Die Auslese - Nichts vergessen und nie vergeben - Joelle Charbonneau - E-Book

Die Auslese - Nichts vergessen und nie vergeben E-Book

Joelle Charbonneau

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Beschreibung

Sie allein kennt die Wahrheit über die Auslese

Cia Vale ist gemeinsam mit ihrem Freund Tomas an der Akademie von Tosu City aufgenommen worden. Und obwohl die Regierung ihnen ein Medikament verabreicht hat, das alle Erinnerungen an das brutale Auswahlverfahren der »Auslese« löschen soll, hat Cia nichts vergessen – weder die schrecklichen Todesfälle noch ihre Liebe zu Tomas.

Ab sofort kennt sie nur noch ein Ziel: die »Auslese« zu beenden, indem sie dafür sorgt, dass die ganze Welt die grausame Wahrheit erfährt. Doch damit bringt Cia nicht nur sich selbst, sondern auch alle, die sie liebt, in größte Gefahr ...

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Joelle Charbonneau

Nichts vergessen und nie vergeben

Roman

Deutsch von Marianne Schmidt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel»Independent Study« bei Houghton Mifflin Books, Boston.

Copyright © der Originalausgabe 2014by Joelle Charbonneau

Published by special arrangementwith Houghton Mifflin Harcourt Publishing Company

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015by Penhaligon Verlag in der VerlagsgruppeRandom House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: © Isabelle Hirtz, Inkcraft, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Evgenii Bobrov; SmartMark)

Redaktion: Werner Bauer

Lektorat: Holger Kappel

Herstellung: Sabine Müller

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-12332-1V003www.penhaligon.de

Für Casey und Michael

Kapitel 1

Heute ist der Tag der Prüfung.

Ich schiebe den kühlen Stoff meines Oberteils über die fünf langen, gezackten Narben auf meinem Oberarm und betrachte mich im Spiegel. Eine blaue Tunika mit langen Ärmeln, eine graue Hose, ein silbernes Armband mit einem einzigen Stern. Dieser Stern und die dunklen Ringe der Müdigkeit unter meinen Augen sind es, die mich als Studentin in der Eingangsphase der Universität kennzeichnen. Auch bei meinen neunzehn Kommilitonen sehe ich ähnliche Anzeichen dafür, dass sie bis spät in die Nacht hinein für den heutigen Tag gelernt haben. Sechs Monate lang haben wir die gleichen Vorbereitungskurse besucht, und heute werden wir nun geprüft und den Studienfächern zugeordnet, die für den Rest unseres Lebens im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen werden.

Meine Brust fühlt sich eng an. Früher habe ich mich immer auf Tests gefreut. Ich mochte die Gelegenheit zeigen zu können, was ich mir angeeignet hatte. Zu beweisen, dass ich hart gearbeitet hatte. Andere wissen zu lassen, dass ich klug bin. Nun bin ich mir nicht mehr sicher, was richtig ist oder wie die Konsequenzen für falsche Antworten aussehen werden. Während sich die anderen Kursteilnehmer darüber Gedanken machen, welche Auswirkungen die Prüfungen auf die vor ihnen liegenden Jahre haben werden, mache ich mir Sorgen, dass ich den heutigen Tag nicht überlebe.

Normalerweise schlinge ich meine Haare zu einem dicken, dunklen Knoten zusammen, damit sie mir nicht ins Gesicht fallen. Heute jedoch entscheide ich mich dafür, sie offen zu tragen. Vielleicht lassen sich hinter den dunklen Locken die Spuren der letzten schlaflosen Monate verbergen. Wenn nicht, hilft es vielleicht, mir kalte Kompressen auf die Augen zu legen, wie meine Mutter es mir beigebracht hat.

Beim Gedanken an meine Mutter durchströmt mich eine Woge von Sehnsucht. Der Kontakt zwischen Universitätsstudenten und ihren Familien ist zwar nicht ausdrücklich verboten, wird aber auch nicht gefördert. Die meisten Studenten, die ich kenne, haben bisher kein einziges Wort von ihren Lieben zu Hause gehört. Ich dagegen hatte Glück. Einer der Offiziellen aus Tosu-Stadt war bereit gewesen, kurze Nachrichten zwischen mir, meinen Eltern und meinen vier älteren Brüdern zu überbringen. Es geht ihnen gut. Mein Vater und mein ältester Bruder, Zeen, arbeiten an einem Düngemittel, um das Wachstum von Pflanzen zu beschleunigen. Mein zweitältester Bruder, Hamin, hat sich verlobt. Er und seine zukünftige Frau werden im nächsten Frühling heiraten. Seine Entscheidung hat unsere Mutter dazu bewegt, auch für Zeen und meine Zwillingsbrüder, Hart und Win, nach Ehefrauen Ausschau zu halten. Bislang waren all ihre Bemühungen jedoch vergebens.

Außer meiner Familie ist es noch jemandem gelungen, mir Briefe zukommen zu lassen. Meine beste Freundin Daileen hat mir versichert, dass sie eifrig lerne und im Augenblick Klassenbeste sei. Ihre Lehrerin habe angedeutet, sie könne dieses Jahr vielleicht für die Auslese ausgewählt werden. Daileen wünscht sich sehr, zu mir nach Tosu-Stadt zu kommen. Ich hingegen hoffe, dass sie bei den Prüfungen versagt. Ich wünsche mir, dass sie an einem Ort bleibt, an dem die Antworten auf Fragen einen Sinn ergeben und an dem ich sie in Sicherheit weiß.

Ein Klopfen an der Tür lässt mich zusammenzucken. »Hey, Cia, bist du so weit? Wir wollen doch nicht zu spät kommen.« Stacia hat recht. Wer nicht pünktlich da ist, wird zur Prüfung gar nicht erst zugelassen. Was das für die Zukunft bedeutet, wissen wir zwar nicht, aber wir legen auch beide keinen großen Wert darauf, es herauszufinden.

»Noch eine Minute«, rufe ich, während ich mich neben das Fußende meines Bettes knie und die Hand zwischen den Bettrahmen und die Matratze schiebe. Suchend tasten meine Finger herum, bis sie auf eine ausgebeulte Stelle stoßen. Ich atme erleichtert auf. Der Transit-Kommunikator meines Bruders Zeen ist noch immer dort versteckt und mit ihm die Geheimnisse, die er in sich birgt.

Vor einigen Monaten habe ich das Symbol entdeckt, das ich in das kleine Gerät geritzt hatte, damit ich die Rekorderfunktion und die geheimen Aufnahmen wiederfinde. Ich hörte mir den vertraulichen Bericht an, konnte mich aber nicht daran erinnern, diese Worte gesprochen zu haben. Schließlich schnitt ich meine Matratze auf und versteckte den Kommunikator darin. Woche für Woche, Monat für Monat versuchte ich, mir einzureden, dass das, was ich gehört hatte, nicht wahr wäre. Sah ich denn nicht jeden Tag, dass meine Mitstudenten anständige Menschen sind? Dass die Professoren und die Angestellten in der Verwaltung, die uns auf die Zukunft vorbereiten, wollen, dass wir erfolgreich sind? Einige von ihnen geben sich reserviert, andere treten arrogant auf. Keiner der Studenten oder der Lehrkräfte ist perfekt, aber wer ist das schon? Trotz ihrer Schwächen will ich einfach nicht glauben, dass auch nur einer von ihnen der geflüsterten, manchmal kaum zu verstehenden Dinge fähig ist, die auf dem Kommunikator aufgezeichnet sind.

»Cia.« Stacia reißt mich aus meinen Gedanken. »Wir müssen wirklich los.«

»Stimmt. Entschuldige.« Ich schlüpfe in meinen Mantel, hänge mir meine Unitasche über die Schulter und verdränge die Fragen, die die Vergangenheit aufwirft. Sie werden warten müssen. Jetzt muss ich mich erst mal auf meine Zukunft konzentrieren.

Stacia runzelt die Stirn, als ich auf den Flur trete. Ihr dunkelblondes, glattes Haar ist zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, sodass ihre kantigen Gesichtszüge noch deutlicher als sonst hervortreten. »Was hast du denn so lange herumgetrödelt? Wir werden die Letzten sein.«

»Was alle anderen nervös machen wird«, ergänze ich spöttisch. »Sie werden sich fragen, ob wir es nicht nötig haben, früh genug da zu sein, um unsere Aufzeichnungen mit denen der anderen zu vergleichen.«

Stacias Augen werden schmal, während sie nickt. »Du hast recht. Ich liebe es, die Konkurrenz auf solche Weise einzuschüchtern.«

Ich hasse es. Meine Eltern haben mich gelehrt, immer und überall mit fairen Mitteln zu kämpfen.

Stacia aber bemerkt mein Unbehagen nicht. Unser Weg führt uns an gesunden Bäumen, üppigem Rasen und etlichen Gebäuden der Universität vorbei. Allerdings würde Stacia auch dann nichts sagen, wenn sie etwas von meinen Gefühlen mitbekommen hätte. Sie kann mit typischen Mädchengesprächen oder belanglosem Geplauder nichts anfangen. Zuerst habe ich mich von ihrer Schweigsamkeit angestachelt gefühlt und versucht, sie aus der Reserve zu locken, wie ich es bei meiner besten Freundin daheim in Five Lakes zu tun pflegte. Heute jedoch kreisen so viele Fragen in meinem Kopf, dass ich froh über ihre wortlose Begleitung bin.

