Die Aquitaine-Verschwörung - Robert Ludlum - E-Book

Die Aquitaine-Verschwörung E-Book

Robert Ludlum

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Beschreibung

Die Generäle sind zurück. Und sie wollen an die Macht.

Sechs hochdekorierte internationale Generäle schließen sich zusammen, um ihre wahnwitzige Idee von einem Riesenreich gewaltsam zu verwirklichen. Ihrer Verschwörung geben sie den Namen Aquitaine. Joel Converse und Preston Halliday, zwei renommierte Anwälte, erfahren von diesem schrecklichen Plan. Als es Joel gelingt, die machtverrückten Generäle aufzuspüren, wird er zum meistgejagten Mann Europas. Er ist der Einzige, der beweisen kann, dass Aquitaine existiert und dass der Tag der Generäle bevorsteht.

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Seitenzahl: 1126

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Das Buch

Der brillante Rechtsanwalt Joel Converse kommt einer machtbesessenen Verschwörergruppe auf die Spur: Sechs hochdekorierte internationale Generäle haben den größenwahnsinnigen Plan gefasst, ein Riesenreich zu errichten. Um ihre Idee zu verwirklichen, schrecken sie vor nichts zurück. Als es Joel gelingt, ihre Identitäten aufzudecken, gerät er auf ihre Abschussliste– denn er ist der Einzige, der den »Tag der Generäle« noch verhindern kann.

Der Autor

Robert Ludlum erreichte mit seinen Romanen, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, weltweit eine Auflage von über 280 Millionen Exemplaren. Robert Ludlum verstarb im März 2001. Die Romane aus seinem Nachlass erscheinen bei Heyne.

Ein ausführliches Werkverzeichnis finden Sie am Ende des Buchs.

Robert Ludlum

Die Aquitaine-Verschwörung

Roman

Aus dem Amerikanischen von Heinz Nagel

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Titel der Originalausgabe: THEAQUITAINEPROGRESSION

Dank an Michael R.Ludlum für die Genehmigung zum Abdruck des Liedes I NEEDYOUDARLING

Musik und Text von Michael R.Ludlum

© 1983 by Michael R.Ludlum

Vollständige deutsche Taschenbuchausgabe 09/2013

Copyright © 1984 by Robert Ludlum

Copyright © 1985 der deutschsprachigen Ausgabe by Hestia Verlag GmbH, Bayreuth

Copyright © 2013 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung eines Motivs von © Shutterstock/Zherui WU

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-07219-3V002

www.heyne.de

Für Jeffrey Michael Ludlum.

Willkommen, Freund.

Viel Spaß im Leben.

1. BUCH

1

Genf. Stadt der Sonne und der strahlenden Bilder. Der geblähten weißen Segel auf dem See– und darüber die massiven, unregelmäßigen Bauten, deren Spiegelungen auf dem Wasser im Wellenschlag erzittern. Stadt der Myriaden von Blumen um die blaugrünen Teiche und die Springbrunnen– Duette explodierender Farben. Stadt der kleinen, altmodischen Brücken, die sich über die gläsernen Flächen der von Menschenhand angelegten Seen zu künstlichen Inseln spannen, kleine Zufluchtsorte für Liebende und Freunde und verschwiegene Geschäftspartner. Bilder.

Genf, das alte und das neue. Stadt der hohen mittelalterlichen Mauern, des gleißenden bunten Glases, der heiligen Kathedralen und der weniger heiligen Institutionen. Stadt der Straßencafés und der Konzerte am See, der winzigen Piers und der fröhlich-bunt gestrichenen Boote, die an den endlosen Ufern entlangtuckern, während die Fremdenführer die Vorzüge– und den geschätzten Wert– der Seeuferanwesen herausstreichen, die ohne Zweifel in eine andere Zeit gehören.

Genf. Stadt der Zweckmäßigkeit, hingegeben an die Notwendigkeit der Hingabe, eine Stadt, in der Frivolität nur dann geduldet wird, wenn sie sich in die Tagesordnung oder zum Geschäft fügt. Das Lachen gemessen, kontrolliert– Blicke, die Billigung andeuten oder stumm Übertreibung mahnen. Der Kanton am See kennt seine Seele. Seine Schönheit lebt in Eintracht mit der Industrie, und dieses Gleichgewicht wird nicht nur geduldet, sondern eifersüchtig behütet.

Genf. Stadt auch des Unerwarteten, wo Selbstgewissheit auf einmal in Widerspruch gerät zu einer unerwünschten Enthüllung, und eine Vertraulichkeit plötzlich grell sichtbar wie ein Blitz in den ungestümen Geist der Stadt schlägt.

Dann folgt der Donner, der Himmel verdunkelt sich, und Regen fällt. Ein Wolkenbruch peitscht die wütenden, überraschten Wellen, verzerrt das Bild, schmettert auf die riesige Fontäne herunter, Genfs Wahrzeichen am See, der Jet d’Eau, jener Geysir, der von Menschen geschaffen wurde, um andere Menschen zu verblüffen. Wenn plötzliche Enthüllungen kommen, erstirbt die gigantische Fontäne. Alle Springbrunnen sterben, und die Blumen verkümmern ohne Sonne. Die strahlenden Bilder schwinden, und der Geist erstarrt.

Genf. Stadt der Unbeständigkeit.

Joel Converse, er war Rechtsanwalt, trat aus dem Hotel Richemond hinaus in das grelle Morgenlicht des Jardin Brunswick. Geblendet kniff er die Augen zusammen und bog nach links, wobei er den Aktenkoffer von der linken in die rechte Hand wechselte, wohl wissend, wie wertvoll sein Inhalt war. Doch in erster Linie waren seine Gedanken bei dem Mann, den er im Le Chat Botté, einem Straßencafé am Seeufer, zu Kaffee und Croissants treffen sollte. Oder wiedertreffen sollte, falls der Mann ihn nicht mit jemand anderem verwechselt hatte.

A. Preston Halliday war Joels amerikanischer Gegenspieler in den gegenwärtigen Verhandlungen, bei denen es um die letzten Details eines schweizerisch-amerikanischen Firmenzusammenschlusses ging, der beide Männer nach Genf geführt hatte. Aber gerade weil nicht mehr viel zu klären blieb– eigentlich nur noch Formalitäten, nachdem bereits feststand, dass die Verträge in Einklang mit den Gesetzen beider Länder standen und auch annehmbar waren für den Internationalen Gerichtshof in Den Haag–, war Halliday eine seltsame Wahl. Er hatte nicht zu dem amerikanischen Juristenteam gehört, das die Schweizer berufen hatten, um Joels Firma zu durchleuchten. Zwar hätte das allein ihn nicht unbedingt von den Verhandlungen ausschließen müssen– ein neuer Blickwinkel war nicht selten sogar sehr erwünscht–, aber dass man ihm die Spitzenposition übertragen hatte, die des Chefsprechers, das war, gelinde gesagt, unorthodox. Und beunruhigend.

Halliday ging der Ruf voraus, jede verfahrene Situation binnen Kurzem lösen zu können; er kam aus San Francisco und betrieb die Juristerei wie ein genialer Mechaniker, der einen locker gewordenen Draht entdecken, herausreißen und einen Motor kurzschließen konnte. Verhandlungen, die sich über Monate erstreckt und Hunderttausende gekostet hatten, waren durch seine Anwesenheit zu einem plötzlichen Ende gekommen, so viel fiel Converse zu A. Preston Halliday ein. Aber das war alles, was ihm einfiel. Und doch hatte Halliday behauptet, sie würden einander kennen.

»Hier spricht Press Halliday«, hatte die Stimme am Hoteltelefon verkündet. »Ich habe anstelle von Rosen die Verhandlungsleitung bei der CommTech-Bern-Fusion übernommen.«

»Was ist denn passiert?«, hatte Joel gefragt, den ausgeschalteten Elektrorasierer noch in der linken Hand, während er gleichzeitig versuchte, den Namen zuzuordnen. Als Halliday dann antwortete, war es ihm wieder eingefallen.

»Der arme Teufel hatte einen Herzinfarkt. Was auch der Grund dafür ist, dass seine Partner mich berufen haben.« Der Anwalt hatte eine Pause gemacht. »Sie müssen ziemlich ruppig zu ihm gewesen sein.«

»Wirklich gestritten haben wir nur selten. Herrgott, tut mir das leid. Ich mag Aaron. Wie geht es ihm denn?«

»Er wird schon durchkommen. Die Ärzte haben ihn ins Bett gesteckt und ihm eine Diät aus einem Dutzend verschiedenen Hühnersuppen verpasst. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er Ihre Abschlusspapiere auf unsichtbare Tinte untersuchen wird.«

»Was natürlich bedeutet, dass Sie das tun werden, weil ich keine benutzt habe und Aaron auch nicht. Bei diesem Zusammenschluss geht es um nichts als Geld, und wenn Sie die Unterlagen studiert haben, dann wissen Sie das genauso gut wie ich.«

»Um Investitionsabschreibungen«, pflichtete Halliday bei, »von denen ein großer Anteil an einem technologischen Markt hängt. Keine unsichtbare Tinte und heimliche Interessen. Aber da ich hier der Neue bin, hätte ich doch ein paar Fragen. Können wir miteinander frühstücken?«

»Ich wollte mir meines gerade aufs Zimmer kommen lassen.«

»Es ist ein hübscher Morgen, warum schnappen Sie nicht ein wenig frische Luft? Ich wohne im President, also teilen wir uns den Weg? Kennen Sie das Chat Botté?«

»Amerikanischer Kaffee und Croissants. Quai du Mont Blanc.«

»Sie kennen es also. Schaffen Sie es in zwanzig Minuten?«

»Sagen wir in einer halben Stunde, okay?«

»Sicher.« Und dann hatte Halliday wieder eine Pause gemacht. »Wird nett sein, dich wiederzusehen, Joel.«

