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Jeder Mensch braucht eine andere Ernährung, eine andere Form der Bewegung, einen anderen Lebensstil und im Krankheitsfall andere Medikamente und Dosierungen. Die moderne Medizin hat das erkannt und liefert dazu jeden Tag neue, bahnbrechende Forschungsergebnisse. Prof. DDr. Johannes Huber und Priv. Doz. Dr. Stefan Wöhrer zeigen in diesem Buch, was davon schon jetzt konkret anwendbar ist und wie sich die eigenen Besonderheiten einfach entdecken lassen.
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Seitenzahl: 245
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Johannes Huber, Stefan Wöhrer:Warum wir sind, wie wir sind
Alle Rechte vorbehalten
© 2024 edition a, Wien
www.edition-a.at
Cover: Bastian Welzer
Satz: Bastian Welzer
Lektorat: Sophia Volpini de Maestre
Gesetzt in der Ingeborg
Gedruckt in Deutschland
1 2 3 4 5 — 27 26 25 24
ISBN 978-3-99001-728-9
eISBN 978-3-99001-729-6
JOHANNES HUBER
STEFAN WÖHRER
Die Medizin entdeckt das Individuum
edition a
Das epigenetische Alter
Individuelle Heilung für individuelle Menschen
Die gesunde Welt der Pharmakogenomik
Nutrigenomik: Die Macht der individualisierten Ernährung
Das Geheimnis des individuellen Gewichts
Die individuelle Leistungsfähigkeit
Genetisch bedingte Krankheitsneigung
Die Biologie der Gefühle
Die Biologie des freien Willens
Was unseren Geist prägt
Warum wir als Gesellschaft so sind, wie wir sind
Die Macht der RNA
Der erste Mensch war eine Frau
Die großen Prägemomente
Haben Sie Snips? Ja, die haben Sie, auch wenn Ihnen das vielleicht nicht bewusst ist, und Sie sollten dankbar dafür sein. Denn Ihre Snips sind wesentlich dafür verantwortlich, dass Sie sind, wie Sie sind. Als einer von drei Faktoren sorgen sie dafür, dass keiner der hundert Milliarden Menschen, die bisher gelebt haben, so war wie Sie, dass keiner der acht Milliarden, die derzeit leben, so ist wie Sie, und dass keiner der hoffentlich vielen Milliarden, die noch kommen werden, so sein wird wie Sie.
Um das zu verstehen, müssen wir wissen, dass eine Ära gerade zu Ende geht. Es ist die Ära, in der wir dachten, wir seien im Wesentlichen von unseren Genen bestimmt und der Rest sei sozial geprägtes, abgeschautes, erlerntes Verhalten. Das stimmt so nicht. Es kann auch gar nicht stimmen, denn das menschliche Genom an sich unterscheidet sich schon kaum von dem anderer Säugetiere, geschweige denn von dem anderer Exemplare des Homo sapiens. Und wenn unser Verhalten einfach nur abgeschaut wäre, würde es uns wahrscheinlich viel leichter fallen, es zu verändern, als dies tatsächlich der Fall ist.
Snip ist ein Begriff aus dem Laborjargon und heißt eigentlich SNP (Single Nucleotid Polymorphism). Nucleotide sind die Grundbausteine unserer Gene. Die Abfolge der Nucleotide bestimmt die Funktion der Gene. Snips sind veränderte Varianten eines Gens. Die Veränderungen können große Auswirkungen auf alle unsere Seinsbereiche haben.
Das Erbgut zweier Menschen ist im Wesentlichen ident, doch sie unterscheiden sich durch sechs Milliarden Snips.
Elektrische Ladungen sind der zweite der Faktoren, die uns zu dem machen, was wir sind. Denn erst sie bestimmen, welches unserer Gene auf welche Weise aktiv wird und welche überhaupt aktiv werden. Ein Vorgang, den wir als epigenetische Codierung kennen.
Der dritte Faktor ist unsere RNA, bekannt auch als Ribonukleinsäure. Diese Molekülgruppen, die in jeder unserer Zellen existieren, sind für die Umsetzung des genetischen Codes verantwortlich und machen uns gemeinsam mit den Snips und den epigenetischen Codierungen zu dem, was wir als Individuen sind.
Gemeinsam bestimmen diese drei Faktoren zum Beispiel darüber, wie leicht wir zunehmen, wie gut oder schlecht wir Alkohol oder Kaffee vertragen, ob wir eher Langstreckenläufer oder Sprinter sind, welche Krankheitsrisiken wir haben, ob wir zum Sparen oder zum Geldausgeben neigen, ob wir uns für politisches Engagement begeistern können oder ob wir Leidenschaften für Fußball oder für Musik entwickeln.
Vor allem die Snips machen uns auch als Patienten einzigartig, was bedeutet, dass auch die Ära der gleichen Behandlung für alle zu Ende geht. Es entsteht gerade die personalisierte Medizin, die respektiert, dass wegen der individuellen Ausprägung jedes Menschen dem einen schaden kann, was dem anderen nutzt, und die deshalb völlig neue Wege bei der Behandlung geht.