Im Vorübergehen winke ich einigen älteren Studenten zu. Wie immer ignorieren sie uns. Nach dem heutigen Tag werden die älteren Kommilitonen, die das Gleiche wie wir studieren, für unsere Einweisung zuständig sein. Bis dahin tun sie so, als würden wir gar nicht existieren. Die meisten meiner Klassenkameraden sind dazu übergegangen, ihnen ebenfalls keinerlei Beachtung mehr zu schenken, aber ich kann das nicht. Meine Erziehung verbietet es mir, so unhöflich anderen gegenüber zu sein.

»Ha. Hätte ich mir denken können, dass er auf uns wartet.« Stacia verdreht die Augen und lacht. »Ich würde das ganze Kompensationsgeld, das meine Familie für mich bekommen hat, darauf verwetten, dass er auch während der Auslese ständig um dich herumgeschwirrt ist. Zu dumm, dass ich nie erfahren werde, ob ich diese Wette gewinnen würde.«

Mein Herz macht einen Satz, als ich Tomas Endress entdecke, der in der Nähe der Vordertür des vierstöckigen Gebäudes aus roten und weißen Backsteinen steht, in dem die Vorbereitungskurse stattgefunden haben. Der leichte Wind des Spätwinters weht seine Haare in alle Richtungen. Tomas hat sich seine Unitasche lässig über die Schulter gehängt. Seine grauen Augen und das Lächeln, das Grübchen in seine Wangen zaubert, ruhen auf mir, und winkend kommt er uns die Treppe hinunter entgegen. Tomas und ich kennen uns schon unser ganzes Leben lang, aber die letzten Monate haben uns enger zusammenwachsen lassen, als wir es uns zu Hause hätten träumen lassen. Mit Tomas an meiner Seite fühle ich mich klüger. Selbstbewusster. Und habe gleichzeitig entsetzliche Angst davor, dass alles, was ich über ihn zu wissen glaube und was ich an ihm bewundere, in Wahrheit eine Lüge ist.

Stacia rollt mit den Augen, als Tomas mir einen Kuss auf die Wange gibt und seine Finger mit meinen verschränkt. »Ich habe schon angefangen, mir deinetwegen Sorgen zu machen. Die Prüfung beginnt in zehn Minuten.«

»Cia und ich hatten nicht das Bedürfnis, früher herzukommen und uns wie alle anderen verrückt zu machen. Wir sind gut vorbereitet. Nicht wahr, Cia?« Stacia schiebt sich ungeduldig ihren blonden Pferdeschwanz über die Schulter zurück und wirft mir ein Lächeln zu, was bei ihr selten genug vorkommt.

»Stimmt«, sage ich und klinge dabei überzeugter, als ich es eigentlich bin. Ja, ich habe hart für diese Prüfung gearbeitet, aber die geflüsterten Worte auf dem Transit-Kommunikator lassen mich daran zweifeln, dass ich jemals wirklich auf das vorbereitet sein kann, was nun vor uns liegt.

Nicht zum ersten Mal wünsche ich mir, mein Vater wäre hier und ich könnte mit ihm sprechen. Vor annähernd dreißig Jahren hat er selbst die Universität besucht. Während ich aufwuchs, hatte ich Hunderte von Fragen über seine Zeit hier. Nur selten habe ich von ihm Antworten bekommen. Damals hatte ich geglaubt, dass er mit seiner Zurückhaltung meinen Brüdern und mir den Druck nehmen wollte, unbedingt in seine Fußstapfen treten zu müssen. Nun kann ich nicht anders, als mich zu fragen, ob hinter seinem Schweigen nicht ein dunkles Geheimnis lauerte.

Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.

Gemeinsam gehen wir drei die Treppe hoch. Als wir an der Vordertür angekommen sind, bleibt Tomas stehen und fragt, ob er mich einen Augenblick allein sprechen könne. Stacia seufzt, warnt mich davor, zu spät zu kommen, und marschiert ohne uns hinein. Als sie außer Sicht ist, streicht Tomas mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schaut mir tief in die Augen. »Hast du letzte Nacht überhaupt ein Auge zugemacht?«

»Ja, zumindest für eine Weile.« Allerdings waren mit dem Schlaf auch die Albträume gekommen, die mir nach dem Aufwachen immer wieder sofort entglitten. »Keine Sorge. Als deine Lernpartnerin werde ich die Fragen schon beantworten können, egal, wie müde ich bin.« Während die anderen Studenten ihre Freizeit dazu genutzt hatten, sich zu entspannen oder Tosu-City, die Hauptstadt des Vereinigten Commonwealth, zu erkunden, hatten Tomas und ich jeden freien Augenblick darauf verwendet, uns mit unseren Büchern unter einen Baum zu setzen oder uns in die Bibliothek zurückzuziehen, wenn das kalte Wetter uns nach drinnen trieb. Die meisten unserer Klassenkameraden gingen davon aus, dass Tomas und ich nur so taten, als ob wir lernen würden, damit wir unbehelligt Zeit miteinander verbringen konnten. Sie ahnten nichts von meiner Angst vor dem, was geschehen könnte, wenn ich dieses Examen nicht bestehen sollte.

Tomas drückt meine Hand. »Alles wird einfacher, wenn wir erst mal unserem Studienbereich zugeordnet worden sind. Du bist eine heiße Kandidatin für den Maschinenbau.«

»Dann wollen wir mal hoffen, dass du recht behältst.« Ich lächle. »Ich würde zwar liebend gerne mit dir zusammenarbeiten, aber die Vorstellung, bei der Bio-Technologie zu landen, jagt mir eine Heidenangst ein.« Mein Vater und meine Brüder sind wahre Genies darin, Pflanzen dazu zu bringen, in der von den Kriegen verseuchten Erde zu wachsen und zu gedeihen. Die Erde zu revitalisieren ist eine wichtige Aufgabe, eine, die ich aufrichtig bewundere. Ich würde mich sogar liebend gerne selber daranwagen, wenn nicht jede Pflanze, die ich anfasse, irgendwann eingehen würde.

»Dann komm.« Tomas gibt mir einen federleichten Kuss auf den Mund und zieht mich zum Eingang. »Lass uns den anderen zeigen, wie clever wir Studenten aus Five Lakes sind.«

Der Flur im Gebäude für die Vorbereitungskurse ist dämmerig. Nur die Sonnenstrahlen, die durch die Glasscheiben der Vordertür fallen, zeigen uns den Weg. Tosu-Stadt hat strenge Gesetze, die die Nutzung von Elektrizität regeln. Obwohl die Bedingungen für Produktion und Speicherung von Elektrizität hier nicht ganz so schwierig sind wie in Five Lakes, werden alle zum Stromsparen angehalten. Tagsüber leitet die Universität den Strom nur in solche Labors oder Klassenräume, die zusätzliches Licht für den Unterricht brauchen. Nachts allerdings verfügt die Uni über ein größeres Stromkontingent als der Rest der Stadt.

Zu Ehren des heutigen Tages ist der Prüfungsraum hell erleuchtet. Im Schein der Deckenlampen ist die Anspannung, die sich in die Gesichter meiner Klassenkameraden gegraben hat, deutlich zu sehen. Die Prüflinge sitzen an ihren schwarzen Tischen, brüten über ihren Aufzeichnungen und hoffen darauf, sich in letzter Sekunde noch ein paar zusätzliche Fakten einzuprägen, die den Unterschied ausmachen könnten zwischen der Zukunft, die sie sich wünschen, und dem Weg, den die Professoren für sie bestimmen.

Der letzte Mitschüler kommt. Ich nehme an einem leeren Tisch weiter hinten Platz. Tomas lässt sich auf den freien Stuhl am Nachbartisch sinken. Ich stelle meine Tasche auf dem Boden ab und lasse die Blicke schweifen. Wir sind zwanzig Prüflinge: dreizehn Jungen, sieben Mädchen. Die zukünftigen Führungskräfte des Vereinigten Commonwealth.

Gerade will ich Tomas Glück wünschen, als Professor Lee eintritt. Er war während der letzten Monate unser Geschichtslehrer; während die meisten Hochschullehrer einen nüchternen Gesichtsausdruck aufsetzen, hat Professor Lee freundliche Augen und ein warmes Lächeln, was ihn zu meinem Lieblingslehrer macht. Heute trägt er statt seines ausgeblichenen braunen Jacketts, das er gewöhnlich bevorzugt, den zeremoniellen Jumpsuit des Vereinigten Commonwealth in Purpurrot. Stille breitet sich im Raum aus, während Professor Lee zwischen den Tischreihen auf und ab läuft. Auf jeden Tisch lässt er ein Arbeitsheft und einen gelben Bleistift fallen. Mit der Hand fahre ich über das Bild in einer Ecke des Schutzumschlags. Ein Blitz. Mein Symbol. Es war mir für die Auslese zugewiesen worden.

Professor Lee ermahnt uns, die Hefte nicht aufzuschlagen, bevor wir dazu aufgefordert werden. Das Prüfungsmaterial ist dick. Zu Hause in Five Lakes ist es schwerer, an Papier zu kommen, sodass wir nur selten welches benutzen und dafür sorgen, dass jede einzelne Seite recycelt wird, sobald wir sie nicht mehr brauchen. Hier in Tosu-Stadt ist das Lernen wichtiger als die Rationierung.

