Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) - Christian Stiglmayr - E-Book

Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) E-Book

Christian Stiglmayr

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Beschreibung

Mitte der 1990er Jahre gelangte die DBT aus den USA in die deutschsprachigen Länder und etablierte sich rasch als am besten evaluierte Methode zur Behandlung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Aufgrund ihrer Einsatzbreite und ihres modularen, sehr klaren Aufbaus wird sie nunmehr auch für die Behandlung anderer Störungen eingesetzt, wie z.B. Essstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung oder Suchterkrankungen. Der Autor - selbst DBT-Verfechter der ersten Stunde - gibt in diesem Buch einen kompakten und gleichzeitig fundierten Überblick über die Hintergründe und Inhalte der DBT, veranschaulicht anhand praktischer Umsetzungsbeispiele.

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Inhalt

Cover

Titelei

Geleitwort zur Reihe

1 Ursprung und Entwicklung der Methode

2 Verwandtschaft mit anderen Methoden und Verfahren

2.1 Die Schematherapie (ST)

2.2 Die Mentalisierungs-basierte Therapie (MBT)

2.3 Die Emotionsfokussierende Therapie (EFT)

2.4 Die Praxis des achtsamen Selbstmitgefühls

3 Wissenschaftliche und therapietheoretische Grundlagen

3.1 Die Weltsicht der DBT

3.2 Das ätiologische Modell in der DBT

4 Kernelemente der Diagnostik

4.1 Klinische Diagnostik

4.2 Diagnosekriterien

4.3 Diagnose- und Screeninginstrumente

4.4 Komorbiditäten

5 Kernelemente der Therapie

5.1 Die therapeutischen Grundhaltungen in der DBT

Grundhaltung 1

Grundhaltung 2

Grundhaltung 3

Grundhaltung 4

Grundhaltung 5

Grundhaltung 6

Grundhaltung 7

Grundhaltung 8

5.2 Die Behandlungsstadien in der DBT

5.2.1 Stadium der Orientierung

5.2.2 Therapiestadium I

5.2.3 Therapiestadium II

5.2.4 Therapiestadium III

5.2.5 Dynamische Behandlungshierarchie

5.3 Emotionsarbeit in der DBT

5.3.1 Fokusse in der Emotionsarbeit und deren Zusammenhang mit den Therapiestadien

5.3.2 Primäre vs. sekundäre Emotionen

5.4 Kernstrategien in der DBT

5.5 Therapiebausteine in der ambulanten DBT

5.5.1 Die Einzeltherapie

5.5.2 Das Fertigkeitentraining

5.5.3 Das Telefoncoaching

5.5.4 Das Konsultationsteam

5.5.5 Die Supervision

6 Klinisches Fallbeispiel

6.1 Anamnestische Informationen

6.1.1 Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik

6.1.2 Störungsanamnese

6.1.3 Psychischer Befund

6.2 Informationen zu Vorbehandlungen

6.3 Die zentralen Probleme

6.4 Hierarchisierung der primären Behandlungsziele

6.5 Störungsentwicklung und exemplarische Verhaltensanalyse über das vorrangigste Problemverhalten

6.5.1 Störungsentwicklung

6.5.2 Exemplarische Verhaltens- und Lösungsanalyse

6.6 Diagnosen zum Zeitpunkt des Therapiebeginns

6.7 Ressourcen

6.8 Beziehungsgestaltung und mögliche Probleme in diesem Zusammenhang

6.9 Behandlungsplan

6.10 Aufgaben des Konsultationsteams

6.11 Behandlungsverlauf

7 Hauptanwendungsgebiete

7.1 DBT für komplex traumatisierte Patienten (DBT-PTSD)

8 Settings

8.1 DBT in stationären, teilstationären und komplementären Einrichtungen

8.1.1 Stationäre Krisenintervention

8.1.2 Elektive stationäre, teilstationäre und komplementäre DBT

8.2 DBT im Maßregelvollzug und in der Forensik

8.3 DBT für Paare, Eltern und Familien

8.4 DBT im Arbeitskontext

8.5 DBT-Peer-Coaches

9 Die therapeutische Beziehung

10 Evidenz

11 Institutionelle Verankerung und Informationen zu Aus-‍, Fort- und Weiterbildung

Literatur

Sachwortverzeichnis

Psychotherapie kompakt

Herausgegeben von Nina Heinrichs, Rita Rosner, Günter H. Seidler,Carsten Spitzer, Rolf-Dieter Stieglitz und Bernhard Strauß

