Die Ära Milei - Philipp Bagus - E-Book

Die Ära Milei E-Book

Philipp Bagus

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Beschreibung

Als eine seiner ersten Amtshandlungen verringerte der Kettensägenmann Javier Milei die Zahl der argentinischen Ministerien von 22 auf 9. ¡Afuera! Der exzentrischePolit-Quereinsteiger, der aus dem Nichts kam, ohne Partei, ohne Struktur und die Verhältnisse im peronistischen Argentinien auf den Kopf stellte, ist der erste libertäre und bekennend anarcho-kapitalistische Präsident der Welt. Dieses Werk beleuchtet die Gründe für den wohl unglaublichsten Politikerfolg der jüngsten Vergangenheit. Milei wird vor allem von den jüngeren Argentiniern wie ein Rockstar verehrt. Doch was sind seine Ideen? Was ist Libertarismus? Was ist Anarchokapitalismus? Wieso bezeichnet Milei das Konzept der sozialen Gerechtigkeit als das zutiefst ungerecht? Und was macht die Österreichische Schule aus, auf die er sich immer wieder bezieht? Wie Milei an die Macht kam, welche Allianzen er dabei einging und welche Rolle der von ihm beschworene Kulturkampf auch global spielt, wird keinen Leser unberührt lassen. Ist Milei ein Rechtspopulist? Kann sein Kampf gegen die Politkaste auch auf andere Länder übertragen werden? Was kann Deutschland vom Phänomen Milei lernen? Ist ein neues Wirtschaftswunder möglich? Antworten auf diese und viele Fragen liefert dieses Werk. ¡Viva la libertad, carajo! "Ein wichtiges Buch, erscheint genau zur richtigen Zeit. Philipp Bagus erklärt seinen Lesern den atemberaubenden Befreiungsversuch Argentiniens vom Joch des Sozialismus durch Javier Milei, gibt theoretische Hintergründe, ordnet ein. Philipp Bagus ermutigt nicht zuletzt mit seinem Buch, von Milei zu lernen, ihm gleichzutun, den Freiheitskampf aufzunehmen. Großartig VIVA LA LIBERTAD CARAJO!" Professor Dr. Thorsten Polleit "Ein großartiges und ein wichtiges Buch! Hier schreibt ein Kenner von Javier Milei über den Ausnahmereformer und die Ideen, die ihn antreiben. Man lernt unglaublich viel dabei." Prof. Dr. Stefan Kooths

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Philipp Bagus

Die Ära Milei

Argentiniens neuer Weg

Für Johann Friedrich

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Umschlagmotiv: Foto unten: © Florence Martin, picture alliance/dpa

Satz und E-Book Konvervierung: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-7844-8500-3

www.langenmueller.de

Inhalt

Vorwort von Javier Milei

I. Wer ist Javier Milei?

1. Familiäres Umfeld und Lebensweg

2. Die Situation Argentiniens vor Mileis Präsidentschaft

3. Mileis libertäre Angriffstaktik

II. Die Symbiose des Paläolibertarismus

1. Liberale Strömungen

2. Das Rechts-Links-Schema

3. Milei und der Populismus

III. Der alte und kommende Kulturkampf

1. Der Streit um die richtigen Ideen

2. Linke Kulturhegemonie

3. Neue Bündnisse

IV. Der argentinische »Österreicher« – Mileis Libertarismus

1. Die Österreichische Schule

2. Freie Koordination statt Zwang

3. Wachstum und Ressourcenknappheit

V. Mileis Erfolge – eine globale Blaupause?

1. Das argentinische Wirtschaftswunder

2. Die Wiederherstellung der ethischen Basis

3. Was wir von Milei lernen können

Epilog

Nachwort von Markus Krall

Danksagung

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort

¡Viva la libertad, carajo!

Mit großer Freude schreibe ich dieses Vorwort, um Die Ära Milei – Argentiniens neuer Weg zu präsentieren. Ich habe meinen lieben Freund Philipp Bagus im Februar 2021 kennengelernt. Professor Bagus hatte mich eingeladen, über Zoom in seinem Seminar zur Dogmengeschichte einen Vortrag zu halten. Dieses Seminar ist Teil des Masterstudiengangs in Ökonomie der Österreichischen Schule an der Universidad Rey Juan Carlos unter der Leitung von Professor Jesús Huerta de Soto. Ich erklärte gerade, warum ich in die Politik gegangen bin, als ich plötzlich eine gewisse Unruhe unter den Teilnehmern des Zoom-Meetings bemerkte. Ich war völlig überrascht, als ich wahrnahm, dass Professor Huerta de Soto, den ich bis dahin noch nicht persönlich getroffen hatte, dem Meeting beitrat, um mir für meinen Kampf gegen den Sozialismus in Argentinien zu gratulieren, unter dem das Land über 100 Jahre gelitten hatte. Meine Freude über diese Geste war unendlich groß, weil ich diesem Titanen der Österreichischen Schule so viel zu verdanken habe.

Wenig später lud mich Philipp ein, bei einer von ihm und David Howden herausgegebenen Festschrift für unseren geliebten Professor Huerta de Soto ein Kapitel beizusteuern. Ich schrieb ein Essay mit dem Titel Capitalism, Socialism, and the Neoclassical Trap. Darin zeigte ich die Fehler des neoklassischen Modells auf. Wann immer eine theoretische oder praktische Beobachtung nicht in das neoklassische System passt, wird sie als »Marktversagen« eingeordnet. Das ist nicht nur ein verabscheuungswürdiges Konzept, sondern führt auch zu staatlichen Eingriffen, die letztlich den Vormarsch des Sozialismus begünstigen. Die Neoklassik ist damit für den Sozialismus funktional. Seit dieser Zeit sind Philipp Bagus und ich in Kontakt. Und als er mich im Februar dieses Jahres in Rom fragte, was ich von der Idee hielte, ein Buch für den deutschen Markt über das Phänomen Milei zu schreiben, war ich sofort begeistert.

