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Wir werden weniger, älter und ungleicher, gesünder und gebildeter, aber auch glücklicher? Was nehmen wir Deutschen mit in die Zukunft, und was lassen wir zurück? Was wird wirklich wichtig für uns? Im Jahr 2009 trafen sich im Berliner Kanzleramt kluge Köpfe des Landes, um über die Zukunft der Deutschen zu debattieren: Thea Dorn, Thomas Perry, Meinhard Miegel, Eckard Minx, Enja Riegel, Heinz Bude, Tim Leberecht, Christian Böllhoff, Bernhard von Mutius, Horst W. Opaschowski u.v.a.m. Der Publizist Peter Felixberger war dabei – bei allen Hearings, Workshops und Diskussionen mit Experten, der Kanzlerin und ihren Mitarbeitern. Hier legt er seinen unabhängigen Report über ein einmaliges Zukunftsprojekt vor. Was packen wir Deutschen in den Rucksack, mit dem wir uns aufmachen in die Zukunft?
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Seitenzahl: 231
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Peter Felixberger
Deutschlands nächste Jahre
Wohin unsere Reise geht
Inhalt
Editorial
Vorwort
Blick zurück nach vorne
Von der New Economy zur großen Weltwirtschafts-krise. Ein Streifzug durch das ersteJahrzehnt im 21. Jahrhundert
Neue Wirtschaft – Aufstand mit abruptem Ende
Globalisierung – Glück oder Elend?
Neue Arbeit – Bewegen und bewegt werden
Wissensgesellschaft für alle
Konsum – Die neue Macht der Verbraucher
Diversity – Vielfalt allerorten
Weltwirtschaftskrise – Keine Atempause, Geschichte wird gemacht
Ungleichheit – Die neue Geißel oder statistischer Schwindel
Die Alten kommen – Das Drama der ausgefallenen Generation
Was ist deutsch?
Zwischenfazit. Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland. Was ist neu? – Eine vorläufige Bilanz des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert
Jetzt aufbrechen. Was nehmen wir mit in die Zukunft?
Werte, Leitbilder und Lebensziele
Packstück 1: Selbstbestimmung, Individualisierung
Packstück 2: Freiheit
Packstück 3: Respekt
Packstück 4: Kulturelle Vielfalt
Packstück 5: Leistung
Packstück 6: Medienkompetenz
Fünf Zukunftsthesen von Sinus Sociovision
Wirtschaft, Arbeit und Bildung
Packstück 7: Wissen in der Wissensgesellschaft
Packstück 8: Patriotismus
Packstück 9: Ungleichheit
Packstück 10: Kreativität, Innovation
Packstück 11: Bildung
Packstück 12: Alter
Fünf Zukunftsthesen von Prognos
Wohlstand und Lebensqualität
Packstück 13: Wohlstand
Packstück 14: Maßhalten, Eigeninitiative
Packstück 15: Gesundheit
Packstück 16: Vertrauen
Packstück 17: Verantwortung
Packstück 18: Geld
Fünf Zukunftsthesen von der BAT Stiftung für Zukunftsfragen
Auf einen Blick
Die 18 RUCKSACK-Packstück-Thesen
Die 15 Zukunftsthesen der Forschungsinstitute
Im Überblick: Alle Teilnehmer der Hearings und Diskussionen
Anhang
Literatur
Über den Autor
Register
Editorial
Seit Beginn der Geschichtsschreibung steht unsere Zivilisation vor unvorhersehbaren Einschnitten und Brüchen. Auch die jüngere Geschichte wie der Fall der Mauer in Berlin oder die aktuelle Weltwirtschaftskrise zeigt einmal mehr, dass Vorhersagen und Prognosen immer auch mit Vorsicht zu betrachten sind. Aber diese Unschärfe in der Vorhersage stillt nicht die natürlich geprägte Neugier der Menschen auf eine planbare, konsistente Zukunft.
Das vorliegende Buch, das mit Unterstützung der Vodafone Stiftung Deutschland realisiert wurde, verfolgt nicht die Absicht, Zukunft vorherzusagen. Gemeinsam mit namhaften Instituten der Sozialforschung und ausgewählten Experten wie Horst W. Opaschowski, Wissenschaftlicher Leiter der Hamburger BAT Stiftung für Zukunftsfragen, sowie Max Schön, Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome, wird darüber nachgedacht, welche Zukunftsszenarien möglich und wahrscheinlich sind oder sogar bereits in der Gegenwart begonnen haben. Und welche Szenarien wir beeinflussen und uns damit aktiv für sie entscheiden können. Dabei sind Politik, Wirtschaft und die Wissenschaft gemeinsam auf eine Erkenntnisreise gegangen. Im Mittelpunkt der Gespräche im Bundeskanzleramt stand die entscheidende Frage, wie wir uns auf unsere Zukunft vorbereiten können. Was nehmen wir mit, und was lassen wir zurück? Das hier vorliegende Buch von Peter Felixberger packt die Ideen und Konzepte der Zukunftsforscher in einen Rucksack und nimmt seine Leser mit auf eine Entdeckungsreise.