Meine Finger spielen mit dem Bleistift herum und rollen ihn auf der schwarzen Tischplatte vor mir hin und her. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass mich Tomas mit besorgter Miene beobachtet. Plötzlich bin ich in einem anderen Raum. Acht Schüler. Verschiedene männliche Offizielle in ihrem zeremoniellen Purpurrot. Acht schwarze Tische. Strahlend weiße Wände anstelle der grauen. Sechs Jungen. Nur zwei Mädchen befinden sich im Raum; eines davon bin ich. Tomas wirft mir den gleichen sorgenvollen Blick zu, als ich mit dem Bleistift herumspiele. Auch auf dem Heft vor mir sehe ich einen Blitz, doch dieses Mal ist er von einem achtstrahligen Stern eingefasst. Mein eigenes Kennzeichen im Herzen des Symbols meiner Gruppe für die Auslese.

Der Raum in meiner Erinnerung verschwindet, als Professor Lees tiefe Stimme verkündet: »Meinen Glückwunsch. Sie haben die Basisstudien abgeschlossen, die für jeden Studenten der Universität Pflichtprogramm sind. Der heutige Test und die Beurteilungen durch Ihre Professoren werden darüber entscheiden, auf welchem Studiengebiet Ihre Fähigkeiten am besten zum Einsatz kommen. Morgen wird eine Liste mit Ihren Ergebnissen aushängen, auf der auch die Studienfelder notiert sind, denen Sie dann zugewiesen worden sind: Erziehung, Bio-Technologie, Maschinenbau, Medizin oder Regierungspolitik. Alle fünf Gebiete sind wichtig, um die Revitalisierung unseres Landes voranzutreiben, um unsere Technologie zu verbessern und der Bevölkerung zu helfen. Obwohl jeder von Ihnen eine eigene Vorstellung von seiner Zukunft hat, bitten wir Sie, darauf zu vertrauen, dass wir Sie auf einen Karriereweg schicken, der unserem Land am besten dient. Versuchen Sie nicht zu erraten, welche Prüfungsfragen für ein bestimmtes Studienfach wichtig sind. Jeder Student, dessen Testergebnisse fragwürdig sind, hat das Examen nicht bestanden und wird von der Universität abgezogen.«

Professor Lee lässt den Blick durch den Raum schweifen, um sicherzustellen, dass allen die schwerwiegende Bedeutung seiner Worte klar geworden ist. In der Stille kann ich mein eigenes Herz pochen hören.

Schließlich fährt er fort: »Beantworten Sie jede Frage so gut, wie es Ihnen möglich ist. Machen Sie keine unnötigen Ausführungen. Wir wollen nicht nur herausfinden, wie viel Sie wissen, sondern auch, wie gut Sie die gestellten Fragen verstanden haben. Antworten, die über die eigentliche Frage hinausgehen, werden Ihr Testergebnis negativ beeinflussen.«

Ich schlucke mühsam und frage mich, um was für negative Konsequenzen es sich wohl handeln mochte. Geht es um eine schlechtere Note oder um weitaus mehr?

»Sie haben acht Stunden Zeit, um diese Prüfungsaufgaben zu bewältigen. Wenn Sie eine Pause brauchen, um zu essen, zu trinken oder auszutreten, heben Sie bitte Ihre Hand. Ein Offizieller der Universität wird Sie dann zum Pausenraum führen. Wenn Sie zu irgendeinem Zeitpunkt diesen Raum verlassen, ist es Ihnen nicht gestattet, aus dem Gebäude zu gehen oder sich mit einer anderen Person als Ihrer Begleitung zu unterhalten. Jeder Verstoß führt dazu, dass Sie bei dieser Prüfung durchgefallen sind und von der Universität abgezogen werden. Wenn Sie Ihre Prüfungsaufgaben bewältigt haben, heben Sie Ihr Heft. Ich werde es dann einsammeln und Sie bis zur Tür begleiten. Was Sie im Anschluss an das Examen tun, bleibt Ihnen überlassen.« Er wirft uns einen aufmunternden Blick zu, ehe er auf einen Knopf an der Wand hinter ihm drückt.

Ein kleiner Bildschirm senkt sich von der Decke herab, auf dem rote Ziffern zu sehen sind. Professor Lee drückt auf einen anderen Schalter und verkündet: »Die achtstündige Prüfungszeit beginnt jetzt.«

Die Zahlen laufen rückwärts und verraten uns, wie viel Zeit uns noch bleibt, um die Aufgaben zu lösen. Papier raschelt, als die Hefte aufgeschlagen werden. Bleistifte werden zur Hand genommen. Die Prüfung, die über unseren zukünftigen Lebensweg entscheidet, hat angefangen.

Bei der ersten Frage muss ich lächeln. Was ist der Mittelwertsatz? Führen Sie in Ihrer Erklärung die Formel und den Beweis an.

Mathematik. Darin bin ich gut. Ich beantworte rasch die Frage und schreibe die Formel und den Beweis hin. Kurz bin ich unschlüssig, ob ich auch noch erklären soll, wie sich der Satz auf Vektorfunktionen anwenden lässt oder wie er in der Integralrechnung benutzt wird. Doch dann denke ich an Professor Lees Anweisungen. Wir sollen nur die Informationen geben, nach denen verlangt wird. Nicht mehr und nicht weniger. Einen Moment lang wundere ich mich darüber, denke mir dann aber, es hängt damit zusammen, dass Führungspersonen ihre Worte mit Bedacht wählen müssen. Um Konflikte zu vermeiden, müssen sie sichergehen, dass die Menschen, an die ihre Worte gerichtet sind, diese auch zweifelsfrei verstehen. Da alle von uns, die es bis zum Studienabschluss schaffen, diese Art von Verantwortung übernehmen werden, ist es wenig überraschend, dass die Offiziellen der Universität prüfen wollen, ob wir die entsprechenden Fähigkeiten mitbringen.

Ich lese die Frage noch einmal, komme zu dem Schluss, dass meine Antwort vollständig und nicht zu ausufernd ist, und wende mich der nächsten Aufgabe zu. Mein Bleistift fliegt nur so über die Seite, als ich die Vier Stadien des Krieges erläutere, die verschiedene Regierungen über den Rest der Welt gebracht haben. Ich beschreibe die nächsten drei Stadien, in denen die Erde gegen die Chemikalien und andere zerstörerische Kräfte, die auf sie niedergegangen waren, aufbegehrte. Erdbeben, Stürme, Fluten, Hurrikans und Tornados waren über die Erdkugel gefegt und hatten in wenigen Jahren ausgelöscht, was Menschen im Laufe von Jahrhunderten aufgebaut hatten. Während des letzten Jahrhunderts hatte das Vereinigte Commonwealth alles darangesetzt, die Folgen dieser Schäden zu beseitigen.

Meine Handschrift bedeckt die Seiten. Chemie. Erdkunde. Physik. Geschichte. Musik. Kunst. Leseverständnis. Biologie. Jede Frage bezieht sich auf ein neues Gebiet. Eine andere Fähigkeit. Die meisten Fragen kann ich beantworten. Mir stockt der Atem, als ich eine Lücke lassen muss. Ich begreife nicht, worauf die Frage abzielt, und bin mir unsicher über die richtige Antwort. Ich hoffe, dass mir am Ende des Tests noch genügend Zeit bleiben wird, um zu dieser Aufgabe zurückzukehren. Wenn nicht … Meine Gedanken wandern zu dem aufgezeichneten Bericht auf dem Transit-Kommunikator. Zu dem Schicksal, das die Kandidaten der Auslese ereilte, welche es gewagt hatten, eine falsche Antwort zu riskieren.

Nein. Ich zwinge mich dazu, mich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Es hilft nicht, wenn ich mich mit der Vergangenheit herumquäle. Ich kann mich jetzt nur um die Gegenwart kümmern.

Der Uhr nach zu urteilen bleiben mir noch knapp vier Stunden für den Rest der Aufgaben. Ich lasse meine Schultern kreisen und merke, wie steif sie sind. Da ich während der Arbeit angespannt war und mich nicht bewegt habe, beginnen meine Muskeln nun zu schmerzen. Mein leerer Magen schließt sich dem Protest an. Die Angst davor, bei diesem Examen zu versagen, treibt mich vorwärts, aber ich habe die Stimme meiner Mutter im Ohr, die mir sagt, dass das Gehirn und der Körper Nahrungszufuhr brauchen, um Spitzenleistungen zu erbringen. Ich will keine Zeit verlieren, doch Kraft und Konzentration einzubüßen wäre noch schlimmer.

Ich sehe mich im Raum um. Jeder Tisch ist besetzt. Niemand hat bislang eine Pause eingelegt. Werden die Offiziellen der Universität es als ein Zeichen von Schwäche ansehen, wenn ich hinausgehe, um aufzutanken? Ich suche das Zimmer nach Kameras ab, kann aber keine entdecken. Doch die Tatsache, dass ich sie nicht ausfindig mache, bedeutet noch lange nicht, dass keine da sind.

