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Von
Ludwig Sternaux
Mit 49 Federzeichnungen von Dorothea Hauer
Bielefeld und Leipzig 1922Verlag von Velhagen & Klasing
Louis Esternaux
dem gütigen Freunde früher Jahre in dankbarer Erinnerung
Uns Lebende zieht Sehnsucht zu den Toten; hinweg von den Zahllosen, die uns umdrängen, die uns die warme Hand entgegenstrecken, in deren Augen wir lesen können, gehen wir einsamere Wege und beschwören die Gewesenen, die uns nicht Rede stehen. Wie Helden auf einer nächtlichen, von Sturm umrauschten Bühne sehen wir sie mit flatternden Gewändern, mit starken Gebärden die Geschichte ihres Lebens spielen und werden nicht müde, den tragischen und süßen Worten zu lauschen, die aus tiefer Vergangenheit abgerissen zu uns auftönen.
Ricarda Huch
»O Weimar! Dir fiel ein besonder Los!«
Goethe
Frühlingssonne. Weimar funkelt. Regen hat über Nacht die Straßen blank gewaschen, daß sie wie Firnis glänzen. Alles atmet Duft und Morgenfrische. Da ist es gut, durch die Stadt zu wandern und sich wieder einmal das Märchen erzählen zu lassen, von dem sie nun schon hundert Jahre träumt.
Ein Weilchen steht man unschlüssig auf dem Marktplatz. Die braunen Giebel des Cranachhauses brennen in erster Glut, um Klauers Neptunbrunnen trippeln die Tauben, sehr lustig anzusehen, und bei Tietz werden gerade die Markisen heruntergelassen. Wohin zuerst? fragt Ungeduld … Da, gleich um die Ecke, geht's zum Goethehaus. Die gelbe Front leuchtet durch die ganze Frauentorstraße. Da zur Esplanade. Oder, wie man jetzt ja sagen muß: zur Schillerstraße. Und da, an »Elephant« und »Erbprinz« vorbei, zum Park. Es lockt so vieles. Und da biegt man, stärkerer Lockung widerstehend, in die enge Windischenstraße neben dem Rathaus: Alt-Weimar tut sich auf.
Schmal die Gasse, schmal die Häuser: Zwielicht der Kleinstadt. Der Himmel nur ein blauer Streifen. Hier tollten die Ratsmädel der Böhlau, die Wildfänge. Das graue Haus da, es ist vielleicht das Kirstensche. Steingerank umzieht die Tür, unterm Dachsims hocken Putten: Rokoko, verstaubt und lieblich. Singsang, aus offnem Fenster wehend, beschwört Träume, Versunkenheit lächelt. Wo seid ihr jetzt, Röse und Marie?
Hier wohnte aber auch der Kanzler von Müller, Goethes Freund und Testamentsvollstrecker. Eine schwarze Tafel meldet's. Man blickt versonnen zu den Fenstern hinauf. Gaben sie doch dem Tische Licht, an dem die »Unterhaltungen« niedergeschrieben wurden. Fama weiß dazu von Grüßen, die aus diesen Fenstern zu andern gegenüber wanderten, wo hinter wehender Gardine, hinter Blumenstöcken zuweilen Mädchenaugen leuchteten … dann da wohnten die beiden jungen Gräfinnen Egloffstein mit ihrer Mutter, Julie und Lina, die eine, die Malerin, Goethes »schöne Schülerin«. Müller liebte die beiden hübschen Mädchen. Haben die's gewußt? Ich glaube: nein. Es war eine unglückliche Liebe, und es blieb bei Gruß und Lächeln.
Ja, es ist klassische Welt, die hier in Gassenenge dämmert. Drei Jahre lang, von 1797 bis 1801 auch Schiller-Welt … was keine Tafel meldet. Denn hier, beim Perückenmacher Müller, wohnte Schiller, ehe er nach der Esplanade zog. Zwei Treppen hoch. Mieterin vor ihm war Charlotte v. Kalb gewesen, die geliebte. Wie anspruchslos, wie bescheiden, wie ärmlich Haus und Zimmer! Und, wie Schiller selbst klagt, auch recht »tumultarisch«. Die Kinder, der Lärm des nahen Markts, unter ihm der ewig musizierende Geheimrat v. Schardt, Frau v. Steins Bruder, störten ihn in der Arbeit. Trotzdem entstanden hier in der »Wünschengasse« eine »Maria Stuart« und die »Jungfrau«. Und viele von Schillers tiefsten, schwersten Gedichten.
Was keine Tafel meldet …
Und leise wandelt sich die Chodowiecki-Szenerie in Mittelalter, in Gassengewinkel und uraltes Gemäuer. Grau und finster steigt das plötzlich auf, trägt schweres Dach und Erkerzierat, die Fensterscharten haben Butzenscheiben, Eisenzahlen, auf den Stein geschnörkelt, deuten in fernste Jahre.