Wir sind mehr als die Summe unserer Gene. Darin liegt eine enorme Chance, unser Leben nach unseren Wünschen zu gestalten.
In diesem Buch werden wir uns, gleichsam zum Aufwärmen, zunächst mit einem einfach verständlichen Anwendungsbeispiel für die Errungenschaften dieser neuen Sicht des Menschen befassen. Dabei geht es um das epigenetische, also um das biologische Alter, das sich aufgrund bestimmter Zustände unserer Gene errechnen lässt. Diesem epigenetischen Alter könnte, etwa bei medizinischen Einschätzungen und Behandlungsstrategien, schon bald eine wichtigere Rolle zukommen als dem kalendarischen.
Danach betreten wir die Wunderwelt der personalisierten Medizin, die ungeahnte neue Chancen bietet. Wie gut reagieren Sie auf welche Medikamente und wie interagieren zwei oder drei verschiedene Medikamente in Ihrem ganz speziellen Genom? Während sich Ärzte bisher an Statistiken und Richtwerten orientierten, können sie mit neuen Werkzeugen in Zukunft direkt auf Sie eingehen und Ihre Heilungs-Chancen multiplizieren.
Wie können Sie das neue Wissen aus der Medizin für sich selbst anwenden, jeden Tag, und davon profitieren? Hier sind wir im nächsten Kapitel, im Bereich der Nutrigenomik. Dieses junge Forschungsgebiet verknüpft Erkenntnisse aus der Genomforschung, der Pflanzenzüchtung, der Gentechnik und der modernen Medizin, um Nahrungsmittel zu identifizieren, die ideal für Sie als Individuum sind, die genau Sie stärken und gesundhalten und die zu Ihrer Heilung beitragen können.
Als Nächstes beantworten wir ausführlich die Frage, wie und warum Ihr persönliches Körpergewicht entsteht, welche Snips und welche epigenetischen und von der RNA getriebenen Programmierungen es bestimmen und welche neuen Möglichkeiten sich gerade auftun, es zu regulieren. Warum können manche Menschen essen, was sie wollen, und bleiben dennoch schlank, während andere schon vom Betrachten einer Tafel Schokolade ein Kilo zuzunehmen scheinen?
Auch die Hintergründe Ihrer Leistungsfähigkeit und deren individuelle Grenzen sehen wir uns in einem eigenen Kapitel an, um bei beidem, der Gewichtszunahme und unserer Leistung, zu einem gemeinsamen Schluss zu kommen: Wir sind nicht an allem selbst schuld, aber wir können immer etwas tun. Allein schon über diese Mechanismen Bescheid zu wissen kann etwas verändern. Wir lernen dabei, uns auf neue, inspirierende und letztlich immer auch stärkende Art selbst zu respektieren.
Schließlich befassen wir uns mit individuellen Krankheitsneigungen und der Frage, wie sie entstehen und woran sie erkennbar sind. Keine Sorge, solche Neigungen müssen kein Drama sein und wir haben alle welche. Was unsere Snips, die epigenetischen Codierungen und die RNA mit uns machen, kann nun einmal wundervoll, aber eben auch ärgerlich sein. Aber auch hier gilt immer: Wir können etwas tun.
Danach schlagen wir eine Brücke, die tief hinein ins Philosophische führt, in die Fundamente unserer Geistigkeit. Wir befassen uns mit der Biologie unseres Denkens, unserer Überzeugungen, Einschätzungen und unserer Meinungen und stellen dabei betreten fest: Wir halten uns für objektiv, aber es ist fast unmöglich, es zu sein. Wir bestimmen unser Bewusstsein viel weniger selbst, als wir denken, denn auch hier sind Snips, epigenetische Codierungen und die RNA die großen Gestalter.
Schließlich sehen wir uns die Prägemechanismen und Prägefenster noch im Detail an, jene Wunderwerke der Natur, die uns auf nüchterner biologischer Ebene unter anderem diese zwei Dinge deutlich machen: Die Evolution verläuft nicht zufällig und wir sind dementsprechend keine Zufallsprodukte. Was wir als Menschen sind und wie genau wir als Individuen sind, hat sich aus einem großen holistischen Ganzen ergeben, in dem Milliarden kleinerer und größerer Zahnrädchen ineinandergreifen. Dieses große Ganze macht alles an uns erklärbar, wenn wir es nun mithilfe der modernen Medizin verstehen lernen.
Wesentliche und erhellende wissenschaftliche Beiträge zu diesem Buch stammen von Priv. Doz. Dr. Stefan Wöhrer, der Spezialist für Pharmakogenetik (die individuell angepasste Medikamentengabe) und Gründer eines Zentrums für personalisierte Medizin ist. Er wirkt als Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, verfasste bisher mehr als sechzig wissenschaftliche Arbeiten, erhielt 2012 eine Auszeichnung für die beste Arbeit zur Stammzellenforschung und lebt mit seiner Frau, zwei Kindern, seinem Vater, drei Katzen und einem Hund im niederösterreichischen Bad Fischau.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre mit vielen neuen Erkenntnissen, die Sie sich selbst besser verstehen lassen!
