5,99 €
2,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 5,99 €
Der Teufel auf Freiersfüßen: die Komödie „Dicker Teufel umständehalber in liebevolle Hände abzugeben“ von Sebastian Niedlich als eBook bei dotbooks. Zur Hölle mit der großen Liebe! Weil Mephy einst vergeblich versuchte, einen himmlischen Betriebsrat zu gründen, hat Gott ihn zu seinem neuen Job verdonnert: Als Fürst der Finsternis kümmert er sich um das ordnungsgemäße und formvollendete Quälen der verdammten Seelen. Trotz Schwefelduft und Überstunden ist Mephy seit Jahrtausenden hochmotiviert bei der Sache – doch so langsam dämmert ihm, dass es im Leben noch etwas anderes geben muss als immer nur Arbeit. Eine Frau muss her, und zwar pronto! Tatsächlich zeigt der Allmächtige Verständnis und gewährt Mephy 66 Tage Sonderurlaub in irdischen Gefilden, um eine schöne Sterbliche zu finden. Allerdings lässt er unerwähnt, dass Partnersuche inzwischen die Hölle auf Erden ist … Von Tinder-Dates und Bungee-Haien, kleinen Gemeinheiten und großen Gefühlen – der neue Roman von Bestsellerautor Sebastian Niedlich: lesen, lachen, lieben! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Dicker Teufel umständehalber in liebevolle Hände abzugeben“ von Sebastian Niedlich. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 452
Über dieses Buch:
Zur Hölle mit der großen Liebe!
Weil Mephy einst vergeblich versuchte, einen himmlischen Betriebsrat zu gründen, hat Gott ihn zu seinem neuen Job verdonnert: Als Fürst der Finsternis kümmert er sich um das ordnungsgemäße und formvollendete Quälen der verdammten Seelen. Trotz Schwefelduft und Überstunden ist Mephy seit Jahrtausenden hochmotiviert bei der Sache – doch so langsam dämmert ihm, dass es im Leben noch etwas anderes geben muss als immer nur Arbeit. Eine Frau muss her, und zwar pronto! Tatsächlich zeigt der Allmächtige Verständnis und gewährt Mephy 66 Tage Sonderurlaub in irdischen Gefilden, um eine schöne Sterbliche zu finden. Allerdings lässt er unerwähnt, dass Partnersuche inzwischen die Hölle auf Erden ist …
Von Tinder-Dates und Bungee-Haien, kleinen Gemeinheiten und großen Gefühlen – der neue Roman von Bestsellerautor Sebastian Niedlich: lesen, lachen, lieben!
Über den Autor:
Sebastian Niedlich, 1975 in Berlin geboren, war zum Zeitpunkt seiner Geburt schriftstellerisch untätig und nahm diese Profession erst später im Leben auf, nachdem er sich vorher an Drehbüchern versucht hatte. Er lebt in Potsdam und bereut es bisher nicht.
Bei dotbooks veröffentlichte Sebastian Niedlich bereits die Romane »Der Tod ist schwer zu überleben«, »Und Gott sprach: Es werde Jonas« und »Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens« sowie die Erzählbände »Der Tod, der Hase, die Unsinkbare und ich«, »Ein Gott, drei Könige und zwei Milliarden Verrückte« und »Das Ende der Welt ist auch nicht mehr, was es mal war«, die auch als Sammelband erhältlich sind: »Am Ende der Welt gibt es Kaffee und Kuchen«.
Die Website des Autors: www.sebastianniedlich.de
Der Autor im Internet: www.facebook.com/SebastianNiedlich.Autor
***
Originalausgabe Oktober 2017
Copyright © der Originalausgabe 2017 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Ralf Reiter
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/drwkman, shutterstock/Boguslav Mazur, shutterstock/Studio Barcelona, shutterstock/Lisa Kolbasa, shutterstock/Peter Hermes Furian
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-96148-095-1
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
***
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Dicker Teufel umständehalber in liebevolle Hände abzugeben« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)
***
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
www.instagram.com/dotbooks
blog.dotbooks.de/
Sebastian Niedlich
Dicker Teufel umständehalber in liebevolle Hände abzugeben
Roman
dotbooks.
Der Wind schüttelte die Baumkronen, und der Mond schien hinunter auf das Pärchen, das sich einen Weg zwischen den alten Grabsteinen hindurch suchte. Beide waren ganz in Schwarz gekleidet. Das war für einen Friedhof zwar passend, aber für diese Uhrzeit auf einer Straße eher unangebracht. Derartig dunkel gekleidet würden sie von Autofahrern schlecht gesehen und gegebenenfalls erfasst werden. Da sich der Verkehr auf Friedhöfen zu nachtschlafender Zeit allerdings tendenziell gen null bewegte, war das kein Problem für die beiden, zumal sie quer über Gräber liefen, zwischen die ohnehin kein Auto gepasst hätte.
Der junge Mann, dessen schwarz gefärbte Haare und Bart im Mondlicht glänzten, hielt die junge Frau mit den roten Haaren, die gerade mal 18 Jahre alt war, bei der Hand und führte sie sicher zwischen den gemeißelten Grabmälern hindurch. Sie schaute sich mit besorgtem Blick um und fühlte sich offenbar nicht recht wohl.
»Findest du es nicht etwas unheimlich hier?«
»Nein«, sagte der Mann kurz angebunden und lenkte sie um einen weiteren Grabstein herum.
»Und du sagst, deine Freunde sind hier irgendwo?«
»Die sind vermutlich schon da und bereiten alles vor. Die Gruft ist gleich da vorn.«
In der Tat konnte sie einen leichten Lichtschimmer aus einer der Grüfte sehen, die dort nebeneinander aufgereiht waren. Er zog sie hinter sich her, bis sie schließlich im Eingang der schwach erleuchteten Gruft auf einen Mann stießen, gekleidet in eine schwarze Robe, deren Kapuze hinten spitz zulief.
»Wie ich sehe, hast du heute einen Gast mitgebracht, Klaus.«
»Das ist richtig, Meister«, sagte Klaus und verneigte sich leicht vor dem Mann mit der Robe. »Sie möchte uns bei der Beschwörung helfen.«
Der Mann in der Robe musterte die junge Frau. »Sag, mein Kind, bist du noch Jungfrau?«
Sie runzelte die Stirn, zuckte leicht mit den Schultern und wurde rot. »Äh, also … was soll denn die Frage jetzt?« Sie schaute unsicher zu Klaus und dann wieder zurück zum Mann in der Robe. »Und warum ›mein Kind‹? Du bist doch kaum älter als ich.«
Der Robenträger trat beiseite und wies ihnen mit dem linken Arm den Weg in die Gruft.
Klaus zog sie hinter sich her, die Treppen hinab, aber sie drehte sich noch einmal zu dem Mann um und sagte betont enthusiastisch: »Selbstverständlich hatte ich schon Sex. Es war toll.«
Sie gingen die Stufen herunter, bis sie in einen Raum gelangten, an dessen Seiten sich mehrere Särge stapelten. Kerzen waren überall aufgestellt, und auf dem notdürftig gesäuberten Fußboden war mit roter Farbe ein Kreis gemalt, in dem sich ein fünfzackiger Stern befand. Die junge Frau hoffte, dass es sich um rote Farbe handelte und nicht um etwas anderes. Vier weitere Gestalten in Roben hatten sich um den Kreis verteilt, und am gegenüberliegenden Ende der Treppe stand am Rand des Kreises etwas, das wie ein klappriger Notenständer aussah. Darauf lag ein Buch.
»Zieh dich aus und leg deine Sachen dahin«, sagte Klaus zu ihr.
Sie sah ihn skeptisch an. »Ich soll mich ausziehen?«
»Ja. Deine Jacke zum Beispiel. Oder wie willst du die Robe da drüberziehen?«, fragte Klaus.
Er zog selbst seinen langen schwarzen Mantel aus, um darunter einen noch schwärzeren Kapuzenpullover zum Vorschein zu bringen, den er ebenfalls abstreifte. Darunter trug er ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck einer Black-Metal-Band, deren Namen man kaum lesen konnte, weil es aussah, als hätte jemand bei der Beschriftung einen epileptischen Anfall gehabt.
Sie tat wie geheißen und zog ebenfalls Jacke und Pullover aus, um sich dann das Gewand überzustreifen, das ihr Klaus reichte. Der Mann, den Klaus »Meister« genannt hatte, schloss derweil die Tür zur Gruft und ging hinüber zum Notenständer.
Sie beobachtete alles argwöhnisch. Als Klaus ihre Hand nahm, folgte sie ihm zum Kreis und stellte sich an die Stelle, die er ihr zeigte, bevor die vermummte Gestalt neben ihr ihre Hand ergriff, sodass sie nun alle den Kreis umschlossen.