»Am Palais«, erklärt das Straßenschild. Am Wittumspalais also, Anna Amalia Witwensitz. Da die Einfahrt! Auf den Torpfeilern bekränzte Urnen. Das allein ist Rokoko, ist Zopf. Sonst ringsum veritables Mittelalter. Man denkt wirklich mehr an Herzog Wilhelm den Frommen, der hier Franziskanern-Barfüßern eine »Burg Gottes« errichtete, denn an Anna Amalia in Reifrock und Perücke. Als die Mönche der Reformation wichen, wurde die Klosterkirche Kornhaus. Die Bauern steuerten hier den »Zehnten«, und Fluch schwelte Jahrhunderte um die düsteren Mauern. Anno 1767 kam dann der allmächtige Minister von Fritsch, der Anna Amalia rechte Hand in den letzten Jahren ihrer Regentschaft für den unmündigen Carl August. Die Klostergebäude wurden umgebaut, mit neuen Flügeln an der nahen Stadtmauer ergab sich ein hübsches, bequemes Palais. Das Kornhaus selbst blieb, was es war, bis es unter Carl Alexander, Carl Augusts Enkel, Verwendung fand als Großherzogliche Musikschule. Das ist das Haus noch heute, wenn auch nicht mehr Großherzoglich, und wo einst feierliche Messen zelebriert wurden und der Weihrauch dampfte, üben die Musikschüler fleißig ihre Tonleitern. Mitunter aber dringt aus den kleinen Rundbogenfenstern auch Orgelklang, ganz dumpf, ganz verhalten, ein dunkles, geheimnisvolles Brausen. Dann ist es einem, als ob die alte Zeit wiedergekehrt wäre …
Und ein paar Jahre später. 1774. Das Residenzschloß brennt nieder. Anna Amalia ist obdachlos. Das Belvedere? Ist Sommerresidenz. Hat nicht einmal Öfen. Da bietet Fritsch der Herzogin dieses sein neues Palais in der »Wünschen-Windischengasse«, sie nimmt es dankbar an. Und höfischer Prunk zieht in das einfache, fast bürgerlich bescheidene Haus, das nun den Namen »Wittumspalais« erhält.
So die Historie.
Nun sieht das Wittumspalais heute freilich etwas anders aus, als man es sich in jenen Tagen seines höchsten Glanzes vorstellen darf. Hundert Jahre sind eine lange Zeit, da verändert sich mancherlei.
Damals, als Anna Amalia es zu dem berühmten »Sitz der Musen« machte, Goethe, Schiller, Wieland und viele andere Leute von Rang und Namen dort ein- und ausgingen, lag es in einem großen parkähnlichen Garten, der die ganze heutige Wielandstraße einnahm. Gartenmauer und Stadtmauer waren eins. Ein Aquarell von der Fürstin eigener Hand, jetzt Besitz des Weimarer Vereins »Frauenbildung-Frauenstudium«, zeigt reizend diesen Garten: große schattige Bäume, verschlungene Wege, künstliche Hügel und Grotten. Mitten drin ein Pavillon. Das war der Chinesische Tempel. Da saßen Anna Amalia und die kleine bucklige Göchhausen mit Vorliebe an den letzten warmen Tagen des Jahres, wenn die Astern blühten und die Blätter leise von den Bäumen fielen … Oeser, Goethes Lehrer, hatte ihn à la Chinoise ausgemalt, sehr fein, sehr zart, so etwa, wie das jetzt Orlik oder Walser machen würden, und vielleicht hat hier Goethe den Damen einmal den Urfaust vorgelesen, den die Göchhausen dann, uns zum Heil, so hübsch sauber abgeschrieben hat.
Als später die Stadtmauer fiel, der »Schweinemarkt« davor vornehm ein Carls-Platz, der Garten selbst für Häuserbauten aufgeteilt wurde, ließ Carl August den Tempel nach dem Belvedere schaffen. Dort findet man ihn noch heute hinter der Orangerie, allerdings in traurigem Verfall. Aber die Chinesen und Chinesinnen Oesers lächeln noch immer lieb und einfältig, und der Blick aus den Fenstern, der weit ins Thüringer Land reicht, ist sogar anmutiger als anno dazumal der im alten Weimar, wo das Auge nur das freie Feld vor der Stadtmauer und ein paar karge Schrebergärten fand.
Jetzt liegt das Wittumspalais ganz in Straßen eingewinkelt, an der Vorderfront die Schillerstraße und der Theaterplatz, seitlich die Zeughofgasse. Nur die Pappeln über dem kleinen Hof und eine einsame Kastanie neben dem einstigen Kammerfrauen-, dem jetzigen Kastellanshaus erinnern noch an jenen Garten.
Jetzt liegt das Wittumspalais auch, sieht man es vom Theaterplatz aus, viel höher. Der Platz ist aufgeschüttet worden, und so ging das Untergeschoß der Straßenfront verloren. Das Portal, das heute Einlaß gewährt, führt gleich in den früheren ersten Stock. Dies Portal gab's damals überhaupt nicht. War eins der vielen Fenster. Und wenn man in das Haus hineingelangen will, wie es Anna Amalia und ihre Gäste betraten, so muß man von der Windischenstraße aus kommen, wo »Am Palais« die Einfahrt war und noch ist, und über den Hof gehen … unter dem finsteren Tor des alten Klosterflügels hindurch, an der Küche und den Ställen vorbei. Das mag da oft ein buntes Leben gewesen sein, wenn die Herzogin Empfang hatte oder ein Fest, einen Ball gab. Da drängten sich dann wohl bei Fackelschein die Sänften und Karossen, die Pferde scharrten, Hunde bellten (der Herzog, Carl August, brachte zuweilen seine ganze Jagdmeute mit), Haiducken und Läufer lärmten dazwischen, und in der offenen Küche wirtschafteten die Köche an den fünf riesigen Herden.
