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Seitenzahl: 110
DIE AEGYPTISCHEPFLANZENSÄULE
EIN KAPITELZURGESCHICHTE DES PFLANZENORNAMENTSVON LUDWIG BORCHARDT.
BERLIN VERLAG VON ERNST WASMUTHARCHITEKTUR-BUCHHANDLUNG35 — Markgrafenstrasse — 35
1897.
Das Manuskript zu der vorliegenden Abhandlung war im Oktober 1895 fertig, und es wurde bereits an der Herstellung der Abbildungen für den Druck gearbeitet, als ich beauftragt wurde, auf längere Zeit zu wissenschaftlichen Untersuchungen nach Aegypten zu gehen.
Dies verzögerte die Beendigung der Drucklegung bedeutend, und das Erscheinen des Heftchens wäre wohl noch weiter hinausgeschoben worden, wenn nicht meine Freunde, die Herren Dr. Schäfer und Prof. Dr. Steindorff sich des verwaisten Manuscripts angenommen hätten, wofür ich ihnen auch an dieser Stelle meinen Dank sage. Andererseits ist aber der Umstand, dass ich die mir bisher nur aus Publikationen und Photographien bekannten Gegenstände meiner Untersuchungen nun in der Wirklichkeit studieren konnte, der jetzt erschienenen Arbeit zu Gute gekommen, wenn auch nur in Einzelheiten und in der etwas veränderten Auswahl der Beispiele.
Für die allgemeine theoretische Auffassung der ägyptischen Pflanzensäule habe ich an den Originalen nichts neues gelernt und darf daher jetzt um so eher mit den hier ausgesprochenen Meinungen hervortreten, als ich nun nicht mehr zu fürchten brauche, dass meine zuerst nur aus Publikationen gewonnenen Ansichten und Theorien der Nachprüfung an den Denkmälern nicht Stand halten werden.
Berlin, im August 1897.
Ludwig Borchardt.
Die der Pflanzenwelt entnommenen ägyptischen Säulenformen sind seit dem Bekanntwerden der reichen architektonischen Schätze des Nilthales der Gegenstand wiederholter Untersuchungen und der verschiedensten Theorien gewesen. Aegyptologen und Kunsthistoriker haben es mit mehr oder weniger Glück versucht, in die bunte Mannigfaltigkeit der Kapitellformen System zu bringen, ohne jedoch bisher zu einem völlig sicheren Resultate vorgedrungen zu sein. Der Grund dieser Unsicherheit mag hauptsächlich darin zu suchen sein, dass jüngere Bearbeiter der Frage das, was die älteren bereits richtig erkannt hatten, wieder umzustossen für gut fanden, ohne etwas Besseres an dessen Stelle setzen zu können.
Namentlich die jüngsten Autoren auf diesem Gebiete[1] haben es mit bewunderungswürdigem Geschick verstanden, das, was früher schon wenigstens in den Hauptzügen feststand, von Grund aus zu verwirren. Während fast von jeder der früheren Arbeiten[2] bei genauerer Untersuchung wenigstens irgend ein Hauptgedanke als berechtigt anerkannt werden muss, stellen uns die letzterschienenen Erörterungen über ägyptische Säulenformen vor die Notwendigkeit, dieses Gebiet eingehend zu revidiren. Bei dieser Revision soll es nun nicht unsere Aufgabe sein, die Theorie jedes einzelnen der früheren Autoren besonders zu widerlegen oder zu bestätigen; wir werden vielmehr versuchen, unsere Ansichten über die verschiedenen Gattungen der ägyptischen Pflanzensäulen, so weit es geht, ohne jede Polemik gegen andere Meinungen zu entwickeln. Der mit dem Gegenstand vertraute Leser wird auch so herauserkennen, wo alte Theorien angenommen, wo sie verworfen, wo neue vorgebracht sind.
