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Wer zivilisierte die Alten Römer? Bereits seit Jahrhunderten unterhielten Etrusker und Griechen ein ausgedehntes Handelsnetz und kontrollierten die italienische Halbinsel, bevor aus den Bewohnern der rustikalen Idylle auf den sieben Hügeln Stadtbewohner geworden waren. Die Geschichte dieses Buches ist eine Saga über die frühen römischen Kontakte und ihr kulturelles Erwachen, über das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen, über die Entwicklung von Stadtverwaltung und staatlicher Ordnung und über die dramatischen Ereignisse im Zusammenhang mit dem Machtwechsel, von der Entstehung der Republik, über den Wechsel zur Schriftlichkeit und über den Aufbau eines lateinischen Kulturwortschatzes. Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis der Kulturströmungen, die Rom zur historischen Drehscheibe der westlichen Zivilisation gemacht haben.
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Seitenzahl: 362
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HARALD HAARMANN
GESCHICHTE EINER MOSAIKKULTUR
Einleitung:Die römische Zivilisation als Entwicklungsprojekt
1. Who is who in der Frühzeit Italiens?Völker und Kulturen von den Alpen bis Sizilien
Italische Sprachkulturen
Indoeuropäische Außenlieger in Italien (Nicht-Italiker)
Nicht-indoeuropäische Völker und Sprachen in denRandgebieten
2. Die Big Players und ihre Einflusssphären in vorrömischer Zeit:Regionalkulturen im Spannungsfeld zwischen Griechen im Südenund Etruskern im Norden
Tyrsenoi/Tyrrhenoi – Rasenna – Tusci
Die griechischen Siedlungen der Magna Graecia
Die Verflechtung der politischen Interessen von Etruskern undGriechen
Handelsrouten und Handelskontakte
Handel, Gewerbe, Unternehmertum
Ideentransfer
3. Der Sprung ins »moderne« Zeitalter:Die Verbreitung der Schrifttechnologie bei den Völkern Italiens
Kulturkontakte der Etrusker und die Konfrontation mit derSchriftlichkeit
Die Übernahme der etruskischen Schrift durch die Latiner und dieEntstehung einer Schrifttradition in lateinischer Sprache
Die Ausstrahlung der etruskischen Schrifttradition in dieRegionalkulturen Nord- und Mittelitaliens
Die Ausstrahlung der griechischen Schrifttradition in dieRegionalkulturen Süditaliens
4. Ursprungsmythos und Legitimation römischer Vorherrschaft:Die Kapitolinische Wölfin und ihre Zöglinge
Die trojanische Genealogie bei den Etruskern
Die Übernahme des trojanischen Ursprungsmythos durch dieRömer und seine Monopolisierung
Ab urbe condita: Wer hat Rom gegründet?
5. Zwischen Mythos und Realität:Die Königszeit in Rom (8.–6. Jahrhundert v. Chr.)
Die Regenten der latinisch-sabinischen Königslinie
Die Regenten der etruskischen Königslinie
6. Die etruskische Zivilisation und ihr Vorbildcharakter für dierömische Stadtbevölkerung
Urbanisierung, Stadtarchitektur und Hausbau
Formen politischer Herrschaft, Kommunalverwaltung undöffentliches Ordnungswesen
Etruskische Rechtsbegriffe und ihr Transfer in die lateinischeRechtsterminologie
Das etruskische Militärwesen und sein Widerhall bei denRömern
7. Religion, Augurenwesen und die heiligen Bücher der Etrusker:Ein Leben nach religiösen Vorschriften
Etruskische Gottheiten, ihre Kulte und ihr Ritualwesen
Die Auguren und ihre heiligen Bücher
Tempel für das Diesseits und Nekropolen für das Jenseits
Etruskische religiöse Feste
Nachwirkungen etruskischer Kulttraditionen und religiöserVorstellungen
8. Die Menschen und ihre Umwelt
Die natürliche Umwelt
Die kultivierte Umwelt: Landwirtschaft
9. Das Wirtschaftsleben der Etrusker und ihr Verkehrswesen
Handwerkssparten, Erwerbszweige, Unternehmertum
Das Goldschmiedehandwerk
Hauswirtschaft, Hausrat
Das städtische Wirtschaftsleben
Das städtische Verkehrswesen
10. Die etruskische Gesellschaft und ihre Sozialkontaktemit den Römern
Urbaner Lebensstil, Sozialkontakte undVerwandtschaftsbeziehungen
Das Modell der aristokratischen Namengebung nach etruskischemVorbild
Zeitvertreib und Vergnügungen
11. Kommunikationssysteme unter etruskischer Ägide:Konsolidierung der Schriftlichkeit, Zahlenschreibung und dieModernisierung des Lateinischen
Einflussbereiche des Etruskischen im Lateinischen
Kalender, Zeitbestimmungen, Zeitmessung
Das System der Zahlennotation im Etruskischen und sein Einflussauf das Lateinische
Entstehungsgeschichte und Ausbildung der klassischen lateinischenSchriftsprache
12. Machtwechsel in Rom:Von etruskischer Obrigkeit zur Römischen Republik
Machtwechsel in Athen als Vergleichsfall: Hatte die Einführung derAthenischen Demokratie Vorbildcharakter für die Römische Republikoder war sie deren Nachahmung?
Der Umsturz in Rom und seine Hintergründe
Weltanschauliche Konfrontationen: Die Königszeit im Spiegelrepublikanischer Allüren
Niedergang und Eroberung der Stadtstaaten Etruriens
13. Wie aus Etruskern Römer wurden:Der dynamische Prozess der Akkulturation
Prominente romanisierte Etrusker während der republikanischenZeit: Etruskische Zivilisiertheit in lateinischer Verpackung
Prominente romanisierte Etrusker zu Beginn der Kaiserzeit:Die Story von den Männern um Augustus
Etruskische Nostalgie der Spätzeit: Die Tyrrhenika von KaiserClaudius
14. Die Zeitlosigkeit etruskischer Traditionen
Etruskische Themen in der römischen Weltliteratur:Horaz und Ovid
Die Renaissance des etruskischen Kunststils in der Moderne:Die Skulpturen von Alberto Giacometti
Humangenetische und sprachliche Spuren der Etrusker in derheutigen Toskana
15. Was bedeutet ›Römer sein‹?Von der rustikalen Idylle auf den sieben Hügeln zumWeltbürgertum
Römer (= gebürtiger Römer)
Römer (= zugewanderter »Neurömer«)
Römer (= Einwohner der Stadt mit Bürgerrecht)
Römer (= Bewohner in Territorien Italiens unter römischer Kontrolle)
Römer (= Bürger des römischen Imperium)
Römer (= Bürger des weströmischen Reichs)
Römer (= Bürger des oströmischen Reichs)
Soziale Funktionen des gesprochenen Lateins
Elementare Variationen des Sprechlateins (einschließlich fach- undsondersprachlicher Varianten)
Die Charakteristik sprechlateinischer Regiolekte
Epilog:Die römische Drehscheibe der westlichen Zivilisation –Eine Symbiose multikultureller Strömungen
Bibliographie
Abbildungen
Appendices
Appendix I:Vorrömische (altmediterrane) Sprachen im Mittelmeerraum
Appendix II:Etruskische Lehnwörter im Lateinischen nach Sinngruppen
Appendix III:Register der etruskischen Entlehnungen im Lateinischen
»Der kulturelle Einfluss der Etrusker auf Italien überschreitet […] die territorialen und historischen Grenzen National- Etruriens bei weitem […]; die römische Kultur hat er so durchdrungen, dass er am Ende das etruskische Volk als historische und sprachliche Wirklichkeit überlebte«(Pallottino 1965: 77)
»Rom«, »Römer« und »römisches Weltreich« sind Begriffe, die jeder kennt und die in jedem Schulbuch zu finden sind. Keine Geschichte Europas kann geschrieben werden ohne Erwähnung der römischen Zivilisation, und dies gilt für die Weltgeschichte ganz allgemein. Der Ruhm Roms strahlte weit über die Grenzen des Römischen Imperiums aus, und im Horizont der Zeit blieb das prestigereiche Image lange erhalten. Der Byzantiner sah sich als Römer und das Byzantinische Reich wurde als das »zweite (christliche) Rom« zum Nachfolger des oströmischen Reichs. Als Byzanz im Jahre 1453 unter dem Ansturm der Türken zusammengebrochen war, trat das Moskowiterreich als das »dritte Rom« stolz dessen Erbe an, als Bollwerk des Christentums im Osten. Im Westen bestand jahrhundertelang das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation«, das 1254 erstmals urkundlich belegt ist. Die Auswirkungen der napoleonischen Kriege führten zur Gründung des Rheinbunds, der aus dem Reichsverband ausschied. Das Reich löste sich im August 1806 mit der Niederlegung der Kaiserkrone durch Kaiser Franz II. auf.