»Oh? Wieder?«

»Du erinnerst dich vielleicht nicht. Seit damals ist eine Menge passiert. Dir mehr als mir, fürchte ich.«

»Tut mir leid, ich kann Ihnen da nicht ganz folgen.«

»Nun, da war Vietnam, und du warst ziemlich lange in Gefangenschaft.«

»Das habe ich nicht gemeint, und das liegt auch schon Jahre zurück. Aber wo sollten wir uns kennengelernt haben? Bei welchem Fall?«

»Kein Fall, nicht geschäftlich. Wir waren in derselben Klasse.«

»An der Duke? Die Rechtsfakultät dort ist ziemlich groß.«

»Nein, weiter zurück. Vielleicht erinnerst du dich, wenn wir uns sehen. Wenn nicht, werde ich deinem Gedächtnis nachhelfen.«

»Anscheinend spielen Sie gerne… Also in einer halben Stunde. Im Chat Botté.«

Während Converse sich dem Quai du Mont Blanc näherte, jenem lebenerfüllten Boulevard unmittelbar am Seeufer, versuchte er, Hallidays Namen in Zusammenhang mit einer bestimmten Zeit zu bringen. Die Jahre an einer Schule, ein vergessenes Gesicht, das einem Klassenkameraden gehören konnte, an den er sich nicht erinnerte. Aber nichts kam ihm. Dabei war Halliday kein häufiger Name, und die Kurzform Press war wahrscheinlich sogar einmalig.

Converse konnte sich nicht vorstellen, dass es ihm je entfallen wäre, wenn er jemand mit dem Namen Press Halliday gekannt hätte. Und doch hatte der Ton Vertrautheit angedeutet, Nähe sogar.

Wird nett sein,dich wiederzusehen, Joel. Halliday hatte das mit warmer Stimme gesagt, wie auch die recht überflüssige Bemerkung zu Joels Zeit in Gefangenschaft. Aber solche Dinge wurden immer mit weicher Stimme gesagt, um Sympathie zumindest anzudeuten, wenn sie schon nicht offen ausgedrückt wurde. Natürlich verstand Converse auch, warum Halliday gemeint hatte, das Thema Vietnam, wenn auch nur beiläufig, erwähnen zu müssen. Jeder, dem die Erfahrung fehlte, nahm an, dass alle, die längere Zeit in einem nordvietnamesischen Lager verbracht hatten, unausweichlich geistigen Schaden davongetragen haben mussten, dass ihr Bewusstsein durch das Erlebnis teilweise verändert worden war und ihre Erinnerungen verwirrt. In Teilen war das auch nicht zu leugnen, aber die Sache mit dem Erinnerungsvermögen stimmte ganz sicher nicht. Die Erinnerungen waren eher geschärft, weil man sie wieder und wieder suchte, oft geradezu gnadenlos.

Die Summe der Jahre, die einzelnen Schichten der Erfahrung, Gesichter, zu denen Augen und Stimmen gehörten, Körper unterschiedlichster Größe und Gestalt; Szenen, die über eine innere Leinwand huschten, Bilder, Geräusche, Gerüche– man wurde angerührt und spürte den Wunsch zu berühren… nichts, was in der Vergangenheit lag, war zu belanglos, als dass man es nicht wegschälen und erforschen wollte. Häufig war das alles, was man hatte, besonders nachts– immer nachts, wenn die kalte, durchdringende Feuchtigkeit den Körper steif werden ließ und eine noch unendlich kältere Furcht jeden Gedanken lähmte–, dann waren die Erinnerungen alles. Sie halfen, die fernen Schreie aus der Finsternis zu verdrängen, das Peitschen der Schüsse zu dämpfen, die ihnen jeden Morgen mit unvermeidlichen Exekutionen erklärt wurden. Exekutionen derjenigen, die nicht reumütig und zur Zusammenarbeit bereit gewesen waren. Oder es waren Hinrichtungen noch unglücklicherer Gefangener, die man zuvor gezwungen hatte, Spiele zu spielen, die zu obszön waren, als dass man sie hätte beschreiben können, einzig dazu gedacht, die Peiniger zu amüsieren.

Wie die meisten Männer, die den größten Teil ihrer Gefangenschaft in Einzelhaft gehalten worden waren, hatte Converse jede einzelne Phase seines Lebens wieder und wieder untersucht und dann versucht, alles sinnvoll aneinanderzufügen, um schließlich das zusammenhängende Ganze zu verstehen, es zu mögen. Da blieb vieles, das er nicht verstand– oder mochte–, aber immerhin konnte er mit dem Ergebnis jener beharrlichen Nachforschungen leben. Auch damit sterben, wenn er das musste; diesen inneren Frieden musste er für sich selbst finden. Ohne ihn war die Furcht unerträglich.

Und weil diese Selbstbefragung Nacht für Nacht stattfand und ein strenges Maß an Sorgfalt und Genauigkeit verlangte, fiel es Converse leichter als den meisten anderen Menschen, sich ganze Abschnitte seines Lebens ins Gedächtnis zurückzurufen. Wie die sich blitzschnell drehende CD in einem Computerlaufwerk plötzlich anhält, so konnte er einen Ort, eine Person oder einen Namen aus seinem Gedächtnis abrufen, selbst wenn ihm nur äußerst spärliche Hinweise zur Verfügung standen. Die häufige Anwendung dieser Fähigkeit hatte sie nur noch geschärft, und das war es, was ihn jetzt verwirrte. Es gab in seiner Vergangenheit niemanden mit dem Namen A. Preston Halliday, oder der Anrufer musste schon auf eine so ferne Zeit angespielt haben, dass sie sich vielleicht als Kinder einmal begegnet waren.

Wird nett sein, dich wiederzusehen,Joel. Waren diese Worte eine Finte, der Trick eines Anwalts?

Converse bog um die Ecke, und mit jedem weiteren Schritt warf ihm das Messinggeländer des Chat Botté winzige Explosionen grellen Sonnenlichts entgegen. Auf dem Boulevard drängten sich glänzend polierte Personenwagen und makellos saubere Omnibusse; der Bürgersteig war sauber gewaschen, und wenn die Passanten auch alle irgendwie in Eile zu sein schienen, so lag über allem doch eine gewisse Ordnung. Der Morgen war in Genf eine Zeit gesitteter Rührigkeit.

Selbst die Zeitungen auf den Tischen der Straßencafés waren sorgfältig gefaltet.

Als Joel durch die offene Messingpforte des Chat Botté trat, wurde unmittelbar zu seiner Linken eine Zeitung übergeschlagen und dann gesenkt. Das Gesicht, das jetzt zu sehen war, kannte Converse. Es war ein gesammeltes Gesicht, seinem eigenen nicht unähnlich. Das Haar des anderen war glatt und dunkel, gerade gescheitelt und gebürstet, die Nase scharf über klar geschnittenen Lippen. Das Gesicht gehörte zu seiner Vergangenheit, überlegte Joel, aber der Name, an den er sich erinnerte, gehörte nicht zu diesem Gesicht.

Der vertraut aussehende Mann hob den Kopf; ihre Augen begegneten sich, und A. Preston Halliday erhob sich. Seine Erscheinung ließ ahnen, dass der untersetzte Körper in dem teuren Anzug muskulös war.

»Joel, wie geht es dir?«, sagte eine vertraute Stimme, und eine Hand streckte sich Converse über den Tisch entgegen.

»Hallo… Avery«, antwortete Joel Converse. Er starrte den anderen überrascht an und ging etwas verlegen auf ihn zu. Dabei wechselte er den Aktenkoffer von der einen in die andere Hand, um nach der ausgestreckten Hand greifen zu können. »Avery stimmt doch, oder? Avery Fowler. Taft, Anfang der Sechzigerjahre. Du bist eines Tages nicht mehr zum Semesteranfang erschienen, und keiner wusste warum. Alle haben darüber geredet. Du warst Ringer.«

»Ja, ich hatte zweimal die New-England-Meisterschaft gewonnen«, sagte der Anwalt lachend und wies auf den gegenüberliegenden Platz am Tisch. »Setz dich, dann können wir einiges auffrischen. Ich nehme an, für dich kommt das alles ein wenig plötzlich. Deshalb wollte ich, dass wir uns schon vor der Konferenz heute Morgen einmal sehen. Ich meine, es wäre doch verdammt unangenehm für dich gewesen, wenn du bei meinem Eintreten hättest aufspringen und ›Schwindler‹ rufen müssen. Oder nicht?«

»Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich das nicht sagen werde, aber herausschreien werde ich es zumindest nicht.« Converse setzte sich, stellte den Aktenkoffer neben seinem Stuhl ab und studierte sein Gegenüber neugierig. »Was soll diese Halliday-Geschichte? Warum hast du am Telefon nichts gesagt?«

»Ach, komm schon, was hätte ich denn sagen sollen? Vielleicht: Übrigens, Kumpel, du hast mich damals als Tinkerbell Jones gekannt. Dann wärst du doch niemals gekommen.«

»Ist Fowler irgendwo im Gefängnis?«

»Das wäre er, wenn er sich nicht eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte«, antwortete Halliday mit ernster Miene.