Der Mann, der sich »Meister« nannte, begann mit der Zeremonie, schlug das Buch auf und murmelte irgendwelche Sätze in einer Sprache, von der sie nur annehmen konnte, dass es Latein war. Nach ein paar irgendwie ominösen Sätzen wandte er sich an die Versammelten.
»Bringt das Opfer!«
Klaus ließ ihre Hand los und fummelte umständlich an seinem Gürtel.
Der Meister schaute ihn verwirrt an. »Was jetzt?«
»Hab’s gleich. Hat sich nur verhakelt.«
»Kann ich dir vielleicht helfen?«, fragte die junge Frau.
»Nee, danke, Suse, geht schon. Hab’s gleich. Da, jetzt!«
Klaus hielt ein Messer mit einem verzierten Griff hoch, und der Meister deutete mit der flachen Hand auf die Mitte des Kreises.
»Das Opfer, bitte.«
»Ja, doch«, sagte Klaus und griff wieder nach Suses Hand. Die rührte sich jedoch nicht von der Stelle.
»Was ist denn?«, fragte Klaus.
»Was soll denn das mit dem Opfer? Hast du mich etwa hergeschleppt, damit ich das Opfer sein kann?«
»Na ja …«
»An einer schwarzen Messe teilzunehmen ist eine Sache, aber von dieser Opfergeschichte war nie die Rede. Schon gar nicht, dass ich das sein soll.«
Klaus zog an ihrer Hand. »Ich wollte dich nicht verunsichern. Wir wollten das doch gemeinsam tun.«
»Bleib bloß mit dem Ding weg!«, rief Suse und riss ihre Hand aus Klaus’ Umklammerung.
Die vermummte Gestalt auf ihrer anderen Seite hielt sie allerdings umso fester, und es gelang ihr nicht, freizukommen. Suse schrie.
»Suse, nun warte doch mal … bitte … das ist doch gar nicht … hör doch mal auf zu schreien. Wir haben doch darüber gesprochen.«
Der Meister stöhnte vernehmlich. In dieser Gruft hallte es furchtbar, ganz besonders Schreie.
Die Gestalt, die Suse festhielt, brachte sie nach vorn und stellte sie nah an die Mitte des Kreises und des auf den Boden gemalten Fünfecks.
Suse zappelte wie wild. Klaus und der Meister wechselten einen Blick, und der Meister gab Klaus wortlos zu verstehen, er solle sich beeilen.
»Suse, nun halt doch mal still. Ich will doch nur … wir brauchen doch bloß einen Tropfen.«
Suse hielt still. »Was?«
»Wir brauchen doch bloß einen Tropfen von deinem Blut.«
»Wieso das denn?«
»Für die Beschwörung brauchen wir einen Tropfen Jungfrauenblut.«
»Aber ich habe doch vorhin gesagt, dass ich schon Sex hatte.«
Der Meister rollte mit den Augen. »Ja, sicher.«
Suse schaute ihn an. »Was soll das denn heißen? Dass ich nicht hübsch genug bin, um schon Sex gehabt zu haben?«
»Suse, du bist wunderhübsch«, sagte Klaus.
»Wenn du glaubst, dass ich dich danach noch ranlasse, hast du dich aber geirrt.«
Der Meister schlug auf das Pult, das dabei fast umfiel. Er fing es auf, bevor das Buch abstürzte. »Was ist denn jetzt? Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit, ich muss morgen früh zur Arbeit.«
Klaus machte ein betretenes Gesicht, trat einen Schritt vor, griff Suses Hand, die immer noch zappelte, und pikte den Dolch in eine Fingerspitze.
»Aua!«
»Tut mir leid, Suse. Ich will das ja auch nicht, aber du hast gesagt, dass wir das durchziehen. Ich liebe dich.«
»Und ich steck dir das Messer hinterher noch wohin.«
Klaus hielt den Finger über die Mitte des Kreises und wartete, bis ein Blutstropfen herunterfiel. Dann traten er und der andere Vermummte wieder aus dem Kreis.
Etwas geschah in der Mitte des Pentagramms. Erst war ein kleines Zischen zu hören, dann kräuselten sich ein paar vereinzelte Rauchfäden nach oben.
Suse lief rückwärts aus dem Kreis und starrte auf die Stelle, an der jetzt immer mehr Qualm entstand und sich langsam eine Art Rauchsäule erhob, bis sie zur Decke der Gruft reichte.
Suse war sich nicht ganz sicher, aber sie meinte, Rot und Schwarz darin zu erkennen. Etwas zeichnete sich schemenhaft zwischen all dem Rauch ab, und alle blickten sie an der Rauchsäule nach oben, aus der sicher gleich etwas Gewaltiges heraustreten würde.
Ein paar der Beschwörer hielten sich die Nase zu, weil der Schwefelgeruch unangenehm wurde. Dann stürzte die Rauchsäule plötzlich geräuschlos in sich zusammen, und alles, was übrig blieb, war eine Gestalt in der Mitte des Kreises, gekleidet in einen schwarz-roten Frotteemantel, mit kurzen schwarzen Haaren, einem Schnurrbart und Kinnbärtchen und mit zwei kleinen Hörnern an den Geheimratsecken.
Die meisten Beschwörungsteilnehmer zogen überrascht die Luft ein. Suse wollte einen Schrei ausstoßen, aber es kam nur ein gequetschtes Fiepen heraus.
Der etwas untersetzte Teufel machte dicke Backen und hustete einen Moment lang, bevor er sich die Menschen, die ihn gerufen hatten, genauer ansah.
»Dominus!«, sagte der Meister. Er und die anderen Gestalten um den Kreis herum warfen sich zu Boden. Klaus und Suse schauten sich kurz an, bevor sie es ihnen gleichtaten.
Der Teufel verzog das Gesicht. »Sagt mal, seid ihr eigentlich komplett bescheuert?«
Die Beschwörer hoben unsicher die Köpfe.
»Habt ihr mal auf die Uhr geschaut?«
Die Beschwörer wechselten Blicke.
»Es ist mitten in der Nacht, stockfinster draußen, und andere Leute wollen vielleicht schlafen. Weshalb müssen diese bekloppten schwarzen Messen eigentlich immer mitten in der Nacht stattfinden? Warum nicht mal nachmittags um zwei? Auf den Malediven? Oder auf einer schönen griechischen Insel? Wer rennt mitten in der Nacht auf einem Friedhof herum? Ernsthaft. Was soll der Mist?«
Der Meister erhob sich. »Wir, äh, dachten, das sei die korrekte Vorgehensweise …«
»Die korrekte Vorgehensweise? Knutsch mir die Kimme. Zum Glück hatte ich meinen Bademantel an, sonst müsste ich mich jetzt nackt mit euch unterhalten. Idioten.«
Der Meister kratzte sich am Kopf. »Wir wollten … wir wollten fragen … wir wollten fragen, ob …«
»Meine Fresse, komm zum Punkt, Junge. Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit, ich wollte mich nämlich gerade eben hinlegen.«
»Wir wollten fragen, ob …«
»Jaja, ob ich euch bei irgendwas helfen kann. Ganz viel Geld, Erfolg im Beruf, eine bestimmte Person, die euch lieben soll, ein Ferrari. Irgendwie so was, ja?«
Die Gestalten schauten sich an und nickten.
»Und dafür soll ich dann eure Seelen oder so bekommen, ja? Jedenfalls sagen das immer alle.«
Die Gestalten nickten erneut.
»Und kann mir mal einer erklären, was ich mit euch Arschlöchern in der Hölle soll? Da ist es eh schon voll. Warum soll ich euch bei irgendwas helfen, was mir nur Arbeit macht, wenn ihr mich mitten in der Nacht aus dem Bett werft? Macht gefälligst, dass ihr Land gewinnt, oder ich werde ungemütlich.«
Einige der vermummten Gestalten, darunter Klaus, ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie stürzten die Treppe hoch, öffneten die Tür der Gruft und rannten schnell davon. Nur der Meister und Suse blieben völlig überrumpelt zurück. Als der Teufel Suse entdeckte, trat er an sie heran, befeuchtete sich mit der Zunge einen Finger, strich sich die Augenbrauen glatt und sagte: »Hallo.«
Daraufhin rannte auch Suse weg.
Der Meister war noch dabei, das Buch einzusammeln, als der Teufel es ihm aus der Hand riss.
»Das bleibt jetzt bei mir. Sonst kommt ihr irgendwann wieder auf so eine bekloppte Idee. Kein Anschluss unter dieser Nummer mehr, ist das klar?«
Der Meister sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
»Tüdeldu!«, sagte der Teufel und deutete mit einer Handbewegung an, dass er sich davonmachen sollte. Was der Meister daraufhin auch tat.
