Die aberwitzige Reise eines betrunkenen Elefanten - Gerald Durrell - E-Book

Die aberwitzige Reise eines betrunkenen Elefanten E-Book

Gerald Durrell

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Beschreibung

Hier kommt Rosy ... Adrian Rockwhistle langweilt sich fürchterlich. Wenn er von seinem unspektakulären Angestellten-Job nach Hause kommt, wartet dort nur seine exzentrische Vermieterin auf ihn. Das ändert sich schlagartig, als überraschend die Erbschaft eines verstorbenen Onkels vor seiner Tür abgeladen wird: Rosy, eine liebenswerte Elefantendame mit unstillbarem Durst nach allem Hochprozentigen. Adrian ist sprachlos. Unmöglich, dass er Rosy behält! Nein, das graue Ungetüm muss weg. Während Rosy jede Flasche leert, die ihr unter den Rüssel kommt, hat Adrian einen Geistesblitz: Er könnte sie an einen Zirkus verschenken, weit weg an der Küste. Also bricht er mit Rosy im Schlepptau auf. Gemeinsam schlagen sie eine Schneise der Verwüstung durch das sonst so friedliche Südengland. Erst als die Elefantendame in Gefahr gerät, merkt Adrian, dass sie ihm weit mehr ans Herz gewachsen ist, als er für möglich gehalten hätte … "Ein großer Spaß!" New York Times

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Die aberwitzige Reise eines betrunkenen Elefanten

Der Autor

GERALD DURRELL wurde 1925 in Indien geboren. Als Kind zog er mit seiner Familie auf die griechische Insel Korfu, wo er sein  Interesse an der Tierwelt entwickelte. Später leitete er internationale Expeditionen zur Erforschung seltener Arten und engagierte sich im Tierschutz. 1959 gründete er einen eigenen Zoo auf Jersey, um bedrohte Tierarten vor dem Aussterben zu bewahren. Zudem hat Durrell mehr als 30 Bücher über Tiere und Zoologie geschrieben und wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Er starb im Jahr 1995 im Alter von 70 Jahren.

Das Buch

Hier kommt Rosy ...

Adrian Rockwhistle langweilt sich fürchterlich. Wenn er von seinem unspektakulären Angestellten-Job nach Hause kommt, wartet dort nur seine exzentrische Vermieterin auf ihn. Das ändert sich schlagartig, als überraschend die Erbschaft eines verstorbenen Onkels vor seiner Tür abgeladen wird: Rosy, eine liebenswerte Elefantendame mit unstillbarem Durst nach allem Hochprozentigen. Adrian ist sprachlos. Unmöglich, dass er Rosy behält! Nein, das graue Ungetüm muss weg. Während Rosy jede Flasche leert, die ihr unter den Rüssel kommt, hat Adrian einen Geistesblitz: Er könnte sie an einen Zirkus verschenken, weit weg an der Küste. Also bricht er mit Rosy im Schlepptau auf. Gemeinsam schlagen sie eine Schneise der Verwüstung durch das sonst so friedliche Südengland. Erst als die Elefantendame in Gefahr gerät, merkt Adrian, dass sie ihm weit mehr ans Herz gewachsen ist, als er für möglich gehalten hätte …

"Ein großer Spaß!" New York Times

Gerald Durrell

Die aberwitzige Reise eines betrunkenen Elefanten

Eine fast wahre Geschichte

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Neuausgabe im Ullstein TaschenbuchMärz 2021© 1968 by Gerald Durrell© für die deutsche AusgabeUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Das englische Original erschien unter dem Titel Rosy is My Relative bei Collins, London, 1968.Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: nach einer Idee des Pan Macmillan-Verlags, LondonElefant: © FinePic®, MünchenE-Book powered by pepyrus.com

ISBN: 978-3-8437-2488-3

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Anmerkung des Autors

1 Die teuflische Tat eines Onkels

2 Das endlose Warten

3 Der Schock

4 Unterwegs

5 Das Monkspepper-Debakel

6 Die Adelsverstrickung

7 Pfaue und Pfirsiche

8 Die Party

9 Die Flucht

10 »Unicorn and Harp«

11 Gezeter

12 Der Abschied

13 Die Seereise

14 Zurück an Land

15 Die Probe

16 Die Premiere

17 Das Gesetz naht

18 Das Recht

19 Das Gesetz wird tätig

20 Die Einigung

21 Das Urteil

Eine Botschaft vom Durrell Wildlife Conservation Trust

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Anmerkung des Autors

Widmung

Für

NOEL COWARD,

der eine Schwäche

für Dickhäuter hat

1 Die teuflische Tat eines Onkels

Adrian Rookwhistle ahnte nichts von dem Verhängnis, das ihn heimsuchen sollte, als er in Hemdsärmeln vor seinem Spiegel stand und Grimassen schnitt. Jeden Morgen um sieben Uhr hielt Adrian in seiner Mansarde auf diese Weise Zwiesprache mit seinem Spiegelbild. Es handelte sich um einen großen Spiegel mit einem breiten, vergoldeten Rahmen und grauem fleckigen Glas, der an einen vereisten Teich am Ende eines harten Winters erinnerte. Und er warf Adrian das Bild von sich und seinem Zimmer in einem gräulichen Nebel zurück, als würde er alles durch ein riesiges Spinnennetz betrachten. Adrian blickte sein Spiegelbild feindselig an.

»Dreißig Jahre!«, sagte er vorwurfsvoll. »Dreißig Jahre … dein halbes Leben ist vorbei! Und was hast du gesehen? Was hast du getan? Nichts!«

Er starrte sich erbost an, verachtete sein widerspenstiges dunkles Haar, das auch noch so viel Wasser nicht glätten konnte, seine dunklen, seelenvollen Augen und seinen breiten Mund. Sein Gesicht, entschied er, war ein gänzlich unattraktives. Er senkte die Lider ein wenig, formte die Lippen zu dem höhnischsten Grinsen, das ihm möglich war, und atmete tief durch die Nase ein, sodass sich die Flügel weit blähten.

