da sie in Wirklichkeit treten, verkörpert werden, ihre Selbstsucht Opfer bringen sollte, empörte sich der kurze Sinn, welcher gerne beim Alten wohnt, welcher alle Tage das Gewohnte haben will. Da schrie sie, als ob man sie am Messer hätte. Es ging halt nicht anders, als es oft geht, dass, was von Weitem prächtig, ist in der Nähe hässlich, dass herrliche Ideen und Theorien in der Ausführung abscheulich werden oder auch wiederum nur abscheulich scheinen. So belferte Grimhilde gar bitterlich, und doch war nicht dieses Belfern der Hauptgrund der Verlegenheit der beiden Andern. Man war dessen gewohnt, Jürg sagte, sie hätte es immer so gemacht und doch Niemanden jemals Plätzen damit abgesprengt. Aber es ging ihnen, wie der Grimhilde, sie erfuhren, dass einen Gedanken fassen und denselben ausführen zwei ganz verschiedene Dinge sind. Wohin sollte Kurt reiten und zu wem? Sie fühlten jetzt, was eine Menge Eltern nicht denken, sondern erst fühlen, wenn sie ihre Kinder in die Welt schicken wollen, den Mangel an ehrbarer gewichtiger Bekanntschaft nämlich. Kommode wäre es gewesen, wenn er so geradezu auf einen Edelsitz hätte reiten und sagen können: bon jour miteinander! ich bin der Kurt von Koppigen, Vater und Mutter lassen grüßen und sagen, es wäre ihnen anständig, wenn ihr mich eine Weile behieltet und mir in der Welt forthilft; ich bin ein tüchtig Stück Mensch, gereuen wird es euch nicht. Aber das konnte leider Kurt nicht, seine Name war keine Empfehlung, sein Vater gestorben, seine Mutter aller Bekanntschaft abgestorben, weil eben Alle diesen Namen lieber gar nicht mehr hörten. Sie konnten also keinen Hafen ins Auge fassen, in welchem Kurt zu landen hätte, sie hatten bloß die Wahl zwischen den vier Weltgegenden; die sind weit; aber eben das war's, was sie in Verlegenheit setzte. Damals war es eine schöne Zeit für junge und alte Freibolde oder Freischärler, wie man sie jetzt nennen würde, für Leute, welche im Recht des Stärkeren ihr Heil suchten und ein Leben auf Kosten anderer.