Gesellschaftliche Probleme frühzeitig zu erkennen, übertragbare Lösungen zu fördern und Weichen für die Zukunft unseres Landes zu stellen ist eines der großen Anliegen der Vodafone Stiftung Deutschland. In diesem Ansatz spiegelt sich unser Verständnis einer modernen Zivilgesellschaft wider: Staat und Politik, Wirtschaft, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen bilden eine Verantwortungsgemeinschaft für das Land und unser Zusammenleben in Deutschland und im vereinten Europa. Wir sind gemeinsam für unsere Zukunft verantwortlich. Deshalb müssen wir alle gemeinsam die Herausforderung annehmen, Szenarien zu beleuchten, Konsequenzen zu bedenken und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen – politisch, ökonomisch und nachhaltig.
Mit der Realisierung des Buchs Deutschlands nächste Jahre. Wohin unsere Reise geht will die Stiftung einen wichtigen Impuls für den gesellschaftlichen Zukunftsdiskurs in unserem Land setzen. Unter dem Motto »Erkennen – Fördern – Bewegen« möchte die Stiftung Neues wagen und insbesondere Kindern und Jugendlichen eine Perspektive für die Zukunft geben. Denn gerade die jungen Menschen sind es, die das Land zukünftig gestalten.
Ganz zentral geht es der Stiftung um die wesentlichen Zukunftsthemen Bildung, die Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und die Förderung sozialer Mobilität. Wir wollen Weichen mitstellen, die gesellschaftlichen Aufstieg möglich machen.
Die Gesellschaft, in der wir leben, müssen wir aktiv mitgestalten. Dieses Verständnis von Verantwortung verbindet die Vodafone Stiftung Deutschland mit Schwesterstiftungen in 23 weiteren Ländern.
Thomas Ellerbeck, Vorsitzender des Beirats Vodafone Stiftung Deutschland
Vorwort
Jede Zukunftsforschung steckt in einem grundsätzlichen Dilemma. Denn Zukunft ist nicht vorhersehbar, weshalb man sie auch nicht gestalten kann. Und selbst wenn sie vorhersehbar wäre, könnten wir sie nicht gestalten. Wir würden sie ja schon kennen. Das wussten schon die alten Griechen. Deren Staatsmann Perikles sagte einmal: »Man kann die Zukunft nicht voraussagen, sondern nur auf sie vorbereitet sein.« Recht hatte er. Seit der Antike scheiterten alle Orakel auf ihre je klägliche Weise. Was sie voraussagten, ist meistens nicht eingetreten, und was eingetreten ist, haben sie oft nicht vorausgesagt. Seit Jahrtausenden stehen wir statt vor linearen Trends überrascht bis schockiert vor chaotischen, gebrochenen und sich aufschaukelnden Entwicklungen. Vor Zufällen, Brüchen und Friktionen.
Auch die jüngste Geschichte bestätigt diese Einschätzung. Die Beispiele Wiedervereinigung oder aktuelle Weltwirtschaftskrise haben ihre eigenen spontanen Gesetze. Die Propheten sind deshalb äußerst bescheiden geworden. Mittlerweile wagen selbst seriöse Forscher nur noch kurzfristige Vorhersagen mit einer Reichweite von drei bis fünf Jahren. Hinter dieser Zeitlinie beginnt das Reich der Nichtlinearität. Das Problem ist nur: Die Menschen sind nach wie vor neugierig auf eine konsistente und planbare Zukunft.
Das vorliegende Buch will sich hüten, Zukunft vorauszusagen. Es ist übrigens genau deshalb entstanden. Die ursprüngliche Idee einer Zusammenkunft der wichtigsten Zukunftsforscher des Landes geht zurück auf Horst W. Opaschowski, Chef der Hamburger BAT Stiftung für Zukunftsfragen, sowie Max Schön, den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome. Weitere Mitstreiter waren schnell gefunden. Das Ziel war ein gemeinsamer Diskussionsprozess, auf den sich alle Experten einlassen, ohne zu wissen, wo man landet. Kurz gesagt: Alle Beteiligten denken ergebnisoffen darüber nach, welche Zukünfte gerade begonnen haben und für welche wir uns entscheiden können. Die Gegenwart sozusagen als Nährboden für bestimmte Entfaltungslinien in die Zukunft. Immer berücksichtigend, dass man sie zwar nicht voraussagen, aber über den Korridor, die grobe Richtung, über Werte und Ziele diskutieren kann.