Oder die Herzogin ritt aus. Solch eine Kavalkade hat Johann Friedrich Löber gemalt. Anna Amalia selbst auf einem Schimmel, sehr klein, sehr zierlich, am zierlichsten ihr Fuß in rotem Reitstiefelchen, worauf sie mit Recht stolz war. Neben ihr, groß und breit, Liutgarde v. Nostitz, die Hofdame, dahinter der Oberhofmarschall v. Witzleben und der Stallmeister Josias v. Stein, Charlottens Mann. Ein Zwergläufer führt die Tête. So ging es durch die enge Windischengasse und, am Markt vorbei, durch die Frauentorstraße zur Esplanade, immer von Gaffern begleitet … so ging's wohl auch nach Belvedere, Tiefurt, Ettersburg.
Auch die Esplanade sah damals anders aus als heute. War eine Promenade mit einem Lusthaus in der Mitte und einem Goldfischteich, von der Herzogin selbst angelegt, weil ihr der Weg nach dem »Wälschen Garten« hinter der Ackerwand zu weit war und weil sie vom Palais aus hübsche Aussicht haben wollte. Denn vorher hatte hier ein wüstes Durcheinander von Gräben, Wällen und Tümpeln das Auge gequält. Nachts wurde diese Promenade durch Gitter geschlossen. Mählich wandelte die Esplanade sich dann in Straße, Häuser gaben festen Rahmen, das Hauptmannsche Redoutenhaus, auch vom obdachlosen Hof zu größeren Festen benutzt, war eins der ersten. An seiner Stelle prunkt jetzt ein Neubau, ein Kaffeehaus, wo Billard gespielt wird und eine Musikkapelle Weimars Lebewelt mit den neuesten »Schlagern der Saison« erfreut.
Da aber, wo die Esplanade auf das Wittumspalais stößt, unweit besagtem Café, führt eine dunkle, ganz verschattete Treppe an dem alten Klosterflügel des Palais entlang zur »Wünschengasse«. Ein wilder Birnbaum hat sich hier im Mauerwerk verwurzelt, und die Treppe ist wie eine Laube … in Sommernächten eine beliebtes Stelldichein, heut wie ehedem. Wenn Ottilie v. Pogwisch und August v. Goethe abends bei Schopenhauers gewesen waren, die auf der Esplanade wohnten, dann schlüpften sie hier erst für Augenblicke unter, um sich satt zu küssen, ehe er die Geliebte nach Hause brachte … was übrigens keines weiten Wegs bedurfte, denn Frau v. Pogwisch wohnte ebenfalls auf der Esplanade, neben dem Schillerhaus. Und die Böhlauschen Ratsmädel wußten den verschwiegenen Ort auch durchaus zu schätzen. Dort lauerten sie in der Dämmerstunde den armen Liebespaaren auf, um mit den Erschreckten ihre Allotria zu treiben; dort lasen sie heimlich die Liebesbriefe, wenn Ottilie Pogwisch und Adele Schopenhauer die beiden Bälger in der Kummerfeldenschen Nähstunde als postillions d'amour benutzten; dort küßten sie sich später selbst mit ihren Freunden.
Das alles weiß der wilde Birnbaum noch sehr gut, so jung er damals auch gewesen. Und wer in lauen Nächten hier ins Dunkel zu tauchen wagt, dem erzählt's das leise Rauschen der Zweige. Dem klingen die alten Namen aus der Vergangenheit herauf, und um jeden flicht Legende ihren Kranz.
Doch zurück zu Anna Amalia! Ein Menschenalter hat sie im Wittumspalais gewohnt, bis zu ihrem Tode. Und sie starb 1807. Rührig, still und einfach lebte sie hinter diesen Fenstern, diesen Mauern, nur im Frühling und Sommer die Stadtwohnung mit dem nahen Tiefurt tauschend, zuweilen, doch nie lange, auf Reisen. Ihre Freundin und Vertraute: die Göchhausen. Luise mit Vornamen, aber Freundesscherz nannte sie, die zwerghaft-zierliche, Thusnelda. »De Frailein von Kechhausen, wisse Se, wo bloß so glein kewese is, das heißt nemlich, häre Se, se war pucklich un verwachse, aber sähr gluch.« So der Kastellan des Wittumspalais, der vermutlich aus Sachsen ist. Erich Schmidt, der ihre Urfaust-Handschrift fand, hat sie dann so berühmt gemacht, daß heute die Jungen und Mädels in der Schule ihren Namen lernen. Und Goethe-Verse, leibhaftige, huldigen ihr:
Was die Kleine redlich tat. Andere Hausgenossinnen der Herzogin: die Kammerfrauen. Auch hier bekannte Namen. Amalie Kotzebue, die Tante Augusts, treu der Herrin bis zur Erblindung. Genast, der Schauspieler, sah als Knabe die Blinde noch im Hofe des Palais in der Sonne sitzen. Amalie von Berg, die Schriftstellerin, die auch eine Kotzebue war und später den Steuerrat Ludecus heiratete. Ihr Grab ist auf dem Alten Friedhof am Poseckschen Garten. Und die beiden Bendas … alle, worauf Anna Amalia großen Wert legte, nicht Domestiken, sondern Talente und »schöne Geister«.