Johannes Huber
Frühjahr 2024
Wie alt wir wirklich sind, hängt nicht von dem Datum auf unserer Geburtsurkunde ab, sondern von dem Fortschreiten der Methylierung unserer Gene. Was nach einem schwierigen wissenschaftlichen Thema klingt, ist in Wirklichkeit sehr einfach zu verstehen und hat einen großen Vorteil: Es gibt Tests, mit denen wir unser aktuelles biologisches Alter feststellen können, und Regler, mit denen wir es bei Bedarf zurücksetzen können. Sie einzusetzen ist ebenfalls einfacher, als es zunächst scheint, und es ist eines der ersten allgemein zugänglichen Anwendungen für die neue personalisierte Medizin. Sehen wir uns diese Angebote, wie gesagt zum Aufwärmen, etwas näher an. Machen sie auch für uns Sinn? Und wenn ja, welchen?
Es muss im Jahr 2001 gewesen sein. Als Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission, die sich, dem Bundeskanzleramt zugeordnet, bundesweit mit medizinischer Ethik befasst, erhielt ich damals die Einladung, einen Vortrag vor Mitgliedern des Wiener Institutes für Molekulare Biotechnologie (IMBA) zu halten. Das IMBA ist das größte Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, das seit jeher große Namen seines Fachgebietes um sich versammelt. Dementsprechend ehrenvoll war die Einladung. Ausgesprochen hatte sie der damalige Direktor des IMBA, der prominente Oxforder Molekularbiologe Kim Nasmyth, und es sollte ein Plenarvortrag zum Thema »Wohin wird sich die medizinische Forschung entwickeln?« werden.
Das Institut und das Publikum erwarteten von mir als Reproduktionsmediziner einen Vortrag über das damals aufkommende Thema der pränatalen Prägungen und darüber, wie sich bereits Embryos im Hinblick auf ein gesundes, zufriedenes und insgesamt geglücktes Leben manipulieren lassen. Doch ich stellte fest, dass im Publikum auch ein kleines Grüppchen von Forschern war, das sich mit dem damals noch neuen medizinischen Fachgebiet der Epigenetik befasste. Unter ihnen war Thomas Jenuwein, Gruppenleiter am IMBA. Er hatte bereits eine richtungsweisende Arbeit über Epigenetik im renommierten Fachmagazin Science publiziert. Deshalb entschloss ich mich spontan zu einem inhaltlichen Schwenk.
Da Epigenetik sehr viel mit pränatalen Prägungen zu tun hat, hatte ich mich mit dem Thema bereits befasst und war davon fasziniert. Wenn stimmte, was hier gerade an neuem Wissen entstand, und daran gab es keinen Zweifel, konnte das nur der Anfang einer medizinischen Revolution sein.
Mit Eifer präsentierte ich also am Rednerpult die Epigenetik und ihre immensen Möglichkeiten, den menschlichen Organismus als holistisches Phänomen, das mit seiner Umwelt, die ihn unaufhörlich prägt und modelliert, ständig interagiert, neu zu verstehen.
Die Augen Jenuweins, der mittlerweile die Forschung zur Epigenetik in führenden Positionen vorantreibt und wesentlich zu ihren Durchbrüchen beigetragen hat, leuchteten. Doch die Reaktion des großen Restes des Publikums hatte ich mir anders vorgestellt. Enttäuschung schlug mir entgegen. Was soll das sein? Epigenetik? Themenverfehlung, das war es wohl, was unausgesprochen im Raum stand.
Mittlerweile ist die Epigenetik ein großes Thema in fast jedem anspruchsvollen medizinischen Diskurs und sie interessiert zunehmend auch eine breite Öffentlichkeit. Dies, weil sie bereits Angebote hervorbringt, die es jedem und jeder von uns ermöglichen, an jener neuen Welt einfach, konkret und wirkungsvoll teilzuhaben.
Wie sehr die Epigenetik inzwischen auch die ärztliche Tätigkeit prägt, fiel mir jüngst in einem Patientinnengespräch auf. Damals erhob sich gerade meine Patientin Beate Reisinger (Name geändert), eine etwa fünfzig Jahre alte Frau, nach unserem aus-führlichen Gespräch mit einem leisen Ächzen und dem dazu passenden flapsigen Kommentar »Wir werden alle nicht jünger« von ihrem Stuhl.