Und weil die Regierungsspitze in diesem Land jenseits tagespolitischer Querelen darüber genauso gerne Bescheid wissen will wie Unternehmen, Institutionen und letztlich jeder Einzelne, ist sie mit auf diese Erkenntnisreise gegangen. Ich betone: als Mitreisender, ohne Kapitän sein zu wollen. Man lud also alle Beteiligten ins Bundeskanzleramt ein – verteilt auf drei ausführliche Expertenhearings und weitere, zum Teil ganztägige Workshops. Das Bundeskanzleramt verstand sich dabei als Katalysator dieses Prozesses. Man wollte dort gezielt Zukunftsforscher an einen Tisch bringen, damit diese ins Gespräch kommen und nicht wie üblicherweise als sich beäugende Wettbewerber auf Kongressen und Konferenzen aneinander vorbeireden. Dabei wurde schnell deutlich, dass ihre Methoden und Ergebnisse zwar sehr unterschiedlich sind, aber auch Ausgangspunkt fruchtbarer Verständigung sein können.
Der Nebeneffekt liegt ebenfalls auf der Hand: Die Kanzlerin wollte Denkanstöße von ganz unterschiedlichen Experten erhalten. Langfristige Perspektiven jenseits des Tagesgeschäfts. Sie unterstrich nicht umsonst bei einer dieser Gelegenheiten: »Wir müssen mehr über Ziele reden. Auf den Wegen dorthin finden sowieso die tagesüblichen Kämpfe und Scharmützel statt, die uns am Weitblick zu hindern versuchen.«
Über Ziele reden heißt aber auch, über die Zukunft, die man gerne hätte, zu sprechen. An dieser Stelle stoßen wir auf ein weiteres Problem jeder Zukunftsforschung. Der Mensch, und damit auch der Zukunftsforscher, neigt dazu, sich die Welt immer als eine Welt ohne Mangel und Makel vorzustellen. Zivilisation ist diesbezüglich nichts anderes als der Versuch, sich diesem Idealzustand zu nähern. Die Wege dorthin sind allerdings gepflastert mit Hindernissen. Wie man sie überwindet, darüber streiten die Gelehrten. Nehmen wir einen Öko-Apokalyptiker. Er wird, wenn er über die Zukunft spricht, zunächst schwermütig und mit erhobenem Zeigefinger über Klimakatastrophe, Umweltzerstörung und Vernichtung natürlicher Lebensgrundlagen reden. Sie zu überwinden ist für ihn die Voraussetzung, um am Horizont die Konturen einer sozialökologischen Weltgesellschaft zu zeichnen. Oder nehmen wir einen neoliberalen Kapitalisten. Er wird, wenn er über Zukunft spricht, zunächst mit Verachtung über Sozialismus, Gerechtigkeitsillusionen und Unfreiheit reden. Sie zu überwinden ist für ihn wiederum die Voraussetzung, um am Horizont das kapitalistische Weltenglück zu prophezeien.
Doch jede Ideologie scheitert am Ende mit ihrer Vision. Eine Welt ohne Mangel und Makel ist und bleibt eine Illusion. Deshalb reden wir in diesem Buch auch nicht über eine Welt, wie wir sie in 20 Jahren gerne hätten. Wir reden eher über die Frage: Was wäre, wenn? Verlassen wir uns also lieber auf den guten alten Perikles. Wie können wir uns auf die Zukunft oder mögliche Zukünfte vorbereiten? Die Antwort kann nur lauten: Indem wir im Humus der Gegenwart zu buddeln beginnen. Und jene Wurzeln, Samen und Keimzellen freilegen, über deren Entwicklungslinie und endgültige Ausprägung wir dann zu debattieren beginnen. Zukunftsforscher, Querdenker und Praktiker aus allen Teilen der Gesellschaft haben sich in den Hearings und Debatten den Fragen gewidmet: Was sprießt da eigentlich? Wie sehen die Blüten später aus? Werden sie den Menschen gefallen, oder verzweifeln sie daran, überhaupt noch welche vorzufinden?
Ausgangspunkt ist Deutschland im Jahre 2009. Ein Land, das in diesem Jahre 60 Jahre Bundesrepublik und 20 Jahre Wiedervereinigung feiert. Ziel dieser Überlegungen ist die nächste Generation, die im Jahre 2030 an den Schalthebeln in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sitzen wird. Die möglichen Verbindungslinien dorthin interessieren uns hier in diesem Buch.
Als dessen Autor war ich unabhängiger Gast aller Hearings und Debatten. Schnell stand ich vor einer interessanten Herausforderung. Wie verbindet man die zahlreichen Statements und Wortmeldungen in den Hearings miteinander, und wie verbindet man die Szenarien der drei großen Forschungsinstitute mit diesen und den vielen weiteren Erörterungslagen in Wissenschaft und Publizistik? Diese Kontextualisierung war die eigentliche Aufgabe.