»Sir«, zischte er durch zusammengebissene Zähne, »lassen Sie die Dame los, oder ich sehe mich gezwungen, Gewalt anzuwenden. Mögen Sie auch ungehobelt sein, ist Ihnen doch gewiss nicht entgangen, dass ich der beste Fechter außerhalb Frankreichs bin.«

Er hielt inne, schaute sein Spiegelbild an und musste gestehen, dass er bei aller naturgemäßen Voreingenommenheit nicht wie der beste Fechter außerhalb Frankreichs aussah. Vor einiger Zeit schon hatte er beschlossen, dass er sich nach Abenteuern sehnte, doch schienen die selten Menschen mit Gesichtern wie seinem aufzulauern. Es hatte eine Gelegenheit gegeben (und immer noch errötete er allein bei dem Gedanken daran), als er seine vermeintlich große Chance ergriffen und ein Pferdegespann gestoppt hatte, weil er annahm, die Tiere wären durchgegangen. Wie sich herausstellte, zogen die Pferde einen Spritzenwagen der Feuerwehr, die gerade auf dem Weg zu einem dringenden Einsatz war. Adrians bei diesem Unterfangen gebrochenes Bein war nichts verglichen mit der Schelte, die er vom Magistrat kassierte, und der Tatsache, dass der Krämerladen, zu dem die Feuerwehr gerufen worden war, bis auf die Grundmauern niederbrannte.

Adrian war das Ergebnis der Vereinigung von Reverend Sebastian Rookwhistle und Rowena Rookwhistle. Seine Eltern empfingen ihn – in einem Moment geistiger Verirrung – im Laufe einer langen und extrem langweiligen Ehe, in der sie sich hingebungsvoll der Erfüllung von Gottes Wort verschrieben hatten. Viele Jahre glaubte Adrian sogar, sein Vater wäre der einzige Mann im Lande, der direkten Zugang zum Allmächtigen hatte. Adrians Ankunft wurde von seinem Vater mit einer gewissen Verlegenheit quittiert, von seiner Mutter mit einem Anflug freudiger Überraschung.

Seine Kindheit im Dorf Meadowsweet war so beschaulich, brav und eintönig gewesen, dass Adrian Mühe hatte, sich überhaupt an irgendetwas davon zu erinnern. Mead­owsweet war einer dieser winzigen, abgelegenen Flecken, in denen sich die Gespräche auf meteorologische und landwirtschaftliche Themen beschränkten, die in einer Anreihung unartikulierter Laute geführt wurden, und wo das Aufregendste die Erinnerung daran war, dass Farmer Raddles Kuh vor zehn Jahren Zwillingskälber bekommen hatte. Hier wuchs Adrian auf, und seine einzigen Zerstreuungen waren Glockengeläut, wöchentliche Teepartys im Pfarrhaus und Besuche bei den kranken Bauern, die zu schwach waren, um sich gegen die Bevormundung von Reverend Rookwhistle zu wehren.

Als Adrian zwanzig war, schieden seine Eltern auf einen Schlag aus dieser Welt, weil der Allmächtige (in einem seiner zerstreuten Momente) es versäumt hatte, Reverend Rookwhistle zu informieren, dass die Brücke zwischen den Dörfern Meadowsweet und Hellebore weggespült worden war. Somit hatte Adrian keine Mutter mehr, keinen Vater und kein Pfarrhaus. Die Ersparnisse seines Vaters erwiesen sich als bescheiden bis nicht vorhanden, und es wurde offensichtlich, dass Adrian für seinen Lebensunterhalt arbeiten müsste. Folglich machte er sich in jenem strahlenden Sommer 1890, bewaffnet mit einem Empfehlungsschreiben von Freunden seines Vaters, auf den Weg in die große ratternde, bimmelnde und rauchverhüllte Großstadt und wurde Kontorist bei der hoch angesehenen Firma Bindweed, Cornelius and Chunter, ihres Zeichens Lebensmittellieferanten für anspruchsvolle Herrschaften. Hier hatte er die letzten zehn geschäftigen, aber ereignislosen Jahre verbracht und das fürstliche Gehalt von fünfzehn Shilling die Woche verdient. Aber Adrian hatte das Gefühl, es müsse mehr im Leben geben, als sich auf ewig bei Bindweed, Cornelius and Chunter zu vergraben. In jüngster Zeit trieb ihn dieses Gefühl in einem Maße um, dass es praktisch alles andere überwog. Und darüber unterhielt er sich mit seinem Spiegelbild.

»Andere Leute«, murmelte er, während er in seinem Zimmer auf und ab schritt und dabei gelegentlich einen Seitenblick zum Spiegel warf, ob er noch dort war, »andere Leute führen ein aufregendes, interessantes Leben. Ihnen geschehen außergewöhnliche Dinge … sie erleben Abenteuer. Warum kann mir das nicht passieren?«

Wieder wandte er sich frontal dem Spiegel zu, senkte die Lider ein wenig und verzog hämisch den Mund.

»Ich habe Sie gewarnt, Sir«, sagte er mit einer vor Leidenschaft bebenden Stimme, »lassen Sie die Dame los, oder es wird zu Ihrem Schaden sein.« Dazu vollführte er einen Stoß nach vorn.

Er war so in Gedanken versunken, dass er das langsame seltsame Stampfen und Pfeifen überhörte, das das Nahen seiner Vermieterin ankündigte. Die nämlich war auf einem ihrer sporadischen Ausflüge ins Dachgeschoss. Als es energisch klopfte, erschrak Adrian fürchterlich und ließ seinen imaginären Degen – eine Haarbürste – fallen.

»Sind Sie da, Mr Rookwhistle?«, erkundigte sich Mrs Lavinia Dredge in ihrem schneidenden Bariton, als wäre dies der letzte Ort, an dem sie ihn anzutreffen erwartete.

»Oh ja, Mrs Dredge«, antwortete Adrian und blickte sich hastig im Zimmer um, ob dessen Zustand auch keine harsche Kritik ernten würde. »Kommen Sie herein!«

Mrs Dredge öffnete die Tür und lehnte sich sofort an sie, schwer atmend wie ein Koloss, der eben einen schwindelerregenden Gipfel erklommen hatte. Sie war groß und von kräftiger Statur wie ein Kaltblutpferd, mit recht üppigem, weichem Fleisch um die Körpermitte. Ein Gerüst aus Korsettstangen, Leinen und Gummi war nötig, um diese Masse in Form zu halten, weshalb Mrs Dredges Körper bei jedem ihrer Atemzüge beängstigend knarzte und ächzte. Ihr schwarzes Haar war mit einer Unmenge an Nadeln hochgesteckt, und an ihrem dicken Hals baumelte gleich eine Vielzahl von Ketten und Anhängern, die jedes Mal leise klimperten, wenn sich ihr gewaltiger Busen hob.