»Diese Dinger hätte ich schon vor Jahren konfiszieren sollen«, sagte der Teufel und löste sich in einer Rauchschwade auf.
Rauch drang aus einer der Bodendielen vor dem Kamin des gemütlichen, im englischen Landhausstil eingerichteten Raums. Das Feuer darin warf flackerndes Licht auf die braunen Ledermöbel und das enorme Buchregal, das sich an einer kompletten Seite des Raums entlangzog und bis in die letzte Ritze mit Büchern, Heften und Papier gefüllt war. Auf der anderen Seite hingen Gemälde aus verschiedenen Epochen, und diverse Kunstgegenstände aus der Frühzeit bis zur Gegenwart standen in Vitrinen oder auf dem Schreibtisch, als wäre es ein kleines Museum.
Der Rauch türmte sich schnell auf und bildete kurz eine Säule vom Boden bis zur Decke, bevor der Teufel hustend darin erschien und sich der Rauch in nichts auflöste. Er stöhnte, rieb sich die Augen und schlurfte in Richtung einer reich verzierten, doppelflügeligen Tür, die komplett aus Cumarú-Tropenholz geschnitzt war. Er stieß eine Seite der Tür auf und stolperte ins Schlafzimmer, als er ein gehauchtes »Hi« vernahm.
Auf dem ausladenden Bett, das aussah, als wäre es aus dem Schlafzimmer eines französischen Königs aus dem 18.Jahrhundert gestohlen worden, räkelte sich eine nackte Frau. Ihr schwarzes Haar war lang und üppig. Fast so üppig wie ihre Brüste, die von einer strategisch platzierten Bettdecke so weit zugedeckt waren, dass die Fantasie keine Mühe hatte, den Rest zu erahnen.
Der Teufel stöhnte. »Wer bist du? Was willst du hier?«
Die Frau schaute überrascht und fiel kurz aus ihrer Rolle als lüsterne Verführerin, fing sich aber sogleich wieder. »Begehrst du nicht diesen Körper?«
Sie strich sich mit den Händen über die Brüste und fuhr mit der Zunge über ihre Lippen, aber der Teufel stand da und schaute sie an, als hätte ihm gerade jemand einen Eimer Yak-Milch über den Kopf geschüttet.
»Azazel!«, rief er, und keine zwei Sekunden später gab es ein leises »Plopp« neben ihm, und ein etwa 50 Zentimeter großer Dämon schwebte in einer sich auflösenden Schwefelwolke an seiner Seite.
Was Dämonen anging, so war Azazel keiner von der Sorte, bei der man sofort in Schreikrämpfe verfiel. Er wirkte nicht bedrohlich, was natürlich überwiegend seiner Größe geschuldet war. Dazu kam, dass er einen Frack samt Krawatte trug, der sich von seinen menschlichen Pendants nur darin unterschied, dass er wesentlich kleiner war und auf dem Rücken Aussparungen für die Flügel hatte. Die übergroße Hakennase verlieh ihm zudem einen leicht snobistischen Touch. Die Tatsache, dass er nur einen halben Meter groß war und in der Luft zu schweben pflegte, sorgte dafür, dass die meisten Leute, die ihn zu Gesicht bekamen, sich spontan dazu hinreißen ließen, »Ach, ist der niedlich!« zu rufen.
»Ach, ist der niedlich!«, juchzte die nackte Dame im Bett des Teufels.
Der Teufel und sein Handlanger wechselten einen Blick. Azazel hob eine Augenbraue und flatterte unbeeindruckt in Augenhöhe seines Meisters. Die Frau klatschte fröhlich in die Hände, hielt aber inne, als sie die konsternierten Blicke des Höllenfürsten und seines Dieners sah.
»Azazel, was ist das da in meinem Bett?« Der Teufel zeigte mit einem Finger abfällig in Richtung der leicht bekleideten Dame.
Der kleine geflügelte Dämon warf einen Blick aufs Bett. »Wenn mich nicht alles täuscht, so hat sich eine nackte Menschendame in Euer Schlafzimmer geschlichen. Ihrer fehlenden Kleidung nach zu urteilen, würde ich vermuten, dass sie vorhatte, mit Eurer Unholdigkeit Geschlechtsverkehr zu haben, Sir.«
»Schnackelschnick! Und kannst du mir erklären, wie es dazu kommen konnte, dass eine der verdammten Seelen in mein verdammtes Schlafzimmer schleichen konnte?«
»Meine Vermutung ist, dass der Umstand des Schleichens daran einen maßgeblichen Anteil hatte, Sir.«
Der Teufel schaute den kleinen Dämon streng an. Der zuckte daraufhin ein wenig zusammen.
»Ich wollte natürlich sagen, dass ich dem nachgehen werde, Sir.«
Der Dämon verschwand in einer bescheidenen Rauchwolke, und der Teufel schüttelte den Kopf.
»Azazel!«
Der kleine Dämon erschien erneut. Wieder in einer Schwefelwolke, weswegen sich der Teufel kurz die Nase zuhielt. »Euer Unholdigkeit?«
Der Teufel nickte mit dem Kopf in Richtung Bett, wo die nackte Dame zwischen ihm und seinem Helfer hin- und herblickte.
Der Dämonen-Butler seufzte, schwebte hinüber zu der Dame und erklärte ihr freundlich, dass sie nun zu verschwinden hatte.
Die Frau stürzte auf den Teufel zu, flehte ihn an und versicherte, dass er alles mit ihr machen könne. »Ich will nur nicht weiter gefoltert werden.«
Der Teufel stand regungslos da und schaute ihr genervt nach, als Azazel sie aus dem Zimmer schob. Der Teufel rief ihm hinterher, dass er den Rest der Nacht nicht gestört werden wollte. Der kleine Dämon sah für einen Moment so aus, als wollte er salutieren, besann sich dann aber eines Besseren.
Als die Tür zum Schlafgemach endlich ins Schloss fiel, seufzte der Teufel und starrte einen Moment mit hängenden Schultern weiter Richtung Ausgang. Dann zog er am Frotteegürtel, öffnete den Morgenmantel und hängte ihn an einen der Garderobenhaken, der wie eine Messingversion von Edvard Munchs »Der Schrei« aussah.
Er schlug das Laken beiseite, um nach seinem Schlafanzug zu suchen, und fand ihn auch gleich. Passend zum Morgenmantel und dem Rest der Einrichtung des Schlafzimmers war er in Rot-Schwarz gehalten und bestand aus teurer Kaschmirseide. Dann verschwand er unter der Decke und drehte sich um, um zu schlafen.
Aber der Schlaf wollte nicht kommen. Mehrere Minuten warf er sich hin und her, bevor er einsah, dass er nicht zur Ruhe kommen würde. Er griff nach der Fernbedienung auf dem Nachttisch, drückte einen Knopf, und ein Fernseher von der Breite des Bettes senkte sich von der Decke.
Das Logo von Hellflix prangte auf dem Bildschirm, und der Teufel klickte sich durch zu den Liebesfilmen.
Am nächsten Tag gegen Mittag – falls man in der Hölle überhaupt von Tageszeiten sprechen konnte – flog Azazel ins Zimmer seines Meisters, um ihn zu wecken. Neben dem Kamin, der immer noch gemütlich flackerte, stand die Stereoanlage im Schrank. Der kleine Dämon schaltete sie ein, wählte ein Lied aus und spulte 30 Sekunden vor. Die ersten Akkorde von Iron Maidens Number Of The Beast ertönten. Der kleine Dämon seufzte, schüttelte den Kopf, steckte sich die Zeigefinger in die Ohren und wartete, bis der Teufel aufwachte.
Als der Sänger anfing, laut zu schreien, räkelte sich der Teufel im Bett und schlug die Augen auf.
»Guten Morgen, Sir«, sagte der kleine Dämon, zog die Finger aus den Ohren und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Er griff nach dem Morgenmantel und reichte ihn seinem Meister.
»Geh weg«, sagte der Teufel.
»Wie Eure Unholdigkeit wünscht, Sir«, antwortete der Diener. Er wollte den Morgenmantel weghängen, wurde aber unterbrochen.
»Nein, bleib. Ich hab das ja nur so gesagt.«
»Wie bitte, Sir?«, sagte Azazel und versuchte, den Lärm der Musik zu übertönen.
Der Teufel griff nach einer der Fernbedienungen, die auf seinem Nachttisch lagen, und schaltete die Musik aus. Der Dämonen-Butler seufzte erleichtert.
