Devil's Hellions MC Teil 3: Taboo Perfect Storm - Hayley Faiman - E-Book

Devil's Hellions MC Teil 3: Taboo Perfect Storm E-Book

Hayley Faiman

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Beschreibung

ITCH: Ich weiß, dass ich nicht der Richtige für Piper bin, aber ich kann nicht zulassen, dass ein anderer meiner Clubbrüder sie bekommt - unter keinen Umständen. Sie gehörte mir schon von dem Moment an, als ich wieder bei Bewusstsein war und einen Blick auf sie erhaschen konnte. Eine feste Beziehung ist mir noch nie zuvor in den Sinn gekommen. Und doch kann ich das Angebot, sie zu heiraten, nicht ablehnen. Sie ist ein Sturm, der mich überraschend überwältigt. Ein Leben in Freiheit durfte Piper nie führen und ist aufgrund eines Verrats ihrer teuflischen Brüder durch Tiefen der Hölle gegangen, auf die ich nicht vorbereitet bin. Ein Zusammenprall zweier Welten. PIPER: Mein Sturm ist mein Befreier ... Ich komme aus der Dunkelheit, und er ist mein Licht. Ich habe Itch während unserer Gefangenschaft gerettet, weil ich hoffte, dass er mich beschützen würde. Doch am Ende müssen wir uns gegenseitig beschützen.

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Hayley Faiman

Devil’s Hellions MC Teil 3: Taboo Perfect Storm

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von J.M. Meyer

© 2023 by Hayley Faiman unter dem Originaltitel „Taboo Perfect Storm: An Age-Gap Forced-Marriage Romance (Devil's Hellions MC Book 3)“

© 2024 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-676-8

ISBN eBook: 978-3-86495-677-5

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

Autorin

Kapitel 1

Piper

Als ich mich in dem Zimmer umschaue und jeden Aspekt dieses Raumes auf mich wirken lasse, weiß ich nicht so recht, was ich denken oder fühlen soll. Obwohl ich schon eine ganze Weile hier bin, ist mir dieses Zimmer, jedes Mal, wenn ich es betrete, fremd. Nicht nur, weil es so anders als alles ist, was ich bisher kannte, sondern weil ich einfach keinen Weg finde, mich hier wohlzufühlen. 

Hier gleicht nichts dem Haus, in dem ich groß geworden bin. Es ist alles andere als opulent oder steril. Es ist … ein absolutes Chaos. Die Männer vor Ort scheinen nicht wie die Jungs meines Bruders Raul oder Cyrus zu sein, und doch … sie ähneln sich in vielerlei Hinsicht.

Sie leben alle nach ihren eigenen Gesetzen. Ihre Aktivitäten sind illegal, sie bewegen sich auf der Schattenseite dieser Welt und meiden das Licht. Und trotzdem habe ich nicht das Gefühl, in Gefahr zu schweben. Nicht so, wie das in der Vergangenheit der Fall war. 

Ich habe gar keine Ahnung, was die Zukunft wohl für mich bereithält, aber ich bin mir sicher, dass sie in irgendeiner Weise mit diesen Männern verknüpft ist. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Es sollte mir Angst einjagen, aber dem ist nicht so.

Zumindest noch nicht.

Mir ist noch nicht mitgeteilt worden, was aus mir wird, aber es kursieren Gerüchte. Ich habe genau hingehört. Mein ganzes Leben lang musste ich mich verstecken und die Ohren spitzen. Ich habe immer im Schatten gelauert, mit offenen Ohren, damit ich mitbekomme, auf was ich mich einzustellen habe.

Ein Vertrag.

Ein Versprechen.

Eine Hochzeit.

Diese drei Worte habe ich vernommen und mich beschleicht das Gefühl, dass sie etwas zu bedeuten haben, dass sie sich um meine Person drehen. Ich weiß, dass Raul absolut kein Problem damit hätte, mich wegzugeben, wenn ihm das einen Vorteil verschaffen würde. Er ist nur darauf aus, seine eigenen Ziele zu verfolgen.

Dutch, mein anderer Bruder, hatte keinerlei Skrupel, mich an meinem achtzehnten Geburtstag gegen etwas einzutauschen, das sich in Cyrus Besitz befand. Ich wusste nicht, was mich erwartete, nachdem sie den Handel besiegelt hatten, aber ehrlich gesagt, ich wollte es auch gar nicht wissen. Und ich bin sehr froh darüber, dass ich es nie erfahren habe.

Meine Brüder sind für alles offen, was  ihre Geschäfte vorantreibt. Ich bin dabei egal. Alles dreht sich allein um sie. Und so wird es auch immer sein. Ich bin mir nicht ganz schlüssig, wer von den beiden der Schlimmste ist.

Raul, der mich diesen Männern überlässt, die ich nicht kenne, oder Dutch, der einem Kerl wie Cyrus erlaubt hat, mit mir zu tun, was er getan hat …

Meine Brüder, die mich eigentlich hätten beschützen sollen, sind mit mir wie mit einem Vieh umgesprungen. Eigentlich hätte mich das nicht überraschen sollen, denn mein Vater hat sie schließlich so erzogen.

Meine Mutter war nichts weiter als ein Objekt für ihn. Wie alle Frauen. Und genau das hat er meinen Brüdern eingeimpft.

Ich sollte den beiden keine Vorwürfe machen oder sauer auf sie sein, denn sie sind nun mal so aufgezogen worden. Es ist nicht wirklich ihre Schuld. Allerdings finde ich nicht, dass das ihr Verhalten rechtfertigt. Es ist ihnen einerlei, ob sie richtig oder falsch handeln. Es juckt sie nicht. Sie sind überhaupt nicht daran interessiert, sich zu ändern.

Sie sind glücklich so, wie es ist. Und zu was für einem Menschen würde mich das machen, wenn ich solche Männer in Schutz nehme?

Zu ihrer Schwester.

Genau dazu.

Es würde mich nicht überraschen, wenn Raul mit diesen Bikern dasselbe abziehen würde wie Dutch mit Cyrus. Nur eben auf eine andere Weise. Auf seine eigene, manipulative Art. Denn während Dutch ein Vollpfosten und Arschloch ist, ist Raul äußerst gerissen.

Ich glaube zu wissen, was hier vor sich geht.

Allerdings steht es mir nicht frei, Fragen zu stellen. Das habe ich schon vor langer Zeit lernen müssen. Und selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, dann hätte Cyrus es mir schon in der kurzen Zeit, in der ich bei ihm war, eingebläut.

Wieder und wieder und wieder.

Es ist mir nicht gestattet, Fragen an die Männer in meinem Leben zu richten. Sie haben die Kontrolle, und ich muss tun, was man mir befiehlt. Nicht mehr. Nicht weniger.

Raul befindet sich in einem Raum, der mich an einen Konferenzsaal erinnert, und hält ein Meeting mit weiteren Männern ab. Die Tür ist verschlossen. Sie muss verkleidet, gepolstert oder so sein, denn ich kann nicht hören, worüber sie sprechen. Ganz gleich, wie sehr ich mich auch anstrenge.

Keine Ahnung, wie lange ich nun schon vor der Wand im Flur stehe und versuche, mit der Dunkelheit eins zu werden, alles um mich herum wahrzunehmen und zu lauschen. Plötzlich geht die Tür auf und Raul kommt aus dem Raum gestapft.

Er kommt auf mich zu, seine Augen sind geweitet und er wirkt fast ein wenig panisch, während er mich anstarrt. Dann, ohne ein Wort zu verlieren, tritt er schnell zu mir. Mein Herz schlägt wie verrückt in meiner Brust und ich kann den Blick nicht von ihm abwenden.

