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Bernd Fuhrmanns umfassende Darstellung verbindet erstmals systematisch die Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit der Umweltgeschichte, die heute mehr denn je im Fokus steht. Ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und gesellschaftliche Entwicklung sind von großer Bedeutung. Schon der Einfluss des Klimas etwa auf die Getreideernte und die Weinlese beeinflusste die Ernährungslage weiter Teile der Bevölkerung. Entsprechenden Niederschlag fand der Rückgang der siedlungsnahen Wälder. Auch die Belastungen durch den Bergbau waren spätestens im 15. Jahrhundert bekannt. Die Entwicklungen von Agrarsektor, Handel, Handwerk, Städtewesen und sozialen Strukturen sind in den (chronologisch aufgebauten) Hauptkapiteln thematisiert und werden so für Früh-, Hoch- und Spätmittelalter vergleichbar. Der zeitliche Rahmen reicht vom 7./8. bis ins 17. Jahrhundert, wobei der Schwerpunkt auf dem Spätmittelalter und den folgenden etwa 100 Jahren liegt. Geographisch steht das Reichsgebiet nördlich der Alpen im Zentrum.
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Bernd Fuhrmann
Wirtschaft – Gesellschaft – Umwelt
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Der Philipp von Zabern Verlag ist ein Imprint der WBG.© 2017 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.Lektorat: Daphne Schadewaldt, WiesbadenKarte auf S. 8/9: Peter Palm, BerlinGestaltung und Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. DonauEinbandabbildung: Rheinischer Goldgulden, geprägt zwischen 1399 und 1402 in Frankfurt-Höchst, Avers: Johannes der Täufer mit Kreuzzepter, die Rechte zum Segen erhoben; zwischen den Füßen ein Johanniterkreuz. Umschrift: IOH(ann)IS AR(chi)EP(iscop)VSMAGV(n)T(inus). wikimedia commons/by Saharadesertfox Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim
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ISBN 978-3-8053-5007-5
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-8053-5132-4eBook (epub): 978-3-8053-5133-1
Für Caroline
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Innentitel
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
Einleitung
Klimaeinflüsse
Bevölkerungsentwicklung
Oberflächenstruktur
Geldwesen
Frühmittelalter
Agrarsektor
Handwerk
Handel
Städtewesen
Soziale Strukturen und Bildung des Adels
Hochmittelalter
Agrarsektor
Handwerk
Handel
Städtewesen
Verkehrswesen
Adel
Spätmittelalter
Agrarsektor
Wald- und Forstwirtschaft
Städtewesen
Bauen und Wohnen
Handwerk und Produktion
Handel
Aspekte der Sozialstruktur
Jüdisches Leben und Wirtschaften
Bergbau und Montansektor
Der Schwarze Tod und andere Seuchen
Öffentliche Finanzen und Kreditwirtschaft
Ernährung
Rückblick
Literatur
Eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands im Mittelalter, die die Veränderungen der natürlichen Lebensumwelt und die Auswirkungen menschlichen Handelns auf diese systematisch berücksichtigt, das ist Anliegen und Inhalt dieses Buches. Was ist gemeint, wenn von Deutschland im Mittelalter die Rede ist? Zumindest im Spätmittelalter umfasste der angesprochene geografische Raum im Wesentlichen das Reichsgebiet nördlich der Alpen. Von festen Grenzen kann noch keine Rede sein, sondern wir haben es mit Grenzzonen zu tun, die zuweilen durchaus großräumigen Veränderungen unterlagen, die sich längst nicht nur infolge von militärischen Auseinandersetzungen ergaben. So schied die Eidgenossenschaft, damals noch ohne die Städte Basel und Schaffhausen, de facto am Ende des 15. Jahrhunderts nach dem Schwaben- oder Schweizerkrieg aus dem Reichsverband aus, rechtlich freilich erst mit dem Westfälischen Frieden des Jahres 1648.1 Allerdings konnten die römisch-deutschen Könige bereits während des 15. Jahrhunderts ihre Ansprüche in der Eidgenossenschaft nicht mehr durchsetzen und dort keine Reichssteuern sowie sonstigen Finanzforderungen mehr eintreiben. Im südwestlichen Grenzgebiet fielen etliche Dörfer und Städte wie Metz, Toul, Verdun oder – als bedeutendste Kommune – Straßburg mitsamt ihrem Umland nach und nach in einem langwierigen Prozess an die französische Krone. Ungeachtet dessen erfolgte die definitive Abtretung des 1681 besetzten Straßburg an Frankreich erst mit dem Frieden von Ryswik 1697 am Ende des Pfälzischen Kriegs; während des 19. und 20. Jahrhunderts sollte das Elsass nochmals zu einem höchst umstrittenen Zankapfel zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich werden. Ohnehin blieben die Grenzen im Spätmittelalter durchlässig und behinderten den Handel kaum, der im Inneren des Reiches von Zollstellen an den Verkehrswegen, in den Städten sowie bei der Durchquerung der zahlreichen Territorien deutlich mehr belastet wurde.
Vergleichsweise zeitig lassen sich im späten 14. Jahrhundert im Osten frühnationale Gegensätze fassen, besonders in Böhmen, wo einheimische Kaufleute, aber auch weitere Teile der Bevölkerung sich gegen die Dominanz der meist deutschen Fernhändler wandten. Ohnehin blieb die Zugehörigkeit Böhmens zum Reich trotz der 1356 definitiv festgeschriebenen Funktion des Böhmenkönigs als Wähler des Römischen Königs immer wieder umstritten. Über einen Sonderstatus verfügte Böhmen jedenfalls bereits früher als Österreich, das sich 1358/59 einen solchen mittels Fälschung eines Privilegs sicherte, die schließlich im 15. Jahrhundert anerkannt wurde. Dagegen bilden im Süden die Alpen eine natürliche Barriere, wenngleich Bayern noch im frühen 16. Jahrhundert Kufstein, Kitzbühel und weitere Orte, die allesamt nördlich des Alpenhauptkamms gelegen sind, als Folge des bayerischen Erbfolgekriegs an die Habsburger abtreten musste.
Für den Norden lassen sich Nord- und Ostsee als naturräumliche Grenzen benennen, wenngleich das Herzogtum Holstein zum Reich gehörte, Schleswig hingegen der dänischen Krone unterstand. Teile der Niederen Lande oder Burgunds zählten zwar zum Reich, jedoch ging der Einfluss der Herrscher auch in diesen Territorien massiv zurück; wiederum erfolgte der endgültige Austritt erst 1648. In grober Vereinfachung erschwerten zudem die Mittelgebirge die Verbindungen vom ober- in den niederdeutschen Raum und umgekehrt.
Der viel diskutierte Beginn einer „deutschen“ Geschichte, der sich ohnehin nicht auf den Punkt genau bestimmen lässt, wird heute zumeist auf das 10. Jahrhundert datiert.2 Dennoch fließen selbstverständlich die Jahrhunderte zuvor in die Darstellung ein, angesichts einer für unsere Fragestellungen nur dünnen Überlieferung allerdings mit besonderem Augenmerk auf dem Ostteil des sich im Frühmittelalter formierenden Fränkischen Reichs, zunächst unter den merowingischen Herrschern, dann unter ihren karolingischen Nachfolgern. Elemente der Sozialgeschichte finden ebenso durchgängig Eingang in die Darstellung wie solche der Umweltgeschichte, die ganz allgemein als „Interaktion zwischen Mensch und Natur und vice versa“3 verstanden wird. Ebenso erfolgen immer wieder Ausblicke auf weitere europäische Länder, um die Entwicklungen im Reichsgebiet in grundlegende Tendenzen der ökonomischen und sozialen Prozesse einordnen zu können.
Generell geht die Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit weniger von theoretischen Modellannahmen aus, was schon der nur selten quantitativ hinreichend belastbaren Quellenüberlieferung geschuldet ist. Vielmehr analysiert sie vornehmlich hermeneutisch die eben keinesfalls immer rationalen Verhaltens- und Handlungsweisen der Menschen und der durch sie geschaffenen und umgebildeten Institutionen und bezieht auf diese Weise die für das 19. und 20. Jahrhundert konzipierte Neue Institutionenökonomik mit ein.4 Da wir häufig nur noch die Ergebnisse, die Endpunkte von teilweise langfristigen Entwicklungssträngen oder Prozessen identifizieren können, besteht die Gefahr einer teleologischen Deutung, da mögliche Nebenwege oder Brüche im Rückblick nicht oder kaum noch erkennbar sind. Die Übertragung moderner volkswirtschaftlicher Modelle auf die Wirtschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ist schon angesichts unterschiedlicher Rahmenbedingungen ausgesprochen problematisch, da beispielsweise obrigkeitliche und genossenschaftliche Verordnungen Teile des Handels und der Produktion lokal wie regional ganz anders als heute reglementierten.
Vorweg einige Anmerkungen zu den Rahmenbedingungen menschlichen Lebens und Handelns wie den klimatischen Entwicklungen, den Veränderungen der Oberflächenstruktur und der Bevölkerungsentwicklung. Anschließend folgen die Hauptkapitel weitgehend der gängigen Unterteilung in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter. Letzteres wird unter Einschluss weiter Teile des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts betrachtet, ohne damit ein langes 15. oder 16. Jahrhundert postulieren zu wollen. Zahlreiche Entwicklungsstränge endeten eben nicht an der Wende zum 16. Jahrhundert, und die Schlusspunkte manch tief greifender Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft, die im Spätmittelalter einsetzten, liegen nochmals deutlich später. Grundlegende Veränderungen der Wirtschafts- und Sozialstruktur sollten danach erst wieder seit dem 19. Jahrhundert erfolgen. Ebenso darf nicht aus dem Blick geraten, dass trotz aller Bedeutung von Produktion und Handel die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land lebte und arbeitete. Abgesehen von wenigen verdichteten Städteregionen haben wir es europaweit im Kern noch mit einer feudalen Produktionsweise zu tun.