»Ich sagte, bleib. Ich hab’s nicht so gemeint.«
»Sehr wohl, Sir.«
Langsam rollte sich der Teufel aus dem Bett und blieb müde auf der Kante sitzen.
»Sir?«
»Wie spät ist es?«
»Es ist kurz vor zwölf, Sir.«
»Auf was für einer Zeit sind wir denn gerade?«
»Mitteleuropäisch, Sir.«
»Und letzte Woche?«
»Krasnojarsker Zeit, Sir.«
»Das erklärt so manches.«
Der Butlerdämon unterdrückte ein Gähnen.
»Das mit den Zeitumstellungen alle paar Wochen war keine so gute Idee, was?«, fragte der Teufel.
»Sir, Ihr wolltet, dass es für alle Höllenbewohner unangenehm ist. Ich denke, Ihr habt Euer Ziel erreicht.«
»Aber ist es nicht eine dämliche Idee, wenn ich selbst darunter leide?«
Er sah seinen Helfer müde an, aber der verzog keine Miene, sondern hielt ihm lediglich den Morgenmantel hin.
Als sein Herr nicht gleich reagierte, fragte der Diener: »Ist alles in Ordnung, Sir? Ist es die Zeitumstellung?«
Der Teufel antwortete nicht, sondern stieß nur lange, lange Zeit die Luft aus und schaute in die Ferne.
»Na, na«, sagte der kleine Dämon und hängte den Morgenmantel zurück. Dann flog er herüber zu seinem Meister, tätschelte ihm mit stoischem Gleichmut die Schulter und sagte: »Wird schon.«
»Was wird schon?« Der Teufel schnippte die Hand des Dieners weg.
Azazel hob eine Augenbraue und flog in sichere Entfernung. »Ich weiß nicht, Sir. Was schlägt Euch denn auf den Magen?«
Der Teufel grübelte. »So genau kann ich das nicht sagen, Azazel. Irgendwie ist alles so … traurig.«
»Dürfte ich fragen, was für Filme Ihr letzte Nacht geschaut habt? Vielleicht solltet Ihr Eure nächtlichen Filmexzesse lieber mit einer Komödie beenden.«
Der Teufel hob eine Augenbraue. »Exzesse?«
»Ich meinte Eure Filmnächte«, sagte der Dämon in einem Ton, der an einen gelangweilten Nachtportier erinnerte.
»Ich habe Komödien gesehen. Und vielleicht hat gerade das meiner Stimmung so einen Dämpfer versetzt.«
»Vielleicht sollte Euer Unholdigkeit lieber Horrorfilme schauen, falls Euch das mehr amüsiert, Sir.«
Der Teufel legte die Stirn in Falten. »Nein, tut es nicht.«
»Sehr wohl, Sir.«
Der Teufel stand auf und ließ sich von Azazel in den Morgenmantel helfen. »Steht heute irgendetwas an?«
»Sir, in circa eineinhalb Stunden habt Ihr die Sitzung mit dem Aufsichtsrat.«
Der Teufel stöhnte erneut lautstark. »Weißt du, ob sie dabei ist?«
»Anzunehmen, Sir.«
Wieder stöhnte der Teufel. »Auch das noch. Nun denn …« Er stand auf.
»Möchtet Ihr gleich ins Bad oder erst einmal einen Blick hinauswerfen?«
»Ein Kaffee wäre schön. Schwarz. Ich nehme ihn auf dem Balkon zu mir. Während du das vorbereitest, begebe ich mich kurz ins Bad.«
»Sehr wohl, Sir.«
Azazel zog die Decke des kleinen Tisches auf dem Balkon glatt und stellte das Tablett mit Kaffeekanne und Tasse ab. Daraufhin nahm er sorgfältig das Porzellan vom Servierbrett und positionierte alles perfekt. Er schenkte den Kaffee ein und achtete darauf, dass kein Tropfen aus der Kanne die Tischdecke ruinierte. Er nahm gerade das Tablett weg, als der Teufel durch die Tür schritt und sich setzte.
Der Fürst der Hölle ließ den Blick schweifen. Rauchschwaden hingen in der Luft. In der Ferne waren die Geräusche von Maschinen und vereinzelte Schreie oder Stöhnen zu hören.
»Ein wunderbarer Tag, nicht wahr, Sir?«, sagte Azazel.
Der Teufel seufzte nur.
Plötzlich erklang ein »Pling«, und kurz darauf flog eine glühende menschliche Seele panisch schreiend am Balkon vorbei.
Über das Gesicht des Dämonen-Butlers huschte der Hauch eines Lächelns, aber der Teufel starrte gedankenverloren weiter vor sich hin. Azazel hatte seinen Chef noch nie so erlebt und runzelte die Stirn.
»Der Toaster scheint seine Tests gut zu durchlaufen. Es sollte bei der Eröffnung keine Probleme geben.«
Ein »Hm-mh«, das alles bedeuten konnte, war die Antwort.
»Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, irgendwas stimmt in letzter Zeit und besonders heute nicht mit Euch.«
»Wieso, Azazel?«
»Gerade ist eine Seele aus dem Toaster vorbeigeflogen, und Ihr habt nicht einmal gelächelt. Irgendwas scheint Euch auf den Magen geschlagen zu sein.«
»Ich, äh, bin einfach nur noch nicht ganz wach«, sagte der Höllenfürst.
»Dann würde ich den Kaffee empfehlen, Sir.« Er deutete demonstrativ auf die Tasse, die direkt vor seinem Herrn auf dem Tisch stand.
Der reagierte nicht und starrte weiter ins Leere.
Azazel schwirrte um den Tisch herum und schaute ihn prüfend an. »Sir?«
Der Teufel nahm die Tasse, hielt sie in der Hand und starrte auf die andere Seite des Tisches, an der Platz für ein weiteres Gedeck gewesen wäre.
»Sir, es liegt mir fern, Euch unter Druck zu setzen, aber die Zeit drängt etwas, wenn Ihr Euch vor dem Besuch des Aufsichtsrates noch einkleiden und den Rundgang abschließen wollt.«
Der Teufel nickte, hob die Tasse an den Mund und leerte sie in einem Zug. »Natürlich, keine Zeit, einfach mal den Morgen mit der Liebsten zu genießen, stattdessen ruft sofort die Arbeit.«
»Der Liebsten, Sir?«
Der Teufel runzelte die Stirn. »Habe ich von der Liebsten gesprochen? Ich meine einfach nur … also … du musst dich da verhört haben, Azazel.«
»Zweifellos, Sir. Vielleicht zur Sicherheit noch einen Kaffee, Sir?« Azazel hob die Kanne an, bereit, einzugießen.
»Schon gut. Ich denke, ich sollte mich ankleiden. Ich denke, ein schwarz-roter Anzug wäre angebracht.«
Der Butler verzog das Gesicht. »Schwarz-rot. Natürlich, Sir.«
Der Höllenfürst folgte seinem Diener zurück ins Schlafgemach, wo dieser den Schrank öffnete, in dem lauter Kleidungsstücke in Schwarz-Rot hingen.
»Möchtet Ihr lieber den schwarz-roten Anzug mit dem leicht ins Orange gehenden Rot oder lieber den schwarz-roten Anzug mit dem Futter in Burgunder?« Azazel verdrehte die Augen, als er beide Varianten präsentierte, und dem Teufel entging das nicht.
»Möchtest du mir etwas sagen, Azazel?«
»Schwarz-rot ist so Mittelalter.«
Der Teufel hob warnend eine Augenbraue, was den Diener sofort dazu veranlasste, ein Stück nach hinten zu schweben.
»Stellst du meinen Farbgeschmack infrage, Azazel?«
»Ich wollte damit lediglich ausdrücken, dass es durchaus im Bereich des Möglichen läge, auch mal Kleidung in einem anderen Farbton zu besorgen. Vielleicht in einer frischen Farbe.«
»Schwarz-gelb?«
»Ich hatte eher an etwas weniger … Schwarzes gedacht.«
»Dunkelgrau?«
Der Diener verzog das Gesicht. »Das wäre denkbar, aber ein hellerer Farbton stünde Eurer Unholdigkeit vielleicht auch ganz gut zu Gesicht. So etwas wie Mauve vielleicht.«
»Moof?«
Die Mundwinkel des Butlers zuckten. Er sprach es langsam vor. »Mo-we.«
»Was soll das denn für eine Farbe sein?«
»Ein Lilaton, Sir.«
Wieder hob der Teufel eine Augenbraue. »Azazel, ich bin kein Gameshow-Moderator aus den Achtzigerjahren. Ich bin der Teufel. Ich trage keine lila Anzüge.«
»Ich bin mir sicher, dass die Farbe ein Comeback erleben wird.«
Der Teufel sagte nichts, starrte seinen Diener nur an und brummte eine sarkastische Zustimmung.