Es gab eine Zeit, da war ein Römer ein Dörfler, der in einer der lokalen Siedlungen auf einem der sieben Hügel lebte, wo später die Stadt Rom erbaut wurde. Es gab eine Zeit, da war Rom als politische Macht unbekannt, weil andere das Land beherrschten. Es dauerte Jahrhunderte, bis die Stadt Rom zum politischen und kulturellen Mittelpunkt ganz Italiens wurde, und noch viel länger, bevor die Römer das Mittelmeer Mare nostrum (›unser Meer‹) nennen konnten, als sämtliche Küstenregionen unter römischer Kontrolle standen. Parallel zur militärischen Expansion ist eine rasante Entwicklung im römischen Kulturschaffen zu beobachten. Der Aufschwung war enorm.
Was die Geschichte der römischen Zivilisation auszeichnet, ist der Umstand, dass diese von Anbeginn im Zeichen multilateraler Kultur- und Sprachkontakte steht. Die herausragende Stellung des Lateinischen als Medium des öffentlichen Lebens und als Ikone römischer Lebensart ist der Firnis, unter dem der Kulturaustausch und sprachliche Interferenzen mit Kontaktsprachen verdeckt bleiben. Es lohnt sich, hinter die Kulissen der römischen Selbstglorifizierung zu schauen, denn dort liegt der Schlüssel zum Verständnis der Kulturströmungen, die das Römertum geprägt haben und Rom zu dem gemacht haben, was uns seit Langem vertraut ist: zur historischen Drehscheibe der westlichen Zivilisation.
Die Römer haben nicht aus eigenem Antrieb ihre Zivilisation aufgebaut, zivilisiert wurden sie von anderen, deren Zivilisationen viel älter sind als die römische, von Etruskern und Griechen. Diese waren bereits Jahrhunderte in Italien präsent, bevor aus den Bewohnern der rustikalen Idylle auf den sieben Hügeln Stadtbewohner geworden waren. Die Etrusker im Norden und die Griechen im Süden unterhielten ein ausgedehntes Netz von Handelsbeziehungen und kontrollierten weite Teile der Halbinsel auch politisch. Die Römer profitierten von ihren Beziehungen zu diesen Trägern früher Zivilisation in Italien. Im Anfang waren diese Beziehungen friedlicher Natur, später aber maßen die Römer ihre Stärke militärisch mit den mächtigen Nachbarn. Am Ende waren nur noch die Römer tonangebend, und sie behaupteten sich erfolgreich gegen alle Invasoren, gegen die Kelten im Norden und die Karthager im Süden.
Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, hat den Charakter einer Saga über die frühen Kontakte der Römer zu ihren Nachbarn, über das dynamische kulturelle Erwachen, über das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen im Stadtgebiet von Rom, über die Entwicklung der Stadtverwaltung und später von staatlicher Ordnung unter etruskischer Ägide, über die dramatischen Ereignisse im Zusammenhang mit dem Machtwechsel in Rom und der Entstehung der Römischen Republik, über den Wechsel zur Schriftlichkeit und über den Aufbau eines Kulturwortschatzes für das Lateinische. Kurzum: es geht hier um die Beschreibung der Umstände, die für die Ausbildung der Mosaikkultur maßgeblich waren, die wir als römische Zivilisation kennen.
Das Lateinische hat den modernen europäischen Sprachen eine Vielzahl von Kulturwörtern vermittelt. Deren Zahl geht in die Hunderte. In lateinischer »Verpackung« sind auch viele Ausdrücke in die Sprachen, die wir heute sprechen, gelangt, die ursprünglich gar nicht lateinisch waren, sondern aus anderer Quelle stammen. Es mag vielen überraschend erscheinen, dass die wichtigste dieser Quellen das Etruskische ist. Dieser Sprache verdanken die Römer viele Elemente ihres Wortschatzes, u. zw. in den verschiedensten Bereichen. Wie breit das Spektrum der etruskischen Einflussnahme auf das Lateinische war, kann man an bestimmten Kernelementen erahnen, die Bestandteil des deutschen Kulturwortschatzes sind:
Austragungsort:
Arena (← latein. harena, ›Sand; Kampfplatz‹ ← etrusk.)
Zeitrechnung:
April (← latein. Aprilis ← etrusk.)
Technik:
Antenne (← latein. antenna, ›Querholz für das Rahsegel‹ ← etrusk.)
Gebäude, Bauwerke, Einrichtungen:
Atrium-(Hof) (← latein. atrium, ›offener Innenhof‹ ← etrusk.)
Fenster (← latein. fenestra ← etrusk.)
Küche (← latein. culina ← etrusk.)
Taverne (← latein. taberna ← etrusk.)
Zisterne (← latein. cisterna ← etrusk.)
Gerätschaften:
Kette (← latein. catena ← etrusk.)
Kriegswesen:
Triumph (← latein. triumphus, ›Triumph‹; ursprünglich nur im Sinn von ›militärischer Sieg‹ ← etrusk.)
Ritualwesen:
Zeremonie (← latein. caerimonia ← etrusk.)
Urne (← latein. urna ← etrusk.)
Lebensmittel:
Käse (← latein. caseus ← etrusk.)
Begriffe der Intimsphäre:
Vagina (← latein. vagina ← etrusk.)
Verwaltung:
Magister, Magistrat (← latein. magister ← etrusk.)
Gemeinschaftsbildung:
Population, Pöbel, engl. people, franz. peuple (← latein. populus, ›Volk, Leute‹ ← etrusk.)
(Etruskische Lehnwörter sind im Folgenden mit dem Verweise »B …« nach Breyer 1993 zitiert)
Es heißt, das Etruskische sei ausgestorben. Angesichts der Vielzahl an Kulturwörtern aus dieser Sprache, die das Lateinische weiter vermittelt hat und die fester Bestandteil unseres lebenden Wortschatzes sind, fällt es schwer, das zu glauben. Wenn man zusätzlich in Betracht zieht, dass es sich bei diesen Entlehnungen nicht um isolierte Wörter handelt, sondern dass diese Elemente eingebettet sind in Kulturmuster etruskischer Prägung, dann ist es sinnvoller, von einer langfristigen Transformation des etruskischen Kulturerbes – sozusagen in römischer »Verkleidung« – in unserer westlichen Zivilisation zu sprechen.
