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Florian Tanyildiz wurde 1984 in Berlin geboren. Er hat International Strategic Management studiert und ist seit 2015 Vorstandsmitglied des Bundes der Jungunternehmer (BJU/ASU) im Regionalkreis Berlin. Seit 2010 ist er Inhaber und Geschäftsführer der OTA Tanyildiz Schweißtechnik und im Ausbildungszentrum OTA für Qualitätsmanagement und Projektentwicklung zuständig.
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Seitenzahl: 88
Veröffentlichungsjahr: 2017
Mein Vorname ist deutsch. Mein Nachname türkisch. Regelmäßig passiert es, dass ich auf diesen Umstand angesprochen werde. An einem sonnigen Montagmorgen im Juli 2016 zum Beispiel, in einem Berliner Taxi. Der Putsch in der Türkei liegt gerade ein paar Tage zurück. Präsident Erdogan hat ihn überstanden und den Ausnahmezustand verhängt. Ich komme ins Gespräch mit dem türkischstämmigen Fahrer. Seine anfängliche Verwunderung ist nichts Neues für mich, ich höre die Frage oft: Du bist Türke, aber sprichst kein Türkisch?
Ich reagiere routiniert: Nein, ich bin Deutscher und spreche fließend Deutsch und Englisch sowie ordentlich Französisch und Spanisch. Mein Vater hat in meiner Kindheit viel gearbeitet. Daher haben mein Bruder und ich nie Türkisch gelernt. Schade, aber auch kein Weltuntergang.
Der Fahrer schaut mich mit großen Augen an.
Die meisten Türken gehen wie selbstverständlich davon aus: Wer einen Türken als Vater hat, der ist auch Türke. Dem widerspreche ich. Ich bin kein Türke. Ich bin ein Deutscher, dessen Migrationshintergrund zufällig, rein elternbedingt, türkisch ist. Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen, meine Bibel ist das Grundgesetz.
Meine Unterhaltung mit dem Taxifahrer geht weiter. Wir kommen auf den Putsch zu sprechen. Die Tatsache, dass ein Staatsoberhaupt die Meinungs- und Pressefreiheit vorsätzlich missachtet und willkürlich Menschen einsperrt, die Kritik gegen die Politik äußern, beunruhigt mich zutiefst und widerspricht meinen Wertevorstellungen.
Der Fahrer sieht das ganz anders. Er ist ebenfalls in Berlin geboren und aufgewachsen und fliegt regelmäßig zum Urlaub nach Bodrum. Er schwärmt von Erdogan und den Leistungen, die er in seiner Amtszeit vollbracht habe, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht: »Wenn du jetzt in der Türkei investierst, hast du in drei Jahren deinen Einsatz verdoppelt.«
Ich frage mich, warum dieser Mann sein Dasein noch in Berlin fristet und nicht schon längst in die Türkei zurück ist, um Millionär zu werden. Seine Argumentation wird immer unsachlicher, er schmeißt mir Zahlen an den Kopf, die ich weder bestätigen noch widerlegen kann. Ich versuche, das Gespräch auf eine sachliche Ebene zu bringen, und erläutere meine Bedenken gegen die Todesstrafe, von deren Wiedereinführung Erdogan redet.
Mit einem Satz bringt mich der Fahrer dann doch auf die Palme: »Unser Präsident lässt das Volk entscheiden.« Ich bin fassungslos und falle ihm ins Wort: »Ich habe eine Kanzlerin. Erdogan ist nicht mein Präsident.«
Der Taxifahrer verzieht den Mund. Den Rest der Fahrt verbringen wir schweigend.
Ich stelle dieses Erlebnis an den Anfang dieses Buches, weil es auf den Punkt bringt, was in Sachen Integration schiefläuft: Ein in Deutschland geborener und aufgewachsener Mann bezeichnet Erdogan als seinen Präsidenten. Wie kann das sein? Die in Deutschland lebenden Türken genießen alle Vorzüge unseres Rechts- und Sozialstaats. Man sollte annehmen, dass unser deutsches Bildungssystem zumindest die hier aufwachsenden Kinder und Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund auf den richtigen Pfad bringt. Wer als türkischer Staatsbürger in Deutschland lebt, dem werden Rechte eingeräumt, die ihm in der Türkei verwehrt blieben. Das geschieht nicht aus Gefälligkeit oder Mitgefühl, sondern weil es unser Rechtsstaat und das Grundgesetz so vorschreiben.
Integration gescheitert. Schnell kommt dieser Spruch, dieses Fazit, heutzutage vielen über die Lippen. Ich will nicht so weit gehen und von Scheitern sprechen. In manchen Teilen nicht gelungen und deshalb stark verbesserungswürdig, das trifft es eher.
Mir geht es nicht um Abrechnungen, Schuldzuweisungen oder Hauruck-Lösungen. Mir geht es um die Zukunft, und das in mehrfacher Hinsicht.