»Sehr wohl, Sir. Aber vielleicht dürfte ich vorschlagen, zumindest die Umhänge zu … entsorgen. Die sind doch sehr retro.«
»Retro?«
»Niemand trägt heute mehr Umhänge. Es sei denn, man ist Vampir.«
»Azazel, dein Modetick geht mir auf die Nerven. Einen Anzug, bitte!« Der Teufel deutete ungeduldig aufs Bett, damit der Diener die Kleidung ablegte.
»Natürlich, Sir.« Er hängte den etwas dunkleren Anzug weg und legte den anderen auf die Bettdecke. »Ich warte dann im Salon, Sir.«
Mit weiten Schritten lief der Teufel durch eine Straße, in der sich Wohngebäude und das ein oder andere Geschäft abwechselten. Die Gebäude waren krumm und schief und sahen wenig einladend aus, zumal manche von ihnen abenteuerlich übereinandergebaut waren, als wäre es ein brasilianischer Slum. Auch die Pferdekarren und Autos, von denen keines ein Baujahr nach 1920 aufwies, machten den Eindruck, bald auseinanderzufallen. Aber der Höllenfürst nickte wohlwollend, als wäre alles in Ordnung. Azazel flog ihm, so gut es ging, hinterher, allerdings musste er sich ziemlich anstrengen, um mithalten zu können.
Ein paar Dämonen auf der anderen Straßenseite schauten zu ihnen herüber, und der Teufel grüßte freundlich, als sich ihre Blicke trafen. Nicht viele der Dämonen, die ihnen begegneten, waren begeistert, ihren Boss zu sehen, aber ein paar – besonders weibliche – scharten sich um ihn, und er schüttelte brav ein paar Hände, Klauen und was auch immer ihm sonst entgegengestreckt wurde. Aber er blieb nicht stehen, weil er befürchtete, sonst nicht mehr weiterzukommen.
»Herr, ich liebe Euch!«, rief ein weiblicher Dämon und überschüttete ihn mit Liebesbekundungen. Der Teufel erkannte sie nur deshalb als weiblich, weil sie a) von sich selbst in der weiblichen Form sprach und b) die Augenlider geschminkt hatte. Aus ihrer Gestalt war es schwer zu schließen, denn im Grunde war sie nur ein wandelnder, übergroßer Kopf, aus dem fünf Arme wuchsen.
Ein paar andere weibliche Dämonen stimmten ein. Weniger als ein Viertel davon sah ansatzweise menschlich aus. Und auch die, die vielleicht aus der Ferne als Mensch durchgegangen wären, hatten bei genauerer Betrachtung entweder ein überproportionales Problem mit eitrigen Pusteln oder der Anzahl ihrer Extremitäten.
»Entschuldigt mich bitte, ihr Hübschen«, sagte der Teufel. »Ich muss wirklich zu einem dringenden Termin, und ich vermute, ihr habt alle auch viel Arbeit.«
Ein Murren machte sich breit, aber die Fans blieben zurück, als er weiterging. Ein Dämon rief ihm nach, dass er etwas wegen der Überfüllung unternehmen sollte. Das nahm er durchaus zur Kenntnis, wollte aber im Moment nicht darüber reden.
»Das habt Ihr geschickt gemacht, Sir«, sagte Azazel. »Wenn wir stehen bleiben, kommen wir hier nicht mehr weg.«
Der Teufel schaute auf die andere Seite der Straße, wo eine Dämonin, die aussah wie eine Schnecke in einer Schürze, gerade einem anderen Dämon eine kleine Tasche reichte und im anderen Arm einen Kinddämon hielt. Plötzlich fuhren die Augäpfel der Dämonin auf den kleinen Stielen herum und nahmen ihn ins Visier.
»Aaaaaah«, brüllte sie, setzte das Kind ab und rutschte mit überraschender Geschwindigkeit zu ihm herüber. »Der Herr Boss persönlich. Da muss ich mich doch gleich mal beschweren.«
»Vielleicht könnten Sie sich einfach an mein Büro wenden«, sagte der Teufel, aber die Schneckendämonin hatte sich direkt vor ihn positioniert und blockierte den Weg. Sie stemmte die Arme in das, was man mit viel Wohlwollen als Hüften bezeichnen könnte, und plapperte drauflos.
»Mein Mann kommt jeden Tag später nach Hause und hat schon seit Jahrhunderten keine Gehaltserhöhung mehr bekommen. Ich dachte, Sie wollten da Abhilfe schaffen?«
»Natürlich sind wir stets bemüht …«, setzte der Teufel an, aber die Dämonin ließ ihn nicht ausreden.
»Bemüht. Es muss doch mal was gegen diese Flut von Seelen unternommen werden. Mein Mann bringt jetzt schon Arbeit mit nach Hause.«
Sie zeigte auf den Dämon, dem sie die Lunchtasche gegeben hatte – ein übergroßer Torso mit Stummelbeinen, der drei menschliche Seelen an einer Kette hinter sich herzog. Er stand noch auf der anderen Straßenseite, winkte dem Teufel schüchtern zu und entblößte ein Gebiss mit drei Zähnen, als er versuchte zu lächeln.
Der Teufel nickte. »Frau, äh …«
»Knochenbrecher«, sagte die Dämonin. »Kroberta Knochenbrecher. Geborene Mollusca.«
»Roberta, ich darf doch Roberta sagen, oder?«
»Wenn schon, dann Kroberta.« Sie wandte sich um und schrie ihren Mann an. »Krätze, komm doch mal her! Und bring Krakel gleich mit.«
Der Teufel stutzte wegen des Namens. »Liebe … Kroberta, natürlich versuchen wir, die Arbeitsbelastung und Entlohnung so adäquat wie möglich zu halten, aber der anhaltende Strom von menschlichen Seelen, gerade in den letzten 150 Jahren, stellt uns natürlich vor schwierige Aufgaben. Ich versichere dir, dass wir uns bemühen, eine Lösung zu finden. Tatsächlich bin ich gerade auf dem Weg zu einem Treffen mit dem Aufsichtsrat, um genau über dieses Thema zu sprechen.«
»Aber wir brauchen jetzt eine Lösung!«, beharrte sie.
»Und ich habe eigentlich jetzt dieses Meeting«, sagte er und schaute sie scharf an.
»Na gut«, sagte Kroberta und verzog enttäuscht den lippenlosen Mund. »Dann will ich Sie nicht aufhalten.«
Mittlerweile war auch der Mann auf seinen Stummelbeinen zu ihnen herübergewankt.
»Hallo«, sagte der große Torsodämon. »Schön, Sie mal kennenzulernen.«
Der Höllenfürst nickte. »Ich muss nun wirklich …«
Kroberta rutschte aus dem Weg und gesellte sich zu ihrem Mann.
»Falls es mal irgendwo eine andere Stelle gibt«, sagte der Torsodämon schüchtern, »würde ich mich dafür interessieren.«
»Wieso? Was würden Sie denn lieber machen?«, fragte der Teufel.
»Statt Knochenbrechen? Hm … Stricken vielleicht.«
Seine Frau wedelte mit den Armen. »Ach, so ein Scherzkeks, unser Krätze.« Sie wandte sich an ihren Mann. »Du musst jetzt auch los, sonst kommst du zu spät zur Schicht, nicht wahr, Schatz?«
Sie verabschiedete ihn mit einem Kuss, und er wackelte los. Die menschlichen Seelen, die er an der Kette hinter sich herzog, stöhnten bei jedem Schritt, zumal ihre Extremitäten in komischen Winkeln abstanden.
Als der Teufel sich verabschieden wollte, merkte er, dass das Kind seine Schuhe angemalt hatte.
»Ach, Krakel, schmier doch nicht immer alles voll!«, rief die Mutter.
»Schon gut. Ich hoffe, der Aufsichtsrat schaut mir nicht auf die Schuhe. Und vielleicht kann mein Butler das vorher noch putzen.«
Azazel stöhnte.
»Es tut mir wirklich sehr leid«, sagte die Dämonin erneut.
Der Butler und sein Herr schritten weiter die Straße entlang. Der Teufel ließ den Kopf hängen und seufzte ein paarmal tief.
»Sir, ich weiß nicht, was Euch so auf den Magen schlägt, aber ich halte es für eine schlechte Idee, in dieser Stimmung den Termin mit dem Aufsichtsrat wahrzunehmen.«
Der Teufel reagierte nicht.