»Mag sein«, antwortete ich, aber die wenigsten von uns wissen, wie alt sie wirklich sind. »Laut Ihrem Karteiblatt sind Sie fünfzig? Wer weiß, vielleicht hat Ihr biologisches Alter erst 42 Jahre oder auch schon 58 Jahre erreicht.«
Beate Reisinger setzte sich wieder. »Ich habe schon von dieser Sache mit dem biologischen Alter gehört«, sagte sie. »Was steckt da wirklich dahinter? Lässt sich das tatsächlich seriös berechnen? Und was genau soll das eigentlich sein?«
Ich erwähnte Steve Horvath, einen renommierten Bioinformatiker und Genetiker, der an der Universityof California, Los Angeles (UCLA) tätig ist. »Haben Sie schon von ihm gehört?«, fragte ich Beate Reisinger, die vage den Kopf schüttelte.
Horvath entwickelte einen Test zur Bestimmung des biologischen Alters. Der von ihm geprägte Begriff »epigenetisches Alter« bezieht sich auf die innere biologische Uhr eines Organismus’, die auf epigenetischen Veränderungen basiert. Horvath führte eine der ersten wissenschaftlichen Studien, die sich mit der Bestimmung des epigenetischen Alters befassten. 2013 entwickelte er einen epigenetischen Uhr-Algorithmus, der das biologische Alter schätzen kann. Diese Methode, die »Horvath Clock«, war eine der ersten erfolgreichen Versuche, das biologische Alter anhand epigenetischer Markierungen zu bestimmen.
Horvath arbeitet dabei mit den klinischen Daten der sogenannten Framingham Studie, die sich mit kardiovaskulären, also das Herz und das Gefäßsystem betreffenden Risikofaktoren befasst und sich durch ungewöhnlich lange Beobachtungszeiten auszeichnet. Dank der Studie stehen Langzeitaufzeichnungen von Menschen, die mittlerweile verstorben sind, zur Verfügung, was besonders wertvolle Rückschlüsse auf Risikofaktoren ermöglicht.
Horvath verglich nun epigenetische Veränderungen mit anderen Risikofaktoren und deren Einfluss auf die Sterblichkeit. Dabei stellte er fest, dass es bestimmte epigenetische Signaturen, also spezifische Veränderungen an unserer DNA gibt, die sowohl mit bestimmten biologischen Risikofaktoren als auch mit der Gesamtsterblichkeit zusammenhängen.
Der Forscher definierte zehn spezifische epigenetische Signaturen, die wie unterschiedliche epigenetische Uhren zu betrachten sind. Die Uhr, die für uns am schnellsten tickt, verkürzt unser Leben am deutlichsten. Sie ist somit unser die Lebenszeit limitierender Faktor, weshalb wir uns auf die positive Beeinflussung dieses Faktors konzentrieren sollten. Tickt zum Beispiel unsere Stoffwechsel-Uhr am schnellsten, so sollten wir vorrangig auf eine Gewichtsreduktion und eine Reduktion von Kohlenhydraten setzen.
Inzwischen gibt es mehrere Anbieter solcher Tests. Die Vorgehensweise ist immer relativ einfach. Ein Arzt, egal ob praktischer oder Facharzt, schickt eine Blutprobe im Umfang von fünf Millilitern, medizinisch ordnungsgemäß verpackt und mit den erforderlichen ärztlichen Begleitinformationen ausgestattet, in ein Labor. Billig ist das leider nicht, denn wer sein biologisches Alter auf diese Weise feststellen will, muss rund 200 bis 400 Euro dafür einkalkulieren.
Doch die erhältlichen Informationen sind allemal ihr Geld wert. Sie treffen nach zwei bis vier Wochen oder manchmal auch später ein. Das Ergebnis nennt dann bei den Highend-Anbietern nicht nur das biologische Alter als simple Zahl. Es geht auch darauf ein, in welchen Bereichen genau unser Alterungsprozess besonders weit fortgeschritten ist, was also die Sollbruchstellen des betreffenden Patienten sein könnten und worauf er demnach bei seinem Lebensstil, bei den auf ihn wirkenden Umwelteinflüssen und bei seinen medizinischen Behandlungen achten sollte. Nach zehn Gruppen analysiert zum Beispiel Horvaths Team das Genom, das es aus den Blutproben entnimmt. Zu diesen Gruppen gehören etwa das Immunsystem, der Stoffwechsel, das Hormonsystem oder die Muskulatur.
Beate Reisinger war neugierig genug, um es genau wissen zu wollen. Ich reichte in ihrem Auftrag ihre Blutprobe ein und sie bekam eine gute Nachricht. Sie war biologisch betrachtet gegenüber ihrem kalendarischen Alter um vier Jahre jünger.
Doch auch wenn der Test der Fünfzigjährigen statt den 46 Jahren 58 angegeben hätte, wäre das kein Drama gewesen. Denn derartige Testergebnisse sind immer nur Momentaufnahmen, ausgehend davon, dass alle Rahmenbedingungen, also die auf uns wirkenden Umwelteinflüsse und unser Lebensstil, gleich bleiben. Wenn wir diese Parameter verändern, kann ein weiterer Test bereits nach einem Jahr schon andere Ergebnisse liefern.
