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Die Zeiten wirkungsloser, quälender Diäten sind vorbei. In den vergangenen Jahren hat die Medizin neue Erkenntnisse über das Abnehmen und Jungbleiben gesammelt, die noch nicht ins öffentliche Bewusstsein vorgedrungen sind. Sie reichen von neuen Medikamenten und ihren erstaunlichen Wirkungen bis zur richtigen Methode des Intervallfastens: Weil bei regelmässigem Intervallfasten der Effekt irgendwann ausbleibt, leitet dieses Buch zum Fasten nach dem Zufallsprinzip an: Erst am Morgen jeden Tages verrät es mittels eines eigens entwickelten Systems, wie viel wovon wann auf den Tisch kommen darf.
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Seitenzahl: 196
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Johannes Huber,Bernd Österle:Die Anti-Aging Revolution
Alle Rechte vorbehalten© 2020 edition a, Wienwww.edition-a.at
Cover: Isabella StarowiczSatz: Lucas Reisigl
ISBN 978-3-99001-412-7
E-Book-Herstellung und Auslieferung:Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
TEIL I
NEUNZIG JAHRE LEICHTIGKEIT
DAS SCHÖNE GESICHT DES VERZICHTS
DIE FALLEN DER EVOLUTION
ÜBERLEBENSWICHTIGE VERFÜHRER
ESSEN IST GESUND,HUNGER HÄLT UNS AM LEBEN
IMMER DIESER VERDAMMTE APPETIT
ESSEN IST GESUND,HUNGER SCHÜTZT VOR ALTER
WAS DEN EMBRYO SCHNELL WACHSEN LÄSST,LÄSST UNS LANGSAMER ALTERN
ESSEN IST GESUND,HUNGER SCHÜTZT VOR KREBS
DER JUNGZELLENEFFEKT DER AUTOPHAGIE
DAS GEWICHT DERWEIBLICHKEIT
DIE UNGERECHTIGKEIT DER HORMONE
DAS GEWICHT DES ALTERNS
DIE NORADRENO-PAUSE
TEIL II
SPIELEND SCHLANK
LÄNGER JUNG
In ihrem Blick lag etwas Hungriges. »Wellness?«, fragte sie. »Was ist das, Herr Doktor?«
Edwin Albrich legte seine goldene Füllfeder beiseite. »Ein neues Konzept, müssen Sie wissen. Ich habe es in Amerika studiert. Wellness ist eine Gesundheitslehre.«
»Ach.« Annelie Leichtfried hob die Augenbrauen.
Doktor Albrich nickte, während ein Bündel Sonnenstrahlen durchs Fenster auf den Obstkorb fiel, der auf seinem Mahagonitisch stand. Ein Korb voll rotgelber Äpfel mit ein paar Orangen aus Jaffa. »Ja. Wellness beinhaltet Heilgymnastik. Saunagänge. Wasser-, Bäder- und Wärmekuren. Massagen, Ultraschall- und Elektrotherapien, dazu Wanderungen. Auch Holzhacken. Kann ich Ihnen nur raten.«
»Holzhacken hilft gegen meine Gelbsucht?«, fragte Annelie, sie litt daran seit der Geburt ihres ersten Sohnes.
»Aus einer gesamtgesundheitlichen Betrachtung, ja«, sagte der Arzt und faltete die Hände. »Ich würde es eher als naturnahe Heilkunst sehen. Wellness basiert auf einer gesunden Ernährung, kombiniert mit ausreichend Schlaf und viel Bewegung, am besten natürlich an der frischen Luft. Das alles gepaart mit neuesten Erkenntnissen aus der Schulmedizin.«
Edwin Albrich, Arzt aus dem Montafon, genoss in Medizinerkreisen höchstes Ansehen, war rund um den Globus bekannt und galt als Pionier mit Stethoskop. Damals, im Jahr 1950, stand sein Name für eine Art zu denken, die als ebenso revolutionär wie exotisch galt.
»Und was soll ich jetzt tun, Herr Doktor?« Annelie Leichtfried dachte, der Mann im weißen Kittel würde ihr ein Rezept schreiben, stattdessen bekam sie einen Rat.