Wieder knurrt mein Magen. Meine Kehle ist trocken, und meine Augen brennen. Ganz egal, wie meine Entscheidung aufgenommen werden wird: Ich brauche eine Pause. Wenn ich mir nicht einen Moment der Erholung gönne, werden meine restlichen Antworten darunter leiden.

Ich schlucke krampfhaft, klappe mein Heft zu, lege meinen Bleistift daneben und hebe die Hand. Professor Lee wird nicht sofort auf mich aufmerksam, im Gegensatz zu einigen der anderen Studenten. Ein paar werfen mir höhnische Blicke zu, als wären sie stolz darauf, zäher als ich zu sein. Andere, wie Stacia, schütteln den Kopf. Einen Moment lang bin ich in Versuchung, meine Hand wieder herunterzunehmen, aber Tomas’ ermutigendes Nicken bringt mich dazu, den Finger noch höher in die Luft zu recken.

Nun bemerkt mich Professor Lee. Er lächelt und gibt mir mit einem Wink die Erlaubnis, von meinem Stuhl aufzustehen. Meine Glieder sind steif, als ich nach vorne gehe. Eine weibliche Offizielle im zeremoniellen Rot erwartet mich draußen vor der Tür des Klassenraums. Sie geleitet mich die Treppe hinunter zu einem Zimmer im ersten Stock, wo ein Tisch mit Essen und Getränken aufgebaut ist. Ich lege mir etwas Huhn, einige Stücke eines streng riechenden Käses und Salat aus Früchten, Gemüse und Nüssen auf einen Teller – alles Nahrungsmittel, die meine Eltern meinen Brüdern und mir vor wichtigen Examen vorgesetzt hatten – und mache mich darüber her.

Ich schmecke kaum etwas, während ich kaue und schlucke. Dies ist keine Mahlzeit, die mit Genuss verspeist werden will. Sie ist der Treibstoff, der mich durch die nächsten vier Stunden bringen soll. Rasch habe ich aufgegessen und suche die Waschräume auf, wo ich mir Wasser ins Gesicht spritze. Nicht einmal eine Viertelstunde ist vergangen, als ich wieder an meinem Tisch Platz nehme und mich weitaus wacher als vor der Pause fühle. Ich greife nach dem Bleistift, schlage das Heft auf und beginne wieder zu schreiben.

Nun kommen Fragen zu Gencodes, historischen Persönlichkeiten und wichtigen Durchbrüchen in der Medizin und der Gewinnung von Solarenergie. Meine Finger verkrampfen, doch die Seiten füllen sich. Ich komme zur letzen Aufgabe und blinzele. Bitte teilen Sie uns Ihr bevorzugtes Studiengebiet mit, und legen Sie dar, warum Sie Ihrer Meinung nach besonders dafür geeignet sind und für diesen Karriereweg ausgewählt werden sollten. Dies ist meine Chance, die Verwaltung der Universität von meiner Leidenschaft und meinen Fähigkeiten darin zu überzeugen, die Technologie unseres Landes weiterzuentwickeln.

Nach einem tiefen Atemzug beginne ich zu schreiben. Alle meine Hoffnungen ergießen sich aufs Papier. Ich stelle meinen Wunsch dar, das einfache Kommunikationssystem unseres Landes zu verbessern und die wenig verbreiteten Impulsradios zu einem ausgeklügelten System auszubauen, das für alle Menschen zugänglich ist. Meine Begeisterung für neue Energiequellen, die unsere Lampen und andere Geräte besser versorgen können. Meine feste Überzeugung, dass ich die Zukunft der Technologie des Vereinigten Commonwealth mitgestalten kann.

Die Zeit rast dahin, während ich schreibe und meine Antwort überarbeite, weil ich voller Sorge bin, dass ein falsches Wort den Schwerpunkt meiner Karriere verschieben könnte. Meine Kommilitonen heben nach und nach ihre Hefte in die Luft, um sie abzugeben, und verlassen den Raum, bis nur noch fünf von uns übrig sind. Endlich bin ich zufrieden mit meiner Antwort und werfe einen Blick auf die Uhr. Noch drei Minuten bleiben mir.

Mein Mund wird trocken, als mir etwas wieder einfällt. Ich habe vier Fragen mit dem festen Vorsatz ausgelassen, später auf sie zurückzukommen. Nur habe ich so lange dafür gebraucht, an meiner letzten Antwort herumzufeilen, dass ich jetzt keine Zeit mehr habe. Mein Herz rast, als ich in fiebernder Hast zurückblättere und hoffe, wenigstens eine der Aufgaben noch erledigen zu können. Aber es gelingt mir nicht. Die Uhr springt auf Null, gerade als ich die erste unbeantwortete Frage noch einmal gelesen habe. Die Bleistifte werden aus der Hand gelegt. Die Prüfung ist vorbei. Und ich bin nicht fertig geworden.

Keine der Fragen, auf die ich keine Antwort gewusst habe, bezog sich auf ein mathematisches oder naturwissenschaftliches Problem, also auf die beiden Fachgebiete, die ich für am wichtigsten im Maschinenbau halte. Damit versuche ich, mich zu trösten, als ich Professor Lee mein Heft reiche. Aber dass ich die Prüfung nicht komplett bewältigt habe, macht es mir schwer, den Raum mit erhobenem Kopf zu verlassen. Mir bleibt nun nichts anderes mehr übrig, als auf das Beste zu hoffen.

Tomas wartet draußen an der Treppe auf mich. Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwindet, als er mir in die Augen schaut. »Wie ist es gelaufen?«

»Ich habe vier Fragen unbeantwortet gelassen. Wenn ich keine Essenspause eingelegt hätte, wäre ich vielleicht fertig geworden.«

Tomas schüttelt den Kopf. »Es war klug, eine Pause zu machen. Ich hätte den Mut dazu nicht gehabt, wenn du nicht vorher schon rausgegangen wärst. Dabei hatte meine Konzentration schon arg nachgelassen. Du hast mich daran erinnert, wie wichtig es ist, kurz abzuschalten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Als ich nach meiner Pause zurückkam und mir meine letzte Antwort noch einmal durchlas, habe ich zwei Fehler bemerkt. Das habe ich dir zu verdanken.«

Der sanfte Kuss, den er mir gibt, ist eine mehr als ausreichende Belohnung.

Als Tomas sich wieder von mir löst, lächelt er breit, was die Grübchen auf seinen Wangen zum Vorschein bringt. »Außerdem verdanke ich dir einen sehr unterhaltsamen Moment. Die Blicke der anderen, als du aus dem Raum gingst, waren unbezahlbar. Die Leute wussten nicht so genau, ob sie von deinem Selbstvertrauen beeindruckt oder eingeschüchtert sein sollten.«

Ich blinzle. Selbstvertrauen war das Letzte, was ich verspürte, als ich den Prüfungsraum verließ. Aber Tomas’ Worte bringen mich zum Nachdenken. Wie hätte ich mich gefühlt, wenn jemand anderes zuerst die Hand gehoben hätte und für einen Imbiss nach draußen gegangen wäre, während die Zeit unaufhaltsam weiterlief? Ich wäre zu dem Schluss gekommen, dass dieser Student keinerlei Mühe damit hat, die Prüfungsaufgaben rechtzeitig zu bewältigen. Tatsächlich hätte ich geglaubt, dass derjenige nicht nur im vorgegebenen Zeitfenster fertig werden würde, sondern offenbar sogar über einen Zeitpuffer verfügt. Tomas’ Worte sind eine gute Erinnerung. Nur, weil man glaubt, dass etwas wahr ist, muss das noch lange nicht so sein. Die Wahrnehmung ist beinahe genauso wichtig wie die Realität selbst.

Der Abend dämmert bereits, als Tomas und ich Hand in Hand zur Mensa der Universität gehen. Die älteren Studenten meiden den Speisesaal gewöhnlich, denn jeder Fachbereich hat eigene Räumlichkeiten und eine separate Küche. An den meisten Tagen sind die einzigen Leute in diesem Saal eine Handvoll Verwaltungsangestellte der Universität in niedrigeren Positionen, ein oder zwei Professoren, meine Kommilitonen aus den Einführungskursen und ich. Das Essen, das wir dort bekommen, ist üblicherweise einfach: Sandwiches, Obst, Brötchen und rohes Gemüse. Nichts, das schwierig vorzubereiten oder mühsam warmzuhalten wäre. Obwohl wir gerade einen so wichtigen Meilenstein hinter uns gelassen haben, ist das Essensangebot wie immer. Kein Mahl zur Feier des Tages. Noch nicht. Nicht, ehe nicht die Ergebnisse ermittelt und die Studienfächer zugeordnet worden sind.

Während unserer letzten sechs Monate an der Universität haben wir eine ganze Reihe von Tests absolviert. Hinterher war der Speisesaal immer von lautstarken Gesprächen erfüllt, wenn wir unsere Antworten verglichen, uns über Fehler, die wir gemacht hatten, beklagten und richtige Ausführungen feierten. Heute fehlt von diesem Geplauder jede Spur. Die meisten meiner Kommilitonen starren auf ihre Teller. Manche bringen keinen Bissen hinunter, sondern schieben ihr Essen hin und her und versuchen nach Kräften, ganz normal auszusehen. Jeder spürt die Erschöpfung der Prüfung und die Angst vor den Ergebnissen.

