Die Autobiografie eines Gottliebenden - Swami Ramdas - E-Book

Die Autobiografie eines Gottliebenden E-Book

Swami Ramdas

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Beschreibung

Swami Ramdas (1884-1963) spielte im Indien des 20. Jh. neben Ramana Maharshi, Aurobindo und Anandamayi Ma im spirituellen Bereich eine zentrale Rolle, ist hierzulande jedoch weitgehend unbekannt. Bis zum Alter von 38 führte er ein normales Familien- und Berufsleben. Dann gab er alles auf und entschied sich für ein Leben als Wandermönch. Er war ein Bhakta, d.h. Gottliebender, und pflegte eine sehr persönliche Beziehung zu seiner Gottheit Ram (Rama). Er gab sich Ihm völlig hin, mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Sein Weg war die Wiederholung des Namens Gottes mit dem Mantra "OM Ram Jai Ram Jai Jai Ram", das sein Vater ihm gegeben hatte. Befreit von Angst und Sorge und alle Menschen und Tiere als die Gestalt seiner geliebten Gottheit betrachtend, wanderte er durch ganz Indien. Von seinen abenteuerlichen Reisen berichtet er in seiner dreiteiligen Autobiografie, die diesem Buch zugrunde liegt. Der Leser taucht in die für ihn unbekannte Welt der indischen Sadhus (Wandermönche) ein, die Ramdas mit viel Humor schildert. Ende der 20er Jahre gründete er in Kerala den Anandashram, zuerst in Kasaragod, den er wieder aufgeben musste, dann in Kanhangad, der bis heute besteht. Es schlossen sich ihm die Witwe Krishnabai und Swami Satchidananda an, die er beide unterwies und die eine bedeutende Rolle im Ashram spielten. Krishnabai führte den Ashram nach Ramdas' Tod weiter. In den 50ern unternahm Ramdas mit Krishnabai und Swami Satchidananda eine Weltreise, die ihn u.a. auch nach Deutschland führte. Besonders in seinem Bericht über die Weltreise sind seine Lehren in Gesprächen und Reden enthalten. Man kann von Ramdas, wie von allen großen spirituellen Meistern, sagen, dass sein Leben seine Lehre war. Seine Vision bestand in der Einheit der Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Kaste oder Religion, da Gott in jedem Lebewesen wohnt und sich in der gesamten Schöpfung manifestiert.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Das Leben in der Familie

Kindheit und Jugend

Ehe und Beruf

Die Loslösung vom weltlichen Leben

Auf der Suche nach Gott

Ramdas wird zum Bettelmönch und geht auf Pilgerreise

Pondicherry, Tiruvannamalai

Tirupati

Kalkutta, Dakshineswar

Kashi, Jhansi

Die Reise in den Himalaya

Mathura, Gokul, Vrindavan

Raipur, Amer

Junagad, Dwarka

Bombay

Panchavati, Tapovan, Trimbakeshar, Pandharpur, Bijapur

Sri Siddharudha Swami

Mit der Schau Gottes

In der Panch Pandav Höhle

Kollur, Kasaragod, Kudlu, Kadri-Hügel

Gokarna

Goa, Supa, Narsobawadi

Pandharpur, Shetphal, Hubli

Ernakulam, Kasaragod

Upalai

Bombay, Limbdi, Wadhwan, Jhansi

Chitrakut, Banda

Mount Abu

Kasaragod, Swargashram

Vasishtashram

Die Rückkehr zum Swargashram

Die Kumbhamela in Haridwar

Der Nilkant-Berg

Jwalajee, Pathankot

Srinagar

Amarnath

Srinagar, Amritsar

Una, Veraval, Bombay

Ernakulam

Der Anandashram in Kasaragod entsteht

Erneute Reise in den Norden

Krishnabai

Der zweite Anandashram in Kanhangad entsteht

Die Welt ist Gott

Einleitung

Rom

Schweiz

Deutschland

Frankreich

Belgien und Holland

England

USA

Japan, Hongkong, Thailand

Malaysia

Ceylon

Zurück in Indien

Das Leben im Anandashram und Ramdas‘ Tod

Chronologie von Ramdas‘ Leben

Glossar

Literaturverzeichnis

Einleitung

Swami Ramdas (1884-1963) spielte im Indien des 20. Jahrhunderts neben Ramana Maharshi, Aurobindo und Anandamayi Ma im spirituellen Bereich eine zentrale Rolle, doch über ihn ist hierzulande nur wenig bekannt.