Denn es ist der richtige Zeitpunkt und eine ausgezeichnete Möglichkeit, die richtigen Ideen zu verbreiten. Die richtigen Ideen sind die Ideen der Freiheit und der Österreichischen Schule, wie sie in dem eingangs erwähnten Masterstudiengang gelehrt werden. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass es so einen Master gibt. Im normalen Universitätsbetrieb in Argentinien kommt die Österreichische Schule kaum vor.

Ich selbst bin nicht immer Liberaler und »Österreicher« gewesen. Wie ich zum Liberalismus und der Österreichischen Schule gekommen bin, möchte ich kurz darlegen. Es hat eine Zeit gedauert. Aber ich habe deswegen kein schlechtes Gewissen. Selbst Hayek war ursprünglich Sozialist und kam erst durch die Lektüre von Ludwig von Mises’ Buch Die Gemeinwirtschaft zum Liberalismus. Denn wie Mises zu Recht sagte, führt ökonomisches Wissen zum Liberalismus. Die Sozialisten wären keine Sozialisten, so Hayek, wenn sie die Wirtschaftswissenschaften wirklich kennen würden. Erst als ich mir ein komplettes Bild der Wirtschaftswissenschaften machen konnte, wurde ich ein Liberaler.

In akademischen Kreisen haben die Ideen der Freiheit einen schweren Stand. Wenn Sie irgendeinen Wirtschaftswissenschaftler an einer öffentlichen oder privaten Universität in Argentinien fragen, wer Ludwig von Mises ist, wird er antworten, dass er glaubt, Mises könne der Mittelstürmer der niederländischen Fußballnationalmannschaft sein.

In diesem freiheitsfeindlichen Umfeld wurden die Wirtschaftswissenschaftler meiner Generation ausgebildet. Meine Ausbildung war im Wesentlichen von der sogenannten postkeynesianischen oder spätkeynesianischen Schule geprägt. Letztere Schule ist ein Zweig des Keynesianismus, der einen quasi-marxistischen Anstrich trägt.

Im Zuge dieser Ausbildung wurde ich mit vielen schlechten Ideen kontaminiert. Zu diesen schlechten Ideen gehören beispielsweise die Thesen, dass staatliche Interventionen und Regulierungen notwendig sind, dass Unternehmer Schurken sind und dass die Inflation multikausal ist, jedoch nicht durch das Ausweiten der Geldmenge zustande kommt. In diesem geistigen Milieu, in dem liberale Ökonomen nicht einmal erwähnt werden, wurde ich ausgebildet.

Die Probleme mit diesen schlechten Ideen wurden mir bewusst, als ich im Jahr 2014 erstmals eingeladen wurde, auf dem Weltwirtschaftsforum WEF einen Vortrag zu halten. Ich sollte über Demografie und Wachstum sprechen. Zu diesem Zweck studierte ich die Forschung von Angus Maddison, der aus einer Jahrtausendperspektive auf das Wirtschaftswachstum schaute und das Pro-Kopf-BIP vom Jahr Null der christlichen Ära bis zum Jahr 2000 hochrechnete.

Die Visualisierung des sogenannten Hockeyschläger-Wachstums öffnete mir die Augen. Denn das Pro-Kopf-BIP vom Jahr Null bis zum Jahr 1800 blieb praktisch konstant. Nur im 16. Jahrhundert, kurz nach der Entdeckung Amerikas, stieg es ein wenig an.

Jahrhundertelang stieg also das Pro-Kopf-BIP so langsam, dass die Wachstumsrate 0,02 Prozent betrug. Das bedeutet: Es brauchte 3500 Jahre, bis sich das Pro-Kopf-BIP verdoppelte. Das änderte sich radikal mit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Plötzlich stieg die Wachstumsrate um das 33-Fache auf 0,66 Prozent – bei gleichzeitig rasantem Bevölkerungswachstum. Das Bevölkerungswachstum war dabei größtenteils auf bessere sanitäre Einrichtungen, Gesundheit und Ernährung zurückzuführen. Im 20. Jahrhundert beschleunigte sich das Wirtschaftswachstum weiter. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stieg es auf 1,1 Prozent. In der zweiten Hälfte betrug es schon 2,1 Prozent.

Kurzum, in den letzten 200 Jahren dieser Wachstumsreihe hat sich sehr viel mehr getan als in den ersten 1800 Jahren, in denen das Wachstum insgesamt 40 Prozent betrug. Im zweiten Abschnitt hat sich das Pro-Kopf-BIP verneunfacht. Gleichzeitig nahm die Bevölkerung um das Achtfache zu. Mit anderen Worten: Das BIP der Welt hat sich in den letzten 200 Jahren um das 72-Fache erhöht.

Diese Geschichte des Fortschritts ist ein großes Problem für die neoklassische Wirtschaftstheorie. Denn wenn man mit neoklassischen Instrumenten arbeitet, geht man von konstanten Skalenerträgen oder abnehmenden Grenzerträgen aus. Das heißt, wenn man eine Einheit eines Faktors hinzufügt, wächst die Produktion, aber sie wächst nicht proportional dazu. Und das ist das Problem: Die Bevölkerung ist um das Achtfache gestiegen, die Produktion pro Kopf um das Neunfache. Das ergibt aus dieser Sichtweise eindeutig keinen Sinn.

In der neoklassischen Theorie gibt es steigende Erträge durch Marktkonzentration. Der Extremfall ist das Monopol. Aber Marktkonzentration impliziert aus Sicht der Pareto-Effizienz etwas Schlechtes, auch für die Wohlfahrt breiter Bevölkerungsschichten. Es stellt sich die Frage: Wie kann etwas, das den Anteil von extremer Armut in der Weltbevölkerung von 95 Prozent auf etwa 10 Prozent gesenkt hat, aus Sicht der Wirtschaftstheorie etwas Schlechtes sein?