Die Geschichte der Antike wird bis in die heutige Zeit allgemein verstanden als die Geschichte der Griechen und der Römer. Die Stellung der Etrusker im Kontakt mit beiden und deren Hochkultur als Inspirationsquelle für die Römer sind den wenigsten vertraut. Um die Etrusker rankt sich bis heute das Mysterium ihres Schattendaseins, das es lohnt zu belichten. Wenn man nun aber, wie die Römer, vorhat, seine Meister zu übertreffen, dann neigt man dazu, deren Wertschätzung herunterzuspielen. Das haben die Römer mit Erfolg getan und die Nachwelt ist ihnen darin gefolgt. Es ist an der Zeit, die Etrusker aus der Versenkung zu heben und ihnen einen gleichrangigen Platz neben Griechen und Römern einzuräumen, den sie verdienen. Denn ohne Kenntnis der Rolle der Etrusker als Mittler zwischen der griechischen und der römischen Welt bleibt die Entwicklung des römischen Kulturerbes mysteriös verklärt und letztlich unverständlich.
Beispielhaft für die Vermittlerrolle der Etrusker zwischen Römern und Griechen steht der Name, unter dem die Griechen bei den Römern bekannt waren: Graeci. Die Griechen selbst nennen sich Hellenes. Woher also stammt die lateinische Namensform? Bei den Etruskern hießen die Griechen Kreike, und diese Namensform ist die Quelle für lat. Graeci. Warum nannten die Etrusker die Griechen bei einem ganz anderen Namen als diese selbst? Um die Hintergründe dieser Diskrepanz in der Namengebung aufzudecken, müssen wir die Bedingungen betrachten, unter denen sich die Kontakte zwischen Etruskern und Griechen entwickelten.
Griechische Kolonisten waren im Süden Italiens seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. präsent. Die ältesten Kolonien waren Pithekoussai (Ischia) in der Bucht von Neapel (vor 750 v. Chr.) und Syrakus auf Sizilien (bald nach 750 v. Chr.). Es dauerte nicht lange und die Etrusker aus dem Norden begannen, mit den Griechen aus dem Süden Handel zu treiben. In der Anfangszeit rekrutierten sich die Kolonisten vorrangig aus dem wenig bekannten Stamm der Kraikoi (Graikoi), deren Angehörige aus Zentralgriechenland in die neu gegründeten Kolonien migrierten. Die etruskischen Kaufleute gewöhnten sich daran, die griechischen Kolonisten Süditaliens im Etruskischen als Kreike (← Kraikoi) zu benennen, und diese Namensform wurde auf alle Griechen angewandt, unabhängig von deren Stammeszugehörigkeit. Die Römer unterhielten in der Frühzeit keine direkten Kontakte zu den Griechen im Süden Italiens. Und griechische Waren tauschten sie über die Vermittlung etruskischer Kaufleute ein. Von denen erfuhren sie auch, wie die Leute im Süden genannt wurden, nämlich Kreike, und daraus machten die Römer in ihrer Sprache Graeci.
Ähnliche Namenbildungen im Sinn von pars pro toto (Teil für das Ganze) findet man auch in anderen Kulturen. Die Franzosen kennen die Deutschen als Allemands, eine Namensform, die sich ursprünglich nur auf den germanischen Stamm der Alamannen bezog. Die Benennung der Engländer im Deutschen leitet sich ab vom Namen eines der Stämme, die an der Landnahme Britanniens beteiligt waren, den Angeln. Im Finnischen heißen die Deutschen saksalaiset, was eine Verallgemeinerung des Stammesnamens der Sachsen ist.
In dieser Studie werden die multikulturellen Verflechtungen der römischen Zivilisation mit anderen Kulturen ausgeleuchtet, u. zw. mit solchen Kulturen, mit denen die Römer in Langzeitkontakten standen. Im Horizont der Zeit waren diese Kontakte politischen Wandlungen unterzogen, was auch einen Wandel der Prestigewerte in der römischen Öffentlichkeit bewirkte. Die anfängliche Bewunderung der etruskischen Zivilisation schlug in ihr Gegenteil um, in Ablehnung und Tabuisierung.
Dies hängt wohl in erster Linie mit dem negativen Image des letzten Regenten der etruskischen Königslinie in Rom, Tarquin dem Jüngeren, zusammen. Das negative Image zog sogar sprachliche Veränderungen nach sich. Der lateinische Ausdruck rex, einst glorifiziertes Statussymbol der Könige Roms, verlor diesen Glanz und nahm eine neue Bedeutung an: ›Gewaltherrscher, Tyrann‹. Mit der Vertreibung des letzten Etruskerkönigs im Jahre 510 v. Chr. verbreitete sich eine neue Mentalität, die römisch-republikanisch geprägt war.
Doch außerhalb der politischen Sphäre normalisierte sich die Einstellung der Römer bald, und die Wertschätzung des etruskischen Bildungsstands blieb als Erziehungsideal lebendig. Auch als Rom in den Auseinandersetzungen mit den etruskischen Stadtstaaten militärisch die Oberhand gewann, veränderte sich die Einstellung der Römer zum etruskischen Kulturerbe nicht, und die meisten waren sich weiterhin des Umstands bewusst, dass die römische Kultur ausgiebig vom etruskischen Einfluss profitiert hatte.
Wie während der Königszeit, so schickten die römischen Patrizier auch in der republikanischen Epoche ihre Kinder zu etruskischen Lehrern nach Caere (Caisra, Cisra). Gestützt durch etruskisch geprägte Erziehungsideale hielt sich der etruskische Einfluss in vielen Domänen des öffentlichen und privaten Lebens.
Die Prestigewerte der etruskischen Zivilisation erlebten eine nostalgische Nachblüte, als die Römer zu Beginn der Kaiserzeit im ausgehenden 1. Jahrhundert v. Chr. die historische Retrospektive zur Strategie für ihre Identitätsfindung machten und sich verstärkt an ihre Altertümer erinnerten. Und im Zusammenhang mit dieser Bewegung begann die Beschäftigung mit etruskischer Kultur in den römischen intellektuellen Kreisen en vogue zu sein. Aber das war zu einer Zeit, als sich die meisten Etrusker bereits akkulturiert und römische Lebensgewohnheiten angenommen hatten.
Die Erinnerung an die Etrusker ist auch über die Antike hinaus durch alle Epochen wach geblieben, obwohl das Interesse an deren Kultur von allerlei Schwankungen des jeweiligen Zeitgeistes abhängig war. Insbesondere Humanismus und Renaissance produzierten allerlei exotisch anmutende Fantasien über die Herkunft der Etrusker. Dazu gehören die Ausführungen im Werk des Dominikaners Giovanni Nanni (1437–1502), besser bekannt als Annius von Viterbo. Annius preist die Etrusker wegen ihrer hochentwickelten Zivilisation. Er deutet Passagen des Alten Testaments aus, macht die Etrusker zu Nachkommen Noahs und lässt sie nach der Sintflut aus dem Osten nach Italien wandern. Der ägyptische Gott Osiris hätte sich in Italien als Vertumnus den Etruskern und als Janus den Latinern eröffnet (Grafton et al. 2010: 339).
Fantasievolle Erzählungen entstanden auch in der Folgezeit, und diese mischten sich mit Informationen über Funde etruskischer Altertümer, die seit dem 18. Jahrhundert häufiger und systematischer gemacht wurden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten fundierten wissenschaftlichen Studien über die Etrusker und ihre Sprache. Aber es sollte noch lange dauern, bevor sich ein Gesamtbild abzuzeichnen begann (Camporeale 2015: 20 ff. zur Forschungsgeschichte). In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Funde gemacht und ausgewertet worden. Die Flut an immer neuen Daten wächst ständig an. Häufig jedoch hat der moderne Beobachter den Eindruck, dass die Forscher den Wald vor so vielen Bäumen nicht mehr sehen.