»Wenn Sie wirklich etwas für sich und Ihr Leben machen wollen, dann essen Sie niemals Pommes frites und diesen ganzen ungesunden Fraß. Kein Grillfleisch, wenig Zucker. Nach Möglichkeit auch keine Wurst. Und schon gar nichts Gebackenes. Die Panade bringt Sie früher ins Grab, als Ihnen lieb ist. Dafür viel Gemüse und Obst. Wenn es geht, immer frisch kochen, und achten Sie auf die Qualität der Zutaten.«
Die Kuranstalt Montafon, Österreichs modernster Kurbetrieb in den Fünfzigerjahren, war auf Doktor Albrichs Betreiben in Schruns in Vorarlberg erbaut worden und zog Berühmtheiten aus aller Welt an. Adelige aus Europa, New Yorker Prominenz, Politiker aus dem Nahen Osten. Letztens war da wieder dieser Geschäftsmann aus Afrika angerauscht, immer nur im Rolls Royce unterwegs und im weißen Tropenanzug zu sehen. Ein Fleischberg mit Dreifachkinn. Doktor Albrich schickte ihn auf die Viehwaage der Gemeinde, weil es die gewöhnliche Personenwaage mit hundertzwanzig Kilogramm Limit längst nicht mehr schaffte. Die Klinik kriegte den Mann wieder hin. Dank intensiver Therapien und einer eisernen Diät stieg er am Ende wieder in seinen Rolls Royce und passte sogar in den Sitz.
Patienten reisten mit dem Zug an, kamen mit dem Chauffeur oder per Hubschrauber ins kleine Schruns in Vorarlberg, nur um Doktor Albrichs neue Wellness-Methoden am eigenen Leib zu erfahren und Anreize für ein gesünderes Leben mitzunehmen. Man fuhr auf Kur. Kam als Wrack und ging als Star.
Jahre später erschienen Herrschaften wie Herbert von Karajan, Helmut Kohl, Franz Josef Strauß und die Hörbiger-Dynastie in diesem Luxushotel, um den müden Körper mit dem gehetzten Geist in Einklang zu bringen. Wellness entwickelte sich vom Geheimtipp zum Massenphänomen.
Annelie Leichtfried ist heute neunzig Jahre alt.
Schlank, silbergraues, seidig glänzendes Haar, das locker auf ihre Schultern hinabfällt. Sie schaut fantastisch aus, hat kaum Falten. Man würde ihr achtundfünfzig, höchstens sechzig geben. Was für eine Erscheinung! Eine Dame.
Seit den Fünfzigerjahren beherzigt sie die Ratschläge des Arztes. Gerade in einer Zeit, als die Industrialisierung der Speisen aus den USA als neuer Lifestyle nach Europa schwappte. Pommes frites, Mikrowelle, heute nennt man das Junk-Food. Damals war das neu, spannend, amerikanisch. Schnell fertig und noch schneller verschlungen. Doktor Albrich aber sagte genau das Gegenteil. Lasst euch nicht beirren. Dieses Essen ist falsch. Es macht euch krank. Lebt Wellness, lasst ab vom triefenden Fett.
Neben der richtigen Ernährung war es vor allem Bewegung, die er Annelie Leichtfried aber nicht ausdrücklich verordnen musste. Schon als Kind war sie Tag um Tag mit dem Fahrrad nach Bregenz ins Gymnasium gefahren. Ihr ganzes Leben machte sie Sport, vor allem Radfahren. Voriges Jahr kaufte sie sich einen Kilometerzähler, weil sie wissen wollte, wie viel sie jetzt, mit neunzig, noch schafft. Ergebnis: mehr als tausend Kilometer im Jahr.
Und dann, Jahrzehnte nach dem Treffen mit Doktor Albrich, kam sie zu mir in meine Wiener Ordination, die nahe dem Schwarzenbergplatz beim Schloss Belvedere liegt. Sie nahm auf einem der bequemen alten Stühle gegenüber meinem Schreibtisch Platz und wir redeten eine Weile.