Diese drei Jahrzehnte Wittumspalais unter Anna Amalia umspannen Goethe-Welt. 1775, im November, taucht der Dichter des »Werther« in Weimar auf, »mit seinem schwarzen Augenpaar, zaubernden Augen mit Götterblicken, gleich mächtig zu töten und zu entzücken«, ein Meteor, das schnell zum Stern wird, der über Weimar stehen bleibt wie der Stern der Verheißung über Bethlehem. Und so auch über der Herzogin Amélie Palais … jetzt, wo die Regierung aus ihren Händen an den mündig gewordenen Carl August übergangen, tatsächlich nur noch ein Witwensitz.
Und Goethe-Welt ist es, die dies stille Haus spiegelt. Auch hier, hat man den düsteren Torbogen erst passiert, der junge Frühling. Grünes Licht rauscht auf, betritt man den Hof. Die Spatzen unter der Kastanie lärmen. Sonne legt Gold auf die grauen, verwitterten Wände und läßt die toten Fenster glitzern.
Tür, Treppe, Vorplatz: ein Bürgerhaus. Wie am Frauenplan. Behäbig, aber ohne jeden Prunk. Den bieten erst die Zimmer. Die seidenen Tapeten leuchten, das Parkett glänzt, die Kristallüster flimmern. Aber es ist ein sterbendes Rokoko. Ein paar der weißen Stuckdecken, ein paar Möbelstücke gefallen sich noch in geschweifter Linie. Alles andere ist bereits Empire: steif, kühl, sparsam im Ornament. Ein Kranz, eine Schleife, ein dünnes Fruchtgehänge, an den weißen Türen, an der Boiserie der Fensternischen schmale goldene Linien — das ist alles. Üppig nur die Bilder. Da das herrliche Porträt der Fürstin von Tischbein: die großen Augen, der zarte Mund, um den verhaltenes Lächeln spielt, die schöne Büste … Anna Amalia, wie Goethe die »verwittibte Herzogin« zuerst sah. Da Friedrich der Große, der Fürstin Oheim, »in zugeknöpftem blauen Zivilrock mit Ordenssternen, wie er soeben den Siebenjährigen Krieg beendet hat«, das einzige Bild, zu dem der König gesessen hat: der herrliche, sieghafte Glanz der Friedrichs-Augen flimmert auch in denen der Nichte. Da, im rotbespannten »Dichterzimmer«, Goethe und Schiller, von May, von Graff; im Schlafzimmer der Herzogin die Söhne: Carl August, achtzehnjährig, von Schlosser, und Constantin, ein dunkeläugiges zartes Kind, von Tischbein. Und so fort. Die ganze Dynastie, der ganze Hof, Weimar in Goethe-Tagen. Selbst die beiden Schwestern Gore fehlen nicht, die Engländerinnen, deren eine, die schöne Emilie, Carl August nahe gestanden haben soll. Und auch Corona Schröter nicht. Wie sie lächelt! Kaum verhüllt das Kleid den vollen Busen, Locken rahmen das Iphigenien-Antlitz. Wen hat in Weimar man so gefeiert wie sie? Wen so rasch vergessen? Ihr Lächeln tut weh, und die schmale Galerie, in der ihr Bild hängt, verfinstert sich, denkt man des einsamen Grabes in Ilmenau.
So weckt hier jedes Bild, jedes Zimmer, jeder Gegenstand Erinnerungen. Das Herz hält Totenschau und ist, für tiefe Augenblicke, den Toten näher als den Lebenden. Zumal im »Lesezimmer«, das hinter den verhängten Fenstern ein grünes Zwielicht geheimnisvoll erregend füllt, drängen sich die Schatten. Georg Melchior Kraus, der Maler, hat den Abendkreis von Menschen, der hier sich bei der Herzogin so oft zusammenfand, im Bilde festgehalten. Da sitzen sie alle um den Tisch, in der Mitte die Fürstin, die malt, rings um sie herum, ganz zwanglos, die anderen: Goethe, der vorliest, neben ihm Einsiedel, dahinter, bei riesigen Bildermappen, Heinrich Meyer, und die »schöne Kehle«, das Fräulein v. Wolfskeel, schaut gespannt, welchen Kupferstich, welche Zeichnung Meyer der Gesellschaft vorlegen wird. Gegenüber die Gores, Vater und Töchter, über eine Stickerei gebeugt die Göchhausen und, bequem in den Stuhl zurückgelehnt, Herder.