Eine Gesamtdarstellung der Lebensbedingungen der Etrusker fehlt ebenso wie eine umfassende Analyse der Prozesse, über die etruskische Kultur und Sprache im Kontakt mit der römischen Kultur und der lateinischen Sprache auf diese eingewirkt haben. Es geht hier nicht darum, die Entwicklung der etruskischen Kultur und der römischen Kultur als separate Blöcke – entsprechend der konventionellen Kulturgeschichte – darzustellen, sondern vielmehr darum, deren Interaktion auszuleuchten, und dabei das rezeptiv-kreative Potenzial der römischen Kulturgemeinschaft herauszustellen. Die Analysen sollen helfen, den Stellenwert des etruskischen Einflusses zu bemessen, u. zw. unter dem Gesichtspunkt seiner Langzeitwirkung. In der historischen Retrospektive entsteht der Eindruck, dass sowohl Römer als auch Griechen die Rolle der Etrusker verklärt haben, und dass »die Etrusker von der mythischen Tradition dieser beiden Kulturen getarnt worden sind« (Shipley 2017: 15).
Das etruskische Kulturerbe (und ebenso das über etruskische Vermittlung in die römische Lebenswelt übernommene Kulturerbe der Griechen) blieb erhalten und wurde in vielerlei römischen Transformationen tradiert. Die westliche Welt trat das Kulturerbe der römischen Zivilisation an, und auf diese Weise ist auch vieles vom etruskischen Kulturerbe in spätere Epochen transferiert worden. Es gibt sogar Bereiche des modernen Lebens, in denen die etruskische Komponente gar nicht wegzudenken ist. Ein solcher Bereich ist die Tradition des »Römischen« Rechts. Viele Darstellungen lassen sich darüber aus, wie grundlegend diese Tradition unsere westliche Rechtsauffassung beeinflusst hat.
Was einer näheren Betrachtung ebenso wert ist, ist der grundlegende Einfluss, der für die Prägung des Römischen Rechts selbst verantwortlich ist. Das ist die vorrömische, etruskisch geprägte Rechtstradition, deren Einfluss auf das öffentliche Leben und die Rechtsordnung während der Königszeit und noch im republikanischen Rom spürbar ist. In der westlichen Tradition des Römischen Rechts gehören lateinische Kernbegriffe wie causa, damnum, norma, titulus (im Sinn von ›Rechtstitel‹), vitium (im Sinn von ›Sachschaden‹ in der Marktwirtschaft) u. a. seit altersher zur juridischen Nomenklatur. All diese und etliche andere Kernbegriffe sind etruskischer Herkunft. Die etruskische Rechtstradition ist nur wenig bekannt und soll hier näher vorgestellt werden.
Das Gleiche gilt auch für all die anderen Einflussschneisen, über die sich etruskischer Einfluss nachhaltig geltend gemacht hat. Die Etrusker vermittelten den Römern das elementare Know-how zum Aufbau einer Zivilisation im Sinn von »Hochkultur«: Schriftlichkeit, Urbanisierung und Stadtplanung, Architektur (Rundbau, Wasserleitungen), urbane Kommunalverwaltung, Basiselemente des öffentlichen und privaten Rechts, Kalenderwesen, religiöse Feste, Metallverarbeitung (Eisen-, Silber- und Goldschmiedehandwerk), Schiffsbau, Militärwesen, Weinkultur und das Theater. Den etruskischen Fingerabdruck in der Prägung der römischen Zivilisation sichtbar zu machen, ist eine faszinierende Aufgabe, die hier angegangen werden soll.
Die Namen etruskischer Herrscher, von Kulturschaffenden und politisch einflussreichen Patriziern gehören der Geschichte an, und ihre Bedeutung kommt für bestimmte Perioden zum Tragen. Der Name von zumindest einem Etrusker ist durch alle Zeiten im kulturellen Gedächtnis der Europäer lebendig geblieben. Dieser Etrusker war Maecenas, ein politisch einflussreicher Beamter, der auch die Rolle eines Stellvertreters für Kaiser Augustus übernahm. Maecenas war den Künsten gesonnen, und sein Reichtum ermöglichte ihm eine weitreichende Förderung dichterischer und künstlerischer Talente. Sein Mäzenatentum machte Schule, und sein Name (Maecenas → Mäzen) wurde zum Prestigebegriff im Kulturschaffen (s. Kap. 14).
Es war ein langer Weg von der rustikalen Idylle auf den sieben Hügeln, als in Italien die Angehörigen vieler Völker lebten und viele Sprachen gesprochen wurden, bis hin zu der Zeit, als das mächtige Rom zur Metropole aufgestiegen war und soviel Autorität besaß, dass es im Jahre 90 v. Chr. verfügen konnte, das Lateinische als alleinige Amtssprache in ganz Italien einzuführen. Und es war ein ebenso langer Weg, bis sich aus dem gesprochenen Latein eine romanische Sprache ausgliederte, das Italienische. In der Vielfalt der Dialekte Italiens spiegelt sich das Erbe der vorrömischen Regionalkulturen. Und was sich in Italien über die Jahrhunderte entwickelt hat, findet seine Parallelen in vielen der ehemaligen Provinzen des Imperium Romanum, wo es zur Ausbildung romanischer Sprachen gekommen ist.
Die westliche Zivilisation ist ohne den Input der römischen Traditionen nicht vorstellbar. Ebenso wenig vorstellbar wäre die römische Zivilisation ohne den Input des etruskischen Kulturerbes. Unsere Welt ist multikulturell und multilingual geprägt. Multikulturell und multilingual geprägt waren bereits die Anfänge der römischen Welt mit ihrem Charakter einer Mosaikkultur.
Italien ist altes Kulturland und hier haben Menschen seit der Altsteinzeit gelebt. Die Präsenz des archaischen Homo sapiens (bzw. auch des Neandertalers) ist durch Funde in Mittelitalien (u. a. in der Grotta Guattari nahe San Felice Circeo südlich von Rom) bezeugt, deren Alter auf ca. 50 000 Jahre datiert wird. Vertreter des anatomisch modernen Menschen (moderner Homo sapiens) sind in Italien seit ca. 43 000 Jahren nachgewiesen (Grotta del Cavallo). Die ältesten Hinweise auf das Kunstschaffen des Frühmenschen findet man in den Höhlenbildern Siziliens und in weiblichen Figurinen (z. B. die Venus von Savignano, Provinz Modena; ca. 25 000 Jahre vor der Jetztzeit); (Leighton 1999). Die Entstehung der Höhlenbilder und Figurinen ist zeitgleich mit der altpaläolithischen Höhlenkunst in Südwestfrankreich und Nordspanien.
Während der mittleren Steinzeit (Mesolithikum) und in der frühen Jungsteinzeit (Neolithikum) werden in Sizilien und auf Sardinien Megalithbauten errichtet, was auf die Zugehörigkeit Italiens zur Kultur der Großsteinsetzungen in der westlichen Mittelmeerregion hindeutet. Die Entwicklung während des Neolithikums steht im Zeichen des Übergangs zum Ackerbau und der Übernahme der Keramikherstellung als innovativer Technologie. Die Jäger und Sammler Unteritaliens waren die Ersten, die in Kontakt mit Ackerbauern auf der anderen Seite der Adria traten. Grund für die Kontakte und die damit verbundenen Fahrten über das Meer war der Tauschhandel mit Obsidian. Aus diesem Grundmaterial konnten vielerlei Werkzeuge (scharfe Klingen, Schaber und Messer) hergestellt werden. Obsidian wurde überwiegend auf den vorgelagerten Inseln im Küstengebiet gewonnen.