Es war die Zeit, in der in Annelie Leichtfrieds Leben die Menopause einsetzte. Mit fünfundvierzig durchaus früh. Üblich und statistischer Durchschnitt für den Beginn des Klimakteriums ist um die fünfzig. Und irgendwo dazwischen ist es auch bei ihr losgegangen. Also suchte sie meinen Rat als Gynäkologe.
Bisher hatten ihr Ärzte wie zigtausenden anderen Frauen Hormonpräparate verschrieben, die ihr in den Wechseljahren helfen sollen.
Eines Tages sagte ich zu ihr: »Die brauchen wir jetzt nicht mehr. Wir machen es anders. Viele Frauen leiden ab dem Wechsel stark unter Gewichtsproblemen. Weil das Testosteron steigt und sich das Körperfett anders verteilt. Weil die hormonelle Umstellung im Körper der Frau den Hang zum Bauchfett fördert. Weil sich die Muskelmasse zugleich verringert und auch Wassereinlagerungen für zusätzliche Kilos sorgen können. Und weil es zuerst zu einem Östrogen-Überschuss kommt, bevor die Produktion auf Dauer zurückgeht.«
»Sehr interessant«, sagte Annelie und wartete.
Ich fuhr fort. »Wenn Sie das vermeiden wollen und zugleich auch etwas Wertvolles für Ihre Gesundheit tun möchten, dann machen Sie Cancelling. Das ist jetzt ganz neu und kommt aus Amerika.«
Dinner-Cancelling. In den Siebzigerjahren war der Begriff noch nicht so durchgekaut.
Ich hatte diese Fastenmethode einige Monate davor in den USA als neuen Gesundheitstrend entdeckt und mich bereits intensiv damit befasst. Es ist schon seltsam, dass aus diesem Land gleichzeitig das Gesunde wie auch das Ungesunde in die Welt hinausgetragen wird. Fresst euch zu Tode oder lebt die Askese, sucht es euch aus.
»Und was muss ich bei diesem Cancelling tun, Herr Doktor?«, fragte mich Annelie.
»Nichts mehr essen am Abend. Die letzte Mahlzeit so gegen drei, vier Uhr am Nachmittag. Und dann erst wieder ein gutes, reichhaltiges Frühstück.«
»Ein vernünftiges Frühstück? Ist das erwachsen? Gescheiter als ein Omelette aus drei Eiern?«
Ich nickte. »Ja.«
Seither beginnt Annelie ihre Tage mit einem warmen Haferbrei. Die Haferflocken weicht sie am Vorabend ein. Morgens werden sie ein wenig gekocht. Mit Wasser und nur wenig Milch. Eine Prise Salz dazu. Und immer eine halbe Banane, die schneidet sie in kleinen Stücken hinein und lässt sie in der Masse mitköcheln. Danach kommt ein kleiner Löffel Honig dazu, etwas Joghurt vielleicht oder selbst gemachtes Apfelmus, und hinterher garniert sie den Brei mit frischen Früchten. Das ist ein reichhaltiges Frühstück. Da braucht sie gar kein Brot.
»Das ist kein großer Aufwand, schnell zubereitet und genügt vollauf bis Mittag«, sagte ich.
Mittags kocht sie selbst. Ohne Ausnahme. Mit ein bisschen Öl, aber nicht zu viel. Und Butter, aber nur in kleinen Mengen. Von einem nahen Bauern daheim im Ländle besorgt sie sich frisches Gemüse. Gegen ein kleines Stück Fleisch, nur ganz kurz angebraten, oder Fisch ist gar nichts einzuwenden. Den Fisch hat sie aus dem Bodensee. Es spricht auch nichts gegen ein Huhn oder ein Stück Pute ab und zu. Gute Qualität muss es halt haben. Beilagen nur wenige.
»Und am Nachmittag, so gegen drei Uhr, essen Sie noch einen Apfel. Oder anderes Obst. Danach haben Sie keinen Hunger mehr«, sagte ich.
»Und was, wenn doch?«, fragte Annelie. Sie konnte schon hören, wie ihr Magen knurrte.