Erst in den letzten Jahrzehnten haben die klimatischen Veränderungen, von Bernd Herrmann zutreffend als einflussreiches Hintergrundereignis historischer Entwicklungen charakterisiert,5 sowie ihre Auswirkungen und Einflüsse verstärkten Eingang in die Historie gefunden. Damit wurden das Spektrum der Erklärungsansätze für wirtschaftliche Entwicklungen, aber auch soziale und politische Veränderungen deutlich erweitert. Denn auch nach dem Ende der letzten Eiszeit bildete das Klima eben keine Konstante, sondern es wechselten mehrhundertjährige kältere und wärmere Perioden miteinander ab, dazu traten kurzfristige Schwankungen sowie vielfach nochmals regionale Abweichungen. Wie die spätmittelalterlichen Chronisten ihre Umwelt und besonders die jeweiligen Witterungsverhältnisse mit ihren vielfältigen Kapriolen wahrgenommen haben, zeigt bereits ein kurzer Blick in ihre umfangreichen Aufzeichnungen: Denn eindeutig im Zentrum stand fast Jahr für Jahr die jeweilige Witterung, da diese einen heute kaum mehr vorstellbaren Einfluss auf die Getreideernte, den Weinwuchs sowie allgemein auf das Gedeihen von Pflanzen und Tieren und damit auf die Lebensgrundlagen der Menschen hatte. Der grundsätzliche Einwand gegen diese Überlieferungsgattung, nämlich dass Chroniken oftmals Wissen aus zweiter und dritter Hand vermitteln, zählt in diesem Fall zumindest für die Erlebensphase der Autoren nicht; zudem konnten sie vielfach auf ältere Aufzeichnungen zurückgreifen. Die Witterung besaß damit grundsätzlich eine existenzielle Bedeutung für das Überleben. Erst an zweiter Stelle nannten die Chronisten Unwetter, Dauerregen, Überschwemmungen oder sonstige, vielfach regional oder auch lokal begrenzte Katastrophen, die gleichfalls die Ernährungslage entscheidend beeinträchtigen konnten. Dabei müssen freilich unterschiedliche subjektive Einschätzungen der verschiedenen Ereignisse hingenommen werden, was Vergleiche erschwert.
Bereits in der Spätantike, wahrscheinlich während des 3. Jahrhunderts, setzte eine Klimaverschlechterung ein, deren Ausmaß schwierig einzuschätzen ist, die aber schon in diesem Zeitraum zu einer Reduzierung der Erntemengen führte. Tiefer greifende Veränderungen brachte die Zeitspanne vom 6. bis zum 9. Jahrhundert, begleitet von ergiebigen Regenfällen und einer nochmaligen Abkühlung. Erstmals nach dem „Ende“ des Römischen Reichs liegen für den Winter 763/64 Aufzeichnungen zugleich aus mehreren Gebieten Europas vor, und diese lassen auf einen außerordentlich kalten Winter schließen. Im Winter 859/60 soll das Eis selbst in der Adria so dick gefroren gewesen sein, dass es von beladenen Fuhrwerken befahren werden konnte; die sogenannten Annalen von St. Bertin berichten gleichfalls von einem langen, harten Winter mit Schnee und Eis von November bis April.
Im Zeitraum vom ausgehenden 10. bis zum beginnenden 14. Jahrhundert lässt sich von einer Warmphase sprechen, gekennzeichnet u.a. durch ein Vordringen des Weinbaus in England bis fast auf 53 Grad nördlicher Breite, also auf die Höhe von Nottingham, Derby oder Stoke. Die höheren Temperaturen ermöglichten überhaupt erst die Fahrten der Wikinger nach Island, Grönland sowie nach Nordamerika, ebenso die Besiedlung Grönlands, die aber im Spätmittelalter – wiederum aus klimatischen Gründen – ihr Ende finden sollte; die Aufenthalte in Nordamerika blieben ohnehin eine Episode und dienten wohl in erster Linie der Holzbeschaffung. Die Durchschnittstemperatur dürfte in jenem Zeitraum mindestens ein bis eineinhalb Grad über den Werten im 20. Jahrhundert gelegen haben. Als entscheidend für die Ernährungslage erwiesen sich die durch das Klimaoptimum verlängerten Vegetationsphasen in Europa, wenngleich bis heute die Frage ungeklärt ist, ob das Bevölkerungswachstum zuerst einsetzte oder die Erhöhung der Erntemenge, also die alte Frage nach Henne und Ei erneut zu stellen ist.
Die in dieser Periode um etliche Wochen verlängerte Vegetationsphase ermöglichte das Vordringen des Getreideanbaus in die höheren Lagen der Mittelgebirge, selbst wenn die Erntemengen auf diesen weniger fruchtbaren, schweren, häufig zudem steinigen Böden geringer blieben. Der Grenznutzen sank damit teilweise deutlich, es ist sogar von Aussaat-Ernte-Relationen von gerade einmal eins zu zwei die Rede. Zudem erwies sich die Gefahr von Spätfrösten im Frühjahr oder solchen relativ früh im Herbst in diesen Gebieten als größer als in tieferen Lagen, während im Weststau der Mittelgebirge bis heute häufig hohe Niederschlagsmengen mit ihren Negativfolgen zu verzeichnen sind. Zum Wachstum der Agrarproduktion trugen ansonsten vornehmlich die stärkere Verbreitung der Dreifelderwirtschaft, bessere Gerätschaften und Anspanntechniken bei im Übrigen wohl weitgehend unveränderten Anbaumethoden das Ihrige bei. Quantifizierungen sind jedoch wiederum nicht möglich, sondern wir müssen uns mit zumeist groben Trendeinschätzungen begnügen. Allerdings führte der nunmehr hohe Nahrungsmittelbedarf zu einem ausgeprägten Vergetreidungsprozess auf Kosten der Viehhaltung, die wohl noch in der Karolingerzeit dominiert hatte, und damit zu einem Rückgang des Fleischkonsums sowie der Aufnahme tierischer Eiweiße und Fette.
Den gravierenden Klimaumschwung um die Wende zum 14. Jahrhundert kündigten vielfältige Vorboten an: Bereits für 1286, dann für den Zeitraum von 1303 bis 1306 lassen sich extrem kalte Winter im Norden Europas erkennen, und für die Jahre von 1313 bis 1317 sind feuchte Sommer sowie überwiegend nasse Frühjahrs- und Herbstzeiten überliefert, am dramatischsten wohl im Jahr 1315: In diesem Jahr dürfte im April ein bis in den November hineinreichender Dauerregen eingesetzt haben, der europaweit die Ernte nicht ausreifen ließ. Zudem wüteten heftige Seuchen unter den Viehbeständen. Die folgenden Jahrzehnte verliefen uneinheitlicher. Als ausgesprochen kalt gelten die Sommer von 1342 bis 1347. 1347 war das Jahr mit dem kältesten Sommer seit Jahrhunderten, und wie schon gut 30 Jahre zuvor, suchte die Menschen europaweit eine Hungersnot heim. Ernteeinbußen über mehrere Jahre hinweg führten unausweichlich zu Hungersnöten, einem ständigen Begleiter der Stadt- und – zumindest in einem gewissen Umfang – der Landbewohner bis in das 19. Jahrhundert hinein. Häufig beinhalten die Berichte zu Hungersnöten vornehmlich in Früh- und Hochmittelalter toposartige Erzählungen von einem um sich greifenden Kannibalismus der Menschen in Stadt und Land; konkrete Belege dafür fehlen allerdings.
Das Wissen um lange Phasen von Erwärmung und Abkühlung schon vor der Industrialisierung könnte die aufgeregten Debatten der letzten Jahre über die Klimaerwärmung versachlichen, zu mehr Gelassenheit statt hektischem Aktionismus führen. Vergleichsperioden von gerade einmal 40 oder 50 Jahren oder noch kürzeren Zeitspannen, zumal im Interesse der eigenen Interpretation möglichst passend gewählt, sind für das Erkennen längerfristiger Trends nun einmal gänzlich ungeeignet. Weiterhin argumentieren Historiker und Naturwissenschaftler hinsichtlich der Zulässigkeit von Analogieschlüssen und der historischen Vergleichbarkeit grundlegend unterschiedlich, denn Naturwissenschaftler schließen deutlich stärker ausgehend von Einzelbeispielen, die scheinbar Gesetzmäßigkeiten folgen, auf allgemeingültige Abläufe. Neben den gewählten Zeitphasen sorgt darüber hinaus ein Homogenitätsproblem bei den Messungen für erhebliche Schwierigkeiten in puncto Vergleichbarkeit, denn schon die Verlegung von Messpunkten aus den städtischen Randbereichen in die Innenstädte führt zwar zu einer höheren gemessenen Durchschnittstemperatur, belegt aber ansonsten keine Klimaveränderung. Dass sich die Umweltgeschichte in dieser wie in vielen anderen Fragen vielfach mit Werturteilsproblemen auseinanderzusetzen hat, ist unbestritten.6 Und selbst wenn die Umweltgeschichtsschreibung sich tendenziell zunächst an modernen Entwicklungen wie der oder den Industrialisierungen und ihren Folgen im 19. und frühen 20. Jahrhundert orientierte und etablierte, liefern neben der Klimageschichte doch auch die Mittelalter- und die Frühneuzeitforschung wichtige Impulse. Genannt seien in erster Linie Ulf Dirlmeier, Reinhold Reith, Bernd Herrmann oder Ernst Schubert, deren Beiträge vielfach in die Darstellung einfließen.7
Andere Analysen nähern sich dem Verhältnis von Natur und Mensch auf der Basis von literarischen, theologischen und philosophischen Überlieferungen ausgesprochen theoretisch an. Sie streifen das Thema schon aufgrund dieser Vorgehensweise letztlich nur am Rande, zumal sich die zeitgenössische Rezeption derartiger handschriftlich verbreiteter, zudem überwiegend in Latein verfasster Schriften ohnehin auf einen kleinen Kreis beschränkte und sie schon deswegen wenig Wirkung entfalteten. Und dass das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt eben nicht nur aus literarischen Quellen erschlossen werden kann, betonen Ernst Schubert und andere mit Nachdruck.8 Hinzu kommt, dass nicht nur Literaturhistoriker oder Kulturwissenschaftler die Wirklichkeit als ein soziales Konstrukt zu begreifen versuchen und einen linguistic turn oder symbolische Verhaltensweisen betonen. Im Zuge dessen erhalten philologische Erwägungen, weitreichende Spekulationen auf dünnem Eis oder rein theoretische Annahmen den Vorzug gegenüber den deutlich schwieriger ermittelbaren empirischen Erkenntnissen mit all ihren der Überlieferung geschuldeten Einschränkungen. Damit soll keineswegs einem naiven Positivismus das Wort geredet werden, aber zumindest werden auf diese Weise Beliebigkeiten und Konstrukte vermieden. So erfuhr etwa der deutsche Wald im späten 18. und im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der seinerzeit nur noch geringen Bestände eine mythische Überhöhung mit lang anhaltenden Folgen. Und wenngleich die Nützlichkeit der Natur für den Menschen erst im 18. Jahrhundert entdeckt worden sein soll, sie demnach zuvor tendenziell als etwas Fremdes empfunden worden wäre, sprechen doch zahlreiche Sätze und Nebensätze der Überlieferung gegen diese allzu einfache Interpretation.9
Neben den klimatischen Schwankungen beeinflussten vor allem lokal oder regional auftretende Unwetter oder Schädlingsbefall die Ernteerträge massiv. Das Gleiche gilt für die zahlreichen Fehden und Kriege, die ganz überwiegend auf dem Rücken der Landbevölkerung ausgetragen wurden. Zahlreiche Chronisten notierten in solchen Fällen steigende Preise als Anzeichen einer Verknappung und kommenden Teuerung, die natürlich ebenso wie klimatische Unbill jedweder Art die Armen zuerst und am stärksten betraf, dann aber auch weitere Bevölkerungskreise. Preisanstiege bei Getreide und Trauben bzw. Brot und Wein wirkten sich unmittelbar auf die realen Lebensbedingungen der meisten Menschen aus. Leider sind längst nicht alle Editionen von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Chroniken vollständig, sodass schon aus diesem Grund zusätzliche Unsicherheit über den Stellenwert einzelner Nachrichten besteht. Besonders in oberdeutschen Groß- und Mittelstädten ließen die Räte – wie der Chronistik, aber auch der Rechnungsüberlieferung zu entnehmen ist – überwiegend seit dem 15. Jahrhundert Getreidevorräte in Kornspeichern anlegen, um während einer Teuerung verbilligtes Getreide ausgeben zu können. Allerdings lässt sich von einer antizyklischen, preisstabilisierenden und damit von einer systematischen kommunalen Vorratspolitik noch kaum sprechen. Weiterhin ließen die Räte zeitweise Brot im städtischen Auftrag backen, um dieses günstiger an Bedürftige verkaufen zu können.10 Größere Teile der Einwohnerschaft verfügten eben nicht über ausreichende Mittel, um sich bei niedrigen Getreidepreisen Vorräte anlegen zu können, wie dies die Räte von den Vermögenderen einforderten.