Diese Frage war eine große Herausforderung. Ich suchte nach Antworten. Glücklicherweise hatte ich einen ehemaligen, sehr guten Studenten der mathematischen Ökonomie, den ich zu meiner Arbeit mitgenommen hatte. Dieser ehemalige Student las Autoren der Österreichischen Schule. Er gab mir einen Aufsatz von Murray Newton Rothbard mit dem Titel Monopoly and Competition. 140 Seiten. Nachdem ich den Aufsatz in drei Stunden gelesen hatte, gestand ich mir ein, dass alles, was ich über Marktstrukturen gelehrt hatte, völlig falsch war. 25 Jahre lang habe ich Marktstrukturen falsch gelehrt.

Die Wirkung des Aufsatzes war so stark auf mich, dass ich weitere Bücher von diesen Autoren in meine Hände bekommen wollte. Ich fragte den ehemaligen Studenten, wo man solche Bücher kaufen könne. Er empfahl mir eine Buchhandlung, die Bücher des Verlags Unión Editorial verkaufte. Ich fuhr dorthin und kaufte an diesem Tag etwa 20 Bücher. Mehr Geld hatte ich nicht. Unter den gekauften Büchern war Man, Economy, and State von Rothbard sowie der Fortsetzungsband Power and Market, in dem Rothbard den Anarchokapitalismus begründet. Ich fragte den Besitzer der Buchhandlung, ob er am nächsten Tag geöffnet hätte, was er bejahte. Ich rechnete aus, wie viel ich zum Essen, wie viel ich fürs Taxi und die Fahrten zur Arbeit brauchte. Das ganze restliche Geld gab ich für Bücher aus. Ich muss in diesen zwei Tagen um die 50 Bücher gekauft haben. Und so begann ich, die Autoren der Österreichischen Schule zu lesen. Es war eine wunderbare Erfahrung. Ich entdeckte eine neue Welt.

Ein weiteres Buch war Human Action von Ludwig von Mises. Ich erinnere mich, dass ich mich vor Human Action setzte, eine Taschenbuchausgabe, und es von der ersten bis zur letzten Seite las. Ich schloss mich zwei oder drei Tage ein, bis ich es beendet hatte und stand nur auf, um zu essen, auf die Toilette zu gehen und mit Conan, meinem Hund, spazieren zu gehen. Ich war wie geblendet von diesem Buch, das am Ende über und über mit meinen Bemerkungen versehen war. Also kaufte ich noch ein Exemplar, um eine saubere, neue Ausgabe zu besitzen. Dieses Exemplar ließ ich völlig intakt, für den Notfall, und stellte es in Zellophanhülle verpackt ins Regal. Aber ich brauchte natürlich noch ein weiteres Buch, um damit im Büro arbeiten zu können. Also kaufte ich noch ein Exemplar. Wenn ich mich im Büro langweilte, schlug ich wahllos irgendeine Seite von Mises’ Buch Human Action auf, ging an den Kapitelanfang, las das ganze Kapitel und unterstrich und kommentierte wieder wichtige Passagen. Das tat ich über mehrere Tage hinweg. Irgendwann gab es keine leere Seite mehr. Ich hatte »Human Action« ein weiteres Mal gelesen.

Mises hat daher enormen Einfluss auf mich ausgeübt. Ich habe auch seine Meisterwerke Die Gemeinwirtschaft und Die Theorie des Geldes und der Umlaufmittel gelesen. Und es gibt ein weiteres wunderbares Buch von ihm, das viele der Probleme zu verstehen hilft, mit denen wir Liberalen konfrontiert sind: Die Wurzeln des Antikapitalismus. Es erklärt, warum viele Menschen den Kapitalismus der freien Marktwirtschaft hassen. Meine Mises-Lektüre ergänzte ich mit Huerta de Sotos Vorträgen auf YouTube und begann, an liberalen Treffen teilzunehmen.

Die Lektüre Hayeks empfand ich anfangs teilweise als schwierig, wobei Abhandlungen wie Preise und Produktion mir leichter fielen. Von Anfang an genossen habe ich Der Weg zur Knechtschaft, ein Werk, das ich oft zitiere, wie auch Die Anmaßung von Wissen und den beeindruckenden Aufsatz Der Atavismus der sozialen Gerechtigkeit, dessen Lektüre vielen Menschen guttun würde.

Durch die Lektüre Rothbards bin ich unweigerlich zum Anarchokapitalisten geworden. Sobald ich anfing, Rothbard, Jesús Huerta de Soto, Walter Block und Hans-Hermann Hoppe zu lesen, war das eine Einbahnstraße, ich konnte nicht mehr zurück.

Währenddessen stieg die argentinische Inflation immer weiter. Ich begann, an Fernsehsendungen teilzunehmen und die Ideen der Freiheit zu verteidigen. Anfangs war es wie in dem Film Gladiator. Alle waren gegen mich. Ich debattierte mit 15 Leuten, die den Staat und den Sozialismus verteidigten. Die Kirchneristen waren ziemlich rücksichtslos, wenn man mit ihnen diskutierte. Wie bei vielen Linken üblich, hetzten sie vier oder fünf von ihnen auf mich. Und wenn ich versuchte, rein rational sonst doppelt gemoppelt zu argumentieren, redeten sie einfach über mich hinweg. So war ich gezwungen, die Stimme zu erheben, um die Argumentation voranzubringen. Dies führte wiederum dazu, dass sie mich beschuldigten, in Fernsehdebatten zu schreien.