Begründet von Harald J. Freyberger, Rita Rosner, Ulrich Schweiger,Günter H. Seidler, Rolf-Dieter Stieglitz und Bernhard Strauß

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/psychotherapiekompakt

Der Autor

PD Dr. Christian Stiglmayr, psychologischer Psychotherapeut (VT) mit eigener Niederlassung, Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Wissenschaftliche Psychotherapie (AWP) Berlin, Privat-Dozent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Präsident des Dachverbands DBT e.V.

Christian Stiglmayr

Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-036266-6

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-036267-3epub:ISBN 978-3-17-036268-0

Geleitwort zur Reihe

Die Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt: In den anerkannten Psychotherapieverfahren wurde das Spektrum an Behandlungsansätzen und -methoden extrem erweitert. Diese Methoden sind weitgehend auch empirisch abgesichert und evidenzbasiert. Dazu gibt es erkennbare Tendenzen der Integration von psychotherapeutischen Ansätzen, die sich manchmal ohnehin nicht immer eindeutig einem spezifischen Verfahren zuordnen lassen.

Konsequenz dieser Veränderungen ist, dass es kaum noch möglich ist, die Theorie eines psychotherapeutischen Verfahrens und deren Umsetzung in einem exklusiven Lehrbuch darzustellen. Vielmehr wird es auch den Bedürfnissen von Praktikern und Personen in Aus- und Weiterbildung entsprechen, sich spezifisch und komprimiert Informationen über bestimmte Ansätze und Fragestellungen in der Psychotherapie zu beschaffen. Diesen Bedürfnissen soll die Buchreihe »Psychotherapie kompakt« entgegenkommen.

Die von uns herausgegebene neue Buchreihe verfolgt den Anspruch, einen systematisch angelegten und gleichermaßen klinisch wie empirisch ausgerichteten Überblick über die manchmal kaum noch überschaubare Vielzahl aktueller psychotherapeutischer Techniken und Methoden zu geben. Die Reihe orientiert sich an den wissenschaftlich fundierten Verfahren, also der Psychodynamischen Psychotherapie, der Verhaltenstherapie, der Humanistischen und der Systemischen Therapie, wobei auch Methoden dargestellt werden, die weniger durch ihre empirische, sondern durch ihre klinische Evidenz Verbreitung gefunden haben. Die einzelnen Bände werden, soweit möglich, einer vorgegeben inneren Struktur folgen, die als zentrale Merkmale die Geschichte und Entwicklung des Ansatzes, die Verbindung zu anderen Methoden, die empirische und klinische Evidenz, die Kernelemente von Diagnostik und Therapie sowie Fallbeispiele umfasst. Darüber hinaus möchten wir uns mit verfahrensübergreifenden Querschnittsthemen befassen, die u. a. Fragestellungen der Diagnostik, der verschiedenen Rahmenbedingungen, Settings, der Psychotherapieforschung und der Supervision enthalten.

Nina Heinrichs (Bremen)Rita Rosner (Eichstätt-Ingolstadt)Günter H. Seidler (Dossenheim/Heidelberg)Carsten Spitzer (Rostock)Rolf-Dieter Stieglitz (Basel)Bernhard Strauß (Jena)

Die Buchreihe wurde begründet von Harald J. Freyberger, Rita Rosner, Ulrich Schweiger, Günter H. Seidler, Rolf-Dieter Stieglitz und Bernhard Strauß.