»Du steckst voller Überraschungen. Bist du ein geklonter Ableger?«

»Nein, der Sohn.«

Converse schwieg einen Moment. »Vielleicht sollte ich mich entschuldigen.«

»Nicht nötig, du konntest es ja nicht wissen. Das war der Grund, weshalb ich am Semesteranfang nicht mehr auftauchte… und, verdammt noch mal, ich war wirklich scharf auf die Trophäe. Wäre das erste Mal gewesen, dass ein Ringer sie dreimal hintereinander gewonnen hätte.«

»Das tut mir leid. Was ist denn passiert? Oder ist das vertraulich, Herr Anwalt? Das würde ich akzeptieren.«

»Nicht für Sie, Herr Kollege. Kannst du dich noch erinnern, wie wir beide nach New Haven gezogen sind und uns an der Busstation diese starken Weiber aufgegabelt haben?«

»Wir haben gesagt, dass wir aus Yale wären.«

»Mitgenommen haben die uns, aber nicht mit ins Bett.«

»Und wie haben wir sie angegiert.«

»Teenager«, sagte Halliday. »Die haben ein Buch über uns geschrieben. Sind wir inzwischen wirklich so verweichlicht?«

»Nun, ein wenig geschwächt wohl, aber wir kommen wieder. Wir sind die letzte Minderheit, also wird man uns am Ende auch Sympathie entgegenbringen. Aber was war denn nun damals passiert, Avery?«

Ein Kellner trat an ihren Tisch, und die beiden Männer bestellten Kaffee und Croissants und fügten sich damit in die Norm. Der Kellner faltete zwei rote Servietten zu geradlinigen Kegeln und stellte sie vor die beiden Männer.

»Was passiert war?«, wiederholte Halliday leise, nachdem der Kellner gegangen war. »Dieser Schweinehund von einem Vater hat vierhunderttausend von der Chase Manhattan veruntreut, während er dort in der Vermögensverwaltung tätig war. Und als man ihn dann schnappte, hat er Schluss gemacht. Wer hätte auch gedacht, dass sich dieser respektable Vorortszugbenutzer aus Greenwich, Connecticut, zwei Frauen in der Stadt hielt, eine an der oberen East Side und die andere in der Wall Street. Er war schon eine Type.«

»Da hatte er ja alle Hände voll zu tun. Aber das mit dem Halliday verstehe ich immer noch nicht.«

»Nachdem es passiert war– und man den Selbstmord vertuscht hatte–, hetzte meine Mutter wütend zurück nach San Francisco. Wir stammten aus Kalifornien, das weißt du doch, oder? Und dort heiratete sie, noch wütender, meinen Stiefvater John Halliday und mühte sich während der folgenden Monate, alle Spuren von Fowler in unserem Leben zu tilgen.«

»Selbst deinen Vornamen?«

»Nein, in San Francisco war ich immer Press. Wir Kalifomier hatten schon immer etwas für prägnante Namen übrig. Tab, Troy, Crotch– das war in den Fünfzigerjahren in Beverly Hills so Mode. Auf meinem Studentenausweis stand Avery Preston Fowler, also habt ihr euch alle einfach angewöhnt, mich Avery oder, was ich immer grauenvoll fand, ›Ave‹ zu nennen. Da ich neu bei euch war, habe ich mich gehütet, mich dagegen zu wehren.«

»Ist ja alles schön und gut«, sagte Converse, »aber was machst du, wenn du einen wie mich triffst? Das muss doch ab und an passieren.«

»Du würdest staunen, wie selten. Schließlich liegt die ganze Sache weit zurück, und die Leute, mit denen ich in Kalifornien aufgewachsen bin, haben das alles immer verstanden. Die jungen Leute dort lassen ihren Namen einfach ändern, wenn er ihnen nicht gefällt, und ich war schließlich nur ein paar Jahre im Osten, es reichte gerade für die vierte und fünfte Schulklasse. Praktisch habe ich ja in Greenwich niemanden gekannt, und den inneren Kreisen vom Taft habe ich ohnehin nicht angehört.«

»Du hattest Freunde dort. Zum Beispiel mich.«

»Aber nicht viele. Machen wir uns doch nichts vor. Ich war ein Außenseiter, und du warst nicht besonders wählerisch. Ich hab mich immer ziemlich zurückgehalten.«

»Aber im Ring nicht, ganz bestimmt nicht.«

Halliday lachte. »Es gibt nicht viele Ringer, die Rechtsanwälte werden. Böse Zungen behaupten, der Verstand leide unter dem Sport. Aber um deine Frage zu beantworten, in den letzten Jahren hat vielleicht fünf- oder sechsmal jemand zu mir gesagt, ›Hey, sind Sie nicht in Wirklichkeit Soundso und nicht der, der Sie zu sein behaupten?‹ Ich habe dann immer die Wahrheit gesagt: Meine Mutter hat wieder geheiratet, als ich sechzehn war. Und dann ist mit den Fragen immer gleich Schluss gewesen.«

Der Kaffee und die Croissants kamen. Joel brach sein Gebäck auseinander. »Und du hast gedacht, ich würde die Frage zum falschen Zeitpunkt stellen, genauer gesagt, zu Beginn der Konferenz. War es so?«

»Berufsehre. Ich wollte nicht, dass du dir über die Sache Gedanken machst– oder über mich–, wenn du deinen Kopf für deinen Klienten frei haben musst. Schließlich haben wir in jener Nacht in New Haven gemeinsam versucht, unsere Jungfernschaft zu verlieren.«

»Du sprichst von dir«, sagte Joel lächelnd.

Halliday grinste. »Wir waren beide ganz schön voll, erinnerst du dich? Übrigens, wir haben uns ewiges Stillschweigen geschworen, als wir gemeinsam in die Mülltonne kotzten.«

»Ich wollte Sie bloß auf die Probe stellen, Herr Anwalt, ich erinnere mich sehr wohl. Du hast also den grauen Flanellanzug gegen orangefarbene Hemden und goldene Halskettchen vertauscht?«

»Das kann man sagen. Berkeley und dann Stanford.«

»Gute Schule… Und wie bist du auf das internationale Feld gekommen?«

»Ich bin immer schon gerne gereist und hab mir gedacht, auf diese Weise könnte ich es mir am besten leisten. So hat es eigentlich auch angefangen. Und du? Ich kann mir vorstellen, dass du das Reisen inzwischen satthast.«

»Ich hatte Träume vom diplomatischen Dienst, damit hat es angefangen.«

»Nach all deinen Reisen?«

Converse sah Halliday aus blassblauen Augen an und war sich sehr wohl bewusst, wie kalt sein Blick wirkte. Das war jetzt, wenn vielleicht auch nicht angebracht, nicht zu vermeiden. »Ja, nach all den Reisen. Da gab es zu viele Lügen, keiner hat es uns gesagt, bis es zu spät war. Man hat uns hereingelegt, und das hätte nicht sein dürfen.«

Halliday beugte sich vor, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Hände ineinander verschränkt, und erwiderte Joels Blick. »Ich konnte mir das einfach nicht zusammenreimen«, begann er leise. »Als ich deinen Namen in den Zeitungen las und dich dann auf sämtlichen Fernsehkanälen sah, hatte ich ein scheußliches Gefühl. Besonders gut habe ich dich ja eigentlich nicht gekannt, aber ich konnte dich gut leiden.«

»Deine Reaktion war ganz natürlich. Mir wäre es genauso ergangen, wenn du an meiner Stelle wärst.«

»Da bin ich nicht so sicher. Weißt du, ich war nämlich einer der Führer der Protestbewegung.«

»Du hast deinen Einberufungsbefehl verbrannt und den Hippie gespielt«, sagte Converse sanft, und das Eis in seinem Blick schien zu schmelzen. »So mutig war ich nicht.«

»Ich auch nicht. Was ich verbrannt habe, war bloß eine Bibliothekskarte.«

»Jetzt bin ich enttäuscht.«

»Das war ich auch, tief in mir drinnen. Aber ich stand in der Öffentlichkeit.« Halliday lehnte sich in seinem Stuhl zurück und griff nach seiner Tasse. »Wie bist du denn so ins Rampenlicht geraten, Joel? Ich hatte nicht gedacht, dass du der Typ dafür sein könntest.«

»War ich auch nicht. Man hat mich dazu gedrängt.«

»Reingelegt, hast du doch gesagt.«

»Das kam später.« Converse hob die Tasse und trank einen Schluck Kaffee. Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, die ihm nicht gefiel. Er sprach nicht gern über jene Jahre und fühlte sich doch allzu häufig eben dazu aufgefordert. Man hatte ihn zu etwas gemacht, was er eigentlich nicht war. »Als Student in Amherst war mit mir nicht viel los. Zum Teufel, ich stand immer auf der Kippe und konnte von Glück reden, wenn ich meine Prüfungen bestand. Aber dafür war ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr begeisterter Flieger.«

»Das habe ich nicht gewusst«, unterbrach Halliday ihn.