Ich nehme mir Brot und Früchte. Das beklemmende Gefühl in meinem Magen macht es unmöglich, mehr als einige Happen zu mir zu nehmen. Tomas hat kein Problem damit, seinen Teller leer zu essen. Ich schätze, ich muss mich nicht erkundigen, wie es bei ihm gelaufen ist.

Schließlich schiebe ich die letzten Reste meiner Mahlzeit weg und frage: »Glaubst du, dass sie uns die Ergebnisse gleich morgen früh mitteilen, oder lassen sie uns noch ein bisschen schmoren?«

Noch ehe Tomas eine Vermutung äußern kann, sagt eine Tenorstimme hinter uns: »Wir kriegen morgen als Allererstes Bescheid.«

Tomas versteift sich, als Will, unser Kommilitone aus der Einführungsphase, grinsend seinen schlaksigen Körper auf den freien Platz neben mir schiebt. Innerlich zucke ich zusammen, doch nach außen hin bemerke ich mit einem Lächeln: »Du scheinst dir da ja ziemlich sicher zu sein.«

»Bin ich tatsächlich.« Seine Augen blitzen. »Ich habe mitbekommen, wie einige der Verwaltungsleute darüber sprachen. Es gehört nicht gerade zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen, nur damit gleich morgens die Ergebnisse aushängen.« Sein Lächeln wird breiter. »Sie waren richtig genervt von der Aussicht. Wenn wir keinen Schlaf bekommen, ist ihnen das herzlich egal, aber sie selber wollen auf ihre Nachtruhe nicht so gerne verzichten. Wie ist es denn eigentlich bei euch gelaufen?«

Tomas zuckt mit den Achseln und schaut nicht von seinem Teller auf. Aus irgendeinem Grund, über den er nicht spricht, kann er Will nicht leiden. Nicht, dass Tomas jemals unhöflich wäre. Aber seine einsilbigen Antworten sprechen Bände, genauso wie der Ausdruck in seinen Augen. Dort lese ich Wachsamkeit. Und Misstrauen.

»Und bei dir, Cia?«, fragt Will. »Bestimmt hast du die Prüfung mit links gemeistert, so wie alles andere auch. Stimmt’s?«

Schön wär’s. »Es waren einfach zu viele Fragen, um bei allen gut abzuschneiden.«

»Ich weiß auf jeden Fall, dass ich die Aufgaben zur Kunstgeschichte in den Sand gesetzt habe. Ich dachte, die suchen nach Anführern, die dabei helfen, das Land zu revitalisieren. Wozu muss man dabei die Statue von einem nackten Mann kennen? Wenn es ein nacktes Mädchen gewesen wäre …« Wieder grinst er. »Aber das ist eine andere Geschichte.«

Unwillkürlich muss ich lachen, und während ich nur mit halbem Ohr zuhöre, solange Will über andere Prüfungsfragen herzieht, frage ich mich, ob er wohl seinem Wunschgebiet zugeordnet werden wird: Erziehung.

Mich beeindruckt Wills scharfer Verstand. Außerdem hegt er eine tiefe Liebe für seine Familie, besonders für seinen Zwillingsbruder Gill, der ebenfalls für die Auslese nach Tosu-Stadt gekommen war, es jedoch nicht an die Universität geschafft hat. Kurz nachdem wir als Studenten hier angefangen hatten, hatte Will mir ein Bild von sich und seinem Bruder gezeigt. Zwei identische Gesichter mit einem verschmitzten Grinsen. Ihre großen, dünnen Körper und ihre aschgraue Haut verrieten viel über den Mangel an guten Nahrungsmitteln in ihrer Heimatkolonie. Abgesehen von ihren Haaren, die bei Will bis auf die Schultern reichen, bei seinem Bruder jedoch kurz geschoren waren, stellten die beiden eine exakte Kopie des jeweils anderen dar, bis hin zu der Liebe und Fröhlichkeit, die aus ihren tiefgrünen Augen leuchteten.

Es sind diese Sehnsucht und die Liebe in den Augen, die mich zu Will hinziehen, obwohl ich mich nach den Beschuldigungen auf dem Transit-Kommunikator von ihm fernhalten sollte. Ich finde es schwer vorstellbar, dass sich hinter dem freundlichen Lächeln jemand verbergen soll, der versucht hat, Tomas und mich zu töten. Aber meine eigene Stimme auf der Aufnahme hat mir eingeschärft, dass Will genau so eine Person ist. Das ist der Grund, warum ich in seiner Nähe bleibe. Ich will wissen, ob die Stimme recht hat. Mit Will. Mit Tomas. Mit allem.

Kapitel 2

Wir sitzen in demselben Klassenraum, in dem wir gestern geprüft wurden, und warten. Zwanzig Studenten, die aus den achtzehn Kolonien des Vereinigten Commonwealth ausgesucht worden waren. Wir sind bereit zu erfahren, wie wir dabei helfen werden, unser Land wieder aufzubauen.

Ich blicke mich im Raum um. Die meisten meiner Kommilitonen kenne ich nun schon. Da ist Will, der später gerne selbst unterrichten will. Stacia, die darauf hofft, Recht und Verwaltung zu studieren. Vic, ein großer, rothaariger Junge aus Stacias Kolonie, dessen Ehrgeiz es ist, eines Tages gebrochene Knochen richten zu können. Kit, eine gertenschlanke junge Frau mit hüftlangen braunen Haaren, die hemmungslos mit Tomas flirtet, obwohl sie gleichzeitig versucht, ihm den Spitzenplatz der Kandidaten für die Bio-Technologie streitig zu machen. Ein Junge namens Brick behauptet, er würde mit Freuden alles studieren, was das Vereinigte Commonwealth für ihn aussucht. Über die Hälfte der Studierenden in diesem Zimmer interessiert sich dafür, Teil der Regierung zu werden, um bei der Gesetzgebung unseres Landes mitbestimmen zu können. Was wir alle gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass wir keinerlei Kontrolle über irgendetwas haben.

Ich halte den Atem an, als Professor Lee mit einem Klemmbrett unter dem Arm den Klassenraum betritt und nach vorne geht. Mein Herz hämmert, und ich versuche, nicht unruhig auf meinem Stuhl herumzurutschen, als er beginnt: »In meiner Hand halte ich die Ergebnisse Ihrer Examensprüfung. Ihre Namen sind in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet. Neben Ihrem Namen ist zu lesen, ob Sie bestanden haben und einem Studienfach zugeordnet wurden oder ob Sie durchgefallen sind und deshalb abgezogen werden, um außerhalb der Universität eine anderweitige Verwendung zu finden. Alle Studenten, die nicht bestanden haben, werden um zwölf Uhr von Offiziellen des Vereinigten Commonwealth vom Wohnbereich abgeholt. Diese Offiziellen werden Sie zu einem Ort bringen, an dem Ihre nächsten Karriereschritte besprochen werden.«

Mein Herz pocht schneller. Ist dies die alljährliche Routine-Rede, oder ist tatsächlich einer von uns in der Prüfung durchgefallen?

Aber mir bleibt keine Zeit, dieser Frage nachzuhängen, denn schon fährt Professor Lee fort: »Bei denjenigen von Ihnen, die bestanden haben, steht das zugewiesene Fachgebiet hinter dem jeweiligen Namen. Morgen werden Sie Ihren Studienberater treffen, der mit Ihnen Ihre Stundenpläne besprechen wird. Außerdem werden Sie einen studentischen Ratgeber zur Seite gestellt bekommen, der Ihnen beim Umzug in die Räumlichkeiten ihres Fachbereichs behilflich sein wird. Vor dem Beginn Ihrer Studien steht Ihnen eine Woche zur freien Verfügung, damit Sie sich einleben und Ihre Kommilitonen kennenlernen können, die den gleichen Karriereweg wie Sie beschreiten. Ich freue mich darauf, etliche von Ihnen in meinen Kursen wiederzusehen.«

Professor Lee dreht sich um und hängt sein Klemmbrett an die Wand hinter ihm, dann geht er zur Tür. Dort angelangt, schaut er über die Schulter zu uns zurück. »Ich gratuliere Ihnen zu dem, was Sie bislang geschafft haben. Ich bin mir sicher, dass Sie in Zukunft Großes leisten werden.« Mit einem letzten Lächeln verlässt er den Raum.

Es überrascht mich wenig, dass Stacia als Erste aufspringt. Stühle werden zurückgeschoben und einige von ihnen dabei umgeworfen, als meine Mitstudenten nach vorne stürzen, um zu sehen, welches Schicksal sie erwartet. Jemand stößt einen aufgeregten Freudenschrei aus. In meine neugierige Vorfreude mischt sich Angst, die nach und nach zwischen meinen Schulterblättern emporkriecht. Langsam stehe ich auf und wage mich zur Liste nach vorne.

Mit einer Größe von eins sechsundfünfzig bin ich das kleinste Mädchen in der Klasse. Da ich als Letzte aufgestanden bin, befinde ich mich ganz hinten in der Gruppe. Zwar stelle ich mich auf die Zehenspitzen und recke mich, aber die Liste bleibt meinen Blicken verborgen. Die Gesichter der anderen Studierenden kann ich jedoch klar und deutlich erkennen. Ein dunkelhäutiger Junge namens Rawson, nicht viel größer als ich, klopft Will auf die Schulter. Kit fällt Tomas um den Hals und hält ihn noch mit den Armen umschlungen, während der schon versucht, sich wieder von ihr zu lösen. Stacia marschiert zur Tür. Tränen schimmern in ihren Augen, und mir läuft bei diesem Anblick ein Schauer über den Rücken. Hat sie das Studienfach, das sie sich gewünscht hat, nicht bekommen, oder ist etwa das Undenkbare eingetreten?