Er war ein Bhakta, ein Gottliebender, und wählte den in Indien verbreiteten Weg des Mantra-Japa, den er kompromisslos verfolgte. Sein Mantra, das sein Vater ihm gab, lautete: „Om Ram Jai Ram Jai Jai Ram“. In Indien ist das Japa des Namens von Ram (der Gottheit Rama) oder einer anderen Gottheit weit verbreitet und mit dem Jesusgebet im christlichen Bereich vergleichbar.

Ramdas führte zunächst ein Familienleben und übte einen Beruf aus, bis er mit achtunddreißig, nach einem längeren inneren Kampf, alles aufgab, fortan als Bettelmönch lebte und von Pilgerort zu Pilgerort durch ganz Indien zog. Später gründete er den Anandashram1 in Kasaragod und dann in Kanhangad in Kerala, wo er mit Mutter Krishnabai und Swami Satchidananda bis zu seinem Tod lebte.

Durch seine kompromisslose Hingabe an Gott und seine Gottesliebe gewann er ein Leben in Frieden und Freude und war völlig von Angst und Sorgen befreit. Er unterhielt sich mit Ram und scherzte mit ihm wie mit einem guten Freund. Nicht nur in Menschen, sondern auch in Tieren sah er seinen geliebten Ram. Deshalb erinnert sein Umgang mit Tieren an Franz von Assisi, und man kann ihn zu Recht als einen hinduistischen Franziskus bezeichnen.

Ramdas predigte die Harmonie aller Menschen und Religionen auf der Grundlage der Erfahrung, dass Gott sich in allen Lebewesen manifestiert und zugleich doch der Eigenschaftslose ist.

Über seine Erlebnisse und Erfahrungen auf seinen Reisen und Wanderungen berichtet er in seinen drei Büchern: In Quest of God (Auf der Suche nach Gott, 1925), In the Vision of God (Mit der Schau Gottes, 1935) und World is God (Die Welt ist Gott, 1955).

In „Auf der Suche nach Gott“ erzählt er von seinen inneren Kämpfen, die schließlich zum Bruch mit dem Familienleben und Beruf führten, und seiner Gotteserfahrung während der einjährigen Pilgerreise durch ganz Indien. Dabei begegnete er auch Ramana Maharshi und hielt sich länger zur Meditation in einer Höhle auf dem Arunachala auf. Es kam oft zu skurrilen Erlebnissen mit anderen Sadhus, die er auf seine unvergleichlich humorvolle Art erzählt.

In „Auf der Suche nach Gott“ schildert er seine zweite Pilgerreise, die sich über mehrere Jahre erstreckte, und die Gründung des Anandashram zuerst in Kasaragod und dann in Kanhangad.

In „Die Welt ist Gott“ berichtet er von seiner fünfmonatigen Weltreise in den 50ern, die ihn u.a. auch nach Deutschland führte und bei der er bedeutende spirituelle Persönlichkeiten in aller Welt kennenlernte.

Diese Biografie über Ramdas beruht vorwiegend auf seiner dreibändigen Autobiografie, deren wesentlichen Teile hier übernommen und aus dem Englischen übersetzt wurden. Das vollständige dreibändige Werk in deutscher Übersetzung ist in absehbarer Zeit beim Anandashram in Kanhangad erhältlich.2

Als einschlägige Quelle für seine früheren Jahren diente das Buch „Passage to Divinity“ von Chandrashekar, dem Schwiegersohn von Ramdas.

Die Anmerkungen im Text stammen von mir. Zur besseren Strukturierung habe ich eigene Überschriften und Kursivtexte eingefügt und zur Veranschaulichung der verschiedenen Stationen seiner Reisen Fotos aus Wikimedia-Commons verwendet.