»Mein Vater war zwar nicht schön und hatte deshalb auch nicht den Vorzug, sich Konkubinen leisten zu können, aber dafür war er Pilot einer Fluggesellschaft und später leitender Angestellter bei Pan Am. In unserer Familie gehörte es sich einfach, dass man ein Flugzeug steuern konnte, noch bevor man seinen Führerschein machte.«

»Brüder und Schwestern?«

»Eine jüngere Schwester. Sie machte ihren ersten Alleinflug vor mir und hat mich das nie vergessen lassen.«

»Ich kann mich erinnern. Man hat sie im Fernsehen interviewt.«

»Nur zweimal«, unterbrach ihn Joel lächelnd. »Sie gehörte auch zur Protestbewegung und hat das auch jeden wissen lassen. Aus dem Weißen Haus war deshalb zu hören, dass jeder, der Interesse an seiner Karriere hätte, besser die Finger von ihr lassen sollte.«

»Deshalb erinnere ich mich an sie«, sagte Halliday. »Und dann ist also ein lausiger Student vom College abgegangen, und die Navy hat einen Spitzenpiloten gewonnen.«

»Keinen Spitzenpiloten, das war keiner von uns.«

»Trotzdem müsst ihr Leute, die wie ich sicher in den Staaten lebten, gehasst haben. Mal abgesehen von deiner Schwester.«

»Sie auch«, korrigierte ihn Converse. »Gehasst, verabscheut, verachtet. Wütend waren wir. Aber nur, wenn jemand getötet oder in den Lagern verrückt wurde. Nicht wegen dem, was ihr gesagt habt– wir wussten auch, was in Saigon los war, aber weil ihr es ohne echte Furcht sagen konntet. Ihr wart in Sicherheit, und wir hatten dabei das Gefühl, wir seien die Arschlöcher. Dumme, verängstigte Arschlöcher.«

»Das kann ich verstehen.«

»Wie nett von dir.«

»Tut mir leid, ich habe das nicht so gemeint, wie es vielleicht klang.«

»Wie klang es denn, Herr Anwalt?«

»Herablassend, schätze ich.«

»Kann man wohl sagen«, sagte Joel. »Stimmt.«

»Du bist immer noch wütend.«

»Nicht deinetwegen, nur weil ich das Thema hasse und es immer wieder aufgewühlt wird.«

»Dafür musst du die Schuld bei der Propagandaabteilung des Pentagon suchen. Eine Zeit lang warst du in den Abendnachrichten ein richtiger Held. Wie war das, dreimal aus der Gefangenschaft geflohen? Bei den beiden ersten Malen hat man dich erwischt und dich dafür büßen lassen, aber beim letzten Mal hast du es ganz alleine geschafft, oder? Du hast dich ein paar Hundert Meilen durch feindlichen Dschungel gekämpft, bis du unsere Linien erreicht hast.«

»Es waren nicht einmal hundert, und ich hatte verdammtes Glück. Bei den ersten zwei Versuchen sind meinetwegen acht Menschen ums Leben gekommen. Darauf bin ich nicht besonders stolz. Aber können wir jetzt zu unserem Geschäft kommen?«

»Gib mir noch ein paar Minuten«, sagte Halliday und schob die Croissants weg. »Bitte. Ich versuche nicht, in deiner Vergangenheit herumzuwühlen. Ich wollte dir ein paar Fragen stellen, für die ich einen bestimmten Grund habe. Siehst du, ich höre allgemein, dass du einer der besten Leute auf der internationalen Szene bist, aber die Leute, mit denen ich gesprochen habe, können einfach nicht begreifen, weshalb Joel Converse bei einer relativ kleinen, wenn auch erfolgreichen Firma bleibt, wo er doch gut genug ist, um sich etwas viel Besseres herauszusuchen oder sich auf eigene Füße zu stellen. Warum bist du dort, wo du bist?«

»Ich werde gut bezahlt und habe praktisch freie Hand. Niemand sitzt mir im Nacken. Außerdem gehe ich nicht gerne Risiken ein. Es gibt da gewisse Unterhaltszahlungen, die ich zu leisten habe. Alles freundschaftlich geregelt, aber immerhin teuer.«

»Sorgerecht auch?«

»Nein, Gott sei Dank.«

»Was war denn, als du aus der Navy entlassen wurdest? Wie war dir zumute?« Halliday beugte sich wieder vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn auf die gefalteten Händewie ein wissbegieriger Schüler.

»Was sind denn das für Leute, mit denen du gesprochen hast?«, fragte Converse.

»Das würde ich für den Augenblick als vertrauliche Information bezeichnen, Herr Anwalt. Kannst du das akzeptieren?«

Joel lächelte. »Du bist wirklich ein Tiger. Okay, ich will es dir sagen. Ich kam zurück, nachdem man mein Leben völlig in Unordnung gebracht hatte. Ich war wütend und wollte alles haben. Aus dem schlechten Studenten wurde eine Art Wissenssüchtiger, und ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass man mir einige Privilegien eingeräumt hat. Ich ging nach Amherst zurück und brachte in drei Semestern ein Zweieinhalbjahrespensum hinter mich. Dann bot man mir in Duke einen Schnellkurs an, und ich ging hin, spezialisierte mich anschließend in Georgetown, während ich meine Referendarzeit ableistete.«

»Du warst Referendar in Washington?«

Converse nickte. »Ja.«

»Wo?«

»Bei Clifford.«

Halliday pfiff leise durch die Zähne und lehnte sich wieder zurück. »Das ist natürlich ein goldener Boden, der sichere Weg in den Juristenhimmel und zu den Multis.«

»Ich sagte ja, man hat mir einige Privilegien eingeräumt.«

»Hast du damals angefangen, dir über den diplomatischen Dienst Gedanken zu machen? Als du in Georgetown warst? In Washington?«

Wieder nickte Joel und kniff die Augen zusammen, als sich die Sonne irgendwo auf dem Boulevard in einem Kühlergrill spiegelte. »Ja.«

»Den hättest du doch haben können«, sagte Halliday.

»Die wollten mich aus den falschen Gründen, allen nur erdenklichen falschen Gründen. Als denen klar wurde, dass ich andere Vorstellungen hatte, war ich im State Department nicht mehr willkommen.«

»Und wie war es mit Clifford? Du hast denen doch eine Menge Image eingebracht.« Der Kalifornier hob abwehrend die Hände. »Ich weiß, ich weiß. Die falschen Gründe.«

»Die falschen Zahlen«, widersprach Converse. »Die hatten über vierzig Rechtsanwälte auf ihrem Briefbogen stehen und weitere zweihundert auf der Gehaltsliste. Ich hätte zehn Jahre gebraucht, um den Weg zur Herrentoilette zu finden, und weitere zehn, bis man mir den Schlüssel dafür gegeben hätte. Also, das war es nicht, was ich wollte.«

»Was wolltest du denn?«

»Ziemlich genau das, was ich bekommen habe. Ich hab dir ja gesagt, das Gehalt stimmt, und ich habe freie Hand bei meiner Arbeit. Letzteres ist für mich genauso wichtig.«

»Das konntest du aber nicht wissen, als du dort eingetreten bist«, wandte Halliday ein.

»Doch. Zumindest gab es Hinweise darauf. Als Talbot, Brooks and Simon an mich herantrat, haben wir eine Übereinkunft getroffen. Wenn ich mich im Laufe von vier, fünf Jahren bewähren konnte, sollte ich der Nachfolger von Brooks werden. Er war damals für die Überseegeschäfte zuständig und fing an, den Spaß an dem vielen Reisen zu verlieren.« Wieder machte Converse eine Pause. »Allem Anschein nach habe ich mich bewährt.«

»Und allem Anschein nach hast du während dieser Zeit irgendwann einmal geheiratet.«

Joel lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ist das notwendig?«

»Es ist nicht einmal wichtig, aber es interessiert mich ungemein.«

»Warum?«

»Das ist eine ganz natürliche Reaktion«, erklärte Halliday und blickte amüsiert. »Wahrscheinlich würde es dir genauso gehen, wenn du an meiner Stelle wärst und ich all das durchgemacht hätte, was du durchgemacht hast.«

»Achtung, Hai voraus«, murmelte Converse.

»Sie brauchen natürlich nicht zu antworten, Herr Anwalt.«

»Ich weiß, aber seltsamerweise macht es mir nichts aus. Sie hat auch eine Menge ertragen müssen wegen dieses ›Was-du-alles-durchgemacht-hast‹-Unsinns.« Joel brach ein Croissant auseinander, machte aber keine Anstalten, es vom Teller zu nehmen. »Bequemlichkeit und ein vages Image der Stabilität.«

»Wie bitte?«

»Das waren ihre Worte«, fuhr Joel fort. »Sie hat gesagt, ich hätte geheiratet, um ein Zuhause zu haben und jemanden, der mir die Mahlzeiten zubereitet und sich um meine Wäsche kümmert, und um mir die lästigen, zeitraubenden Albernheiten sparen zu können, derer es bedarf, um jemanden zu finden, mit dem man schlafen kann. Und außerdem bin ich mit der Heirat auch den allgemeinen Erwartungen an mich gefolgt. ›Und ich habe, weiß Gott, auch meine Rolle spielen müssen‹– ebenfalls ihre Worte.«

»Und stimmen sie?«

»Ich sagte dir doch, als ich zurückkam, wollte ich alles haben, und sie gehörte auch dazu. Ja, sie stimmten. Köchin, Zimmermädchen, Wäscherin, Bettgefährtin und akzeptables, attraktives Anhängsel. Sie hat einmal gesagt, sie wäre sich nie darüber klar geworden, welche Reihenfolge die richtige sei.«

»Scheint ja ein interessantes Mädchen gewesen zu sein.«

»Das war sie. Das ist sie.«

»Entdecke ich da etwas, was auf eine mögliche Aussöhnung deuten könnte?«

»Niemals.« Converse schüttelte den Kopf, ein leichtes Lächeln um die Lippen, aber nur eine Andeutung von Humor in den Augen. »Sie ist ebenfalls hereingelegt worden, und auch das hätte nicht passieren dürfen. Außerdem gefällt mir mein augenblickliches Leben, so wie es ist, wirklich. Es gibt Menschen, die einfach nicht für den häuslichen Herd und gelegentlichen Truthahnbraten geschaffen sind, selbst wenn man sich das vielleicht manchmal wünscht.«

»Das ist aber nicht das schlechteste Leben.«

»Lebst du es denn?«, fragte Joel schnell, um damit von sich abzulenken.