Ich habe mir, und anders ging es gar nicht, deshalb erlaubt, auszusortieren und auszuwählen. Was mir plausibel erschien, habe ich weiterverarbeitet. Deshalb ist dieses Buch kein Report im Sinne einer braven Abbildung der vielen Redebeiträge, sondern der Versuch, drei mögliche Zukunftslinien nach eigenem Ermessen zu verfolgen und sie mit den mir zur Verfügung stehenden und bevorzugten Standpunkten anzureichern. Sowohl direkt aus den Hearings als auch indirekt aus dem dahinter liegenden Zeitgespräch, in Beziehung gesetzt zu meinem persönlichen Interpretationsrahmen.
Konzeption
Die Idee des Buches liegt darin, dass wir sprichwörtlich einen »Rucksack« packen. Mit Dingen, die wir in die möglichen Zukünfte mitnehmen wollen. Alles dreht sich um die Kardinalfrage: Was nehmen wir mit, und was lassen wir zurück, um eine mögliche Zukunft zu realisieren? Das Buch packt die dafür wegweisenden Ideen und Konzepte der Zukunftsforscher in einen Rucksack. Und der Leser begibt sich auf eine Erkenntnisreise. Doch welche Packstücke gehören in den Rucksack? Welche Werte und welche Leitbilder zu Wirtschaft, Arbeit und Bildung? Außerdem, nach welcher Art Wohlstand und Lebensqualität streben wir überhaupt? Hier soll die Essenz aller relevanten Erörterungslagen herausdestilliert und ein Überblick über die Konzepte der Zukunft gegeben werden. Kurz: Es ist eine unverwechselbare Reise zu Chancen und Möglichkeiten, aber auch zu drohenden Problemen und Niederlagen.
Das Buch ist in vier größere Teile gegliedert. Im ersten Kapitel geht es um die letzten Jahre seit der Jahrtausendwende. Wir lassen das noch junge 21. Jahrhundert Revue passieren. Nicht als Liste von Ereignissen, sondern als Abbildung jener Erkenntnisse, die uns in den letzten Jahren getrieben haben und die erkenntnisprägend für die drei weiter hinten im Buch aufgeworfenen Szenarien sind.
Im zweiten Kapitel steht das Szenario »Werte, Leitbilder und Lebensziele« von Sinus Sociovision im Mittelpunkt, einem Forschungsinstitut, das laut eigener Aussage spezialisiert ist »auf das Verstehen, Messen, Interpretieren und Vorhersagen von soziokulturellem Wandel«. Es geht um drei große Komplexe, die hier analysiert werden: Erstens Individualisierung, Freiheit, Glück. Zweitens Überforderung, Ungleichheit, Respekt. Und drittens Kompetenz in der neuen Medien- und Kommunikationswelt. Am Ende werden Glanz und Elend einer tatsächlich unausweichlich individualisierten Welt sichtbar. Die Entscheidung darüber, wohin es den Einzelnen verschlägt, ist offen.
Im dritten Kapitel rückt das Szenario »Wirtschaft, Arbeit, Bildung« der Prognos AG in den Mittelpunkt. Das Beratungsunternehmen berät »Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Mittels neutraler Analysen, fundierter Prognosen und kritischer Bewertungen helfen wir, mögliche Zukunftsoptionen zu erkennen und zu bewerten.« In den Fokus werden Möglichkeitsräume in der Wissensgesellschaft, im Bildungssystem und in der Arbeitswelt von morgen gerückt, und am Ende steht eine stabile soziale, aber stärker individualisierte Marktwirtschaft, die mit neuen Verwerfungen wie Arbeitskräftemangel und zu geringem Wirtschaftswachstum zu kämpfen hat.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem Thema des Szenarios »Wohlstand und Lebensqualität«, welches die BAT Stiftung für Zukunftsfragen für die Expertengespräche vorbereitet hat. Die Stiftung fördert »die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen sowie die Entwicklung von Ansätzen zur nachhaltigen Lösung künftiger Gesellschaftsprobleme. Sie konzentriert sich hierbei insbesondere auf die Verbesserung der sozialen und kulturellen Lebensqualität.« Es geht also um Fragen und Einschätzungen, was die Menschen wollen und wie sie diese Annahmen bewerten. Am Ende steht eine aktive Bürgergesellschaft, in welcher die Menschen wieder stärker ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, aber mit materiellen Verlusten leben müssen.
Drei Szenarien: Individualisierte Gesellschaft. Stabile soziale Marktwirtschaft. Aktive Bürgergesellschaft. Der Leser kann alle drei Bergbesteigungen einzeln unternehmen. Was er dafür im Rucksack mitnehmen sollte, ist eine erste vorsichtige Empfehlung. Inwieweit man die Bergtour auch als kombinierten Aufstieg mit drei Gipfeln unternehmen kann, wird jedem Leser selbst überlassen. Denn wie sich die drei Szenarien miteinander verbinden lassen, wird erst die Zukunft, die ja nicht vorhersehbar ist, zeigen. Ungewissheit und Unschärfe bleiben. Das müssen Autor und Leser für den Moment aushalten. Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Vermutlich werden wir als Gesellschaft alle diese Dinge mitnehmen und brauchen. Darüber aber heute schon genauer Bescheid zu wissen ist das Rüstzeug für alle Expeditionen in die Zukunft. Wie gesagt: Vorbereitet sein, lautet die Devise.