Dieses frühmorgendliche Erscheinen von Mrs Dredge versetzte Adrian in Panik. Welches entsetzliche Verbrechen hatte er jetzt wieder begangen? Er erinnerte sich genau, seine Stiefel gestern Abend gründlich abgeputzt zu haben, als er heimkam, also konnte es das nicht sein. Hatte er vergessen, die Katze rauszulassen? Nein, das konnte es auch nicht sein. Hatte er das Bad geputzt?

»Wollen … äh … wollen Sie mich sprechen?«, fragte Adrian und begriff sogleich, dass es eine alberne Frage war. Mrs Dredge hätte ihren voluminösen Körper wohl kaum drei Treppen hinaufgewuchtet, wollte sie ihn nicht sprechen. Doch weil es nun einmal die englische Sprechgepflogenheit verlangte, antwortete Mrs Dredge, ja, sie wolle ihn fürwahr sprechen. Dann rümpfte sie die Nase und schnüffelte so laut in der Luft, dass ihr Damenbart erzitterte.

»Sie haben hier doch hoffentlich nicht geraucht, Mr Rookwhistle?«, fragte sie.

»Nein, oh nein, um Himmels willen«, sagte Adrian, der sich fragte, ob er seine Pfeife gut genug vor dem neugierigen Blick ihrer schwarzen Augen versteckt hatte.

»Da bin ich froh«, sagte Mrs Dredge mit einem schweren Seufzer, bei dem ihr gesamtes Korsett in ein melodisches Knirschen verfiel. »Mr Dredge raucht nie im Haus.«

Ziemlich früh in seiner Bekanntschaft mit Mrs Dredge hatte Adrian erfahren, dass ihr Ehemann tot war (vermutlich erdrückt, stellte Adrian sich vor). Doch da Mrs Dredge fest an ein Leben nach dem Tod glaubte, sprach sie stets von ihm, als würde er noch hier leben. Das war verwirrend und nährte einen von Adrians geheimen Albträumen, er könnte sich eines Tages auf dem Treppenabsatz von Angesicht zu Angesicht mit Mr Dredge wiederfinden – womöglich sauber ausgestopft mit Rosshaar und mit Glasaugen versehen.

»Ich komme nur nach oben«, fuhr Mrs Dredge fort, »falls Sie verschlafen haben.«

»Oh, haben Sie vielen Dank«, sagte Adrian.

Diese plötzliche und bisher ungekannte Fürsorge wunderte ihn sehr.

»Außerdem«, und hier fixierte Mrs Dredge ihn vorwurfsvoll mit ihren kleinen schwarzen Augen, »ist ein Brief für Sie gekommen.«

Von allen Dingen, die Adrian erwartet haben könnte, war dies das unwahrscheinlichste. Seit dem Tod seiner Eltern hatte er nie einen Brief von irgendjemandem erhalten. Die wenigen Freunde, die er hatte, lebten in unmittelbarer Nähe, was jede schriftliche Kommunikation überflüssig machte.

»Ein Brief? Sind Sie sicher, Mrs Dredge?«, fragte Adrian verblüfft.

»Ja«, antwortete Mrs Dredge streng, »ein an Sie adressierter Brief.« Und um jeden Zweifel auszuräumen, ergänzte sie: »In einem Umschlag.«

Als Adrian sie weiterhin verständnislos ansah, wurde Mrs Dredge rot und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf.

»Mr Dredge«, bemerkte sie in hochmütigem Ton, »bekommt sehr viele Briefe, also hoffe ich doch, dass ich weiß, wie einer aussieht.«

»Oh ja, ja, gewiss doch«, sagte Adrian hastig. »Aber wie außergewöhnlich. Ich frage mich, wer mir schreibt. Vielen Dank, Mrs Dredge, dass Sie nach oben gekommen sind, um es mir zu sagen. Sie hätten sich wirklich nicht solche Umstände machen müssen.«

»Nicht doch«, entgegnete Mrs Dredge hoheitsvoll und bewegte ihren massigen Körper mehr oder minder in Richtung Treppe. »Mr Dredge sagt immer, behandle deinen Nächsten so, wie du von ihm behandelt werden willst. Sogar, wenn nur du die Gelegenheit dazu bekommst und er nicht.«

Mit diesen Worten begab sie sich mühsam die knarrende Treppe hinunter, und Adrian schloss seine Zimmertür, um aufs Neue auf und ab zu schreiten. Wer in aller Welt könnte ihm schreiben? Während er sich Kragen und Krawatte umband und sein Jackett anzog, gelangte er zu dem Schluss, dass die einzigen Menschen, die eine Halfpenny-Briefmarke an ihn vergeuden würden, Bindweed, Cornelius and Chunter wären, um ihm mitzuteilen, sie benötigten seine Dienste nicht mehr. Böses ahnend, ging er nach unten in die Küche. Mrs Dredge war bei ihrem täglichen Kampf mit Töpfen, Pfannen und diversen anderen Küchenutensilien. Die meisten Frauen schienen sie als Freunde zu betrachten, für Mrs Dredge hingegen stellten sie die eng geschlossenen Reihen eines unerbittlichen Feindes dar. Adrian setzte sich, und dort, neben seinem Teller, lag ein Umschlag, auf dem in sauberer, klarer Druckschrift sein Name und seine Adresse standen. Mrs Dredge kam vom Herd herbeigewatschelt, eine große Bratpfanne in der Hand, die die verbrannten Überreste eines Dreiviertel-Black-Pudding enthielt. Sie schaufelte den Inhalt auf Adrians Teller, und beide husteten recht heftig in den grauen Qualm, der aus der Pfanne aufstieg.

»Mr Dredge mag Black Pudding«, sagte Mrs Dredge ein klein wenig trotzig.

»Tat er das? Ich meine, tut er?«, fragte Adrian. Er stocherte mit der Gabel in der verkohlten Blutwurst. »Ich nehme an, dass Black Pudding sehr gesund ist.«

»Oh ja«, bestätigte Mrs Dredge zufrieden. »Black Pudding hat Mr Dredge bei Kräften gehalten.« Adrian beförderte eine kleine Gabel der glühend heißen, geschmacklosen und ledrigen Masse in seinen Mund und versuchte, sich einen entzückten Gesichtsausdruck abzuringen.