Ramdas‘ Leben und Lehren zeugen von einem wahren Bhakta, einem Gottliebenden, der die Gottesliebe mit allen Konsequenzen lebte, wie es nur selten vorkommt. Seine Schriften gewähren tiefe Einblicke in sein abenteuerliches Leben, aber auch in seine Lehre. V.a. „Die Welt ist Gott“ enthält viele Gespräche und Ausschnitte aus seinen Reden.

Gabriele Ebert

1 Anandashram bedeutet Ashram der Glückseligkeit.

2 Band 2 und 3 von mir übersetzt

Das Leben in der Familie

Kindheit und Jugend

Vittal Rao, der spätere Ramdas, wurde am 10. April 1884 in Hosdurg, Nordkerala, als Sohn des Verwaltungsangestellten Balakrishna und Lalithabai Rao geboren. An diesem Tag wurde der Geburtstag von Hanuman gefeiert, der Affengottheit, die eine der größten Verehrer Ramas war – ein Vorzeichen dafür, dass auch Vittal später zu Ramdas, Ramas‘ Diener, werden würde. Er wuchs mit zwölf Geschwistern, neun Brüder und drei Schwestern, auf und war das sechste Kind in der Geschwisterreihe. Vittal ist ein Name der Gottheit Vithoba von Pandharpur, der Familiengottheit von Balakrishna. Der Junge wurde von allen Vittu genannt und war gesund und aktiv.

Mit sechs kam er in die örtliche Schule, wo strenge Regeln und körperliche Züchtigung an der Tagesordnung waren. Er war nicht am Unterricht interessiert, am wenigsten am Rechnen. Oft schwänzte er die Schule, aber er versteckte sich vergeblich im Badezimmer oder auf dem Dachboden des Kuhstalls, denn sein allgegenwärtiger Lehrer kannte die Lieblingsplätze seines widerspenstigen Schülers genau.

Er schrieb über sich: „Sein frühes Leben3 verbrachte er, was das Äußerliche betraf, auf dieselbe Weise wie alle anderen Kinder um ihn. Als er noch in der Wiege lag, hat anscheinend ein enger Verwandte ein seltenes Licht und Leuchten in seinen Augen gesehen. Das mag alles oder nichts bedeuten. Im Alter von fünf oder sechs wurde er, wie es üblich war, in die Schule geschickt. Bald fand er heraus, dass er sich überhaupt nicht für die Disziplin des Schullebens eignete, das in jenen Tagen starr, hart und demütigend war. Er hatte keinen Geschmack für die sogenannte Erziehung jener Tage. Er liebte seine Mitschüler und Lehrer, aber von letzteren erhielt er die grausamsten Züchtigungen. Sein junger Geist war zerschunden und gequält. Auch zu Hause begegnete ihm oft Härte und Bestrafung inmitten von Liebe und Fürsorglichkeit. Seine Lehrer und Eltern handelten mit den besten Absichten und glaubten fest daran, dass sie durch diese Methoden sein Leben zum Guten und für eine große Aufgabe formten.

Er entdeckte, dass sowohl in der Schule als auch zuhause versucht wurde, ihn in eine Form zu pressen, in die er nicht gepresst werden wollte. Sein Geist hungerte nach Freiheit – Freiheit von den Fesseln, die ihn zwangen. Obwohl er nach außen hin unterwürfig erschien, spürte er einen inneren Widerstand gegen die Kontrolle, die ihm aufgezwungen wurde.