Durch diese titanischen Schlachten im Fernsehen gewann ich an Popularität. Und als irgendwann die Pandemie kam, war es, als würde es in der Gesellschaft »klick« machen. Als wir im Lockdown eingesperrt waren, kam es zu einer Neubewertung der Ideen der Freiheit. Viele meiner Anhänger sind junge Leute. Junge Menschen sind weniger der Gehirnwäsche durch das öffentliche Bildungswesen ausgesetzt. Dabei ist es unwichtig, ob es sich um staatliche oder private Bildungseinrichtungen handelt, denn die Inhalte werden in beiden Fällen vom Staat vorgegeben. Der Staat steckt das Feld ab. Der Zugang zu bestimmter Literatur wird blockiert. Keinem Politiker gefällt es, wenn die Bürger Rothbard lesen. Denn stellen Sie sich mal vor, die Bürger würden die Einkommensquelle der Politiker in Frage stellen. Und da die Politiker die Macht haben, nutzen sie das Gewaltmonopol, damit die Bürger keinen Zugang zu diesen Ideen haben.

Junge Menschen sind zudem Rebellen gegen den Status quo. Der Status quo in Argentinien war sozialistisch. Die natürliche Rebellionstendenz der jungen Leute entdeckte dabei den Liberalismus. Und aus irgendeinem Grund gefiel den Jugendlichen, was ich tat. Während der Pandemie, als diese jungen Menschen bei ihren Eltern oder Großeltern eingesperrt waren, begannen sie mit diesen über »den Milei« zu sprechen.

Derweilen führte ich unermüdlich den Kampf um die besseren Ideen. Dieser Kulturkampf, den ich im Fernsehen, Radio und mittels Vorträgen führte, geriet jedoch in Gefahr, als mir offen mit Zensur gedroht wurde. Wenn wir jedoch weniger im Fernsehen präsent wären, dann könnten wir auch keine Karten für Vorträge mehr verkaufen, was damals unsere Haupteinnahmequelle war. Unser Einkommen war in Gefahr. Die Entscheidung, in die Politik zu gehen, war mithin gar nicht so romantisch. Meine Schwester Karina (el Jefe) und ich erkannten, dass die einzige Möglichkeit, die Dinge zu verändern, darin bestand, sich politisch zu engagieren und den Staat von innen heraus zu bekämpfen.

Wenn Sie sich in Argentinien ein argentinisches Fußballspiel anschauen, ist das sehr schön. Sie sehen fröhliche Fans, viele Farben und Fahnen und hören Gesänge. Ein wahres Spektakel. Doch egal, wie sehr die Leute auf den Rängen schreien und singen und sich schmücken, der Ball bewegt sich nicht von allein. Jemand muss auf das Spielfeld gehen und den Ball schießen. Wenn wir es nicht sind, kommt die andere Mannschaft und schießt ihre Tore ohne Gegenwehr.

Der Kulturkampf, die Debatte der Ideen, ist sehr wichtig. Was im akademischen Bereich geschieht, ist sehr wichtig. Doch ohne politischen Kampf führt das zu nichts. Um zur Fußballmetapher zurückzukommen: Die andere Mannschaft ist auf dem Spielfeld, sie schießt aufs Tor und trifft immer wieder. Ihr ist es egal, was auf der Tribüne geschieht. Daher ist der einzige Weg, den Vormarsch des Sozialismus, des Etatismus, des Kollektivismus, des Konstruktivismus aufzuhalten, sich diesen frontal entgegenzustellen und den Kampf anzunehmen, nicht nur auf dem Gebiet der Kultur, sondern auch in der politischen Arena.

Dabei gibt es auch Synergieeffekte, denn zweifellos ist das akademische Wissen, das ich mir im Laufe der Zeit angeeignet habe, ein wichtiger Leitfaden. Die Theorie der Österreichischen Schule ist fundamental. Sie ist wie ein Kompass, der mich bei jeder meiner Entscheidungen leitet.

Am Anfang meines Politikabenteuers frohlockten unsere Gegner, dass meine Unterstützung sehr begrenzt sein. Meine ersten Erfolge seien ein Nachbarschaftsphänomen. Doch nicht alle unterschätzten uns. Damals war es Dr. Patricia Bullrich, mit der ich später bei der Präsidentschaftswahl konkurrierte und die heute als meine Ministerin für Innere Sicherheit die Verbrecher in die Knie zwingt, die sagte: »Wir sollten ihn ernster nehmen. Dass jemand vor 20 000 Menschen über Hayek spricht, das ist nicht normal.«

Offensichtlich war also etwas im Gange. Untypisch für unser Phänomen war zudem der Verkauf von Büchern bei unseren Veranstaltungen. Die Bücher waren allesamt Bücher der Österreichischen Schule. Als Teil der Kampagne kam meine Schwester zudem irgendwann auf die Idee, dass ich auf Marktplätzen Vorlesungen halten könnte, weil mich die Menschen als Professor schätzten. Und so unterrichteten wir auf den Marktplätzen.

All das war nicht nur Teil der Kampagne, sondern auch Teil des Kulturkampfes, den wir führen, und der uns zur Präsidentschaft gebracht hatte. Wir sollten die Kraft der Ideen niemals unterschätzen, sondern müssen die Ideen der Freiheit mit Leidenschaft verteidigen, denn wir glauben zu Recht an diese Ideen. Sie funktionieren. Die Politkaste hat uns in den ersten Monaten unserer Präsidentschaft zu blockieren versucht. Sie hat für keines unserer Gesetze gestimmt. Doch trotz aller Hindernisse, aller Destabilisierungsversuche, aller Angriffe auf uns, kommen wir voran. Wir bringen die Inflation unter Kontrolle und die Wirtschaftstätigkeit erholt sich. Gerade ist das Ley Bases endgültig angenommen worden. Die größte Strukturreform Argentiniens. Fünfmal so groß wie die Staatsreform unter Präsident Carlos Menem.

Das heißt, die Ideen der Freiheit sind so stark, dass sogar die ganze politische Kaste, die Mehrheit der argentinischen Politik, die alle gegen uns sind, die versuchen, unser Reformprogramm zu verhindern, und die im Laufe der Geschichte verschiedene Regierungen zu Fall gebracht haben, sie nicht aufhalten können. Wir siegen dank der Ideen der Freiheit.