»Wenn Sie es gar nicht aushalten, knabbern Sie am Abend noch ein kleines Stück Hartkäse. Sie werden sehen. Der Körper gewöhnt sich so rasch daran, dass er nach gar nichts mehr verlangt – bis zum nächsten Tag.«
»Danke«, sagte Annelie »das werde ich ausprobieren.«
Sie hatte mir ihre Geschichte erzählt und mich neugierig gemacht. Jedes Mal, wenn sie zu mir in die Ordination kam und aussah wie das blühende Leben, fragte ich nach.
»Ja, der Dr. Albrecht und Sie«, sagte sie, als sie letztens wieder bei mir war. Sie hielt kurz inne. »Hab ich Albrecht gesagt? Unsinn. Er heißt natürlich Albrich.«
Es soll einem nichts Schlimmeres passieren mit neunzig.
Ich freue mich sehr, dass Annelie Leichtfried (die Dame hat mich ersucht, ihren richtigen Namen nicht zu nennen, sie ist sehr bescheiden) dieses damals so neue und merkwürdige Konzept des Dinner-Cancellings befolgte. Seit vier Jahrzehnten macht sie das jetzt.
Ausnahmen gibt es natürlich schon, aber ganz selten. Zum Beispiel, wenn sie bei Freunden eingeladen ist. Sie will die Gastgeber nicht vor den Kopf stoßen und dort sitzen und fasten, als wär’ das ein stummer Protest. Hin und wieder am Abend etwas zu essen, spielt überhaupt keine Rolle. Da hat sie vielleicht am nächsten Tag einmal ein halbes Kilo mehr, und am übernächsten Tag ist es auch schon wieder weg. Seit Annelie das Cancelling macht, ist ihr Gewicht immer gleichgeblieben. Bis heute.
Die Detox-Kur, sagt Annelie, komme dem, was sie seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich und ohne Betriebsanleitung betreibt, am nächsten. Aber auch nur bedingt, denn weder kasteit sie sich mit der sogenannten Entschlackung – ein Begriff, den wir Mediziner gar nicht gerne hören, weil es im Körper keine Schlacke gibt – noch durch wochenlanges Saftfasten oder ähnliches. Über die Vielzahl ständig wechselnder Trends in Sachen Ernährung, die das perfekte Abnehmen auf Dauer mal so und danach mal so versprechen, ist sie ebenfalls im Bilde und sogar auf dem letzten Stand.
Viel hält sie allerdings nicht davon: »Diese ganzen Diäten, wo du drei Wochen lang nur das Gleiche essen sollst, oder erst keine Kohlenhydrate, dann wieder nur fettreiche Nahrung wie bei der ketogenen Diät, oder das wochenlange Teetrinken und diese Geschichten, das ist doch alles ein Unfug. Der Körper gewöhnt sich irgendwann an diese Art von Ernährung und stellt seinen Stoffwechsel um. Dann geht gar nichts mehr beim Gewicht. Und so schnell kannst du gar nicht schauen, schon hast du die Kilos wieder oben. Da mache ich es lieber so, wie es mir von euch beiden Ärzten geraten wurde, und verzichte bewusst auf ganz bestimmtes, ungesundes Essen. Und auf das Abendessen. Damit die Zellen im Körper sich über Nacht erholen oder selbst reparieren können. Dafür bewege ich mich viel und erlaube mir ab und zu auch mal ein Gläschen Wein.«
Der Erfolg ihres disziplinierten Savoir-vivre kann sich sehen lassen: »Ich habe immer noch alle eigenen Zähne. Ich nehme keinerlei Medikamente. Nicht einmal Grippetabletten. Gesund ernähren. Sich bewegen. Das ist das beste Rezept überhaupt, nach dem man kochen kann.«
Zwei Söhnen hat sie das Leben geschenkt, das genügt, sagt sie, dabei huscht ein Lächeln über ihr glattes, fast faltenfreies Gesicht.