Eines möchte ich an dieser Stelle noch festhalten: Die Komposition zwischen einzelnem Szenario und den dazugehörigen gesellschaftlichen Erörterungslagen ist nicht objektiv, sondern – und das ist mir bewusster denn je – aus meiner subjektiven Erkenntnisperspektive geschrieben. Im Übrigen möchte ich betonen, dass mich während des gesamten Prozesses von keiner Seite irgendjemand zu beeinflussen versuchte. Das Buch ist deshalb auf denkbar unabhängige Weise entstanden. Ich hoffe, dass es vielen Menschen von Nutzen sein wird. Möge der Prozess, dass sich Zukunftsforscher und Praktiker gemeinsam über die nächsten Jahre Deutschlands austauschen, fortgesetzt werden. Unabhängig, offen und kontrovers – wie es hier der Fall war.
Der Soziologe Armin Nassehi hat mir einmal gesagt: »Die moderne Gesellschaft hat sich daran gewöhnt, dass ihre Prognosen nicht stimmen. Die Dinge entwickeln sich mittlerweile, wie sie wollen.« Darum muss man sich kümmern. Im Klartext: Wie funktioniert die heutige Gesellschaft? Eine moderne Gesellschaftstheorie fehlt. Dieses Buch ist deshalb auch der bescheidene Versuch und Aufruf, die Bausteine für eine solche kohärente Denkfigur zunächst zu beschreiben. Sie dann zu einem Theoriegebäude zusammenzufügen ist größeren Geistern als mir vorbehalten.
Zu Dank verpflichtet bin ich abschließend der Vodafone Stiftung Deutschland für ihre großzügige Unterstützung bei der Realisierung des Manuskripts. Ebenso dem Stab Politische Planung, Grundsatzfragen, Sonderaufgaben im Bundeskanzleramt, vor allem Jörg Hackeschmidt, für die Einladungen zu allen Hearings und Veranstaltungen, insbesondere zum Diskussionsabend mit Angela Merkel auf Schloss Meseberg. Zu guter Letzt dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft für die Ausrichtung des Kongresses »Deutschland – eine Generation weiter. Die Zukunft hat schon begonnen«, auf dem viele Erkenntnisse dieses Buches zur Sprache kamen. Und natürlich – last, but not least – dem Murmann Verlag für die Mitarbeit an der Konzeption dieses Buchprojektes und die kompetente Betreuung des Manuskripts.
Blick zurück nach vorne
Von der New Economy zur großen Weltwirtschaftskrise. Ein Streifzug durch das erste Jahrzehnt im 21. Jahrhundert
Keine Zukunftsforschung funktioniert ohne Blick auf die jüngste Vergangenheit! Wir wollen deshalb am Anfang dieses Buches das erst so kurze 21. Jahrhundert Revue passieren lassen. Nicht als Liste von Ereignissen, sondern als Abbildung jener Erkenntnispfade, auf denen wir – dann natürlich mit gut gepacktem Rucksack – in die Zukunft aufbrechen wollen. Wie gesagt: Was wir alles mitnehmen werden, das zu klären ist das eigentliche Anliegen dieses Buches. Davon später ausführlich mehr.
Es liegt in der Natur der Sache, dass wir an dieser Stelle eine Einschränkung treffen müssen. Denn eine umfassende Abbildung aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Pfade der Gegenwart ist mittlerweile unmöglich geworden. Die Komplexität der Gesellschaft ist zu hoch. Kein Wunder, dass es jedem Versuch einer Gesellschaftstheorie mittlerweile an umfassender Erklärungstiefe mangelt. Die Folge ist klar: Man kann in jeder Debatte immer nur einen besonderen Ausschnitt diskutieren – mit der ihr eigenen begrifflichen Kohärenz und logischen Konsistenz. Das wurde in den Hearings und Diskussionen im Bundeskanzleramt sehr deutlich. Gespräche über das Große und Ganze sind kaum mehr zu führen. Denn die Nische wird zum eigentlichen Resonanzraum, in dem das Ganze verhandelt und vernetzt wird. Während die einen dann von globaler Weltenrettung reden, erzählen die anderen von persönlichen Lebenswelten und wiederum andere von ihrer persönlichen Betroffenheit. Am Ende haben dann alle das Gefühl, aneinander vorbeigeredet zu haben.