»Allerdings, inklusive Zahnarztrechnungen und Elternausschüssen. Fünf Kinder und eine Frau. Ich würde es nicht anders haben wollen.«

»Aber du reist doch viel, nicht wahr?«

»Das gibt immer ein schönes Wiedersehen.« Wieder beugte Halliday sich vor, als müsste er einen Zeugen fixieren. »Du hast also im Moment keine festen Bindungen, niemanden, zu dem es dich unwiderstehlich hinzieht.«

»Talbot, Brooks and Simon könnten das als Beleidigung empfinden. Ebenso mein Vater. Seit meine Mutter gestorben ist, essen wir einmal die Woche miteinander zu Abend, wenn er nicht irgendwo in der Weltgeschichte herumgondelt, was bei seinen vielen Freiflügen meistens der Fall ist.«

»Er kommt also noch ziemlich viel rum?«

»Nun, eine Woche ist er in Kopenhagen, die nächste in Hongkong. Es macht ihm einen Riesenspaß.«

»Ich glaube, ich könnte ihn mögen.«

Converse zuckte die Schultern und lächelte wieder. »Vielleicht auch nicht. Er hält alle Anwälte für Stinker, mich eingeschlossen. Er ist der letzte Vertreter einer aussterbenden Gattung– die Flieger mit den weißen Halstüchern.«

»Ganz sicher würde ich ihn mögen. Aber abgesehen von deinen Brötchengebern und deinem Vater gibt es keine– sagen wir mal – Bindungen besonderer Art in deinem Leben?«

»Wenn du damit Frauen meinst, davon gibt es ein paar, und wir sind gute Freunde. Und jetzt ist dieses Gespräch, glaube ich, weit genug gegangen.«

»Ich sagte dir doch, dass ich einen bestimmten Grund habe«, sagte Halliday.

»Warum nennen Sie ihn denn nicht, Herr Anwalt? Mit dem Verhör ist jetzt Schluss.«

Der Kalifornier nickte. »Also gut. Die Leute, mit denen ich gesprochen habe, wollten wissen, ob du frei wärst, um zu reisen.«

»Die Antwort darauf ist Nein. Ich habe einen Beruf und eine Verantwortung gegenüber der Firma, für die ich tätig bin. Heute ist Mittwoch, wir werden die Fusion bis Freitag unter Dach und Fach haben. Dann nehme ich mir das Wochenende frei und bin am Montag wieder im Büro, und dann erwartet man mich auch.«

»Und wenn man zu einem Arrangement käme, mit dem Talbot, Brooks and Simon einverstanden wären?«

»Das ist anmaßend.«

»Ein Angebot, dessen Ablehnung dir sehr schwerfallen würde.«

»Das ist lächerlich.«

»Versuchen wirs doch mal«, sagte Halliday. »Fünfhunderttausend Dollar für deine Zusage und deinen Einsatz, eine Million, wenn du es schaffst.«

»Jetzt bist du verrückt.« Wieder wurde Converse geblendet, diesmal fiel das grelle Licht länger auf sein Gesicht als beim ersten Mal. Er hob die linke Hand, um seine Augen zu schützen, und starrte den Mann an, den er einmal als Avery Fowler gekannt hatte. »Außerdem, mal ganz abgesehen von ethischen Erwägungen, denn du hast heute Morgen keine Chance bei mir, ist mir der Zeitpunkt verdächtig. Ich mag keine Angebote– selbst verrückte nicht– von Anwälten, mit denen ich mich in Kürze auseinanderzusetzen habe.«

»Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Angelegenheiten. Und du hast recht, ich habe wirklich weder etwas zu gewinnen noch zu verlieren. Du hast das mit Aaron ja praktisch schon fertig gemacht. Und ich bin auch schrecklich ethisch, ich stelle den Schweizern nur meine Zeit in Rechnung– Mindestsatz–, weil meine Erfahrung gar nicht gefragt ist. Meine Empfehlung heute Morgen wird sein, den Vertragsentwurf so zu akzeptieren, wie er steht, ohne auch nur ein Komma daran zu ändern. Wo liegt da also der Konflikt?«

»Wo liegt die Vernunft?«, fragte Joel. »Ganz zu schweigen von den Arrangements, die Talbot, Brooks and Simon akzeptabel zu finden hätten. Du sprichst da von etwa zweieinhalb Jahresgehältern plus Prämie als Gegenleistung dafür, dass ich mit dem Kopf nicke.«

»Dann tus doch«, sagte Halliday. »Wir brauchen dich.«

»Wir? Das ist eine ganz neue Wendung, nicht wahr? Ich dachte, es ginge um sie. Wobei sie die Leute sind, mit denen du gesprochen hast. Raus mit der Sprache, Press.«

A. Preston Halliday blickte Joel fest in die Augen. »Ich gehöre zu ihnen, und im Augenblick geschieht etwas, das nicht geschehen sollte. Wir möchten, dass du ein Unternehmen aus dem Geschäft kippst. Einen unangenehmen Verein, der noch dazu gefährlich ist. Wir würden dir alles dazu Nötige an die Hand geben.«

»Welches Unternehmen?«

»Der Name würde dir nichts bedeuten, er ist nicht registriert. Lass es uns eine Art Exilregierung nennen.«

»Eine was?«

»Eine Gruppe gleichgesinnter Männer, die dabei sind, sich Mittel zu verschaffen, die ihnen mehr Einfluss geben würden, als gut für sie ist, und eine Autorität, die sie nicht haben sollten.«

»Und wo geschieht das?«

»An Orten, die sich diese arme, ungeschickte Welt nicht leisten kann. Und diese Männer sind dazu imstande, weil niemand es von ihnen erwartet.«

»Das klingt ja ziemlich geheimnisvoll.«

»Ich habe Angst. Ich kenne sie.«

»Aber ihr verfügt über die Mittel, um sie daran zu hindern«, sagte Converse. »Ich nehme an, das soll heißen, dass sie verletzbar sind.«

Halliday nickte. »Ja, das glauben wir. Wir haben einige Hinweise, aber man wird bohren müssen, ein paar Nachforschungen anstellen. Alles spricht dafür, dass sie Gesetze gebrochen und sich auf Unternehmungen und Transaktionen eingelassen haben, die die jeweiligen Regierungen unter Verbot gestellt haben.«

Joel blieb einen Augenblick lang still und musterte den Kalifornier. »Regierungen?«, fragte er dann. »Plural?«

»Ja.« Hallidays Stimme wurde leiser. »Sie gehören verschiedenen Nationen an.«

»Aber ein Unternehmen?«, sagte Converse. »Eine Gesellschaft?«

»So könnte man es ausdrücken, ja.«

»Wie wäre es mit einem einfachen Ja?«

»So einfach ist es eben nicht.«

»Ich will dir sagen, was ist«, unterbrach Joel. »Ihr habt Verdachtsmomente, also kümmert euch auch selbst darum, den großen, bösen Wolf zur Strecke zu bringen. Ich bin im Augenblick ausreichend beschäftigt.«

Halliday machte eine Pause, ehe er weitersprach. »Nein, das bist du nicht«, sagte er leise.

Wieder herrschte Schweigen, und jeder musterte den anderen. »Was hast du gesagt?«, fragte Converse, und seine Augen waren jetzt wie blaues Eis.

»Deine Partner haben verstanden. Du kannst unbezahlten Urlaub nehmen.«

»Du anmaßender Hurensohn! Wer hat dir das Recht gegeben, sie auch nur…«

»General George Marcus Delavane«, unterbrach Halliday ihn. Er sprach den Namen mit monotoner Stimme.

Es war, als wäre aus dem strahlend blauen Himmel plötzlich ein Blitz heruntergefahren und hätte sich in Joels Augen gebrannt und das Eis in Feuer verwandelt. Dann folgten Donnerschläge, die in seinem Bewusstsein explodierten.

Die Piloten saßen um den langen, rechteckigen Tisch in der Offiziersmesse, tranken ihren Kaffee und starrten entweder in die braune Brühe oder gegen die grauen Wände. Keiner von ihnen verspürte Lust,das Schweigen zu brechen. Vor einer Stunde waren sie auf Pak Song heruntergestoßen, hatten alles in Brand geschossen und damit den Vorstoß der nordvietnamesischen Bataillone aufgehalten und den sich neu formierenden südvietnamesischen und amerikanischen Truppen, die bald unter brutaler Belagerung stehen würden, eine Atempause verschafft. Schließlich hatten sie ihren Einsatz beendet und waren zu ihren Flugzeugträgern zurückgekehrt– alle mit Ausnahme eines einzigen. Sie hatten ihren kommandierenden Offizier verloren. Lieutenant Senior Grade Gordon Ramsey war von einer Boden-Luft-Rakete getroffen worden, die von einer Küstenbatterie aus gestartet und in Ramseys Leitwerktanks eingeschlagen war; die Maschine explodierte in einem riesigen Feuerball, der Tod kam bei einer Fluggeschwindigkeit von sechshundert Meilen in der Stunde, ein Leben so schnell ausgelöscht wie ein Augenzwinkern. Hinter dem Geschwader war eine Tiefdruckzone heraufgezogen; es würde ein paar Tage keine Einsätze geben. Damit hatten sie Zeit zum Nachdenken, und das war kein angenehmer Gedanke.

»Lieutenant Converse«, sagte ein Matrose an der offenen Tür der Offiziersmesse.

»Ja?«

»Der Captain lässt Sie zu sich bitten, Sir.«

Eine sehr wohl formulierte Einladung, überlegte Joel, während er aufstand und den ernsten Blicken der anderen begegnete, die am Tisch sitzen blieben. Er hatte mit der Aufforderung gerechnet, aber sie war ihm unangenehm. Diese Beförderung war eine Ehre, auf die er gern verzichtet hätte. Nicht dass er älter oder dienstälter als die anderen Piloten gewesen wäre; er hatte einfach mehr Flugstunden hinter sich als alle anderen und damit auch mehr Erfahrung. Erfahrung, die man als Geschwaderführer brauchte.

Als er die schmale Treppe zur Brücke hinaufging, sah er am Himmel die Silhouette eines riesigen Cobra-Helikopters der Army, der sich dem Flugzeugträger näherte; jemand stattete der Navy einen Besuch ab.