Im Kontakt mit den Handelspartnern an den Küsten der Balkanregion und des griechischen Festlandes lernten die italischen Jäger die Welt der Ackerbauern kennen, machten sich mit dem Agrarpaket vertraut und fingen selbst mit der Pflanzenkultivation an. Die Verbreitung des Ackerbaus auf italischem Boden beruht weitgehend auf dem Akkulturationsprozess der einheimischen Jäger und Sammler (Abb. 1).
Abb. 1: Der Obsidianhandel und die Regionen mit frühem Ackerbau (Cunliffe 2008: 116)
Die einheimische Bevölkerung Italiens waren Nachkommen der Urbevölkerung des anatomisch modernen Menschen und dies war die Mehrheitsbevölkerung bis zur Ankunft der Indoeuropäer. In der Zeit zwischen der Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. und der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. gelangen Migranten in mehreren Wellen nach Italien und dringen bis in den Süden vor (Cocchi Genick 1994). Die Migranten kamen aus Mitteleuropa, und ihre Verbreitungsrouten in Italien sind an der materiellen Hinterlassenschaft zu erkennen, u. a. an neuen Waffentypen (Bronzedolche, Streitäxte aus Stein). Eingeführt wurde auch eine Tierart, die den altmediterranen Bewohnern Italiens bis dahin unbekannt war, das Pferd.
Die Einwanderer aus dem Norden stellen schon bald die Bevölkerungsmehrheit, und ihre Kultur und Sprache gliedern sich entsprechend von ihren Siedlungsgebieten regional aus. Die Sprachen der seit der späten Bronzezeit in Italien heimischen Populationen, der Italiker, bilden einen eigenen Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie (Beekes 2011, Haarmann 2016). Zu den antiken Völkern mit indoeuropäischer Sprache gehören auch Nicht-Italiker, wie die Veneter (im Nordosten), die Lepontier (im Norden), die Messapier (im Südosten) und die Sikeler (in Sizilien). Ob das Elymische, eine der vorgriechischen Sprachen in Sizilien, indoeuropäisch war, ist bislang umstritten. Jedenfalls besteht keine nähere Verwandtschaft mit dem italischen Sprachzweig. Altmediterrane Sprachen und Kulturen haben sich bis in römische Zeit bei den Ligurern (im Nordwesten), Kamunern und Rätern (im Norden), bei den Paläosarden (auf Sardinien) sowie bei den Sikanern (in Sizilien) erhalten.
Die Hauptrichtung der Jahrhunderte andauernden Migrationen indoeuropäischer Bevölkerungsgruppen aus Mitteleuropa in die Regionen der Apenninhalbinsel war von Norden nach Südosten gerichtet. Als Folge einer Konzentration regionaler Gruppen im Adriaraum kam es zu einer Ost-West-Drift von Migranten. Einige Gruppen wurden damals ins westliche Küstengebiet am Tyrrhenischen Meer abgedrängt. Dazu gehörten die Latiner mit ihrem Verbreitungsgebiet in der historischen Landschaft Latium und die Falisker nordöstlich davon. Im Norden (Lokalkulturen von Remedello und Rinaldone) und im Süden (Lokalkultur von Gaudo) haben sich Spuren des ältesten Kulturstadiums italischer Prägung bis ins ausgehende 3. Jahrtausend v. Chr. erhalten.
Im Horizont der Zeit (u. zw. im Zeitraum zwischen ca. 1500 und ca. 900 v. Chr. haben sich die in den antiken Quellen bezeugten italischen Regionalkulturen ausgegliedert (Abb. 2).
Von diesen entwickelte sich die Regionalkultur der Latiner mit ihrer Sprache, dem Lateinischen, zur wichtigsten der italischen Sprachkulturen. Während sich im Lauf der Antike die Vertreter aller anderen Bevölkerungsgruppen akkulturierten und sich sprachlich ans Lateinische assimilierten, blieb die Regionalkultur der Latiner erhalten, und ihre Sprache verbreitete sich mit der militärischen Expansion des römischen Staats in ganz Italien. Zu den Bevölkerungsgruppen der Gründerzeit in Rom gehörten neben Etruskern und Sabinern auch die Latiner, die sich als Einwohner der Stadt Römer nannten.
Abb. 2: Sprachen und Regionalkulturen im antiken Italien (Haarmann 2005: 148)
Die Regionalkulturen der Latiner und Falisker
Diese Regionalkulturen bilden eine eigene Gruppe eng verwandter Kulturen und Sprachen. Frühe Siedlungen der Latiner lassen sich in die Zeit um 1100 v. Chr. datieren. Die Sprachentwicklung des Faliskischen ist konservativer als vergleichsweise die des Lateinischen. Viele der Eigenheiten des ältesten Stadiums der italischen Sprachen sind im Faliskischen erhalten. Die Entwicklung der beiden Sprachen geht seit Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. eigene Wege.
Das Verbreitungsgebiet der beiden Regionalkulturen grenzt an das Kernland der Etrusker an, und sowohl bei den Faliskern als auch bei den Latinern macht sich früh (u. zw. im 8. Jahrhundert v. Chr.) etruskischer Einfluss bemerkbar. Die faliskische Sprachkultur hat sich zu keiner Zeit diesem Einfluss entziehen können. Anders die Latiner, die sich schon früh in Städtebünden organisiert haben. Die bedeutendste dieser überregionalen Organisationen war der Latinische Bund. Dessen politischer Hauptort war Alba Longa (nahe Castel Gandolfo). Als kulturelles Zentrum fungierte der Albanus Mons (Monte Cavo) in den Albaner Bergen. Dort wurden die Feriae Latinae als Ausdruck latinischer Solidarität gefeiert. Nach der Zerstörung von Alba Longa im 6. Jahrhundert v. Chr. durch die etruskischen Herrscher Roms wurde diese Stadt zum Veranstaltungsort für die Feriae Latinae.
Die Städtebündnisse der Latiner setzten unterschiedliche Prioritäten, was die Beteiligung Roms betraf. Als sich im 5. Jahrhundert v. Chr. ein Bund um das Heiligtum der Diana von Aricia (das moderne Ariccia) ausbildete, war Rom kein Mitglied. In dem um 460 v. Chr. geschlossenen Foedus Cassianum war Rom zeitweise beteiligt, und zu anderen Zeiten (so zwischen 386 und 358 v. Chr.) gehörte die Stadt nicht dazu. Ab 338 v. Chr. dominierte Rom die Politik der latinischen Städte. Es sollte noch lange dauern, und zwar bis zum Jahre 89 v. Chr., bis den latinischen Nicht-Römern das römische Bürgerrecht zuerkannt wurde.
Die Regionalkulturen der Osker und Umbrer
Diese Gruppierung – auch als sabellische Gruppe der italischen Sprachen benannt – umfasst zwei Verbreitungsgebiete, einmal das Umbrische und verwandte Sprachen im nördlichen Mittelitalien und zum anderen das Oskische in Süditalien. Bislang ist umstritten, ob auch das Sikulische (verbreitet im Südosten Siziliens) eine Sprache des italischen Zweigs ist. Außer dem Umbrischen und Oskischen gehören zur sabellischen Gruppe die folgenden Sprachkulturen: Äquisch, Marrukinisch, Marsisch, Pälignisch, Prä-Samnitisch, Sabinisch, Nord-Picenisch, Süd-Picenisch, Vestinisch und Volskisch.