Mit angehaltenem Atem schaue ich ihn an und stelle mich gedanklich darauf ein, dass er mich anbrüllen oder gar schlagen wird. Eins von beidem wird er tun, dem bin ich mir absolut sicher. So, wie er mich anstiert, glaube ich, dass er vor Wut kocht. Ich weiß nur nicht, auf wen er so sauer ist. Normalerweise auf mich, also wappne ich mich schon mal für das, was kommen wird.

Überraschenderweise schlägt er weder zu noch schreit er mich an.

Stattdessen räuspert er sich, dreht den Kopf kurz zur Seite und blickt mir anschließend in die Augen. Seine Wut scheint verraucht zu sein, was aber nicht dazu führt, dass ich mich wohler fühle. Sein Blick ist für einen langen Moment auf mich gerichtet.

Dann, endlich, beginnt er zu sprechen. „Du wirst einen Mann aus diesem Club heiraten. Du wirst ihm für immer gehören. Hast du das verstanden?“

Es erschließt sich mir nicht, wieso er mich für so eine Idiotin hält. Er sollte mittlerweile wissen, dass ich klüger bin als die meisten anderen Mädchen in meinem Alter. Ich bin zwar erst achtzehn Jahre alt, aber schließlich hat er mich großgezogen. Er müsste es wissen. Schon bevor er ins Gefängnis musste, war ich weitaus schlauer, als er mir das zugetraut hat.

„Ich verstehe eine ganze Menge“, gebe ich zurück und ziehe die Augenbrauen in die Höhe. Ich starre ihn an und frage mich, ob er auch nur ein verdammtes Wort darüber verlieren wird, was Dutch mir angetan hat. Ob er darüber sprechen wird, was er nie für mich gewollt hat.

Im Moment bin ich mutig, obwohl ich bezweifle, dass es ratsam ist, mich so zu fühlen. Tja, vielleicht bin ich eben eine Idiotin.

Er gibt einen Grunzlaut von sich und reagiert nicht sofort auf meine Worte. Stattdessen hebt er die Hand und fährt sich mit seinen Fingern durch die Haare. Er scheint nicht sehr glücklich wegen der Hochzeit zu sein, aber ich kenne Raul - zu Mitgefühl ist er nicht fähig.

Geschäft ist Geschäft. Blut hat keinerlei Bedeutung für ihn. Und gerade weibliches Blut ist nichts weiter als ein Mittel zum Zweck. Wenn er sich also über irgendetwas aufregen sollte, dann über die Tatsache, dass ihm der Deal nicht die erhoffte Summe eingebracht hat.

„Verkack es nicht, Piper. Wir bewegen uns, was sie betrifft, auf ganz dünnem Eis. Dutch ist sowas von am Arsch, wenn er seinen Scheiß nicht auf die Reihe bekommt. Lass nicht zu, dass dein Bruder sich als nächstes in der Schusslinie befindet.“

Ohne dem noch etwas hinzuzufügen, wendet er sich von mir ab und marschiert davon. Ich blicke ihm hinterher und schätze, dass ich meinen Bruder wohl soeben zum letzten Mal gesehen habe. Mir liegen eine Million Dinge auf der Zunge, die ich ihm unbedingt noch sagen möchte, doch ich behalte sie für mich. Ihm wäre es ohnehin egal, was ich zu sagen habe oder was ich denke. Das hat ihn noch nie interessiert.

Die letzten Wochen der Einsamkeit habe ich damit zugebracht, mir selbst zu vergeben.

Außerdem habe ich beschlossen, meine Wut auf Dutch, Cyrus und Raul loszulassen. Alle drei hatten Anteil daran, was mir widerfahren ist. Doch nun werde ich mein Schicksal selbst in die Hand und aktiv teil an meiner Zukunft nehmen. Oder besser gesagt, ich werde es zumindest versuchen.

Ich mag vielleicht Schlimmes durchlebt haben, jedoch bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass ich mich auf ewig an den Erinnerungen festklammern muss. Ich muss mein Leben als Ganzes betrachten und entscheiden, was ich möchte. Ob dies ein Leben ist, mit dem ich glücklich oder wenigstens zufrieden sein kann? Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt eine Wahl habe. Es sei denn, ich laufe weg.

Nachdem Raul gegangen ist, beobachte ich die übrigen Männer, die nach und nach den Sitzungssaal verlassen. Fast alle scheinen in festen Händen und ganz vernarrt in ihre Frauen zu sein. Auch sie habe ich in Augenschein genommen. Die Frauen vor Ort sind allesamt umwerfend. Allerdings habe ich noch keine von ihnen kennengelernt.

Ich glaube nicht, dass sie Interesse daran haben, mich zu treffen. Ich bin eine geschundene Kreatur, die hierher geschleift und in der Ecke abgestellt wurde. Eine Sklavenhure, die auf Händen und Knien herumgekrochen ist und nichts weiter als Stofffetzen am Leib trug.

Ich würde mich selbst nicht in der Nähe meines Ehemanns haben oder mich kennenlernen wollen – niemals. Ich verstehe das und kann es ihnen nicht verdenken. Meine Anwesenheit sollte einfach ignoriert werden.

Vielleicht werde ich irgendwann, eines Tages, ein paar Freunde finden. Eventuell hier im Club, aber höchstwahrscheinlich wohl nicht. Ich muss mich in Geduld üben und herausfinden, was passiert ist, da der Deal nun offiziell vollzogen ist. Ich werde einfach schauen müssen, was nun mit mir geschieht.

Mir ist bewusst, dass ich hier nicht mietfrei wohnen und mich nicht für immer im Schatten versteckt halten kann. Allerdings war mir nie klar, was sie als Gegenleistung dafür haben wollen. Deshalb bin ich sehr überrascht, dass ich heiraten soll und dass man nicht von mir verlangt, meinen Körper jedem, der danach verlangt, zur Verfügung zu stellen.

Wie dem auch sei, nichts ist jemals umsonst.

Für diese spezifische Zielgruppe an Männern bin ich als Frau scheinbar von Wert, daher werde ich als Mittel in ihrem Tauschhandel benutzt. Doch nun werde ich mich in meinem Zimmer verkriechen, um für mich zu sein.

Ich werde garantiert nicht der Klebstoff sein, der die Organisation meines Bruders zusammenhält. Wenn Dutch wirklich die Kacke am Dampfen hat, scheint ihr Business gerade auseinanderzufallen. Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, wie lange ich überhaupt noch leben werde. Frauen wie ich, werden in der Regel so lange benutzt, bis nichts mehr von ihnen übrig ist. Anschließend werden sie entsorgt.

Wirkliche Sorgen mache ich mir jedoch keine um Dutch. Er hat sich sein eigenes Grab geschaufelt und nun ist für ihn die Zeit gekommen, sein Schicksal anzunehmen.

Das geschieht ihm recht. 

Meine Gedanken kommen zum Erliegen, als ein Hauch von Kölnisch Wasser gemischt mit dem Geruch von Leder und Öl in meine Nase dringt. Kurz darauf fällt ein Schatten auf mich. Als ich den Kopf zur Seite drehe, sehe ich jenen Mann neben mir stehen, den ich für tot hielt. Jenen Kerl, den Cyrus’ Männer zu Tode geprügelt haben – vermeintlich zu Tode.

Er sieht ziemlich lebendig und fidel aus. Er scheint wieder ganz er selbst zu sein. Völlig verheilt. Die Art und Weise, wie er mich mustert, wie er mich schweigend beobachtet, ist irgendwie nervtötend.

Ich weiß nicht, wie er heißt.

Ich kenne keinen ihrer Namen. Ein weiterer Schutzmechanismus den ich mir angeeignet habe: Werde niemals persönlich. Allerdings beschließe ich, dass ich nicht weiter daran festhalten sollte, denn immerhin werde ich einen dieser Männer heiraten.

„Ich bin Piper“, hauche ich im Flüsterton.

Er senkt den Kopf und reagiert nicht auf meine Worte. Plötzlich dreht er sich um und geht, um an der Bar Platz zu nehmen. Ich stehe noch immer vor der Wand und betrachte ihn einen Augenblick lang, ehe ich mich dazu entscheide, in mein Zimmer zurückzukehren. 