»Ein schrecklicher Verlust, Converse«, sagte der Captain, der an seinem Kartentisch stand, und schüttelte traurig den Kopf. »Und der Brief, den ich schreiben muss, wird mir wirklich schwerfallen. Diese Briefe sind, weiß Gott, nie einfach, aber der hier bereitet mir noch mehr Schmerz.«

»Wir empfinden alle das Gleiche, Sir.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Der Captain nickte. »Und ich kann mir auch vorstellen, dass Sie wissen, weshalb ich Sie zu mir gebeten habe.«

»Nicht genau, Sir.«

»Ramsey hat immer gesagt, Sie seien der Beste, und das bedeutet, dass Sie jetzt eines der besten Geschwader im Südchinesischen Meer übernehmen werden.« Das Telefon klingelte und unterbrach den Kommandanten des Flugzeugträgers. Er nahm den Hörer ab. »Ja?«

Mit dem, was folgte, hatte Joel nicht gerechnet. Der Captain runzelte zuerst die Stirn, dann spannten sich seine Gesichtsmuskeln, und seine Augen wirkten erschreckt und zornig zugleich. »Was?«, rief er, und seine Stimme wurde lauter. »Und das ohne Vorankündigung– gab es keine Nachricht an die Funkzentrale?« Eine kurze Pause, dann knallte der Captain den Hörer auf die Gabel und schrie: »Himmel Herrgott!« Er blickte zu Converse. »Es scheint, dass uns die zweifelhafte Ehre einer unangekündigten Heimsuchung durch das Kommando Saigon zuteilwird. Und ich meine Heimsuchung.«

»Ich gehe wieder hinunter, Sir«, sagte Joel und setzte zu einer Ehrenbezeigung an.

»Nein, noch nicht, Lieutenant«,erwiderte der Captain leise, aber bestimmt. »Sie erhalten jetzt Ihre Befehle, und da sie die Luftoperationen dieses Schiffes betreffen, werden Sie sich diese Befehle bis zu Ende anhören. Zumindest soll Mad Marcus wissen, dass er die Navy in ihren Geschäften stört.«

Die nächsten dreißig Sekunden dienten dem Ritual der Kommandoübertragung. Plötzlich klopfte es zweimal kurz hintereinander an der Tür, dann wurde sie geöffnet, und die hochgewachsene, breitschultrige Gestalt von George Marcus Delavane schob sich herein und füllte den Raum mit der schieren Kraft ihrer Präsenz.

»Captain?«, sagte Delavane, grüßte trotz des niedrigeren Ranges des anderen als Erster. Seine etwas schrille Stimme war höflich, nicht aber seine Augen. Die waren durchdringend und feindselig.

»General«, konterte der Captain und erwiderte die Ehrenbezeigung gleichzeitig mit Converse. »Ist das eine unangekündigte Inspektion vom Kommando Saigon?«

»Nein, es handelt sich um eine dringend erforderliche Besprechung zwischen Ihnen und mir– zwischen Kommando Saigon und einer ihr untergeordneten Außenstelle.«

»Ich verstehe«, sagte der Captain, der Mühe hatte, seinen Zorn zurückzuhalten. »Im Augenblick bin ich dabei, diesem Mann dringende Befehle zu erteilen.«

»Sie haben es für richtig gehalten, die meinen zu widerrufen!«, unterbrach ihn Delavane heftig.

»General, wir haben einen schweren, traurigen Tag hinter uns«, antwortete der Captain. »Wir haben vor nicht einmal einer Stunde einen unserer besten Piloten verloren.«

»Als er dabei war abzuhauen?« Wieder unterbrach Delavane, und die Geschmacklosigkeit seiner Bemerkung wurde durch den schrillen, nasalen Klang seiner Stimme noch unterstrichen. »Haben die ihm den verdammten Hintern abgeschossen?«

»Das ist empörend!«, sagte Converse, der sich nicht mehr beherrschen konnte, in heftigem Ton. »Ich bin der Nachfolger dieses Mannes und empfinde das, was Sie gerade gesagt haben, als empörend– General.«

»Sie? Wer, zum Teufel, sind Sie?«

»Beruhigen Sie sich, Lieutenant. Sie können wegtreten.«

»Ich bitte mit allem Respekt darum, dem General antworten zu dürfen«, schrie Joel und weigerte sich, den Raum zu verlassen.

»Was, Sie aufgeblasener Scheißer?«

»Mein Name ist…«

»Vergessen Sie es, es interessiert mich nicht!« Delavanes Kopf fuhr wieder zu dem Captain herum. »Was ich wissen möchte, ist, wie Sie auf die Idee kommen, meine Anweisungen zu missachten– die Anweisungen vom Kommando Saigon! Ich habe einen Einsatz befohlen! Und Sie haben ›mit allem Respekt‹ abgelehnt, diesen Befehl auszuführen!«

»Sie sollten genauso gut wie ich wissen, dass eine Tiefdruckzone aufgezogen ist.«

»Meine Meteorologen sagen, dass trotzdem geflogen werden kann!«

»Ich kann mir vorstellen, dass Sie diese Aussage sogar dann bekommen würden, wenn Sie sie während eines Burma-Monsuns verlangen würden.«

»Das ist eine schwere Insubordination!«

»Das hier ist mein Schiff, und die militärischen Vorschriften lassen keinen Zweifel daran, wer hier das Kommando führt.«

»Wollen Sie mich mit Ihrem Funkraum verbinden? Ich lasse mir das Oval Office geben, und dann werden wir ja sehen, wie lange Sie dieses Schiff noch führen!«

»Sie wollen sicher privat sprechen– vermutlich über einen Zerhacker. Ich lasse Sie hinbringen.«

»Verdammt noch mal, ich habe viertausend Mann– davon vielleicht zwanzig Prozent mit Kampferfahrung–, die in Sektor fünf einziehen! Wir brauchen einen kombinierten Tieffliegerangriff vom Land und vom Meer aus. Und den werden wir auch bekommen, selbst wenn ich dafür sorgen muss, dass man Ihren Arsch hier binnen einer Stunde wegschafft. Und das schaffe ich, Captain.Wir sind hier, um zu gewinnen, zu gewinnen, habe ich gesagt, und zwar alles! Wir können hier keine Zuckerpüppchen brauchen, die sich vor jedem Risiko drücken! Vielleicht haben Sie das bisher noch nicht gehört, aber der Krieg ist eine riskante Angelegenheit. Wenn Sie nichts riskieren, können Sie auch nichts gewinnen, Captain!«

»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, General. Der gesunde Menschenverstand verlangt, dass man seine Verluste gering hält, und wenn man das genügend oft tut, dann gewinnt man die nächste Schlacht.«

»Ich werde diese hier gewinnen, mit Ihnen oder ohne Sie, Blue Boy!«

»Ich rate Ihnen mit allem Respekt, Ihre Sprache zu mäßigen, General.«

»Was?« Delavanes Gesicht war wutverzerrt, und seine Augen die eines wilden Tieres.»Sie geben mir einen Rat? Sie erdreisten sich, Kommando Saigon einen Rat zu geben? Nun, Sie können tun, was Sie mögen– Blue Boy, in Ihren hübschen Seidenhosen –, aber der Vormarsch ins Tho-Tal läuft.«

»Das Tho«, unterbrach Converse. »Das ist die erste Etappe der Route Pak Song. Wir haben dort viermal angegriffen. Ich kenne das Terrain.«

»Sie kennen es?« brüllte Delavane.

»Ja, aber ich bekomme meine Anweisungen vom Kommandanten dieses Schiffes– General.«

»Sie aufgeblasener Scheißer, Sie nehmen Ihre Befehle vom Präsidenten der Vereinigten Staaten entgegen! Er ist Ihr oberster Befehlshaber! Und ich werde mir diese Befehle besorgen!«

Delavanes Gesicht war nur wenige Zentimeter von Joels entfernt, und sein irrer Ausdruck war wie eine Herausforderung an jedes Nervenende in Joels Körper; Hass und Abscheu mischten sich. Converse hörte selbst kaum die Worte, die er sprach: »Ich würde dem General ebenfalls den Rat geben, seine Sprache zu mäßigen.«

»Warum denn, Sie Scheißer? Hat der Blue Boy etwa Wanzen in diesem Raum?«

»Ruhig Blut, Lieutenant! Ich habe gesagt, Sie sollen wegtreten.«

»Sie wollen, dass ich meine Sprache mäßige, Sie mit Ihrer kleinen goldenen Litze? Nein, Sonny Boy, passen Sie lieber auf, was Sie sagen!– Wenn Ihre Staffel nicht um fünfzehn Uhr in der Luft ist, dann sorge ich dafür, dass ganz Südostasien erfährt, wie feige dieser Flugzeugträger und seine Besatzung ist. Haben Sie das mitgekriegt, Blue Boy, mit Ihren Seidenhosen?«

Wieder antwortete Joel und wunderte sich, während er sprach, woher er den Mut dazu nahm. »Ich weiß nicht, woher Sie kommen, aber ich hoffe inständig, dass wir uns einmal unter anderen Gegebenheiten wieder begegnen. Ich finde, Sie sind ein Schwein.«

»Insubordination! Und außerdem würde ich Ihnen den Arsch aufreißen.«

»Wegtreten,Lieutenant!«

»Nein, Captain!«, schrie der General. »Vielleicht ist er doch der Mann, um diesen Einsatz zu führen. Also, was soll es sein, Blue Boy? Sie haben die Wahl– Sie fliegen, oder Sie bekommen Ihre Anweisung vom Präsidenten– oder Ihren Abschied?«

Um 15.20 Uhr startete Converse mit seinem Geschwader vom Flugdeck des Trägers. Um 15.38 Uhr drangen sie in niedriger Höhe in die Wetterfront ein und erlitten die zwei ersten Ausfälle, als sie über der Küste Feuer erhielten; die beiden Maschinen an den Flügeln wurden abgeschossen– Feuertod bei sechshundert Meilen die Stunde. Um 15.46 Uhr explodierte Joels rechter Antrieb; bei der geringen Höhe, in der sie flogen, war ein direkter Treffer kein Problem. Um 15.46.30 Uhr stieg Converse mit dem Schleudersitz aus, sein Fallschirm wurde sofort in die schweren Schauer der Regenwolken hineingerissen. Während er heftig hin und her geschüttelt der Erde entgegenfiel und die Schirmgurte ihm schmerzhaft ins Fleisch schnitten, sah er jedes Mal, wenn eine Bö ihn traf, in der Finsternis vor sich ein Bild. Das wutverzerrte Gesicht von General George Marcus Delavane. Einem Wahnsinnigen hatte er es zu verdanken, dass er jetzt eine unbestimmte Zeit in der Hölle verbringen würde. Die Verluste der Bodentruppen waren, wie er später erfuhr, noch unendlich viel größer.