So notierte Heinrich Deichsler, selbst ein vermögender Bierbrauer, für Nürnberg massive Teuerungen für die Jahre 1432, 1435, für die verbreiteten schweren Krisenjahre 1437 sowie 1438, dann für 1449, 1450, 1463, 1465, 1469, 1482, 1491, 1500 und 1501. Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts (bis 1544) nennt Müllner 1502, 1505, 1511, 1517, 1530, 1531, 1534 sowie 1540 als Hochpreisjahre.11 Müllner amtierte als Chronist der Reichsstadt Nürnberg im frühen 17. Jahrhundert, konnte sich auf deren umfangreiches Archiv einschließlich älterer Chroniken stützen. Die Reihe ließe sich problemlos weiterführen sowie durch weitere Städte ergänzen. Als die Nürnberger Bäcker 1530 aus den kommunalen Vorräten Korn erhielten, mussten sie geloben, das Brot zum Nutzen der Bürger zu verkaufen und nicht außerhalb der Stadt zu höheren Preisen. 1508 und 1509 hatte eine Ausgabe von eingelagertem Schmalz stattgefunden, da dessen Preis deutlich angestiegen war; für die armen Bevölkerungsschichten bildete ein mit etwas Schmalz versetztes Getreidemus das Grundnahrungsmittel schlechthin und lieferte zudem die einzige Zufuhr von tierischen Fetten. Bei all diesen ausschließlich auf die eigenen Bewohner beschränkten Vorsorgemaßnahmen spielte die Furcht vor Hungerunruhen eine zentrale Rolle, denn die Obrigkeit wurde verantwortlich gemacht für Missernten oder Getreideknappheiten. Allgemeine Unruhe in der Stadt – „die gemain murmelte ser“ – nennt eine Chronik in knapper Form als Grund für das Eingreifen des Nürnberger Rats 1437.12
Während des 16. Jahrhunderts und besonders dessen zweiter Hälfte dürfte ein neuerlicher stärkerer Preisanstieg zu verzeichnen gewesen sein, doch lässt sich zu seiner Berechnung ein stimmiger Warenkorb aufgrund der Überlieferungssituation nicht mehr erstellen. Häufig findet zu solchen Zwecken der Getreidepreis Verwendung, doch bildet er angesichts des stark witterungsabhängigen Erntevolumens nur einen Indikator – wenngleich einen wichtigen – für die Einschätzung der Lebenshaltungskosten. Eine ausschließliche Korrelation zwischen Getreidepreisen und Einkommen war und ist problematisch, aber zum Aufzeigen von Tendenzen wohl dennoch unumgänglich. Besser eignet sich die von Knut Schulz vorgeschlagene Nahrungsmittelkombination von 50 Prozent Getreide, je 20 Prozent Eiweiß und Fetten sowie zehn Prozent Wein, doch stehen dem erhebliche Probleme bei der Ermittlung der jeweiligen Preisspannen im Jahresverlauf entgegen; zudem gilt es, die Kosten beispielsweise für weitere Getränke, für Bekleidung, den Unterhalt des Hauses oder die Mietzahlungen und die Heizkosten mitzuberücksichtigen.13
Klimatisch uneinheitlich gestalteten sich das weitere 14. und das 15. Jahrhundert sowie die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das Jahrzehnt ab 1450 gilt gleichfalls als kühl, während in den beiden folgenden Dezennien die Temperaturen wieder anstiegen, bevor zwischen 1481 und 1490 erneut ein Rückgang zu verzeichnen war. Der Augsburger Burkard Zink notierte für 1446/47:
„Item es hueb an zu regnen am hörbst und regnet also teglich biß nach sant Martins tag, und hueb darnach an zu schneihen und viel ain schnee über den andern. Und nach weihennechten kam ain würme in den schnee und zergieng aller auf den äckern; und als der schnee hin was, da lag es überall voller frösch uff den äckern, die frösch waren in dem regen herab kommen. Und desselben mals waren lützel meus in den äckern, sie waren all ertrunken in dem regen.“14
Von einer sich anschließenden schlechten Ernte berichtete Zink aber nicht. Für den Abend des 12. September 1448 erwähnte er einen Hagelschauer mit Körnern größer als Hühnereiern, der überwiegend Gartenfrüchte und Obst vernichtete, aber auch Dächer durchschlug und Kirchenfenster zerbrach. 1463 fraßen dann in und um Augsburg Würmer die Obstbäume kahl, sodass diese Ernährungsvariante ausfiel; das ungleich wichtigere Getreide konnte hingegen in großen Mengen eingebracht werden und galt als preiswert. Fünf Jahre später, 1468, wusste Müllner für Nürnberg und Teile Frankens erneut von Misswuchs zu berichten:
„Die Witterung ist dies Jahr seher bös und ein kühler, nasser Summer gewest, also daß viel Getreid nit zeitig worden, und das Zeitige hat man nit können einbringen, sondern ist auf dem Feld ausgewachsen und etlichs gar ertrunken. Vil Felder hat man des langwürigen Regens und Gewässers halb gar nicht besämen können, das Futter ist auf den Wiesen verfaulet, daß man dessen wenig einbracht. Die Obst- und Baumfrücht sein des wenigen Teils zeitig geworden.“15
Einen gravierenden Einbruch verursachte schließlich die Klimaverschlechterung der wohl gegen 1560 beginnenden und um 1580 verstärkt einsetzenden „Kleinen Eiszeit“. Am stärksten betraf diese Entwicklung landwirtschaftlich genutzte Böden mit einer ohnehin schon ungünstigen Aussaat-Ernte-Relation, also vorwiegend diejenigen in den Mittelgebirgsregionen. Getreidemissernten mussten schon um 1570 verzeichnet werden, und vor allem in den Jahren von 1569 bis 1573 häufte sich der Hunger massiv. Währenddessen zählten Großbauern sowie adlige, geistliche oder bürgerliche Inhaber von landwirtschaftlichen Großbetrieben wie auch sonst in derartigen Krisenzeiten zu den Gewinnern, denn sie konnten ihre zwar weniger gewordenen, aber dafür deutlich teureren Überschüsse veräußern. Zahlreiche in der älteren Forschung dem 14. Jahrhundert zugeschriebene Auflassungen von Höfen und Siedlungen (Wüstungen) erweisen sich auf Basis jüngerer Forschungen erst als eine Folge dieser Klimaverschlechterung und vor allem des Dreißigjährigen Kriegs. Während des 16. Jahrhunderts als der zweiten Phase des Landesausbaus waren zuvor in größerem Umfang im 14. und 15. Jahrhundert aufgegebene Böden wieder unter den Pflug genommen worden.16
Zugleich dürfte diese Klimaverschlechterung durch die Verknappung der natürlichen Ressourcen zu erheblichen sozialen Veränderungen geführt oder vorhandene Tendenzen zumindest verschärft haben: Zunächst einmal wuchs die Zahl der als unehrlich eingestuften Berufe deutlich an, wenngleich mit regionalen Unterschieden. Ferner erfolgten die striktere Abgrenzung einer steigenden Anzahl von Randgruppen sowie eine verstärkte Kriminalisierung von Delikten und Tätern. Die von Richard van Dülmen als „Theater des Schreckens“ charakterisierten, öffentlich inszenierten Hinrichtungen gehörten gleichfalls der Frühen Neuzeit an; ebenso hatte das Ausmaß der am Ende des 16. Jahrhunderts massiv einsetzenden Hexenverfolgungen und -prozesse eine Ursache in diesem Negativtrend.17 Damit erweist sich dieses Phänomen, das gerne als Beispiel für ein angeblich finsteres, rückständiges Mittelalter herangezogen wird, als eine Erscheinung der Neuzeit, zumal die Hexenlehre erst am Ende des 15. Jahrhunderts ihre volle Ausformung erfahren hatte. Weiterhin wuchsen nicht nur in den Alpen die Gletscher vor allem zwischen 1570 und 1620 wieder rapide an. Allerdings kam es auch noch danach, mit Höchstständen um 1700 sowie um 1859/60, zu einem Wachstum der Gletscher, deren Rückgang in den letzten Jahrzehnten die gegenwärtigen Diskussionen so stark prägt. Extrem kalt sollten die Winter der Jahre 1695 und 1697 werden, in denen sich beispielsweise auf Donau, Rhein und Elbe dicke Eisschichten bildeten. Gerade im Alpengebiet reduzierte sich die Vegetationszeit drastisch, was auch zu einem Einbruch der Milchproduktion führte.