Ihr Meeting ist vorüber, mein Schicksal ist besiegelt: Ich werde nicht mit Raul zurückgehen. Ein Teil von mir ist erleichtert, doch der andere fürchtet sich vor dem, was nun kommen wird. Jetzt gehöre ich den Devil’s Hellions. Mir bleibt nur zu hoffen, dass sie mich nicht gänzlich zerstören werden. Ich versuche, zu heilen und ein richtiges Leben zu führen.

Es muss nicht das schönste Leben sein, nur ein gutes. Das ist alles, was ich mir wünsche. Ein kleines Stückchen des Glücks. Momente des Friedens und der Freude. Jede noch so kleine Prise davon ist herzlich willkommen.

Itch

Piper ist verflucht hübsch. Allerdings ist sie viel zu jung für mich. Verfluchte achtzehn Jahre. Ich bin alt genug, um ihr gottverdammter Vater zu sein. Scheiße, ich hätte nie verlangen sollen, dass sie mich heiratet. Eins der neueren Mitglieder wäre passender. Ein jüngerer Bruder in ihrem verdammten Alter.

Als VP habe ich einen Haufen Scheiße an den Hacken, obwohl ich keine Lust darauf habe. Eigentlich will ich bloß an Autos herumschrauben, Motorradfahren, ficken und saufen. Ich bin ein simpel gestrickter Mann mit einem einfachen Geschmack.

Der Gedanke, dass jemand anderes sie berührt, sie besitzt, sie für sich beansprucht, erfüllt mich verflucht noch mal mit Wut. Vielleicht bin ich ja genauso abgefuckt wie Cyrus, weil ich sie für mich will.

Ich kann nicht zulassen, dass jemand anderes sie ansieht, geschweige denn berührt.

Sie hat etwas ganz Besonderes an sich. Und ich kann die Erinnerungen an sie einfach nicht abschütteln.

Ich kann sie nicht gehen lassen.

In einer Situation, in der sie es hätte überhaupt nicht sein müssen, war sie verdammt fürsorglich mir gegenüber. Aber das ist nicht der ausschlaggebende Grund, wieso ich sie will. Sie wirkt verloren. Ich kann es in ihren Augen sehen. Ich verstehe das, denn mir ging es mein halbes Leben lang genauso.

Wenn ich sie anschaue, begegne ich demselben Ausdruck, der mich all die Zeit im Spiegel verfolgt hat. Nur, dass sie eine viel hübschere und jüngere Version meines Spiegelbildes ist.

Ich hebe die Hand, um mir ein Bier zu bestellen. Der Prospect kommt sofort zu mir geeilt und ich frage mich, wie zum Teufel das mit mir und diesem Mädchen funktionieren soll. Sie ist noch ein Kind. Obwohl sie in jeder Hinsicht wie eine Frau aussieht, ist sie erst verdammte achtzehn Jahre alt. Ich bin ein verfluchter Perverser. Ich verdiene sie nicht, das ist mir sowas von klar. Aber trotzdem gehört sie mir.

Zumindest wird sie bald meinen Namen tragen.

Was danach passiert, dessen bin ich mir noch nicht schlüssig. Aber ich will, dass alles gut wird. Ich will sie für mich, sie behalten, sie für mich beanspruchen. Auf jede erdenkliche Art.

„Bist du dir sicher, dass du dir eine Schlampe ans Bein binden willst, die keinen blassen Schimmer von unserem Leben hat? Und, ist sie vertrauenswürdig? Immerhin sind Dutch und Raul ihre Brüder“, meint Volt. „Was passiert, wenn wir die zwei töten müssen, weil sie uns mal wieder verarschen?“

„Keine Ahnung, was beide Punkte angeht“, brumme ich. „Wenn ich mir doch nur sicher wäre, was ich tun soll und ob man ihr trauen kann. Eins ist jedoch gewiss, sie ist viel zu jung für mich.“

Volt schnaubt. „Darüber würde ich mir an deiner Stelle nicht den Kopf zerbrechen. Ihr Alter bedeutet, dass du bekommst, was du willst. Du kannst dir deine Frau nach deinen Wünschen formen.“

Ich sage ihm nicht, wie öde das klingt. Ich habe keine Lust auf eine atmende Puppe, die tut und lässt, was ich will. Dann kann ich mich auch mit den Clubmädchen begnügen. Ich könnte jede von ihnen an jedem Tag haben. So aufregend ist das nicht.

Ich stehe auf, womit die Unterhaltung für mich beendet ist. Es spielt alles ohnehin keine Rolle. Nichts davon ist wichtig. Sie gehört mir und was auch immer passieren mag, es kommt genau so, wie es soll.

Nennt es meinetwegen Schicksal oder so einen Scheiß.

„Itch“, höre ich eine temperamentvolle Stimme meinen Namen rufen.

Ich drehe mich um und sehe Thunder in ein paar Metern Entfernung stehen. Sie ist wie üblich bloß mit einem Tanga bekleidet, der ihren Arsch für Jedermann im Raum zur Schau stellt. Nicht zu übersehen sind ihre großen Titten. Sie ist eine dieser atmenden Puppen. Allerdings mag ich Thunder. Sie ist nett. Sie ist mehr als ein Clubmädchen, auch wenn sie nur zu einem gewissen Zweck hier ist.

„Ja?“

Sie lächelt mir zu, hebt die Hand und bedeutet mir, näher zu kommen. Ich tue es. Als ich vor ihr stehe, legt sie ihre Hände auf meine Brust. Ohne weitere Worte miteinander zu wechseln, sinkt sie mitten in der Bar des Clubhauses vor mir auf die Knie und macht sich an meinem Gürtel zu schaffen.

Ich stoppe sie nicht.

Ich führe das Bier an meine Lippen und nehme einen großen Schluck aus der Flasche. Anschließend senke ich den Kopf und sehe ihr dabei zu, wie sie mir einen bläst.

Kapitel 2

Itch

„Ich will immer noch, dass man sich um sie kümmert“, knurre ich. „Es muss eine dauerhafte Lösung her.“

Roadkill erwidert mein Knurren. „Du und ich. Wir zwei“, brummt er.

„Wenn wir etwas in diese Richtung unternehmen, widersetzen wir uns Legacys Anweisungen“, erinnere ich ihn. Es wäre verdammt unehrenhaft, sich über die Befehle unseres Präsidenten hinwegzusetzen und würde eine Menge Ärger heraufbeschwören, falls man uns dabei erwischen sollte.

„Jepp“, stimmt er mir zu. „Ist es dir das wert?“

Ich möchte ihm sagen, dass dem so ist. Wenn ich an Piper denke und daran, wie man sie behandelt hat, wie ich zusammengeschlagen wurde und man mich zum Sterben zurückgelassen hat, dann habe ich kein Problem damit, Legacy zu hintergehen und diese beiden Wichser ins Jenseits zu befördern. Ich will so viele von diesen Bastarden kalt machen, die an der Sache beteiligt waren, wie möglich. Wenn ich ihrer Organisation den Gar ausmachen könnte, würde ich es tun.

Raul ist das Oberhaupt ihrer Gruppierung. Die Dead Phoenix sind zwar kein MC, aber sie agieren definitiv wie eine Organisation, die unserer ähnelt. Das heißt, sie sind kein legales Unternehmen. Ich glaube, dass sie wesentlich schlimmer sind als wir. Sie beschäftigen sich nämlich mit Dingen, die wir niemals tun würden. Zum Beispiel mit Frauenhandel. Als Raul noch im Knast war, was bis vor Kurzem der Fall gewesen ist, leitete sein Bruder die Geschäfte.

Und Dutch hat auf ganzer Linie versagt. Er hat jeden gefickt.

„Ja, mir ist es das wert“, bestätige ich.