Delavane! Der Schlächter von Da Nang und Pleiku. Ein Mann, der sinnlos Tausende geopfert hatte, der ein Bataillon nach dem anderen in den Dschungel und die Berge getrieben hatte, ohne dass sie dafür ausgebildet waren oder über ausreichend Feuerkraft verfügten.

Wieder ein gleißender Blitz vom Boulevard, ein blendender Reflex der Sonne vom Quai du Mont Blanc. Er war in Genf, nicht in einem nordvietnamesischen Lager, wo er Kinder in amerikanischer Uniform im Arm hielt, die sich übergaben, während sie ihre Geschichte erzählten, oder in San Diego, wo er die United States Navy verließ. Er war in Genf, und der Mann, der ihm am Tisch gegenübersaß, wusste alles, was er dachte und empfand.

»Warum ich?«, fragte Joel.

»Weil man dich, wie man mir sagte, motivieren könnte«, sagte Halliday. »Das ist die schlichte Antwort. Man hat mir eine Geschichte erzählt. Der Captain eines Flugzeugträgers weigerte sich, einen Befehl Delavanes auszuführen und seine Flugzeuge starten zu lassen. Ein Unwetter war aufgekommen; er nannte den Befehl selbstmörderisch. Aber Delavane zwang ihn, drohte damit, das Weiße Haus anzurufen und den Captain seines Kommandos entheben zu lassen. Du hast jenen Einsatz geführt. Damals hat es dich erwischt.«

»Ich lebe noch«, sagte Converse ausdruckslos. »Zwölfhundert andere haben den nächsten Tag nicht mehr erlebt, und wahrscheinlich tausend weitere wünschten sich, sie hätten sterben dürfen.«

»Und du warst in der Kabine des Captains, als Mad Marcus Delavane seine Drohungen ausstieß.«

»Das war ich«, sagte Converse tonlos. Dann schüttelte er verwirrt den Kopf. »Alles, was ich dir erzählt habe– über mich–, das hast du alles schon einmal gehört.«

»Es gelesen«, korrigierte ihn der Anwalt aus Kalifornien. »Wie du– und ich glaube, wir gehören zu den fünfzig Besten in diesem Geschäft–, halte ich nicht so viel von dem geschriebenen Wort. Ich muss eine Stimme hören, ein Gesicht sehen.«

»Ich habe dir nicht geantwortet.«

»Das brauchtest du auch nicht.«

»Aber du musst mir antworten. Jetzt… Du bist doch für ComTech-Bern hier, oder?«

»Ja, das stimmt schon«, sagte Halliday. »Nur dass die Schweizer nicht zu mir gekommen sind, sondern ich zu ihnen. Ich habe dich beobachtet, auf den richtigen Augenblick gewartet. Es musste der richtige Augenblick sein, es musste natürlich aussehen und geografisch logisch.«

»Warum? Was meinst du damit?«

»Weil man mich beobachtet. Rosen hatte einen Herzinfarkt. Ich habe davon gehört, Bern kontaktiert und einen plausiblen Fall für mich daraus gemacht.«

»Dein Ruf hat genügt.«

»Der half, aber ich brauchte mehr. Ich sagte, wir würden uns kennen, seit langer Zeit– was ja, weiß Gott, stimmt, und dann deutete ich an, dass ich größten Respekt vor dir hätte und wüsste, dass du in Abschlussverhandlungen äußerst geschickt seist, und dass ich deine Methoden genau kennen würde. Und dann habe ich einen genügend hohen Preis verlangt.«

»Eine unwiderstehliche Kombination für die Schweizer«, sagte Converse.

»Deine Billigung freut mich.«

»Aber nein«, widersprach Joel. »Ich billige das überhaupt nicht. Zuallerletzt deine Methoden. Du hast mir überhaupt nichts gesagt, nur geheimnisvolle Andeutungen über eine unbekannte Gruppe von Leuten gemacht, von der du sagst, dass sie gefährlich sei. Und dann den Namen eines Mannes ins Spiel gebracht, von dem du wusstest, dass er bei mir eine Reaktion provozieren würde. Vielleicht bist du doch ein Freak und im Herzen immer noch ein Hippie.«

»Jemanden einen ›Freak‹ zu nennen, ist äußerst präjudizierend, Herr Anwalt, und würde mit Sicherheit aus dem Protokoll gestrichen werden.«

»Trotzdem sage ich es, Herr Kollege«, erwiderte Converse in stummem Zorn. »Und zwar hier und jetzt.«

»Du solltest den Sicherheitsaspekt nicht unterschätzen«, fuhr Halliday ruhig und eindringlich fort. »Ich bin in Gefahr, und abgesehen von einer gewissen Neigung zur Feigheit, derer ich mich schuldig bekennen muss, gibt es da in San Francisco eine Frau und fünf Kinder, die mir sehr wichtig sind.«

»Also bist du zu mir gekommen, weil ich so etwas nicht habe?«

»Ich bin zu dir gekommen, weil dich niemand kennt, weil du noch nicht in die Sache verwickelt bist und weil du der Beste bist, den es gibt, und ich es nicht tun kann! Mir sind gesetzlich die Hände gebunden, und es muss legal geschehen.«

»Warum sagst du nicht, was du meinst?«, wollte Converse wissen. »Wenn du das nämlich jetzt nicht tust, stehe ich auf, und dann sehen wir uns nachher am Konferenztisch.«

»Ich habe Delavane vertreten«, erwiderte Halliday hastig. »So wahr mir Gott helfe, ich wusste nicht, was ich tat, und nur sehr wenige Leute haben das gebilligt, aber ich hatte eine Antwort darauf, die zu allen Zeiten gültig war. Auch unpopuläre Sachen und Leute verdienen es, dass man sie vertritt.«

»Dagegen kann ich wenig vorbringen.«

»Du kennst die Sache nicht. Ich schon. Ich habe es herausgefunden.«

»In welcher Sache?«

Halliday lehnte sich vor. »Die Generäle«, sagte er mit kaum hörbarer Stimme. »Sie kommen zurück.«

Joel sah den Kalifornier scharf an. »Woher? Ich wusste nicht, dass sie je verschwunden waren.«

»Aus der Vergangenheit«, sagte Halliday.

Converse lehnte sich in seinem Stuhl zurück, seine Augen blickten jetzt amüsiert. »Du lieber Gott, ich dachte, du und deinesgleichen, ihr wäret ausgestorben. Sprichst du von der Gefahr aus dem Pentagon, Press… ›Press‹ stimmt doch, oder? Die Kurzform aus San Francisco oder Haight Ashbury, oder war es Beverly Hills? Du bist etwas hinter deiner Zeit zurück; ihr habt die Rekrutierungsbüros längst gestürmt.«

»Bitte, mach keine Witze. Mir ist das bitterernst.«

»Natürlich. Sieben Tage im Mai hieß der Film, glaube ich. Oder Fünf Tage im August? Jetzt ist August, also wollen wir das Szenario doch ›Die alten Kanonen des August‹ nennen. Klingt gut, finde ich.«

»Hör auf!«, flüsterte Halliday. »Daran ist überhaupt nichts Komisches, und wenn, dann wüsste ich das vor dir.«

»Das soll eine Erklärung sein, nehme ich an«, sagte Joel.