»Sir, so habe ich Euch noch nie erlebt. Seid Ihr sicher, dass alles in Ordnung ist?«
Der Teufel drehte sich zu ihm um. »Azazel, hast du eigentlich eine Frau?«
Der kleine Dämon setzte kurz einen Flügelschlag aus, weil er von der Frage so überrascht war. »Nein, Sir.«
»Oder einen Mann, falls das deine Neigung sein sollte. Ich meinte einfach nur einen Partner.«
Der kleine Dämon runzelte die Stirn und zog die Nase kraus. »Nein, Sir, ich habe auch keinen Partner.«
»Aber alle anderen scheinen jemanden zu haben, der zu ihnen passt.«
Azazel verdrehte die Augen und wackelte mit dem Kopf.
»Ich wünschte«, sagte der Teufel, »dass auch ich jemanden hätte, mit dem ich das alles hier teilen könnte.«
»Sir, wenn ich eine Frage stellen dürfte?«
»Nur zu, Azazel.«
»Was für Filme genau habt Ihr denn letzte Nacht geschaut?«
»Komödien.«
»Romantische Komödien?«
Der Teufel glich seine Gesichtsfarbe dem Futter seines Jacketts an. Genauer gesagt: Er wurde rot. »Nun ja …«
»Sir, wollt Ihr mir sagen, dass Euch eine Gefährtin, Kameradin, Begleiterin fehlt?« Der Butler schürzte die Lippen.
Der Teufel sah ihn skeptisch an. »Willst du damit sagen, dass ich mich so fühle, weil ich eine Frau brauche?«
»Was sprach denn gegen die leicht bekleidete Dame in Eurem Bett, die ich letzte Nacht entfernen musste? Ihr seid sonst nie so wählerisch gewesen.«
»Die hatte doch gar kein Interesse an mir, Azazel. Die wollte es in der Hölle nur etwas leichter haben und es sich mit Sex erkaufen.«
»Aber hätte das nicht zunächst Eure Gelüste befriedigt?«
Der Teufel schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um Gelüste, Azazel. Dazu hatte ich bereits in der Vergangenheit genug Gelegenheit, falls du dich erinnerst.«
Der kleine Dämon schüttelte sich, als er sich an die ein oder andere Begegnung erinnerte.
»Ich will mehr«, sagte der Teufel. »Eine Frau, die mich versteht, die für mich da ist.«
»Sir, mit Verlaub, Ihr seid der Herr der Hölle. Man erwartet von Euch, dass Ihr promiskuitiv seid. Nehmt Euch doch einfach irgendeine Frau, macht sie eine Zeit lang zu Eurer Begleiterin und nehmt Euch dann die nächste.«
»Ich will aber die eine, die zu mir passt. Ich will, um es mal so salopp auszudrücken, meine Seelenverwandte.«
Azazel flatterte ein Stück nach oben. »Sir?«
»Azazel?«
»Vielleicht solltet Ihr in Zukunft davon Abstand nehmen, romantische Komödien zu schauen. Die bringen Euch auf seltsame Gedanken.«
Der Höllenfürst seufzte.
Sie gingen weiter die Straße entlang. Hin und wieder starrten sie ein paar Dämonen an, aber niemand hielt sie auf.
Der Teufel sah sich die Gebäude an und fragte sich, ob er den Aufsichtsrat bei der Inspektion hier hindurchführen konnte.
»Das hier scheint vorzeigbar«, sagte er. »Es ist einigermaßen aufgeräumt, die Dämonen sind freundlich, und falls die Herrschaften noch etwas von der Folterei sehen wollen, können wir rüber in die Frittenfabrik gehen.«
»Sir, ich bin mir nicht sicher, ob der Aufsichtsrat wirklich an freundlichen Dämonen interessiert ist. Bisher war mein Eindruck immer, dass es ihnen um möglichst effizientes Quälen geht.«
Der Teufel schritt weiter aus. »Die sollen aber ruhig mal sehen, unter welchen Bedingungen die Dämonen hier hausen. Seit Jahrhunderten versuche ich, bessere Arbeits- und Lebensbedingungen durchzusetzen, aber der Chef stellt sich ja taub.«
»Nur der Chef?«, murmelte Azazel, aber der Teufel hatte das nicht gehört.
»Oh, eine neue Ausgabe von Schöner Quälen!« Der Höllenfürst hielt an einem Zeitungsstand an und blätterte durch ein Magazin, während der männliche Dämon, der den Stand betreute, so große Augen machte, dass ihm buchstäblich eines aus dem Schädel fiel. Generell machte der Dämon den Eindruck, als wären seine äußerlichen Merkmale eher lose. Sein rechtes Ohr rutschte ein paar Zentimeter nach unten, während eine Nase gleich gar nicht vorhanden war.
Azazel verzog angewidert das Gesicht, während der Dämon auf dem Boden des Standes nach seinem Auge tastete, und wollte seinen Herrn gerade zum Weitergehen drängen, als ihm eine Ausgabe der Vogue ins Auge fiel. Er griff danach und blätterte sie interessiert durch.
Der Dämon hatte sein Auge wieder in die dafür vorgesehene Höhle gestopft und schnaubte verächtlich, als er seine potenzielle Kundschaft wieder sehen konnte. »Wollt ihr jetzt kieken oder koofen?«
Der Teufel und sein Diener sahen hoch. Schließlich antwortete der Teufel: »Weder noch. Wir müssen weiter. Ich nehme das hier allerdings mit, denn wer, wenn nicht ich, sollte das lesen? Beschwerden bitte an die entsprechende Abteilung.«
Azazel platzierte sein Magazin wieder dort, wo er es hergenommen hatte, der Teufel ignorierte den Verkäufer, als der ihn fragte, welches denn die entsprechende Abteilung sei. So gingen sie weiter, während der Verkäuferdämon ein mürrisches Gesicht machte, was vielleicht auch daran lag, dass sein Unterkiefer wegrutschte.
»Was hast du eigentlich immer mit deinen Modemagazinen?«, fragte der Teufel. »Die Kleider würden doch ohnehin keiner Dämonin passen, oder?«
Azazel seufzte. »Aber wäre es nicht schön, wenn sie es täten?«
Der Teufel zuckte mit den Schultern.
Nach ein paar Minuten kamen sie an ein gut befestigtes Tor in einer Mauer aus Wackersteinen, die wiederum in einem Gebirgszug aus Vulkangestein endete, dessen oberes Ende nicht zu sehen war. Links und rechts gab es jeweils einen Durchgang, bewacht von riesigen Dämonen, die in Richtung Hölle schauten und sicherstellten, dass keine der verdammten Seelen entkam. An den Durchgängen gab es außerdem Abfertigungsschalter, an denen man vorbeimusste, ehe man in die Hölle gelangte.
Der Teufel stellte sich vor das Tor und rief laut: »Torwächter!«
Sie schauten zu ihm. Mit einer kreisenden Handbewegung wies er sie an, das Tor zu öffnen.
Die beiden riesigen Dämonen drehten an Rädern, die das Tor langsam und quietschend hochzogen. Azazel verzog das Gesicht.
»Könnte auch mal wieder etwas Öl vertragen«, sagte der Höllenfürst.
Die Massen von Seelen, die vor dem Tor aufgereiht standen, starrten ihnen entgegen, zum Teil mit angsterfüllten Gesichtern, weil sie befürchteten, etwas Grausiges würde erscheinen, aber sie entspannten sich, als lediglich die untersetzte rot-schwarz gekleidete Gestalt und ihr Helfer auftauchten.
Hier und da gab es Gemurmel. »Ist das etwa der Teufel? Den habe ich mir ja ganz anders vorgestellt.«
Der Teufel atmete tief durch.
Eine der männlichen Seelen sah sich erstaunt um und starrte nicht den Teufel, sondern die anderen Seelen an. »Gibt es hier gar keine Alten? Die sehen ja alle so jung aus.«
In der Tat schienen alle Seelen zwischen 20 und 40 zu sein.
Der Teufel antwortete: »Der Vorteil einer unsterblichen Seele. Hier ist man buchstäblich so jung, wie man sich fühlt. Sie werden aber schon bald sehen, dass Sie unter Umständen sehr schnell sehr alt aussehen können.«
Der Mann ließ den Kopf hängen.
Plötzlich erschien ein gleißendes Licht auf der freien Fläche direkt vor dem Tor, und eine laute Stimme rief: »Betrachtet die Herrlichkeit der Seraphim! Betrachtet die Herrlichkeit der Seraphim! Betrachtet die Herrlichkeit der Seraphim!«
Ein Raunen ging durch die Menge der verdammten Seelen. Hier und dort wurde »Oh« und »Ah« gerufen.
»Der Aufsichtsrat ist pünktlich«, sagte Azazel.