1 Ursprung und Entwicklung der Methode

Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) wurde in den 1980er Jahren von Prof. Marsha M. Linehan entwickelt (Linehan 1996a, b; 2016a, b). Vor dem Hintergrund eigener leidvoller Erfahrungen konzipierte Marsha Linehan die Therapie ursprünglich als ambulante Behandlung von chronisch suizidalen Frauen. Mit dem Erscheinen des DSM-III (APA 1980) wurde das adressierte Klientel auf Patienten und Patientinnen1 mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) spezifiziert.

Aufgrund ihrer behavioralen Orientierung brachte Marsha Linehan in einem ersten Schritt vor allem veränderungsorientierte Interventionen zur Anwendung. Allerdings fielen die Erfolge damit bescheiden aus. Erst durch die Hinzunahme akzeptanzbasierter Interventionen stellten sich die gewünschten Erfolge ein. Zusätzlich integrierte Linehan neben dem gleichberechtigten Einsatz von Techniken aus den kognitiv-behavioralen sowie humanistischen Verfahren eine Vielzahl weiterer Techniken und Haltungen vor allem aus der Gesprächspsychotherapie, der Gestalttherapie und dem Zen-Buddhismus. Damit gehört die DBT zur sogenannten »dritten Welle« der Verhaltenstherapie, die die klassischen verhaltenstherapeutischen und kognitiven Techniken mit Strategien der Akzeptanz, Weisheit, kognitiven Distanzierung und Dialektik verbindet.

Weiteres Kennzeichen der DBT ist ihr modularer Aufbau; auf der Grundlage eines tragfähigen Grundkonzepts werden seit dem Bestehen der DBT fortwährend Variationen entwickelt, die je nach Problembild zur Anwendung kommen. Heute gilt die DBT als Prototyp für modular aufgebaute Psychotherapie und findet für eine Vielzahl weiterer Störungsbilder in unterschiedlichsten Settings Anwendung. Zuletzt wurde insbesondere die Behandlung von Patienten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) adressiert (DBT-PTSD; Bohus et al. 2013, 2020). In den aktuellen, von deutschen Fachgesellschaften herausgegebenen S3-Leitlinien für Persönlichkeitsstörungen (DGPPN 2022; Lieb 2020) wird die DBT als die Methode mit den meisten Wirksamkeitsnachweisen geführt und zusammen mit der Mentalisierungs-basierten Therapie (MBT; Bateman und Fonagy 2006) als die Methode der Wahl zur Behandlung einer BPS empfohlen.

Endnoten

1Im Folgenden wird das generische Maskulinum verwendet, wir meinen damit jedoch sowohl weibliche, männliche wie auch nicht-binäre Personen.

2 Verwandtschaft mit anderen Methoden und Verfahren

Die DBT integriert zahlreiche Techniken aus anderen Methoden und Verfahren. Vordergründig mag dadurch der Eindruck entstehen, dass die DBT eine hohe Ähnlichkeit mit anderen Methoden hat; allerdings ergibt sich die Einzigartigkeit der DBT gerade durch diesen besonderen Mix sowie die Hinzunahme von Elementen, die so in anderen Therapieformen nicht vorkommen. Hierzu zählen vor allem die therapeutischen Grundhaltungen (▸ Kap. 3.1), die Therapiebausteine »Telefoncoaching« (▸ Kap. 5.5.3) und »Konsultationsteam« (▸ Kap. 5.5.4) sowie das in die Therapie integrierte Konzept des »Wise Mind« (▸ Kap. 3.1).

Betrachtet man andere Methoden und Verfahren zur Behandlung der Borderline-Störung, so besteht die engste verfahrensspezifische Verwandtschaft mit der Schematherapie (SFT) nach Jeffrey Young und Arnoud Arntz (Arntz und Gendersen 2010). Es finden sich aber auch Überschneidungen mit verfahrensfremden Methoden wie der Mentalisierungs-basierten Therapie (MBT) von Bateman und Fonagy (2006).