Ich schlängle mich zwischen den Körpern hindurch und schiebe einen grinsenden Will aus dem Weg, um endlich auch einen Blick auf die Liste werfen zu können. Sie ist alphabetisch nach Nachnamen sortiert, sodass ich am unteren Ende nachschauen muss und schließlich finde, wonach ich gesucht habe:

VALE, MALENCIA – bestanden – Regierung.

Ich schließe meine Augen, hole dreimal tief Luft und öffne sie wieder. Die Worte haben sich nicht verändert. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bin ich dem Studienfach zugewiesen worden, das mich am wenigsten interessiert.

Da muss ein Fehler passiert sein. Ich kämpfe gegen den Drang an, Professor Lee hinterherzulaufen und ihn um eine Erklärung zu bitten. Habe ich vielleicht in der letzten Aufgabe nicht die richtigen Worte gefunden? Meine Fähigkeiten liegen im mathematischen Bereich, und ich kann gut mit Drähten und Metall umgehen. Doppelzüngigkeit und sorgfältig konstruierte Phrasen gehören definitiv nicht zu meinen Stärken. Warum sollte mich die Verwaltung der Uni einem Tätigkeitsfeld zuordnen, auf dem ich ganz sicher versagen werde?

Tränen schnüren mir die Kehle zu und steigen mir in die Augen. Aber ich lasse ihnen keinen freien Lauf. Nicht hier. Niemand soll meine Enttäuschung sehen. Keiner meiner Kommilitonen soll etwas mitbekommen. Ich weigere mich einfach, irgendjemanden merken zu lassen, wie schwer es mir fällt, meinen Atem gleichmäßig zu halten und meine Hände nicht zu Fäusten zu ballen. Sie werden mir nur die Freude darüber ansehen, dass ich bestanden habe.

Ich zwinge meine Lippen zu einem Lächeln, lese den Rest der Ergebnisse und suche nach den Namen meiner Freunde. Auf Tomas stoße ich zuerst, und nun lächele ich wirklich. Bio-Technologie. Stolz und Freude durchzucken mich. Ich halte in der Menge nach ihm Ausschau und entdecke ihn keinen Meter von mir entfernt. Sofort falle ich ihm um den Hals und drücke ihn an mich. Die Professoren haben die richtige Entscheidung getroffen. Er wird sie nicht enttäuschen.

Während ich mit Tomas Händchen halte, lese ich Stacias und Wills Namen unmittelbar nacheinander. Medizin für Stacia. Regierung für Will. Genau wie ich haben sie beide nicht das Studienfach bekommen, das sie sich gewünscht haben, was Stacias Enttäuschung erklärt. Aber sie haben beide bestanden, was man nicht von allen Mitstudenten behaupten kann. Meine eigene Niedergeschlagenheit tritt in den Hintergrund. Neben dem Namen von Obidiah Martinez steht nur ein einziges Wort: abgezogen. Unwillkürlich frage ich mich, welche Konsequenzen dieses Urteil haben wird.

Es ist die erste Frage, die ich Tomas stelle, nachdem wir den Klassenraum verlassen haben und zu einem Platz draußen unterwegs sind, an dem wir nicht Gefahr laufen, von anderen gestört zu werden. Ich weiß, dass Tomas lieber darüber sprechen würde, wie es mir mit meinen eigenen Testergebnissen geht. Nachdem ich ihm versichert habe, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, antwortet er mir: »Ich vermute, er wird einem Technik-Team hier in der Stadt zugeteilt oder in eine der Kolonien geschickt, um beim Wiederaufbau zu helfen. Glaubst du das nicht?«

Ich bin mir nicht sicher, was ich denken soll. Obidiah gehört nicht zu meinen Freunden. Tatsächlich glaube ich nicht, dass er sich überhaupt mit irgendjemandem angefreundet hat. Einige, mich eingeschlossen, haben hin und wieder mal versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Eine Woche nach unserer Ankunft auf dem Campus sah ich ihn, an einen Baum gelehnt, sitzen und in die Ferne starren. Sein kräftiger Körperbau, sein wilder Gesichtsausdruck und sein exotisch aussehendes, geflochtenes Haar hätten mich normalerweise eingeschüchtert und dazu bewogen, Abstand zu halten. Aber die Traurigkeit in seinen Augen brachte mich dazu, zu ihm zu gehen. Im gleichen Augenblick, in dem ich seinen Namen aussprach, veränderte sich seine Miene. Verärgerung trat an die Stelle von Niedergeschlagenheit. Er forderte mich auf zu verschwinden, was ich auch tat. Diese Erfahrung reichte aus, um mir die Lust auf einen weiteren Versuch der Annäherung auszutreiben. Jetzt jedoch wünsche ich mir, ich hätte mich nicht so leicht entmutigen lassen.

»Bist du sicher, dass du okay bist?«, fragt Tomas, während wir zurück zu meinem Zimmer laufen. Er bleibt stehen und sieht mir in die Augen. Ich spüre, wie der Schutzschild, den ich errichtet habe, um meine Gefühle in Schach zu halten, Risse bekommt. Als ich mir auf die Unterlippe beiße, streichelt Tomas meine Wange und sagt: »Falls es dich irgendwie tröstet: Ich denke, sie haben die richtige Entscheidung getroffen.«

Seine Worte pressen mir mit einem Schlag alle Luft aus den Lungen. »Du glaubst, ich bin nicht gut genug für den Maschinenbau?«

Tomas legt mir seine Hand auf die Schulter. Ich versuche, sie abzuschütteln, was mir aber nicht gelingt. »Ich denke, es gibt niemanden, dem ich die Führung unseres Landes eher anvertrauen würde als dir. Die Regierung handelt nicht immer richtig und ist nicht immer fair. Dabei sollte genau das ihr Ziel sein. Und ich bin mir sicher, dass du dich mit nicht weniger zufriedengeben wirst.«

Seine Worte und sein Kuss vertreiben meine Zweifel, aber sie kehren zurück, als Tomas aufbricht, um seine Sachen für den morgigen Umzug zusammenzupacken. Er traut mir eine Menge zu. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Vertrauen, das er in mich setzt, rechtfertigen kann. Mir fehlt der Glaube an mich selbst, an ihn, an irgendetwas.

Als ich in meinem Zimmer im Gebäude der Einführungsphase stehe, versuche ich zu entscheiden, was als Erstes eingepackt werden muss. Seit Beginn der Auslese habe ich nur wenige Anschaffungen getätigt. Ich besitze kaum genug, um die zusätzlichen Taschen, die uns die Universität für den Umzug zur Verfügung gestellt hat, zu füllen. Nur ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln, einige Bücher und eine kleine Vase mit getrockneten Blumen sind hinzugekommen. Die Blumen waren ein Geburtstagsgeschenk von zu Hause, auch wenn alle glauben, dass sie von Michal stammen, einem Offiziellen aus Tosu-Stadt, der mich zur Auslese abgeholt hatte. Nicht einmal Tomas kennt die Wahrheit, da ich nicht riskieren will, dass der Offizielle oder meine Familie deswegen Schwierigkeiten bekommen.

Meine Gedanken wandern beim Anblick der Vase zu meinem Vater. Als ich sie einpacken will, kann ich die Tränen nicht mehr länger zurückhalten. Was würde er von dem Studienfach halten, das mir zugewiesen worden ist? Ob er genauso verblüfft wäre wie ich? Die Verwaltung der Universität hat ihn damals zu den genveränderten Pflanzen geschickt. Den Beweis dafür, dass ihre Entscheidung richtig war, halte ich gerade in den Händen. Mein Vater ist ein wahres Genie darin, Pflanzen zum Wachsen zu bringen. Die Leidenschaft, die er für seine Arbeit aufbringt, bewundere ich sehr an ihm. Ich war immer davon ausgegangen, dass er die Entscheidung, bei der Revitalisierung der Erde zu helfen, selbst gefällt hat. Mir war nicht klar gewesen, dass ein anderer die Wahl für ihn getroffen hat, und ich frage mich nun unwillkürlich: Wenn er es sich selbst hätte aussuchen können, wo wäre er gelandet? War er, wie Tomas, seinem Wunschgebiet zugeordnet worden? Oder war es ihm wie mir ergangen?

Ich wische mir die Tränen weg, schiebe die Hände an die Unterseite der Matratze und hole den Transit-Kommunikator aus seinem Versteck. Bittere Galle steigt in meiner Kehle auf. Die Aufnahmen auf dem Gerät berichten von einem Ausleseprozess unter der Führung der Regierung des Vereinigten Commonwealth, der weit entfernt von gerecht und fair ist. Kann ich ein aktives Mitglied eines Systems sein, welches dafür sorgt, dass sich die Prüfungskandidaten gegenseitig umbringen? Rechtfertigt das Ergebnis – die erstaunlichen Erfolge meines Vaters in der Pflanzenaufzucht und die Hunderte von Durchbrüchen, die den Absolventen der Universität im Laufe der Zeit geglückt sind – die Mittel? Dies sind Fragen, auf die ich keine Antworten finden kann, bis ich mir nicht sicher bin, dass mein aufgezeichneter Bericht wahr und nicht nur meiner Fantasie entsprungen ist.