Er nickt, führt sein Bier an seine Lippen und lehnt sich, nachdem er einen Schluck davon genommen hat, in seinem Stuhl zurück. Er sieht mich an, weshalb ich davon ausgehe, dass er mir sagen wird, dass er mit all dem nichts zu tun haben will, zumal Dutch Pipers Bruder ist. Aber das macht mir nur noch mehr Lust, ihn ausbluten zu sehen.

Ich will sie beide tot sehen. Ihn und Cyrus ebenso.

Ich verstehe, dass Raul seinen Bruder vor dem Tod bewahren will, aber das hat mit mir nichts zu tun. Wenn Dutch das, was er seiner Schwester angetan hat, mit irgendeinem Mann einer vermeintlichen, brüderlichen Gruppierung abgezogen hätte, hätte man ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, ausgeschaltet.

Allerdings agieren wir nicht auf die gleiche Weise.

Und das ist, was diese Sache anbelangt, enttäuschend, denn es bedeutet, dass ich die Dead Phoenix nicht mehr respektieren kann, egal wie viel Einfluss sie ihrer Meinung nach auch haben. Ich werde sie zu Fall bringen. Jeden Einzelnen.

„Itch“, ruft jemand meinen Namen.

Ich drehe den Kopf über die Schulter und sehe Legacy im Flur zu seinem Büro stehen. Ich räuspere mich und stehe auf. Fuck, keine Ahnung, ob er pissig ist. Ich stelle meine leere Flasche auf dem Tresen ab und lege meine Hand auf Roadkills Schulter, um ihn leicht zu schütteln.

Ohne noch ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln, laufe ich an ihm vorbei und gehe durch den Raum auf Legacy zu. Dieser hat die Arme vor der Brust verschränkt und sieht mir mit gerümpfter Nase entgegen. Vermutlich ist er sauer. Als ich mich ihm nähere, tritt er einen Schritt zurück, gibt den Weg frei und lässt mich an ihm vorbeigehen.

Keine Ahnung, was hier los ist. Ich bin noch nie in das Büro des Präsidenten zitiert worden. Ich fühle mich wieder wie damals, als ich Stress in der Schule hatte und beim Direktor antanzen musste. Ich meine, es war nichts Besonderes für mich, Ärger in der Schule zu haben – ich hatte sozusagen einen Stammplatz im Büro des Rektors.

Ich sollte nicht überrascht sein. Was mich jedoch verwundert, ist die Tatsache, dass ich seit dreiundzwanzig Jahren Mitglied in diesem Club bin – also seit meinem achtzehnten Lebensjahr – und noch nie allein in das Büro des Präsidenten beordert wurde.

Zumindest nicht auf diese Weise. Nicht mit einem so missbilligenden Blick und Tonfall.

Ich begebe mich also in das ansonsten verwaiste Büro und bleibe mitten im Zimmer stehen. Ich drehe den Kopf zur Seite, um zu beobachten, wie Legacy hereinkommt und die Tür hinter sich schließt. Schweigend warte ich ab, was er von mir will.

Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe und grinse vor mich hin, während er das Büro durchquert. Er stellt sich hinter seinen Schreibtisch, allerdings setzt er sich nicht. Stattdessen beugt er sich vor und stützt seine Hände auf die hölzerne Schreibtischplatte.

„Was zum Teufel geht hier vor sich?“, will ich wissen.

„Raul hat mir vorhin den Vertrag zugeschickt“, erwidert er, ohne mich dabei anzusehen. „Die Bedingungen werden dir nicht gefallen.“

Ich presse die Lippen aufeinander, lasse die Arme sinken und balle meine Hände zu Fäusten. Ich bin mir sicher, dass sie mir nicht gefallen werden. Nicht im Geringsten. Während ich gebannt darauf warte, dass er noch weitere Details preisgibt, beginnt mein Herz wie verrückt in meiner Brust zu pochen und Schweißperlen bilden sich in meinem Nacken.

„Raul will sicherstellen, dass Dutch nichts zustößt“, klärt er mich auf und hebt nun doch den Kopf, um mir in die Augen blicken zu können.

„Ach ja? Und was bedeutet das für Piper?“

„Für Piper?“, hakt er nach und klingt aufgrund meiner Frage ein wenig verwirrt. „Nichts. Sie gehört dir, sofern du den Vertrag unterschreibst.“

Ich schüttle den Kopf und beuge mich leicht zu ihm vor. „Sie gehörte ohnehin schon mir und nun das? Wieso?“

Legacy richtet sich auf und streckt den Rücken durch. „Raul will sichergehen, dass seinem Bruder nichts passiert. Er will, dass Cyrus niemanden verpfeift und auch seinen Arsch in Sicherheit wissen. Letzten Endes schert er sich nur um sich selbst und seine eigenen Leute.“

„Ich dachte, er wäre ja so ein toller Kerl“, murmle ich.

Legacy lacht. „Er war und ist ein guter Kerl, aber vergiss nicht, ich habe ihn im Knast kennengelernt.“

Stimmt.

„Und wenn ich nicht unterzeichne?“, frage ich.

Legacy schaut kurz auf seinen Schreibtisch, dann sieht er wieder zu mir auf. „Wenn du dich weigerst und niemand anderes im Club sie will, geht sie zurück zu Raul und Dutch, die mit ihr anstellen werden, was immer sie wollen.“

Das bedeutet im Klartext, dass sie sie an den Höchstbietenden verkaufen werden. Das kann ich nicht zulassen. Plötzlich ist mir unser Altersunterschied vollkommen egal. Sie hat etwas an sich, das ich nicht ignorieren kann. Etwas, das sich zu entdecken lohnt.

Etwas, das regelrecht nach mir schreit.

„Gibt es für die Unterschrift eine Deadline?“

„Für die Unterschrift?“, wiederholt er. „Oder meinst du, für wie lange du Dutch kein Haar krümmen darfst?“

„Wohl eher Letzteres“, gebe ich zu.

Seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen. „Nein, keine Deadline. Fest geschrieben steht nur die Fass weder Dutch noch Cyrus an Regel.“

Ich nehme mir einen Moment zum Nachdenken. Wenn ich das Dokument nicht unterschreibe, könnte mir einer meiner Brüder Piper wegschnappen. Ich weiß nicht, ob ich das will. Nicht, wenn sie eigentlich mir gehören sollte.

Obwohl, ich glaube nicht, dass einer meiner Brüder mir das antun würde.

Das heißt dann wohl im Umkehrschluss, dass sie zu Raul zurückgeht … zu Dutch. Das kann ich nicht zulassen, denn dann wäre ihr Schicksal wahrscheinlich wesentlich schlimmer als der Tod.

„Ich bin im Grunde genommen am Arsch“, schlussfolgere ich.

„Kann man so sagen.“

„Ich unterschreibe, aber unter Protest“, stelle ich klar.

Legacy schnauft, jedoch nicht, weil er das in irgendeiner Weise lustig findet. Ihm sind genauso die Hände gebunden.

Ich räuspere mich, schnappe mir einen Stift vom Schreibtisch und drehe das Dokument so zu mir hin, dass ich es lesen kann.

Ich überfliege den Vertrag, bis ich zu dem Teil komme, wo ich versprechen muss, dass ich weder Dutch noch Cyrus umbringen werde. Ich unterschreibe, obwohl mir in dem Moment, in dem der Kugelschreiber das Papier berührt, schlecht wird. Als ich am Ende des Schriftstücks quittiere, Piper zu meinem Eigentum zu erklären, dreht sich mir der Magen um.

Nun gehört sie offiziell mir und das sollte sich eigentlich falsch anfühlen, aber das tut es nicht. Scheiße, ich bin dreiundzwanzig Jahre älter als sie. Ich könnte ihr Vater sein. Die ganze Sache ist auf so viele erdenkliche Arten so was von verboten.