Doch das ist nicht alles. Die Kraft der Ideen der Freiheit ist so groß, dass der als Nachbarschaftsphänomen verlachte Erfolg längst weltweit für Aufsehen sorgt. Der Kulturkampf ist längst global geworden. Überall erlangen wir Aufmerksamkeit, halten Reden und bekommen Preise, wie jüngst in Hamburg die Hayek-Medaille von der deutschen Hayek-Gesellschaft.

Dass jetzt ein Buch von Philipp Bagus mit dem Titel Die Ära Milei in deutscher Sprache erscheint, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der Kulturkampf global geworden ist. Es ist eine Anerkennung für unsere gemeinsame Arbeit im Kampf für die Ideen der Freiheit.

¡Viva la libertad, carajo!

Javier Milei, am 28.06.2024

I Wer ist Javier Milei?

Der Himmel ist grau. Es ist recht kalt für die Jahreszeit in Madrid, als ich am 19. Januar 2024 die Paketabholstation betrete. An der Kioskkasse wartend, höre ich eine vertraute Stimme. Hinter der Theke ertönt die Stimme des argentinischen Präsidenten Javier Milei. Die Frau an der Kioskkasse hört YouTube-Videos von Javier Milei, während sie auf Kundschaft wartet und kassiert. In dem Video geht es um die Wiederherstellung von Recht und Ordnung in Argentinien.

Als ich an der Reihe bin, frage ich, ob sie gerade Milei höre. Ich bin nicht zum ersten Mal bei ihr, um Paketsendungen abzuholen. Die Frau, wahrscheinlich die Eigentümerin, ist eine kleine untersetzte Südamerikanerin. Indigen. Über 60. Etwas mürrisch und lustlos. Spröde im Umgang.

Als sie den Namen Milei vernimmt, verändert sich ihr Gesicht. Zum ersten Mal sehe ich sie lächeln. »Ja, er gefällt mir«, antwortet sie. Ich halte ihr mein Handy vor die Nase, mit einem Selfie von mir mit Milei. Wieder verändert sich ihr Gesicht. So muss pures Staunen aussehen. Sie schaut mich an, als sei ich ein Wesen von einem anderen Planeten.

Aus meiner Sicht ist es kein Wunder, dass ich Javier Milei kenne. Schließlich ist die Anzahl der Anhänger der Österreichischen Schule, einer Denkschule der Ökonomie, der wir beide angehören, sehr überschaubar. Auch unter den hispanischen Anhängern der Österreichischen Schule kennt man sich.

Für mich ist es vielmehr ein Wunder, dass sich auch jemand wie diese Frau mit diesen Themen beschäftigt – zumindest am Rande. Eine indigene, ältere Frau, über deren Bildungsniveau ich nur spekulieren kann, die aber wahrscheinlich nie eine Universität von innen gesehen hat, führt sich YouTube-Videos von Javier Milei zu Gemüte, in denen er über die Österreichische Schule, Mises, Hayek, den Libertarismus und den Anarchokapitalismus spricht. Eigentlich Themen, die ich für nicht massentauglich hielt.

Ich frage neugierig, warum ihr denn Milei gefalle. Sie nennt zwei Gründe. Milei sei nah an den Menschen. Und er kümmere sich um die Belange der Armen.

Ich will wissen, ob sie Argentinierin sei. Ihr Akzent und Aussehen deuten eigentlich nicht darauf hin. Sie sei aus Bolivien, sagt sie. Eigentlich könnten die Bolivianer die Argentinier nicht sonderlich leiden. Argentinien hätte Bolivien in einem Krieg Land geraubt. Aber den Milei, den würde sie trotzdem mögen.

Ungläubig verabschiede ich mich. Von jetzt an wird sie mir immer ein Lächeln schenken.

Das Phänomen Javier Milei ist noch größer und bedeutender als gedacht. In einem kleinen Kiosk in einem Vorort von Madrid lauscht eine indigene, aus bescheidenen Verhältnissen stammende Bolivianerin den Worten von Javier Milei über die Ideen der Freiheit. Milei ist dabei, den Kulturkampf zu gewinnen.

Sein kometenhafter Aufstieg zum argentinischen Präsidenten und Hoffnungsträger einer globalen Politikwende ist das faszinierendste politische Ereignis der jüngeren Geschichte. Einer der unglaublichsten und spektakulärsten Politikerfolge überhaupt. Ein Anarchokapitalist als Präsident eines Landes. Wie ist das möglich?

Milei kam aus dem Nichts. Ja, er hatte sich in Argentinien einen Namen gemacht als streitlustiger, unterhaltsamer, teilweise unflätig schimpfender Talkshowgast. Aber er ging als Quereinsteiger in die Politik. 2021. Ohne Struktur. Ohne Partei. Von Null. Und wird im peronistischen Argentinien, einem jahrzehntelang vom Sozialismus geprägtem Land, der erste liberal-libertäre Präsident der Welt.

Im Wahlkampf hielt er Vorlesungen über Ökonomie auf Marktplätzen. Er verschob die Koordinaten der öffentlichen Debatte, dominierte den Wahlkampf, brachte Freiheit, Abschaffung der Zentralbank und radikale Reformen in den öffentlichen Diskurs.

Milei ist nicht der erste liberale Reformer. In Deutschland reformierte Gerhard Schröder erfolgreich den Arbeitsmarkt mit seiner Agenda 2010. Aber Schröder tat dies nicht, um ein Wahlversprechen einzulösen. Er tat es, weil er nicht anders konnte. Die libertären Reformen eines Ludwig Erhard, die Währungsreform und die Einführung der Marktwirtschaft waren eine Schocktherapie. Aber Erhard hatte dafür nicht in einem Wahlkampf Werbung gemacht, sondern die Gunst der Stunde genutzt, um das durchzusetzen, was er für richtig hielt. Zum Glück für Deutschland.

Das Erstaunliche ist daher nicht so sehr, dass Milei noch radikalere Reformen als Erhard vorschlägt. Das Einzigartige ist, dass er diese Reformen im Wahlkampf angekündigt hat und dafür gewählt wurde.