Während der Spätantike und des Frühmittelalters sank die Bevölkerungszahl in Europa deutlich, verstärkt durch die seit der Mitte des 6. Jahrhunderts auftretende „Justinianische Pest“, sodass für die Mitte des folgenden Säkulums die Bevölkerung Europas auf nur noch etwa 18 Millionen Köpfe geschätzt wird. Anschließend an diesen lang andauernden Transformationsprozess ist eine erste leichte Erholung zu vermuten. Ein deutlicher, wenngleich keinesfalls mit der stürmischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts vergleichbarer Anstieg erfolgte dann seit dem 10. Jahrhundert, und für die erste Jahrtausendwende wird die Bevölkerungszahl für Europa mit 38,5 Millionen angegeben. Allerdings beruhen alle diese Zahlenangaben auf Schätzungen, mögliche Abweichungen um ungefähr einem Fünftel nach oben oder unten müssen stets einkalkuliert werden. 1340 belief sich die Bevölkerung auf eine Zahl von ungefähr 73,5 Millionen Menschen, doch dürfte der Höchstwert bereits im ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts erreicht worden sein, bevor im zweiten Dezennium die europaweite Hungersnot eine Vielzahl von Toten forderte. Eine zeitlich parallele Wärmephase begleitete das Bevölkerungswachstum bzw. leitete es vielleicht sogar maßgeblich ein. Dabei erfolgte der Bevölkerungsanstieg vom Ende des 10. bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts regional wie überregional ungleichmäßig, denn vor allem West- und Mitteleuropa wiesen hohe Wachstumsraten auf – hier verdreifachte sich in etwa die Einwohnerschaft während dieser Zeitspanne. Das zuvor dominierende Südeuropa musste sich dagegen mit geringeren Wachstumszahlen begnügen. Zu einem drastischen Einbruch führte schließlich die 1347/51 wütende Pest, welcher schätzungsweise ein Drittel der europäischen Bevölkerung zum Opfer fiel. Dagegen kostete der Zweite Weltkrieg „gerade einmal“ etwa fünf Prozent der Einwohner Europas das Leben. Daneben muss für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit, aber auch die Zeiten davor und danach, von einer hohen Kinder- und Säuglingssterblichkeit ausgegangen werden, denn etwa ein Viertel bis ein Drittel der Allerjüngsten überlebte schon das erste Lebensjahr nicht. Für 1500 werden Bevölkerungszahlen von 50 Millionen oder auch 84 Millionen Menschen vorgeschlagen, was die immensen Unsicherheiten derartiger rückblickender Schätzungen verdeutlicht.18
Tendenziell seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert, vielleicht schon seit dessen Jahrhundertmitte, und nochmals verstärkt im folgenden Jahrhundert lässt sich wieder ein Bevölkerungswachstum erkennen, wobei dessen Quantifizierung aufgrund der unzureichenden Quellenbasis schwierig bleibt. Erst die im späten 16. Jahrhundert zunächst vereinzelt einsetzenden Kirchenbücher mit ihren Aufzeichnungen von Geburts- und Sterbedaten bildeten hinfort zumindest ansatzweise eine Grundlage für die historische Demografie. Für die Kameralisten des 17. und 18. Jahrhunderts galt Bevölkerungswachstum jedenfalls als die zentrale Voraussetzung für Wirtschaftswachstum; eine systematischere Peuplierungspolitik verfolgten daher etliche Territorialherren nach dem Dreißigjährigen Krieg. Wachstumslimitierend wirkte sich jedoch bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg die Klimaverschlechterung der wohl gegen 1580 massiv einsetzenden „Kleinen Eiszeit“ aus.19 Den Dreißigjährigen Krieg selbst begleitete ein drastischer Bevölkerungseinbruch, der allerdings regional wiederum große Unterschiede aufwies. So blieb beispielsweise Hamburg von den Kriegshandlungen verschont, und die Kommune legte als Hafenstadt in diesen Jahrzehnten die Basis für den folgenden Aufstieg. Auch Köln entfaltete gerade während dieser Auseinandersetzungen umfangreiche Aktivitäten als Drehscheibe des Waffenhandels und Umschlagplatz weiterer kriegsnotwendiger Waren und Produkte, welche alle kriegsbeteiligten Parteien von dort bezogen. Dagegen erwiesen sich seit den 1630er-Jahren weite Teile Frankens und Bayerns als ebenso schwer getroffen wie Hessen, Thüringen, das Elsass, die Kurpfalz oder etliche Regionen in Württemberg. Dabei starben die Menschen weniger aufgrund direkter Kriegshandlungen, sondern vielmehr an deren Begleiterscheinungen und Folgen wie der Verwüstung der Felder und Äcker, dem Raub des Viehs sowie dem gehäuften Auftreten von Epidemien wie der Pest vor allem in den 1630er-Jahren.
Geomorphologische Umgestaltungen lassen sich grundsätzlich in drei Kategorien einteilen: Erstens sind Veränderungen der Landesnatur zu nennen, die ohne jeglichen Einfluss des Menschen verlaufen sind – so wurden etwa die Britischen Inseln erst vor gut 9000 Jahren nach dem Ende der letzten Eiszeit vom europäischen Kontinent getrennt. Zweitens begegnen uns durch direkte menschliche Einwirkung verursachte Entwicklungen. Schließlich sind drittens indirekte und damit nicht intendierte Eingriffe des Menschen aufzuführen, die dennoch langfristig erhebliche Auswirkungen haben können. Freilich wirkten und wirken diese Stränge auf mannigfaltige Weise zusammen, ohne dass sich ein derartiges Ineinandergreifen und die jeweiligen Rückkopplungen stets mit hinreichender Genauigkeit trennen ließen.20 Tief in das Gedächtnis eingegraben haben sich in erster Linie die großen Überflutungen, während beispielsweise Stadtbrände auf Gewitter oder auch auf menschliche Einflüsse – beabsichtigt oder zumeist wohl eher nicht – zurückzuführen sind.
Ein eindrucksvolles Beispiel für Überschwemmungen bietet jene Katastrophe, die sich kurz vor der Mitte des 14. Jahrhunderts ereignete: die Magdalenenflut. Wie jüngere Untersuchungen nahelegen, waren beispielsweise Teile des Spessart und Solling noch im frühen 14. Jahrhundert waldarme und mit fruchtbaren Böden begünstigte Landschaften. Sie wurden während der verheerenden Magdalenenflut des Jahres 1342 großflächig ausgeschwemmt, erst als Folge der Jahrtausendflut entstanden in diesen Gebieten von Eichen und Buchen geprägte Waldlandschaften. Die Magdalenenflut dürfte allein in Deutschland etwa 13 Milliarden Tonnen Boden abgetragen haben, zwischen 1313 und 1348 belief sich die Gesamtsumme auf etwa 34 Milliarden Tonnen Boden, zumal die Starkregen eben nicht nur die Ackerkrume fortschwemmten, sondern die Landschaftsoberfläche weiträumig veränderten. Auch zahlreiche Orte vor allem an Main, Neckar, Rhein (unterhalb von Mainz), Werra, Fulda, Elbe und Donau wurden durch das Hochwasser verheert, das am 19. und 20. Juli 1342 zunächst in Mittel- und Oberfranken katastrophale Schäden anrichtete. Noch am 20. Juli erreichten die Fluten Frankfurt am Main – wo der Main mit 7,85 Metern über dem Nullpunkt des städtischen Pegels den höchsten je bekannten Stand erreichte – und am 24. Juli schließlich die Niederlande. Zahlreiche Flüsse verzeichneten in diesem Jahr den höchsten Wasserstand des letzten Jahrtausends, vielleicht sogar des Holozäns, wobei die abfließenden Wassermassen nach groben Schätzungen die großen Fluten am Ende des 20. Jahrhunderts und im frühen 21. Jahrhundert um das Zehn- bis Hundertfache übertrafen. Zumindest bis zum Ende des 17. Jahrhunderts sollten danach nur noch vergleichsweise schwache großflächige Erosionen folgen.21
Als Folge der Überschwemmungen stellte sich wieder einmal eine schwere Hungersnot nicht nur in Franken und in Hessen ein, und angesichts der mangelhaften Infrastruktur und der beschränkten Transportmöglichkeiten der Zeit gab es kaum Chancen, die zwar regional begrenzte, aber dennoch gravierende Notsituation durch Getreideeinfuhren aus nicht betroffenen Gebieten zu mindern. Dabei handelt es sich allerdings um ein für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit typisches Problem.
Johannes Müllner berichtete für 1445, in diesem Jahr habe das Wasser so hoch gestanden, dass sich niemand an einen höheren Stand habe erinnern können. Auch im Umland seien zahlreiche Stege und Brücken ebenso wie viele Mühlwerke von den Fluten zerstört worden. Ausdrücklich betonte er, dass für einige Tage kein Weißbrot erhältlich gewesen sei, eine wohl nur für die Oberschicht schmerzhafte Erinnerung. Das Wasser in den Kellern habe die eingelagerten Vorräte an Wein und Bier ebenso wie andere Lebensmittel und Handelsgüter verdorben. In etlichen Gassen sei das Wasser über den Köpfen der Pferde zusammengeschlagen und die Wagen seien geschwommen.22 Wieder fiel die Ernte buchstäblich ins Wasser, und derartige Hungersnöte sollten ein steter Begleiter der europäischen Bevölkerung bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts bleiben. Uferschutzbauten wie beispielsweise in Innsbruck (Archen), begonnen im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts, sind abseits der Küstenregionen nur spärlich belegt. Der menschliche Einfluss auf derartige Katastrophen oder, genauer gesagt, auf derartige Naturereignisse dürfte, falls überhaupt messbar, noch sehr gering gewesen sein.
Auch Erdbeben bildeten im Spätmittelalter keine unbekannten Größen. Zu nennen ist nicht zuletzt das Beben von 1348 mit dem Zentrum in Österreich und jenes von 1356, welches weite Teile Basels zerstörte. Der Basler Chronist Heinrich von Dissenhofen versicherte, alle Kirchen mit Ausnahme des Dominikanerklosters und der Johanniterkapelle, beide bezeichnenderweise in der Vorstadt gelegen, seien bereits beim ersten Ausbruch des Bebens am 18. Oktober 1356 eingestürzt, während ein Anonymus im „Roten Buch“ notierte, dass zunächst die Steinbauten und die Wohntürme in der Innenstadt und den Vorstädten größtenteils zerstört worden seien, während die Fachwerkhäuser aufgrund ihrer elastischeren Bauweise besser standhielten. Dennoch nutzte dies wenig, fiel doch der Rest der Bauten nahezu ausnahmslos dem anschließenden Großfeuer zum Opfer, welches zehn Tage lang wütete, gefolgt von einem Nachbeben am 28. Dezember des Jahres.23
Nur vage äußern sich die Chronisten über die Zahl der Opfer. So vermerkte der Straßburger Fritsche Closener nur lapidar, „vil ludes und vihes“ seien verdorben. Andere berichteten von über 300 oder mehr als 1500 Toten, wobei grundsätzlich festzuhalten ist, dass präzise Angaben zu Bevölkerungs- oder Opferzahlen nicht nur im Mittelalter eine Ausnahme bildeten. Wie die Zeitgenossen auf das Erdbeben reagierten, bleibt ebenfalls unbekannt. Noch die Äußerungen des 15. Jahrhunderts fallen keinesfalls eindeutig aus: Für Enea Silvio Piccolomini, den späteren Papst Pius II., kam das Erdbeben in seiner Beschreibung Basels von 1438 einer Neugründung der Stadt gleich, denn es gebe kein Zeichen von Alter innerhalb der Mauern der seinerzeitigen Konzilsstadt. Doch ihm verstellte wohl das Städtelob den Blick. Thomas Ebendorfer, der von 1432 bis 1435 als Gesandter der Wiener Universität in Basel lebte, sprach durchaus von Erdbebenschäden, die noch zu Zeiten des dortigen Konzils (1431–1449) vielerorts in der Stadt sichtbar waren. Vor allem geistliche Zeitgenossen neigten dazu, sämtliche Katastrophen mit religiösen Motiven zu erklären: Gott sprach derart aus oder mit der Natur. So deutete der Franziskaner Jean de Roquetaillade den infolge des Erdbebens ausgebrochenen Basler Großbrand als ein den Eingeweiden der Erde entströmendes, wunderbares Feuer, dem höllischen Inferno ähnlich. Doch trafen die göttlichen Kollektivstrafen – und auch die Pest galt als Strafe Gottes – unterschiedslos alle, Kleriker wie Laien, Sünder wie Fromme, was ein kaum lösbares Problem für derartige Interpretationsansätze bildete. Weiterhin sahen manche dies alles auch als Vorzeichen des nahenden Weltendes.