Auf gar keinen Fall hätte ich das hier auch nur in Erwägung ziehen, geschweige denn den Vertrag unterschreiben sollen. Während ich das Datum niederschreibe, das ihr Schicksal besiegelt, frage ich mich, ob ich ihr Leben nun noch mehr versaut habe, als es das ohnehin schon war.

„Die Tatsache, dass du so etwas sagst, zeigt mir, dass sie dir nicht egal ist und das bedeutet, dass sie kein schlechteres Leben bei und mit dir auszustehen hat“, murmelt Legacy.

Fuck, mir war nicht bewusst, dass ich den Gedanken laut ausgesprochen habe. Innerlich verfluche ich mich dafür, dass ich mich in dieser Angelegenheit verletzlich gezeigt habe. Das Letzte, das ich will, ist, vor jemandem schwach zu erscheinen. Ganz besonders nicht vor Legacy.

Nachdem die Formalitäten geklärt sind, richte ich mich wieder auf, lasse den Stift fallen und trete einen Schritt zurück. Ich presse die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen und starre meinen Präsidenten an. Gedanklich frage ich mich, was wohl als nächstes kommt. Mir ist klar, dass er noch nicht mit mir fertig ist.

„Willst du eine richtige Hochzeit?“, erkundigt er sich.

Keine Ahnung. Ich beschließe, Piper entscheiden zu lassen und teile ihm das auch genau so mit, ehe ich sein Büro und sogar den Club verlasse. Ich steige auf mein Bike und fahre zur Werkstatt, um meinen Frust an ein paar Autos abzuarbeiten. Doch bevor ich unseren Laden erreiche, ändere ich ganz spontan den Kurs und beschließe, den Hell’s Souls einen Besuch abzustatten.

Piper

Mit geschlossener Tür bleibe ich länger in meinem Zimmer, als ich vermutlich sollte. So wie jeden Tag. Erst wenn Hunger und Durst zu groß werden, komme ich heraus. So falle ich wenigstens nicht auf.

Raul ist schon lange fort und so wie ich ihn kenne, werde ich ihn wahrscheinlich auch nie wieder sehen. Gleiches gilt für Dutch. Cyrus ist irgendwo da draußen, und obwohl ich Angst davor habe, dass er mich aufspürt und zu sich zurückholt, glaube ich nicht, dass er das machen wird.

Zumindest nicht, solange ich bei diesen Männern bin. Cyrus ist oft groß mit Worten und er ist dazu in der Lage, dich zu brechen, wenn du seiner Kontrolle unterstehst, aber in Wahrheit ist er ein Schwächling. Es ist nicht seine Art, sich auf die Jagd zu begeben. Er ist viel besser im Abhauen. Und genau so hat er es auch gehandhabt: Er hat sich aus dem Staub gemacht.

Ich schleiche mich aus dem Schlafzimmer und mache mich, mit meinen Klamotten in der Hand, auf den Weg ins Bad. Es ist nicht das erste Mal, das ich mir wünsche, mein Zimmer hätte einen eigenen Zugang zu einem Badezimmer. Das würde es mir noch viel leichter machen, mich versteckt zu halten.

Ich stelle das Wasser an und warte, bis es warm ist, bevor ich mich in die Duschkabine stelle. So sehr ich gern lange unter dem angenehmen Wasserstrahl stehen bleiben möchte, beeile ich mich dennoch mit dem Duschen. Anschließend trockne ich mich ab und ziehe mich an.

Meine Garderobe ist einfach. Ich habe mir die Klamotten nicht selbst ausgesucht. Mir gehören ein paar Jeansshorts, die mir die Mädchen im Club gegeben haben. Vermutlich, weil sie diese aussortiert haben. Das Gleiche gilt für ein paar alte Tanktops und T-Shirts. Das meiste ist mir zu groß, besonders im Brustbereich. Mich stört das nicht, denn momentan verhülle ich meinen Körper lieber.

Ich habe sehr viel Zeit bei Cyrus in völliger Nacktheit verbracht, weshalb ich dankbar bin, dass ich hier nicht vollständig entblößt herumlaufen muss. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt möchte, dass irgendwer meinen Körper je wieder zu Gesicht bekommt.

Ich versuche, mich ungesehen in die Küche zu schleichen, indem ich mich ganz dicht an den Wänden entlang bewege und den Atem anhalte. Als ich die Bar erreicht habe, ruft plötzlich jemand meinen Namen. Wie erstarrt schaue ich über meine Schulter. Ein Gefühl der Niederlage überkommt mich, da ich erwischt worden bin.

Es ist der Anführer dieses Clubs. Legacy.

„Ich muss mit dir sprechen“, sagt er, ehe er sich umdreht und geht.

Ich mutmaße, dass er möchte, dass ich ihm folge. Also tue ich dies, wenn auch nur widerwillig. Er marschiert einen dunklen Flur entlang, ehe er eine Tür öffnet, von der ich weiß, dass sie zu seinem Büro führt. Ich habe sozusagen schon jeden Quadratzentimeter dieses Ortes erkundet. Ich weiß, wo die Männer schlafen und wo sie ihr Geschäft verrichten.

Auf Zehenspitzen trete ich durch die Tür und steure auf einen Stuhl zu, der vor einem dunklen, abgenutzten Schreibtisch steht. Legacy nimmt schweigend auf einem Ledersessel Platz. Als ich mich setze, höre ich, wie er einen schweren Seufzer ausstößt. Dann hebt er den Kopf und sieht mich an.

Mit seinem Daumen streicht er über seine Unterlippe. Kurz darauf legt er die Hände auf der Schreibtischplatte ab. Ich zittere am ganzen Leib, da ich nicht weiß, was nun passieren wird. Irgendwie kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass wir etwas Großes, vielleicht sogar Gewaltiges, besprechen werden.

„Ich glaube, dass du genau weißt, was nun geschieht, weil du ein verdammt kluges Köpfchen zu sein scheinst, das seine Umgebung genaustens in Augenschein nimmt“, richtet er das Wort an mich.

„Raul hat mir erzählt, dass ich einen deiner Männer heiraten werde. Dass ich nun ihm gehöre“, erwidere ich.

Ich kann das Zittern, das deutlich in meiner Stimme zu hören ist, nicht unterdrücken, da die Angst vollständig von mir Besitz ergriffen hat. Ich weiß nämlich noch nicht einmal, wem ich nun gehöre. Seit Tagen verschanze ich mich, in der Hoffnung, dass alle mich einfach in meinem Zimmer vergessen.

Allerdings glaube ich nicht daran, dass dieser Fall eintritt. Insbesondere, da ich jemandem versprochen wurde … wer auch immer dieser Jemand sein mag.

„Das ist richtig“, bestätigt er mir. „Du wirst einen meiner Männer ehelichen. Deshalb wollte ich mit dir sprechen.“

Ich halte den Atem an und warte geduldig ab, dass er weiterspricht. Vielleicht lässt er mich ja endlich wissen, wen ich heiraten werde. Ich glaube, dass dies ein lebensverändernder Moment für mich sein wird. Als er endlich fortfährt, bin ich nicht dazu fähig, meine Gesichtszüge zu kontrollieren. Ich weiß zweifelsfrei, dass ich ihn mit einem Ausdruck der puren Verwirrung anstarre.

„Möchtest du eine traditionelle Hochzeit oder reicht dir eine schlichte Zeremonie im Standesamt aus?“

Ich blinzle ein paar Mal, da ich seine Frage nicht sofort verstehe. Ich kann sie nicht greifen. Ich sitze stillschweigend auf meinem Stuhl, starre ihn an und blinzle. Mir fehlen die Worte und ich weiß nicht, was ich tun soll.

„Wie bitte?“, bringe ich schließlich heraus.

Legacy hält meinem Blick stand. „Itch will dir die Entscheidung überlassen.“

Itch.

„Itch?“, hake ich nach.

„Dein zukünftiger Ehemann“, sagt er.