Das Phänomen Milei wirft bedeutsame Fragen auf. Wie konnte ein Außenseiter aus dem Nichts der erste liberal-libertäre Präsident der Geschichte werden, mit einer radikalen libertären Staatskritik? Nüchtern betrachtet, ist das ein Wunder.

Und was sind genau Mileis Ideen? Was ist der Libertarismus, inwieweit unterscheidet er sich von anderen liberalen Strömungen? Und was genau ist der Anarchokapitalismus, zu dem sich Milei bekennt? Außerdem, was ist unter dem von Milei so oft beschworenen Kulturkampf zu verstehen, der in Lateinamerika in aller Munde ist?

Javier Milei schickt sich an, den Kampf um die besseren Ideen in alle Welt zu tragen. Seine fulminante Rede vor der versammelten Politik- und Unternehmerelite auf dem World Economic Forum (WEF) in Davos im Januar 2024, sein gefeierter Auftritt auf der Conservative Political Action Conference (CPAC) in den USA im Februar und sein Konterfei auf dem Cover des TIME Magazine im Mai werfen weitere Fragen auf. Wird das Phänomen Milei global? Formt sich ein neues globales Bündnis gegen die woke, linke Leitkultur? Ein Bündnis für Wahrheit und Freiheit?

Die Linken schalten in den Panikmodus. Sie haben existenzielle Angst, dass Milei mit seiner Politik erfolgreich ist. Sie versuchen alles, um einen Erfolg Mileis zu verhindern. Kommt es zu einer Trendwende in einer Welt, die in den vergangenen Jahrzehnten immer schneller nach links in den Etatismus abgedriftet ist? Befinden wir uns inmitten einer liberalen Revolution?

Und was lässt sich aus dem Phänomen Milei für Deutschland lernen? Inwieweit lässt sich Mileis so erfolgreiche Strategie kopieren, weltweit, aber vor allem in Deutschland? Wie lässt sich eine Politikwende gestalten, mit libertären Ideen, mit den besseren Ideen? Milei hat gezeigt, dass eine solche Wende machbar ist. Die Zeit ist reif. Es lebe die Freiheit. ¡Viva la libertad, carajo!

1. Familiäres Umfeld und Lebensweg

Javier Gerardo Milei

Javier Gerardo Milei erblickt am 22. Oktober 1970 im Stadtteil Palermo von Buenos Aires das Licht der Welt.1 Seine Schwester Karina folgt ihm zwei Jahre später. Ihre Eltern gehören zur Mittelschicht. Vater Norberto Horacio ist Busfahrer, die Mutter Alicia Luján Lucich unterstützt und ist Hausfrau. Oft arbeiten sie an Feiertagen, vermitteln ihren Kindern den Wert von harter Arbeit, Anstrengung und Sparsamkeit. Vater Norberto steigt auf, kauft einen eigenen ersten Bus. Als Karina geboren wird, kauft er den zweiten und wird erfolgreicher Unternehmer.

Seine erste große Inflation erlebt Milei 1982. Die Inflation schüttelt die Lebensverhältnisse durcheinander. Menschen, die heute reich sind, sind morgen verarmt und umgekehrt; insgesamt werden alle ärmer. Dem aufmerksamen Jungen wird schnell klar: Dollar, Inflation, Wirtschaft beeinflussen den Lebensstandard. Und um die Zusammenhänge zu verstehen, muss man wissen, wie die Ökonomie funktioniert. Im zarten Alter von 11 Jahren beschließt Javier daher, Ökonomie zu studieren. Politik interessiert ihn hingegen nicht.

In seiner Jugend ist Milei Torwart, spielt von 1983 bis 1989 für den Club Atlético Chacarita Juniors.2 Die Mannschaft steigt bis in die vierte Liga auf. Milei schafft es in den Profikader. Schwester Karina erzählt von einem stimmungsgeladenen Finale. Als Gasttorwart wird Milei gnadenlos ausgepfiffen und beschimpft. Aber Nervosität ist ihm ein Fremdwort. Bis heute bleibt er in den schwierigsten Situationen gelassen. Auf dem Spielfeld scheint es, als sporne ihn die feindliche Atmosphäre besonders an. Er macht eines seiner besten Spiele. Nach dem gewonnenen Finale braucht er Geleitschutz gegen die wütende Menge.

Ein Torwart ist besonders, er ist anders als die anderen Spieler. Er darf die Hände benutzen, macht sein eigenes Training, feiert die Tore allein, wird hinter seinem Rücken beleidigt und trägt besondere Verantwortung. Denn versagen einem Stürmer die Nerven, fällt kein Tor und das war es dann. Versagt ein Torwart, dann klingelt es direkt. Milei übernimmt gerne die Verantwortung. Er möchte immer der Beste sein. Und je mehr sie ihn angreifen, desto stärker wird er.

Auch als Sänger der Band Everest übernimmt Milei Verantwortung. Sie spielen bei Auftritten vor allem Lieder der Rolling Stones, aber auch eigene Kompositionen. Mileis Vorbild ist Mick Jagger. In der Jugend imitiert er gerne Jaggers Tanzkünste. Lederjacke und wilde Haare passen noch heute zum Auftreten eines Rockstars. Seine musikalische Leidenschaft hat sich entwickelt. Heute gefällt ihm besonders die Oper, vor allem die italienische Oper. Bellini und Donizetti haben es ihm angetan.