Da die DBT sich von der ausschließlichen Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung gelöst hat, muss auch der Überschneidungsbereich mit anderen nicht störungsspezifischen Methoden und Verfahren berücksichtigt werden. Der sicherlich größte Überschneidungsbereich besteht hier mit der Emotionsfokussierenden Therapie von Leslie Greenberg (EFT; Greenberg 2002) und mit Methoden, welche die Praxis des achtsamen Selbstmitgefühls adressieren (Mindful-Selfcompassion (MSC); Germer 2012 und Compassion Focused Psychotherapy (CFT); Gilbert 2013).

Nachfolgend werden die SFT, die MBT, die EFT und MSC/CFT beschrieben.

2.1 Die Schematherapie (ST)

In der ST kommen neben kognitiven Techniken psychodynamische, emotionsfokussierende sowie achtsamkeitsbasierte Elemente zum Einsatz.

Nach Arntz und Gendersen (2010) ist die BPS durch fünf Schemamodi charakterisiert:

1.

das vernachlässigte und missbrauchte Kind,

2.

das ärgerliche und impulsive Kind,

3.

der Beschützer,

4.

die strafenden Eltern und

5.

der gesunde Erwachsene.

Ziel ist es, den gesunden Erwachsenen heranwachsen zu lassen – welcher erst durch den Therapeuten repräsentiert wird und später über den Therapieprozess in dem Betroffenen selbst heranreift.

Die ST bedient sich vier zentraler Mechanismen, welche zur Veränderung und schließlich Heilung führen:

1.

das »begrenzte Beeltern«,

2.

emotionsfokussierende Arbeit,

3.

kognitive Umstrukturierung und Psychoedukation und

4.

das Unterbrechen von Verhaltensmustern.

Vor dem Hintergrund, dass BPS-Patienten psychisch und emotional als sehr kleine Kinder verstanden werden, bietet das »begrenzte Beeltern« die Plattform für Wachstum hin zum gesunden Erwachsenen. Damit steht das durch den Therapeuten vermittelte Gefühl von Sicherheit, Stabilität, Akzeptanz und Wärme zeitlich vor den Problemlösestrategien. Die emotionsfokussierende Arbeit wiederum bedient sich der Techniken der Imaginationsarbeit, des Dialogs und des Briefeschreibens. Alle drei Techniken dienen dem Ziel, bislang ausgegliederte Erfahrungen und Emotionen zu aktualisieren und durch die Erfahrung des beschützenden Therapeuten zu integrieren. Psychoedukation dient der Validierung bislang nicht erfüllter Bedürfnisse einschließlich der dazugehörigen Emotionen; Techniken der kognitiven Umstrukturierung sollen dichotome Denkmuster über sich und andere auflösen. Das Unterbrechen von Verhaltensmustern schließlich kommt zeitlich gesehen als Letztes zum Einsatz und hat die Generalisierung des Gelernten zum Ziel.

Die Behandlung ist in drei Phasen unterteilt:

1.

Aufbauen einer therapeutischen Beziehung und Emotionsregulation

2.

Veränderung der Schemamodi

3.

Entwicklung und Autonomie

In jeder Behandlungsphase kommen alle vier Veränderungsmechanismen zum Einsatz, wobei in bestimmten Phasen bestimmte Mechanismen ihren Schwerpunkt haben, z. B. das »begrenzte Beeltern« in der ersten Therapiephase. Aber auch bestimmte Therapieziele können den einzelnen Phasen zugeordnet werden. So findet die Bearbeitung von nicht-suizidalem selbstverletzendem Verhalten (NSSV) maßgeblich in der ersten Therapiephase statt, indem Gefühle, die das NSSV begleiten, herausgearbeitet werden. Auf Grundlage dieser Informationen wird schließlich ein Plan der Selbstfürsorge erstellt und umgesetzt. Gleichwohl spielt die Behandlung von NSSV in der SFT eine eher untergeordnete Rolle.

