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Eine 25-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Gehalt? Das kann doch gar nicht gehen. Doch! Der Unternehmer Lasse Rheingans wagte das Experiment. Und blieb nach einer Testphase dauerhaft bei dem Modell. Denn das überraschende wie überzeugende Ergebnis war eine höhere Produktivität in kürzerer Zeit sowie begeisterte und kreativere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Rheingans erklärt, warum der 5-Stunden-Tag zukunftsweisend ist, aber auch wo die Fallstricke liegen. Wie überzeugt man beispielsweise die Kunden, die eine ständige Erreichbarkeit einfordern, und wie lässt sich der Austausch der Kollegen sichern, wenn keine Zeit mehr für den kurzen Schwatz bleibt? Rheingans hat viele Hürden überwinden müssen. Und ist heute mehr denn je überzeugt: Wenn wir auch in Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen wir Arbeit komplett neu denken.
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Seitenzahl: 235
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Lasse Rheingans
DIE 5-STUNDEN-REVOLUTION
Wer Erfolg will, muss Arbeit neu denken
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Eine 25-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Gehalt? Das kann doch gar nicht gehen. Doch! Der Unternehmer Lasse Rheingans wagte das Experiment. Und blieb nach einer Testphase dauerhaft bei dem Modell. Denn das überraschende wie überzeugende Ergebnis war eine höhere Produktivität in kürzerer Zeit sowie begeisterte und kreativere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Rheingans erklärt, warum der 5-Stunden-Tag zukunftsweisend ist, aber auch wo die Fallstricke liegen. Wie überzeugt man beispielsweise die Kunden, die eine ständige Erreichbarkeit einfordern, und wie lässt sich der Austausch der Kollegen sichern, wenn keine Zeit mehr für den kurzen Schwatz bleibt? Rheingans hat viele Hürden überwinden müssen. Und ist heute mehr denn je überzeugt: Wenn wir auch in Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen wir Arbeit komplett neu denken.
Vita
Lasse Rheingans, Jahrgang 1980 und gebürtiger Bielefelder, studierte in München und Byron Bay, bis er zurück an der Universität Bielefeld seinen Master of Science in »Interdisziplinärer Medienwissenschaft« abschloss.
Nach verschiedenen Stationen in der Digitalwirtschaft sowohl als Berater als auch als Agenturinhaber gründete er im Sommer 2017 die Rheingans GmbH, mit der er als »Rheingans Digital Enabler« im November 2017 den Fünf-Stunden-Tag einführte.
Mit seinem neuen Konzept von New Work gewann er nicht nur den 2. Platz des Chefsache Awards für Chancengleichheit in Unternehmen, sondern im Frühjahr 2019 noch den 1. Platz des XING New Work Award. Er ist gefragter Experte, wenn es um Kulturwandel, Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit geht.
Einblick
Darum geht’s in diesem Buch
Warum wir weniger arbeiten und trotzdem mehr leisten können
Die 25-Stunden-Woche ist eine gute Idee – aber meine war es nicht
Wie ich auf die revolutionäre Idee gekommen bin
Wie ich die Idee in Richtung Win-win weitergedacht habe
Kapitel 1Was das Wir davon hat, wenn das Ich gewinnt
Wie ich auf die Idee der 25-Stunden-Woche gekommen bin
There is always an alternative
Nehmen wir uns ein Beispiel an den Aussies
Wer zwingt uns eigentlich, zwischen »mehr Geld« und »mehr Zeit« zu wählen?
Wie mich TINA im Alltag wieder eingeholt hat
Ich drohte zwischen der Firma und dem Wunsch nach mehr Familienleben zerrieben zu werden
Das schlechte Gewissen war mein Dauerbegleiter
Irgendwann war das Maß voll
Warum ist die Work-Life-Balance eigentlich alleinige Sache von Mitarbeitern?
Gescheitert? Ja. Am Boden? Nein.
Von der Vision zur Strategie und weiter zur Vision 2.0: Was Sie in diesem Buch erwartet
Warum ich dieses Buch geschrieben habe und was ich damit erreichen will
Kapitel 2Unsere Arbeit
Was sie war. Was sie ist. Und was sie bald sein wird.