»Gut, nicht?«, fragte Mrs Dredge und beobachtete ihn mit Adleraugen.

»Köstlich!«, lobte Adrian, der sich übel die Zunge verbrannt hatte. Mrs Dredge setzte sich ächzend auf einen Stuhl und legte ihren gewaltigen Busen auf die Tischplatte.

»Nun«, fragte sie, ihre kleinen schwarzen Augen auf den Brief gerichtet, »wollen Sie ihn nicht öffnen?«

»Oh, doch«, antwortete Adrian. Es widerstrebte ihm indes den Brief überhaupt anzufassen. »In einer Minute. Dieser Black Pudding ist wirklich ausgezeichnet, Mrs Dredge.«

Nein, von kulinarischen Feinheiten ließ Mrs Dredge sich nicht ablenken.

»Er könnte wichtig sein«, sagte sie.

Seufzend nahm Adrian den Brief in die Hand. Er würde keine Ruhe bekommen, solange er ihn nicht gelesen und Mrs Dredge den Inhalt verraten hatte. Unter ihrem wachsamen Blick riss er den Umschlag auf und faltete die zwei Bögen Papier auseinander, die er enthielt.

Gleich die ersten Worte erregten seine Aufmerksamkeit, denn das Schreiben begann mit »Mein lieber Neffe«. Vage erinnerte er sich, dass er etwa zehn Jahre alt gewesen sein musste, als sein Onkel Amos unangekündigt im Pfarrhaus erschienen war, begleitet von drei finster aussehenden Collies und einem grünen Papagei, der einen eindrucksvollen Wortschatz an kürzeren, boshaften Ausdrücken beherrschte.

Adrian wusste noch, dass sein Onkel ein freundlicher und überschwänglicher Mann war, dessen unerwarteter Besuch wie auch die linguistischen Fähigkeiten seines Papageis sogar Reverend Rookwhistles christliche Nachsicht bis an deren Grenzen forderte. Nach ein paar Tagen war Onkel Amos auf genauso mysteriöse Weise verschwunden, wie er gekommen war. Sein Vater erzählte Adrian später, dass Onkel Amos das schwarze Schaf der Familie sei, »ihm mangelt es an moralischer Gesinnung«, und da das Thema offensichtlich schmerzlich war, hatte Adrian seinen Onkel nie wieder erwähnt.

Nun las er den Brief seines Onkels mit dem unangenehmen Gefühl, ihm wäre plötzlich und grob sein ganzer Magen samt Black Pudding entfernt worden.

MEIN LIEBER NEFFE,

wahrscheinlich erinnerst Du Dich nicht mehr, dass ich vor Jahren in dem recht abstoßenden Pfarrhaus Deiner Eltern Deine Bekanntschaft machen durfte. Seither habe ich von ihrem Ableben erfahren, was, wie ich gestehe, mich nicht in große Trauer stürzte. In den Gesprächen, die ich mit Deinen Eltern führte, gaben sie mir stets zu verstehen, dass es ihr einziger Wunsch sei, das Erdenleben hinter sich zu lassen und sich in die Arme des Herrn schließen zu lassen. Allem Anschein nach bist Du nun mein einziger lebender Verwandter, und wie ich mich erinnere, warst Du damals ein halbwegs netter Junge, wenngleich nicht einzuschätzen ist, ob die anschließenden Jahre mit Deinen Eltern Dir nicht den Kopf mit einem Haufen Mumpitz gefüllt haben.

Wie dem auch sei, befinde ich mich in keiner Lage, mit dem Schicksal zu streiten. Der hiesige Blutsauger hat mich unterrichtet, dass mir nicht mehr lange zu leben bleibt. Mich schreckt dieser Gedanke nicht besonders, habe ich doch ein erfülltes Leben geführt und beinahe alle reizvolleren Sünden begangen. Was mir indes Sorge bereitet, ist das Schicksal meiner Gefährtin. Sie ist jetzt seit achtzehn Jahren bei mir, und gemeinsam haben wir gute wie schlechte Zeiten gemeistert. Daher hätte ich gern Gewissheit, dass sie nach meinem Dahinscheiden nicht ohne Freund auf dieser Welt bleibt, ohne einen Mann, der für sie sorgt. Und ich betone »Mann«, weil sie sich mit Angehörigen ihres eigenen Geschlechts schwertut.

Nach reiflicher Überlegung habe ich entschieden, dass Du – als mein einziger lebender Verwandter – derjenige sein sollst, der diese Pflicht übernimmt. Es wird sich nicht als ärgerliche Belastung für Deine Geldbörse erweisen, denn wenn Du zu Ammassor and Twist, Handelsbankiers in der Cottonwall Street 110 in London, gehst, wirst Du dort die Summe von £ 500 auf Deinen Namen hinterlegt vorfinden. Ich bitte Dich, sie zu nutzen, um Rosy den Lebensstil zu ermöglichen, den sie gewohnt ist.

Da Sterbebettszenen immer unerquicklich sind, schicke ich Rosy umgehend zu Dir, denn ich wünsche nicht, dass sie mit ansehen muss, wie ich meinen letzten Atemzug tue. Sie müsste beinahe gleichzeitig mit diesem Brief eintreffen.

Was auch immer Dein Vater über mich gesagt haben mag (und es ist vermutlich alles wahr), dies ist zumindest meine eine gute Tat nach einem ansonsten befriedigend verderbten Dasein. Auf seine recht schwachsinnige Art war Dein Vater stets ein Fürsprecher derjenigen, die ohne Freunde auf dieser Welt waren, und ich kann nur hoffen, dass Du diesen Zug von ihm geerbt hast. Deshalb bitte ich Dich, tu, was du kannst, für Rosy. Die ganze Sache ist ein großer Schock für sie, und ich zähle auf Dich, dass Du sie in ihrem Kummer tröstest.

Dein Dir höchst zugewandter Onkel,

AMOS ROOKWHISTLE

PS: Leider ist Rosy – und ich fürchte, dass es in einem geringen Maße mir anzulasten ist – dem zugeneigt, was Dein Vater (niemals um eine abgedroschene Phrase verlegen) häufig als den »Dämon Alkohol« bezeichnete. Gib also bitte acht, dass sie nicht zu viel trinkt, weil es sie bisweilen störrisch macht. Was, bei Gott, nicht nur auf sie zutrifft.A. R.