Da bei allen erfolgreichen Kandidaten der Auslese die Erinnerungen an die Prüfungen gelöscht worden sind, kann ich nicht wissen, was während dieser Zeit wirklich geschehen ist. Aber wenn ich mich geschickt anstelle, werde ich einen Weg finden, die Wahrheit zu erfahren.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr auf meinem Nachttisch – 11.04 Uhr. Professor Lees Mitteilung zufolge soll Obidiah um zwölf Uhr zwei Offizielle der Universität draußen vor dem Gebäude treffen, um seinen weiteren Berufsweg durchzusprechen. Wenn ich etwas über Obidiahs künftiges Schicksal herausfinden kann, wird mir das zwar nicht verraten, ob die Geschichten auf dem Aufnahmegerät wahr sind, aber es wird mir eine Vorstellung davon vermitteln, was die Universität für eine angemessene Bestrafung für Versagen hält. Wenn es in die gleiche Richtung geht wie die Geschichten auf dem Kommunikator, dann habe ich die Antwort, nach der ich suche.

Behutsam wickle ich den Kommunikator in ein Handtuch und verstecke ihn zwischen einigen Lagen Kleidung, die ich bereits eingepackt habe. Dann greife ich mir ein Buch, verlasse mein Zimmer, verschließe die Tür und eile nach draußen. Will, Vic und einige andere meiner Kommilitonen werfen sich auf dem freien Feld neben meinem Wohnheim einen Ball zu. Will winkt mich zu ihnen, aber ich schüttle den Kopf, hebe das Buch, das ich in den Händen halte, erklärend in die Luft und haste weiter.

Da sich Will und die anderen Studenten aus der Kolonie auf der linken Seite des Heims die Zeit vertreiben, mache ich mich auf den Weg zu dem zweigeschossigen Steingebäude auf der rechten Seite – dem Geologie-Institut. Tomas und ich haben so oft auf der Bank in der Nähe des Eingangs gesessen, um zu lernen, dass niemand zweimal hinschaut, als ich mich auf dem kalten Metall niederlasse und so tue, als würde ich lesen. Von hier aus kann ich den Weg gut erkennen, der vom Wohnheim der Einführungsphase aus wegführt.

Schon bald entdecke ich Obidiahs auffällige Zöpfe, als er hinaustritt und in Erwartung der Offiziellen auf dem Weg herumsteht. Eine große, schwarze Tasche hängt schwer über seiner rechten Schulter. In den Armen hält er liebevoll eine zerschrammte Gitarre. Ich wusste nicht, dass Obidiah Gitarre spielt. Es ist unwahrscheinlich, dass überhaupt jemand von uns das mitbekommen hat. Noch überraschender ist das breite Grinsen, das auf Obidiahs Gesicht liegt, während er den Blick in die Ferne gerichtet hält. Vielleicht versucht er, gegenüber den anderen in der Nähe eine Fassade aufrechtzuerhalten, aber eigentlich glaube ich das nicht. Zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, sieht er glücklich aus. Ich versuche, mir auszumalen, wie ich mich fühlen würde, wenn ich gerade erfahren hätte, dass ich die Universität verlassen muss. Niedergeschlagen. Wie eine Versagerin. Ich wäre verzweifelt.

Nichts davon scheint auf Obidiah zuzutreffen. Ich denke an jenen Moment vor einigen Monaten, als er so einsam aussah, und unwillkürlich drängt sich mir die Frage auf, ob der Test tatsächlich zu schwer für ihn war. Oder war Obidiah vielleicht so unglücklich hier, dass er absichtlich schlecht abgeschnitten hat in der Hoffnung, auf diese Weise wieder nach Hause zu kommen?

Ich sehe zwei Offizielle der Universität näher kommen. Der Mann trägt das zeremonielle Rot, die Frau ist in Purpur gekleidet. Obidiah nickt als Antwort auf etwas, das ihm offenbar mitgeteilt wird, und folgt dann den beiden, als sie den Weg in Richtung Norden einschlagen.

Ich achte darauf, dass ich sie nicht aus den Augen verliere, klappe eilig das Buch in meiner Hand zu, stehe auf und folge ihnen auf einem Parallelweg. Wenn ich auf dem Campus unterwegs bin, lasse ich mir normalerweise Zeit, um die Gebäude zu bewundern, die in vielen Fällen schon weit über zwei Jahrhunderte lang hier stehen. Nachdem die insgesamt Sieben Stadien des Krieges vorüber waren, fand die Bevölkerung der früheren Vereinigten Staaten, die überlebt hatte, den Mut, mit dem schier endlosen Prozess des Wiederaufbaus zu beginnen. Die Anführer wählten dafür die Stadt Wichita, die in Tosu-Stadt umbenannt wurde und die im ehemaligen Staat Kansas liegt, um von hier aus die Revitalisierung zu starten. Während die größeren Städte wie Chicago, New York und Denver während des Krieges zerstört worden waren, war Wichita aufgrund der strategisch unbedeutenden Lage unversehrt geblieben. Den Reaktionen der Natur auf den Krieg, den die Menschheit heraufbeschworen hatte, waren viele Gebäude zum Opfer gefallen, aber die große Mehrheit davon konnte wieder instand gesetzt und genutzt werden.

An den meisten Tagen bewundere ich die Architektur und fühle die Hoffnung, die diese Gebäude verkörpern. Heute jedoch halte ich den Kopf gesenkt, um von keinem der Studenten oder Professoren dabei beobachtet zu werden, wie ich den Campus überquere. Zwischendurch schaue ich verstohlen hoch, um mich zu vergewissern, dass Obidiah und die Offiziellen noch in Sichtweite sind. Niemand hat verboten, dass die Studenten, die den Test bestanden haben, heute auf dem Campus herumlaufen, aber ich bin nicht naiv genug zu glauben, dass Obidiah oder die Verwaltungsangestellten der Universität Wert darauf legen würden, von mir beobachtet zu werden.

Das Sonnenlicht bricht sich in den Fenstern der Gebäude, die ich passiere. Obidiah und seine Begleitung gehen ziemlich schnell, und ich muss mich sputen, um zu sehen, wohin sie laufen. Nachdem sie einige größere Gebäude hinter sich gelassen haben, biegen die beiden Begleiter plötzlich auf einen Weg ein, der in meine Richtung führt.

Hier gibt es keine Bäume, die groß genug wären, um mich dahinter vor den Näherkommenden zu verstecken. Eine Gruppe von älteren Studenten spaziert dreißig Meter links von mir über den Rasen, aber sie ist zu weit weg, um es so aussehen zu lassen, als gehörte ich dazu. Auch der nächste Eingang ins Gebäude ist mindestens fünfzehn Meter entfernt. Wenn ich dort hinrennen würde, fiele ich bestimmt jemandem auf, der sich fragen würde, warum ich es denn so eilig habe. Obwohl sich mein Puls beschleunigt und ich kaum gegen den Drang ankomme zu fliehen, bevor die Offiziellen mich entdecken, entscheide ich mich für das Einzige, was mir noch übrig bleibt. Ich setze mich auf den kalten Boden, schlage mein Buch auf und lasse mir meine Haare über das Gesicht fallen, während ich ein brennendes Interesse an den Geschichtsdaten vorgebe, die auf dieser Seite aufgelistet sind.

Schritte nähern sich, die meine Nerven zum Flattern bringen und meinen Atem stocken lassen. Die Geräusche verraten mir, dass die Offiziellen und Obidiah im Abstand von nicht einmal einem halben Meter an mir vorbeilaufen. Ich blättere eine Seite um und starre auf die Wörter, die vor meinen Augen verschwimmen. Obwohl ich so tue, als ob ich voll und ganz in meine Lektüre vertieft wäre, bin ich mir jeder einzelnen Sekunde, die verstreicht, mehr als bewusst. Die Schritte werden leiser. Ich wage es, den Blick von meinem Buch zu heben, und sehe, dass die Offiziellen bei der nächsten Abzweigung in nördliche Richtung abbiegen. Obidiah folgt ihnen, aber er verlangsamt seinen Schritt und dreht den Kopf. Einen Moment lang treffen sich unsere Blicke. Verwirrung und andere Gefühle, die ich nicht benennen kann, wandern über sein Gesicht. Ist er froh darüber, eine Kommilitonin aus dem ersten Jahr zu sehen? Erinnert er sich daran, dass ich mich mit ihm hatte anfreunden wollen, und bedauert er jetzt, dass er diesen Kontakt abgelehnt hat?