Manchmal reagieren Patientinnen, mit denen ich ihre Testergebnisse durchsehe, zunächst frustriert. Schließlich landen wir auch mithilfe der medizinischen Zukunftswerkstätten Kaliforniens und selbst kostspieliger Verfahren wie dem epigenetischen Alterstest erst recht wieder bei den uralten Hinweisen, die niemand mehr hören kann und an denen sich die meisten Menschen schon hinlänglich erprobt haben: Ernähren Sie sich gesund und bewegen Sie sich ausreichend.
Doch tatsächlich bietet das Ergebnis mehr als das. Zum einen lässt sich der Lebensstil mit Wissen über die eigenen Sollbruchstellen viel konkreter anpassen. Wenn etwa die Lunge unser heikler Punkt ist, müssen es dann keine mühsamen Trainingseinheiten in Fitnesscentern sein, im Gegenteil, dann empfehlen sich viel eher regelmäßige entspannende Frischluftaufenthalte am Meer.
Zudem gibt es in der Medizin ein Phänomen, das forschende Ärzte seit langem kennen. Parallel zu neuen Analyse- und Diagnosemethoden entstehen oft auch neue Behandlungsmethoden.
Um das mit einem Beispiel aus dem medizinischen Fachgebiet der Psychiatrie zu illustrieren: Zunächst entdeckten Forscher ein Gen, das in unserem Körper für die Herstellung von Substanzen zuständig ist, die uns beruhigen. Wenn dieses Gen nicht ordnungsgemäß funktioniert, schlussfolgerten sie naheliegenderweise, sind wir unruhiger und aggressiver und schlafen schlechter. Mit dieser Erkenntnis war dann bald ein Pharmazeutikum gefunden, das genau dieses Gen wieder in Schwung bringt.
Eben dieser Prozess, der ganz nach dem Muster »Hier ist das Problem und da ist die Lösung« verläuft, ist dank der neuen epigenetischen Analysemöglichkeiten des biologischen Alters oder des Zustandes des Epigenoms eines Menschen für Dutzende, ja für hunderte Funktionen unseres Körpers im Gange.
Wir öffnen damit die Tür zu einer völlig neuen pharmazeutischen Welt, zu einer boomenden Welt voller Abenteuer für Fachleute und Interessierte, zur Welt der epigenetischen Medikamente. Um sie wird es in diesem Buch noch ausführlich gehen.
Aber sehen wir uns zunächst an, ob David Sinclair und Steve Horvath mit ihren Tests wirklich zu Recht vermögend geworden sind, oder ob sich dahinter auch ein Marketingtrick verbirgt. Was genau analysiert er und wie? Was genau bringen uns die Ergebnisse?
Manche Zusammenhänge in der Medizin, aber auch in wissenschaftlichen Disziplinen wie der Physik oder der Mathematik wirken bis zu ihrer Erforschung geheimnisvoll, besonders komplex und kaum verständlich. Liegen sie erst einmal offen, wundern wir uns, warum wir nicht schon früher darauf kommen konnten, weil sie in Wirklichkeit sehr einfach sind. Das gilt auch hier. Wer die Funktionsweise dieses Tests verstehen will, muss nicht schon als Kind mit dem Chemiekasten gespielt oder seine Prüfung in organischer Chemie mit einem Sehr Gut bestanden haben.
Stellen wir uns einfach unsere DNA als Kette vor, an der Perlen in Form von Basen aufgefädelt sind. Als besondere Eigenschaft besteht diese Kette aus zwei parallel verlaufenden Strängen. Diese Basen interagieren unaufhörlich mit unserem Körper. Dabei erfüllen sie vor allem ihre jeweilige Hauptaufgabe, für die sie gemacht sind, zum Beispiel die Herstellung von Hormonen.
Unerfreulicherweise reagieren diese Basenperlen aber auch mit Methylgruppen. Methylgruppen gehören zu den einfachsten Atomanordnungen in der organischen Chemie. Die Formel lautet –CH3, sie bestehen also aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoff-Atomen. Methylgruppen sind keine eigenständige chemische Substanz, sondern stets Teil eines größeren Moleküls. Simpel, nicht wahr?
Und doch sind diese kleinen Verbindungen die Grundlage dessen, wovor die meisten von uns so große Angst haben. Sie sind die Grundlage des Alterns, wir könnten auch sagen: Sie sind die Grundlage des epigenetischen Alterns. Was genau passiert dabei?
Auch das ist einfach verständlich. Solche Methylgruppen verändern die elektrische Ladung in den Basenperlen unserer DNA, wenn sie sich an sie anhängen. Die Kette verkrümmt sich dann an der betreffenden Stelle, die beiden Stränge verkleben sich und unser Körper kann die methylierte Perle nicht mehr richtig ablesen. Die betroffenen kleinen genetischen Kraftwerke fahren also ihren Betrieb allmählich zurück und können sich schließlich ganz abschalten. Ein Gen verliert seine Wirksamkeit und kommt seinen Aufgaben nicht mehr planmäßig nach.