2.2 Die Mentalisierungs-basierte Therapie (MBT)

In dem Konzept des Mentalisierens fließen Elemente aus den Kognitionswissenschaften, der Psychoanalyse, der Entwicklungspsychologie, der Affektforschung und der Neurobiologie ein. Mentalisieren meint, sich auf die mentalen Aspekte wie Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse, Überzeugungen etc. von sich selbst und anderen zu beziehen, diese als dem Verhalten zugrundeliegend zu begreifen und darüber nachdenken zu können (Euler und Schultz-Venrath 2014a; Euler und Walter 2018).

Aus Sicht der MBT ist der zentrale Pathomechanismus für die Entwicklung einer BPS die beständige Unfähigkeit einer Bezugsperson, die Perspektive des Kindes in der Interaktion zu berücksichtigen (Euler und Schultz-Venrath 2014b). Die Fähigkeit zum Mentalisieren wird darüber nicht entwickelt bzw. deutlich beeinträchtigt. In der Folge erlebt die betroffene Person die eigenen Affekte sowie das eigene Selbst bzw. die Affekte und das Selbst des Gegenübers im interaktionellen Kontext als fremd, falsch und abgetrennt. Mentalisierungstheoretisch handelt es sich hierbei um prämentalistische Modi (Telelogischer Modus, Äquivalenzmodus, Als-ob-Modus). Nach Euler und Schultz-Venrath (2014b) korreliert das Ausmaß der akuten Mentalisierungsstörung positiv mit dem Grad der emotionalen Anspannung. Neurobiologisch wird diese Annahme indirekt dadurch gestützt, dass es während einer emotionaler Übererregung – z. B. aufgrund traumatischer Erinnerungen – zu einer Amygdala-Überaktivität bei gleichzeitiger Abnahme der Aktivität in präfrontalen Kontrollarealen kommt (Lanius et al. 2010).

In der MBT wird die therapeutische Begegnung als interaktive »Ko-Konstruktion« von Realität verstanden (Euler und Schultz-Venrath 2014b). Da die Grundidee ist, dass psychische Veränderung nur stattfindet, wenn die Fähigkeit zur Mentalisierung vorhanden ist, liegt der Fokus auf dem gemeinsamen Mentalisieren innerhalb der Therapiestunde. Die therapeutische Haltung ist dabei die des »Nichtwissens«, d. h. er begegnet dem Patienten ohne konkrete Vorannahmen und stellt stattdessen zahlreiche möglichst einfache Fragen, um darüber die Mentalisierungsfähigkeit des Patienten zu aktivieren und zu verbessern. Im Zentrum des therapeutischen Prozesses sind die jeweils präsenten Affekte und Interaktionsmuster des Patienten. Im Sinne einer Validierung wird dabei die Subjektivität der eigenen Realität immer anerkannt, worüber auch der Therapeut beständig seine eigene Wahrnehmung und Realität erweitert. Damit tritt der Therapeut nicht belehrend oder im »Therapeutenmodus« auf, sondern er begegnet dem Patienten als reales, authentisches Gegenüber. Diese Validierung wird der Irritation und Erweiterung der subjektiven Sichtweise durch Fragen (»Challenging«) wann immer möglich vorangestellt. Die Herausforderung für den Therapeuten besteht häufig darin, seine Interventionen in Abhängigkeit von der aktuellen emotionalen Erregungssituation der Patienten feinfühlig abzustimmen.

In der MBT wird zusätzlich zur Einzeltherapie eine Gruppentherapie durchgeführt, da gerade Gruppensituation interaktionelle und emotionale Prozesse im besonderen Maße befördern. Der Therapeut achtet hierbei darauf, eine ausreichende mentalisierungsfördernde Atmosphäre entstehen zu lassen, indem er durch Leichtigkeit, Angemessenheit und Authentizität ein Gefühl von Sicherheit und Produktivität erzeugt.