Und dann hat Annelie auch noch ein paar kleine Tipps für den Alltag parat: »Nicht allzu viel Kaffee, auch wenn der jetzt wieder eine Renaissance erfährt, nachdem man ihn jahrzehntelang als ungesund und schädlich verteufelt hat. Aber viele Leute brauchen das viele Kaffeetrinken halt, oder sie glauben wenigstens, dass sie es brauchen.«
Auf ihrem täglichen Speisezettel zu finden sind: ein Esslöffel Leinöl und ein Esslöffel geschrotete Leinsamen, gut für die Verdauung. Und täglich einen Löffel Kieselerde. Dazu einen Löffel Hefeflocken. Oder Bierhefe. Die gibt es im Reformhaus. Die kann man auch auf eine Suppe streuen und sind sehr gut für die Haut. »Darum habe ich auch immer noch so schöne Fingernägel«, sagt sie. »Die haben Frauen in meinem Alter sonst nicht.«
Vor kurzem war Annelie Leichtfried wieder bei mir. Allein wie sie zur Tür hereinweht, ist beeindruckend. Neunzig Jahre Leichtigkeit. Heute habe sie einen Tisch in einem Wiener Haubenrestaurant reserviert, erzählte sie. Sie wird sich das Menü mit dem Lamm nehmen, dazu einen guten Cabernet Sauvignon. Weil das auch sein darf. Das Schöne am Intervallfasten ist, dass man das Essen nicht verschlingt, sondern mit allen Sinnen entdeckt. Dadurch entsteht ein ganz neues Körpergefühl. Eine Energie, die von innen kommt. Als würde der Körper danke sagen.
Wenn Sie sich jetzt fragen, wie ein Gynäkologe dazu kommt, sich mit Gewichtsproblemen und Ernährungsfragen zu beschäftigen, haben Sie schon irgendwie recht. Generell in mein ureigenstes Fach der Frauenheilkunde gehört es nicht. Partiell schon.
Betrachtet man nur die Lebensphasen der Frau, stoßen wir allein schon auf zwei bedeutende Perioden, in denen der weibliche Organismus zulegt, zulegen muss. Die erste findet in der Pubertät statt, wenn das Mädchen zur Frau wird, die zweite in der Menopause, in der die Frau biologisch in Pension gehen darf. Zu beidem kommen wir noch ausführlicher. Und in den Jahren dazwischen ist es generell ein ärztliches Anliegen, seine Patienten gesund sehen zu wollen, wozu die Ernährung ja wesentlich beiträgt.
In Wahrheit war mein Interesse am richtigen Essen aber ursprünglich gar kein medizinisches. Die Neugier wurde in meinen Jahren als Sekretär von Kardinal Franz König geweckt. Damals lernte ich das kennen, was sich später als das Beste herausstellte, was man für einen schlanken und gesunden Körper und für ein langes und agiles Leben tun kann.
Anders gesagt: Es ist mir einfach passiert, ich bekam die gesunde Kost praktisch vorgesetzt.
In den zehn Jahren meines Dienstes beim Kardinal arbeitete ich nicht nur im Erzbischöflichen Palais, ich wohnte auch dort, in dem ehrwürdigen Vierkanthof Ecke Wollzeile und Rotenturmstraße, gleich neben dem Stephansdom. Das Palais, das sogar schon den Dreißigjährigen Krieg erlebte, hat einen der schönsten Renaissancehöfe Wiens, die Treppe zu den Repräsentationsräumen gehört zu den prachtvollsten der Stadt. Architektonisch ist das Juwel trotzdem kaum bekannt.
Am ehesten erinnert man sich an das sogenannte Rosenkranzfest im Oktober 1938, an dem Kardinal Theodor Innitzer, der sich sechs Monate davor mit seiner Befürwortung des Anschlusses Österreichs an Hitlers Drittes Reich keine Lorbeeren geholt hatte, zurückruderte und mit einer historischen Rede im brechend überfüllten Stephansdom das NS-Regime provozierte. Seine Kehrtwendung rief tags darauf die Hitlerjugend auf den Plan, die das Palais stürmte, tausendzweihundert Scheiben einschlug und die Möbel aus dem Fenster warf, im nahen Churhaus am Stephansplatz sogar den Domkuraten Johannes Krawarik.