Trotz diesen äußeren Hindernissen für den freien Ausdruck seines Lebens gab es auch Ermutigung und eine günstige Atmosphäre für das Wachstum seiner Seele. […] Obwohl seine Eltern durch strenggläubige Prinzipien gebunden waren – Regeln der Kaste und Gemeinschaft – waren sie tolerant und liberal in ihrem Verhalten und Auftreten gegen alle, die mit ihnen in Kontakt kamen. Sie beachteten nur einige Kastenregeln, was den sozialen Status betraf. Sie schienen an diese Einschränkungen nicht zu glauben. Sie waren religiös und übten ihre religiöse Praxis auf ihre Art aus, durch die sie mit dem Göttlichen kommunizierten, und verließen sich in allen Belastungen und Schwierigkeiten auf Gott. So forderte die häusliche Atmosphäre das Wachstum seiner Seele.“4

Ramdas berichtet weiter von der regelmäßigen Puja, die sein Großvater ausübte, vom Japa seiner Mutter, dem hingebungsvollen Gebet seines Vaters, dem Vorlesen aus den Puranas durch eine verwitwete Tante und die vielen Lieder der Heiligen, die seine Großmutter sang. Auch wurden alle Hindu-Feste begangen, an denen Vittal aus ganzem Herzen teilnahm.

Als er etwa acht war, kamen zwei Sannyasins aus dem Punjab zu Besuch. Er verbrachte fast den ganzen Tag mit ihnen und leistete ihnen kleine Dienste. Sie waren sehr freundlich zu ihm. Diese Begegnung machte auf ihn einen großen Eindruck.

Eines Tages besuchte ein Swami aus dem Chitrapur-Math die Gegend. Er war das Oberhaupt der Saraswat-Gemeinschaft, zu der auch Vittal durch Geburt gehörte. Der Junge war sehr interessiert an ihm und an dem spirituellen Leben, das er führte. Er ging täglich zwei- oder dreimal zu seinem Darshan und empfand eine seltsame Faszination. Vielleicht tauchte damals zum ersten Mal der Wunsch in ihm auf, auch ein solches Leben zu führen.

Wenn Vittal genug von der Schule hatte und auch zuhause keinen Frieden finden konnte, zog er sich in das alte, zerfallene Fort von Hosdurg zurück, wanderte dort frei umher und genoss die Natur. In diesem Fort gab es einen kleinen alten Tempel, den er selbstvergessen umrundete und sich an der Natur erfreute. Hier konnte er Frieden finden und vergaß dabei oft die Zeit.

Er war gern in der Gesellschaft von Kindern, da er sich unter ihnen frei von Konventionen und Einschränkungen verhalten konnte. Auch später hatte er eine besonders herzliche Beziehung zu Kindern. Zudem liebte er es sehr, auf Bäume zu klettern und sich an den Ästen der Banyan-Bäume hin- und herzuschwingen.

Er besaß keinerlei weltlichen Ehrgeiz. Doch er interessierte sich für Kunst und zeichnete und töpferte gern. Im Klassenzimmer machte er von seinen Lehrern Karikaturen.

Da er ein Brahmane war, kam nun die Zeit, die heilige Brahmanenschnur zu erhalten. Er und einer seiner Brüder erhielten sie zusammen, und im Haus fand eine Feier statt. Der Empfang der heiligen Brahmanenschnur bedeutet die Einführung des Jungen ins spirituelle Leben und markiert das Ende der Kindheit.

Vittal wurde für seine höhere Ausbildung nach Mangalore geschickt, wo er die Mission High School besuchte, die von der Baseler Mission geleitet wurde. Mangalore war eine größere Stadt. Dort lernte er viele Menschen kennen und war freier. In der Schule gab es keine körperlichen Züchtigungen mehr. Obwohl er sich weiterhin nicht für seine Schulbücher interessierte und oft im Unterricht fehlte, entwickelte er einen Durst nach Allgemeinwissen und las viele Bücher der Schulbücherei. Er mochte Geschichten und Erzählungen. Auch interessierte er sich für die Bibel und die Werke der englischen Klassiker. Dadurch erlangte er schon früh ein gutes Gespür für die englische Sprache. Oft machte er mit Lesen die Nacht zum Tag. Er war ein geübter Gesprächspartner und hatte von seinem Vater dessen unübertrefflichen Sinn für Humor wie auch seine Neigung zur Kunst geerbt. Er fehlte erneut oft im Unterricht und bestand keine der Prüfungen.