Bei unseren Untersuchungen werden wir so vorgehen, dass wir zuerst die in Frage kommende Pflanze nach der Natur schildern — nicht etwa mit gelehrten botanischen Ausdrücken, sondern ganz laienhaft, auf die Gefahr hin, auch wissenschaftlich falsche Bezeichnungen einigen Pflanzentheilen beizulegen. Die Beschreibung wird dadurch den meisten Lesern verständlicher werden, da vermuthlich deren botanische Kenntnisse, wie die des Verfassers, über das Erfassen der äusseren Form der Pflanzen nicht hinausgehen dürften. Zweitens wird dann Umschau zu halten sein, wie die Aegypter die beschriebene Pflanze in ihrer Kunst verwertheten, wie sie sie in Bildern, Reliefs und plastischen Kunstwerken darstellten, um dann endlich unser eigentliches Ziel erreichen zu können und festzustellen, wo wir die fragliche Pflanze in den Säulenformen wiedererkennen. Dass wir dann den auf eine bestimmte Pflanzenform zurückgeführten Säulentypus an Beispielen aus verschiedenen Epochen erläutern müssen, ist ebenso selbstverständlich, wie dass dabei hie und da sich etwas über die geschichtliche Entwickelung der betreffenden Säulenform wird ermitteln lassen.
Unsere Beispiele werden wir den noch erhaltenen Bauten und den altägyptischen Abbildungen, die an Tempel- und Grabwänden in grosser Zahl vorhanden sind, entnehmen können. Bei den nur abgebildeten Beispielen werden wir allerdings etwas vorsichtig zu Werke gehen müssen, da die Phantasie der ägyptischen Maler in vielen Fällen unmögliche Gebilde dargestellt hat, und ausserdem oft die Verschrobenheit der perspektivischen Darstellung das Verständniss des Abgebildeten erschwert. Mit ganz besonderer Vorsicht wird eine Gattung von Säulen zu behandeln sein, die sich häufig auf Darstellungen findet: die Säulen mit mehreren — bis zu fünf — Kapitellen übereinander. Es sind diese Säulen — falls sie überhaupt je so existirt haben — meist Holzsäulen, deren Form sich auf die ägyptische Art zurückführen lässt, Bouquets aus verschiedenen, ineinander gesteckten Blumen zu binden. Für unsere Aufgabe, die den Säulenformen zu Grunde liegenden Pflanzentypen festzustellen, interessirt an diesen „Bouquetsäulen” nur die einzelne Pflanze, das Einzelkapitell, nicht die ganze Zusammensetzung; wir werden daher die Bouquets zerpflücken und die einzelnen so gewonnenen Kapitelle dann bei verschiedenen Abschnitten unserer Untersuchung gesondert besprechen müssen.
Auch von den in natura erhaltenen Säulen werden wir nicht alle gleichmässig als Beispiele benutzen. Da es sich vorläufig darum handelt, die älteren Säulentypen zu analysiren, so können die Formen der Spätzeit, d. h. in diesem Falle der Epoche nach der Eroberung Aegyptens durch die Perser, also hauptsächlich die Säulenbildungen der Ptolemäer- und Kaiserzeit vernachlässigt werden, soweit sie neue Pflanzen als Ornament verwenden. Wir werden diese daher nur in den Fällen — und deren Anzahl ist nicht gering — citiren, wo sie sich an ältere Schöpfungen anschliessen und die alten Formen wieder aufnehmen und fortbilden.
Zum Schlusse der Einleitung möchte ich noch rechtfertigen, weshalb ich ebenso wie andere Autoren, die das hier behandelte Gebiet früher bearbeitet haben, auf eine „schärfere Sonderung der Formen des Höhlen- und Freibaus”, bezw. des Holz- und Steinbaus keine Rücksicht genommen habe. Wie der Schluss lehren wird, ist der den ägyptischen Säulenformen zu Grunde liegende Gedanke ein rein ornamentaler, ohne jede construktive Grundlage. Es ist daher ausnahmsweise möglich, was bei der Behandlung architektonischer Details anderer Epochen ein schwerer Fehler sein würde, bei der Auswahl der Beispiele vollständig von Material und Construktion abzusehen und nur die äussere Form zu betrachten, zumal da es sich hauptsächlich nur um die Ermittelung der den Säulenformen zu Grunde liegenden Pflanzenvorbilder handelt.
In Aegypten sind drei Arten von Nymphäen nachzuweisen: Nymphaea Lotus L., Nymphaea caerulea L. und Nymphaea Nelumbo L. Von diesen scheidet die letzte, wie wir sehen werden, als für die Säulenformen nicht in Betracht kommend aus; wir haben uns also nur mit den beiden anderen näher zu beschäftigen.
Abbildung 1.
Nymphaea Lotus L. Blüthe, Knospe und Blatt nach der Natur (Botan. Garten zu Berlin).Die hierneben abgebildete Nymphaea Lotus kommt der bei uns heimischen, allgemein bekannten, weissen Nymphaea im Aussehen am nächsten, nur dass sie grösser ist als diese. Die vorn rundlichen, am Sitze pfeilförmig gespaltenen, grünen Blätter mit ihrem in kleinen Bogen ausgezähnten Rande, schwimmen auf dem Wasser. Die Knospen und Blüthen erheben sich auf runden, biegsamen Stengeln (von grüner Farbe mit röthlichem Schimmer) etwas über die Oberfläche. Die Knospen sind von langgestreckter, fast elliptischer Gestalt, mit grünen, oben ein wenig röthlich schimmernden Kelchblättern. Sie zeigen — ausser der Form — als charakteristisches Merkmal von oben nach unten gehende Längsstreifen, die sich sowohl durch etwas andere Färbung als auch durch ganz schwaches Relief von der sonst glatten Fläche der Knospe abheben. Die Blüthe, deren äussere Form in nicht zu weit geöffnetem Zustande fast eine Halbkugel ist, hat vier aussen grüne, oben abgerundete Kelchblätter mit denselben charakteristischen Längsstreifen; zwischen den Kelchblättern treten die weissen, ebenso geformten Blüthenblätter regelmässig geordnet hervor. Auch diese weissen Blätter zeigen bei näherem Zusehen Längsstreifen. Ob ausser der weissen Art auch andersgefärbte Varietäten im alten Aegypten vorkamen, scheint wenig wahrscheinlich. Das Aussehen der Wurzel und der inneren Theile der Blüthe[4] interessirt für die vorliegende Untersuchung nicht und wird daher hier so wenig wie bei den folgenden Pflanzen besprochen werden.
Abbildung 2.
Von einem Relief im Grabe des Ptahhotep bei Sakkara; a. R. Dynastie 5; nach dem Gipsabgusse im Berliner Museum.Nachdem wir uns so mit dem Aussehen des Lotus bekannt gemacht haben, werden wir ihn leicht auf den Denkmälern wiedererkennen. Die ägyptischen Künstler stellten ihn, wie überhaupt alle Pflanzen, für ihre Verhältnisse, d. h. soweit die Schwierigkeit der perspektivischen Darstellung sie nicht hinderte, recht naturalistisch dar, selbstverständlich, wie das bei ornamentaler Verwendung von Pflanzenformen nicht anders möglich ist, etwas stilisirt.
Abbildung 3.
Von einem Wandgemälde aus Grab 2 von Benihassan; m. R. Dynastie 12 (nach Lepsius' Tagebuch).Die folgenden Beispiele sind so gewählt, dass in ihnen nicht nur möglichst verschiedene Kunstgebiete — Malerei, Plastik und Kleinkunst —, sondern auch alle Epochen der ägyptischen Kunstgeschichte vertreten sind. Altes, mittleres und neues Reich, sowie die Spätzeit (a. R.; m. R.; n. R. u. Sp. Z.)[5] werden nach Möglichkeit herangezogen werden.
Gute Darstellungen der Nymphaea Lotus finden wir z. B. im a. R. in dem berühmten Grabe des Ptahhotep bei Sakkara (Abb. 2), aus dem m. R. in den Gräbern zu Bersche[6], in denen zu Benihassan (Abb. 3) und an der bekannten Gruppe der „Fischträger” aus Tanis (Abb. 5)[7], endlich aus dem n. R. in den Fayencen aus Gurob und Tell-Amarna (Abb. 6 u. 7).
An diesen Beispielen sehen wir, dass die Aegypter die typische Form der Nymphaea Lotus ganz richtig aufgefasst haben. Die Blätter haben die ihnen zukommende Form, nur sind sie stets ganzrandig[8] dargestellt, ohne die Zähnung. Der Grund hierfür mag die Kleinheit der Zähnung gewesen sein.
Abbildung 5.
Von der Gruppe der „Fischträger” aus Tanis; m. R.; nach dem Gipsabgusse im Berliner Museum.Abbildung 6.