Mit ihren Bajonetten stachen die Jung-Nazis auf das große Christusgemälde ein, das in diesem malträtierten Zustand noch heute als Mahnbild an seinem Platz hängt. Das Ereignis gilt als Sternstunde des Widerstands. Im Keller des Palais unter der Kapelle hat Kardinal Innitzer dann auch viele Juden vor der Gestapo versteckt und ihnen damit das Leben gerettet.
In diesem geschichtsträchtigen Haus hatte auch ich meine kleine Wohnung. In einem Teil waren die Schwestern untergebracht, in einem anderen die Administration. Ich schlief im sechsten Stock und schaute jeden Tag auf den Stephansdom. In der Früh ging ich um neun Uhr über die Bibliothek zur Morgenbesprechung, pünktlich um ein Uhr mittags gab es Essen. Die Mahlzeiten nahmen wir alle gemeinsam ein. Und nicht nur wir.
Das Mittagessen war das Hauptereignis des Tages. Gäste waren mittags eingeladen, nie zum Dinner, wie in der Gesellschaft allgemein üblich. Um den Tisch des Bischofs, die Mensa Episcopalis, versammelten sich Tag für Tag Persönlichkeiten aus allen Lebensbereichen. Politiker ebenso wie Künstler, Nobelpreisträger wie Konrad Lorenz, der immer mit seiner Frau kam, genauso wie Journalisten vom Kaliber eines Hugo Portisch, mit dem mich seit damals eine innige Freundschaft verbindet. Die Mittagsgesellschaft von Kardinal König war ebenso interessant wie international, und hauptsächlich waren es Atheisten. Man unterhielt sich im wahren Sinn des Wortes über Gott und die Welt. Der Kardinal saß an der Kopfseite des Tisches und hat sich köstlich amüsiert.
Ich erinnere mich an den ungarischen Kardinal József Mindszenty, der in Wien im Exil lebte. Wenn er zum Mittagessen geladen war, wurde Lateinisch gesprochen. Als er mich zum ersten Mal am Tisch sah, musterte er mich lange und fragte dann den Kardinal: »Ist der auch vertrauenswürdig?«
Das Mittagessen war sozusagen heilig. Die Tafel war groß genug für ein Dutzend Gäste, weißes Tischtuch, schönes Geschirr, alles sehr kultiviert. Die Schwestern haben gekocht und serviert. Als erstes kam immer eine Suppe, dann eine Hauptspeise, hinterher Obst. Die Küche war einfach und gut. Egal, wer da war, es gab nichts Übertriebenes. Obligat war der italienische Wein, der immer dazu gereicht wurde. Ein Schluck Erinnerung an das Pontificium Germanicum Hungaricum in Rom, wo der Kardinal lange gewesen war.
Wir Mitarbeiter bekamen auch abends zu essen, aber für Kardinal König war die Nahrungsaufnahme gewöhnlich mit 14 Uhr beendet. Er saß zwar um halb sieben meistens mit uns beim Nachtmahl, aber sein Teller blieb leer. Ab und zu, um nicht unsozial zu erscheinen, ließ er sich einen Apfel dünsten.
Obwohl er einen leicht erhöhten Blutdruck hatte, war der Kardinal immer bestens drauf. Er war geistig und körperlich fit, hatte eine ungeheure Kondition und enorme Lebensgeister bis in sein hohes Alter, er wurde achtundneunzig Jahre alt.
Irgendwann überlegte ich mir, was denn sein Geheimnis war. Waren es die Gene? Seine Mutter, die auch im Erzbischöflichen Palais gewohnt hatte, war ebenfalls sehr alt geworden, und die beiden hatten die gleiche glatte, fast jugendliche Haut an den Händen.
Ja, vielleicht waren es die Gene. Aber dann beobachtete ich die Sache genauer und entschied mich fürs Essen. Besser gesagt: das Gegenteil davon. Kein Essen mehr nach 14 Uhr. Das war es, worin er sich von allen anderen unterschied.