Gut verständlich machen lässt sich das am Beispiel des Kollagens, das Sie vielleicht aus der Schönheitsindustrie kennen. Es ist ein wichtiger Faserbestandteil von Haut, Knochen, Sehnen und Knorpel. Methyliert das Gen, das für die Herstellung des Kollagens zuständig ist, wird unsere Haut also schlaff und faltig und unsere Knochen, Sehnen und Knorpel leiden.
Methyliert, um noch ein anderes Beispiel zu nennen, das Gen, das für die Herstellung des Insulins zuständig ist, erkranken wir wahrscheinlich an Altersdiabetes. Und so weiter. Die meisten wesentlichen Alterungserscheinungen lassen sich auf solche Methylierungen zurückführen. Die epigenetischen Alterstests zeigen nun konkret und präzise, welche der wichtigsten Gengruppen bereits wie stark methyliert sind.
Hier sei angemerkt, dass es in Deutschland auch bereits Tests zu den erwähnten und vergleichsweise wohlfeilen 200 Euro gibt, die aber lediglich das biologische Alter nennen, ohne diese Unterteilung in Gruppen vorzunehmen. Doch gerade in dieser Unterteilung liegt unsere Chance zu handeln.
Wie schon angedeutet, heißt zu handeln hier nicht unbedingt, mit Gewaltakten der Disziplin unseren Lebensstil auf den Kopf zu stellen. So etwa kann der Test für unsere Basenpaare die gleichen Methylierungen wie bei starken Rauchern ergeben, obwohl wir gar nicht rauchen. Dann können wir daraus schließen, dass unsere Lunge besonders viel Aufmerksamkeit verlangt.
Vernünftigerweise überprüfen wir als Konsequenz daraus, ob wir ständig von Rauchern umgeben sind oder ob wir in einer Umgebung mit stark schadstoffbelasteter Luft leben oder arbeiten und ziehen daraus die für uns dann wahrscheinlich lebensverlängernden Konsequenzen.
Außerdem können wir mit unseren Ärzten über den Einsatz von gezielt wirkenden epigenetischen Medikamenten sprechen. Sie ermöglichen es unserem Körper, in unseren Zellen wieder Bereiche des Erbguts abzulesen, die vorher wegen Methylierungen blockiert und für ihn unzugänglich waren.
Die Pharmaindustrie bemüht sich dabei im Grunde darum, uns Strapazen zu ersparen und uns das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Denn auch die Natur hat eine Methode vorgesehen, wie wir unsere Gene von Methylgruppen befreien können, bloß ist die ziemlich anstrengend.
Unser Körper demethyliert unsere Gene, sobald er sich in einer lebensbedrohlichen Situation wähnt. Dann setzt er alles in Bewegung, um uns fit für das Überleben zu machen, und sorgt dabei auch dafür, dass unsere kleinen genetischen Zellfabriken wieder perfekt laufen.
Das bedeutet allerdings nicht, dass wir mit geschlossenen Augen eine Autobahn überqueren sollten. Unser Körper würde das zweifellos falsch interpretieren und höchstens mit gigantischen Stressreaktionen und Adrenalinausstößen reagieren. Was er als lebensbedrohlich erkennt, ist nach den Jahrzehntausenden, in denen für uns als Menschheit ein Mangel an Nahrung herrschte, vor allem der Hunger. Dazu kommt als zweiter starker Faktor die Kälte.
Sehen wir uns hier den Hunger an. Vor allem wenn wir hungern, reinigen wir unsere Gene von Methylgruppen. Die Pharmaindustrie hat nun versucht, diese Prozesse zu verstehen und chemisch nachzubilden, was ihr auch gelungen zu sein scheint. Eine dafür eingesetzte Substanz heißt Spermidin und ist mittlerweile in Dutzenden verschiedenen Varianten zu haben.
Wer auf den diversen Seiten der Anbieter die Kommentare der Kunden dazu liest, stößt allerdings auch bald auf das große Problem, das naturgemäß damit verbunden ist: Wir können Spermidin jahrelang einnehmen, ohne eine Wirkung zu bemerken. Niemand wird uns je sagen können, auch nicht wir uns selbst nach einem Blick in den Spiegel, ob die Spermidin-Einnahme die Methylierung unserer Gene wirklich bremst, stoppt oder sogar zurückführt.
Da ging es bisher trotz aller wissenschaftlichen Nachweise dann immer auch um Glauben, denn Glauben bedeutet ja, nach vorne zu schauen, auch wenn wir das Ende nicht sehen. Zumindest war das bisher so. Das hat sich geändert.
Wir können jetzt vor dem Start einer Anti-Aging-Strategie einen epigenetischen Alterstest machen und zwei Jahre danach mit einem neuerlichen Test überprüfen, ob sich unser biologisches Alter tatsächlich zu unseren Gunsten verändert hat.