Was aber nicht der Fall ist: Denn jeder ist gleichzeitig überzeugt, irgendwie den Kern getroffen zu haben, wohl wissend, dass sich darüber als komplexe Gesamtverwirrungsveranstaltung die sich immer stärker auffächernde Gesellschaft spannt. Beherrsch- und planbar ist dort längst nichts mehr. Denn die Teile sind für sich mehr als das Ganze, und das Ganze ist mehr als die Summe aller Teile. Das ist paradox, aber Realität.
Was wiederum Gründe hat, die man besser versteht, wenn man das systemtheoretische Tanaland-Experiment heranzieht. Es beweist eindrucksvoll, wie schlecht wir komplexe Systeme grundsätzlich analysieren und managen können. Der Gießener Psychologieprofessor Dietrich Dörner hat es durchgeführt. Er ließ seine Studenten vor einigen Jahren in einer Computersimulation über ein fiktives Gebiet in Afrika herrschen. Die Entwicklungshelfer sollten Tanaland, so dessen Name, virtuell steuern – über zehn Jahre. Ein Computer wurde zu diesem Zweck vorab mit allen notwendigen Daten gefüttert – vom Klima über Bodenbeschaffenheit und Vegetationsdichte bis hin zu den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung.
Das Ergebnis war ein Meilenstein in der Komplexitätsforschung. Die Studenten, voller zivilisatorischem Gutmensch-Eifer, ließen Dämme bauen, Bewässerungssysteme anlegen, Wälder abholzen und Felder düngen. Raubtiere und schädliche Insekten wurden ausgerottet, Ärzte im Land angesiedelt, zu guter Letzt wurden Familienplanung und Geburtenkontrolle eingeführt. Alle Inputs waren jeder für sich gesehen ein Segen für das virtuelle Entwicklungsland. In der Summe jedoch bedeuteten sie dessen Untergang. Tanaland war schnell abgebrannt. Das segensreiche Wirken der Studenten brachte Hungersnöte, Tiersterben und Umweltkatastrophen für die Bevölkerung. Den Einwohnern ging es im Endeffekt so schlecht wie nie zuvor.
Was waren die Gründe dafür? Nun, die selbst ernannten Strippenzieher konnten die langfristigen Folgen ihrer Maßnahmen nicht voraussehen. Sie unterschätzten, dass es für jede scheinbar »richtige« Entscheidung eine Reihe von unbekannten kurz-, mittel- und langfristigen Folgen gab. Und sie unterschätzten die netzwerkartige Verbundenheit aller Elemente in Tanaland. Denn alles war mit allem verbunden. Ein Beispiel: Um die Landwirtschaft zu schützen, beschlossen Dörners Studenten, kleine Parasiten wie Ratten und Mäuse mit Gift und Fallen zu dezimieren. Mit der Entscheidung »Rottet Ratten und Mäuse aus« sollte das Problem eines möglichen landwirtschaftlichen Schadens gelöst werden. Doch die reale Welt ist kein lineares System. So kam es, wie es kommen musste. Weniger Ratten und Mäuse bedeuteten eine Zunahme jener schädlichen Insekten, die ersteren zuvor als Nahrung dienten. Die Insektenbrut konnte sich nun unkontrolliert vermehren und fügte der Landwirtschaft am Ende der Tage einen deutlich höheren Schaden zu.
Der Biologe Alberto Gandolfi beschreibt dieses grundlegende Merkmal von Komplexität so: »Die Outputs des Systems haben keine lineare Beziehung zu den Inputs. Nur selten ist es möglich, den mittel- und langfristigen Zustand des Systems durch unser Einwirken auf eines oder mehrere Elemente global vorherzusehen.« Anders ausgedrückt: Per Knopfdruck lässt sich ein komplexes System nicht steuern. Im Gegenteil: Es ist unvorhersehbar, nichtlinear und damit nicht kontrollierbar. In einem Wort: Es ist ein grandioser Wirrwarr. Tausende von Elementen sind durch Wechselwirkungen miteinander verbunden, behindern und verstärken einander, überlappen sich und heben sich auf. Neudeutsch nennt man das ein Netzwerk.
Hinzu kommt: Zahlreiche Rückkoppelungen erhöhen die Komplexität. Sie basieren auf dem Prinzip: Das Ergebnis beeinflusst den Anfang. Und zwar auf zweierlei Weise: negativ und positiv. Ein Thermostat beispielsweise funktioniert negativ rückgekoppelt: Je niedriger die Außentemperatur, desto mehr heißes Wasser strömt in den Heizkörper. Ganz anders verhält es sich auf einer leeren Tanzfläche in einer vollen Diskothek. Das Ereignis ist positiv rückgekoppelt. Niemand tanzt, weil die Tanzfläche leer ist. Und da niemand sie betritt, bleibt sie leer. Der Output des Systems »leere Tanzfläche« verstärkt sich selbst. Fazit: Jedes komplexe System wird von Rückkoppelungen gleichermaßen gepeinigt oder gefördert.