Fayence-Becher aus Gurob; n. R. Dynastie 18; nach Petrie, Illahun, Taf. XVII, 8.Abbildung 7.
Fayence-Kachel aus Tell-Amarna; n. R. Dynastie 18; Zeit Amenophis' IV. ½ nat. Grösse. Original in London, University College.Die Knospen sind in Form und Einzelheiten richtig, die Blume äusserst charakteristisch, sogar die Längsstreifen sind fast immer wiedergegeben. Fassen wir die Merkmale der Nymphaea Lotus zusammen, welche der ägyptische Künstler als bezeichnend für diese Pflanze erkannt hat und bei keiner besseren Darstellung fehlen lässt, so sind es die folgenden:
Abbildung 8.
Friesornament aus dem Grabe des Hapi; m. R. Original im Berliner Museum No. 1118/9. (Ausführliches Verzeichniss S. 64/5.)Bei der Knospe elliptische Form und Längsstreifen, bei der Blume fast halbkreisförmige Umrisslinie, oben abgerundete, bis zum oberen Rande der Blume reichende Kelchblätter mit Längsstreifen und ebensolche, regelmässig dazwischen angeordnete Blüthenblätter. Der Typus ist also mit anderen Pflanzen garnicht zu verwechseln[9], und wir werden nunmehr ohne Schwierigkeiten die Säulen herauserkennen, die auf Nymphaea Lotus zurückgehen. Es sind hier Säulen mit Knospen- und Blüthenkapitellen zu unterscheiden; um jedoch eine gewisse Gleichmässigkeit in der Bezeichnung mit den später zu besprechenden, ähnlich in zwei Gattungen getheilten Papyrussäulen einzuführen, wollen wir die beiden Arten „Säulen mit geschlossenem” und mit „offenem Kapitell” nennen.
Die „Säulen mit geschlossenem Kapitell”, das den Knospen von Nymphaea Lotus nachgebildet ist, kommen bereits im alten Reiche vor. Ein besonders lehrreiches Exemplar entdeckte de Morgan im Grabe des Ptah-schepses bei Abusir (Abbildung 9). Es ist eine aus sechs Hauptstengeln gebildete Bündelsäule. Die Stengel kommen gerade aus der, einen kleinen Erdhügel darstellenden Basis und werden durch fünf Halsbänder unter dem Kapitell zusammengehalten. Das Kapitell ist aus wenig geöffneten Knospen gebildet, die man nach der etwas zu spitzen Form der Blätter vielleicht für Nymphaea caerulea ansehen könnte, die jedoch wegen der Längsstreifen sicher für Nymphaea Lotus zu halten sind. Zwischen die Hauptstengel sind, wie um diese in ihrer richtigen Lage zu halten, unter das Halsband noch sechs kleine, kurze Zwischenstengel gesteckt, die oben in geöffnete Nymphaea Lotus-Blumen endigen. Auf dem Kapitell ruht der ganz einfache, cubische Abakus ohne jede Ornamentirung. Die ganze Säule ist bis auf die Farben äusserst naturalistisch gehalten.[10]
Abbildung 9.
Nymphaea Lotus-Säule mit geschlossenem Kapitell; a. R. Grab des Ptah-schepses, Abusir. Dynastie 5; nach de Morgan, Rev. arch. 1894, S. 28/29.Ein weiteres Beispiel aus dem alten Reiche giebt eine Abbildung im Grabe des Ra'-schepses zu Sakkara[11], die gleichfalls aus der Zeit der 5. Dynastie stammt. Es ist auch hier eine Bündelsäule gemeint, wenn auch am Schaft die verschiedenen Stengel nicht besonders bezeichnet sind; die in kurzen Abständen angegebenen Umschnürungen des Schaftes sprechen deutlich für eine Bündelsäule.
Die besten Beispiele für die geschlossene Lotossäule liefert uns das mittlere Reich. Die Säulen dieser Art aus Benihassan sind allgemein bekannt. Hier ist eine derselben nach einer Lepsius'schen Aufnahme[12] in der Abb. 10 dargestellt. Die flache, kreisförmige Basis soll wohl wieder den Erdhügel vorstellen, aus dem dieses Mal vier zusammengebundene runde, nach oben sich verjüngende Lotusstengel herauswachsen,