Am Arbeitsplatz zu sein und seine Arbeit zu tun sind zwei verschiedene Dinge
Leistung an Zeit und Ort zu binden, befriedigt nur das Kontrollbedürfnis der Chefs
Ein Tabuthema: Auf das Dilemma zwischen Zeit und Geld aufmerksam zu machen, kostet Wohlwollen
Arbeit heute verlangt von den Menschen viel mehr als früher
Warum wir bei »Arbeit« immer »Zeit« mitdenken
Die Arbeitsleistung an die Arbeitszeit zu koppeln, zeugt von einem Denkfehler
Neue Technologien setzen sich immer schneller durch
Die Kommunikation wird mobil
Das Internet und seine Zugangsgeräte revolutionieren die Arbeitswelt
Wieso brauchen wir Arbeitsplätze, da wir doch den Computer ständig dabei haben?
Die Trennung von Arbeits- und Privatleben hat sich längst aufgelöst
Wenn wir nichts ändern, verheizen wir unser Kreativpotenzial
Die Digitalisierung wird keinen Stein auf dem anderen lassen. Wetten?
Immer mehr Mitarbeiter versinken in der inneren Emigration. Holen Sie sie da raus!
Fachkräfte fehlen jetzt schon überall – und morgen wird es richtig eng
Wenn Arbeit anders organisiert wird, können Mensch und Maschine unschlagbar Verbündete werden
Die Erfahrungen mit Teilzeit weisen den Weg zur Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich
Verkürzte Arbeitszeit ist ein Riesenvorteil beim Recruiting – aber nicht nur da
Die Zukunft der Arbeit: effizient, flexibel, individuell
Warum wir schneller werden müssen, ohne auszubrennen
Mobile Organisation orientiert sich am Mitarbeiter
Warum sich Führung ändern muss
Wie Unternehmen effizienter, flexibler und individueller werden
Geht uns wirklich die Arbeit aus?
Die 25-Stunden-Woche ist eine Überlebensstrategie für Mensch und Gesellschaft
Was passiert, wenn nichts passiert?
Die 25-Stunden-Woche hat nichts mit der Gen Y zu tun
Kapitel 3Wie wir arbeiten wollen
Weg mit den alten Zöpfen: Sinnvoll, flexibel und effizient soll unsere Arbeit sein
Für die Generation Y ist die Welt ein einziges Dorf geworden
Immer höher, schneller, weiter … und wir müssen mit
Die Digitalisierung hat uns Tempo gebracht – und den vermeintlichen Zwang, mitrennen zu müssen
Wer vom globalen Zeitgewinn profitiert und wer darunter leidet
Ob wir uns angetrieben fühlen oder selbst antreiben – der Stress wird nicht weniger
Etwas zu verstehen heißt nicht unbedingt, es zu begrüßen
Hat das etwa jemand noch nicht gemerkt? Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht.
Hört endlich auf, die Jungen anzuschleimen. Gebt ihnen doch einfach, was sie haben wollen: Zeit.
Ein Blick in den Spiegel: Was ich über die Generation Y gelernt habe
Zwischen der jungen Generation und ihren Vorgängern liegen Welten
Die meisten jungen Paare wollen sich die Familienarbeit teilen. Dafür brauchen sie Zeit.
In den Medien kommt meine Generation groß raus. Und wann in der Wirtschaft?
Bald geht die Generation Z an den Start. Und die ist ganz anders. Bis auf ihren Wunsch nach mehr Zeit für sich …
Was uns Menschen glücklich macht (– nicht unser Job!)
Wie geht man mit den Digital Natives um?
Im Körper eingebautes WLAN – das wäre etwas
Die 25-Stunden-Woche kommt den Generationen Y und Z unglaublich entgegen
Statt die Jungen zwischen Zeit oder Geld wählen zu lassen, sollte man ihnen beides geben
Kapitel 4Das Experiment
Wie wir uns aufgemacht haben, in fünf Stunden das zu schaffen, wofür andere acht Stunden brauchen
September 2017
Das erste Meeting: »Auf gute Zusammenarbeit!«
Oktober 2017
Zwölf Menschen sind ein Team: Wer wir sind und was wir tun
Same Procedure as last Year
»Ich würde gern. Aber ich kann nicht.«
Das war nicht der Plan
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Die Reaktion der Arbeitsrechtler haute mich um
Es wird ernst
Zeitfressende Ablenkungen haben im Fünf-Stunden-Tag keinen Platz
Ohne das Commitment jedes einzelnen Mitarbeiters geht es nicht
Und wenn es nicht funktioniert? Wenn das Experiment schiefgeht?