Im Jahr 1988 schreibt sich Milei an der Universität von Belgrano ein, um Ökonomie zu studieren. Zunächst bringt er Studium und Fußball unter einen Hut. Er trainiert sechs Stunden am Tag. Als Milei im Juni 1989 während der Hyperinflation unter Präsident Raúl Alfonsín mit seiner Mutter einkaufen geht, sieht er, wie die Verkäuferinnen höhere Preise auszeichnen. Die Leute stürzen sich trotzdem auf die Waren. Höhere Preise, trotzdem höhere Nachfrage? Das passt so gar nicht zu dem, was Milei im Studium hört. Irgendetwas stimmt dort nicht. Milei beschließt, die Torwarthandschuhe an den Nagel zu hängen, um sich intensiver seinem Ökonomiestudium zu widmen. Mit 20 Jahren veröffentlicht er seinen ersten Artikel zu einem Thema, das ihn bis heute nicht loslässt: Hyperinflation.

Im Studium bekommt Milei es mit der Neoklassik zu tun. Angebots- und Nachfragekurven. Gleichgewichtsanalysen. Politisch ordnet sich Milei zu dieser Zeit links der Mitte ein. Er ist Postkeynesianer; er glaubt, die Inflation sei multikausal zu erklären, der Staat müsse die Wirtschaft regulieren und die Zentralbank eine wichtige Rolle in der Wirtschaft spielen.

Er gibt seinen Kommilitonen bezahlten Nachhilfeunterricht. Im Jahr 1993 schließt er sein Studium mit einer der besten Abschlussnoten seines Jahrgangs ab. Sein Schnitt ist 9,43 von 10. Nach seinem Ökonomiestudium an der Universität von Belgrano belegt er einen Master in Wirtschaftstheorie am IDES (Instituto de Desarrollo Económico y Social). Er verdingt sich als Assistenzprofessor und ab dem Jahr 2000 lehrt er Mikroökonomik, Makroökonomik, Wachstumstheorie, Geldtheorie, Finanzwirtschaft und Mathematik für Wirtschaftswissenschaftler an der Universidad de Buenos Aires und an der Universidad Argentina de la Empresa. Zudem übernimmt er Beraterjobs, arbeitet als Ökonom für HSBC und Administradoras de Fondos de Jubilaciones y Pensiones (AFJP), Fondsgesellschaften im argentinischen Rentensystem. Dann wird Milei Chefökonom bei Estudio Broda, einer Unternehmensberatung.

Als Milei seinen zweiten Master in Ökonomie an der Universidad Torcuota di Tella macht, schwört er dem Keynesianismus ab. Milei wird orthodoxer Neoklassiker. Er ist ein technischer Ökonom, mathematisch gewandt. Ihn fasziniert die Real Business Cycle Theory und die zugrundeliegende Mathematik.3 Als Chefökonom von Broda schreibt er akademische Papiere. Heute wird ihm nach eigenen Aussagen schwindelig, wenn er daran denkt, wie er damals über reale Wechselkurse oder Fiskalpolitik dachte.

Seine berufliche Entwicklung ist das eine. Doch was für ein Mensch ist Javier Milei? Zunächst ist er ein begeisterter Ökonom. Das ist auch das einzige Wort in seinem Twitterprofil. Noch heute als argentinischer Präsident steht dort »Economista«. Mileis Leidenschaft ist es, die Grundlagen der Ökonomie zu verbreiten. Ökonomie zu lesen und zu studieren, das macht ihn glücklich, es ist geradezu seine Obsession.

Milei ist ein Tierfreund, ein Hundefreund. Die Liebe seines Lebens ist nach eigenen Aussagen: Conan. Ein englischer Mastiff, den er adoptiert. Als er einmal seinen Job verliert, bleibt ihm nur das Geld der Abfindung. Vorrang hat für ihn, dass es Conan gut geht. Am Futter für den Mastiff wird daher nicht gespart, während Milei von einer Pizza am Tag lebt. Er vernachlässigt sich und wiegt schließlich 120 Kilo. Er ist unten angekommen, nur Conan und Schwester Karina halten bedingungslos zu ihm. Doch dank der Zuneigung Conans und seiner Leidenschaft für die Ökonomie ist er glücklich. Denn er kann schreiben. Dann geht es mit seiner Karriere wieder aufwärts.

Er bekommt eine neue Anstellung bei Corporación América, einem Unternehmen von Eduardo Eurnekian, einem der reichsten Unternehmer Argentiniens. Von dort gelingt ihm der Sprung in die Medien. Ab 2012 schreibt er Kolumnen in Zeitungen. Im Jahr 2014 beginnt sein kometenhafter Aufstieg in den Medien. In diesem Jahr veröffentlicht er mit Diego Giacomini und Federico Ferrelli sein erstes Buch für ein breites Publikum mit dem Titel Politica Económica Contrarreloj (Wirtschaftspolitik im Wettlauf mit der Zeit). Sein erster noch schüchterner Auftritt im Fernsehen datiert auf den 28. April 2015. Milei ist noch völlig unbekannt. Doch seine Fernsehkarriere nimmt Fahrt auf. Er streitet und verteidigt die Ideen der Freiheit, lässt sich nicht unterkriegen. Wenn jemand keine Ahnung hat, sagt er gerade heraus: »Esel«. Milei hat Unterhaltungswert. Seine Auftritte erzielen hohe Einschaltquoten. Schon 2018 kommt er auf der Liste der 100 einflussreichsten Argentinier auf Platz 43. Mit riesigem Abstand ist er der am meisten interviewte Volkswirt im argentinischen Fernsehen und ein Star in den Sozialen Netzwerken. Milei wird zum unwiderstehlichen Medienprodukt.