Der Teufel und sein Butler blinzelten, bis das Licht langsam nachließ und drei in Weiß gekleidete Gestalten mit ausgebreiteten Armen zu erkennen waren, deren weiße, gefiederte Flügel nahelegten, dass es sich um Engel handelte. Außerdem hatten alle wallende, blonde Locken, die ihnen bis über die Schultern fielen, und sie waren wunderschön. Der Nachteil war allerdings, dass sie sich so ähnlich sahen, dass man sie kaum auseinanderhalten konnte, bis auf die Tatsache, dass einer von ihnen weiblich war.
Alle drei Engel öffneten ihre Münder, sprachen unisono und in einer Lautstärke, die jeden Stadionlautsprecher neidisch gemacht hätte: »Wir grüßen dich, Luzifer, der Gefallene, Geißel der verbannten Seelen, Herrscher der Dämonen!«
»Mephistopheles oder Mephisto oder ganz einfach nur Mephy reicht mir völlig«, sagte der Teufel. »Luzifer ist schon lange passé und mittlerweile unpassend. Und wenn ihr das mit der Stimme lassen könntet und jeder für sich spricht, wäre das auch hilfreich. So macht ihr nur den Dämonen Angst.«
»So sei es!«, sagten alle drei gleichzeitig.
Der Teufel – Mephy – rollte mit den Augen und murmelte vor sich hin. »Diese verdammten Seraphim brauchen immer den großen Auftritt.«
Der erste Engel trat vor und schüttelte Mephy die Hand.
»Samuel«, sagte Mephy.
Der zweite Engel trat vor und schüttelte ihm die Hand.
»Manuel«, sagte Mephy.
Der dritte Engel, der weibliche, nahm seine Hand und legte sie zwischen ihre Brüste. »Hallo, Al«, hauchte sie.
»Seraphina«, sagte Mephy wenig begeistert und zog die Hand weg, um die Engel mit ausgestrecktem Arm hereinzubitten.
»Ich habe gedacht, wir machen einen kleinen Rundgang, damit ihr euch ein Bild machen könnt, und dann sprechen wir bei mir daheim.«
Samuel trat an ihn heran. »Wir haben leider kaum Zeit und würden lieber gleich mit dem Gespräch beginnen.«
Mephy runzelte die Stirn »Es gibt aber einiges zu bereden. Außerdem, was macht ihr schon großartig, außer Halleluja zu singen und euch gegenseitig mit euren Harfen zu nerven?«
»Diese Diskussion werden wir heute nicht führen, Gefallener«, sagte Manuel.
Mephy grummelte und zeigte ihnen den Weg in ein angrenzendes Gebäude.
»Wenn die Herren etwas wünschen, zögern Sie bitte nicht zu fragen«, sagte Azazel.
Die Engel, die Mephy am Konferenztisch gegenübersaßen, machten alle dieselbe abschätzige Handbewegung, und der Butler zog pikiert davon.
Samuel sprach: »Wir überbringen Nachricht vom Allmächtigen, dem Schöpfer von …«
»Ja, ja, ja, ja«, unterbrach Mephy. »Ich weiß schon, von wem du sprichst. Sag einfach, was er wegen der Massen von Seelen zu tun gedenkt, und lass den Firlefanz weg.«
»Der Herr hat gesprochen, dass sich nichts ändern wird.«
Mephy riss die Augen auf. »Wie bitte? Hat er einen Knall?«
»Mäßige dich, Gefallener!«, sagte Manuel.
»Ach, quatsch nicht, Locke«, sagte Mephy genervt, und der Engel blieb vor Überraschung stumm. »Es gibt immer mehr Menschen und somit auch immer mehr Seelen, die irgendwie verteilt werden müssen. Hätte er damals nicht so komische Regeln aufgestellt, wäre das mit der Verteilung zwischen Himmel und Hölle etwas gerechter. Und ich habe ihm damals schon gesagt, dass wir die Anzahl der Menschen irgendwie begrenzen müssen. Aber hat er auf mich gehört? Natürlich nicht.«
»Willst du etwa sagen, dass der Herr nicht gerecht ist?«, fragte Samuel.
»Ihr habt doch die Massen draußen vor dem Tor gesehen. Und das sind nur die Seelen, die noch nicht offiziell angenommen sind. Meine Dämonen machen Überstunden und müssen zum Teil ihre Arbeit mit nach Hause nehmen. Das kann nicht angehen.«
Seraphina beugte sich vor. »Was hindert die Seelen eigentlich daran, einfach wegzulaufen?«
»Nichts«, sagte der Teufel. »Allerdings ist das Gelände dahinter so angelegt, dass sie nur an einem weiteren Hölleneingangstor herauskommen, wo sie sich wieder anstellen müssen. Sie könnten fliehen, aber sie haben nichts davon.«
»Aber warum dann überhaupt der ganze Aufwand mit den Kontrollen?«, fragte sie und warf ihm einen Blick zu, der wohl verführerisch sein sollte.
»Wir machen das nur, weil es nervig ist. Und für die Buchführung natürlich. Haben wir uns bei der Grenze der alten DDR abgeschaut. Die waren Meister darin, allen einen richtig schlechten Tag zu machen. Abgesehen davon nimmt es ein wenig die Last von den Dämonen, die ohnehin schon mehr arbeiten, als sie sollten. Eine dauerhafte Lösung ist das allerdings nicht.«
»Der Herr hat gesprochen«, sagte Samuel.
»Leute, das kann doch nicht euer Ernst sein«, erwiderte Mephy. »Das sind doch höllische Zustände.«
Die drei Engel sahen sich stirnrunzelnd an.
»Okay«, sagte Mephy, »vielleicht nicht die beste Wortwahl.«
»Machst du dir etwa Sorgen um die Menschen?«, fragte Seraphina.
»Ich mache mir Sorgen um meine Dämonen. Wenn er schon nicht die Anzahl der verdammten Seelen einschränkt, dann sollte er zumindest mal wieder den Werkzeugkoffer rausholen und über eine Erweiterung der Hölle nachdenken.«
»Wir werden ihm das vortragen«, sagte Samuel. »Beim nächsten Treffen des Rates werden wir sein Urteil überbringen.«
Mephy schüttelte den Kopf. »Leute, das letzte Meeting liegt Jahrzehnte zurück, und das mit der Arbeitsbelastung habe ich euch schon vor Jahrhunderten mitgeteilt.«
»Wir. Werden. Ihm. Das. Vortragen«, sagte Samuel noch einmal.
Mephy zog an seinem Kinnbart und presste den Mund zusammen, während die Engel aufstanden.
»Wir wollen noch einen kurzen Blick auf die Folterungen werfen«, sagte Samuel.
»Natürlich wollt ihr das.«
Ein paar Minuten später ließen sich Samuel und Manuel von Azazel durch die Frittenfabrik führen, während Seraphina Mephy am Eingang beiseitenahm.
»Denkst du noch manchmal an uns zurück, Al?«, fragte sie und versuchte, seine Hand zu ergreifen.
Er wich aus. »Ich versuche, es zu vermeiden. Und es wäre schön, wenn du mich nicht mehr Luzifer oder Al nennen würdest. Mephy ist jetzt mein Name.«
»Aber es war doch toll mit uns damals«, sagte sie und wollte ihn umarmen.
»Lass das.« Er löste sich und trat einen Schritt zurück.
Ein paar Dämonen beobachteten das Geschehen, gingen aber schnell wieder ihren Tätigkeiten nach, als er ihnen einen scharfen Blick zuwarf.
»Aber du bist so knuffig, vor allem weil du ein wenig zugelegt hast.« Sie zwickte ihn in die Seite.
»Das ist Kummerspeck! Und fass mich nicht an!«
Sie nahm den Arm weg und sah enttäuscht aus. »Ich bin extra wegen dir in den Aufsichtsrat gegangen. Weil ich dich wiedersehen wollte.«
»Du erzählst mir jedes Mal dasselbe. Und auch ich kann mich nur wiederholen: Es erinnert mich daran, wie sehr du mich gekränkt hast. Dass die anderen Engel einen Rückzieher gemacht haben, kann ich noch verstehen, auch wenn sie in meinen Augen rückgratloses Federvieh sind. Dass du mir aber in den Rücken gefallen bist, war eine schlimmere Strafe, als zum Höllenfürsten zu werden.«
Mephy verabschiedete die Engel am Höllentor. Seraphina warf ihm noch einen Kuss zu, den er spielerisch fing und dann so tat, als würde er ihn auf dem Boden zertreten. Seine Stimmung war nicht die beste, als sie wieder zurück waren und er sich in den Sessel fallen ließ.