2.3 Die Emotionsfokussierende Therapie (EFT)

In der Emotionsfokussierenden Therapie (EFT) geht es nicht um kognitive oder verhaltenstherapeutische Lösungswege, sondern um die direkte, prozessorientierte Arbeit an den Emotionen. Es soll den Patienten ermöglicht werden, ihre Emotionen wahrzunehmen, zuzulassen, zu akzeptieren und zu erforschen. Es soll vermittelt werden, dass Emotionen eine Bedeutung und Funktion haben, d. h. nicht grundlos auftreten und dass sie für die Lösung aktueller Probleme gewinnbringend genutzt werden können. Damit steht im Zentrum der EFT der Abbau dysfunktionaler emotionaler Regulationsprozesse zugunsten adaptiven emotionalen Erlebens.

Die Grundhaltung des Therapeuten ist eine klientenzentrierte: empathisch, kongruent und wertschätzend. Die Begegnung ist auf Augenhöhe, der Patient ist der Experte für die Inhalte seines Erlebens, der Therapeut ist der Experte für die angemessene Begegnung mit diesem Erleben und den sich daraus ergebenden Veränderungen. Der Therapeut ist damit der Coach, der den Patienten feinfühlig durch seine bis dahin abgelehnten Emotionen führt, ihn wohlwollend begleitet – mit dem absoluten Glauben in die emotionalen Ressourcen des Patienten. Entscheidend für das Vorankommen in diesem Prozess ist, dass der Therapeut den Patienten hierbei nicht über- aber auch nicht unterfordert, sondern empathisch wahrnimmt, was für den Patienten genau in diesem Moment das Richtige und Notwendige ist. Der Therapeut nimmt damit den Patienten an die Hand und führt ihn in sein emotionales Erleben, um ihm die Erfahrung zuteilwerden zu lassen, dass auch sehr schmerzhafte Emotionen aushaltbar und unter den gegebenen Umständen nachvollziehbar waren bzw. sind. Lässt der Patient sich auf das emotionale Erleben ein, ist die Frage des Therapeuten, was der Patient jetzt braucht. Damit konfrontiert er den Patienten mit den zu den jeweiligen Emotionen zugehörigen Bedürfnissen und gibt ihm die Möglichkeit, diese erwachsen wahrnehmen und wenn möglich erfüllen zu können.

In der EFT werden vier Typen emotionaler Prozesse unterschieden (Greenberg 2002; Hofer et al. 2014):

adaptive primäre Emotionen,

maladaptive primäre Emotionen,

sekundäre Emotionen

und instrumentelle Emotionen.

Ziel in der EFT ist es, dem Patienten einen Zugang zu seinen adaptiven primären Emotionen zu ermöglichen, da nur diese eine heilende Begegnung mit sich selbst ermöglichen.

In der in diesem Buch beschriebenen DBT wird explizit auf das von Greenberg entwickelte therapeutische Emotionsmodell zurückgegriffen. Eine ausführlichere Beschreibung der emotionalen Prozesse findet sich daher in ▸ Kap. 5.3.

2.4 Die Praxis des achtsamen Selbstmitgefühls

Selbstmitgefühl ist die zu erwerbende Kompetenz, Momente des Leidens in etwas Hilfreiches und Positives zu transformieren. Selbstmitgefühl ist die Fähigkeit, sich selbst in einer krisenhaften Situation wohlwollend und freundlich zu begegnen – anstatt sich abzuwerten, zu beschimpfen, abzulehnen oder gar zu verletzen. Studien konnten zeigen, dass Menschen, die mitfühlend mit sich umgehen, zufriedener und glücklicher sind (Zessin et al. 2015) und weniger Ängste und Depressionen haben (MacBeth und Gumley 2012). Bei Patienten mit einer BPS konnte eine signifikante Reduktion im Ausmaß an Selbstkritik und Selbsthass sowie eine deutliche Zunahme an Selbstberuhigung beobachtet werden (Ledenig et al. 2018).