Auch intellektuell entwickelt Milei sich weiter. Im Zuge der Finanzkrise 2008 liest er erneut die Ökonomen John Maynard Keynes und Milton Friedman. Er intensiviert sein Interesse an der Wachstumstheorie, liest Adam Smith, Paul Romer, Robert Lucas, Robert Solow, Robert Barro, Xavier Sala i Martín, Phillippe Aghion und Peter Howitt. Doch gänzlich befriedigen kann ihn diese Lektüre nicht. Die Monopoltheorie der Neoklassik impliziert, Großunternehmen seien schlecht. Dabei waren es Großunternehmen, die in der industriellen Revolution durch ihre Massenproduktion Millionen von Menschen aus der Armut gehoben haben. Milei ist frustriert. Er hatte als Post-Keynesianer begonnen, war dann Neokeynesianer und Neoklassiker geworden und hatte sich auf die Theorie des Wirtschaftswachstums spezialisiert.4 Doch dann fällt ihm ein Artikel von Murray Rothbard in die Hände, ins Spanische übersetzt von Alberto Benegas Lynch (Sr.).5 Es ist ein Kapitel aus Murray Rothbards Abhandlung Man, Economy and State. Er verschlingt die 140 Seiten in drei Stunden. Danach ist die Welt für Milei eine andere. Er sagt zu sich, »alles, was ich die letzten 20 Jahre über Markstruktur gelehrt habe, ist falsch.« Man, Economy and State ist seiner Meinung nach eines der wundervollsten Werke überhaupt.

Milei ist elektrisiert. Er plündert sein Bankkonto und fährt zu Unión Editorial, einem Verlag, der auf Bücher der Österreichischen Schule spezialisiert ist. Er erwirbt auf einen Schlag 20 Bücher. Er verschlingt alles, was »österreichisch« ist und wird Ökonom der Österreichischen Schule. Das ist 2014. Es ist die Zeit, in der er mit seinem Buch Política Económica Contrarreloj bekannt wird.

Als eines seiner ersten Bücher liest er Ludwig von Mises Human Action. Daraufhin bestellt er alle bei Unión Editorial erhältlichen Bücher von Mises, den er heute für den bedeutendsten Ökonomen der Geschichte hält. Er liest Human Action dreimal. Für Milei ist das Werk eines der wundervollsten Bücher überhaupt.6 Dann kommen die Bücher von Friedrich A. von Hayek an die Reihe. Nach Rothbards Man, Economy and State verschlingt er Power & Market. Die Lektüre von Rothbard macht ihn zum Anarchokapitalisten. Er entdeckt Henry Hazlitts Buch Economics in one Lesson. Ein Kunstwerk. Er liest Carl Menger, Miguel A. Bastos und Jesús Huerta de Soto. Ein Radiozuhörer legt ihm Huerta de Sotos YouTube-Vorlesungen ans Herz. Milei wird ein großer Bewunderer.

Seine Bewunderung für Jesús Huerta de Soto ist in einem viral gegangenen YouTube-Kurzvideo zu sehen. In diesem Video aus dem Jahr 2021 überraschte Huerta de Soto Milei im Rahmen eines Zoom-Meetings. Milei kann sich vor Glück und Bewunderung kaum halten und ruft immer wieder »Profesor«. Das Ganze spielte sich während meines Seminars im Rahmen unseres Masterprogramms zur Ökonomie der Österreichischen Schule an der Universidad Rey Juan Carlos ab, an der auch Huerta de Soto Professor für Wirtschaftspolitik ist. Milei war als Gastredner eingeladen und erzählte uns, warum er in die Politik gegangen war. Das Video des Seminars ist auch auf YouTube verfügbar. Milei erwähnt sowohl dieses Seminar als auch die YouTube-Vorlesungen Huerta de Sotos in seinem Beitrag für die von David Howden und mir herausgegebene Festschrift für Professor Huerta de Soto (Milei 2023). Im Oktober 2022 traf ich dann Milei zum ersten Mal persönlich. Wir speisten mit Karina zusammen in seinem Hotel in Madrid. Spätestens seit seinem Sieg bei den Vorwahlen am 13. August 2023 stehen wir regelmäßig in telefonischem Kontakt, der manchmal auch der Übermittlung von Nachrichten zwischen Milei und Huerta de Soto dient. Im Februar 2024 organisierte ich zusammen mit Bernardo Ferrero ein Interview von Milei in Rom mit Mediaset und überbrachte ihm auf Wunsch von Huerta de Soto Bücher von Mises und Hayek, damit er sie dem Papst überreiche, was Milei auch tat. Wiederholt hat Javier Milei auf X und auch in einer Rede bei der Fundación de la Libertad am 25. April 2024 mein Buch In Defense of Deflation empfohlen, woraufhin ich mehrere Interviews im argentinischen Radio und Fernsehen gegeben habe. Dadurch konnte ich auch den Kontakt zwischen Milei und der Hayek-Gesellschaft vermitteln, die die Hayek-Medaille unter großer medialer Beachtung an Milei am 22. Juni 2024 in Hamburg verlieh.

Durch die Lektüre der Österreichischen Werke wird Milei liberal-libertär. Mit der Österreichischen Schule findet er, was er gesucht und gebraucht hat. Die Seele der Ökonomie. Die Freiheit. Es gibt Gesellschaftsmodelle, die allen Menschen Essen, Unterkunft und Freizeit garantieren, aber diese Dinge gibt es auch im Gefängnis, sagt Milei. Er liebt die Freiheit. Lieber Freiheit mit Risiko als eine ruhige Zeit als Sklave.

Und wie ist der Mensch Milei sonst? Milei ist ein Workaholic. Er geht in seiner Arbeit auf. Zugleich ist er lebensfroh und optimistisch. Leben bedeutet für ihn Freude ohne Ende. Es gibt aber auch nicht so angenehme Momente. Aus denen gilt es, etwas zu lernen. Milei ist dem Leben und Gott dankbar. Hätte er noch einen Tag zu leben, würde er ihn mit seiner Schwester Karina, seinem Neffen Aaron und seinen Hunden verbringen, mit Conan, Murray, Milton, Robert und Lucas.7 Die letzteren vier sind nach den Ökonomen Murray Rothbard, Milton Friedman und Robert Lucas benannt. Und wenn er dann noch Zeit hätte, an diesem letzten Tag seines Lebens, dann würde er ein Buch über Ökonomie lesen. Das ist das Wichtigste in seinem Leben. Für nichts anderes lohnt es sich zu leben.

Quereinsteiger

Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.

Mahatma Gandhi