»Sir, ich fürchte, es ist noch etwas früh dafür, aber möchtet Ihr ein stark alkoholhaltiges Getränk?«
»Nein, ich will ein richtiges Leben und nicht … das hier«, sagte Mephy, ohne nachzudenken.
Der kleine Dämon spitzte die Lippen. »Sir, Ihr wirkt heute seltsam überfordert. Ich verstehe, dass Euch der Besuch von Seraphina auf den Magen schlägt, aber das ist es nicht allein, oder?«
Der Teufel sah ihn kurz an und verzog das Gesicht. Vielleicht war es nicht die beste Idee, vor seinem Diener, einem der Höllenschergen, zu bekennen, dass ihm die Herrschaft über die Hölle nicht mehr sehr behagte. Aber das war eigentlich auch nicht das Hauptproblem.
»Seraphina zu treffen, hat mich nur daran erinnert, wie schön es ist, geliebt zu werden.«
»Aber, Sir …«
»Ja, im Endeffekt hat sie sich als unzuverlässiges Biest erwiesen. Ich weiß, ich weiß.«
Der Butler nickte zustimmend.
»Trotzdem weiß ich noch, wie ich mich damals gefühlt habe. Welches Gefühl mir ihre Liebe gegeben hat. Und ich bin mir sicher, dass sie mich geliebt hat. Und es war uneigennützig, ganz im Gegensatz zu den Frauen, die sich mir hier sonst an den Hals werfen.«
»Was ist mit Euren dämonischen Fans, Sir? Wäre darunter vielleicht …«
»Ernsthaft, Azazel? Würdest du eine Frau haben wollen, die wie eine Schnecke aussieht? Also buchstäblich?«
»Na ja, es wäre immerhin …«, murmelte der Butler.
»Nein, natürlich willst du das nicht.« Mephy sprang auf und schritt durch den Raum.
»Sehr wohl, Sir.«
Der Teufel zog sich am Kinnbart.
»Sir«, sagte sein Butler, »wenn es nicht die Menschen hier in der Hölle oder eine der Dämoninnen sein soll, wie ist dann dieses Problem zu lösen?«
Mephy hielt inne. »Ich gehe auf die Erde und werde mir da eine Frau suchen!«
»Aber, Sir, wie stellt Ihr Euch das vor?«
»Ich muss natürlich vorher erst den Chef fragen. Aber nachdem er wieder keine Höllenerweiterung vornehmen will, habe ich was gut bei ihm.«
»Soll ich einen Termin machen, Sir?«
»Nein, ich werde einfach direkt zu ihm gehen.« Der Höllenfürst atmete tief durch, denn es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass er ihm wieder gegenüberstehen würde.
Die Fahrstuhltüren öffneten sich lautlos und gaben den Blick frei auf den marmorverkleideten Gang. Mephy schüttelte leicht den Kopf, denn er hatte noch nie recht verstanden, warum der Chef ausgerechnet Statuen von anderen Gottheiten den Gang säumen ließ. Er vermutete, dass es seinem Ego zu schulden war, immerhin hatten alle Völker irgendwie versucht, ihre Welt mit den Handlungen von Göttern zu erklären, während der echte Chef lieber irgendwo Golf spielte, als sich um ihre Belange zu scheren.
Links und rechts wechselten sich griechische Götter mit indischen, römischen, japanischen und nordischen Gottheiten ab. Jedes Abbild zeigte eine Szene aus der jeweiligen Sagenwelt. Und da sie mannigfaltige Geschichten enthielten, war die Sammlung entsprechend groß. Platz war nicht das Problem, denn der Gang, der zum Empfangstisch des Chefs führte, war so lang, dass man mit dem Auge kaum besagten Tisch erkennen konnte.
Mephy seufzte, murmelte etwas von »Kein Frühstück gehabt«, obwohl ihm sein Diener natürlich eines gemacht hatte, was er aber in der Hektik des Morgens vergessen hatte zu essen. Er richtete die rote Krawatte über dem schwarzen Hemd, zog den Anzug glatt und machte sich auf den Weg.
Die Statuen waren nicht nur nach Mythologie geordnet, sie waren auch nach Thema sortiert, wobei die Bereiche »Krieg« besonders umfangreich waren. Aber ihm fiel auf, dass auch der Liebe viel Raum beigemessen wurde. Vor der Statue von Amor und Psyche blieb er einen Moment stehen, allerdings nicht nur, um das Werk zu bestaunen, sondern auch, weil er außer Puste war. Als er sah, wie die weibliche Psyche ihren Liebhaber Amor ansah, kam er nicht umhin, sich zu wünschen, auch mal so von jemandem angeschaut zu werden. Dann seufzte er und ging weiter den Gang entlang.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er am Ende an und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Hallo, Petrus, der Chef könnte wirklich mal ein Rollband für den Gang aus einem Stück Lehm oder vielleicht besser Eisen machen.«
»Petra, wenn’s recht ist«, sagte die Person mit dem wallenden Haar hinter dem Tresen.
Mephy verengte die Augen zu Schlitzen. »Äh, Entschuldigung. Kennen wir uns?«
Petra schaute genervt unter ihrer Haarpracht hervor, die ein wenig an Farrah Fawcetts Dauerwelle erinnerte. »Ich bin’s. Petrus. Nur möchte ich ab jetzt Petra genannt werden. Aus offensichtlichen Gründen.«
Der Teufel klappte den Mund auf und zu und brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. »Ich, äh … entschuldige … aber was … was ist mit dir passiert?«
Petra schaute so, wie man eben schaut, wenn man eine Frage schon zig Male gehört hat. Sie atmete tief durch und sprach dann ruhig: »Ich bin Transgender. Und weil ich es satthatte, immer im falschen Körper herumzulaufen, habe ich mich eben entschlossen, etwas daran zu ändern.«
Mephy nickte. »Okay. Schön für dich. Glückwunsch oder so?«
»Ja, danke«, sagte Petra kurz angebunden und schaute, als würde er ihr nur die Zeit rauben. »Also, was willst du hier? Und mach es bitte kurz.«
»So viel zu tun?«, fragte Mephy und schaute den leeren Gang hinunter.
»Was willst du?«
»Ich warte auf den Bus«, sagte er, aber Petras Miene blieb steinern. »Na, was glaubst du, was ich will? Natürlich will ich zum Chef.«
»Hast du einen Termin?«
»Nein, aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich der Teufel bin, habe ich gedacht, dass er ein offenes Ohr für mich hätte.«
»Er ist sehr beschäftigt.«
»Ja, sicher«, sagte Mephy sarkastisch.
Petra verzog keine Miene.
»Schlimmen Morgen gehabt?«
»Es gibt hier keinen Morgen, das weißt du doch.«
»Ich meine ja auch nur im übertragenen Sinn.«
Petra rührte sich nicht.
»Kannst du vielleicht mal nachfragen, ob er sich kurz mit mir zusammensetzen will oder nicht?« Langsam war er von Petras Attitüde genervt.
»Wie ich schon sagte, er ist sehr beschäftigt.«
Mephy atmete tief durch. »Wie ich ihn kenne, spielt er gerade Golf oder denkt sich neue Krankheiten aus. Also nichts, was nicht etwas warten kann, zumal sein wichtigster Mitarbeiter um ein Gespräch bittet.«
Petra fing an, laut zu lachen. »Sein wichtigster Mitarbeiter, hahahaha!«
Der Teufel wartete geduldig, bis sie sich beruhigt und eine Träne aus dem Augenwinkel gewischt hatte.
»Wenn du noch zu den himmlischen Heerscharen gehören würdest, vielleicht«, sagte Petra.
»Ja? Was machen die denn schon großartig?«
»Gottes Aufträge ausführen, natürlich. Pfft.«
»Und was meinst du, was ich mache?«
»Du sitzt in der Hölle rum.«
Mephy stützte sich auf die Empfangstheke und starrte Petra unbewegt in die Augen. »Ich bin der Hauptverantwortliche für die Bestrafung und Läuterung von 98 Prozent der menschlichen Seelen, habe mehrere Hunderttausend Mitarbeiter unter mir, circa 100 Milliarden verdammte Seelen zu bewirtschaften und habe das Ganze über 2000 Jahre lang ohne größere Zwischenfälle geschafft. Und du willst mir erzählen, dass die himmlischen Heerscharen, die mit ihren Harfen durch die Gegend fliegen und Halleluja singen, wichtiger sind als ich?«
Petra schluckte.
Der Teufel lächelte. »Mit anderen Worten: Ich will einen Termin. Jetzt. Sofort.«
»Dir ist klar, dass er sehr ungern gestört wird, oder?«
»Du kannst dich sicher noch daran erinnern, dass ich vermutlich derjenige bin, der am ehesten weiß, was er gut findet und was nicht.«