Das Mosaik der vorrömischen Sprachkulturen in Italien setzt sich zwar in der Hauptsache aus solchen des italischen Zweigs des Indoeuropäischen zusammen, aber in Randgebieten waren darüber hinaus auch andere indoeuropäische Regionalkulturen und Sprachen verbreitet, die nicht näher mit dem italischen Zweig verwandt sind.
Die Regionalkultur der Veneter
Namengeber für die Region Venetien (ital. Veneto) im Nordosten Italiens sind die Veneter (griech. Evetoi, latein. Veneti). Das Verbreitungsgebiet dieser vorrömischen Population reichte bis ins Podelta und erstreckte sich im Inland bis in die Region von Padua. Die venetische Regionalkultur nimmt ihr typisches Gepräge im Laufe des 9. Jahrhunderts v. Chr. an, u. zw. im Milieu der früheisenzeitlichen Villanova-Kultur. Hauptorte der venetischen Stadtkultur, deren Namen in ihrer römischen Form bekannt sind, waren Ateste (Este) – von dort stammen auch die meisten der venetischen Inschriften (s. Kap. 3) –, Bellunum (Belluno), Tarvisium (Treviso) und Patavium (Padua).
Einfluss auf die Veneter nahmen die Etrusker und auch keltische Völkerschaften wie die Gallier in Norditalien. Im ausgehenden 3. Jahrhundert v. Chr. übernahmen die Römer die politische Kontrolle im Gebiet der Veneter. Als den Venetern im Jahre 89 v. Chr. das römische Bürgerrecht zugesprochen wurde, hatten viele bereits römische Lebensweisen angenommen und bevorzugten das Lateinische.
Die venetische Sprachkultur zeigt indoeuropäisches Gepräge (Marchesini 2009: 60 ff.). Mit dem Venetischen entfernt verwandt sind das Illyrische in der Balkanregion und das Messapische in Süditalien (s. u.).
Die Regionalkultur der Messapier
Kulturelle und sprachliche Eigenheiten der Messapier bildeten sich im Verlauf des 9. Jahrhunderts v. Chr. aus, nachdem illyrische Kolonisten aus der westlichen Balkanregion die Adria überquerten und sich in der historischen Landschaft Apulien niederließen. Dies waren die aus antiken Quellen bekannten Iapyges, die sich in mehrere regionale Gruppen ausgliederten: die Messapier (griech. Messapioi, lat. Messapii) im Süden, die Peucetier im mittleren Teil Apuliens und die Daunier im Norden. Zwar entwickelten die drei Stämme im 7. Jahrhundert v. Chr. ein eigenes kulturelles Gepräge, aber sprachlich dominierte die messapische Variante (Carpenter et al. 2014).
Nach der Eroberung von Salento durch die Römer (266 v. Chr.) wurden für die Region mit messapischer Bevölkerung unterschiedliche Namen verwendet, u. zw. Messapia, Iapygia, Calabria und Salentina. Der griechische Geograph Strabon teilte im 1. Jahrhundert v. Chr. die Bevölkerung Apuliens in zwei Gruppen auf: die Salentinoi (Sallentini) im Süden und die Kalabroi (Calabri) im nördlichen Teil. Aufgrund einer Verwaltungsreform unter Kaiser Augustus wurde der Name Regio II Apulia et Calabria verwendet. Die Namenkomponenten (Puglia, Calabria) sind bis heute gebräuchlich.
Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. wurde das Messapische geschrieben, u. zw. in einer Variante des griechischen Alphabets (s. Kap. 3).
Die Regionalkultur der Lepontier
Die Regionalkultur der Lepontier gehört zu den ältesten Gruppierungen der Festlandkelten mit Eigengepräge. Ihre formative Periode steht im Zusammenhang mit der eisenzeitlichen Golasecca-Kultur des 7. Jahrhunderts v. Chr. Vermutlich zeitlich vor der Ausgliederung der keltischen Sprachen bildete sich in der lepontischen Kultur ein goidelischer (gälischer) und ein britannischer Zweig aus (Cunliffe 1997: 23).
Kelten aus der Region nördlich der Alpen sind um 400 v. Chr. in einer Migrationswelle nach Norditalien vorgedrungen und haben sich im Tal des Po niedergelassen (Galli cisalpini). Damals existierte die Regionalkultur der sprachlich verwandten Lepontier bereits im Alpenvorland (im Gebiet des Lago Maggiore, des Luganer Sees und des Comer Sees). Der Name dieser Region – Alpi Lepontine (»Lepontiner Alpen«) – erinnert bis heute an die vorrömische Bevölkerung.
Schon früh standen die Lepontier im Kontakt mit den anderen Populationen in Norditalien. Die Kontakte mit den Etruskern, die ihren Einflussbereich militärisch, wirtschaftlich wie auch kulturell über Etrurien hinaus nach Norden erweiterten, waren zunächst konfliktbeladen. Hinweise darauf findet man in einer Grabstele aus Bologna, auf der ein etruskischer Reiter im Kampf mit einem keltischen Krieger abgebildet ist.
Langfristig jedoch waren die Beziehungen zwischen Etruskern und Lepontiern friedlicher Natur und sie betrieben Handel miteinander. Die Schriftlichkeit gelangte zu den Lepontiern über etruskische Vermittlung (s. Kap. 3). Das Lepontische ist als Schriftsprache fast ebenso alt wie das Lateinische. Frühe Inschriften werden ins 6. Jahrhundert v. Chr. datiert.
Die Römer wurden auf die Lepontier im Zusammenhang mit der Ausdehnung des römischen Machtbereichs in das keltische Siedlungsgebiet (im Alpenvorland und in Gallien) aufmerksam. Erste Erwähnung finden die Lepontier in Julius Caesars De bello gallico (IV, 10, 3). Im letzten Jahrhundert vor der Zeitenwende haben sich die Lepontier verstärkt akkulturiert, haben römische Lebensweise angenommen und sich ans Lateinische assimiliert.
Die Regionalkultur der Elymer in Sizilien
Als im ausgehenden 8. Jahrhundert v. Chr. die griechische Kolonisation in Sizilien begann, trafen die Griechen dort auf eine vorgriechische Bevölkerung, die sie Elymoi (Elymer) nannten. Die Elymer siedelten im Nordwesten der Insel. Griechische Historiographen wie Thukydides (5. Jahrhundert v. Chr.) nahmen an, die Elymer seien trojanischer Abstammung, und sie wären als Gefolgsleute von Aeneas nach Westen gezogen, auf der Suche nach neuen Wohnsitzen. Die Griechen in den Kolonien an der Ostküste Siziliens trieben seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. Handel mit den Elymern. In jener Zeit übernahmen die Elymer auch die griechische Schrift zur Schreibung ihrer eigenen Sprache (s. Kap. 3). Das sprachliche Material (Textfragmente auf Keramik und wenige Münzlegenden) ist allerdings so spärlich, dass eine eindeutige Identifizierung des Elymischen als indoeuropäisch nicht gesichert ist. Vielleicht gehört das Elymische zum Kreis der nicht-indoeuropäischen (altmediterranen) Sprachen Italiens.
Schon im Verlauf des 4. Jahrhunderts v. Chr. wurden die Elymer hellenisiert und gaben ihre eigene Sprache zugunsten des Griechischen auf. In einer sekundären Akkulturationsphase wurden sie romanisiert.
Die nicht-indoeuropäischen Regionalkulturen, deren Angehörige sich während der Antike an römische Lebensweise akkulturierten und sich sprachlich ans Lateinische assimilierten, waren sämtlich an den Peripherien Italiens verbreitet. Dies waren Restkulturen der einst weit verbreiteten altmediterranen Populationen, die von den bevölkerungsstarken italischen Gruppen marginalisiert worden waren.