Mein Ansatz ist ein sehr persönlicher. Als eines von vielen Beispielen für gelungene Integration sehe ich die Geschichte meiner Familie. Mein Bruder Fabian und ich werden eines Tages die Geschäfte unseres Vaters vollständig übernehmen. Eine große Verantwortung, auf die wir uns seit Jahren vorbereiten, natürlich tatkräftig unterstützt durch unseren Vater. Das ist die unternehmerische Zukunft, in der wir das Werk von Erman Tanyildiz, unserem türkischstämmigen Vater, und Margit Weiß-Tanyildiz, unserer deutschstämmigen Mutter, fortführen werden. Unser Erbe ist nicht nur materiell, es umfasst auch die Werte, Überzeugungen und Gedanken unserer Eltern. Erman Tanyildiz kam als junger Mann nach Deutschland, den Kopf voller Träume. Er baute sich eine Karriere als Unternehmer auf, er erschuf sich eine Zukunft in diesem Land. Er nutzte seine Chancen, so wie es viele Einwanderer damals taten. Nicht jeder von ihnen hatte so viel Erfolg wie er. Seine Mission war es von früh an, anderen Zugewanderten ähnlich viele Chancen zu geben, wie er es genossen hatte. Der Schlüssel zu diesem Chancenreichtum war und ist Bildung. Erman Tanyildiz kam als gut ausgebildeter Mensch in dieses Land. Deutsch sprach er fast so perfekt wie seine Muttersprache Türkisch. Das verschaffte ihm einen ungeheuren Vorsprung gegenüber all jenen, die einwandern und sich mühsam die »schwere deutsche Sprache« (Mark Twain lässt grüßen!) aneignen mussten.
Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Ein Satz, den man immerzu liest und hört. Die Spatzen pfeifen ihn von den Dächern, möchte man fast sagen. Bildung ist Zukunft, so könnte man ihn auf andere Weise formulieren. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik wird wieder leidenschaftlich diskutiert, wie die Integration von Hunderttausenden Menschen aus anderen Kulturen gelingen kann. Dieses Buch, das ich im Namen meiner Familie schreibe, soll ein Beitrag zur Debatte sein. Es geht also auch um die gesellschaftliche Zukunft.
Warum ich denke, dass unsere Meinung zählt? Wir sind keine Wissenschaftler, Politiker oder Lobbyisten. Wir sind eine Familie, in der leidenschaftlich diskutiert wird. In diesen Diskussionen dreht es sich um große Fragen wie auch kleine Dinge. Anlass zur Debatte kann manchmal ein einzelner Begriff sein. »Einwanderer« zum Beispiel. Unser Vater Erman sieht sich nicht als Einwanderer, der sich integrieren musste. Er sei ein Deutscher, der zufällig aus der Türkei stamme, so sagt er gerne. Türkischstämmig genannt zu werden, das lässt er sich noch gefallen. Aus vielen Gesprächen mit ihm weiß ich, wie schmerzhaft manches Erlebnis für ihn war. Vorurteile, Vorwürfe, Unterstellungen. Allzu oft nannte und nennt man ihn milde lächelnd einen »türkischen Unternehmer«. Ihn, der seit mehreren Jahrzehnten einen deutschen Pass hat und seine Bürgerpflichten stets vorbildlich erfüllt.
Als Mitte 2015 die Zahl der Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa flüchteten, stieg und stieg, haben uns wie viele andere auch die Bilder in den Medien bewegt. Plötzlich war von einer »Flüchtlingskrise« die Rede oder sogar von »Flüchtlingsflut«. Panikmache, die vor allem den Populisten nutzte. Fakt ist: Viele, viele Menschen kamen nach Deutschland. Und mit ihnen kamen die Fragen: Dürfen, sollen, müssen sie bleiben? Wo sollen sie wohnen? Wie gut sind sie beruflich qualifiziert, würde es für den deutschen Arbeitsmarkt reichen? Von Bildung, Ausbildung und Qualifizierung verstehen wir etwas in unserer Familie, das ist unser tägliches Geschäft. Und wir haben eine Meinung dazu, wie die Integration gelingen kann. So entstand die Idee, dieses Buch zu schreiben. Ein konstruktives Plädoyer für mehr Toleranz, Gelassenheit und Vernunft soll es sein. Und ganz nebenbei auch eine kleine Verneigung vor der Lebensleistung meiner Eltern.
Beginnen will ich mit meinen Gedanken rund um den Begriff der Integration. Danach schauen wir uns ein sehr erfolgreiches Beispiel für Integration an: die Geschichte meines Vaters Erman Tanyildiz. Im Folgekapitel stelle ich mehrere Projekte vor, die von unserer Stiftung in Deutschland und anderswo verwirklicht wurden. Im Anschluss daran formuliere ich mehrere Thesen zu Integration und Bildung. Ich plädiere für ein mutiges Deutschland, das sich entschlossen den Herausforderungen von heute und morgen stellt und sich als wirkliches Einwanderungsland begreift. Multikulturelle Träumer sind wir in unserer Familie nicht, aber auch keine Sarrazin-Pessimisten. Wir sind überzeugt, dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft in diesem Land möglich und wünschenswert ist, wenn wir uns alle ein Stück bewegen – im Kopf und mit dem Herzen.
Florian Tanyildiz im Februar 2016
Sie ist eines der Reizwörter in Sachen Einwanderung: die Integration. Meist geht die Diskussion schon bei der Frage los, was man denn nun bitteschön unter Integration zu verstehen habe. Für die einen bedeutet sie die mehr oder minder konsequente Assimilation. Nach dem Motto: When in Rome, do as the Romans do. An sich keine schlechte Handreichung, doch steckt hinter solchen Anpassungsforderungen meist ein eher mechanistisches Gesellschaftsverständnis.
Als ob Zuwanderer ihre Herkunft, Geschichte und Kultur wie Hut, Mantel und Regenschirm an der Garderobe ablegen könnten. Um dann Kleidung anzuziehen, die der jeweiligen sogenannten Leitkultur entspricht. Für andere Diskutanten ist Integration ein wechselseitiger Prozess. Sie fordern nicht nur Anpassungsbereitschaft vom Einwanderer, sondern auch Akzeptanz und Offenheit von der Gesellschaft, in die er eintritt. Extremere Vertreter dieser Richtung nehmen eine sogenannte Multikulti-Perspektive ein. Sie sprechen sich für ein friedliches Nebeneinander von Zugewanderten und Einheimischen aus, frei von jedem Zwang zur Assimilation.