Was liest Goethe vor? Wovon sprechen sie? In welche Fernen blickt Herders Auge? Vielleicht steigt Italien vor ihnen allen auf, wo die Herzogin vor kurzem gewesen … Italien, das, wie Goethe in seiner Widmung der »Venetianischen Epigramme« rühmt, Anna Amalia ihnen in Germanien von neuem erschuf. Vielleicht liegen in den Mappen neben Meyers Sessel die Aquarelle von Tivoli, die jetzt im grünen Wohnzimmer der Herzogin hängen, vielleicht ist es das Tagebuch seiner italienischen Reise, in dem Goethe blättert … wer kann es wissen?
Eines Tages begegnen Offiziere auf der Landstraße nach Jena einem alten Manne in dürftigem Reisehabit. »Was ist das für ein närrischer Kerl?« fragt einer … »Er wird das Handwerk grüßen!« meint ein anderer, sehr von oben herab. »O nein!« fährt da der erste fort, »ich habe ihn gestern im Garten der Herzogin gesehen.«
Es war der Dichter Seume.
Und so wie er durfte kein »schöner Geist« Weimar passieren, ohne im Wittumspalais eingekehrt zu sein. Es hat dieser Gäste vielerlei gesehen, ihre Namen klingen mit, wenn der Name »Wittumspalais« aufklingt. Der alte Wieland vor allem, so vertraut, daß er jederzeit Zutritt hatte, dann Goethe natürlich, Herder und Schiller. Sie wäre eine wackere Frau, die Herzogin, und es lebte sich gut mit ihr, bekannte Schiller, der skeptisch war gegen Fürstengunst. Lenz, Klinger tauchen sporadisch auf. Auch Merck. Später wird Jean Paul feierlich empfangen — wetteiferte an schnellem Ruhm er eine Zeitlang doch fast mit dem Herrn vom Frauenplan! Sein Schreibsekretär, später hierher gebracht, erinnert an ihn. Auch Jena schickte illustre Köpfe: Humboldt, Hufeland, Fichte, Schelling, Hegel. Und von der Staël, die bei der Herzogin wiederholt zu Gast, erzählt Goethe in den »Annalen« folgende Anekdote: »An einem personenreichen Abendessen« sitzt Goethe in Schweigen versunken. Irgend jemand hält sich darüber auf. Die Staël pflichtet bei. Und fügt hinzu: »Übrigens mag ich Goethe nicht, wenn er nicht eine Bouteille Champagner getrunken hat!« Goethe hört's und meint schlagfertig: »Da müssen wir uns denn doch schon manchmal zusammen bespitzt haben.« Unterdrücktes Lachen, verlegene Pause im Gespräch. Die Staël, des Deutschen nicht mächtig, will wissen, was er gesagt. Niemand traut sich, bis Benjamin Constant es unternimmt, »ihr mit einer euphemistischen Phrase genugzutun«.
Wo dies »personenreiche Abendessen« gewesen? Vermutlich im Obergeschoß, im »Theatersaal«. Da ist erst das schöne, türkisblaue »Empfangszimmer« mit den weißgoldenen Möbeln und den Leuchtergirandolen, die Goethe der Herzogin aus Italien mitgebracht, und dann, mit den Fenstern nach Hof und Esplanade, dieser Saal. Hier wurde getafelt, hier Theater gespielt, hier getanzt. Die Decke von Oeser. Die übliche Allegorie. Die Wände schöner roter Marmor. Die Sessel gelber Atlas. Ein Riesenteppich deckt den Boden. Alles sehr festlich und, wenn die Kerzen flimmern, sicher warm und behaglich. Goethes »Paläophron und Neoterpe« hat hier, anno 1800, der alten Herzogin gehuldigt … ein Maskenspiel, in Worten tändelnd, die leicht wie Hauch, der Spinettklang einer abgelebten Zeit. Dieser Klang haftet noch. Man spürt ihn bis in letzte Nerven. Nur ist die heiter-bewegliche Gesellschaft, die einst danach tanzte, tot, und jetzt schwingen hier im Lichte sich allein die Sonnenstäubchen.
Lange lag diese ganze Welt in tiefem Schlaf. Man schien vergessen zu haben, daß hier einst eine »vollkommene Fürstin mit vollkommen menschlichem Sinn«, wie Goethe Anna Amalia genannt, gewohnt hatte. Schien vergessen zu haben, daß über die schlichte graue Holztreppe die erlauchtesten Geister einer großen Zeit geschritten waren. Weimar trieb Kult mit andern Göttern: wenn Liszt sich, lockenumwallt, am Fenster seines Hauses in der Belvedere-Allee sehen zu lassen geruhte, zwang Verzückung die Weiber auf die Knie … ein paar Akkorde, von seiner Hand gegriffen, faszinierten eine Welt!
Erst Carl Alexander brach den Bann.
Da säuberte das alte Schlößchen man sorgfältig von Spinneweben und Domestikenplunder und baute hübsch zierlich, von Zimmer zu Zimmer, die Erinnerungen auf, die dem Einst Glück und Rausch verflogener Stunden gewesen … die vielen Bilder, das Porzellan, die Uhren, die Vasen aus Alabaster und Biskuit, die Bronzen, das Tausenderlei von Andenken, das Reisen und Besuche angehäuft, Tand vielleicht und doch mehr, weil Herkunft und Gebrauch die meisten der Sachen geadelt. So fein baute man das alles auf, daß Anna Amalia, die sehr auf Ordnung hielt, nichts auszusetzen fände, schritte sie jetzt noch einmal die Flucht der Zimmer ab.