So heißt also der Kerl, der mein Mann werden wird. Itch. Ich kenne zwar nicht seinen richtigen Namen, aber ich weiß, wer er ist. Er ist der Mann, der zusammengeschlagen wurde, der Mann, um den ich mich so gut es ging, gekümmert habe. Ich wollte eigentlich  viel mehr für ihn tun, aber es ging nicht. Also tat ich, was ich konnte.

Ihn werde ich dann also heiraten. Ich habe monatelang nicht mehr mit ihm gesprochen. Doch ich habe ihn zusammen mit Thunder und den anderen Mädchen gesehen. Ich mache ihm keinen Vorwurf - für Kerle wie ihn gelten keine Vorschriften. Für keinen Mann, der dieser Unterwelt angehört.

Nur die Frauen haben Regeln zu befolgen.

Sehr viele sogar.

Ich denke darüber nach, ihn zu bitten, dass er einfach einen Termin mit dem Standesamt vereinbaren soll. Allerdings wird das hier wohl die einzige Entscheidung sein, die ich je für mich selbst treffen werde. Und da er mich nach meiner Meinung gefragt hat, werde ich ihm diese auch mitteilen.

„Eine kleine Hochzeit, bitte.“

Kapitel 3

Itch

„Du weißt, dass du das unter den gegebenen Umständen nicht durchziehen kannst“, sagt Duke, mit dem ich vor seinem Clubhaus stehe.

Ich bin erst vor fünf Minuten angekommen. Er wusste sofort, wieso ich bei ihm auf der Matte stehe; er konnte es in meinem Gesicht ablesen. Und ganz ehrlich, ich bin ein Mann, der niemals aufgibt. Keine Chance. Ich weigere mich, zu glauben, dass Cyrus und Dutch ungestraft aus dieser Nummer herauskommen. Ich werde das nicht hinnehmen. Ganz egal, was ich unterschrieben habe.

„Ich kann mich nicht selbst um die Angelegenheit kümmern, aber du oder jemand, den du kennst, könnte es tun“, halte ich dagegen.

Seine Augen werden ganz groß. Er tritt einen Schritt zurück, öffnet die Tür und gibt den Weg frei, um mich ins Clubhaus eintreten zu lassen. Anstatt zu seinem Büro zu gehen, begebe ich mich in den Versammlungssaal. Sekunden nach dem ich den Raum betreten habe, gesellt sich Bond zu mir.

Ich drehe mich zu ihm um und presse meine Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Über den Tisch gebeugt stütze ich mich mit den Händen darauf ab und atme tief durch.

„Ich habe einen Vertrag unterzeichnet, in dem es um Rauls Schwester geht. Das Mädchen wird meine Frau. Leider besagen die Vertragsklauseln, dass ich Dutch kein Haar krümmen darf. Was Cyrus betrifft, wurden keine Bedingungen gestellt, auch wenn man zwischen den Zeilen lesen kann, dass ich auch ihm nichts antun darf. Allerdings wurde nicht schriftlich festgehalten, dass sich nicht jemand anderes um Dutch oder Cyrus kümmern kann.“

„Du bewegst dich auf dünnem Eis“, murmelt er. „Auf verdammt dünnem Eis.“

„Hast du jemanden, den du auf die zwei ansetzen könntest? Es muss jemand sein, der nicht in direkter Verbindung zu uns oder euch steht.“

„Wieso setzt du voraus, dass wir mit in die Sache hineingezogen werden wollen?“, fragt Bond schnaubend.

Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe und grinse. „Weil ich weiß, dass ihr es wollt.“

Duke und Bond werfen sich einen Blick zu. Kurz darauf stoßen beide einen Seufzer aus und schauen anschließend wieder zu mir. Die zwei wollen die beiden Arschlöcher genauso dringend tot sehen wie ich. Das ist kein verdammt großes Geheimnis.

„Ich bin bereit, zumindest was Dutch angeht, so lange zu warten, bis sich eine passende Möglichkeit ergibt. Aber was Cyrus betrifft …“

Lachend schüttelt Bond ein paar Mal den Kopf. Ich starre ihn an und frage mich, was zum Geier er so lustig findet. Nichts an dem Scheiß ist auch nur ansatzweise komisch. Nicht das Geringste. Allerdings lacht dieser Trottel immer noch. Ich stiere ihn an, bis er sich wieder beruhigt hat, und hoffe, dass er mir den Grund für seinen Ausbruch nennen wird.

„Ich habe bereits meine Kontakte spielen lassen. Allerdings war niemand dabei, der den Job erledigen kann. Alle zu weit weg. Aber, keine Sorge, wir finden eine Lösung. Es wird sich herumsprechen und das gilt auch für das Kopfgeld, das ich auf ihn angesetzt habe.“

Gut.

Ich hake nicht nach, wie viel Kohle er für den Mord hinzublättern bereit ist. Stattdessen räuspere ich mich und nicke ihm zu. „Mir gefällt, was ich höre. Ich werde nicht eher meinen Frieden finden, bis sie ausgeschaltet sind. Ich muss sie loswerden. Verdammt noch mal loswerden. Sie müssen von der Bildfläche verschwinden. Für immer.“

Bond legt seine Hand auf meine Schulter und schüttelt mich leicht. „Ich hab’s verstanden, Itch. Verdammt noch mal kapiert. Und jetzt lass uns ein Bier trinken gehen. Erzähl mir ganz in Ruhe, was es mit deiner Frau auf sich hat.“

Meine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen. „Sie wurde in der Sekunde zu  meiner, als sie mich am Leben gehalten hat. Als sie mich davor bewahrte, auf Cyrus’ Fußboden zu verrecken.“

Wir gehen an  die Bar, wo Bond über den Tresen greift, um dem Barkeeper die Biere abzunehmen. Er reicht mir und Duke eine Flasche, eine behält er für sich. Ich schließe die Augen und leere den halben Inhalt mit einem Zug.

„Fuck“, zische ich. „Ich werde dieses Mädchen heiraten, obwohl ich viel zu alt für sie bin.“

Bond schnaubt. „Das bist du nicht, und wenn man bedenkt, was Cyrus mit ihr vorhatte, bist du verflucht noch mal ihre Rettung. Bau dir ein Leben mit ihr auf. Nehme sie zur Citizen Wife oder was auch immer. Wichtig ist, dass du dein Glück mit ihr findest. Ganz gleich, wie das auch aussehen mag.“

Ich denke einen Moment lang über seine Worte nach. Er hat recht. Sie musste durch die Hölle gehen. Ich bezweifle, dass sie eine echte, rechtsgültige Ehe mit mir will. Vermutlich muss ich ihr ein Gefühl von Sicherheit geben, damit sie sich damit abfinden kann. Und das schaffe ich.

Solange ich atme, wird sie nie wieder von irgendwem angefasst werden.

Ich bleibe im Clubhaus der Hell’s Souls, um mich zu betrinken. Eigentlich sollte ich zur Werkstatt fahren und an ein paar Autos herumschrauben oder zumindest zurück in den Club. Ich habe eine Menge Scheiße an den Hacken, aber das ignoriere ich. Stattdessen widme ich mich lieber dem Saufen.

Ich weiß nicht, wie viel Alkohol ich in mich hineinschütte, aber als wir von Bier zu Tequila wechseln, bin ich mir sicher, dass die Nacht für mich gelaufen ist. Ich kippe einen Shot nach dem nächsten runter. Die Nacht verblasst und dann wird alles ganz dunkel.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, stöhne ich laut auf. Das Licht ist viel zu hell und sorgt dafür, dass ich Schmerzen bis in die Haarspitzen verspüre. Jemand liegt neben mir,  stöhnt ebenfalls und selbst dieses Geräusch ist zu laut für mich. Ich lege einen Arm über mein Gesicht und spüre, wie eine Hand über meinen Bauch streicht.