Etwa zweieinhalb Meilen von der Stadt entfernt gibt es einen Hügel namens Kadri mit mehreren Höhlen, der in seinem späteren Leben noch eine bedeutende Rolle spielen wird. Auf diesem Hügel stehen ein Tempel, sieben Wasserspeicher und ein Math. Zum jährlichen Tempelfest strömten tausende Menschen herbei, und es wurden Jahrmärkte veranstaltet. Einmal besuchte er mit anderen Jungen den Math. Auf der Veranda saß ein Yogi in Trance. Vittal betrachtete die stille Gestalt und fühlte sich sehr von ihr angezogen.

In Mangalore kam er öfter mit wandernden Sannyasins in Kontakt. In der Nähe des Ganapati-Tempels gab es ein Speisehaus für sie. Wenn er dort vorbeikam, hatte er stets ihren Darshan.

Vittal verbrachte daraufhin ein Jahr in Udipi, wo er die Christian High School besuchte. Er ging oft in den großen Krishna-Tempel. Mit anderen Schulfreunden bildete er eine Art Bruderschaft mit dem Ziel, Harmonie unter allen Menschen zu verbreiten, zuerst in Süd-Kanara und dann auch über die Grenzen hinaus. Sie luden berühmte Leute zu Vorträgen ein. Es war natürlich ein jungenhaftes Unterfangen, zeigte aber, in welche Richtung Vittal sich künftig bewegen würde. Die Bruderschaft bestand nicht lange.

Um sich für die Abschlussprüfung vorzubereiten, lebte Vittal eine Zeit lang bei einem Onkel in Kasaragod. Dieser besaß eine große Bibliothek mit religiösen Werken, die sein Interesse weckten. Die Bibliothek enthielt auch viele theosophische Bücher. So las er die Werke von Madame Blavatsky, Annie Besant und anderen. Da er sich nicht auf die Prüfung vorbereitete, bestand er sie auch hier nicht. Anschließend kehrte er nach Hause zurück.

Vittal war inzwischen sechzehn. Er wollte Künstler werden – nicht um Geld zu verdienen, sondern weil seine Begabung einen Ausdruck suchte. Er bat seine Eltern, die Kunstschule in Bombay besuchen zu dürfen. Natürlich stieß er auf Widerstand, da sie ihn für zu jung für das Leben in einer solch großen, weit entfernten Stadt hielten. Aber Vittal gab nicht auf und ging eines Nachmittags heimlich von zuhause fort. Er suchte seinen Onkel in Kasaragod auf, um ihn um die nötigen finanziellen Mittel für seinen Aufenthalt in Bombay zu bitten. Dieser war erstaunt über das plötzliche Auftauchen seines Neffen. Nach drei Tagen kam ein Brief von seinen Eltern, dass Vittal abgehauen sei. Der Onkel machte ihm heftige Vorwürfe und schickte ihn am nächsten Tag mit dem Ochsenkarren nach Hause zurück.

Sein Vater war gutherzig und verstand Vittal. Er ermutigte ihn, in Hosdurg eine Schauspielgruppe aus Amateuren zu gründen. Vittal entwarf Bühnenbilder, Kleidung und anderes zur Aufführung von Dramen. Dazu diente der Garten in einem Nebengebäude seiner Eltern. Die Schauspieltruppe versuchte sich zunächst mit dem englischen Drama von Shakespeares King John, in dem Vittal nur eine kleine Rolle spielte. In einem weiteren Stück spielte er den Clown und brachte die Zuschauer zum Lachen. Das dritte Schauspiel handelte vom Herrscher Shivaji im Maharashtra des 17. Jahrhunderts. Da niemand Shivajis Guru Samarth Ramdas spielen konnte, fiel diese Rolle ihm zu.

Er berichtet später: „Er erinnert sich daran, wie er in der Kleidung eines Sannyasin mit einem Kamandal in der einen Hand und einer Japa-Mala in der anderen Hand auf der Bühne erschien. Er trug Holzsandalen an den Füßen, seine Stirn war mit Asche beschmiert und sein Kopf mit verfilzten Locken geschmückt.“5

Das Drama war ein großer Erfolg.