Alles steht an seinem Platz … sie fände im Wohnzimmer das Schachbrett, im Schlafzimmer Waschservice und Frühstücksgeschirr, am Fenster ihre Malutensilien; da die kleine antike Räucherlampe auf dem »Balkon« des gußeisernen Ofens harrt nur der Hand, die sie anzündet, da auf dem Spinett die Mandoline nur der Finger, die sie zum Klingen bringt. Die Noten daneben, Mozart, liegen aufgeschlagen, und auch die Harfe steht bereit. Ja, sie fände sogar in einem kindlich mit Goldpapier verklebten Glaskästchen die winzigen rotseidenen Pantoffeln …
Aber sie kommt nicht. Die Stadtkirche hütet ihre Toten gut. Nur ihr Geist beseelt noch immer die Räume, die sie einst bewohnt, den kann kein Stein und keine Gruft bannen. Und die alte Dame auf Jagemanns Bild, Anna Amalia 67 Jahre alt, lächelt, als ob sie das wüßte.
Wagenfahrt unter blühenden Obstbäumen. Die Sonne schon sommerlich warm: Gold tropft aus dem grünen Baldachin des Laubes, verwehte Blütenblätter taumeln gleich lichttrunkenen Faltern. Da die Landstraße höher steigt, wandert das Auge über Felder, die sich wie blasser Brokat wellen. Dazwischen ein Silberband: die Ilm, der »liebe Fluß«. An ihrem Ufer Tiefurt.
Goethes Tagebuch am 20. Mai 1776: »… Tiefurt. Einzug.« Am 21.: »In Tiefurt mit den beiden Herzoginnen, Edelsheim usw. Drauß geschlafen.« Und ein Brief Knebels: »Wir vertrieben den Pächter aus seiner Wohnung, rissen die Bauerngehege hinweg und bereiteten nach und nach einen angenehmen Aufenthalt in der überaus günstigen Gegend.«
So beginnt Tiefurts klassische Zeit. Das Pächterhaus des Kammerguts, ein anspruchsloser Bau ohne jeden Stil und Komfort, wird auf Wunsch der Herzogin Sommerquartier des Prinzen Constantin, Carl Augusts Bruder. Knebel, der Erzieher des Prinzen, richtet die Wohnung her, Goethe, Hansdampf in allen Gassen, muß helfen. Zwei Stuben müssen vorläufig genügen. Oeser malt sie in pompejanischer Manier aus: auf gelbem Grund ein wenig Blumenornament.
Am 20. Mai der Einzug. Der ganze Hof ist draußen, auch Goethe mit Frau von Stein. Die Bauern empfangen den Prinzen mit »Musik, Böllern, ländlichen Ehrenpforten, Kränzlein, Tanz, Feuerwerkspuffer, Serenade usw.«. Zwei Tage dauert das Fest. Da im Schlößchen noch keine Betten für Gäste, übernachten der Herzog, Goethe und »noch einige« im Freien … was man damals, jugendlich begeistert, als »Erdgefühl« cachierte.
Dieser Prinz Constantin, schon in frühen Jahren ein Sorgenkind, hat hier bis 1780 gewohnt … sicherlich nicht freiwillig. Er war ein unruhiger Geist, schwierig zu behandeln, bei aller Wildheit überzart, mit schmalen Schultern, blassen Schläfen, den dunkelglühenden Augen eine Verfallserscheinung. Was konnte ihm, der nach Abenteuern und Ekstasen Leibes und der Seele gierte, das Idyll Tiefurt geben? So schickte man ihn auf Reisen. Vergebens. Krank taumelt er durchs Leben, bis ihn, 1793, die Kriegstrommel verführt. Als sächsischer Oberst macht er die Kampagne gegen Frankreich mit und stirbt, fern der Heimat, irgendwo an der Ruhr, so ein nutzloses Dasein nicht einmal heldisch endend. Mutterliebe hat ihm im Tiefurter Park ein Denkmal gesetzt, eins der vielen hier. Ein antiker Sarkophag, sehr schön in den Linien, die Inschriften feiern den Toten in ergreifenden Worten als Helden und »Opfer dieses unglücklichen Krieges«.
Dies ist die Ära Constantin … verweht, vergessen. Nur das Denkmal an der Ilm erinnert leise daran und eine schmale Silhouette des Prinzen im Schloß. Das Tiefurt Anna Amalias, die nun das ferne Ettersburg aufgibt und hier im Sommer wohnt, ist das heutige … der Park mit seinen Urnen, Bänken und Gedenksteinen hat sich selbst erhalten, das verwahrloste, mit Krimskrams aller Art überladene, lange nur als Rumpelkammer benutzte Haus hat Enkelpietät ganz so wiederhergestellt, wie es zu ihren Zeiten war. Dank Wilhelm Ernst, dem nun Vertriebenen, der das getan! Auch hier würde die Erlauchte, kehrte einmal sie aus Elysium zu der Stätte zurück, die ihr eine Stätte reinsten Glücks und lauterster Freude gewesen ein Leben lang, alles finden, wie sie es verlassen, als der Tod sie abberief. Wirklich alles. Nur die Steintafel am Eingang zum Park fehlt, die einst schwärmte:
Fromme Worte, die noch jetzt Magie. Wer den Park betritt, dem klingen sie im Herzen auf, und wer ihn verläßt, den begleiten sie.