Diese Erkenntnis sollte man im Sinn behalten, wenn man der Zukunft des Landes zu Leibe rückt. Unsere Reise beginnt also mit der Erkenntnis, weder die komplexe Zukunft zu kennen noch sie voraussagen zu können. Wir beschränken uns darauf, unseren Rucksack so zu packen, dass wir nach heutigem Stand das Abenteuer in Angriff nehmen können. Dabei gehen wir möglichst systematisch vor und betrachten zehn große Entwicklungspfade aus den Jahren 2000 bis 2009: Neue Wirtschaft, Arbeit und Wissensgesellschaft, Globalisierung, Konsum und Vielfalt, Wirtschaftskrise und soziale Ungleichheit, Demografie und nationale Identität. Die dortigen Befunde sollen uns Aufschluss darüber geben, was wir in den Rucksack packen werden. Welche Werte und Leitbilder? Welche Vorstellungen über Wirtschaft, Arbeit und Bildung? Und welche Art Wohlstand und Lebensqualität?
Neue Wirtschaft – Aufstand mit abruptem Ende
Kleine Anekdote vorneweg: Im August 2000 habe ich mit meiner Kollegin Dagmar Deckstein (Süddeutsche Zeitung) ein Buch mit dem Titel »Arbeit neu denken. Wie wir die Chancen der New Economy nutzen können« veröffentlicht. Ich erwähne das nicht aus Eitelkeit, sondern weil sich daran die damalige Zeitenwende besonders anschaulich schildern lässt: das plötzliche Ende der New Economy und mit ihr der Aufstieg einer globalisierten und gleichzeitig stark individualisierten Wirtschaft und Gesellschaft. Der Verkauf des Buches stürzte zwei Monate nach Erscheinen im November dramatisch ab, keiner wollte es mehr lesen. New Economy, das klang wie Masern oder Mumps. Der Grund: Die New-Economy-Blase war geplatzt. Abgestürzte Aktienkurse hinterließen Frustration und Wut. Von Chancen war plötzlich keine Rede mehr. Niemand wollte sich mehr anstecken lassen.
Dieser Crash der New Economy spaltete die Nation. Auf der einen Seite wollten es die jungen Wilden in den Internetbuden nicht wahrhaben, dass der kurze Sommer der Anarchie schon ausgeträumt war. Auf der anderen Seite beruhigten die arrivierten Manager und Publizisten das Volk, der Spuk sei jetzt endgültig vorüber.
Es war eine seltsame Stimmung. Wie nach einem verlorenen Fußballspiel, bei dem die Fans des unterlegenen Außenseiters noch stundenlang auf der Tribüne hocken und sinnieren, wie es nur zu dieser schmählichen Niederlage gekommen ist. Während draußen die Fans des Favoriten den Sieg feiern und einander versichern, dass die Welt jetzt wieder zurechtgerückt sei. Wer heute auf das Ende der Neuen Ökonomie (ist auf Deutsch ebenso aussagekräftig wie der englische Begriff) in den Jahren 2000 bis 2005 zurückblickt, kann vier unterschiedliche Standpunkte oder Typen festhalten, die das Zeitgespräch damals dominierten. Sie werden auch in Zukunft in ihren jeweiligen Netzwerken mit tonangebend bleiben.
Der erste war der Smith & Wesson-Typ, der amerikanische Kulturkritiker Thomas Frank einer ihrer wütenden Vertreter. Er räumte auf mit den seiner Meinung nach falschen Versprechen der New Economy. Sie seien nun wirklich nicht neu, behauptete er, würden jedoch gefeiert, als ob sie der Menschheit letzter Rettungsanker seien. Dabei entlarvten sie sich als verkappte Alleinherrschaft des Marktes, der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehen ließ. Auf der Strecke blieben Gewerkschaften, Parteien und Staat, kurz: die Errungenschaften der Demokratiegeschichte!
Für den Smith & Wesson-Typ war die New Economy nichts weiter als ein abgekartetes Spiel der neoliberalen Kräfte. Wie auch der Philosoph Slavoj Zizek damals die Vorstellung eines Subjekts mit tausend und mehr natürlichen Neigungen und Möglichkeiten als Zentrum der neoliberalen Ideologie anprangerte. Arbeit und Leben ständen nur noch im Zeichen der Vermarktung jedes Einzelnen. Als Arbeitnehmer müsse man sein eigener Unternehmer sein. Einer, der durch lebenslanges Lernen seine Leistungsfähigkeit immer wieder herstelle und sie dann auf dem Markt zu verkaufen suche. Solche Produktion und Vermarktung der eigenen Arbeitskraft als Ware bedeuteten aber nicht lustvolle Freiheit. Sie hätten vielmehr zur Folge, dass die alte Kluft zwischen Kapital und Arbeit nun den Einzelnen selbst spaltete.