Ich nehme den Arm vom Gesicht, öffne die Augen, woraufhin gebleichte, blonde Haare mit schwarzem Ansatz in meinem Sichtfeld erscheinen. Dieser Schopf gehört definitiv nicht zu Thunder oder einem anderen Mädchen der Devil’s Hellions. Erst dann kapiere ich, dass es auch gar nicht so sein kann, weil ich mich nicht in unserem Clubhaus befinde. Ich bin noch immer bei den verfluchten Hell’s Souls.

Verdammte Scheiße.

Sie stöhnt abermals auf und rutscht näher an mich heran. Ihre weichen Titten drücken gegen meine Seite. Ich drehe den Kopf, zwinge mich dazu, die Augen offenzuhalten, und sehe mich im Raum um. Ich befinde mich in einem Schlafzimmer. Zum Glück liege ich nicht bewusstlos auf dem harten Boden der Bar. Das ist mir nämlich schon etliche Male in meinem Leben passiert.

Ich rücke von dem Mädchen weg, schwinge meine Beine über die Bettkante und reibe mir die Augen, um den Kater zu vertreiben und wach zu werden. Dann spüre ich eine Hand, die sich mittig auf meinen Rücken legt.

Ich drehe den Kopf über die Schulter, schaue sie an und mustere sie. Sie ist wunderschön. Ihre Gesichtszüge sind weich. Sie ist jung. Zu jung, aber verdammt umwerfend. Allerdings ähnelt sie Piper in keinster Weise.

Meine Piper.

Was für eine verdammte Ironie. Ich bin ein dreckiger, alter Knacker und behalte sie für mich. Dabei gibt sie sich mir keineswegs freiwillig hin und das sollte sie auch nicht.

„Wie alt bist?“, frage ich schroff.

Sie runzelt die Stirn. Kurz darauf verziehen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. „Alt genug“, erwidert sie lachend.

Ich gebe ein Brummen von mir und entgegne nicht sofort etwas auf ihre freche Antwort. Stattdessen beobachte ich sie und warte darauf, dass sie mir eine vernünftige Auskunft gibt.

„Einundzwanzig. Mein Bruder will hier Prospect werden. Er hat mich hergeschickt, um zu sehen, ob er hier irgendwie reinkommen kann.“

Vermutlich hat sie keine Ahnung, dass ich nicht zu den Hell’s Souls gehöre. Ich schnappe mir meine Hose, ziehe sie mir über den Hintern und knöpfe sie zu. Als ich mich wieder zu ihr umdrehe, blicke ich auf sie herab. Sie liegt völlig ungeniert da. Ihr Körper ist nicht bedeckt.

„Ich bin nicht eure Eintrittskarte, Babe“, lasse ich sie wissen.

Sie lacht auf. „O, das ist mir klar, Itch. Mein Bruder hat mich schon vor vielen Jahren hierhergeschickt, allerdings habe ich ihn seither nicht wiedergesehen. Ich bin froh, ihn los zu sein, würde ihn auf gar keinen Fall diesen Männern als Anwärter vorschlagen. Er ist nicht gut genug, um ein Hell’s Soul zu sein.“

„Wie heißt du, Babe?“, will ich wissen, während ich mein Shirt aufhebe und es überziehe.

„Tempt“, sagt sie und schenkt mir ein geheimnistuerisches Lächeln.

Natürlich heißt sie so, wie könnte es auch anders sein. Tempt, die Versuchung. „Nun, Tempt, ich muss zu meinem Club zurück. Ich gehöre nicht hierher“, murmle ich.

„Du kannst gern jederzeit wiederkommen. Es hat Spaß gemacht. Du bist wirklich überaus amüsant.“

Ich wende mich von ihr ab, schnappe mir meine Stiefel, ziehe sie an und werfe mir anschließend meine Kutte über. Dann verlasse ich das Zimmer. Im Club ist es ruhig, aber als ich die Bar betrete, sehe ich Bond, der mit einem Bier in der Hand und gesenktem Kopf am Ende des Tresens hockt.

Ich gehe auf ihn zu und verpasse ihm einen leichten Schlag auf den Rücken. „Wir quatschen bald wieder?“

Er dreht mir den Kopf zu und sieht mich an. Er scheint nicht ganz er selbst zu sein, weshalb ich ihm keine weiteren Fragen stelle. Ich nehme die Hand von seinem Rücken und trete einen Schritt zurück.

„Hat Tempt sich gut um dich gekümmert?“, will er wissen.

Ich ziehe grinsend eine Augenbraue hoch. „Jepp, ich glaube schon. Ich erinnere mich nicht mehr.“

Er lacht. „Sehr gut. Wir sprechen uns bald.“

Ich verlasse das Clubhaus der Hell’s Souls, gehe zu meinem Bike und steige auf. Ich starre einen Augenblick lang das Gebäude an und frage mich, was zum Teufel ich getan habe. Ich habe meinen Club, meine Leute und meine Frau hintergangen. Sollte ich erwischt werden, wird Raul bei den Devil’s Hellions aufkreuzen, was echt verdammt hässlich ausgehen könnte.

Habe ich wirklich meinen Club in Gefahr gebracht, weil ich so sehr auf Rache aus bin, dass ich nicht mehr klar denken kann?

Piper

Ich sitze in der Bar und warte auf die Frauen. Die Old Ladies. Ich weiß nicht, wieso ich zu Legacy gesagt habe, dass ich eine kleine Hochzeit möchte. Vielleicht, weil ich mir wünsche, dass sie sich echt anfühlt und nicht wie ein Vertragsabschluss. Aber genau genommen ist es das nun mal. Doch wenn man eine hübsche Schleife darum bindet, kommt es einem eventuell nicht so … unecht vor. 

Die Tür zur Bar schwingt auf und drei Frauen kommen auf mich zu. Die Sonne dringt durch hinein und bringt ihre glänzenden Haare ganz besonders zur Geltung. Sie sind alle so ungemein hübsch, dass ich nicht weiß, wie ich Zeit mit ihnen verbringen soll. Ich komme mir an ihrer Seite wie die hässliche Stiefschwester vor. Ich bin überhaupt nicht wie sie. Nicht im Geringsten. Keine Ahnung, wie das funktionieren soll.

„Piper“, begrüßt Reese mich.

Sie ist die einzige von den Dreien, mit der ich mich schon unterhalten habe, da sie viel Zeit mit Agony verbringt. Sie ist keine Old Lady; sie kommt hierher, um ihren Spaß zu haben. Soweit ich weiß, ist sie eher auf meinem Level, meiner Stufe, als die anderen zwei.

„Hey, Reese“, antworte ich leise.

Die Gruppe nimmt mir gegenüber Platz. Der Prospect, der soeben noch hinter der Bar stand, kommt an unseren Tisch geeilt und serviert Wasser und Gläser. Als ich hier noch allein saß, gab es keinen Tischservice. Bisher habe ich mir alles selbst beschafft. Hauptsächlich, weil ich unsichtbar bleiben möchte. Das hat mir gut gefallen. Jedoch beschleicht mich nun das ungute Gefühl, dass das ab sofort der Vergangenheit angehört.

„Henli, Kiplyn, das ist Piper. Wir sind heute hier, um ein Kleid auszusuchen“, verkündet Reese grinsend.

Ich winke den Mädels zur Begrüßung zu.

„Wir shoppen alle neue Kleider für die Hochzeit“, bricht es freudig aus Henli heraus. „Wir haben einen Termin in einem Brautmodestudio vereinbart und hinterher gehen wir in die Bäckerei, um eine Torte auszusuchen.“

Kleider und Torten. Keine Ahnung, was sie noch alles für mich geplant haben, aber nun weiß ich, dass ich die falsche Wahl getroffen habe. Das ist mir viel zu viel Aufmerksamkeit. Zu viel. Ich beiße mir auf die Unterlippe, ehe ich das Wasserglas an meine Lippen führe und einen großen Schluck trinke.