2 Das endlose Warten

Adrian kam es vor, als wäre seine Welt auf einen Schlag dunkel und unheimlich geworden. Rinnsale eiskalten Wassers liefen ihm den Rücken auf und ab, den Gesetzen der Schwerkraft trotzend. Durch das dumpfe Brummen in seinen Ohren vernahm er Mrs Dredges Stimme.

»Nun?«, fragte sie. »Worum geht es?«

Gütiger Himmel, dachte Adrian. Ich kann es ihr unmöglich erzählen.

»Es ist … es ist ein Brief … ähm … von … ähm … einem Freund meines Vaters«, wand er sich nervös heraus. »Er hat bloß gedacht, ich würde gern erfahren, wie es im Dorf geht.«

»Nach zehn Jahren?« Mrs Dredge schnaubte verächtlich. »Der hat sich aber Zeit gelassen, was?«

»Ja … ja, es ist lange her«, sagte Adrian, faltete den Brief zusammen und steckte ihn in seine Tasche.

Mrs Dredge war jedoch keine Frau, die sich mit einer kurzen Zusammenfassung abspeisen ließ. Ihre eigene Beschreibung von Mr Dredges Dahinscheiden nahm gewöhnlich anderthalb Stunden in Anspruch; entsprechend war diese lapidare Erklärung zum Briefinhalt kaum befriedigend für sie.

»Na, und wie geht es allen?«, erkundigte sie sich.

»Oh«, sagte Adrian, »sie erfreuen sich anscheinend bester Gesundheit.«

Mrs Dredge wartete und starrte ihn unnachgiebig an.

»Mehrere Leute, die ich gekannt habe, haben geheiratet«, fuhr Adrian verzweifelt fort. »Und … und … mehrere von ihnen haben Kinder bekommen.«

»Sie meinen«, hakte Mrs Dredge mit einem hoffnungsfrohen Blitzen in ihren Augen nach, »Sie meinen, die, die geheiratet haben, haben Kinder bekommen, oder die anderen?«

»Beide«, antwortete Adrian, ohne nachzudenken. »Nein, nein, natürlich meine ich die, die geheiratet haben. Wie auch immer, sie alle sind bester … ähm … bester Dinge, und ich muss … ähm … ich muss schreiben und ihnen gratulieren.«

»Denen gratulieren, die geheiratet haben?«, fragte Mrs Dredge, die sehr für Klarheit war.

»Ja, und denen, die Kinder bekommen haben, selbstverständlich.«

Mrs Dredge seufzte. Dies entsprach so gar nicht ihrer Vorstellung von einer gut erzählten Geschichte. Wäre es ihr Brief gewesen, sie hätte den Inhalt mit äußerster Sorgfalt studiert und Adrian mindestens eine Woche lang mit Informationen und Mutmaßungen versorgt.

»Nun«, sagte sie philosophisch und erhob sich, »da werden Sie die nächsten Abende etwas zu tun haben, denke ich.«

So schnell er konnte und immer noch unter Schock, schaufelte Adrian sich den restlichen ungenießbaren Black Pudding in den Mund, spülte ihn mit etwas Tee hinunter und richtete sich auf.

»Gehen Sie schon?«, fragte Mrs Dredge überrascht.

»Ja. Ich dachte, ich schaue auf dem Weg zur Arbeit bei Mr Pucklehammer vorbei.«

»Verbringen Sie ja nicht zu viel Zeit mit dem«, sagte Mrs Dredge streng. »Der Mann kann schlechten Einfluss auf einen aufrechten, ehrlichen jungen Mann wie Sie haben.«

»Ja, vermutlich haben Sie recht«, antwortete Adrian brav. Er zählte Mr Pucklehammer zu seinen engsten Freunden, doch darüber wollte er jetzt nicht streiten.

»Und kommen Sie nicht zu spät zum Abendessen«, sagte Mrs Dredge. »Ich habe ein schönes Stück Schellfisch.«

Als Verlockung zur Pünktlichkeit ließ dies, wie Adrian fand, einiges zu wünschen übrig.

»Nein, ich werde nicht zu spät sein«, versprach er und floh, ehe Mrs Dredge ein neues Gesprächsthema einfiel, um ihn festzuhalten.

Mr Pucklehammer war von Beruf Schreiner und Sargtischler, der seine eigene große Werkstatt eine Viertelmeile entfernt von Mrs Dredges Haus betrieb. Vor einigen Jahren war Adrian in der Tischlerei gewesen, um geringfügige Reparaturen an seiner großen Holztruhe ausführen zu lassen. Mr Pucklehammer und er hatten sich auf Anhieb verstanden und waren seither gute Freunde. Seine Schüchternheit machte es Adrian nicht leicht, Freunde zu finden, und so kam es, dass Mr Pucklehammer für ihn zu einem väterlichen Ratgeber wurde. Aus diesem Grund wollte er schnellstmöglich zur Tischlerei und den Brief, der seine ruhige, geordnete Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern drohte, mit seinem Freund besprechen. Gewiss würde Mr Pucklehammer wissen, was zu tun war.

Als Adrian die Straße entlangeilte, begann er, seinem Vater in dessen Einschätzung von Onkel Amos’ Charakter zuzustimmen. Wie konnte jemand so etwas tun? Ungeachtet des vermachten Geldes (das, wie Adrian zugab, sehr großzügig war), wie konnte jemand einem unschuldigen Neffen aus heiterem Himmel eine Dame unbekannten Alters aufbürden, die obendrein einen Hang zur Flasche hatte? Es war fraglos eine unmenschliche Tat. In diesem Moment kam ihm ein anderer furchtbarer Gedanke, und er blieb so abrupt stehen, dass ihm die Melone vom Kopf fiel. Vage erinnerte er sich an die Worte seines Vaters, sein Onkel Amos hätte im Zirkus und auf Jahrmärkten gearbeitet. Was, wenn diese Rosy sich als Akrobatin entpuppte oder – schlimmer noch – als eine dieser Frauen, die in glitzernden Strumpfhosen freihändig auf dem Rücken schnell trabender Pferde standen? Mir nichts, dir nichts eine Akrobatin aufgebürdet zu bekommen war schon schlimm genug, aber eine trinkende Akrobatin war nun wirklich mehr, als irgendjemand zu ertragen vermochte. Wie konnte sein Onkel ihm das antun? Adrian hob seine Melone auf und rannte den Rest des Weges zu Mr Puckle­hammers Werkstatt.