Wir alle mussten die Neuerung erst mal sacken lassen und verarbeiten
November 2017
Mit »Handy aus« und »keine privaten E-Mails« ist es nicht getan
Erste Erkenntnisse – und dann ein Schreck
Dezember 2017
Unser Experiment macht Schlagzeilen – und was für welche
Wir werden berühmt – und mit Bewerbungen überschüttet
Januar 2018
Anhaltender Ansturm von Tausendsassas aller Provenienzen
Februar 2018
Mai 2018
Ein Workshop zeigt uns, welche Krisen wir durchlaufen und überstanden hatten
An Krisen kann man scheitern – oder daraus lernen
Sommer 2018
Oktober 2018
Faszinierend: Der Wunsch, Zeitfresser zu eliminieren, dehnt sich auf das Privatleben aus
November 2018
Einblicke führen zu Einsichten und, im besten Fall, zu Veränderungen
Dezember 2018
Januar 2019
Mein Zwischenfazit nach 15 minus drei Monaten mit dem Fünf-Stunden-Tag
März 2019
Kapitel 5Wie es funktioniert
Unter welchen Bedingungen Unternehmen und Mitarbeiter vom Fünf-Stunden-Arbeitstag profitieren
Wir müssen uns auf Neues einlassen, denn weitermachen wie bisher ist keine Option
Der Fünf-Stunden-Tag ist nicht überall machbar – aber in kreativen Branchen ganz bestimmt
Lassen Sie Ihre Leute selbst nach Zeitfressern suchen. Wetten, sie werden rasch fündig?
Der Fünf-Stunden-Tag verlangt nicht nur Veränderungen bei uns selbst, sondern auch bei den Arbeitsabläufen
Setzen Sie Ihren Mitarbeitern nicht die Pistole auf die Brust. Wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht.
Weitere Funktionsbedingungen für den Fünf-Stunden-Tag
Was beim Fünf-Stunden-Tag wegfallen darf und was auf gar keinen Fall
Nur die Arbeitszeit zu verändern, reicht nicht aus. Auch die Arbeitsweisen müssen auf den Prüfstand.
Der Fünf-Stunden-Tag ist ohne agile Arbeit nicht durchführbar
Und was ist, wenn die Aufträge wegbleiben? Ist der Fünf-Stunden-Tag nicht nur ein Schönwettermodell?
Kapitel 6Andere Länder
Wo der Fünf-Stunden-Tag gelungen und wo das Modell gescheitert ist
40 Prozent mehr Produktivität: Tower Paddle Boards
Warum das Modell bei Tower Paddle Boards funktioniert
Welche Lehren Aarstol aus dem Fünf-Stunden-Tag zieht
Die Vier-Tage-Woche als Alternative: Perpetual Guardian
Die Lehren aus dem Modell
Ein Autohaus in Schweden reüssiert mit dem Sechs-Stunden-Tag – und ein Altenzentrum scheitert
Lehren aus den Erfahrungen im Svartedalen Äldrecentrum
Und in Deutschland?
Kapitel 7Ausblick
Der Fünf-Stunden-Tag ist nicht genug. Fünf weitere Ideen für die Zukunft
Die Hierarchie aufbrechen
Arbeit muss nicht länger an Ort und Zeit geknüpft sein
Weg mit dem Herrschaftswissen
Chancengleichheit und Diversity
Digitalisierung gestalten – und nutzen
Dank
Wer aus der deutschen Provinz zum Studium nach München geht, lernt im Handumdrehen zwei Dinge. Erstens: Das Leben in der Stadt ist teuer. Um halbwegs über die Runden zu kommen, muss man sich mindestens einen, besser zwei Jobs suchen. Zweitens: Wenn man sein Studium ernsthaft betreibt und nebenbei arbeiten geht, hat man kaum Zeit, das verdiente Geld auszugeben. Hobbys nachzugehen und sich ausgiebig mit Freunden zu treffen, kann man vergessen. Entweder hat man Zeit – dann hat man kein Geld. Oder man hat Geld – dann hat man keine Zeit. Das ist das grundlegende Dilemma unserer Zeit. Ich bekam eine Ahnung davon, als ich gerade zwanzig Jahre alt war.
Wenn Prüfungen in der Uni anstanden, war es ähnlich: Dann musste ich tagelang lernen und meinen Freunden absagen. Wenn es ruhiger zuging und sie mich aufforderten, irgendwas Cooles zu unternehmen, dann arbeitete ich meist bei der Messe München, um meine Wohnung bezahlen zu können. Okay, der Job hat Spaß gemacht. Und er brachte Geld. Dafür kostete er Freizeit. Deshalb stand am Ende der Rechnung immer plus minus Null.