Zwei Wege führen von Weimar nach Tiefurt, beide gleich schön, zumal im Frühling, wenn junges Grün sie säumt. Der eine die Landstraße, die das »Webicht« quert: erst Villen, dann Garten und Feld, schließlich der Wald. Wie oft ist hier der alte Goethe mit Eckermann gefahren, in Erinnerung versunken! Der andere, die »Carolinen-Promenade«, läuft die Ilm entlang.
»Es ist ein äußerst angenehmer Weg,« schreibt 1780 ein junger Theologe, der Herder nach Tiefurt begleitete, »der Ilm nach, durch ein Wäldchen, wo wir meisterlich waten mußten.« Das braucht man heute nun nicht mehr. Man gelangt trockenen Fußes ans Ziel. Aber wenn der Briefschreiber weiter erzählt: »Endlich kamen wir auf eine schöne Wiese, dann wieder ins Holz, dann übers Wasser in den Garten, wo eine kleine chinesische Hütte ist, hinauf auf den Berg, den Knebels Phantasie ausgebildet hat, zu einigen kleinen Altärchen, wo man ins Tal eine schöne Aussicht hat, zu einer Grotte, die Virgils Grab heißt, oben gegen dem Feld am Wald vorbei auf eine hohe Eiche von drei Stockwerken, ordentlichen Altanen, wo eine schöne Aussicht ist und reine herrliche Luft weht«, so kann man der Schilderung eher beipflichten. Nur konnte Herders Begleiter, der ja auch »Tiefort« noch ein »Lusthaus des Prinzen Constantin« nennt, anno 1780 die mancherlei Veränderungen nicht kennen, die der Park nun unter Anna Amalia erfuhr.
Und die aus Wald und Wiese, Fluß und Uferhang, Berg und Tal einen »elysischen Hain« machten. »Faune und Nymphen sollen sich nicht zu schämen brauchen, ihren Aufenthalt darin zu nehmen.« So sie selbst. Knebels Anlagen sind der Grundstock. Nun baut sie, mit Goethe, weiter. Bäume werden gepflanzt, Wege gezogen, Durchblicke geschaffen. Jede Bank erhält ihren Namen, jeder Platz seine tiefere Bedeutung. Ein »Musentempel«, weiß und schlank, steigt reizvoll aus dem Samt der grünen Rasenflächen, die Freunde werden durch Altäre und Urnen gefeiert. Das Ganze schließen jenseits der Ilm Felsterrassen harmonisch ab … ein Theater der Natur, das sentimentalisches Gefühlsklima atmet, Oden und Elegien in Stein, Baum, Boskett tändelnd beleben.
Oder wie die Goethe-Verse auf dem Holzsockel der Wieland-Büste es wollen:
Die ursprüngliche Form der Distichen, die in den Werken als »Geweihter Platz« feierlichere Prägung erhalten haben. Geweihter Platz — das ist ganz Tiefurt. Man wandert von Erinnerung zu Erinnerung, immer die Ilm zur Seite, die mit Glitzerwellchen lustig über Stein und Wurzel dahinströmt. Enten treiben drauf, Blütenblätter, zuweilen hascht Sonne einen Fisch und läßt den schmalen, blanken Leib in kühler Flamme lodern … alles wie anno dazumal, als Anna Amalia hier in weißem Sommerkleid, eine bescheidene Landedelfrau, morgens lustwandelte. Mit Wieland vielleicht, »ihrem guten Alten«. Oder mit Goethe, mit Herder. Vielleicht auch nur begleitet von der »Gnomide«, der Göchhausen, und deren dickem Mops.
Ein Baum, ein Steintisch, eine Büste … wie dürftig! Und doch vollkommenstes Idyll. Idyll auch, ein paar Schritte weiter, die Bank mit dem Amor: Coronas Denkmal. Kein Name verrät, daß es ihr gilt. Aber im Rauschen der Bäume, im leisen Flüstern der Blätter ringsum klingt süß und leise noch heute die Stimme, die sich hier einst so oft im Lied gewiegt. Sie ist Philomele, der die Goethe-Verse der Steintafel huldigen:
Niedlich darüber der Amor, ein kleiner Marmorgott. Die eine Hand, die mit dem Pfeile, hat ein Umsturz-Wicht zerschlagen. Nun klagt das Kinderauge, und Philomele, ängstlich in die andre Hand geschmiegt, ist ohne süße Nahrung. Aber wenn der Abend kommt und Flieder und Jasmin stärker duften, aus den Flußwiesen der Nebel steigt, singt sie doch … der ganze Park wird dann ein einziges trunkenes Liebesstammeln.