Da beschlossen seine Eltern, ihn nach Madras zu schicken, wo er bei seinem älteren Bruder Sitaram wohnen konnte, der dort in der Stadtverwaltung arbeitete. Vittal durfte die School of Arts besuchen und nahm an einem Kurs in Zeichnen und Gravieren teil. Dies entsprach nun vollständig seinen Neigungen, und er widmete sich ihm eifrig mit viel Erfolg. Dieser Kunstkurs dauerte normalerweise sieben Jahre, doch die Berufsaussichten waren nicht rosig.

Während dieses Kurses eröffnete sich für Vittal eine neue Perspektive. Ein Herr aus Madras stiftete für zwei Studenten ein Stipendium für eine technische Ausbildung am Victoria Jubilee Technical Institute in Bombay. Vittal wurde für das Stipendium ausgewählt und ging nach Bombay. Da alle Studienplätze für Elektrotechnik und Maschinenbau bereits vergeben waren, blieb nur ein Platz in Textilerzeugung, ein Bereich, der ihm überhaupt nicht zusagte. Drei Jahre verbrachte er in Bombay, ließ sich aber nur selten am Institut blicken. Er las weiterhin viele Bücher.

Die ersten beiden Jahre wohnte er bei seinem Freund Vadiraj, der in einer Färberei arbeitete und Vittal sehr mochte. Ihre Beziehung war sehr innig. Durch diesen Freund bekam Vittal Zugang zu einer Bibliothek, die alle Themen führte. Er las historische Bücher und studierte dann für sich intensiv die englische Poesie wie Shakespeare, Goldsmith, Byron, Browning und viele andere. Für wenig Geld kaufte er sich in einem Antiquariat einige dieser Werke. Er befasste sich auch mit Philosophie und las Burke, Carlyle, Ruskin, Schopenhauer, Emerson und andere Philosophen. Doch er fand in ihnen kein Prinzip, auf dem das Leben sicher gründen und die Wahrheit gesucht werden konnte. Ebenso las er die Romane berühmter Autoren weltweit, die deutschen und französischen Dramatiker und die amerikanischen und englischen Humoristen.

Dann stieß er auf die Werke der Rationalist Press Association, ein Zusammenschluss von rationalistischen Freidenkern, was eine völlige gedankliche Wende für ihn bedeutete. Er las Ernst Haeckel, Grant Allen und andere. Die wissenschaftliche Art, wie die Rationalisten zu beweisen suchten, dass es keinen Gott gab, zerstörte seinen Glauben, und er wurde ein Skeptiker. Fortan hielt er allen Gottesglauben für eine geistige Halluzina-tion. Gott war nur eine Vorstellung im menschlichen Gehirn, den es in Wirklichkeit nicht gab. Alles in der Welt geschah durch Zufall. Es gab keine Kraft, die die Dinge lenkte.

Vittals Geist wurde dadurch mit der Zeit trocken. Er verlor seinen inneren Frieden und seinen Gleichmut. Doch glücklicherweise dauerte seine atheistische Episode nicht lange. Er stieß auf Swami Vivekananda, Ramakrishna Paramahamsa und Swami Rama Tirtha, die wieder eine vertraute Saite seines Herzens zum Schwingen brachten. Vivekananda mit seiner rationalistischen Art, seiner intensiven Gotteserfahrung und seiner enormen geistigen Kraft faszinierte ihn, und sein Glaube erwachte erneut. Innerhalb kürzester Zeit wandelte sich seine Ansicht von völliger Verneinung zur völligen Bejahung der Existenz Gottes. So wurde er zu einem rigoros Glaubenden. Die religiösen Zeremonien und Kulte sprachen ihn jedoch nicht mehr an. Er dachte an ein spirituelles Leben, das auf Moral und Tun aufbaute, gleichgültig welcher Religion. Gott war der Vater und auch die Mutter aller Menschen, universal, die göttliche Quelle von allem, das existiert. Vor solch einem Gott, der der Gott aller Religionen war, verneigte er sich. Fortan studierte er eifrig die christlichen und hinduistischen Schriften und las die Bhagavad Gita.