Unglücklich war ich nicht. Aber auch nicht durch und durch heiter. Zu einem glücklichen Leben fehlte mir etwas, von dem ich gar nicht sagen konnte, was es war. Ich dachte nur: »Das kann es doch nicht sein.« Dass ich mich womöglich in den nächsten sechzig Jahren immer wieder zwischen diesen zwei Übeln würde entscheiden müssen, nämlich zwischen »kein Geld« und »keine Zeit« haben, wurde mir erst später klar. Da hatte ich meinen Studienplatz in München schon gegen einen in Byron Bay, New South Wales, eingetauscht. Und erst dort, am östlichsten Zipfel Australiens, das heißt quer durch die Erdkugel ziemlich genau gegenüber von München, begriff ich, dass der vermeintliche Fehler gar nicht im System, sondern in meinem Blick darauf steckte:
Schließlich könnte ich, wenn mich das TINA-Prinzip (There Is No Alternative) auf die Wahl zwischen mehr Geld und mehr Zeit festnageln will, schlicht und einfach »Nein« sagen. Ich könnte einen Kompromiss suchen. Ich könnte mich bei beiden Zielen mit Weniger bescheiden.
Von wegen TINA – es gibt immer eine Alternative. Man muss sie nur wählen wollen. Anders ausgedrückt: Wenn man sich nicht wohlfühlt, dann muss man etwas ändern. Der Psychologe Jens Corssen hat es in seinem Buch Der Selbstentwickler so formuliert: »Wo ich bin, will ich sein.« Umgekehrt bedeutet das: Wenn ich dort, wo ich bin, nicht sein will, dann muss ich mich anderswo hinbewegen. Zum Beispiel raus aus einem vorgeblichen Sachzwang. Oder wie ich: Aus meinem Münchner Alltag zwischen Lernen und Geldverdienen auf die andere Hälfte der Erdkugel, und wenn es vorerst auch nur für eine neue Perspektive war. Meine damalige Freundin konnte ich sogar davon überzeugen, mich zu begleiten. Wie gesagt: Es gibt immer eine Alternative.
Viele Menschen begnügen sich mit einer weniger einträglichen Arbeit, wenn sie dafür mehr Zeit für sich und ihre (Vor-)Lieben haben. Sie ignorieren bewusst die Zielvorgabe unseres Wirtschaftssystems: »Beschaffe Dir (auf legale Weise) so viel Geld wie möglich« und leben im Einklang mit ihrer höchstpersönlichen Work-Life-Balance. Ihr Lebensmotto lautet: »Was ich habe, genügt mir. Mehr Stress als nötig will ich nicht.« Die Amerikaner haben für diese Einstellung den Begriff »Downshifting« erfunden. Ich finde, das trifft es nicht ganz. Denn wieso sollte es hinunter (down) gehen, wenn ich mich über vermeintliche Zwänge hinwegsetze? Und allein beim Gedanken an Downshifting höre ich eine innere Stimme, die mahnt: Und was ist mit der Rente? Es müsste also auch eine andere Möglichkeit geben.
Für mich, den Zwanzigjährigen, war das ein genialer Geistesblitz. Doch vor mir sind schon andere darauf gekommen.
In Australien zum Beispiel habe ich eine andere Haltung erlebt. Sie zieht sich durch die gesamte Arbeitskultur in Down Under, und wer sie einmal erlebt hat, der reiht sich nur mit viel Mühe wieder ein in unsere europäische Plackereikultur, die angeblich vom Geist der protestantischen Ethik geprägt ist. Bis auf die andere Seite der Welt hat der es nie geschafft. Was ich gar nicht so schlecht finde.
Australier, die meisten jedenfalls, haben nicht solche Eile wie wir. Sie haben nicht diese Bissigkeit, diese Versessenheit. Die Aussies sind auf der Arbeit weitaus lockerer und menschlicher als wir – was sicherlich nicht heißt, dass sie fünfe gerade sein lassen und über Fehler hinwegsehen. Sie haben nur eine völlig andere Beziehung zu ihrem Job als wir in Deutschland. Die Menschen dort leben nicht für die Arbeit, sondern arbeiten, um zu leben, laid back, take it easy. Sie gehen das Arbeitsleben entspannter an als wir. Wer an der Küste lebt, schlendert zum Beispiel oft noch vor der Arbeit an den Strand zum Surfen. Schule und Job beginnen in Australien erst um neun Uhr. Easy going, mate.