Verzicht, dachte ich, das ist es. Die Mäßigung, die schon zu Zeiten des Thomas von Aquin als eine der vier Kardinalstugenden gegolten hat. Ich musste schmunzeln, ich hatte wortwörtlich eine Kardinalstugend entdeckt.
Kardinal König praktizierte sein Lebtag lang das, was später als Dinner-Cancelling in aller Munde war. Zu seiner Zeit hieß die Gewohnheit bloß: abends nichts mehr essen.
Den englischen Ausdruck brachte ich erst zwei Jahrzehnte später aus Jakarta mit.
Es muss so um 1995 herum gewesen sein. Die VAMED-Gruppe hatte in Indonesien ein Krankenhaus errichtet und wollte dort auch eine Hormonabteilung aufbauen. Man bat mich, mir das vor Ort anzuschauen, und wir flogen nach Jakarta. Bei einem Festessen mit der Regierung saß ich neben der indonesischen Gesundheitsministerin, wir unterhielten uns über das Altern. Ist vielleicht nicht das eleganteste aller Tischgespräche, aber in unseren Berufen hatten wir gewissermaßen eine Ausrede dafür.
»Was glauben Sie«, fragte mich die Frau Minister, »gibt es ein Mittel, um langsamer zu altern?«
Sie hatte sich während der vielen Gänge des Galamenüs als äußerst geistreiche Gesprächspartnerin erwiesen, also wollte ich ihr nicht einfach ein Medikament nennen.
»Ich persönlich«, sagte ich, »glaube an ein Geheimrezept.«
»Und?«, fragte sie, »muss es denn geheim bleiben?«
»Ganz und gar nicht«, sagte ich. »Es täte allen Menschen gut, und es ist so einfach: abends und nachts nichts essen, keine einzige Kalorie.«
Sie sah mich an und überlegte kurz. »Meinen Sie Dinner-Cancelling?«, fragte sie.
Damals ist das Schlagwort entstanden, es stammt von der Gesundheitsministerin Indonesiens. Dinner-Cancelling, Nahrungskarenz, heute kennt es jeder, der ein paar Kilos zu viel hat, sich einfach gesund ernähren und in möglichst junggebliebenem Zustand alt werden will. Das Fasten kam generell wieder in Mode, insbesondere hat sich das sogenannte intermittierende oder Intervall-Fasten, die 16:8-Diät etabliert. Innerhalb von acht Stunden darf man essen, sechzehn Stunden lang nicht.
Bloß welche sechzehn Stunden? Und wann beginnen die acht?
Ist es egal?
Macht es einen Unterschied?
Immer wieder werde ich das gefragt. Kann man beim Intervallfasten etwas falsch machen? Und vor allem: Kann man abends zum Essen ausgehen und dafür dann das Frühstück auslassen?
Man kann. Aber langsamer alt wird man damit nicht.
Ja, ich weiß, das ist genau das, was Sie nicht hören wollten. Wobei man sagen muss: Natürlich ist es grundsätzlich immer besser, weniger zu essen als zu viel in sich hineinzuschlingen. Es ist nie verkehrt, auf Essen zu verzichten, egal, zu welcher Tageszeit. Aber um in den Genuss des Geheimrezepts von Kardinal König und der lebensfrohen neunzigjährigen Annelie Leichtfried zu kommen, muss man doch auf die Uhr schauen und den Löffel zur richtigen Zeit weglegen.
Intervallfasten ist nicht nur an eine Dauer, sondern auch an einen Zeitpunkt gebunden. Intervall und Uhrzeit sind ein Team, sie arbeiten nur Hand in Hand richtig gut. Das ist nicht bloß ein Erfahrungswert, das ist wissenschaftliche Tatsache. Schon 2007 fragte ein israelisches Forscherteam von der Hebrew University of Jerusalem in der Zeitschrift Science-Direct nach einem Zusammenhang zwischen Ernährung und dem circadianen Rhythmus.
Kurz angerissen der Hintergrund, wir gehen dem Thema später noch mehr auf den Grund:
Die Chronobiologie hält derzeit mit Pauken und Trompeten Einzug in die Wissenschaft, die Medizin und damit letztlich in den Alltag. 2017 gab es den Nobelpreis für die Entdeckung der Mechanismen, die den circadianen Rhythmus in den Zellen steuern.