Da erkrankte sein Freund Vadiraj an Typhus. Vittal verbrachte fast den ganzen Tag bei ihm und ging in dieser Zeit nicht zum Institut. Er war zum ersten Mal in seinem Leben beim Sterben eines Menschen dabei. Beim Tod seines Freundes weinte er wie ein Kind, das seine Mutter verloren hatte.

Danach wohnte er bei anderen Studienkollegen. Obwohl er sich die ganze Zeit nicht um sein Studium gekümmert hatte, lernte er einen oder zwei Monate vor der Prüfung intensiv, bestand und erhielt nach drei Jahren sein Diplom in Textilerzeugung.

3 Er schrieb von sich immer als Ramdas in der dritten Person.

4 Chandrashekar: Passage, I-II

5 ders., S. XV

Ehe und Beruf

Vittals Zeit in Bombay kam zu einem Ende, und er kehrte zu seinem Bruder Sitaram nach Madras zurück. Die beiden Brüder verstanden sich gut und teilten die gleichen Interessen. Sitaram hatte soeben eine Firma für Handweberei eröffnet. Da kam ihm die Hilfe seines Bruders gerade recht. Der hergestellte Stoff war sehr begehrt, aber Vittals erworbene Kenntnisse waren hier wenig gefragt und für eine motorisierte Baumwollspinnerei gedacht. In dieser Zeit erhielt er einen Brief von seinem Vater mit der Frage, ob er einverstanden sei, zu heiraten. Vittal gab eine negative Antwort.

Bald darauf bekam er eine Anstellung in einer Baumwollspinnerei in Gulbarga. Nach drei oder vier Monaten kam ein Telegramm von seinem Vater, einer Heirat zuzustimmen. Alles Nötige war bereits in die Wege geleitet worden, und der Hochzeitstermin war festgelegt. Es war im Jahr 1908, und Vittal war inzwischen vierundzwanzig. Vittal stimmte wiederwillig zu, um seine Eltern nicht in Schwierigkeiten zu bringen, da sie die Sache schon so weit vorangetrieben hatten. Er ging nach Mangalore, wo die Braut wohnte, um sie zu heiraten. Rukmabai war die Tochter eines Versicherungsvertreters. Sie war eine kultivierte, religiöse Frau, die rechtgläubig dachte und sich anfangs mit Vittals freier Sichtweise schwertat.

Nach der Hochzeit kehrte er nach Gulbarga an seinen Arbeitsplatz zurück. Einige Monate später wechselte die Baumwollspinnerei den Besitzer, und Vittal wurde entlassen. Er suchte in Madras eine neue Stelle. Es folgten kurze Perioden, in denen er eine Beschäftigung hatte, und längere der Arbeitslosigkeit. Kaum hatte er sich irgendwo niedergelassen, verlor er wieder die Arbeit. Einen anderen hätte diese Situation vielleicht entmutigt, aber Vittal war eine Kämpfernatur und gab sich nicht so leicht geschlagen.

Er arbeitete etwa ein Jahr als Spinnereimeister in Gadag in Karnataka. Der Geschäftsführer war oft weg und überließ Vittal die Verantwortung für den Betrieb. In dieser Zeit musste er einmal disziplinarische Maßnahmen gegen einen Arbeiter ergreifen, was von den anderen Arbeitern falsch interpretiert wurde. Sie wollten ihn nach der Arbeit am Abend abfangen und verdreschen. Vittal wurde vorgewarnt. Es wurde ihm geraten, diesmal nicht den Vordereingang zu benutzen, aber er schlug alle Warnungen in den Wind, und als die Spinnerei am Abend schloss, ging er mit seinem Schirm wie immer durch das Tor. Etwa fünfundzwanzig Männer warteten auf ihn mit Stöcken in den Händen. Vittal musterte die Gruppe still lächelnd für einen Moment und ging dann weiter. Keiner wagte, ihn zu behelligen.