Die Regionalkultur der Camuner
In den norditalienischen Alpen datieren die frühesten Spuren menschlicher Präsenz ins 7. Jahrtausend v. Chr. Dabei handelt es sich um Felsbilder aus der Tallandschaft von Valcamonica (Provinz Brescia). Eine kontinuierliche Besiedlung der Alpentäler reicht bis ins 6. Jahrtausend v. Chr. zurück. Die Bergbewohner, die ihre Felsbildkunst über Jahrtausende tradiert haben, wurden von den Römern Camunni genannt. Zwar gibt es keine Berichte über die Geschichte der Camuner bei antiken Autoren, die Entwicklung der Siedlungsgemeinschaften in den Alpentälern scheint aber in den Felsbildern auf, die seit den 1960er-Jahren erforscht worden sind. Dies sind in Felswände und auf die Oberfläche von Felsblöcken eingravierte Bilder, deren Motive sich in vielerlei Kompositionen formieren, mit narrativen Szenen aus dem Leben und der religiösen Vorstellungswelt der Alpenbewohner.
Die Darstellungen reichen von Jagdszenen über Ackerbau und Viehhaltung bis zur Organisation dörflicher Gemeinwesen. Der Motivschatz ist reichhaltig. Es herrschen figürliche Motive vor, zusätzlich aber treten auch verschiedene abstrakte Symbole auf.
Bis über die Antike hinaus entstanden hier Felsbilder, doch während des Mittelalters erlosch diese Tradition des Kulturschaffens bei den Alpenbewohnern, die damals bereits ihre eigene Sprache aufgegeben hatten und eine lokale Variante des Frühromanischen (italienischer Prägung) sprachen. Unter den Bildkompositionen gibt es auch einige Inschriften, die in einer Variante des etruskischen Alphabets geschrieben wurden (s. Kap. 3).
Die Camuner sind wohl Nachkommen der einheimischen alteuropäischen Bevölkerungen, die ähnlich wie die Räter (s. u.) nicht von den indoeuropäischen Migranten assimiliert worden waren. Einige Forscher vermuten, dass das Camunische und das Rätische verwandte Sprachen sind. Das Material der camunischen Inschriften ist allerdings so spärlich, dass eindeutige Aussagen über eine ethnische Verwandtschaft der beiden Populationen oder über eine engere Zugehörigkeit von deren Sprachen nicht möglich sind.
Die Regionalkultur der Räter
Die Räter (lat. Raeti) bewohnten eine Region auf beiden Seiten der Alpen, von Graubünden bis nach Südtirol und ins südliche Bayern. In antiken Quellen ist davon die Rede, die Räter hätten ursprünglich auch in der norditalienischen Tiefebene gesiedelt und wären von dort von den Galliern vertrieben worden. Für eine historische Präsenz der Räter in der Poebene gibt es jedoch keine archäologischen Hinweise. Im Kernland der Räter (in den italienischen Provinzen Trento und Bozen/Bolzano) hat sich die Erinnerung an die Räter im Namen der »Rätischen Alpen« erhalten.
Römische Autoren wie Livius (V, 33) und Plinius (NH III, 133) betrachteten die Räter als stammverwandt mit den Etruskern. Dafür hat die moderne Forschung allerdings ebenfalls keine eindeutigen Beweise ermitteln können. So wird zwar auf bestimmte lexikalische und morphologische Parallelen im Rätischen und Etruskischen hingewiesen (z. B. rät. tenace: etrusk. zinace, rät. sfuras: etrusk. spuras, rät. klan: etrusk. clan), dabei kann es sich auch ohne Weiteres um Einflüsse des Etruskischen auf das Rätische handeln, nicht aber um eine genealogische Verwandtschaft (Rix 1998). Das Etruskische hat dem Rätischen auch die Schriftlichkeit vermittelt (s. Kap. 3).
Anhand des inschriftlich überlieferten Sprachmaterials lässt sich das Rätische als eine nicht-indoeuropäische Sprache identifizieren. Die Räter sind wohl nicht eingewandert, sondern die Nachkommen der einheimischen alteuropäischen Bevölkerung. In der Abgeschiedenheit ihres Wohngebiets hat sich die rätische Regionalkultur in Nachbarschaft zu den Kulturen der eingewanderten Indoeuropäer (überwiegend Italiker) bis in römische Zeit erhalten. Die Räter haben sich in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ans Lateinische assimiliert.
Die Regionalkultur der Ligurer
Die Ligurer (griech. Ligues bzw. Ligyres, lat. Ligures) im Nordwesten Italiens gehören zu den altmediterranen Populationen im Mittelmeerraum, und das Ligurische gehört zu den nicht-klassifizierten Sprachen, was bedeutet, dass es keiner der bekannten Sprachfamilien zugeordnet werden kann (Hammarström et al. 2017). Noch in der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. erstreckte sich das Verbreitungsgebiet der Ligurer entlang der nördlichen Mittelmeerküste von den Pyrenäen bis in die Tiefebene Norditaliens. Die historische Präsenz der Ligurer spiegelt sich bis heute in der Namengebung für das ehemalige Kernland: Ligurien. Auch die Namen von Berglandschaften erinnern an deren historische ligurische Besiedlung: Ligurische Alpen, Ligurischer Apennin.
Die Ligurer waren nach Stämmen organisiert, deren Namen aus antiken Quellen bekannt sind: Dekiaten, Salasser, Salluvier, Statieller, Stoener, u. a. Im Zuge der Ausdehnung des etruskischen Einflussbereichs im 6. Jahrhundert v. Chr. wurden die Ligurer aus der norditalienischen Tiefebene verdrängt. Im Westen dagegen schrumpfte das ligurische Siedlungsgebiet als Folge der Expansion der Gallier im 4. Jahrhundert v. Chr., die die Ligurer nach Osten abdrängte. Seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. waren die Ligurer in militärische Auseinandersetzungen mit den Römern verstrickt. Diese zogen sich lange hin, bis es den Römern schließlich gelang, die Ligurer im Jahre 175 v. Chr. endgültig zu unterwerfen.
Im 19. Jahrhundert gab es Vermutungen, das Ligurische wäre eine Sprache des keltischen Zweigs des Indoeuropäischen. Heute ist jedoch geklärt, dass die Basis vorindoeuropäisch ist, wiewohl ligurische Sprache und Kultur Einflüsse von den Kelten Galliens erfahren haben (Boano 2008: 147). In einigen Gebieten kam es zur ethnischen Fusion von Ligurern und Kelten, und es bildete sich eine kelto-ligurische Mischkultur aus.
Die Überlieferung des Ligurischen ist spärlich (verstreute Wörter in antiken Quellen, eine Inschrift, Personen- und Ortsnamen). In einigen Fluss- und Ortsnamen hat sich ein typisch ligurisches Suffix erhalten. Dies sind Namen, die auf -asco/-asca enden, wie Bogliasco, Bergamasco, Vinelasca, Veraglasca. Das Ligurische hat einige Spuren in Form von Lehnwörtern im Lateinischen hinterlassen. Verschiedene Ausdrücke für Flora und Fauna der alpinen Region stammen aus dem Ligurischen; z. B. camox, ›Steinbock, Gemse‹; larix, ›Lärche‹. Auch im regionalen Dialekt des Italienischen in Ligurien gibt es den Ausdruck barga (›Heustadel‹), der als ligurisches Substratwort erklärt wird.