Der Vorgang ist, für den Hausgebrauch erklärt, bestechend einfach. Der Mensch ist ins Sonnensystem eingebettet. Unser Körper hat sich ein Abbild des Sonnenzyklus gemacht. Jedes Organ, jede Zelle folgt dem Wechsel von Licht und Dunkelheit.
Unsere Zellen schalten den Tag-Nacht-Rhythmus alle zwölf Stunden um, indem sie sogenannte Clock-Gene wachrütteln, und sich andere dafür aufs Ohr legen. Damit die Gene der Tag- und Nachtschicht ihre Dienste auch rechtzeitig antreten, werden sie beizeiten aufgerüttelt. Sehr beizeiten.
Die Nacht-Gene kriechen schon tagsüber aus den Federn, die Tag-Gene machen sich bereits während der Nacht bereit. Pünktlich zu Arbeitsbeginn, sobald die Sonne auf- oder untergeht, erledigen sie ihre Aufgaben im Körper. Zwölf Stunden lang, bis die neue Schicht sie ablöst und die nächsten zwölf Stunden lang ihre Aufgaben im Körper erledigt.
Diese innere Uhr des Menschen tickt im Hypothalamus, jener Drüse, die auch die vegetativen Körperfunktionen dirigiert. Die Zirbeldrüse assistiert ihm, indem sie den Vierund-zwanzigstunden-Rhythmus synchronisiert und das Melatonin beisteuert, das den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinflusst. Auch dazu kommen wir noch ausführlicher.
Vorerst einmal so viel: Dieser Einklang mit dem Rhythmus der Natur hat mehr Auswirkung in der täglichen Routine, als man geahnt hätte. Man vermutet zum Beispiel auch, dass es nicht egal ist, wann man welche Medikamente schluckt. Beim Essen ist es längst mehr als Vermutung. Es ist eben nicht egal, wann man isst und wann nicht.
Eine Kohorten-Studie in Frankreich, einem Land, in dem man spät zu Abend isst, zeigte nicht nur den Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheit und circadianem Rhythmus, sie belegte auch ein damit verbundenes höheres Krebsrisiko. Die Arbeit erschien im International Journal of Cancer und machte einigen Wind in der wissenschaftlichen Gemeinde.
Eine spanische Forschungsgruppe und damit eine weitere Nation, die traditionsgemäß abends isst, wies nach, dass vor allem Brust- und Prostatakarzinome häufiger vorkommen, wenn man beim Abendessen völlert. Und häufiger bedeutet: Das Risiko bei Prostatakrebs ist um den Faktor 2,2, bei Brustkrebs um den Faktor 2,4 erhöht. Zum Vergleich: Das ist mehr als bei jeder Hormontherapie.
Das Ergebnis gibt also zu denken. Umso mehr, als Frankreich, vor allem aber Spanien, die mediterrane Kost dagegenhalten können. Olivenöl, Obst und Gemüse, fettreicher Fisch und Rotwein. Wenn die Franzosen und Spanier das zu Mittag essen würden, wären sie gesundheitlich unschlagbar.
Im August 2016 erschien dann in der Zeitschrift JAMA, dem Journal of American Medical Association, eine Arbeit kalifornischer Wissenschaftler, die bestätigt: Ausgedehntes nächtliches Fasten ist eine nicht-pharmakologische Strategie gegen Brust- und Prostatakarzinome. Keine Medikamente, nur Nahrungskarenz, und die Krebsrate lässt sich reduzieren. Eine simplere Methode gibt es nicht. Das ist ein völlig neuer Aspekt des Intervallfastens.
Wir leben in einer verschmutzten Umwelt, sind ständig zu viel Licht ausgesetzt, von zu viel Feinstaub geplagt und durch zu viel CO2 belastet. Aber was definitiv schwer wiegt, wird in dieser Liste oft unter den Tisch gekehrt: der pausenlose Zugang zur Nahrung.