Im Gegensatz dazu zielten die New-Economy-Befürworter, wie etwa die Autoren des Hamburger Wirtschaftsmagazins brand eins, genau in die Gegenrichtung. Denn wer nach Kreativität, Flexibilität, sozialer und kommunikativer Kompetenz rufe, nach Selbstverwirklichung strebe sowie eine aktive Einmischung und Mitgestaltung jedes Einzelnen fordere, müsse die Konkurrenz- und Ellenbogengesellschaft ebenso auf die Müllhalde der Geschichte werfen wie die krude Kapitalismuskritik. Neue Ökonomie fordere in ihrem Sinne mehr Beteiligung, mehr gegenseitige Hilfe, mehr Zusammenarbeit.
Den zweiten Autorentyp wollen wir »Mr. Science« nennen. Er trat damals beispielsweise in der Person des Bremer Wirtschaftsprofessors Rudolf Hickel auf. Dessen Einschätzung war eher unentschieden: Der Zauber der Neuen Ökonomie war zwar dahin und die Zukunft ungewiss. Doch Hickel versuchte, vorsichtig zu bleiben. So einfach ließ sich das Gespenst nicht abschütteln. »Die jetzige Verteufelung führt ebenso sehr in die Irre wie die vorherigen Versuche, sie in den Himmel zu heben.« Und so dozierten er und viele seiner Kollegen, was die Start-ups noch alles lernen müssten und wie man sie wieder auf den Hosenboden setzen könnte.
Mit der Publizistin Barbara Ehrenreich treffen wir einen dritten Autorentyp aus dieser Zeit. Sie kümmerte sich beherzt um die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Man könnte sie stellvertretend auch eine Undercoveragentin nennen. In guter Günter-Wallraff-Manier lebte Ehrenreich hautnah auf der Schattenseite des New-Economy-Booms in den USA. Als Serviererin in Florida, als Putzfrau in Maine und schließlich als Verkäuferin in Minnesota. Ihr auf diesen Erfahrungen entstandenes Buch war eindrucksvoll und beschäftigte auch in Europa alle Gazetten, weil es zeigte, wie schwierig Rahmenbedingungen für einen humanen Kapitalismus zu schaffen sind.
Knallhart die Realität des 2,43-Dollar-Stundenlohns plus Trinkgeld in Key West. Beschämend die Ausgrenzung der Niedriglohn-Arbeiter, die ihr mickriges Salär in hohen Lebenshaltungskosten versanden sehen. »In Key West verdiente ich 1039 Dollar pro Monat, … blieben mir 22 Dollar übrig.« Kein Wunder, dass weltweit immer stärker gegen die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus argumentiert wurde, wie das etwa der damals auch bei uns überaus populäre englische Soziologe Anthony Giddens tat: »Wir müssen die Umstände bekämpfen, unter denen Armut sozialen Ausschluss bewirkt oder sozialer Ausschluss Dauerarmut hervorruft.« Und die Gefahr war längst Wirklichkeit. Zehn Prozent der Deutschen lebten Anfang des Jahrzehnts bereits in dauerhafter Armut, 20 Prozent rutschten immer wieder einmal unter die Armutsgrenze.
Kommen wir zum vierten und letzten Autorentyp rund um die New Economy, wofür stellvertretend der französische Romancier und Essayist Pascal Bruckner stehen soll. Er ist »Monsieur Malheureux«. Verdammt zum Glück seien wir alle miteinander, der Zwang des heutigen Glücksstrebens jedoch ein Hirngespinst: »Von einer gleichzeitigen Entfaltung aller menschlichen Ideale zu träumen ist eine liebenswerte Chimäre: Die Zerrissenheit ist unser Schicksal, wir sind zum Missklang verurteilt, zum Wettstreit von Grundwerten, die sich als unvereinbar erweisen.« Unser Lebenshunger verlange vielmehr nach Widrigkeiten, an denen wir wachsen können. Zu viel Leichtigkeit verderbe den Spaß, die Würze des Widerstands fehle. »Wir brauchen Hindernisse, die wir überwinden können und die uns die doppelte Erfahrung der wiederholten Niederlage und des ausweglosen Unglücks ersparen.«
Bruckner hat damals unbeabsichtigt das eigentliche Krisenbewältigungsbuch der Neuen Ökonomie geschrieben. Sein Credo: Nehmt hin die Krise und bereichert euch daran! »Das nämlich ist das Projekt der Moderne, Willenskraft und Selbstbestimmung miteinander zu verbinden, wodurch das Unmenschliche menschlich wird, weil ich es will und weil ich allein das Ausmaß der Schmerzen festlege, die zu ertragen ich bereit bin.« Um damit glaubwürdig zu bleiben.