Aktuell stehen zwei Methoden zur Vermittlung von Selbstmitgefühl zur Verfügung, das Mindful-Selfcompassion-Programm (MSC; Germer 2012) sowie die Compassion Focused Psychotherapy (CFT; Gilbert 2013). Bei der CFT handelt es sich um eine psychotherapeutische Methode, bei dem MSC um ein neunwöchiges Programm, welches ursprünglich nicht für einen klinischen Kontext entwickelt wurde. In beiden Fällen wird die Fähigkeit trainiert, das neurobiologisch angelegte Fürsorgesystem als Gegenspieler zum Bedrohungssystem zu aktivieren. Dies geschieht durch den körperlichen Kontakt (z. B. die eigene Hand auf die Brust legen), Wärme und eine wohlwollende, fürsorgliche Stimme (z. B., indem die Person sich selbst gegenüber beruhigende Worte und Sätze formuliert). Gleichzeitig werden Fertigkeiten vermittelt, um mit Belastungen, die durch einen wohlwollenden Umgang mit sich selbst ausgelöst werden (»Backdraft«), umgehen zu können. Eine zentrale Rolle spielt der mitfühlende Umgang mit belastenden Beziehungen und mit schmerzhaften Emotionen, wobei ein besonderer Fokus auf dem Umgang mit der Emotion »existenzielle Scham« liegt. Im Verständnis der beiden genannten Ansätze handelt es sich bei existenzieller Scham um die kindliche Erfahrung, nicht liebenswert und damit falsch/nicht zugehörig zu sein. Daraus entwickelt sich ein unerfülltes, grundlegendes Bedürfnis nach bedingungsloser Liebe und Zugehörigkeit, die aber im Erwachsenenalter nicht mehr verfügbar ist. Durch die daraus entstehende Überforderung der Beziehungspartner kommt es häufig zu massiven Beziehungsschwierigkeiten und -abbrüchen. Die Auflösung dieses Grundproblems liegt in der Möglichkeit, sich selbst gegenüber mit Mitgefühl und Liebe zu begegnen.

In der DBT hat die Praxis des achtsamen (Selbst-)‌Mitgefühls mittlerweile einen prominenten Platz eingenommen. Vor allem im fortgeschritteneren Therapiestadium wird diese umfangreich vermittelt und trainiert. Etwas genauer wird auf die Praxis des achtsamen Mitgefühls in ▸ Kap. 5.3 eingegangen.

3 Wissenschaftliche und therapietheoretische Grundlagen

3.1 Die Weltsicht der DBT

Es gibt drei philosophische Grundannahmen, die der DBT zugrunde liegen:

Alle Dinge sind miteinander verbunden: diese Aussage bedeutet, dass jeder und jedes miteinander in Verbindung steht. Die Gesamtheit der Einzelteile ergibt das Ganze. Demnach kann das Einzelne nicht ohne das Andere existieren und genauso umgekehrt; kurzum: wir brauchen einander.

Veränderung ist beständig und unvermeidlich: Veränderung ist ein notwendiger Bestandteil des Lebens. Alles befindet sich in Veränderung, in einem beständigen Transformationsprozess. Diesen Umstand fasste bereits der Philosoph Heraklit mit den Worten »Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung« zusammen. Dieser Grundannahme zufolge gibt es keinen leidvollen Zustand der für immer anhält.

Gegensätze ergeben etwas Neues: Alles setzt sich aus Gegensätzen zusammen, die gleichzeitig wahr sind. Diese Aussage fußt auf den Annahmen der Dialektik. Hierbei geht es beständig um die Auflösung von Widersprüchen mit dem Ziel, aus der zwischen den Widersprüchen existierenden Spannung etwas Neues zu schaffen.

Auf den letzten Punkt soll nachfolgend näher eingegangen werden.

Bezeichnet das »Behavioral« im Titel der Methode deren grundlegende verhaltenstherapeutische Ausrichtung, steht »Dialektisch« für die dahinterstehende Weltsicht. Linehan bezieht sich dabei auf das hegelsche Ver