»Da hast du verdammt recht, weil ich nicht das durchgemacht habe, was du durchgemacht hast. Ich habe mich rausgehalten, mich hat man nicht hereingelegt. Das bedeutet, dass ich über die Fanatiker lachen kann, weil sie mir nie wehgetan haben. Und ich glaube immer noch, dass Lachen die beste Waffe ist, die es gibt. Aber nicht jetzt. Jetzt gibt es nichts zu lachen!«

»Erlaub mir ein leises Schmunzeln«, sagte Converse, ohne zu lächeln. »Ich habe selbst in meinen paranoidesten Augenblicken nie an die Verschwörungstheorie geglaubt, wonach das Militär die wahre Macht in Washington sei. Dazu könnte es niemals kommen.«

»Vielleicht weniger augenfällig als in anderen Ländern, aber mehr kann ich dir wirklich nicht zugestehen.«

»Was soll das heißen?«

»In Israel wäre es zweifellos offensichtlicher, ganz bestimmt in Südafrika, möglicherweise auch in Frankreich und Westdeutschland, und selbst in England– dort hat man sich nie groß bemüht, die Öffentlichkeit zu täuschen. Aber wahrscheinlich hat das, was du sagst, doch etwas für sich. Washington wird sich so lange in den Mantel seiner Verfassung hüllen, bis er fadenscheinig geworden ist und herunterfällt. Und dann kommt darunter wie zufällig eine Uniform zum Vorschein.«

Joel starrte in das Gesicht auf der anderen Seite des Tisches und hörte auf die Stimme, die leise und eindringlich an sein Ohr drang. »Du machst hoffentlich keine Witze, oder? Und du bist klug genug, mir nichts vorzumachen.«

»Oder dich hereinzulegen«, fügte Halliday hinzu. »Nein, nicht nach all dem, was ich mir sagen lassen musste, während dich das Fernsehen auf der anderen Seite der Welt in deinem Sträflingspyjama zeigte. Das könnte ich nicht.«

»Ich denke, ich glaube dir. Du hast einige Länder erwähnt, ganz spezielle Länder. Einige sagen mir kaum etwas, aber ein paar wecken Erinnerungen an Blut und schlimmere Dinge. Absichtlich?«

»Ja«, nickte der Kalifornier. »Es macht sowieso keinen Unterschied, denn die Gruppe, von der ich spreche, ist der Ansicht, eine Idee zu besitzen, die am Ende alle diese Länder vereinen wird. Und sie alle führen wird– auf ihre Art.«

»Die der Generäle?«

»Und Admirale und Brigadiers und Feldmarschälle– alte Soldaten, die ihre Zelte im richtigen Lager aufgeschlagen haben. So weit rechts, dass es seit dem Reichstag nur eine Bezeichnung für sie gibt.«

»Jetzt hör aber auf, Avery!« Converse schüttelte konsterniert den Kopf. »Ein paar müde, alte Kriegsrösser…«

»Die junge, harte, fähige neue Kommandeure rekrutieren und indoktrinieren«, unterbrach Halliday ihn.

»Die sich ihren letzten Huster abquälen.« Joel hielt inne. »Hast du dafür Beweise?«, fragte er und betonte jedes einzelne Wort.

»Nicht genug, aber wenn man ein wenig nachbohrt, dann reicht es vielleicht.«

»Verdammt, hör auf, um den Brei herum zu reden.«

»Unter den möglichen Rekruten sind vielleicht zwanzig Namen aus dem State Department und dem Pentagon«, sagte Halliday. »Männer, die Exportlizenzen erteilen und Millionen und Abermillionen ausgeben, weil sie die Befugnis dazu haben, was natürlich automatisch jeden Freundeskreis vergrößern hilft.«

»Und den Einfluss«, erklärte Converse. »Was ist mit London, Paris und Bonn, Johannesburg und Tel Aviv?«

»Wiederum Namen.«

»Wodurch gesichert?«

»Es gibt sie, ich habe sie selbst gesehen. Es war ein Zufall. Wie viele einen Eid abgelegt haben, weiß ich nicht, aber es gibt sie, und ihre Rangabzeichen passten zu ihrer Philosophie.«

»Der Reichstag?«

»Alles, was sie brauchen, ist ein Hitler.«

»Und wo kommt Delavane ins Spiel?«

»Der könnte einen salben. Er könnte den Führer bestimmen.«

»Das ist doch lächerlich. Wer würde ihn schon ernst nehmen?«

»Man hat ihn schon einmal ernst genommen. Die Folgen hast du selbst erlebt.«

»Das war damals, nicht heute. Du antwortest nicht auf meine Frage.«

»Mach dir doch nichts vor, dort draußen gibt es Tausende von Männern, die noch heute denken, dass Delavane damals im Recht war. Aber was einem den Schlaf rauben kann, ist, dass es ein paar Dutzend Leute gibt, die genügend Geld haben, um seinen und ihren Wahnsinn auch zu finanzieren– etwas, was sie natürlich nicht als Wahnsinn und Verblendung ansehen, sondern als einzig sinnvolle Entwicklung der Geschichte, nachdem ja alle anderen Ideologien schmählich gescheitert sind.«

Joel setzte zum Sprechen an, hielt inne, als ihm ein neuer Gedanke kam. »Warum bist du nicht zu jemandem gegangen, der sie aufhalten kann? Der ihn aufhalten kann?«

»Zu wem denn?«

»Das solltest du mich nicht fragen müssen. Es gibt eine ganze Anzahl solcher Leute in der Regierung– ob sie nun gewählt oder eingesetzt sind– und den Ministerien. Da wäre zunächst einmal das Justizministerium.«

»Die würden mich zum Gespött von ganz Washington machen«, erwiderte Halliday. »Aber abgesehen von der Tatsache, dass wir keine Beweise haben– ich sagte ja, nur Namen und Vermutungen–, solltest du nicht vergessen, dass ich einmal als Hippie abgestempelt war. Das Etikett würde man mir wieder umhängen und mir empfehlen, doch gefälligst zu verschwinden.«

»Aber du hast Delavane vertreten.«

»Was ja die juristische Seite nur noch komplizierter macht, das sollte ich dir nicht sagen müssen.«

»Die Anwalt-Mandanten-Beziehung«, führte Converse den Satz zu Ende. »Du stehst im Morast, ehe du überhaupt eine Anklage vorbringen kannst. Sofern du keine harten und wirklich zwingenden Beweise gegen deinen Mandanten hast, Beweise, dass er weitere Verbrechen begehen will, und dass du diese Verbrechen durch weiteres Stillschweigen unterstützen würdest.«

»Und solche Beweise besitze ich nicht«, unterbrach der Kalifornier.

»Dann wird niemand auf dich hören«, fügte Joel hinzu. »Ganz besonders nicht die ehrgeizigen Anwälte im Justizministerium; die wollen sich für ihre Zeit nach dem Regierungsdienst nichts verbauen. Wie du ganz richtig sagst, die Delavanes dieser Welt haben ihre Anhänger.«

»Richtig«, pflichtete Halliday bei. »Und als ich anfing, Fragen zu stellen, und versuchte, Delavane zu erreichen, war er nicht bereit, mich zu empfangen oder auch nur mit mir zu sprechen. Stattdessen bekam ich einen Brief, in dem stand, dass ich entlassen sei, dass er mich nie unter Vertrag genommen hätte, wenn er gewusst hätte, was ich einmal war. ›Ein Mensch, der Hasch geraucht und demonstriert hat, während tapfere junge Männer dem Ruf des Vaterlandes folgten.‹«

Converse pfiff leise durch die Zähne. »Und du behauptest, dass man dich hereingelegt hätte? Du lieferst ihm juristische Unterstützung, eine Struktur, die er ganz legal nutzen kann, und wenn dann etwas zu stinken anfängt, bist du der Letzte, der auf ihn zeigen kann. Er hüllt sich in die Flagge des alten Soldaten und nennt dich einen rachsüchtigen Freak.«

Halliday nickte. »In dem Brief stand noch viel mehr; nichts, das mich verletzen konnte– nur in seinen Augen–, aber es war brutal.«

»Da bin ich sicher.« Converse holte ein Päckchen Zigaretten heraus, hielt es seinem Gegenüber hin, aber Halliday schüttelte den Kopf. »Was hast du denn für ihn getan?«, fragte Joel.

»Ich habe eine Firma gegründet, ein kleines Beratungsunternehmen in Palo Alto, das sich auf Import und Export spezialisierte. Was zulässig ist; es geht um Einfuhrquoten und wie man auf legalem Weg an die Leute in Washington herankommt, die einem zuhören. Im Grunde handelte es sich um eine Art Lobby, den Versuch, aus einem Namen Kapital zu schlagen, falls sich jemand an ihn erinnern sollte. Damals kam mir das alles ziemlich rührend vor.«

»Ich dachte, du hättest gesagt, die Firma sei nicht registriert«, bemerkte Converse.

»Das ist auch nicht die, hinter der wir her sind. Sich darum zu kümmern wäre Zeitvergeudung.«

»Aber dort hast du doch deine ersten Informationen bekommen, nicht wahr? Deine Hinweise?«

»Das war ein reiner Zufall, so etwas wird nicht wieder geschehen. Das ganze Unternehmen ist rechtlich so makellos wie das reinste Weiß, das es je gab.«

»Trotzdem ist es nur eine Fassade«, beharrte Joel. »Das muss es sein, wenn alles oder auch nur ein Teil von dem, was du gesagt hast, wahr ist.«

»Das ist es, und du hast ja auch recht. Doch es gibt nichts Schriftliches. Das Unternehmen bietet aber einen guten Vorwand zum Reisen, einen Vorwand für Delavane und seine Umgebung, von einem Platz zum anderen zu kommen, indem sie sich legitimen Geschäften widmen. Aber wenn sie dann an einem bestimmten Ort sind, tun sie dort das, was sie wirklich interessiert.«

»Das Rekrutieren der Generäle und Feldmarschälle?«, sagte Converse.

»Wir meinen, dass es sich um eine Art Missionstätigkeit handelt. Sehr leise und sehr intensiv.«

»Wie nennt sich Delavanes Firma denn?«

»Palo Alto International. Bist du interessiert?«

»Nicht daran, für jemanden zu arbeiten, den ich nicht kenne. Nein, ich bin nicht interessiert.«

»Siehst du wenigstens die Gefahr in dem, was ich dir dargestellt habe?«

»Wenn das stimmt, was du mir gesagt hast, und ich kann mir nicht vorstellen, weshalb du lügen solltest. Das hast du doch gewusst.«

»Angenommen«, fuhr Halliday schnell fort, »ich würde dir einen Brief geben, in dem steht, dass dir ein Betrag von fünfhunderttausend Dollar zur Verfügung gestellt wird über ein Konto auf der Insel Mykonos, das von einem Mandanten von mir eingerichtet worden ist, dessen Charakter und Ruf von höchstem Rang sind. Dass seine…«

»Augenblick mal, Press«, unterbrach Converse ihn hart.

»