Nach einem Jahr in Gadag erhielt er ein Angebot in Kollam in Kerala. Die Aussichten sahen rosig und verführerisch aus. Er kündigte seine Arbeit in Gadag und wurde Spinnereimeister in Kollam und dann Geschäftsführer des Betriebs. Seine Frau Rukmabai zog zu ihm. Aber die Spinnerei steckte in so großen finanziellen Schwierigkeiten, dass die Arbeiter nicht bezahlt werden konnten. Vittal erhielt nicht sein volles Gehalt und schickte seine Frau zu ihrer Familie nach Mangalore zurück.

Eines Sonntags, als Vittal allein im Büro der Spinnerei war, kam einer der Arbeiter herein und bedrohte ihn mit einem Messer. Er hatte seit einigen Monaten keinen Lohn erhalten und verlangte ihn nun auf der Stelle. Ansonsten wollte er Vittal erstechen. Vittal war nicht einzuschüchtern. Er griff nach einem schweren Holzlineal, stand auf und ging zur Tür, wobei er das Lineal schwang. Darauf war der Arbeiter nicht vorbereitet und machte sich aus dem Staub.

Vittal verbrachte acht Monate in Kollam. Schließlich hatte er keine andere Wahl, als den undankbaren Job aufzugeben. Doch bevor er erneut auf Arbeitssuche gehen wollte, beschloss er, einige Monate bei seinen Eltern in Hosdurg zu verbringen. Er blieb vier Monate daheim und widmete sich wieder der Lektüre seines Lieblingsdramatikers Shakespeare. Am Nachmittag übersetzte er oft Teile aus diesen Dramen für seinen Vater in die Landessprache Konkani.

Anschließend ging er nach Bombay auf Arbeitssuche, doch er hatte keinen Erfolg. Danach versuchte er es in Hubli. Etwas später erhielt er eine Anstellung in einer Abfallfabrik in Madras, wo er zwei Jahre arbeitete.

1913 gebar Rukmabai ein Mädchen, das Ramabai genannt wurde. Da Vittal nicht sein volles Gehalt erhielt, konnte er nicht in der Fabrik bleiben. Schließlich ergatterte er eine Anstellung als Spinnereimeister in einem Betrieb in Coimbatore und zog mit Frau und Kind dorthin.

1914 starb seine Mutter. Sie war mehrere Jahre lang krank und bettlägerig gewesen. Vittal führte mit seinen Geschwistern die Begräbnisriten in Hosdurg durch. Als er nach Coimbatore zurückkehrte, hatte sich die Situation in der Spinnerei verändert, und Vittal ahnte, dass ihm gekündigt werden würde. Er schickte Frau und Kind nach Mangalore. Das Dienstverhältnis endete tatsächlich. Danach kehrte er nach Hosdurg zurück und blieb dort einen Monat, bevor er erneut nach Bombay ging.

Schließlich wurde er von einem alten Freund, der in Ahmedabad wohnte, eingeladen und fand eine Anstellung in einer Spinnerei. Das Gehalt war niedrig, die Arbeit anstrengend. Sie bestand hauptsächlich aus der Wartung der schweren Maschinen der Spinnerei. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht musste Vittal an der Montage der Maschinen arbeiten, und an den meisten Abenden kam er ziemlich erschöpft nach Hause. Er lebte bei seinem Freund und dessen Frau.

Da erhielt er ein Jobangebot in einer Spinnerei in Nadiad. Das Gehalt war gut, aber der Arbeitsvertrag galt nur für vier Monate. Der Besitzer war ein über achtzigjähriger Mann. Doch obwohl er körperlich gebrechlich war, tyrannisierte er seine Arbeiter mit scharfen Worten. Vittal warnte ihn und ließ sich seine Kraftausdrücke nicht gefallen. Das gefiel dem Besitzer nicht, und nach zwei Monaten entließ er ihn, allerdings mit dem vollen Gehalt für den vereinbarten Zeitraum.

Vittal kehrte mit seiner Familie nach Bombay zurück. Er schickte Frau und Kind nach Mangalore und versuchte erneut, in der Stadt eine Anstellung zu bekommen. