Deutschlands fette Jahre sind vorbei - Prof. Dr. Gunther Schnabl - E-Book

Deutschlands fette Jahre sind vorbei E-Book

Prof. Dr. Gunther Schnabl

0,0
21,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Noch gehört Deutschland zu den reichsten Ländern der Welt. Ob Eurokrise, Flüchtlingswelle, Corona-Pandemie und Beginn des Ukrainekriegs – die deutsche Wirtschaft zeigte sich robust. Doch die fetten Jahre sind vorbei, es geht immer weiter abwärts. Überall. Und das hat nicht nur mit externen Krisen zu tun. Der wirtschaftliche Niedergang und der Kaufkraftverlust, der weite Teile der deutschen Bevölkerung trifft, ist hausgemacht. Um das zu verbergen, versprechen deutsche Politiker Wachstum dank Schulden und Klimainvestitionen. Der Leipziger Professor Gunther Schnabl erklärt, warum das nicht wirken wird. Er zeigt auf, warum unser Wohlstand, der noch auf den Reformen von Ludwig Erhard beruht, in Gefahr ist. Die Inflation ist kein neues Phänomen und noch lange nicht besiegt. In seinem Buch verdeutlicht Gunther Schnabl die wirtschaftspolitischen Fehler von Angela Merkel, der Ampelkoalition und der Europäischen Union. Sie alle sind von marktwirtschaftlichen Prinzipien abgerückt. Schonungslos benennt der Autor die größten Fehler: die kostspielige Eurorettung, die verfehlte Klimapolitik, überbordende Regulierung, Subventionen und der unkontrollierte Ausbau des Sozialstaats. Schnabl zeigt Lösungsansätze auf, wie wir zurück zu einem neuen Wirtschaftswunder finden können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Prof. Dr. Gunther Schnabl

Deutschlands fette Jahre sind vorbei

Wie es dazu kam und wie wir ein neues Wirtschaftswunder schaffen können

Prof. Dr. Gunther Schnabl

Deutschlands fette Jahre sind vorbei

Wie es dazu kam und wie wir ein neues Wirtschaftswunder schaffen können

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

1. Auflage 2024

© 2024 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Redaktion: Dr. Daniel Bussenius

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: Katharina Borgs

Autorenfoto: Studioline, Leipzig

Satz: Carsten Klein

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-733-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-426-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-427-0

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Kapitel 1: Wie Ludwig Erhard die Fundamente unseres Wohlstands geschaffen hat

Wirtschaftssystem und Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg

Walter Euckens Plan für eine marktwirtschaftliche Ordnung

Währungs- und Wirtschaftsreform unter Ludwig Erhard

Die Entstehung des Wirtschaftswunders und die Rolle der Deutschen Mark

Die Soziale Marktwirtschaft entsteht

Kapitel 2: Wie die Politik die Europäische Zentralbank zum politischen Akteur machte

Der historische Hintergrund der Europäischen Währungsunion

Die Europäische Währungsunion hat einen Konstruktionsfehler

Die Eurokrise als Folge des Konstruktionsfehlers

Die Eurokrise begünstigt die Abkehr von der Geldwertstabilität

Die Abkehr von der Geldwertstabilität schafft nur vorübergehend Vertrauen

Kapitel 3: Der Euro wird doch zum Teuro: Wie die Inflation lange Zeit versteckt wurde

Der Euro als Teuro?

Wurde die Inflation versteckt?

Blind für andere Formen der Inflation

China, Nord Stream 1 und Finanzierungskosten als Sondereffekte

»Wohlstandsillusion« und »Inflationswende«

Kapitel 4: »Stupid German Money«: Exportüberschüsse als Wohlstandsverlust

Kapitalexporte treiben die Exportüberschüsse

Die Europäische Zentralbank und die Regierung treiben das Kapital aus dem Land

Die Europäische Zentralbank und der deutsche Staat sichern die Exporterfolge

Stupid German Money

Wohlfahrts- und Verteilungseffekte der verlorenen Kapitalexporte

Kapitel 5: China als willkommener und riskanter Wirtschaftspartner

Reformen, Öffnung und billiges Geld als Wachstumsmotoren

Die Abhängigkeit Deutschlands von China wächst

Japan Déjà-vu? Übertreibungen haben die chinesische Wirtschaft aufgebläht

Negative Rückwirkungen auf die USA und den internationalen Handel

Das Kippen des chinesischen Booms und die Folgen für Deutschland

Kapitel 6: Investitionsstau und wuchernde Sozialausgaben als Wachstumsbremsen

Erhard versus Keynes

Wie Angela Merkel Keynes verfiel

Niedrigzinsen und staatliche Hilfen lähmen private Investitionen

Die Eurostabilisierung lähmt die Infrastrukturinvestitionen

Florierende Sozialausgaben verdrängen andere Ausgaben

Kapitel 7: Die verfehlte Umwelt-, Energie- und Klimapolitik

Der Aufstieg der Grünen und deren Einfluss auf die Union

Die Energiepolitik verteuert die Energieversorgung

Die EU plant eine grüne Wirtschaftsstruktur

Die grüne Geldpolitik unterwandert das Ziel der Preisstabilität

Wohlstandsverluste: Droht ein grünes Waterloo?

Kapitel: 8: Bürokratie und Arbeitskräftemangel als Standortnachteile

Neu auf der wirtschaftspolitischen Agenda: Bürokratie und Arbeitskräftemangel

Selbst verschuldete Finanzkrise und Finanzmarktregulierung

Verbraucherschutz, Klimaschutz und Lieferkettengesetze

Regulierung, Europäische Zentralbank und Staatsnachfrage überhitzen die Arbeitsmärkte

Regulierung, überhitzte Arbeitsmärkte und Inflation

Kapitel 9: Zentralisierung statt Freiheit: Die Europäische Union bewegt sich in die falsche Richtung

Die historischen Wurzeln des Wohlstands in Europa

Zwei Sichtweisen des europäischen Integrationsprozesses

Der Euro und Subventionen hemmen Produktivitätsgewinne

Die Ausgleichsmechanismen für Ungleichgewichte sind schwach

Europäischer Superstaat oder Binnenmarkt?

Kapitel 10: Warum Ostdeutschland besonders stark von der Krise betroffen ist

Die Last des planwirtschaftlichen Erbes

Transformation des Wirtschaftssystems und der unvollkommene Aufholprozess

Verteilungseffekte der Hartz-Reformen und der Geldpolitik zulasten des Ostens

Beschäftigungseffekte diskriminieren den Osten

Eine wachsende politische Instabilität

Kapitel 11: Die ratlose Ampel: Ambitionierte Ziele und plötzliche Grenzen

Die ambitionierten Ziele der Ampel

Warum die Inflation das Umfeld verändert hat

Die Lage ist schwierig

Achtung Immobilienmarkt!

Die Gefahr der Japanisierung

Kapitel 12: Wo ist der neue Ludwig Erhard? Wie wir ein neues Wirtschaftswunder schaffen können

Wegsehen, Schönrechnen und Schrumpfen sind nicht die Lösung

Leistung muss sich wieder lohnen

Der Euro muss stabil sein oder sich teilen

Reformen sind möglich

Wo ist der neue Ludwig Erhard und was soll er tun?

Quellen

Über den Autor

Danksagung

Kapitel 1

Wie Ludwig Erhard die Fundamente unseres Wohlstands geschaffen hat

Die Volkswirtschaft ist kein Patient, den man pausenlos operieren kann.

Ludwig Erhard

Wirtschaftssystem und Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand in Deutschland eine Art historisches Experiment statt, an dem sich beobachten lässt, welche Organisation der Wirtschaft zu mehr Produktivität und Wohlstand führt. Ein Land mit gleicher Kultur, gleicher Bildung und gleicher Wirtschaftsstruktur wurde von den Besatzungsmächten in zwei Teile – West- und Ostdeutschland – geteilt. Jeder Teil erhielt ein anderes Wirtschaftssystem. Unter dem Einfluss der sozialistischen Sowjetunion wurden in Ostdeutschland die Unternehmen verstaatlicht und die Produktion fortan zentral unter Beteiligung des SED-Politbüros geplant. In Westdeutschland setzte man unter dem Einfluss der kapitalistischen USA auf Privateigentum und Marktwirtschaft. Die Unternehmen durften selbst darüber entscheiden, was sie wie produzierten, um möglichst hohe Gewinne zu machen. Der Rolle des Staates in der Wirtschaft wurden Grenzen gesetzt.

Nachdem in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) das Ergebnis des Wettlaufs zwischen Ost und West zunächst offen war, zeichnete sich mit der Zeit ein klarer Ausgang ab. In Westdeutschland wuchs die Produktivität schnell und es entstand Wohlstand, während im Osten die Produktion stockte. An vielen Gütern und Dienstleistungen herrschte im Osten Mangel und viele Menschen waren unzufrieden. Schon früh wanderten die Menschen aus Ostdeutschland ab, weil viele im »goldenen Westen« für sich bessere Perspektiven sahen. Der Bevölkerungsverlust wurde so stark, dass sich die DDR gezwungen sah, eine Mauer zu bauen.

Doch auch der »antikapitalistische« Schutzwall konnte den Verfall von Produktionsanlagen und Infrastruktur in der DDR nicht aufhalten. Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 symbolisierte schließlich, dass der Systemwettbewerb zugunsten der Marktwirtschaft entschieden war. Die schwache ostdeutsche Mark wurde unter dem Jubel der Menschen durch die Westmark ersetzt, die die Menschen im Osten aufgrund ihrer großen Kaufkraft als Symbol des Wohlstands ansahen.

Das zeigt: Wohlstand fällt nicht vom Himmel! Er muss geschaffen werden. Der Wohlstand einzelner Länder wird heute immer noch mit dem Bruttoinlandsprodukt – das heißt dem Wert aller produzierten Güter und Dienstleistungen – gemessen und verglichen. Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands lag im Jahr 2023 bei etwas über 4100 Milliarden Euro. Dabei ist für den Lebensstandard entscheidend, wie hoch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung ist. Das sind in Deutschland rund 48 633 Euro (2023). Im Ranking des Internationalen Währungsfonds für das Jahr 2023 liegt Deutschland auf Rang 20, hinter Israel und vor Hongkong. Im europäischen Vergleich ist das deutlich weniger als Luxemburg (121 819 Euro) und deutlich mehr als Albanien (7870 Euro). Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in der Europäischen Union (27 Länder) lag im Jahr 2023 bei 37 610 Euro.

Zwar ist das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für Wohlstand umstritten. Denn Geld allein macht nicht glücklich. Doch sind viele andere Indikatoren für Wohlstand wie die Gesundheitsversorgung, die Alterssicherung, die Lebenserwartung, die Qualität des Verkehrssystems oder das Bildungsniveau eng mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes verbunden. Für Deutschland besteht der Wohlstand damit zum einen darin, dass die Menschen viele Güter und Dienstleistungen konsumieren können: gute Lebensmittel, schöne Konzertbesuche und spannende Urlaubsreisen. Zum anderen sind die Menschen in Deutschland aber auch sozial gut abgesichert und profitieren von einem guten Bildungssystem. Wer einmal in Indien gereist ist, schätzt die (immer noch) gute deutsche Infrastruktur.

Dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft und damit auch des deutschen Staates (immer noch) so hoch ist, ist kein Zufall. Das Bruttoinlandsprodukt hängt davon ab, wie viele Menschen arbeiten, was sie arbeiten und wie sie arbeiten. Letzteres hat bereits im 18. Jahrhundert der Schotte Adam Smith, einer der Väter der Volkswirtschaftslehre, in seinem Buch Der Wohlstand der Nationen betont. Der Wohlstand hänge davon ab, wie viele Menschen einer nützlichen Arbeit nachgehen und wie viele nicht. Würden beispielsweise alle Köche aus deutschen Restaurants abgezogen, um einen großen Steg von der Insel Usedom in die schöne Ostsee zu bauen, dann bliebe das Bruttoinlandsprodukt zwar im Großen und Ganzen unverändert. Denn die Mahlzeiten, die in den Restaurants nicht gekocht würden, würden in der Wirtschaftsrechnung durch die zusätzliche Bauleistung in der Ostsee ersetzt. Trotzdem wären die verpassten Restaurantbesuche ein großer Wohlstandsverlust, insbesondere dann, wenn der riesige Steg in die Ostsee ungenutzt bliebe.

Und die Menge aller produzierten Güter und Dienstleistungen hängt auch davon ab, wie produktiv jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin ist. Wenn beispielsweise alle Arbeitnehmer in einer Autofabrik ihre volle Arbeitszeit an den Fließbändern sorgfältig Autos montieren, dann ist die Anzahl der am Ende des Tages fertiggestellten Autos hoch. Die Arbeiter sind produktiv. Stehen hingegen die Bänder still, weil Teile nicht rechtzeitig angeliefert werden oder weil viele Arbeiter krank sind, dann ist die Anzahl der produzierten Autos pro Arbeiter geringer und somit auch die Produktivität.

In den Industrieländern haben wir insbesondere durch den Einsatz von hoch entwickelten Maschinen eine hohe Produktivität erreicht. Eine Arbeiterin in einem modernen Mähdrescher erntet in einer Stunde ein Vielfaches an Korn als ein Arbeiter mit einer Sichel. Eine hohe Produktivität in Industrie und Landwirtschaft ist deshalb in Deutschland die Grundlage für ein hohes Lohnniveau, während eine geringe Produktivität unweigerlich niedrige Löhne nach sich zieht. Wer Wohlstand schaffen will, muss eine hohe Produktivität erreichen. Die Voraussetzungen dafür schufen nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland insbesondere Walter Eucken und Ludwig Erhard.

Walter Euckens Plan für eine marktwirtschaftliche Ordnung

Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg verloren. Die Städte waren zerstört. Viele Menschen waren durch Krieg, Bomben, Flucht und Vertreibung entwurzelt. Die Wirtschaft war durch Monopole geprägt und wurde weitgehend zentral vom Staat gesteuert. Da der Krieg von der NS-Diktatur mit Hilfe der Reichsbank finanziert worden war, war Geld reichlich vorhanden, doch Waren wie Lebensmittel und Kleidung waren knapp. Um eine Inflation zu verhindern, hatten die NS-Machthaber Preiskontrollen verhängt.

Das wenige, was verfügbar war, konnte man nur gegen Bezugsscheine oder auf dem Schwarzmarkt durch Tausch erwerben. Meine Großmutter erzählte immer wieder, wie sie das wenige, das ihr geblieben war, gegen Lebensmittel getauscht hatte. Die Scheunen der Bauern seien voll von Klavieren und Grammofonen gewesen, während die Stadtbevölkerung verarmt gewesen sei. Die Arbeitslosigkeit war hoch. Nur eine umfassende Wirtschafts- und Währungsreform konnte die Wirtschaft wieder in Gang bringen.

Die wissenschaftliche Grundlage für die westdeutsche Wirtschafts- und Währungsreform schuf der Ökonom Walter Eucken, der Professor an der Universität Freiburg war. Er war Mitbegründer der Denkschule des Ordoliberalismus, einer deutschen Variante des Liberalismus, die fortan die Wirtschaftspolitik in Westdeutschland lange Zeit prägte. Eucken war überzeugt, dass der Staat die Wirtschaftsordnung gestalten, also Regeln für das wirtschaftliche Handeln geben sollte, aber nicht die Wirtschaft lenken oder sogar einzelnen Unternehmen helfend unter die Arme greifen sollte.

In seinem 1940 veröffentlichten Buch Die Grundlagen der Nationalökonomie argumentierte Eucken, dass eine freiheitliche Wirtschaftsordnung – also eine Marktwirtschaft – einen freiheitlichen Rechtsstaat voraussetze. Wirtschaftliche und persönliche Freiheit seien eng miteinander verbunden. Eine Zentralverwaltungswirtschaft wie sie in Nazideutschland durchgesetzt worden war und nach dem Krieg in Ostdeutschland entstand, sei hingegen nur in einer Diktatur möglich. Euckens Hypothese wurde später durch den Bau der Mauer eindrucksvoll belegt.

Eucken formulierte sieben »konstituierende« Prinzipien, die nach seiner Ansicht erforderlich waren, um eine marktwirtschaftliche Ordnung zu schaffen (Ordnungspolitik):

Das Rückgrat sei eine stabile Währung. Nicht zuletzt die deutsche Hyperinflation zu Beginn der 1920er Jahre hatte gezeigt, dass hohe Inflation sowohl die Wirtschaft als auch die Gesellschaft destabilisiert. Der russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin hatte einst sogar argumentiert, dass man ein kapitalistisches System am besten dadurch zerstören kann, indem man seine Währung zerstört. Denn die Regierung könne durch Inflation unbemerkt das Vermögen der Bürger konfiszieren. Während manche von einer Inflation profitierten, würden die meisten schleichend enteignet. Das schafft Konflikte. Das Wachstum geht bei Inflation zurück, weil die Menschen aufgrund schmerzhafter Kaufkraftverluste nicht mehr konsumieren können und die Unternehmen aufgrund der hohen Unsicherheit nicht mehr investieren.

Eucken plädierte für ein funktionsfähiges Preissystem, in dem sich Preise frei verändern können und deshalb Informationen übermitteln, wie knapp Güter sind. Das ist wichtig, damit genau das produziert wird, was gerade gebraucht und gewünscht wird. Trinken beispielsweise die Menschen lieber mehr Wein, dann steigt der Preis in den Läden. Die höheren Gewinne verleiten die Winzer dazu, mehr Wein anzubauen. Das stellt auch sicher, dass die Weinpreise trotz höherer Nachfrage nicht in den Himmel steigen.

Wenden sich die Menschen gleichzeitig vom Bier ab, dann wird das Bier zum Ladenhüter. Die Preise sinken wie auch die Gewinne der Brauereien. Die eine oder andere Brauerei muss schließen, so dass nicht Bier produziert wird, das keiner trinken möchte. Da sich die Präferenzen der Konsumenten ständig verändern, sorgen flexible Preise dafür, dass sich die Produktion ständig anpasst. Warteschlangen und Überproduktion, wie sie in den sozialistischen Planwirtschaften an der Tagesordnung waren, gibt es selten.

Im Gegensatz zur Planwirtschaft, die nach 1945 in Ostdeutschland entstand, sollten nach der Ansicht von Eucken die Unternehmen privat sein (Privateigentum). Denn nur, wenn dem Unternehmer ein Unternehmen gehört und er selbst die Gewinne einbehalten kann, wird er die Kosten möglichst gering halten.

Die Unternehmer sollten dazu – im Rahmen der gesetzlichen Grenzen in einem freien Rechtsstaat – ihre Verträge frei gestalten können (Vertragsfreiheit).

Eucken betonte das Haftungsprinzip als zentralen Bestandteil einer Marktwirtschaft. Es sollten nicht nur die Gewinne einbehalten werden können, auch die Verluste mussten selbst getragen werden. Das führt dazu, dass die Unternehmen stets bedacht sind, Ressourcen wie Arbeit, Kapital und Rohstoffe möglichst sparsam einzusetzen. Macht ein Unternehmen keinen Gewinn, muss es schließen. In der ostdeutschen Planwirtschaft galt hingegen das Haftungsprinzip nicht. Verluste von Unternehmen wurden vom Staat getragen. Die Betriebe horteten überflüssige Arbeitskräfte, Rationalisierungen blieben aus und die Produktivität war gering.

Eucken hatte auch einen Mechanismus vorgesehen, der die privaten Unternehmen daran hindern sollte, auf Kosten der Konsumenten die Preise zu hoch zu setzen. Während in der Planwirtschaft Ostdeutschlands die Preise für lebensnotwendige Güter vom Staat auf niedrigem Niveau gehalten wurden, lautete Euckens Zauberformel »Wettbewerb durch offene Märkte«. Wenn neue Unternehmen leicht in einen Markt eintreten können, dann ist der Wettbewerb hoch. Je mehr Konkurrenten es gibt, desto kleiner ist der Spielraum, die Preise zu erhöhen. In der stark durch Monopole und Kartelle gekennzeichneten deutschen Nachkriegswirtschaft spielte deshalb deren Zerschlagung eine wichtige Rolle für die Wirtschaftspolitik.

Die sechs genannten Prinzipien sollten ein Regelwerk für das wirtschaftliche Handeln der Unternehmen schaffen. Der Staat sollte nur die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln bestimmen. Zwar sollte der Staat wichtige Kollektivgüter wie ein funktionierendes Rechtssystem, eine Monopolkontrolle, die Verteidigung, die soziale Sicherung und den Umweltschutz zur Verfügung stellen. Er sollte aber nicht die wirtschaftliche Entwicklung zugunsten bestimmter Unternehmen oder Branchen lenken, indem er beispielsweise Subventionen für die Stahlindustrie oder Steuervorteile beim Autokauf gewährt.

Dabei war sich Walter Eucken bewusst, dass der Staat ein großer Akteur im Wirtschaftsgeschehen ist, wenn er in den Wirtschaftskreislauf eingreift. Indem er beispielsweise die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen verbessert oder große Konjunkturpakete – die heute den Namen »Wumms« oder »Doppelwumms« tragen – schnürt, kann er schnell die wirtschaftliche Lage verbessern. Auch Regulierungen – wie beispielsweise das im Sommer 2023 kontrovers diskutierte Heizungsgesetz – können große Veränderungen bewirken und ein immenses Konjunkturprogramm für einzelne Branchen sein.

Der Nachteil staatlicher Eingriffe in den Wirtschaftsprozess ist jedoch, dass diese unerwünschte Nebeneffekte haben können. Starke Zinssenkungen können zu Inflation oder steigenden Immobilienpreisen führen. Große Konjunkturpakete können verzögert wirken, sodass sie, statt eine Rezession zu bekämpfen, den folgenden Aufschwung verstärken und der Arbeitsmarkt dadurch überhitzt wird. Der Staat kann den Wettbewerb zugunsten einer Branche verzerren, wenn sich Ausgaben und Förderungen beispielsweise auf die Autoindustrie konzentrieren. Basieren Regulierungen auf falschen Annahmen, Berechnungen und Prognosen, müssen diese später revidiert werden, was kostspielig für den Steuerzahler ist.

Sind staatliche Eingriffe häufig, umfassend und erratisch oder werden diese von Lobbyisten beeinflusst, dann wird es für Unternehmen schwierig, die Zukunft zu planen. Man kann die Wirtschaft mit einem großen Bus vergleichen, dessen Passagiere wild durcheinandergerüttelt werden, wenn der Fahrer immer wieder plötzlich das Steuer herumreißt. Die Fahrgäste fahren dann möglicherweise in Zukunft nicht mehr mit. Steigt die Unsicherheit aufgrund zahlreicher staatlicher Interventionen, dann investieren die Unternehmen nicht mehr. Da Investitionen eine der wichtigsten Bestimmungsgrößen von Wirtschaftswachstum sind, forderte Eucken Zurückhaltung bei Eingriffen des Staates, also eine »Konstanz der Wirtschaftspolitik«.

Eucken stellte auch klar, dass die sieben konstituierenden Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht als eine Speisekarte zu betrachten seien, von der sich die politischen Entscheidungsträger das eine oder andere Prinzip nach Gusto auswählen können. Es müssten vielmehr alle Prinzipien gleichzeitig erfüllt sein, damit eine Marktwirtschaft ihre volle Wirkung entfalten kann. Gelten beispielsweise das Privateigentum und die Vertragsfreiheit, ohne dass es Wettbewerb zwischen den Unternehmen gibt, dann kann ein Monopolist die Preise auf Kosten der Konsumenten nach oben treiben. Ist die Währung nicht stabil, dann spiegeln die Preise nicht mehr die Präferenzen der Konsumenten wider. Die Unternehmen investieren möglicherweise in die Produktion von Gütern, die später nicht nachgefragt werden.

In der Preisstabilität sah Walter Eucken eine zentrale Voraussetzung für das Funktionieren der Marktwirtschaft. Er nannte dies das »Primat der Währungspolitik«. Ohne Preisstabilität würden auch alle anderen konstituierenden Prinzipien der Marktwirtschaft ins Wanken geraten. Wenn beispielsweise in Krisen mithilfe der Notenpresse verlustreiche Unternehmen oder überschuldete Banken gerettet werden, dann ist das Haftungsprinzip außer Kraft gesetzt.

Kann der Staat dank des Ankaufs von Staatsanleihen durch die Notenbank mehr Geld ausgeben, dann können politisch einflussreiche Unternehmen die Subventionen in ihre Richtung lenken. Der Wettbewerb ist dann gestört. Führt Inflation dazu, dass die Preise von Energie und Lebensmitteln staatlich begrenzt werden, dann ist die Funktionalität des Preissystems außer Kraft gesetzt. Energie wird nicht eingespart, obwohl das nötig wäre. Aus diesem Grund spielte die Währungsreform im Jahr 1948 eine Schlüsselrolle für die zukünftige wirtschaftliche Ordnung Westdeutschlands.

Währungs- und Wirtschaftsreform unter Ludwig Erhard

Ob die Väter der Marktwirtschaft sich mit Walter Euckens wissenschaftlichen Werken in der Hand an die Arbeit machten, ist nicht bekannt. Eucken war zumindest Berater der US-amerikanischen und französischen Besatzungsmächte. Seine Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung wurden in Westdeutschland nicht vollkommen, aber doch in einem beträchtlichen Umfang umgesetzt. Der CDU-Politiker Ludwig Erhard war hierfür nicht allein verantwortlich, spielte aber eine zentrale Rolle.

Die USA hatten bereits im August 1946 ihren Plan für eine neue Währung im Alliierten Kontrollrat eingebracht. Der Name Deutsche Mark soll die Idee des US-Reserveoffiziers Edward Tenenbaum gewesen sein. Er war das Bindeglied zwischen der US-amerikanischen Besatzungsmacht und der Sonderstelle Geld und Kredit, die von deutscher Seite mit der Währungsreform betraut war. Die Währungsreform vom 20. Juni 1948 war unvermeidbar, da das nationalsozialistische Deutschland den Krieg mit Hilfe der Reichsbank finanziert hatte und so sehr viele Reichsmark in Umlauf gebracht hatte.

Während die Geldmenge (das Bargeld und die Einlagen bei den Banken) zwischen 1935 und 1945 um 500 Prozent gestiegen war, ging die Wirtschaftsleistung in diesem Zeitraum um mehr als 40 Prozent zurück. Sehr viel Geld stand wenigen produzierten Gütern gegenüber. Strikte Preiskontrollen sorgten zwar dafür, dass keine Inflation entstand. Die lebensnotwendigen Güter mussten dann aber mithilfe von Bezugsscheinen zugeteilt werden. In Museen sind solche Lebensmittelkarten heute noch zu sehen. Butter, Brot, Fleisch, alles war kontingentiert. Da das Geld praktisch wertlos war, war der Anreiz gering, für Geld zu arbeiten. Die Unternehmen hatten aufgrund der fixierten Preise keinen Anreiz, mehr zu produzieren.

Hätte man die Preise freigegeben, dann wären sie stark angestiegen. Viele Menschen erinnerten sich damals noch lebhaft an die schrecklichen Folgen der Hyperinflation in den 1920er Jahren, die große Teile der deutschen Mittelschicht enteignet hatte. Das könnte ein Grund gewesen sein, warum man sich gegen eine Freigabe der Preise zum Ausgleich des versteckten Inflationsdrucks und für die Währungsreform entschied. Ab Ende 1947 wurden die neuen Geldscheine in den USA gedruckt und unter höchster Gemeinhaltung in der Operation »Bird Dog« mit Schiffen nach Bremerhaven und von dort nach Frankfurt am Main gebracht.

Am 1. März 1948 hatten die Amerikaner und die Briten in Frankfurt die Bank deutscher Länder gegründet, die das alleinige Recht erhielt, Münzen und Banknoten herauszugeben (1957 ging aus der Bank deutscher Länder die Deutsche Bundesbank hervor). Nachdem am 20. März 1948 die Sowjetunion aus dem Alliierten Kontrollrat ausgetreten war, soll sofort die Entscheidung für die Währungsreform gefallen sein. Es folgte wenige Tage später eine ostdeutsche Währungsreform, die die Teilung Deutschlands weiter vorantrieb.

Die Währungsreform in Westdeutschland wurde am 18. Juni 1948 öffentlich angekündigt. Am 20. Juni erhielten in den drei westdeutschen Besatzungszonen (außer den Westsektoren von Berlin) jeder Bewohner und jede Bewohnerin 40 Deutsche Mark gegen 40 Reichsmark ausgezahlt. Laufende Zahlungen wie Löhne, Mieten, Renten, Pensionen und Steuern wurden 1:1 umgestellt. Das erleichterte es den Menschen, sich an die neue Währung zu gewöhnen.

Der große Geldüberhang von Reichsmark wurde dadurch beseitigt, dass private Bankguthaben (nachdem alle Bargeldreserven eingezahlt worden waren) schließlich im Verhältnis 100:6,5 umgetauscht wurden. Wer also 100 Reichsmark auf seinem Konto hatte, dem wurden nur noch sechs Deutsche Mark und 50 Pfennige gutgeschrieben. Die Sparer wurden damit weitgehend enteignet. Schulden wurden zu einem Verhältnis von 100:10 umgestellt. Wer Geld an den deutschen Staat oder an die nationalsozialistische Partei geliehen hatte, konnte gar keine Rückzahlung mehr erwarten – das heißt Staatsanleihen des Deutschen Reichs waren wertlos. Zwar war die Bevölkerung geschockt. Doch es gab keine Wahl, weil die Alliierten die Reform einfach angeordnet hatten.

Es profitierten – wie bei einer Inflation – die Halter von Sachvermögen wie Immobilien, Land, Fabriken und Gütern, während das Geldvermögen weitgehend entwertet wurde. Um diese Ungerechtigkeit abzumildern, wurde ein Lastenausgleich auf den Weg gebracht, der von den Haltern von Sachvermögen finanziert wurde. Dieser entschädigte nicht nur teilweise für die Folgen der Währungsreform, sondern auch für die Folgen von Zerstörung, Vertreibung und Flucht. Die Währungsstabilität wurde auf Dauer dadurch gesichert, dass die Bank deutscher Länder dem politischen Einfluss entzogen wurde. Bis 1951 unterlag sie den Weisungen der Westalliierten. Danach war sie von den Bundesregierungen unabhängig.

Infolge der Währungsreform erlaubte es das Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform vom 24. Juni 1948 schrittweise die Preise freizugeben, um ein funktionsfähiges Preissystem zu schaffen. Ludwig Erhard hatte ab 1947 die Sonderstelle Geld und Kredit der britisch-amerikanischen Bizone geleitet und war am 2. März 1948 Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets geworden. Er soll die meisten Preiskontrollen ohne die Zustimmung der amerikanischen und britischen Kontrollinstanzen einfach aufgehoben haben. Er zeigte sich erfreut, »in einem Zuge Hunderte von Bewirtschaftungs- und Preisvorschriften in den Papierkorb zu befördern«.1 Und er erhielt dafür Rückendeckung von General Lucius Clay, dem Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war bereits von den Siegermächten im Potsdamer Abkommen (August 1945) eine rasche Dezentralisierung der stark verflochtenen deutschen Wirtschaft angestrebt worden. Die großen Unternehmen und Kartelle hatten maßgeblich die Kriegsführung der Nationalsozialisten unterstützt. In den Westzonen setzte die Entflechtung bereits 1947 ein. Im Jahr 1952 wurde beispielsweise der Chemie- und Pharmakonzern I.G. Farben in den drei westlichen Besatzungszonen in zwölf eigenständige Unternehmen aufgeteilt. Bereits 1948 waren drei konkurrierende Entwürfe für ein Kartellgesetz vorgelegt worden, das schließlich am 1. Januar 1958 als Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft trat. Es untersagte Kartelle und unterwarf Fusionen der Zustimmung der Monopolbehörde. Euckens Prinzip der offenen Märkte wurde dadurch auf Dauer gesichert. »›Wohlstand für alle‹ und ›Wohlstand durch Wettbewerb‹ gehören untrennbar zusammen«, so Ludwig Erhard.2

Das Grundgesetz, das im Mai 1949 in Kraft trat und einen freien Rechtsstaat garantierte, sicherte das Privateigentum, auch an den Unternehmen. Damit setzte sich Westdeutschland von Ostdeutschland ab, wo immer mehr Unternehmen verstaatlicht wurden und die Produktion von der Politik gesteuert wurde. In Art. 14 des Grundgesetzes heißt es: »Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.« Neben dem Privateigentum garantierte das Grundgesetz auch die Vertragsfreiheit, indem es die Basis für einen rechtlichen Rahmen für wirtschaftliches Handeln setzte. Es galt das Haftungsprinzip.

Ludwig Erhard, der von 1949 bis 1963 Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland war, sorgte persönlich für die Konstanz der Wirtschaftspolitik, indem er entschlossen die neue Währung und die neue Wirtschaftsordnung verteidigte. Er habe als Bundesminister 80 Prozent seiner Kraft dazu verwendet, gegen Unfug anzukämpfen, merkte er später an. Sein Buch Wohlstand für Alle, das 1957 erschien, ist ein spannendes Zeitdokument seiner Bemühungen, die Vorteile einer freiheitlichen Wirtschafts-, Rechts- und Gesellschaftsordnung zu erklären und zu verteidigen. Die Volkswirtschaft, so Erhard, sei kein Patient, den man pausenlos operieren kann.

Um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, wurde gefordert, dass die Bank deutscher Länder kurzfristig über mehr Kredite den Konsum und die Investitionen anheizen solle. Erhard widersetzte sich diesen Forderungen entschlossen. Indem er die Unabhängigkeit der Zentralbank verteidigte, setzte er der Rolle des Staates in der Wirtschaft enge Grenzen, weil die finanziellen Mittel für umfangreiche staatliche Konjunkturprogramme und Subventionen fehlten. Er drängte Versuche der großen Unternehmen zurück, wirtschaftspolitische Entscheidungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Eine Atomisierung der Volkswirtschaft in Gruppeninteressen sei nicht zu dulden. »Eines ist bei einem guten Fußballspiel als ein wesentliches Merkmal zu erkennen: Das Fußballspiel folgt bestimmten Regeln, und diese stehen von vornherein fest.«3

Die Entstehung des Wirtschaftswunders und die Rolle der Deutschen Mark

Zwar bleiben einige Sektoren wie das Gesundheitssystem oder die Banken stark reguliert. Einige Unternehmen wie Deutsche Post und Deutsche Bahn waren nach wie vor staatlich. Doch gingen die Reformen weit genug, dass sich die Marktwirtschaft entfalten konnte. Vor der Währungsreform am 20. Juni 1948 waren die Waren noch gehortet worden und oft nur über den Schwarzmarkt verfügbar. Am 21. Juni 1948, dem Montag nach der Währungsreform, waren die Schaufenster und Regale plötzlich gefüllt.

Indem der »positive Schaufenstereffekt« das Ende des Mangels signalisierte, stärkte er das Vertrauen in die neue Währung. Noch in den 1970er Jahren sprach man in meiner Familie immer noch begeistert davon. Die »magische Zahl« war die 40. Bei der Vertreibung aus Böhmen durfte man 40 Kilo Gepäck pro Person mitnehmen (wovon das meiste später in Lebensmittel getauscht wurde). Und 40 Deutsche Mark pro Kopf halfen beim Neuanfang.

Die hohe Nachfrage der ausgehungerten Bevölkerung – Erhard sprach von einem »schier grenzenlosen Nachholbedarf«4 – bildete für die Unternehmen den Anreiz, mehr zu produzieren. Da die Unternehmen in der Währungsreform mit wenig Liquidität ausgestattet worden waren, mussten sie Produktion und Absatz erhöhen. Wichtige Teile der industriellen Produktionsanlagen hatten den Krieg überstanden und waren nicht wie im Osten Deutschlands demontiert worden. Die Produktion konnte schnell wachsen. Immer mehr Menschen packten an, um sich aus der oft prekären wirtschaftlichen Lage zu befreien.

Von 1950 bis 1962 stieg die Industrieproduktion um 176 Prozent. In einem Industrieland wie Deutschland ist die Industrieproduktion ein wichtiger Pfeiler des Wachstums. Abbildung 1 zeigt die hohen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts in den 1950er und 1960er Jahren. Deutschland erreichte über viele Jahre hinweg beeindruckende Produktivitätsgewinne, aus denen Wohlstand entstand. Die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen verbesserte sich schnell. Die Produktion von Kühlschränken florierte auch deshalb, weil diese wieder gefüllt werden konnten. Die Menschen konnten wieder zwischen vielen Produktvarianten wählen. Gelbe, rote, kurze, lange, elegante oder sportliche Kleider? »Der Kunde wurde wieder König«,5 konstatierte Ludwig Erhard.

Abbildung 1.1: Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in (West-)Deutschland

Quelle: Statistisches Bundesamt. Von 1950 bis 1990 Westdeutschland, ab 1991 Gesamtdeutschland. Reales Wachstum. 2023 Prognose.

Die beeindruckende wirtschaftliche Dynamik ging als Wirtschaftswunder in die Geschichte ein, als dessen Vater Ludwig Erhard gilt. Der Ausdruck Wunder ist allerdings nicht ganz treffend, weil ein Wunder eigentlich nicht möglich ist und deshalb völlig unerwartet kommt. Zwar dürfte die breite Bevölkerung in Westdeutschland überrascht gewesen sein, dass es nach so vielen schlechten Jahren in Deutschland nun plötzlich aufwärts ging. Aus Sicht der Architekten der neuen Wirtschaftsordnung, wie Walter Eucken und Ludwig Erhard, dürfte sich jedoch nur das erwartete Ergebnis eingestellt haben, wenn auch mit Hindernissen.

Infolge der Aufhebung der Preiskontrollen waren die Preise vieler Güter aufgrund einer hohen Nachfrage 1948 zunächst stark angestiegen. Die Preiserhöhungen sollen bei bis zu 200 Prozent gelegen haben, bei einzelnen Gütern wie Eiern sogar bei 2000 Prozent. Das machte die Bevölkerung unruhig. Viele Politiker forderten die Rückkehr zur Preis- und Warenbewirtschaftung: »Erhard am Ende seines Lateins« oder »Wirtschaftsfachleute für Rückkehr zur Bewirtschaftung«6 lauteten die Schlagzeilen. Westdeutschland stand im Sommer 1948 vor einem Generalstreik, doch der Wirtschaftsminister blieb standhaft: »Es kam entscheidend darauf an, sich durch diese Turbulenzen nicht beirren zu lassen.«7 Der Preisdruck kehrte sich wie von Erhard erwartet um, bevor neue Preiskontrollen eingeführt wurden. Die freien Preise waren auf Dauer in weiten Bereichen der westdeutschen Wirtschaft gesichert.

Von 1948 bis 1952 halfen US-amerikanische Kredite sowie Lieferungen von Rohstoffen, Lebensmitteln und Industriegütern, der mit der Wirtschafts- und Währungsreform verbundenen Verunsicherung entgegenzutreten. Der Marshall-Plan der USA, der sich als Hilfe zur Selbsthilfe verstand, war an Bedingungen wie der Stabilisierung der Währung und dem Abbau von Handelshemmnissen geknüpft. Indem er Westeuropa kurzfristig wirtschaftlich und damit politisch stabilisierte, half er auch, die marktwirtschaftlichen Kräfte zu stärken. Erste Krisen wie der Ausbruch des Koreakriegs (1950) erschütterten zwar die junge Marktwirtschaft, konnten aber auch mit deren Hilfe überwunden werden.

Einige Ökonomen argumentieren, dass der wirtschaftliche Aufschwung Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg mehr dem Wiederaufbau und dem Marshall-Plan als den marktwirtschaftlichen Reformen zu verdanken gewesen sei. Dem widerspricht, dass weder ein Wiederaufbau noch eine einmalige Wirtschaftshilfe eine Wachstumsdynamik und Wohlstand erzeugen können, wie sie sich in Westdeutschland auf Dauer entfalteten. Die durchschnittliche Wachstumsrate lag in den 1950er Jahren bei gut 8 Prozent und in den 1960er Jahren immer noch bei rund 5 Prozent (siehe Abbildung 1.1). Die Arbeitslosigkeit sank dramatisch und Ende der 1950er Jahre war Vollbeschäftigung erreicht (siehe Abbildung 1.2). Ab 1955 warb Westdeutschland Gastarbeiter aus Europas Süden an, um die florierende Wirtschaft ausreichend mit Arbeitskräften zu versorgen.

Die hohe wirtschaftliche Instabilität, die in den 1920er Jahren und Anfang der 1930er Jahre vorgeherrscht hatte und maßgeblich zum Aufstieg der Nationalsozialisten beigetragen hatte, gehörte der Vergangenheit an. Die Menschen blickten nach vorne. Auf den Wirtschaftsboom folgte ein Babyboom. Westdeutschland entwickelte sich zur Wachstumslokomotive in Westeuropa, während im planwirtschaftlich organisierten Ostdeutschland das Wirtschaftswunder ausblieb und die Menschen abwanderten.

Die großen Parteien passten nur mit Verzögerung ihre Programme an. Im Ahlener Programm (1947) hatte die CDU noch festgestellt, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem den staatlichen und sozialen Lebensinteressen der Deutschen nicht gerecht geworden sei. Inhalt und Ziel einer sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung könnten nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen des Volkes sein. Erst mit den Düsseldorfer Leitsätzen – als wirtschafts- und sozialpolitischem Programm für die erste Bundestagswahl im Jahr 1949 – wendete sich die CDU unter dem Einfluss von Ludwig Erhard der – nun – Sozialen Marktwirtschaft zu, die fortan als politischer Begriff große Bedeutung erlangte.

Abbildung 1.2: Arbeitslosenquote in Deutschland

Quelle: Bundesagentur für Arbeit. Von 1950 bis 1990 Westdeutschland, seit 1991 Gesamtdeutschland.

Die SPD hatte sich lange Zeit und vehement gegen die Reformen gestemmt. »Es ist meinem Gefühl nach ein überaus fragwürdiger Schritt, einen todkranken Mann ins kalte Wasser zu schmeißen«, hatte der SPD-Politiker Gerhard Kreyssig gewettert.8 1950 stellte die SPD (erfolglos) einen Antrag zur Entfernung von Ludwig Erhard aus dem Amt. Erst im Jahr 1959 bekannte sich die SPD mit dem Godesberger Programm unter der Devise »So viel Wettbewerb wie möglich, so viel Planung wie nötig« (Karl Schiller) zur Sozialen Marktwirtschaft. Die Wähler hatten seit 1949 der CDU das Vertrauen ausgesprochen.

Die westeuropäischen Nachbarn beobachteten derweil den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands mit gemischten Gefühlen. Sie wollten das Land politisch und wirtschaftlich einbinden, um einen neuerlichen Krieg in Europa zu verhindern. Frankreich drängte deshalb im Zuge des europäischen Integrationsprozesses auf gemeinsame Institutionen. Im April 1951 gründeten sechs Staaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Luxemburg) die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Am 1. Januar 1958 traten die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) in Kraft, die mit einer Europäischen Kommission, einem Europäischen Parlament und einem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss einhergehen sollten. Über die europäische Agrar- und Regionalpolitik konnte ein Teil der Wohlstandsgewinne von Deutschland in den Süden Europas umverteilt werden.

Ludwig Erhard hatte seinerseits in den Verhandlungen zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf die Liberalisierung der Märkte gedrängt. Der Abbau von Zollschranken erlaubte einen freien Warenverkehr, was die zunehmend exportstarke deutsche Industrie begünstigte. Anfangs war nur der Güterhandel liberalisiert. Die Freiheit beim Dienstleistungshandel, die freie Bewegung von Arbeitskräften über die Grenzen hinweg sowie die Liberalisierung des Kapitalverkehrs sollten vorangetrieben werden. Die Schaffung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung in Deutschland fand damit in der Idee des europäischen Binnenmarkts – dem freien Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Arbeit und Kapital – ihren Widerhall.

Freihandel begünstigt das Wachstum, weil in internationalen Märkten der Wettbewerb noch größer ist. Die Unternehmen können sich spezialisieren und noch produktiver werden, weil sie größere Stückzahlen produzieren können. Damit trugen nicht nur die marktwirtschaftlichen Reformen in Westdeutschland, sondern auch die Öffnung der Märkte innerhalb einer wachsenden Europäischen Gemeinschaft zu spürbaren Wohlstandsgewinnen in Deutschland und ganz Westeuropa bei. Da die Mittelschicht in Westeuropa florierte, fand der europäische Integrationsprozess eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung.

Eine besondere Rolle kam in dem sich vereinigenden Westeuropa der jungen Deutschen Mark zu. Nachdem in den frühen 1970er Jahren die Wechselkursbindungen der westeuropäischen Währungen an den US-Dollar zusammengebrochen waren, kristallisierte sich die Deutsche Mark als stabilste Währung heraus. Denn die Deutsche Bundesbank war unabhängig und achtete akribisch auf Preisstabilität. Hingegen unterstanden die Zentralbanken in Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich den Finanzministerien und mussten zur Finanzierung der Staatsausgaben beitragen. Die Inflationsraten waren in diesen Ländern deshalb deutlich höher.

Deshalb verloren die südeuropäischen Währungen gegenüber der Deutschen Mark immer weiter an Wert. Abbildung 1.3 zeigt das beispielhaft für die italienische Lira. Über die Zeit hinweg mussten immer mehr Lira für eine Deutsche Mark bezahlt werden. Die deutschen Konsumenten freute das, weil ihre Kaufkraft im Ausland stieg. Erhielten sie 1950 rund 150 Lire für eine Deutsche Mark, waren es Ende der 1970er Jahre rund 450. Urlaub in Italien war nicht nur sonnig, sondern auch günstig. Der Verkehr über den Brenner wurde dichter.

Doch die immer wiederkehrenden Abwertungen der südeuropäischen Währungen gegenüber der Deutschen Mark machten auch zum Leidwesen der deutschen Industrie die deutschen Waren im Ausland teurer. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, mussten die deutschen Unternehmen immer wieder die Kosten senken. Oder sie entwickelten besonders gute Produkte, denen eine Aufwertung der Deutschen Mark so schnell nichts anhaben konnte. Man sprach von der harten Deutschen Mark als Produktivitätspeitsche! Die deutsche Industrie wurde besonders produktiv und glänzte durch ausgezeichnete Produkte. Die deutsche Autoindustrie beeindruckte die Welt mit schicken und schnellen Modellen.

Abbildung 1.3: Wechselkurs der italienischen Lira gegenüber der Deutschen Mark

Quelle: Internationaler Währungsfonds.

Die so von der deutschen Wirtschaft geschaffenen beträchtlichen Produktivitätsgewinne konnten über zwei Wege verteilt werden. Zum einen sind Produktivitätssteigerungen die Grundlage für Lohnerhöhungen, die über Preissteigerungen hinausgehen. Abbildung 1.4 zeigt den Anstieg des Lohnniveaus im Vergleich zu den Konsumentenpreisen, die sogenannten Reallöhne in der Industrie. Diese zeigten lange Zeit immer nur nach oben. Der Lebensstandard in Westdeutschland wuchs. Das Einfamilienhaus erfreute sich großer Beliebtheit, auch wenn alle beim Bau mit anpacken mussten. Die Möbelproduktion florierte und die Kühlschränke waren wieder voll. Zum anderen wurde die soziale Sicherung ausgebaut. Die gesetzliche Rentenversicherung und die gesetzliche Krankenversicherung verbesserten ihre Leistungen. Eine Arbeitslosenversicherung bot Schutz, wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeit verlor. 1954 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass sich aus dem Grundgesetz ein Rechtsanspruch auf soziale Fürsorge durch den Staat ergebe, sodass die Regierung 1961 ein einheitliches Sozialhilferecht schuf.

Abbildung 1.4: Reallohnentwicklung in der Industrie, Deutschland

Quelle: Internationaler Währungsfonds.

Die Soziale Marktwirtschaft entsteht

Walter Eucken war auch auf sozialen Ausgleich bedacht. Neben den »konstituierenden Prinzipien« hatte er vier »regulierende Prinzipien« formuliert, die sozialen Ungerechtigkeiten und der Schädigung der Umwelt entgegenwirken sollten:

Monopole und Kartelle sollten untersagt sein, um die Marktmacht von Unternehmen zu beschränken.

Bei Umweltschäden, wenn beispielsweise ungereinigte Abwässer in Flüsse oder Abgase in die Luft geleitet wurden, sollten die Unternehmen die Verantwortung tragen.

Zu geringe Löhne, die die Arbeitnehmer zwingen, ihre Arbeitszeit auszuweiten, um den Lebensunterhalt zu sichern, sollten verhindert werden.

Und Walter Eucken trat schließlich auch für Umverteilung ein, da im in der Breite armen Nachkriegsdeutschland schon früh die Produktion von Luxusprodukten wieder einsetzte, während viele Menschen noch mit sehr geringen Einkommen zu kämpfen hatten. Er dachte an Einkommenspolitik in Form eines progressiven Steuersystems mit höheren Steuersätzen für hohe Einkommensgruppen, wie es heute noch existiert.

Mit diesen regulierenden Prinzipien legte Walter Eucken den wissenschaftlichen Grundstein für die Soziale Marktwirtschaft.

Das Sozialstaatsprinzip war im Grundgesetz verankert worden. Dort heißt es in Art. 20: »Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.« Der Kölner Professor Alfred Müller-Armack hat das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft maßgeblich entwickelt, um »das Prinzip des freien Marktes mit der Idee des sozialen Ausgleichs zu verbinden«. Ihm war bewusst, dass der soziale Ausgleich nur dann möglich ist, wenn die Marktwirtschaft die entsprechende wirtschaftliche Grundlage schafft. Denn es kann nur das verteilt werden, was zuvor erwirtschaftet wurde. Er sah drei Ebenen – und nicht nur eine – der Sozialität.

Erstens betonte er die sozialen Konsequenzen des Marktes selbst. Er meinte damit, dass sich in einer Marktwirtschaft die Produktion an den Präferenzen der Konsumenten ausrichtet. Wollen die Menschen mehr Wurst und weniger graue Kleider, dann werden auch mehr Wurst und weniger graue Kleider produziert. Wollen die Konsumenten mehr Bioprodukte, dann wächst die biologische Landwirtschaft. Der Wettbewerb unter den Unternehmen stellt nach Müller-Armack sicher, dass die Wirtschaft produktiv ist und damit eine engmaschige soziale Sicherung finanzieren kann. Schließlich erziehe der Markt zu Verlässlichkeit, die eine wichtige Voraussetzung für eine gute wirtschaftliche Zusammenarbeit ist. Denn Spezialisierung und Handel basieren auf Vertrauen.

Zweitens sei die Ordnungspolitik sozial. Geldwertstabilität stelle sicher, dass Inflation nicht wie in den frühen 1920er Jahren die Sparer enteignet, die Kaufkraft schwinden lässt und ungerechte Verteilungseffekte zugunsten reicher Menschen nach sich zieht. »Gute Sozialpolitik erfordert Währungsstabilität«,9 hatte Ludwig Erhard einst gesagt. Die Wettbewerbskontrolle durch das Kartellamt sorge dafür, dass Monopolisten den Konsumenten nicht durch hohe Preise schaden können.

Und erst drittens sah es Müller-Armack als sozial an, das Einkommensniveau von Menschen mit geringer Leistungsfähigkeit zu sichern. Das sollte nicht über Eingriffe in das Preissystem geschehen, indem beispielsweise – wie in der DDR – die Preise für Energie- und Lebensmittel vom Staat niedrig gehalten werden. Denn das hemmt die Produktion und führt zu Versorgungsengpässen oder schlechter Qualität. Vielmehr sollte der Staat nur Menschen mit zu geringen Einkommen direkt unter die Arme greifen.

Den Vätern der Sozialen Marktwirtschaft dürfte dabei bewusst gewesen sein, dass es stets einen Widerspruch zwischen Umverteilung und Wachstum gibt. Eine freie Marktwirtschaft erlaubt es den Unternehmen, die Gewinne zu maximieren und diese wieder in Produktivitätssteigerungen und Innovationen zu investieren. Das fördert Wachstum, technischen Fortschritt und Wohlstand. Eine hohe Steuerbelastung zur Finanzierung des Sozialsystems belastet hingegen die Gewinne und bremst die Investitionen, was negativ auf die Innovationskraft und das Wachstum wirkt. Auf der anderen Seite hat die soziale Sicherung negative Anreizeffekte. Je mehr Geld der Staat verteilt, desto größer ist auch die Versuchung für die Empfänger sozialer Leistungen, sich nicht am Erwerbsleben zu beteiligen. Dies gilt insbesondere für gering qualifizierte Menschen, deren Löhne für harte Arbeit nur wenig über den Sozialleistungen liegen.

Über den Zeitverlauf hinweg scheinen Versprechen einer großzügigeren sozialen Sicherung ein erfolgreiches Modell für das Gewinnen von Wählerstimmen geworden zu sein. Ludwig Erhard erkannte schon zu seiner Zeit, dass mit den wirtschaftlichen Erfolgen »übermächtig der Ruf nach kollektiver Sicherheit im sozialen Bereich erschallte«.10 Er hatte davor gewarnt, dass dann »jeder die Hand in der Tasche des anderen hat«11 und »wirtschaftlicher Fortschritt und leistungsmäßig fundierter Wohlstand mit einem System kollektiver Sicherheit unvereinbar sind«.12 Dennoch ist in der Folge der Anteil der Sozialleistungen an der Wirtschaftsleistung immer weiter angestiegen. Lag der Anteil unter Ludwig Erhard noch bei unter 20 Prozent, liegt er heute bei über 30 Prozent. Und die Rufe nach mehr Umverteilung sind heute lauter denn je.

Kapitel 2

Wie die Politik die Europäische Zentralbank zum politischen Akteur machte

Der historische Hintergrund der Europäischen Währungsunion

Aus dem vorangegangenen Kapitel ist bekannt, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg zwei unterschiedliche Zentralbankmodelle in Westeuropa gab. Einerseits war die Deutsche Bundesbank unabhängig. Andererseits waren die Zentralbanken von Frankreich, Italien, Spanien, dem Vereinigten Königreich und anderer Länder dem jeweiligen Finanzministerium unterstellt. Später werde ich zeigen, dass die unterschiedlichen Zentralbankmodelle auch mit unterschiedlichen Wachstumsmodellen verbunden waren, die in Konkurrenz zueinander standen.

Zudem konkurrierten die Länder um das sogenannte exorbitante Privileg, das in den 1950er und 1960er Jahren in Europa und dem Rest der westlichen Welt noch die USA innehatten. Die USA waren als militärischer, wirtschaftlicher und politischer Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen und konnten die Nachkriegsordnung bestimmen. Mit dem Währungssystem, das nach seinem Geburtsort Bretton Woods in New Hampshire benannt wurde, hatten sie 1944 den Dollar zur Leitwährung der westlichen Welt gemacht. Der Dollar war an Gold gebunden, was ihn stabil machte. Die westeuropäischen Länder mussten den Wechselkurs ihrer Währungen an den Dollar binden. Um dazu in der Lage zu sein, brauchten sie Dollarreserven, die sie in US-amerikanischen Staatsanleihen hielten. Das war – wie der spätere französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing in den 1960er Jahren beklagte – ein exorbitantes Privileg, das den USA zusätzliche Finanzierungsspielräume eröffnete. Zum Beispiel, um ein schlagkräftiges Militär zu finanzieren.

Seit der zweiten Hälfe der 1960er Jahre missbrauchten die USA allerdings ihr exorbitantes Privileg, indem sie auf Kosten der Partnerländer im Bretton-Woods-System den Vietnamkrieg und kostspielige Sozialausgaben finanzierten. Die Regierung der USA gab viele Staatsanleihen aus, die teilweise die US-amerikanische Zentralbank Fed kaufte. Das schuf Inflation und brachte den Dollar unter Abwertungsdruck, sodass die Partnerländer Dollar und damit US-amerikanische Staatsanleihen kaufen mussten. Der damalige Präsident der USA Richard Nixon sprach von einer Verteilung von Lasten (burden sharing), die Deutsche Bundesbank hingegen von importierter Inflation. 1971 kündigte Richard Nixon die Goldbindung des Dollars auf, was dem Vertrauen in den Dollar als Leitwährung einen schweren Schlag versetzte. Im Jahr 1973 war die Geduld der Schweizer Nationalbank und der Deutschen Bundesbank erschöpft, sodass sie ihre Dollarkäufe einstellten. Das Bretton-Woods-System brach zusammen.

Frankreich wünschte sich in dieser Zeit, dass in Europa das exorbitante Privileg auf den französischen Franc als europäischer Leitwährung übergehen würde. Doch das Rennen machte die Deutsche Mark, weil sie stabiler war. Die geringe Staatsverschuldung in Westdeutschland machte deutsche Staatsanleihen für internationale Anleger attraktiv. In Frankfurt florierte der Finanzplatz. Die Franzosen mussten dem geldpolitischen Kurs der Deutschen Bundesbank folgen oder den Franc gegenüber der Deutschen Mark abwerten. Jede Abwertung war ein Prestigeverlust für Frankreich und ein Reputationsgewinn für die Deutsche Mark.

Alle Versuche Frankreichs, die Deutsche Bundesbank von einem weniger straffen geldpolitischen Kurs zu überzeugen, um den Franc gegenüber der Deutschen Mark zu stabilisieren, scheiterten. Das Privileg der Leitwährung war in Europa vom Dollar auf die Deutsche Mark übergegangen. Auch der Versuch des französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing, zusammen mit Bundeskanzler Helmut Schmidt 1978 mit dem Europäischen Währungssystem ein »gleichberechtigtes« Währungssystem zu schaffen, lief ins Leere. Die Dominanz der Deutschen Mark blieb bestehen.

Erst die deutsche Wiedervereinigung eröffnete 1990 für Frankreich eine neue Chance, endlich die währungspolitische Dominanz der Deutschen Mark in Europa zu brechen. Der damalige französische Präsident François Mitterrand soll die Zustimmung Frankreichs zur deutschen Wiedervereinigung von Deutschlands Zustimmung zu einer gemeinsamen europäischen Währung abhängig gemacht haben. Die gemeinsame Währung sollte Frankreich eine gleichberechtigte Stimme bei den geldpolitischen Entscheidungen in Europa geben. Zudem träumte die große Nation davon, mit dem Euro das verbliebene exorbitante Privileg des Dollars im Rest der Welt zu brechen. Der damalige Kanzler Helmut Kohl hat dieser Darstellung zwar widersprochen, hat aber an anderer Stelle zum Ausdruck gebracht, dass er die gemeinsame europäische Währung als angemessenen Preis für die Einheit Deutschlands gesehen hat.1

Er konnte sich mit dem Euro auch als Wegbereiter eines historischen Meilensteins im europäischen Integrationsprozess profilieren. So fiel im Sommer 1990 die Entscheidung ohne Beteiligung der Deutschen Bundesbank zugunsten des Euros. Allerdings war die Bevölkerung in Deutschland um die Stabilität der Deutschen Mark besorgt, die sie intuitiv mit ihrem Wohlstand verband. In der Hyperinflation der frühen 1920er Jahre und mit der Währungsreform des Jahres 1948 hatten die Deutschen sehr negative Erfahrungen mit der Geldentwertung gemacht. Für Walter Eucken und Ludwig Erhard war die Preisstabilität das Rückgrat der Sozialen Marktwirtschaft gewesen.

Um den Wohlstand zu erhalten, drängten die politischen Entscheidungsträger Deutschlands in den Verhandlungen zum Euro darauf, die neue Europäische Zentralbank nach dem Muster der Deutschen Bundesbank in den europäischen Verträgen zu verankern. In Artikel 130 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union heißt es, dass die Europäische Zentralbank unabhängig ist. Sie darf weder Weisungen von nationalen Regierungen noch von der Europäischen Union entgegennehmen. In Artikel 127 ist festgeschrieben, dass das vorrangige Ziel der Europäischen Zentralbank die Preisstabilität ist. Artikel 123 der europäischen Verträge verbietet es der Europäischen Zentralbank und den zum Euro gehörenden nationalen Zentralbanken, Staatsausgaben zu finanzieren.