An der Nordseeküste blieben die Sturmfluten gefürchtet, die erst das 19. Jahrhundert als Manntränken bezeichnete und damit dämonisierte. Gegen sie vermochten selbst die Deiche, die im Küstenbereich wohl seit dem 11. Jahrhundert errichtet wurden – umfangreiche Maßnahmen begannen in Flandern im 12. Jahrhundert –, aufgrund der seinerzeitigen technischen Möglichkeiten wenig bis nichts auszurichten. Bereits bis 1164 hatten die Küstenbewohner die Eindeichung und damit die Kultivierung von Land insbesondere in den Niederen Landen, also dem Gebiet der heutigen Niederlande und Belgiens, allerdings so weit vorangetrieben, dass weitaus mehr Menschen in Küstennähe lebten als je zuvor – Menschen, die erst aufgrund der Landgewinnungsmaßnahmen den Fluten zum Opfer fallen konnten. Dies mag als Beleg für eine gewisse Janusköpfigkeit des Fortschritts gelten. Am bekanntesten sind die Julianenflut vom 1. Februar 1164 und die Marcellusflut vom 16. Januar 1362, die aber entgegen dem Heilgentag eventuell erst am 8./9. Oktober 1362 und damit ein gutes halbes Jahr später die Küstengebiete verheerte. Diese und weitere Überflutungen führten erst in diesem Zeitraum zu der Entstehung des Jadebusens und des Dollarts; Sylt und Föhr wurden jetzt zu Inseln. Gerade für das 14. Jahrhundert sind zahlreiche Orkane und Sturmfluten zu verzeichnen.
Für die Pölder Annalen war die Julianenflut des Jahres 1164 Sturm- und Sintflut zugleich. Drei Tage lang habe die Flut Menschen und Vieh ertränkt, Dörfer und Inseln unter sich begraben. Ausschmückend ist wohl jener der alttestamentarischen Überlieferung entnommene Zusatz, wonach die Leichen zwar noch 20 Meilen vom Ufer entfernt gefunden worden seien, die Überlebenden aber Säuglinge aus den Wiegen hätten retten können. Zumeist erwähnten die Chronisten im zeitlichen Vorfeld der Naturkatastrophen wundersame Zeichen am Himmel – ein unheilverkündender Komet durfte trotz seiner damals grundsätzlich ambivalenten Deutung kaum fehlen – oder konkreter in den Wolken. Helmold von Bosau berichtete von großem Unwetter, von heftigen Stürmen, grellen Blitzen sowie krachendem Donner, von einer Überschwemmung der Küsten von Friesland und Hadeln sowie des gesamten Marschlandes an Elbe, Weser und den übrigen Flüssen der Region. Toposhaft schloss Helmold: „Wie viele Reiche, wie viele Mächtige saßen abends noch, schwelgten im Vergnügen und fürchteten kein Unheil, da aber kam plötzlich das Verderben und stürzte sie mitten ins Meer.“24Nach 1334, also noch vor der Marcellusflut, fanden etliche der ostfriesischen Inseln erstmals in Schriftzeugnissen Erwähnung, vermutlich als eine Folge der Sturmflut ebendieses Jahres. Die Insel Helgoland dürfte um das Jahr 800 noch etwa 60 Kilometer breit gewesen sein und schrumpfte bis etwa 1340 auf ca. 25 Kilometer; heute misst Helgoland an der breitesten Stelle gerade einmal anderthalb Kilometer. Letztlich wirkten sich aber derartige Naturkatastrophen – mit Ausnahme der häufig vorkommenden Sturm- und Hagelschäden und der durch sie vernichteten Ernte – auf die demografische Entwicklung schon mittelfristig kaum aus.
Als fremdartig erscheinende Naturkatastrophe sind schließlich noch Heuschreckenschwärme zu nennen, die im 14. Jahrhundert selbst Mitteleuropa massiv heimsuchten: Erfurter Quellen berichten, dass in Würzburg und dessen Umgebung im Jahre 1338 Heuschrecken von erstaunlicher Größe eingefallen seien, welche die Frucht abfraßen, die Weinberge jedoch verschont ließen. Über einigen Städten bedeckten sie den Himmel derart, dass die Sonne nicht mehr zu sehen gewesen sei. Die Heuschrecken zogen von Südosteuropa über Bayern und Schwaben bis ins Rheinland, ehe ihnen ein früher Schneeeinbruch Mitte Oktober den Garaus machte. Der Wetterumschwung seinerseits schädigte aber wiederum Weintrauben und Obstbäume, sodass quasi zwei Katastrophen einander ablösten. Karl von Mähren, der spätere König Karl IV., berichtete für 1338, dass er von einem zutiefst erschrockenen Ritter der Begleitmannschaft geweckt worden war, der das Ende der Welt, den Jüngsten Tag, heraufziehen zu sehen meinte, als Heuschrecken den Himmel bedeckten. Wiederum sei die Sonne nicht zu sehen gewesen und von dem schier endlos großen Schwarm sei ein fürchterlicher Gestank ausgegangen. Auch für die folgenden Jahre 1339 und 1340 sind massive Heuschreckeneinfälle belegt.25
Auch wenn die Münzprägung nach dem Ende des Weströmischen Reichs zurückging, lässt sich der frühmittelalterliche Handel keinesfalls als eine Tauschwirtschaft charakterisieren. Geld spielte, wenngleich mit Abstrichen, unverändert eine gewichtige Rolle, doch unterschied sich das mittelalterliche Geldwesen von unserem gravierend. Schon deswegen und weil eine Wirtschaftsgeschichte nicht zu schreiben ist, ohne Geld und Münzwesen einzubeziehen, stellen wir einige Bemerkungen hierzu voran.26 Unter den Merowingerherrschern fand zunächst noch unverändert die Prägung von Goldmünzen in römischer Tradition statt, wenngleich später mit verändertem Münzbild. Im 7. und verstärkt im 8. Jahrhundert ließen dann zahlreiche Münzmeister in Eigenregie Geldstücke schlagen, womit das einheitliche Münzwesen vorerst ein Ende fand. Zudem lösten Silbermünzen die Goldprägungen seit der Mitte des 7. Jahrhunderts zunächst in England und in Skandinavien, dann auch im Fränkischen Reich ab; in Byzanz liefen die Goldprägungen dagegen ununterbrochen weiter. Die Bemühungen zur erneuten Vereinheitlichung des Münzwesens gipfelten schließlich in den Frankfurter Beschlüssen des Jahres 794, mit denen Karl der Große unter Zustimmung der Großen die königliche Münzhoheit vorerst wieder durchsetzte; geschlagen wurden im Frankenreich aber nunmehr ausschließlich Silbermünzen. Das 794 festgelegte Zählsystem sollte für Jahrhunderte Bestand haben: Ein Pfund (libra lb) entsprach 20 Schilling (solidus, ß) bzw. 240 Pfennigen (denar, d), von denen aber nur die Pfennigmünzen ausgeprägt wurden. Das Gewicht der Pfennige legte die Versammlung auf – in unser Gewichtssystem umgerechnet – je 1,701 Gramm fest. Diese Festlegung senkte die Transaktionskosten durch den Wegfall komplexer Umrechnungen zwischen verschiedenen Münzen mit variierendem Gewicht und Feingehalt. Bei den Schillingen handelte es sich zunächst um eine reine Zähleinheit (12 Pfennige), während das Pfund als Gewichtspfund Verwendung fand, denn aus einem Pfund Silber (etwa 408 Gramm) sollten ebendiese 240 Pfennige geschlagen werden.27
Die seit dem späten 9. Jahrhundert einsetzenden Verleihungen von Münzrechten an regionale und lokale Herren führten in den nächsten beiden Jahrhunderten zu einer Aufsplitterung des Münzwesens, denn regional oder sogar nur lokal gültige Pfennigmünzen bestimmten nunmehr den Geldverkehr. Zudem sanken das Gewicht und der Feingehalt der Prägungen zum Teil deutlich, weshalb solche Münzen nur noch einseitig gestempelt werden konnten, als Brakteaten oder Hälblinge bezeichnet. In Italien galten in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts beispielsweise die Münzen aus Pavia, Verona, Lucca oder Venedig überregional.28 Nördlich der Alpen sind in dieser Hinsicht der relativ wertbeständige Kölner Pfennig ebenso wie der Regensburger Pfennig zu nennen. Von beiden wurden zudem für den täglichen Marktverkehr Hälblinge oder Viertelpfennige ausgebracht, was eine gewisse Bedeutung des Geldwesens in diesen Jahrhunderten unterstreicht. Daneben dienten Barren- und Bruchsilber dem Zahlungsverkehr. Allerdings belastete bis in die Frühe Neuzeit hinein die Ausbringung unterwertiger Münzen den Handel sowie den täglichen Marktverkehr immer wieder massiv, da schlechtes Geld gutes Geld verdrängt (sogenanntes Gresham’sches Gesetz), die höherwertigen Münzen also, wenn möglich, gehortet oder wieder eingeschmolzen wurden. Denn die zahlreichen Münzverrufungen der weltlichen und geistlichen Regalinhaber, mittels derer die regionale Münze verboten und eingezogen wurde, hatten in der Regel zum Ziel, anschließend Münzen mit niedrigerem Silbergehalt und Gewicht, aber gleichem Nominalwert auszugeben. Dieses Vorgehen führte in vielen Fällen schon mittelfristig zu Abwertungen. Spätestens im Spätmittelalter erfuhr es massive theoretische Kritik.