Mr Pucklehammer hockte auf einem frisch getischlerten Sarg und beendete sein Frühstück, welches aus einem Pint Bier und einem Käsesandwich gigantischen Ausmaßes bestand. Er war ein kleiner, untersetzter Mann mit einem Gesicht wie eine liebenswerte Bulldogge. In jungen Jahren war er – unter anderem – preisgekrönter Ringer und Gewichtheber gewesen. Die Exzesse jener Laufbahn hatten ihm reichlich Muskeln beschert, aus denen die Sehnen und Adern hervortraten. Leider bedeuteten sie auch, dass er sich heute nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten bewegen konnte.

»Guten Morgen, Junge«, begrüßte er Adrian und winkte ihm freundlich mit seinem Sandwich zu. »Möchten Sie Frühstück? Einen Schluck Bier vielleicht?«

»Nein danke«, antwortete Adrian atemlos und blass vor Schock. »Ich brauche Ihren Rat.«

»Aha?« Mr Pucklehammer zog seine buschigen Augenbrauen hoch. »Was ist los? Sie sehen aus, als wären Sie einem Geist begegnet.«

»Schlimmer, viel schlimmer«, sagte Adrian. »Ich bin ruiniert … Lesen Sie dies hier.«

Er hielt Mr Pucklehammer den Brief hin, und der betrachtete ihn interessiert.

»Ich kann nicht lesen«, entgegnete Mr Pucklehammer schlicht. »Hab nie Zeit gehabt, es zu lernen, weil immer was anderes war. Lesen Sie ihn mir vor, Junge.«

Mit bebender Stimme las Adrian ihm Onkel Amos’ Brief vor. Als er endete, trat Stille ein, denn Mr Pucklehammer biss einen großen Happen von seinem Käsesandwich ab und kaute meditativ.

»Und?«, fragte Adrian schließlich. »Was soll ich tun?«

»Tun?«, wiederholte Mr Pucklehammer und schluckte erstaunt einen noch nicht ganz zerkauten Brocken herunter. »Na, Sie tun genau das, was Ihr Onkel möchte.«

Adrian blickte den Freund entgeistert an und fragte sich, ob Mr Pucklehammer entweder den Brief falsch verstanden oder seinen Verstand verloren hatte.

»Aber wie kann ich das?« Vor Entsetzen wurde Adrian lauter. »Wie kann ich eine fremde Frau aufnehmen … eine fremde trinkende Frau? Mrs Dredge würde sie niemals ins Haus lassen. Und vergessen wir nicht meine Stellung. Guter Gott, wenn sie in der Firma davon erfahren, werden sie mich feuern! Und angenommen, sie ist eine von diesen Akrobatinnen, was mache ich dann?«

»Ich weiß nicht, was dagegenspricht«, sagte Mr Puckle­hammer mit Überzeugung in der Stimme. »So eine habe ich selber mal gesehen. Und sie war auch noch nett gebaut. Hatte überall Pailletten. Hübsches Püppchen.«

»Oh mein Gott«, stöhnte Adrian. »Ich hoffe, sie kommt hier nicht paillettenbedeckt an!«

»Es lässt sich jedenfalls nicht leugnen«, sagte Mr Puckle­hammer nachdenklich, »dass fünfhundert Pfund eine großzügige Summe sind, ja, sehr großzügig. Mit so viel Geld könnten Sie Ihre Stelle aufgeben … Und wie oft haben Sie schon gesagt, dass Sie das wollen!«

»Und was ist mit dieser trinkenden Frau?«, fragte Adrian trotzig.

»Na, Sie beide könnten sehr auskömmlich von einhundertzwanzig Pfund im Jahr leben, und in vier Jahren könnten Sie ein kleines Geschäft gründen«, erklärte Mr Puckle­hammer. »Wenn sie eine von den Jahrmarktsleuten ist, müssten Sie so was wie Puppentheater machen. Ich habe ein hübsches da, das ich Ihnen billig überlassen könnte.«

»Ich habe nicht die Absicht, die nächsten vier Jahren mit einer fülligen, in Pailletten gehüllten Trinkerin Puppentheater aufzuführen«, erwiderte Adrian sehr laut und deutlich. »Ich wünschte, Sie könnten mir einen vernünftigeren Rat geben.«

»Ich verstehe gar nicht, warum Sie so unsinnig daherreden, Junge«, sagte Mr Pucklehammer streng. »Sie haben hier eine nette Erbschaft und eine Frau obendrein. Viele junge Männer würden alles geben, in Ihrer Haut zu stecken.«

»Dürfen sie gern!«, rief Adrian verzweifelt. »Wenn sie den Rest ihres Lebens mit einer betrunkenen Akrobatin verbringen möchten, nur zu!«

»Ihr Onkel hat nicht geschrieben, dass sie immer besoffen ist«, erinnerte ihn Mr Pucklehammer. »Vielleicht ist sie ganz nett. Warum warten Sie es nicht ab und sehen mal, wie sie ist, wenn sie hier ankommt?«

»Ich kann es mir vorstellen, und der Gedanke schreckt mich«, sagte Adrian. »Dabei kenne ich nicht einmal ihren Nachnamen!«

»Na, solange Sie ihren Vornamen kennen, ist doch alles gut«, merkte Mr Pucklehammer tiefgründig an. »Da haben Sie gleich einen vertrauten Anfang.«

»Ich will keinen vertrauten Anfang!« Auf einmal holte Adrian ein entsetzlicher Gedanke ein. »Mein Gott! Was passiert, wenn sie hier ankommt, während ich bei der Arbeit bin, und Mrs Dredge sie kennenlernt?«

»Ah ja«, sagte Mr Pucklehammer, »das wäre schlecht. Und Sie sollten es unbedingt verhindern.«

Adrian lief vor Mr Pucklehammer auf und ab und überlegte fieberhaft, was er tun könnte. Derweil trank Mr Puckle­hammer sein Bier aus und wischte sich über den Mund.