Wenn der Abend kommt, erwacht hier überhaupt die Vergangenheit, aus Schatten drängen Schatten und werden wieder Leben. Wissen muß helfen, sie zu beschwören. Da ist Goethes Tagebuch. Immer wieder meldet es im Sommer 1781, dem ersten, den Anna Amalia hier als Herrin verbracht: »Abends Tiefurt.« Auch die Briefzettelchen an Charlotte, wilder, heißer, ungestümer denn je, erzählen damals unablässig davon. Da wird mit den Bauern und der Dorfjugend der »Ärndtekranz« gefeiert, da wird »Nathan und Tasso gegeneinander gelesen«, da singt Corona Schröter Rousseaus neue Lieder, da wird der »Musentempel« eingeweiht, ein frischer Gedenkstein enthüllt … wir würden heute sagen: immer ist in Tiefurt was los. Und Charlotten, die ihre Migräne hat und an der Ackerwand eifersüchtig des Freundes denkt, der mit anderen »miselt«, vielleicht sogar mit »Krone«, vielleicht auch mit der schönen Baronin Werthern oder der kecken Waldner, der Person, — Charlotten wird berichtet: »Gestern ist unsre Feyerlichkeit zu iedermanns Vergnügen begangen worden.«
Feierlichkeit?
Wieder mögen Goethe-Verse Deutung geben. Das große, das wundervolle Gedicht »Auf Miedings Tod«, das den Theatermeister Mieding und die Schauspieler preist:
Theater also, Possenspiel. Und die Bühne ist die »Theaterwiese«, Parkett das »Chinesische Haus« mit schmaler Terrasse. So einst, und so noch heute, nur liegen die Wiese, der schlichte Fachwerkpavillon verödet und verlassen. Und nachher dann »Beleuchtung«. Da wird an Miedings Stelle Goethe, der Rembrandt-Schwärmer, Regisseur, und Fluß und Uferhang wandeln sich, wie so oft schon vorm Gartenhaus am Stern, in idealische Landschaft von magischem Helldunkel, werden Rembrandt-Tableau »zu jedermanns Vergnügen«.
Und das Tagebuch vom 28. August 81: »Abends in Tiefurt, wo man die Ombres Chinois gab.« An Frau von Stein tags darauf: »Gestern ist das Schauspiel recht artig gewesen, die Erfindung sehr drollig und für den engen Raum des Orts und der Zeit sehr gut ausgeführt. Hier ist das Programm. NB es war en ombre Chinois wie Du vielleicht schon weißt.«
Dieser 28. ist Goethes Geburtstag, das Schattenspiel, das Seckendorf gedichtet, Huldigung für ihn: »Minervens Geburt, Leben und Taten.« Im »Tiefurter Journal«, Anna Amalias netter, handschriftlich vervielfältigter Chronik dieser Jahre, kritisierte Wieland die Aufführung. Alles sehr hübsch, sehr gelungen, doch Venus sei in einem Aufzuge erschienen, »welcher dem Negligé einer Waschfrau und Grasnymphe ähnlicher sah, als dem einzigen Schmuck, der sich für die Göttin der Schönheit ziemt«. Ob Emilie Werthern, eben jene Venus, ein andermal den guten »Papa Wieland« mehr befriedigt hat?
Ein Jahr später, an heißem Juli-Abend, die »Fischerin«, unten an der Ilm bei Fackelbeleuchtung gespielt. Goethe an Merck: »Ehestens wirst Du ein Wald- und Wasser-Dram zu sehen kriegen. In Tiefurt aufgeführt, tut es gute Wirkung.« An Charlotte, die Verstimmung fern gehalten: »Von meinem gestrigen Stück, das sehr glücklich ablief, bleibt mir leider nichts als der Verdruß daß Du es nicht gesehen hast.« Das Tagebuch stumm. Um so beredter die Tuschzeichnung von Kraus im Schlößchen in Farbenduft und zarter Linie: die Erlen, die Fischerhütte, an einem kleinen Feuer Töpfe, im Hintergrunde Netze und Fischergeräte, auf dem Fluß im Mondschein der Kahn mit den Fischern, vorn Dortchen, die den »Erlkönig« singt … ein reizendes Bild, ganz die Szenerie des Stücks in Goethes Angabe, ganz Tiefurt-Zauber. Dortchen, im üppig gerafften Reifrock mehr eine Schäferin des Rokoko denn eine ländliche Fischerin ist Corona Schröter, die Liebliche. Und wie kann es anders sein, daß da die Verse aufklingen, die sie unsterblich gemacht:
So führt Erinnerung, süßen Plaudertons, zum Schloß. Altersbraun, verwittert Dach und Mauerwand, liegt's unter Riesenbäumen. Weimar trinkt hier gerne Kaffee. Der Kastellan hat kleine Wirtschaft, an schönen Sommernachmittagen sind Tisch und Stuhl, heut leer und Turngerät für Hühnervolk und Spatzen, dicht besetzt … die »Stille des Herzens« ist dann Illusion.
Ein Schloß?
Man lächelt. Kaum ein Schlößchen. Ein Guts-, ein Pächterhaus, wie's deren Tausende gibt. Bescheidener kann man nicht wohnen. Allein die hölzerne Pergola der Parkfront mit ihren Säulen, ihrem Gitterwerk, ihren Skulpturen verrät, daß hier Anmut und Geist sich eine maison d'âme in ländlicher Idylle geschaffen, hier Heimat von Menschen gewesen, die mehr als Ackerbau und Viehzucht trieben.