Als im 12. Jahrhundert eine Ausweitung des Handels einsetzte, begleitet von einer Monetarisierung des geschäftlichen Lebens sowie des Alltags, genügten schließlich die Pfennigmünzen nicht mehr. Zunächst ließ Venedig am Ende des 12. Jahrhunderts die Grossi (2,19 Gramm; Groschen) als Pfennigvielfache prägen, gefolgt von Genua, weiteren oberitalienischen Städten und Tirol. Für England sind die Sterlingmünzen zu nennen, in Frankreich ließ Ludwig IX. erstmals 1266 Tournosen schlagen (4,22 Gramm), die in den Niederen Landen und im Rheingebiet vielfach Nachahmung fanden. Im Reich nördlich der Alpen zielte Friedrich I. Barbarossa wieder auf eine königliche Münzpolitik und ließ neben den neun bestehenden wahrscheinlich zwölf neue herrschaftliche Münzstätten gründen. Doch konnten auf Dauer die Territorialherren ihre Münzhoheit gegenüber den Herrschern durchsetzen.29 Die wohl noch vor 1200 aufgenommene königliche Hellerprägung, benannt nach der Münzstätte (Schwäbisch) Hall, einem wichtigen staufischen Stützpunkt, erwies sich dagegen als Erfolg. Gerade einmal 0,6 Gramm wogen die Münzen, ihr Silbergehalt betrug die Hälfte oder lag etwas darüber. Um 1220/30 stieg die Zahl der dort geschlagenen Münzen deutlich an, ihr Umlaufgebiet wuchs schnell. Wenn Speyer seine Pfennigmünzen bereits 1238 an dem Wert von zwei Hellern orientierte, zeigt dies den zügigen Bedeutungsgewinn der neuen Münze. Die Pfennig-Heller-Relation von eins zu zwei begegnet noch in den folgenden Jahrhunderten häufig. Wie sich die rasche Verbreitung des Hellers erklären lässt, muss aber letztlich aufgrund fehlender Überlieferung offen bleiben. Sicherlich eignete sich der Heller als Kleinmünze für die alltäglichen Geschäfte, dazu trat die grundsätzlich hohe Nachfrage nach Bargeld, denn längst nicht alle Münzstätten konnten den steigenden Bedarf decken. Auch behielt der Heller bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts hinein sein Gewicht bei und galt als wertstabil. Im Reichsgebiet setzte sich zudem während des 13. Jahrhunderts nach und nach die Kölner Mark mit einem Gewicht von knapp 234 Gramm (normiert 233,812 Gramm, Bandbreite 229 bis 235 Gramm) als Münzgrundgewicht anstelle des Pfunds durch, was aber erst in den Reichsmünzordnungen des 16. Jahrhunderts festgeschrieben wurde. Derartige Normvereinheitlichungen und Leitgewichte ermöglichten weiträumige Vergleiche und die Festlegung eigener Münzen in Gewicht und Feingehalt mithilfe konstanter Größen.30 Für den überregionalen Handel bestimmten dagegen Feingehalt und Gewicht der Prägungen letztlich den Wert der Münzen, und für ihre Geschäftstätigkeit benötigten insbesondere die Fernkaufleute schon aufgrund der ausgeprägten, heute kaum mehr vorstellbaren Münzvielfalt präzise Kenntnisse über die jeweiligen Währungsverhältnisse.
Im 13. Jahrhundert erfolgte eine Renaissance der Goldmünzen, worin die grundlegende Neuerung im Geldwesen des Spätmittelalters zu sehen ist. Seit 1231 ließ zunächst Friedrich II., damit antikem Vorbild folgend, in Brindisi und Messina Goldmünzen aus nordafrikanischem Gold prägen. Diese sogenannten Augustalen gelangten in unbekannter, vermutlich aber großer Anzahl in den Handelskreislauf. Sicherlich dienten die Augustalen der kaiserlichen Selbstdarstellung, doch als viel wichtiger erwies sich ihre Funktion im Großhandel vornehmlich zwischen Sizilien und Oberitalien. Hohe Bedeutung für den europäischen Handel sollten dann die 1252 gleichfalls mit Münzmetall aus Nordafrika aufgenommenen Goldprägungen von Florenz (Floren, Gulden) und Genua (Genovino) erlangen, die zudem als Vorbild für weitere Prägungen dienten. Der Genovino wog 3,53 Gramm reines Gold, der Floren ein hundertstel Gramm mehr, wobei das Gewicht der Münzen aufgrund der verfügbaren Prägetechniken ohnehin stets in geringem Umfang differierte. Die vergleichsweise günstige Versorgung mit Gold aus Nordafrika basierte auf den unterschiedlichen Relationen zwischen Gold und Silber in Italien und Nordafrika. Galt in Genua eine Gold-Silber-Relation von acht bis neun zu eins, betrug diese in Tunis nur sechseinhalb zu eins. Eine Einheit Gold entsprach hier mithin deutlich weniger Einheiten Silber als in Italien. Allgemein lagen die Relationen in Europa zwischen eins zu zehn und zwölf, im Maghrebgebiet hingegen bei eins zu sechs bis acht. Allerdings verschärfte der einsetzende Bimetallismus in der Münzprägung die ohnehin schon komplizierten Geldwechselgeschäfte, denn es handelte sich um Parallelwährungen ohne ein konstantes Wertverhältnis. Wenn im Reich nördlich der Alpen der Heller als Kleinmünze vorerst die wichtigste Neuerung im Geldwesen bildete, während in Italien die Goldprägung einsetzte, verweist dies im Übrigen auf die noch gravierenden wirtschaftlichen Entwicklungsunterschiede nördlich und südlich der Alpen.
Venedig nahm seine Goldprägung (Dukaten) 1285 mit ungarischem Gold auf, Ungarn wiederum prägte seit 1325 Guldenmünzen, die als wertstabile Münzen weit umliefen, so in größerer Anzahl beispielsweise in Franken mit Nürnberg als dem dortigen Handels- und Produktionszentrum. Erste Versuche in England und Frankreich mussten hingegen wegen fehlender regelmäßiger Goldeinkünfte zunächst wieder aufgegeben werden. Ab 1337 ließ dann die französische Krone den Ecu à la chaise bzw. den Ecu d’or prägen (ca. 4,18 Gramm). Unter der Herrschaft Eduards III. begann in England in den 1350er-Jahren die Prägung des Nobel, einer mit 8,97 Gramm ausgesprochen schweren Münze. Ein nicht unerheblicher Teil des für die Prägung benötigten Goldes entstammte dem Lösegeld, das für den 1356 in der Schlacht bei Maupertuis gefangenen französischen König Johann II. gezahlt wurde. Im Reichsgebiet ließen die rheinischen Kurfürsten ab 1348 nach florentinischem Vorbild Goldmünzen schlagen. 1386 begannen sie die gemeinschaftliche Prägung der rheinischen Gulden (florenus rhenensis, fl. rh.), welche bis in das frühe 16. Jahrhundert hinein den Fernhandel zumindest im Rheingebiet und in Oberdeutschland dominierten und als eine Art Leitwährung fungierten. Die Versuche der Herrscher, eine eigene Reichsguldenproduktion – die sogenannten Apfelgulden – gegen die Interessen der rheinischen Kurfürsten aufzubauen, verliefen hingegen weitgehend im Sande.31 Für den Norden und Nordosten übernahm die lübische (Silber-)Währung eine Leitfunktion. Das Recht zur Goldprägung gestand die Goldene Bulle von 1356 ausschließlich den Kurfürsten zu; außer ihnen verfügte nur noch Lübeck über dieses Privileg (1340), nutzte es aber nur vorübergehend. Um auch einmal konkrete Zahlen zu nennen: Der flandrische Graf Ludwig von Male, nicht dem Reich zugehörig, ließ während seiner knapp 40-jährigen Herrschaft (1346–1384) etwa 15 Millionen Gold- sowie ungefähr 135 Millionen Silbermünzen prägen.
Einen tief greifenden Wandel im Münzwesen brachte dann erst wieder das 16. Jahrhundert, denn das Aufkommen höherwertiger Silbermünzen neben den groschenartigen Silbermünzen führte dazu, dass die Talerprägungen selbst in Oberdeutschland nach 1536 die Guldenmünzen aus ihrer Leitwährungsfunktion verdrängten. Die Bezeichnung Taler fungierte allerdings als Oberbegriff für zahlreiche Großsilbermünzen, deren Wert bei ihrer ersten Prägung dem eines Goldguldens entsprach, was zu einem hohen Gewicht der Münzen führte. Allgemein bezeichnet Michael North die durch die gesteigerte Silberförderung begünstigte Produktion von Großsilbermünzen als Einleitung der geldgeschichtlichen Neuzeit.32 Die seit ca. 1540 ins Spiel kommenden Silbervorkommen der Neuen Welt sollten aber erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das europäische Münzwesen beeinflussen, wobei ihre Auswirkungen auf das Reichsgebiet in der Forschung äußerst umstritten sind. Allerdings drangen seit den 1560er-Jahren über die südlichen Niederlande spanische Philippstaler ins Reichsgebiet vor. Bereits die letzten Jahre des 16. Jahrhunderts kennzeichnete dann eine teils drastische Kleingeldverschlechterung, da den Scheidemünzen steigende Mengen an Kupfer zugefügt wurden. Ihren Gipfel erreichte diese Münzpolitik in der Kipper- und Wipperkrise zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, bevor sich die Währungsverhältnisse ab 1623 wieder stabilisierten.
Eng mit dem Geldwesen verbunden erfolgte eine weitere Neuerung, bei der es sich tatsächlich um eine echte Innovation ganz ohne Vorbilder handelte, die langfristige Wirkungen entfaltete: Im Verlauf der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts lassen sich zunächst in Genua Wechselgeschäfte und damit Ansätze zu einem bargeldlosen Zahlungsverkehr erkennen. Diese bestanden im Kern zunächst nur aus dem Versprechen, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine festgelegte Summe Geldes zu zahlen; als Termine fungierten in der Regel bedeutende Märkte oder Messen mit Zahlungszielen von zumeist einem halben oder einem Jahr. Daneben zahlten Kaufleute aber auch Geld bei Wechslern ein, die zum vereinbarten Zeitpunkt die Mittel auf ein weiteres Konto, beispielsweise bei einem anderen Wechsler, transferierten. Gleichfalls für Genua lassen sich Überweisungen zwischen den „Banken“ der Stadt im letzten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts belegen. Mittels der Wechsel konnten nunmehr bei einem nur langsamen Warenumlauf Zeiten mit Bargeldmangel überbrückt werden, denn Wechsel schufen den nötigen zeitlichen Freiraum, um beispielsweise die auf der letzten Messe erworbenen Waren bis zur nächsten abzusetzen. Bank- oder Buchgeld erleichterte mithin den Geldfluss sowie den Handel in erheblichem Maße und erhöhte die einsetzbare Geldmenge deutlich. Hohe Bedeutung bei diesen Zahlungsversprechungen und Abmachungen besaß neben der persönlichen Bekanntschaft der Beteiligten das Vertrauen in den Schuldner und in dessen prinzipielle Zahlungsfähigkeit. Seine volle Wirksamkeit entfaltete das Instrument allerdings erst, als die Wechsel mittels des Indossaments handelbar wurden, weitere Kaufleute also den gezogenen Wechsel quasi als Bargeld akzeptierten.