Die Regionalkultur der Paläosarden
Sardinien, die größte der zu Italien gehörenden Inseln, ist seit ca. 12 000 Jahren bewohnt. Migranten kamen vom Festland in mehreren Schüben auf die Insel. Die materielle Hinterlassenschaft der neolithischen Kulturstufe auf Sardinien (5. und 4. Jahrtausend v. Chr.) zeigt Ähnlichkeiten mit dem Kulturerbe Alteuropas, der Donauzivilisation in Südosteuropa (Lilliu 1999: 18 ff.). Zu den Leitmotiven in der darstellenden Kunst gehören weibliche Idolfiguren, sogenannte »Venusstatuetten«, die nach den wichtigsten Fundorten benannt werden: Venus von Macomer, Göttin von Olbia, Göttin von Decimoputzu. Die kulturelle Zusammengehörigkeit Sardiniens mit der ägäischen Kunst späterer Zeit kommt in der Ähnlichkeit der Stilformen der weiblichen Plastik mit denen des minoischen Kreta und den altkykladischen »Violinidolen« zum Ausdruck.
Zu den ältesten von Menschen errichteten Konstruktionen gehören Grabkammern der Megalithkultur, deren Bauten auch von anderen Inseln bekannt sind (die Tempel Maltas und die Steinsetzungen von Menorca). Die Architektur der Steinsetzungen entwickelte auf Sardinien einen unverwechselbaren Baustil. Dies sind Rundbauten, Nuraghen genannt, die während der Bronzezeit auf der Insel errichtet wurden. Die ältesten Nuraghen stammen aus der Zeit um 1800 v. Chr, monumentale, einzeln stehende Rundtürme. Später entstanden auch Wohnkomplexe mit Rundbauten verschiedener Größe (Nuraghen-Dörfer). Die meisten dieser Nuraghensiedlungen findet man im mittleren und nördlichen Teil Sardiniens. Am bedeutendsten sind die Anlagen mit Nuraghen-Bauten in Abbasanta (Losa-Nuraghen), Torralba (Santu Antine) und in Barùmini (Su Nuraxi).
Das Zeitalter der Nuraghen-Bauten Sardiniens endet um 500 v. Chr. Allerdings setzen sich Traditionen der Nuraghen-Bauer an einigen Orten bis in die römische Zeit fort. Typische Leitformen der Nuraghen-Kultur sind Geräte und Kunstgegenstände aus Bronze. An den Orten mit Nuraghen-Bauten sind mehr als 1500 Bronzeskulpturen gefunden worden.
Die Paläosarden waren keine Seefahrer sondern Inlandbewohner. Daher waren diejenigen, die die Küstengewässer rings um die Insel erkundeten und Handelsstützpunkte an der Küste anlegten, auswärtige Händler. Seit dem 10. Jahrhundert v. Chr. legten Phönizier Stützpunkte in Nora, Sulcis, Tharros, Olbia und an anderen Orten an. Seit dem ausgehenden 6. Jahrhundert v. Chr. gehörte Sardinien zur politischen und wirtschaftlichen Interessensphäre der Karthager. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. ging die militärische und politische Kontrolle der Insel an die Römer über. Dies betraf zunächst nur die Küstenregionen, denn es sollte noch Jahrhunderte dauern, bis sich römischer Einfluss auch im Inland bemerkbar machte.
Sardinien war ein Rückzugsgebiet, in dem sich paläosardische Kultur und Sprache noch lange erhalten haben. Die paläosardische Bevölkerung hat sich erst allmählich an das Lateinische assimiliert. Die Bewegung des sich seit dem 3. Jahrhundert infolge der Mission verbreitenden Christentums hat der Akkulturation Vorschub geleistet. Aus der Alltagssprache der Sarden, dem Sprechlateinischen mit Lokalkolorit, hat sich im Verlauf des frühen Mittelalters eine romanische Sprache, das Sardische, entwickelt. Im Wortschatz dieser Sprache sind zahlreiche Substratwörter aus dem vorrömischen Paläosardischen erhalten geblieben. Dabei handelt es sich um Ausdrücke, mit denen Dinge der natürlichen Umwelt der Inselbewohner bezeichnet werden; z. B. kallúttsu, ›Wolf‹; aláse, ›Klee‹; tsèppara, ›steinige Ebene‹ (Wagner 1960–64).
Das erhaltene Sprachmaterial des Paläosardischen ist allerdings begrenzt, und auf dieser Basis ist es nicht möglich, verwandtschaftliche Beziehungen dieser Sprache zu anderen altmediterranen Sprachen aufzuzeigen (Ligurisch, Iberisch, Sikanisch, Minoisch).
Die Regionalkultur der Sikaner
Im Nordwesten Siziliens siedelten in vorrömischer Zeit die Sikaner, die von den Griechen Sikanoi und von den Römern Sicani genannt wurden. Die Sikaner waren die Nachkommen der einheimischen alteuropäischen Bevölkerung und ihre Sprache gehört zum Kreis der altmediterranen Sprachen. Es wird vermutet, dass bestimmte Heilige Stätten auf Sizilien von Sikanern begründet worden sind, so das Heiligtum der Diana bei Cefalù. Dies erscheint durchaus schlüssig, denn die Tradition einer Göttin der Natur geht auch in anderen Kulturkreisen auf alteuropäische Ursprünge zurück. Dies trifft beispielsweise auf Artemis zu, deren Kult und Name vorgriechischer Herkunft sind.
Im Kreis der zahlreichen vorrömischen Völker Italiens heben sich zwei ab, die bereits früh die Geschicke aller anderen entscheidend bestimmt haben. Dies sind die Etrusker im Norden und die Griechen im Süden. Genau genommen liegt das Kerngebiet der Etrusker, Etrurien, in Mittelitalien, doch vom Standpunkt der frühen politischen und kulturellen Kontakte dominieren die Etrusker in der nördlichen Hälfte Italiens, während sich die Einflusssphäre der Griechen im südlichen Italien konzentriert. Während die Herkunft der Griechen aus dem östlichen Mittelmeer unbestritten ist, sind sich die Forscher über die Herkunft der Etrusker bis heute nicht einig.
Was die Kulturchronologie der Präsenz beider Populationen in Italien betrifft, so sind die Kontakte der Griechen mit den Einheimischen in Italien älter als die der Etrusker. Griechen, genauer gesagt mykenische Griechen, haben bereits zu einer Zeit Handelsstützpunkte in Süditalien angelegt, als es die Etrusker als ethnische Gruppierung noch gar nicht gab. Archäologische Hinweise auf mykenische Griechen in Italien gehen auf das 13. Jahrhundert v. Chr. zurück. Die Besiedlung Siziliens und Süditaliens durch griechische Kolonisten datiert dagegen in eine jüngere Periode, mit Anfängen im 8. Jahrhundert v. Chr.
Umstritten ist, ob das Volk der Etrusker seine ethnisch-sprachliche Charakteristik in nachmykenischer Zeit in Italien entwickelte, oder ob sich eine solche Identität bereits im ägäischen Raum ausgebildet hatte, von wo sie mit Migranten nach Italien transferiert wurde. Um die Aufklärung des Mysteriums der Herkunft der Etrusker haben sich Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen bemüht: Sprachwissenschaftler, Archäologen, Ethnizitätsforscher, Kulturwissenschaftler und in den vergangenen Jahren verstärkt auch Humangenetiker. Von welchem Standort auch immer das Herkunftsproblem angegangen wird, die Forschungsmethodologie muss sich interdisziplinär orientieren. Konstruktive Einblicke in die Problematik sind nur unter der Bedingung zu erwarten, dass Erkenntnisse der vergleichenden Sprachwissenschaft mit solchen der Kontaktforschung sowie mit Analysen zur ethnischen Identität und zusätzlich mit Daten der humangenetischen Forschung korreliert werden, um ein Gesamtbild zu vermitteln.
Die Etrusker nannten sich selbst Rasenna (bzw. in spätetrusk. Form Rasna