„Ich glaube, das ist ein Fehler“, wispere ich.

„Quatsch, ist es nicht. Hochzeiten und Torten sind niemals ein Fehler“, erwidert Reese.

Ich will ihr mitteilen, dass sie falschliegt, aber das lasse ich besser bleiben. Stattdessen blicke ich auf den Tisch hinab und lächle zaghaft. Dann räuspere ich mich, schiebe den Stuhl zurück und stehe auf.

„Gut, dann lasst es uns hinter uns bringen“, sage ich und versuche, mutig zu wirken.

Sie erheben sich ebenfalls, woraufhin wir gemeinsam das Clubhaus verlassen. Ich werfe einen Blick auf das Gebäude zurück und stelle fest, dass ich schon seit Wochen nicht mehr an der frischen Luft war, vielleicht sogar seit Monaten. Mir ist das Zeitgefühl völlig abhandengekommen und ich bin mir absolut nicht schlüssig, ob ich überhaupt mit ihnen gehen möchte. Dieser Ort hier scheint zu meinem sicheren Hafen geworden zu sein.

Kiplyn entriegelt ihren brandneuen Land Rover per Funkfernbedienung. Als der Wagen sich blinkend und piepend öffnet, kommt ein Motorrad die schmutzige, steinige Auffahrt entlanggefahren. Die Maschine hält direkt neben dem Auto. Ich beobachte, wie der Motor abgestellt wird und der Fahrer sein Bein über die Sitzbank schwingt.

Er bewegt sich ein paar Schritte von uns weg. Doch als er meinen Blick auf sich zu spüren scheint, bleibt er stehen. Langsam dreht er sich zu mir um und aus welchem Grund auch immer, erstarre ich. Er mustert mich von oben bis unten.

Ich lasse meinen Blick ebenfalls über ihn schweifen. Seine Klamotten sind zerknittert, seine Augen sind blutunterlaufen und er hat einen Lippenstiftfleck am Hals.

Mein Herz krampft sich zusammen.

Keine Ahnung, wieso. Es sollte mich nicht tangieren. Immerhin ist er noch nicht mein Ehemann; er ist nicht mal ein Freund. Er ist bloß dieser Mann, der einen Vertrag unterschrieben hat, der ihn dazu zwingt, mich zu heiraten. Er ist alt genug, um mein Vater sein zu können. Aber nun, da ich ihn anstarre, fühle ich mich nicht annähernd wie seine Tochter.

Ich bin so kraftlos.

Er kommt direkt auf mich zu. Als er mir ins Gesicht schaut, verfinstern sich seine Augen. Ich weiß nicht, was ich von ihm zu hören erwarte, aber ganz sicher nicht das, was er zum Besten gibt.

„Keine Spitze.“

Kapitel 4

Piper

Als ich vor dem Geschäft stehe, sehe ich Reese an, die sich neben mir befindet. Dann schaue ich zu Kiplyn, die auf der anderen Seite von mir steht. Keine Ahnung, in was ich mich da hineinmanövriert habe, aber dies hier ist ein Fehler. Ich bin nicht so wie diese Mädchen. Henli hält sich in der Nähe der Eingangstür auf, ihre Augen sind ganz groß. Sie deutet mit dem Kopf auf den Laden, was wohl einer Aufforderung gleichkommen soll, weiterzugehen.

Es ist ein Brautmodegeschäft.

In der Theorie klangen die Pläne der Mädels gut, doch nun, da ich hier bin, glaube ich nicht, dass ich hineingehen möchte.

Reese räuspert sich und legt einen Arm um meine Schultern. „Los, lass uns reingehen. Das wird lustig. Wir verpassen dir heute ein Mini-Makeover.“

„Ein Mini-Makeover?“, echoe ich.

Sie summt zustimmend. Meine Füße tragen mich vorwärts, sodass ich mich auf den Eingang zubewege. Allerdings ist mein Blick nicht geradeaus gerichtet. Ich konzentriere mich auf ihr Profil und warte darauf, dass sie mir näher erklärt, was das zu bedeuten hat.

Mini-Makeover.

Irgendwie bereitet mir das Angst.

„Haare, Babe“, sagt Reese, geht aber nicht weiter darauf ein.

Sobald wir über die Schwelle des klimatisierten Gebäudes geschritten sind, werden wir auch schon von drei sehr gut gekleideten Frauen umgeben. Sie sehen so schick aus, dass ich mich sofort fehl am Platz fühle. Als ich meinen Blick auf meine Füße richte, erschaudere ich aufgrund des Anblicks meiner billigen Flip-Flops.

Alles, was ich am Leib trage, kostet wahrscheinlich in einem Secondhand-Laden nicht mehr als insgesamt zehn Dollar. Das einzig neue Kleidungsstück ist mein schwarzer Baumwollslip.

„Wie können wir Ihnen weiterhelfen?“, erkundigt sich eine kecke Blondine.

Sie ist groß und schlank. Für meinen Geschmack wirkt ihr Lächeln ein wenig zu aufgesetzt und ihre Lippen sind etwas zu rot geschminkt. Aber ich versuche, nicht über sie zu urteilen, denn ich bin auch nicht gerade ein Hingucker.

„Wir sind wegen eines Hochzeitskleides hier“, übernimmt Henli das Antworten.

Die Verkäuferin richtet ihre Aufmerksamkeit auf Henli und tritt einen Schritt auf sie zu, woraufhin Henli die Hände in die Höhe reckt, um sie aufzuhalten.

„Sie ist die Braut“, greift Kiplyn ein und legt eine Hand auf meinen Rücken, um mich sanft nach vorne zu schieben.

Nun richtet die Beraterin ihren Blick auf mich. Ihre Augen werden ganz groß. „Sie sind also die Braut“, sagt sie, was aber eher wie eine Frage klingt, da ihre Stimme bei dem Wort Braut eine Oktave in die Höhe geschossen ist.

„So ist es“, erwidere ich.

Sie räuspert sich und verzieht kurz das Gesicht. Als sie sich wieder unter Kontrolle hat, schenkt sie mir ein breites Lächeln. „Nun, dann. Was für ein Kleid schwebt Ihnen denn vor? Planen Sie eine große Hochzeit oder eher etwas Intimeres?“

Entweder verurteilt sie mich wegen meiner Klamotten oder wegen des Alters. Wahrscheinlich wegen beidem. Ich beschließe, dass mir egal ist, was sie von mir denkt. Sie hat keine Ahnung, was ich bereits durchgemacht habe, und wenn sie es wüsste, würde sie mich wahrscheinlich nicht vorverurteilen oder vielleicht doch.

„Es wird eine Feier im kleineren Kreis. Nur die engsten Freunde und die Familie“, antwortet Reese für mich.

„Mögen Sie Spitze?“, erkundigt sich die Verkäuferin.

„Keine Spitze“, flüstere ich.

„Dann also Chiffon oder Satin“, sagt sie zu sich selbst. Der verurteilende Blick verschwindet, während sie darüber nachdenkt, was sie so auf Lager hat. „Wie schnell benötigen Sie das Kleid? Wenn wir eins bestellen müssen, kann die Lieferung Monate dauern.“

„Wir brauchen eins, das sofort verfügbar ist. Also von der Stange“, entgegnen Reese, Henli und Kiplyn unisono.

„Von der Stange“, murmelt die Beraterin. „Okay, hier drüben, bitte.“ Sie bedeutet uns, ihr zu folgen. Sie bewegt sich durch den Laden auf eine Wand zu, vor der eine Vielzahl von Kleidern befindet. Sie hängen dicht an dicht an einer Stange. „Ich würde vorschlagen, dass sich jede von Ihnen ein Kleid aussucht. Anschließend probieren wir sie nach und nach an, um herauszufinden, welcher Stil am besten gefällt. Gibt es ein Budget?“

Budget.

Geld.