Die Händler waren nun zumindest teilweise davon entlastet, große Mengen an Gold- und Silbermünzen mit sich zu führen, und ein unterwegs geraubter Wechsel dürfte für den Täter kaum in bare Münze umsetzbar gewesen sein. Schließlich kannten sich Kaufleute und Wechsler zumeist und ein den beteiligten Parteien Unbekannter ohne zusätzliche Legitimation besaß nur geringe Chancen auf den Erhalt der Summe. Zeitlich parallel zu dem weiteren Anwachsen des Wechselverkehrs begannen die Städte zudem, sich untereinander über gestohlene oder geraubte Wechsel zu informieren mit dem Ziel, den jeweiligen Überbringer festzusetzen. Außerhalb Italiens und Flanderns setzten sich die neuen Zahlungstechniken jedoch nur langsam durch, wenngleich Wechsler und Wechselstuben, zunächst sicherlich für den Wechsel von Silbermünzen, im Reichsgebiet nördlich der Alpen bereits für das 12. und 13. Jahrhundert belegt sind.33 Als Vermittler dieser kaufmännischen Praktiken dienten für das westliche Reichsgebiet und die Britischen Inseln vornehmlich die Champagnemessen; oberdeutsche Kaufleute eigneten sich hier die südlich der Alpen entwickelten Techniken an. Insgesamt dürfte der Wechsel im Reich ansatzweise im 14. und deutlich verstärkt im 15. Jahrhundert als Möglichkeit der Giralgeldschöpfung zu einem verbreiteten Finanzierungsinstrument geworden sein. Im hansischen Bereich dominierten dagegen Schuldbriefe bzw. Inhaber-Schuldscheine sowie, in moderner Diktion, Clearing-Konten.
Die Kreditzinsen lagen um 1200 und in den Jahrzehnten danach noch sehr hoch. Für Genua sind Jahressätze von 20 Prozent bekannt, ebenso für Venedig, für Florenz nennt die Literatur sogar 22 Prozent. Doch im Lauf des 13. Jahrhunderts sanken die Sätze auf zehn Prozent und teilweise darunter. Diese Tendenz lässt vermuten, dass Kreditgeschäfte in den Städten zunehmend in den Alltag vordrangen. Allerdings beinhaltete der Geldhandel bzw. die Kreditvergabe einen möglichen Konflikt mit dem kanonischen Wucherverbot, wenngleich eine genaue Definition des Wuchers fehlte. Das kanonische Recht beanspruchte jedenfalls gegenüber dem jeweiligen Stadt- oder Landrecht weitreichende Geltung. In der Folge schlossen vertragliche Regelungen oder durch die kommunalen Räte erlassene Stadtrechtsmodifikationen vielfach den Gang an ein kirchliches Gericht aus. Auf diese Weise wollten sie Unwägbarkeiten reduzieren und verhindern, dass eine fremde Gerichtsbarkeit mit ungewissem Ausgang anstelle des eigenen Rechts Gültigkeit beanspruchte. Neben den Juden engagierten sich zunächst Lombarden und Karwertschen – benannt nach dem südfranzösischen Cahors, aber nicht nur von dort stammend – mit kurialer Billigung auf breiter Basis in Geldgeschäften. Im Reich nördlich der Alpen verbanden spätestens in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Münzerhausgenossen (Geldwechslergemeinschaften), die häufig ministerialischer Abstammung waren, die Münzprägung mit dem bei der Vielzahl umlaufender Münzen unabdingbaren Geldwechsel. Als Kreditgeber dürften sie aber wie die Kaufleute vorerst nur vereinzelt in Erscheinung getreten sein.
1 Vgl. die zeitnahe, wenngleich nicht unproblematische Darstellung von Willibald Pirckheimer: Der Schweizerkrieg, ND Berlin 1988.
2 Vgl. umfassend mit Spätdatierung Carlrichard Brühl: Deutschland – Frankreich: Die Geburt zweier Völker, 2., verb. Aufl. Köln/Weimar/Wien 1995.
3 Reith: Umweltgeschichte, S. 3f.
4 Gerhard Fouquet: Netzwerke im internationalen Handel des Mittelalters, in: ders./Gilomen (Hg.): Netzwerke, S. 9–20, hier S. 19. Heinz Stoob betont den scheinbar unverzichtbaren Wert der „hermeneutischen philologisch-kritischen Methode“ noch vor systematisch vergleichenden Forschungen; ders.: Vorwort, in: Franz Petri (Hg.): Bischofs- und Kathedralstädte des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Städteforschung, A: 1), Köln/Wien 1976, S. XII. Zur Neuen Institutionenökonomik vg. Gerold Ambrosius: Staat und Wirtschaftsordnung. Eine Einführung in Theorie und Geschichte, Stuttgart 2001.
5 Bernd Herrmann: Umweltgeschichte. Eine Einführung in die Grundbegriffe, Berlin/Heidelberg 2013, S. 175. Grundlegend Glaser: Klimageschichte. H. H. Lamb: Klima und Kulturgeschichte. Der Einfluß des Wetters auf den Gang der Geschichte, Reinbek bei Hamburg 1989.
6 Rainer Schreg: Die Krisen des späten Mittelalters: Perspektiven, Potentiale und Probleme archäologischer Krisenforschung, in: Daim/Gronenborn/Schreg (Hg.): Strategien, S. 197–213, hier S. 207f. Nico Stehr/Hans v. Storch: Klima, Wetter, Mensch, Opladen 2010, S. 18, 25, 31, 102f. Hasel/Schwartz: Forstgeschichte, S. 18–20. Joachim Radkau: Nachdenken über Umweltgeschichte, in: Siemann (Hg.): Umweltgeschichte, S. 165–186, hier S. 171–181.
7 Vgl. auch die nicht unproblematischen Überblicke von Manfred Jabukowski-Tiessen: Umweltgeschichte als geschichtswissenschaftliche Disziplin in Deutschland, in: Heike Düselder/Annika Schmitt/Siegrid Westphal (Hg.): Umweltgeschichte. Forschung und Vermittlung in Universität, Museum und Schule, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 23–36; und Gerrit Jasper Schenk: Der Mensch zwischen Natur und Kultur. Auf der Suche nach einer Umweltgeschichtsschreibung in der deutschsprachigen Mediävistik – eine Skizze, in: François Duceppe-Lamarre/Jens Ivo Engels (Hg.): Umwelt und Herrschaft in der Geschichte (Ateliers des Deutschen Historischen Instituts Paris, 2), München 2008, S. 27–51.
8 Vgl. z.B. Albert Zimmermann/Andreas Speer (Hg.): Mensch und Natur im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia, 21), Berlin/New York 1991. Mit ähnlichem Schwerpunkt Aberth: History, S. 10. Ernst Schubert: Scheu vor der Natur – Ausbeutung der Natur – Formen und Wandlungen des Umweltbewusstseins im Mittelalter, in: ders./Herrmann (Hg.): Angst, S. 13–58, hier S. 15.
9 Behringer: Eiszeit, S. 433. Vgl. zuletzt Detlev Arens: Der deutsche Wald, Köln 2010, S. 318–330. Alexander Demandt: Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte, Köln 2002, S. 232–265. Zur Weiterverbreitung dieses Bildes vgl. Albrecht Lehmann: Aspekte populären Landschaftsbewusstseins, in: Siemann (Hg.): Umweltgeschichte, S. 147–164, hier S. 147–156. Vgl. auch Günter Bayerl: Die Natur als Warenhaus. Der technisch-ökonomische Blick auf die Natur in der Frühen Neuzeit, in: Hahn/Reith (Hg.): Umwelt-Geschichte, S. 33–52, hier S. 34. Fumagalli: Mensch, S. 29.
10 Ulf Dirlmeier: Lebensmittel- und Versorgungspolitik mittelalterlicher Städte als demographisch relevanter Faktor?, in: Saeculum 39 (1988), S. 149–153, hier S. 152. Zur städtischen Vorratspolitik vgl. Dirlmeier: Untersuchungen, S. 51–60; für die Zeit um 1440 vgl. Jörg, Christian: Teure, Hunger, großes Sterben. Hungersnöte und Versorgungskrisen in den Städten des Reiches während des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2008, S. 212–222.
11 Chronik Deichsler, S. 149, 151, 153f., 176f., 286, 290, 315f., 368. Heinrich Deichsler’s Chronik 1488–1506, in: Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, 11 (Die Chroniken der fränkischen Städte. Nürnberg, 5), Leipzig 1874, ND Göttingen 1961, S. 545–706, hier S. 634–636. Zu Deichsler vgl. Joachim Schneider: Heinrich Deichsler und die Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts (Wissensliteratur im Mittelalter, 5), Wiesbaden 1991. 1438 brannte zudem in Nürnberg die Neue Mühle mit erheblichen Korn- und Mehlvorräten ab; Endres Tucher’s Memorial 1421 bis 1440, in: Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, 2 (Die Chroniken der fränkischen Städte. Nürnberg, 2) Leipzig 1864, ND Göttingen 1961, S. 9–30, hier S. 29. Müllner: Annalen, III, S. 233, 383, 415, 438, 619, 628, 648, 696.
12 Müllner: Annalen, III, S. 421, 429, 619. Kommunale Bevorratung mit Schmalz ebd., S. 500. Chronik aus Kaiser Sigmund’s Zeit bis 1434 mit Fortsetzung bis 1441, in: Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, 1 (Die Chroniken der fränkischen Städte. Nürnberg, 1), Leipzig 1862, ND Göttingen 1961, S. 344–414, hier S. 398.
13 Rainer Gömmel: Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 46). München 1998, S. 66. Ulf Dirlmeier: Zu Arbeitsbedingungen und Löhnen von Bauhandwerkern im Spätmittelalter, in: Rainer S. Elkar (Hg.): Deutsches Handwerk in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Sozialgeschichte – Volkskunde – Literaturgeschichte (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 9), Göttingen 1983, S. 35–54, hier S. 54. Vgl. Friedrich-Wilhelm Henning: Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland, Bd. 1: 800 bis 1750, Paderborn 21.985, S. 183f. Schulz: Handwerksgesellen, S. 436. Vgl. mit quantitativen Annäherungen Hildegard Weiß: Lebenshaltung und Vermögensbildung des „Mittleren“ Bürgertums. Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Reichsstadt Nürnberg zwischen 1400–1600 (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Beiheft, Reihe B, 14), Nürnberg 1980, S. 112–114.