»Ich hab’s!«, sagte Adrian schließlich. »Heute ist Mrs Dredges Tag … Sie wissen schon. Da besucht sie Mr ­Dredge auf dem Friedhof und verbringt den ganzen Tag dort. Dann kommt sie erst abends zurück. Wenn ich Nachricht zur Arbeit schicke, dass ich krank bin, kann ich bleiben und auf diese Rosy warten.«

»Gute Idee«, stimmte Mr Pucklehammer ihm zu. »Ich kann den jungen Davey zum Geschäft schicken und ausrichten lassen, dass Sie sich nicht wohlfühlen. Keine Sorge. Aber Sie sollten lieber zurück und das Haus im Auge behalten. Ich bin hier, falls Sie mich brauchen.«

Und so machte sich Adrian, der den Tag verfluchte, an dem er sich mehr Abenteuer gewünscht hatte, auf den Rückweg zu Mrs Dredges Haus. An der Straßenecke blieb er stehen und wartete. Wenige Augenblicke später, und zu seiner enormen Erleichterung erschien Mrs Dredge im wehenden schwarzen Trauerkleid, einem großen lila Hut auf dem Kopf und einem gigantischen Rosenstrauß in der Hand, um Mr Dredges Grab ihre wöchentliche Aufwartung zu machen. Einer schaurigen Galeone mit geblähten Segeln gleich entschwand sie die Straße hinunter.

Wieder einmal lief Adrian auf und ab, und in seinem Kopf häuften sich die wildesten Lösungen, wie er seiner ungewollten Erbschaft entgehen könnte. Er würde fliehen und als Seemann anheuern. Diese Variante verwarf er beinahe sofort, da ihm schon auf dem oberen Deck eines von Pferden gezogenen Omnibusses übel wurde, und die bewegten sich gemeinhin sehr langsam. Weshalb er wusste, dass er – oder vielmehr sein Magen – nicht für ein Seemannsleben geschaffen war. Sollte er sich als Mr Dredge ausgeben und behaupten, Adrian Rookwhistle wäre betrüblicherweise kürzlich verstorben? So verlockend diese Lösung anmutete, musste er sich eingestehen, dass es jemanden Geübteren in der Kunst der Täuschung bedurfte, um es glaubwürdig zu machen.

Es taugt nichts, dachte er unglücklich und wischte sich die feuchten Hände an seinem Taschentuch ab. Ich muss ihr gegenüber entschieden auftreten. Ja, ich werde ihr in aller Bestimmtheit erklären, dass ich ein junger Mann bin, der seinen Weg in dieser Welt geht und sich gegenwärtig unter keinen Umständen mit der Verantwortung für eine fremde Frau belasten kann. Ich werde ihr die fünfhundert Pfund überlassen, und sie muss fort. Aber was, wenn sie in Tränen ausbricht, hysterisch wird oder, schlimmer noch, betrunken und aufsässig ist? Bei dem Gedanken traten ihm Schweißperlen auf die Stirn. Nein, er musste eisern bleiben, freundlich, aber unerbittlich. Und in der Hoffnung, dass es ihm gelingen würde, im entscheidenden Moment freundlich, aber unerbittlich zu sein, setzte Adrian sein Auf-und-ab-Schreiten fort.

Bis zum Mittag war er in einen Zustand nervöser Anspannung geraten, schon ein fallendes Blatt von einem Baum reichte aus, ihn heftig aufschrecken zu lassen. Er hatte eben beschlossen, dass der Tod diesem qualvollen Warten vorzuziehen wäre, als ein Fuhrwerk in die Straße einbog. Es war ein sehr, sehr großes Fuhrwerk, das von acht äußerst erschöpft wirkenden Pferden gezogen wurde. Die Zügel hielt ein kleiner, cholerisch aussehender Mann in den Händen, der einen leuchtend gelben Hut und eine rot-gelb karierte Weste trug. Beiläufig fragte Adrian sich, was in solch einem großen Wagen transportiert werden mochte. Der Mann mit dem gelben Hut näherte sich offensichtlich seinem Ziel, denn er zückte ein Papier aus seiner Westentasche und verglich die Hausnummern. Dann hielt er die Pferde, sehr zu Adrians Verblüffung, vor Mrs Dredges Haus an. Was in aller Welt hatte seine sonst so sparsame Vermieterin da gekauft? Das Fuhrwerk war groß genug, um so gut wie alles zu enthalten. Adrian ging die Straße hinunter zu der Stelle, an der sich der Fuhrmann mit einem großen Taschentuch das Gesicht abwischte.

»Guten Morgen«, sagte Adrian neugierig.

Der Mann setzte sich seinen Hut sehr energisch wieder auf und bedachte Adrian mit einem vernichtenden Blick.

»Morgen«, antwortete er schroff. »Falls es denn ein guter ist, was ich bezweifle.«

»Sind Sie … ähm … haben Sie etwas für dieses Haus?«, fragte Adrian.

»Ja«, sagte der Mann, der erneut zu den Papieren in seiner Hand blickte. »Jedenfalls was für einen Mr Rook­whistle.«

Adrian zuckte zusammen, und ihm brach kalter Schweiß aus.

»Rookwhistle … sind Sie sicher?«, fragte er matt.

»Ja«, antwortete der Mann. »Rookwhistle. Mr A. Rook­whistle.«

»Ich bin Mr A. Rookwhistle«, sagte Adrian zittrig. »Was …?«

»Ah!« Der Mann sah ihn böse an. »Sie sind also Mr Rookwhistle, ja? Na, je schneller Sie Ihr Eigentum in Empfang nehmen, desto schneller bin ich wieder froh!«

Er stampfte zum hinteren Ende des Gefährts, und Adrian, der ihm folgte, sah, wie er mit der schweren Tür kämpfte.

»Was haben Sie denn da drin?«, fragte Adrian mit Verzweiflung in der Stimme.

Anstatt zu antworten, warf der Mann die große Doppeltür auf, und zu Adrians ungläubigem Entsetzen fand er sich Auge in Auge mit einem großen, faltigen und außerordentlich freundlich dreinschauenden Elefanten wieder.

3 Der Schock

»Hier wäre sie«, sagte der Fuhrmann zufrieden, »und sie gehört ganz Ihnen.«

»Das kann nicht sein«, flüsterte Adrian. »Sie kann nicht mir gehören … Ich will keinen Elefanten.«

»Jetzt hören Sie mal zu. Ich bin die ganze Nacht durchgefahren, um Ihnen dieses verflixte Tier zu bringen. Sie sind Mr A. Rookwhistle, also ist es Ihr Vieh!«

Schon begann Adrian, sich zu fragen, ob die Schocks des Tages bereits einen kleinen Wahn bei ihm ausgelöst hatten. Schlimm genug, dass er sich auf eine Akrobatin gefasst machen musste. Jetzt hatte er auf einmal eine Elefantenkuh am Hals? Ihm kam ein fürchterlicher Verdacht.