Was Spermidin in diesem Punkt tatsächlich kann, dazu liegen noch nicht viele aussagekräftige Studien an Menschen vor, aber immerhin Erfahrungen aus der Praxis. »Es kommt darauf an«, sagt Stefan Wöhrer, Experte für Alterstests. »Bei manchen scheint es zu funktionieren, bei anderen nicht. Wie bei allem, bei Medikamenten und bei Nahrungsmitteln, wirkt alles bei allen Menschen anders.«
Ein weiteres epigenetisches Pharmazeutikum, das der Methylierung unserer Gene entgegenwirken soll, ist das Taurin, das im menschlichen ebenso wie im tierischen Stoffwechsel entsteht, mit fortschreitendem Alter aber in immer geringerem Ausmaß. Hier liegen bereits relativ aussagekräftige Studien vor. Forscher vom National Institute of Immunology in New Delhi haben unter Beteiligung der TU München anhand von Taurinkonzentrationen im Blut von Fadenwürmern, Mäusen, Rhesusaffen und Menschen untersucht, ob eine künstliche Unterstützung unseres natürlichen Taurinhaushaltes unsere Lebenszeit verlängern kann. Was der Fall zu sein scheint.
Altersbedingte funktionelle Erkrankungen des Immunsystems, der Knochen, der Muskeln, der Bauchspeicheldrüse, des Gehirns und des Darms bei Mäusen und Affen verzögerten sich und die gesunde Lebensspanne verlängerte sich. Bei Affen sank auch die Anzahl sogenannter Transaminasen, also von Entzündungsmarkern der Leber. Beim Menschen dürfte das weiteren Untersuchungen zufolge ähnlich sein.
Die aktuellste Information aus der Welt der demethylierenden Stoffe dreht sich um das sogenannte Arginin, eine Vorstufe von Stickstoffmonoxid. Es ist schon eine Weile als Mittel zur Erweiterung und Entspannung von Blutgefäßen bekannt. In Kombination mit milchsäurebildenden Bakterien, zum Beispiel aus Kefir (der schon seit Jahrhunderten als Anti-Aging-Mittel gilt), Joghurt, Sauerkraut oder Kimchi, soll Arginin eine positive Wirkung auf die Demethylierung entfalten. Doch auch hier werden wir am Faktor des Glaubens oder an einer Überprüfung durch einen Alterstest nicht ganz vorbeikommen.
Worauf setzt der berühmte australische Altersforscher und Autor des Buches »Das Ende des Alterns« David Sinclair, um den Methylierungen seiner Gene entgegenzuwirken? Er schwört auf Grüntee, der ebenfalls von alters her als Anti-Aging-Mittel gilt und der, wie wir heute wissen, den demethylierenden Stoff Epigallocatechingallat (EGCG) enthält. Außerdem erklärt Sinclair, jeden Tag das Medikament Metformin einzunehmen. Metformin wurde ursprünglich als Blutzuckersenker bekannt, dürfte aber ebenfalls demethylierend wirken. Sinclair könnte sich dabei auf entsprechende Studien berufen. Die University of California sowie die Stanford University kamen zu dem Ergebnis, dass der mit zunehmendem Alter schrumpfende Thymus, ein zentrales Organ unseres Immunsystems, unter dem Einfluss von Metformin und zweier weiterer Substanzen wieder an Größe gewann. Die Probanden der Studie sprachen außerdem davon, dass sie sich vitaler fühlten und weniger graue Haare hätten als vor der Studie. Metformin soll auch die Resistenz des Organismus’ gegen Krebserkrankungen verbessern.
Wer 400 Dollar in einen epigenetischen Alterstest investiert, ist aber am besten beraten, wenn er die Ergebnisse gemeinsam mit einem Arzt bespricht. Es gibt inzwischen einige Ärzte, die über das ständig wachsende Angebot an epigenetischen Pharmazeutika informiert sind.
Wie gesagt kommen fast jeden Tag Neue hinzu, die wie in dem beschriebenen Fall aus der Psychiatrie auf ganz bestimmte Anforderungen beziehungsweise Demethylierungen zugeschnitten sind.
Wir verursachen unsere Methylierungen nicht ausschließlich selbst, denn sie beginnen nicht erst mit unserem Wandeln auf dieser Erde, sondern schon davor, in unserer embryonalen Phase, abhängig vom Lebenswandel unserer Mutter. Auch das sollten wir wissen, zumal es uns gegebenenfalls von Selbstvorwürfen befreit.
Während wir heranwachsen, wächst mit der Plazenta in der Gebärmutterhöhle zugleich ein Organ heran, unter dessen Schutz wir 200 Tage lang stehen. Die Plazenta ist die selbstlose Begleiterin der Schwangerschaft und des embryonalen Seins. Sie sorgt über das Östrogen dafür, dass unsere Mutter uns liebt, macht uns dabei aber auch mit dem Leben unserer Mutter vertraut und bereitet uns dadurch auf die Welt, die wir mit unserer Geburt betreten, vor.