14 Chronik Zink, S. 182. Vgl. Glaser: Klimageschichte, S. 70, 82, 87, 91.
15 Müllner: Annalen II, S. 577.
16 Pfister: Bevölkerungsgeschichte, S. 10–14, 73–76. Zu ausgeprägten Versorgungskrisen bzw. Hungersnöten vgl. Jütte: Teuerungen, S. 226. Landsteiner: Brot, S. 96–115. Manfred Jabukowski-Tiessen: Die Auswirkungen der „Kleinen Eiszeit“ auf die Landwirtschaft: Die Krise von 1570, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 58 (2010), S. 31–50, hier S. 32f. Vgl. auch Helmut Hildebrandt/Martin Gudd: Getreidebau, Missernten und Witterung im südwestlichen Unteren Vogelsberg und dem angrenzenden Vorland während des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, in: Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde, N. F. 49 (1991), S. 85–146; sowie Behringer: Eiszeit, S. 437f.
17 Richard van Dülmen: Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1985. Vgl. u.a. Wolfgang v. Hippel: Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 34), München 1995, S. 32–44, 88–101. Robert v. Friedeburg: Lebenswelt und Kultur der unterständischen Schichten in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 62), München 2002, S. 23f., 69–72. Ernst Schubert: Räuber, Henker, arme Sünder. Verbrechen und Strafe im Mittelalter, Darmstadt 2007; trotz des Titels liegt ein Schwerpunkt auf dem 16. Jahrhundert.
18 Die Zahlenangaben folgen J. C. Russel: Die Bevölkerung Europas 500–1500, in: Carlo M. Cipolla/Knut Borchardt (Hg.): Europäische Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1: Das Mittelalter, dt. Stuttgart/New York 1978, S. 13–43, hier S. 21. Den hohen Wert für 1500 errechnet Massimo Livi Bacci: Europa und seine Menschen. Eine Bevölkerungsgeschichte, München 1999, S. 18f. Vgl. zum Hochmittelalter Herrmann: Zugänge, S. 70.
19 Pfister: Bevölkerungsgeschichte, S. 10–14, 73–76.
20 Jäger, Helmut: Einführung in die Umweltgeschichte, Darmstadt 1994, S. 6–8. Vgl. Stephan: Solling: S. 423f.; die zahlreichen dortigen Wüstungen können durchaus in enger Verbindung zur Jahrtausendflut stehen, ohne dass dieser Bezug in dem angeführten Band explizit hergestellt wird.
21 Hans-Rudolf Bork/Arno Beyer/Annegret Kranz: Der 1000-jährige Niederschlag des Jahres 1342 und seine Folgen in Mitteleuropa, in: Daim/Gronenborn/Schreg (Hg.): Strategien, S. 231–242, hier S. 235f. Hans-Rudolf Bork u.a.: Landschaftsentwicklung in Mitteleuropa. Wirkungen des Menschen auf Landschaften, Gotha 1998, S. 230, 242, 244, 253. Hans-Rudolf Bork: Landschaften der Erde unter dem Einfluss des Menschen, Darmstadt 2006, S. 120f.
22 Müllner: Annalen, II, S. 374f.
23 Gerhard Fouquet/Gabriel Zeilinger: Katastrophen im Mittelalter, Darmstadt/Mainz 2011, S. 58–73. Gerhard Fouquet: Das Erdbeben in Basel 1356 – für eine Kulturgeschichte der Katastrophen, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 103 (2003), S. 31–49.
24 Helmold von Bosau: Slawenchronik, S. 338f. Dirk Meier: Land unter! Die Geschichte der Flutkatastrophen, Ostfildern 2005.
25 Glaser: Klimageschichte, S. 65f. Karl IV. Selbstbiographie, Hanau 1979, S. 94–97.
26 Zum Folgenden vgl. Michael North: Das Geld und seine Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 1994. Ders. (Hg.): Aktie. Bernd Sprenger: Das Geld der Deutschen. Geldgeschichte Deutschlands von den Anfängen bis zur Gegenwart, 3., aktualisierte u. erw. Aufl. Paderborn u.a. 2002. Peter Spufford: Money and its use in medieval Europe, Cambridge u.a. 1988.
27 Harald Witthöft: Münzfuß, Kleingewicht, pondus Caroli und die Grundlegung des nordeuropäischen Maß- und Gewichtswesens in fränkischer Zeit (Sachüberlieferung und Geschichte, 1), St. Katharinen 1984.
28 Alfred Haverkamp: Herrschaftsformen der Frühstaufer in Reichsitalien, Tl. II (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 1, II), Stuttgart 1971, S. 562.
29 Norbert Kamp: Moneta regis. Königliche Münzstätten und königliche Münzpolitik in der Stauferzeit (MGH-Schriften, 55), Hannover 2006. Zum 14. Jahrhundert vgl. Hendrik Mäkeler: Reichsmünzwesen im späten Mittelalter, Tl. I: Das 14. Jahrhundert (VSWG-Beihefte, 209), Stuttgart 2010.
30 Harald Witthöft: Die Währung in sich wandelnden Wirtschaftsordnungen im Fränkischen und Deutschen Reich zwischen dem 8. und dem 16./17. Jahrhundert, in: Jürgen Schneider (Hg.): Öffentliches und privates Wirtschaften in sich wandelnden Wirtschaftsordnungen (VSWG Beihefte, 156), Stuttgart 2001, S. 21–52. Harald Witthöft: Die Markgewichte von Köln und von Troyes im Spiegel der Regional- und Reichsgeschichte vom 11. bis ins 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 253 (1991), S. 51–100. Ders.: Die Münzordnungen und das Grundgewicht im Deutschen Reich vom 16. Jahrhundert bis 1871/72, in: Eckart Schremmer (Hg.): Geld- und Währung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart (VSWG Beihefte, 106), Stuttgart 1993, S. 45–67.
31 Vgl. u.a. Joachim Ehlers: Geschichte Frankreichs im Mittelalter, Darmstadt 2009, S. 232, 239. Jürgen Sarnowsky: England im Mittelalter, Darmstadt 2002, S. 226. Joachim Weschke: Die Reichsgoldprägung Deutschlands im Spätmittelalter bis 1450, Diss. Berlin 1955.
32 North: Geld (wie Fn. 26), S. 72.
33 Wolfgang v. Stromer: Funktion und Rechtsnatur der Wechselstuben als Banken in Oberdeutschland, den Rheinlanden und den mitteleuropäischen Montanzentren im Spätmittelalter, in: Bankhistorisches Archiv 5 (1979), S. 3–35.
Für das Frühmittelalter, also die Zeit der Merowinger, Karolinger und Ottonen, sollen die wirtschaftliche Ausgangslage und die darauf aufsetzenden Entwicklungen nur knapp behandelt werden. Unser Wissen über diese Zeit ist vielfach nur ein wahrscheinliches, nicht aber ein gesichertes. Allgemein lässt sich die Zeitspanne vom 3. bis zum 8. Jahrhundert als eine Transformationsperiode bezeichnen, die geprägt ist von tief greifenden, aber keinesfalls immer zeitgleichen Veränderungen in fast allen Bereichen von Herrschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und darüber hinaus. Die Vorstellung von einer Völkerwanderung oder von Zügen geschlossener Volksstämme quer durch Europa ist in den letzten Jahrzehnten aufgegeben worden. Bei den späteren „Germanenreichen“ oder „-völkern“ handelte es sich vielmehr um aus den weiträumigen Wanderungen entwachsene Gruppierungen, von denen ein Traditionskern dem „Volk“ oder dem Reich schließlich seinen Namen gab. Vielleicht waren etliche dieser Vorstellungen letztlich Tacitus geschuldet, der in seiner Germania den indigenen Charakter der „Stämme“ betonte, was schon unter den Humanisten seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert zu Kontroversen führte. Ebenso wird der schleichende Niedergang des Weströmischen Reiches in der Historiografie nicht mehr nur als Abstieg oder gar als Zerfall gewertet, sondern daneben rücken die Neuansätze stärker ins Blickfeld.2 Schon aufgrund ihrer geringen Gesamtzahl – die Zahl der Chlodwigfranken dürfte 80.000 nicht überstiegen haben – konnten die seit dem späten 5. Jahrhundert vordringenden Franken kein Interesse an der Vertreibung der verbliebenen romanischen oder sonstigen ansässigen Bevölkerung haben. Vielmehr nahmen sie Bauern, Gewerbetreibende und Händler in ihren Dienst und verbündeten sich nicht zuletzt zur Absicherung ihrer Herrschaft mit den alten Führungsschichten. Dies galt schon für die Gebiete an Rhein und Mosel. Außerdem konnten die eingesessenen Senatoren- und Großgrundbesitzerfamilien unverändert die Bischöfe stellen. Erst ihr weitgehendes Aussterben bis zum 7. Jahrhundert schuf Raum für einen neuen „Adel“.
Unter Chlodwig (481/82–511) erfolgte die Bildung des Fränkischen bzw. des Merowingischen Großreichs, nachdem dieser sich 486/87 militärisch die Herrschaft im vormals römisch beherrschten Teil Galliens gesichert hatte, um anschließend Tournai und Soissons zu seinen Hauptsitzen zu bestimmen. Auf die Ausdehnung des Herrschaftsbereichs bis zur Loire folgte im Bündnis mit den Burgundern 507 ein Sieg über die Westgoten und die Einnahme von deren Hauptstadt Toulouse. Der Sieg über die Alemannen öffnete zudem das Oberrheingebiet seiner Herrschaft. Parallel dazu ließ Chlodwig im Inneren konkurrierende Frankenkönige ausschalten, ein Vorgehen, das mit der Einbeziehung des Kölner Teilreichs zwischen 509 und 511 seinen Abschluss fand. Beim Tod Chlodwigs erstreckte sich das fränkische Herrschaftsgebiet vom Rhein bis zum Atlantik sowie von der Maas bis zu den Pyrenäen. In der Folge aber sollten Reichsteilungen zur Regel werden, wodurch das Reich sich im Wesentlichen in den östlichen Teil Austrien, Neustrien im Westen sowie Burgund untergliederte. Eine über die Jahrhunderte fortbestehende Kontinuität zeigt sich beispielsweise in Trier daran, dass sich dort noch im 7. Jahrhundert eine ehemalige Senatorenfamilie nachweisen lässt. Die sogenannte „Moselromania“, zwischen Trier und Koblenz gelegen, bildete sogar bis ins Hochmittelalter eine fast geschlossene romanische Enklave, die sich erst um 1200 auflöste. Die Dichte der gallo-römischen Bevölkerung nahm nach Westen im Gebiet des heutigen Frankreichs zu, während sie südlich der Loire sogar weitgehend unter sich blieb.