»Wie heißt das Tier?«, fragte er heiser.

»Rosy«, sagte der Fuhrmann.

Beim Klang des Namens schwankte die Elefantenkuh langsam hin und her und gab ein kleines Quieken von sich, ähnlich einer sehr winzigen Klarinette. Sie war in dem Fuhrwerk mit zwei Ketten an ihren Vorderbeinen fixiert, die melodisch klimperten, als sie sich bewegte. Schmeichelnd streckte sie ihren Rüssel in Adrians Richtung aus und blies ihm einen Luftschwall entgegen. Oh Gott, dachte Adrian, mir wäre die betrunkene Akrobatin lieber gewesen!

»Also wirklich«, sagte er zu dem Fuhrmann, »was soll ich denn mit ihr machen?«

»Das«, antwortete der Mann mit unverhohlener Schadenfreude, »ist Ihr Problem, mein Bester. Mein Auftrag war lediglich, sie zu liefern, und das habe ich gemacht. Also, da ich noch nicht gefrühstückt habe, würden Sie sie bitte aus meinem Wagen holen, damit ich wegkann?«

»Aber Sie können mich doch nicht einfach so mit einem Elefanten auf der Straße stehen lassen!«, empörte sich Adrian.

»Warum nicht?«, fragte der Mann schlicht.

»Ich kann sie doch nicht da hineinbringen!«, antwortete Adrian und wies panisch zu Mrs Dredges Vorgarten, der vielleicht einen halben Quadratmeter maß. »Da passt sie nicht hinein. Und sie würde alle Blumen zertrampeln!«

»Tja, das hätten Sie bedenken sollen, bevor Sie sie bestellt haben«, sagte der Fuhrmann und zuckte mit den Schultern.

»Ich habe sie ja gar nicht bestellt! Mein Onkel hat sie mir vererbt.« Noch während er es aussprach, begriff Adrian, wie absurd er sich anhörte.

»Der hat Sie wohl nicht besonders gemocht.«

»Seien Sie doch vernünftig«, flehte Adrian. »Sie können hier nicht einfach einen Elefanten abladen und wieder wegfahren.«

»Jetzt hören Sie mal zu.« Die Stimme des Mannes bebte, und sein Gesicht nahm eine dunkelrote Färbung an. »Mein Auftrag war, eine Elefantenkuh zu transportieren. Es war dumm von mir, ich weiß, aber so ist es nun mal. Die ganze Nacht bin ich unterwegs gewesen, und bei jedem Pub, an dem wir vorbeigekommen sind, hat sie mir fast den Wagen umgeschmissen. Das war die verdammt schlimmste Fuhre, die ich in meinen vierundzwanzig Jahren in diesem Geschäft erlebt habe. Und jetzt will ich sie nur noch so schnell wie möglich loswerden. Wenn Sie also so freundlich wären, sie aus dem Wagen zu holen, dann mache ich mich auf den Weg.«

Selbst wenn es ihm gelänge, Rosy in Mrs Dredges Vorgarten oder Garten zu bugsieren, dachte Adrian, wie sollte er das plötzliche Erscheinen einer Elefantenkuh erklären? Und dass Mrs Dredge sie nicht bemerkte, durfte er wohl kaum hoffen. Doch etwas musste getan werden, denn der Fuhrmann ließ sich nicht erweichen und wurde zusehends missgelaunter. Dann hatte Adrian eine Idee. Pucklehammer, dachte er. Pucklehammers Hof an der Werkstatt. Da könnte sie hin.

»Hören Sie«, sagte Adrian verzweifelt, »können Sie sie ein Stück die Straße runterbringen? Ich habe einen Freund, der einen Hof hat. Bei ihm können wir sie lassen.«

Der Fuhrmann seufzte. »Passen Sie auf. Ich habe Ihnen Ihre Elefantenkuh geliefert. Es gehört nicht zu meinem Auftrag, sie irgendwo anders hinzubringen als hierher.«

»Aber es ist gleich die Straße runter, und für Sie springt ein Sovereign dabei heraus.«

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Anmerkung des Autors

Auch wenn es mir viele nicht glauben werden, möchte ich gleich vorweg festhalten, dass es sich bei dem Folgenden um eine fast wahre Geschichte handelt. Damit meine ich, dass es Rosy und Adrian Rookwhistle wirklich gegeben hat. Ich hatte das Privileg, Rosy selbst kennenzulernen. Beinahe alle beschriebenen Abenteuer sind tatsächlich passiert. Ich habe sie lediglich hier und da ein wenig ausgeschmückt und aufpoliert.

Zu großem Dank bin ich Miss Eileen Molony verpflichtet, war sie es doch, die mich erstmals auf Rosy und Adrian Rookwhistle aufmerksam machte und mir so die Zutaten für diese wundersame Geschichte lieferte.

Auch möchte ich Lord Coutanche, Sir Robert Le Ma­surier, dem Bailiff von Jersey, und Mr Cutland, dessen Sekretär, danken, dass sie mir erlaubt haben, dem Royal Court in St. Helier beizuwohnen, um das zu erfassen, was Autoren gern recht großspurig als »Atmosphäre« bezeichnen. Ebenso dankbar bin ich Mr John Langin, der die relevanten Abschnitte des Romans las und mich bezüglich des juristischen Prozedere vor möglichen Entgleisungen bewahrte. Allerdings möchte ich rasch anfügen, dass meine Auslegung des Rechts keinerlei Ähnlichkeit mit der Art hat, wie auf Jersey Recht gesprochen wird.

Mein Dank geht auch an Mr Swanson, der mir erlaubte, hinter die Bühne des Royal Opera House zu gehen, und mir viele faszinierende Details zu dessen Geschichte erzählte. Mr Douglas Matthews von der London Library hat sich beträchtliche Mühe gemacht, mir Bücher herauszusuchen, die sich mit jener Zeit beschäftigten. Und ich würde gern klarstellen, dass etwaige Patzer ganz allein auf meine Kappe gehen, nicht auf seine.

Nicht zuletzt danke ich meiner Sekretärin, Miss Doreen Evans, die vor ihrer Anstellung bei mir als Sekretärin für einen Untersuchungsrichter gearbeitet hat, weshalb sie mir während des Schreibens viele nützliche Informationen geben konnte.

Gerald Durrell