Weil sich die Menschen dort nicht für den Job zerreißen, heißt das nicht, dass sie deshalb am Hungertuch nagen müssen oder schlechte Arbeit machen. Die Insel gehört weder zur Dritten Welt noch schrammt sie ständig an der Staatspleite entlang noch leiden ihre Bewohner an kollektiver Depression. Im Gegenteil: Seit 26 Jahren wächst die Wirtschaft, und die Menschen fühlen sich Umfragen zufolge mehrheitlich wohl. Natürlich haben manche Australier auch das Gefühl, dass sie zu wenig von beidem haben. Zu wenig Geld und zu wenig Zeit. Kompromisse machen nicht jeden richtig glücklich.
Ich aber war in Australien richtig glücklich. Ich hatte meinen Kompromiss für mich gefunden. Ich arbeitete intensiv und hochkonzentriert, wenn ich Geld brauchte, und wenn ich damit hinkam, dann legte ich Pausen ein und traf Freunde, trieb mich am Strand herum oder lernte für die Uni. Ich habe mich dem australischen Lifestyle gut und gerne angepasst. Mit meinen Arbeitsergebnissen damals habe ich trotzdem einen Preis gewonnen, was zeigte: Es geht doch. Zwischendurch, während ich mich in Byron Bay auf meinen Bachelor im Fach Medienproduktion vorbereitete, kaute ich immer mal wieder auf meinem mir revolutionär dünkenden Gedanken herum.
Der ging etwa so: Statt sich dem Entscheidungsdruck »Geld oder Zeit« zu unterwerfen oder irgendwo dazwischen sein persönliches Optimum anzusiedeln und anzustreben, müsste man die Zwickmühle an sich in Frage stellen. Man könnte sich zum Beispiel fragen: Wer zwingt uns eigentlich zur Wahl zwischen den Antipoden »mehr Zeit« oder »mehr Geld« oder irgendetwas dazwischen? Wer schreibt uns vor, dass wir uns für ein Ziel entscheiden müssen? Ich weiß, es klingt verrückt. Aber wäre es nicht möglich, beides gleichzeitig zu haben? Mehr freie Zeit und mehr Geld – zumindest nicht viel weniger Geld. Wenigstens versuchen könnte man doch, beides gleichzeitig zu erreichen.
In Australien ist mir besonders klar geworden, wie wichtig es ist, mich vom Ziel »Geld verdienen« nie so sehr in den Bann ziehen zu lassen, dass die Beziehung zu meiner Freundin und unser künftiges Familienleben an Zeitmangel eingehen würden. Eigentlich habe ich mich noch nie besonders an Geld festgehalten. Dankenswerterweise wurde mir das so von meiner Familie vorgelebt.
Im Herbst 2004 bin ich mit meiner damals zukünftigen Frau nach Bielefeld zurückgegangen und habe mich für das Masterprogramm in interdisziplinärer Medienwissenschaft an der Uni Bielefeld eingeschrieben. Nebenbei habe ich immer wieder Arbeitsphasen eingelegt; Hier eine Webseite umgesetzt, kleinere Unternehmen beraten, dort ein Stück Software entwickelt. Das Geld, das ich damit verdient habe, habe ich für meinen Lebensunterhalt verwendet und das, was davon übrigblieb, freitagabends zusammen mit Freunden auf den Kopf gehauen. Für eine Zeitlang war ich erneut dem Zielkonflikt »mehr Geld« oder »mehr Zeit« ausgewichen. Geld habe ich so viel verdient, wie nötig war, um die Zeit für Beziehung oder Freunde in vollen Zügen genießen zu können. Ich lebte ein Leben, wie es heute als Freelancer-Ideal gepriesen und zehntausendfach gelebt wird. Ende 2006 hatte ich den Masterabschluss in der Tasche. Ich fühlte mich frei und selbstbestimmt. Und ich dachte: »So kann es weitergehen.«
Im Frühjahr darauf gründete ich gemeinsam mit einem Bekannten eine Agentur für technische Dienstleistungen. Anfangs fühlte sich das genau richtig an. Mein Kompagnon war Betriebswirt, ich Medienwissenschaftler mit Schwerpunkt Texttechnologie und Informatik. Aus der Entfernung betrachtet war das eine gute Kombination: Er war in seinem vorigen Job Controller in einem mittelständischen Unternehmen gewesen, ich derjenige mit dem benötigten fachlichen Background. Während ich als kreativer Problemlöser technische Herausforderungen schnell erfassen und ihnen begegnen konnte, wie ich es als Einzelkämpfer auch schon einige Jahre gemacht hatte, war er der ruhigere von uns und kümmerte sich um Finanzen, Vertragswesen und Organisation.