Durch die Plazenta kommen wir mit dem Tagesrhythmus, der Nahrung und dem Geschmack unserer Mutter in Berührung. Sie übermittelt uns gewissermaßen Nachrichten über unsere Mutter. Das müssen nicht immer nur gute Nachrichten sein. Sie informiert uns auch über ihre Unter- oder Überernährung, über ihren Alkohol-, Nikotin- und Drogenkonsum, über ihre Infektionen, über ihren Stress und über ihre hormonellen Aktivitäten. Das formt uns nicht nur, damit beginnt auch schon die Methylierung unserer Gene.
Wenn wir also unser biologisches Alter feststellen lassen, die Angebote dafür werden mit der Zeit bestimmt zahlreicher und auch günstiger werden, sollten wir sehr wohl zunächst hinterfragen, welche Methylierungen unserer Gene in unserem Lebensstil begründet sind und wie wir ihnen durch dessen Veränderung entgegenwirken können. Doch wir sollten auch an die embryonalen Prägemechanismen denken. Auch ihnen können wir mit unserem Lebensstil entgegenwirken. Dennoch ist es gerade hier ein Vorteil, dass die neuen epigenetischen Medikamente, die in den USA als Epigenetic Drugs bekannt sind, boomen.
Seit jeher spielt unser chronologisches Alter, das lediglich von unserem Geburtsdatum abhängt, eine entscheidende Rolle in unserem Leben. Es bestimmt, wann wir mit der Schulausbildung beginnen dürfen, wann wir strafmündig sind, wann wir wählen dürfen, wann wir in den Ruhestand treten und in manchen Ländern auch, ab wann bestimmte medizinische Eingriffe, wie zum Beispiel Organtransplantationen, nicht mehr durchgeführt werden. Ärzte sprechen oft von »altersentsprechenden« Befunden, was heißt, dass zwar nicht alles in Ordnung ist, aber diese Veränderungen in Anbetracht des Lebensalters vernachlässigbar und nicht behandlungsbedürftig sind. Diese Vorgehensweise ist bis zu einem gewissen Grad vertretbar und hat eine solide Grundlage, nämlich die Tatsache, dass das chronologische Lebensalter bisher der größte Risikofaktor für den Tod war.
Medizinischen Laien leuchtet es ein, dass ein Neunzigjähriger, wie gesund sein Lebensstil auch sein mag, eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, im nächsten Jahr zu sterben, als ein 18-Jähriger mit einem noch so ungesunden Lebensstil. Dieses Paradigma durchläuft nun allerdings, mit der Einführung der biologischen Uhren durch Steve Horvath und Kollegen sowie Tests wie jenen von Horvath oder Sinclair, eine grundlegende Veränderung.
Mit dem von Horvath entwickelten Algorithmus lassen sich Lebenserwartung und Sterberisiko schon genau genug bestimmen, um daraus wichtige persönliche Entscheidungen ableitbar zu machen. Er nannte diesen Algorithmus übrigens »GrimAge«, nach dem amerikanischen »Grim Reaper«, und er gilt als der verlässlichste seiner Art.
Tatsächlich löste GrimAge das chronologische Alter als größten Risikofaktor für die Sterblichkeit ab. Diese Erkenntnis ist so bahnbrechend, dass wir uns die daraus entstehenden Konsequenzen nicht in ihrer Gänze vorzustellen vermögen. Wir können jedenfalls davon ausgehen, dass das GrimAge in den nächsten Jahren eine zunehmende Rolle in der Medizin spielen wird.
Die Erfahrung mit GrimAge zeigte bisher, dass sich das biologische Alter um bis zu acht Jahre vom chronologischen Alter unterscheiden kann.
Ein Jahr biologisches Alter zusätzlich entspricht einer Erhöhung der Sterblichkeit um etwa zehn Prozent. Wenn wir also biologisch um zwei Jahre jünger sind als chronologisch, haben wir ein um zwanzig Prozent verringertes Sterblichkeitsrisiko. Sind wir biologisch um fünf Jahre älter als chronologisch, haben wir ein um fünfzig Prozent erhöhtes Risiko. Es ist deshalb davon auszugehen, dass medizinische Entscheidungen auch im Rahmen der Angebote und Regelwerke des öffentlichen Gesundheitswesens zunehmend vom biologischen Alter abhängig sein werden.
Am Rande sei noch erwähnt, dass zwei meiner ärztlichen Kollegen, beide angesehene Professoren, und ich bereits Ende der 1990er-Jahre ebenfalls ein Unternehmen in diesem wissenschaftlichen Feld gründeten. Es hieß Genosense und sollte die von Mensch zu Mensch individuellen Genunterschiede bestimmen, sie mit Erkrankungsneigungen in Zusammenhang bringen und daraus Behandlungsmethoden ableiten.
Im Grunde ging es dabei um einen wesentlichen Aspekt der personalisierten Medizin, um die Pharmakogenomik, also um die individuell angepasste Verabreichung von Medikamenten, die auch noch einen wichtigen Teil dieses Buches einnehmen wird.