Obidiah geht weiter. Ich stehe auf und folge ihm langsam. Zweimal noch sehe ich, wie er den Kopf wendet. Falls er sieht, wie ich mich hinter Büschen verstecke oder mich in den Schatten eines Baumes drücke, dann lässt er es sich nicht anmerken. Er trottet den Offiziellen hinterher, die ihn zu einem Backsteingebäude an der nordöstlichen Grenze des Campus’ begleiten, das von einem großen, schwarzen Zaun umgeben ist. Es steht ganz allein da, weit entfernt von den Wohnheimen und den anderen Universitätsgebäuden, in denen die Studenten ein- und ausgehen. Hinter dem Gebäude sieht das Gras kränklicher und der Boden mitgenommener aus. Hier ist weniger revitalisiert worden als auf dem restlichen Campus. Während der Orientierungstour über das Universitätsgelände am Anfang unserer Einführungsphase sind wir an diesem Bau nicht vorbeigekommen, aber unser Führer erzählte uns damals, dass sich die Universität am nördlichen Rand von Tosu-Stadt befindet. Bis zu diesem Augenblick war mir die große Nähe zur Grenze nicht bewusst gewesen. Auf einem Schild am Zaun neben dem Gatter lese ich: TU Verwaltung.

Ich sehe zu, wie Obidiah und seine Begleiter durch die großen, weißen Türen in das Innere des Hauses verschwinden, und überlege fieberhaft, was ich jetzt tun soll. Anders als auf dem restlichen Campus laufen hier keine Studenten herum. Niemand sitzt auf Bänken oder Bäumen und ist in Diskussionen mit seinen Kommilitonen verwickelt. Was für ein Gebäude auch immer dies hier ist, es hat keinen großen Publikumsverkehr. Ich warte einige Minuten ab, ob noch jemand anderes kommt. Als das nicht der Fall ist, schlüpfe ich durch das Gatter im Zaun und marschiere selbstbewusst zur Vordertür, als hätte ich jedes Recht der Welt, hier zu sein. Wenn mich doch jemand anhalten sollte, werde ich sagen, ich würde meine bestandene Prüfung damit feiern wollen, mehr über die Universität zu erfahren. Ich spähe durch die langen, schmalen Fenster der Vordertür und halte nach Obidiah Ausschau, sehe aber niemanden.

Was nun? Soll ich hineingehen und riskieren, auf einen Offiziellen der Universität zu stoßen, oder soll ich hier draußen warten, bis Obidiah wieder hinausgeleitet wird? Gerade will ich die Tür aufschieben, als ich Dr. Barnes entdecke, der für das Ausleseverfahren zuständig ist, und eine kleine, dunkelhaarige Frau. Gemeinsam kommen sie aus einem Zimmer und steuern den hinteren Teil des Gebäudes an. Sicher sind sie auf dem Weg zu Obidiah. Ich sehe ihnen nach, wie sie in einem Raum ganz am Ende des Flures verschwinden, und renne außen um das Haus herum, um ein Fenster zu suchen, durch das ich das Treffen beobachten kann.

Als ich die Rückseite des Gebäudes erreicht habe, spüre ich einen Stich der Enttäuschung. In der Mitte der Mauer befinden sich eine Metalltür und ein Tastenfeld, aber kein Fenster. Vermutlich legt niemand gesteigerten Wert darauf, einen Blick auf den etwa dreißig Meter entfernt stehenden Fahrzeugschuppen zu werfen oder auf die noch nicht revitalisierte Steppe und die von Rissen durchzogenen Straßen, die hinter dem Gebäude abzweigen. Dieses Gebiet ist nicht eingezäunt, vermutlich, um Fahrzeugen die Anfahrt zu ermöglichen. Ansonsten liegt dieser Teil des Campus brach, obwohl er offenkundig von Schutt befreit worden ist. Ist er bereits für die Revitalisierung vorbereitet worden, oder soll lediglich dafür gesorgt werden, dass dieses Gebäude isoliert bleibt?

Da ich nichts sehen kann, mache ich mich wieder auf den Weg zurück zur Vorderseite des Gebäudes. Das Geräusch von einem aufheulenden Motor und der Lärm eines Getriebes lassen mich wie angewurzelt stehen bleiben. Als ich mich umdrehe, sehe ich einen großen, schwarzen Gleiter aus dem Schuppen kommen. Im Handumdrehen bin ich wieder hinter der Häuserecke verschwunden und drücke mich hinter einem struppigen Busch an die Wand des Gebäudes, um vom Piloten nicht gesehen zu werden. Das Röhren des Motors kommt näher, dann verstummt es, was mir verrät, dass der Gleiter irgendwo in der Nähe stehen geblieben ist. Ich höre, wie eine Tür geöffnet wird, gefolgt von dem Klang einer weiblichen Stimme.

»Was für eine Verschwendung. Er wäre einer der Besten seines Jahrgangs geworden. Es hätte wirklich eine andere Lösung geben sollen.«

»Die Regeln gibt es aus gutem Grund, May-Lin.« Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Diese Stimme gehört eindeutig Dr. Jedidiah Barnes. »Das Land kann es sich nicht leisten, den Kurs zu ändern. Nicht jetzt, wo wir endlich anfangen, echte Fortschritte zu machen. Sie wissen, was Sie mit ihm zu tun haben.«

Eine männliche Stimme erwidert: »Ja, Sir.«

Ich luge um die Ecke des Gebäudes herum, und meine Knie geben nach. Meine Finger klammern sich an die Backsteinmauer, um mich davor zu bewahren zusammenzubrechen. Denn ich sehe zwei Offizielle, die Obidiah zum Gleiter tragen. Sein Kopf baumelt hin und her. Seine Zöpfe schleifen über den Boden. Als sie das Fahrzeug erreicht haben, schieben die beiden Träger meinen Kommilitonen hinein und klettern in die Pilotenkabine. Ich warte darauf, dass Obidiah sich aufrichtet, aber das geschieht nicht. Ungläubig halte ich nach dem Heben und Senken seiner Brust Ausschau, doch da ist nichts zu sehen.

Die weibliche Offizielle, die Obidiah begleitet hatte, taucht mit einer schwarzen Tasche und Obidiahs Gitarre auf. Beides wirft sie achtlos in den Gleiter, ehe sie selbst hinterherklettert. Das Gefährt hebt vom Boden ab und entfernt sich in Richtung der kargen Landschaft. Noch ehe ich richtig begreifen kann, was ich da gerade gesehen habe, sind der Gleiter und Obidiah verschwunden.

Kapitel 3

Tränen steigen mir in die Augen. Mein Atem geht flach und schnell, während ich mich mit dem Rücken gegen die kalte, harte Wand presse. Obidiah ist fort, von der Universität ab-ge-zo-gen. Tot! Wenn ich nicht aufpasse, wird es mir genauso ergehen, oder?

Dr. Barnes redet weiter. »Sie wissen, wie enttäuscht ich jedes Mal bin, wenn ein so vielversprechender Student abgezogen wird, aber wir haben keine andere Wahl. Der Revitalisierungsprozess verlangt Solidarität. Man kann es Studenten mit Obidiahs Potenzial nicht gestatten, außerhalb der Strukturen des Commonwealth zu arbeiten. Die Leute könnten anfangen, ihnen nachzueifern, anstatt den Weg zu beschreiten, den unsere augenblicklichen Führer für uns vorgesehen haben. Diese Art von Uneinigkeit würde alles untergraben, was wir in den letzten hundert Jahren aufgebaut haben.«

»Ich weiß«, antwortet May-Lin. »Aber ein Abziehen dieser Studenten kann nicht länger die Lösung sein. Die Präsidentin bringt ihre Sorge über die Zahl der Studenten, die es nicht bis zum Abschluss schaffen, immer deutlicher zum Ausdruck.«

»Die Präsidentin kann ihre Meinung gerne kundtun, aber solange das Gesetz nicht geändert wird, liegen die Auslese und die Ausbildung unserer zukünftigen Führungskräfte in meinen Händen. Es ist besser für unser Land, wenn wir rechtzeitig reagieren, sobald wir davon erfahren, dass ein Student mit der Art von Druck, der später auf ihm lasten wird, nicht umgehen kann.«

Irgendetwas an Dr. Barnes’ Worten kommt mir bekannt vor. Mein Magen krampft sich zusammen, als vor meinem geistigen Auge das Bild meiner Zimmerkameradin während der Auslese aufblitzt: Ryme Reynald. Ihr blondes Haar. Ihr gelbes Kleid. Ich versuche, die Erinnerung zu packen zu bekommen, aber sie verflüchtigt sich, während Dr. Barnes mit lauter Stimme weiterspricht: »Es ist besser, solche Studenten rechtzeitig zu entfernen, als zuzulassen, dass sie später große Schäden anrichten. Wenn die Präsidentin das nicht versteht, dann muss man ihr das deutlich klarmachen. Wir sind schon zu weit gekommen …«

Eine Tür fällt ins Schloss und schneidet den Rest seiner Worte ab. Ich hole tief Luft und spähe um die Ecke, um mich davon zu überzeugen, dass er und May-Lin auch wirklich verschwunden sind. Dann renne ich los.

Erst als ich endlich das Gebäude ganz am nordwestlichen Ende des Campus erreicht habe, werde ich wieder langsamer, atme gleichmäßiger und versuche nachzudenken.

In der Ferne sehe ich Leute, die durch das Gras der letzten Wintertage schlendern. Niemand schaut in meine Richtung. Trotzdem setze ich ein Lächeln auf und tue so, als würde mein Herz nicht wie verrückt pochen, während ich meine Jacke fester um mich schlinge und gemächlich über die Wiesen gehe. Und die ganze Zeit über kämpfe ich gegen die Tränen an, die in meinen Augen brennen.