Neben meinem Einsatz im Projektgeschäft spielte ich meine Stärken beim Netzwerken aus, sowohl in der Kunden- als auch in der Mitarbeitergewinnung. Aufgrund meiner verschiedenen Stationen in der Branche brachte ich neben der beruflichen Erfahrung ein großes Netzwerk ein, das uns nicht nur schnell immer größere Projekte, sondern auch freie oder feste Mitarbeiter zuspielte.
Um darüber hinaus in der schnelllebigen Software- und Webentwicklung auf dem Laufenden zu bleiben, tauschte ich mich mit anderen Agenturinhabern und -mitarbeitern der Region aus, besuchte Konferenzen und lokale Treffen, las relevante Magazine und Blogs. Zum Netzwerken gehörten natürlich auch alle sozialen Medien – teilweise waren das Plattformen, die heute schon wieder in Vergessenheit geraten sind. Für mich war klar: Es gab in jedem Fall immer mehr zu tun, als Zeit da war.
Meine Aufgaben und Arbeitsweisen und die meines Kollegen waren grundverschieden, und, wie sich immer wieder herausstellen sollte, ebenso unser Verständnis von Arbeit, Zielen und Prioritäten. Für mich war organisches Wachstum okay. Wichtiger war mir, sinnstiftend in einem positiven Umfeld zu arbeiten, in dem es meinen Kollegen und mir gutgeht und wir hochwertige Arbeit für Kunden leisten, die uns genauso wertschätzen wie wir sie. Für meinen Partner hingegen stand fest, dass wir schnell groß werden müssen und, so hoffte er, »hoffentlich bald über fünfzig Mitarbeiter haben.«
Ungeachtet der unterschiedlichen Einsatzgebiete und Herangehensweisen standen wir beide unter einem enormen Arbeitsdruck. Für mich war die Belastung sogar eine doppelte, denn ich hatte gleich zwei Mal gegründet: erst die Firma und dann eine Familie. Beides war mir gleichermaßen ernst und wichtig. Und weil ich dachte, als Unternehmer müsse man 150 Prozent geben, legte ich meine australische Lässigkeit nach und nach ab und landete unversehens in TINAs Laufrad.
Wir arbeiteten hart, um die Firma ans Laufen zu bringen und im Lauf zu halten. Jeder auf seine Art. Ich hatte nicht das Gefühl, neben der Familie und dem Aufbau der Firma viel Zeit für mich zu haben. Wenn ich mir Muße für persönliche Themen nahm, kam sofort ein schlechtes Gewissen hoch und bremste mich aus. An Australien dachte ich häufig. Im Sinne von schöner Erinnerung an ein Leben, dass einem Unternehmer »natürlich« verwehrt war. Mein Vorsatz, den Rhythmus meines Lebens selbst zu bestimmen, war ein Stück weit vom Tisch. Ich war Ende zwanzig und dachte allen Ernstes, das müsse so sein, wenn ich erfolgreich ein Unternehmen starten wollte. Gut, in Australien hatte ich gesehen, dass es auch anders gehen konnte. Aber nun war ich zurück in der TINA-Zwickmühle. Ohne dass ich es bemerkt hatte.
Meine Antwort auf die Frage, wie es mir gehe, schwankte je nach Tagesform zwischen »Ganz okay« und »Muss ja.«
Ich schätzte mich zwar glücklich, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Denn ich liebe meine Arbeit. Ich brenne für sie und bin fasziniert von all den Möglichkeiten, die die Ergebnisse unserer Arbeit unseren Kunden eröffnen. Nur war für mich das Korsett, das ich dabei tragen musste, nicht geeignet. Das schlug auf meine Laune. Der Zwang stand einer guten Balance im Weg. Und ich merkte immer wieder, wie notwendig dieses Gleichgewicht für mich war, um die Qualität der Arbeit abzuliefern, die ich von mir selbst erwartete.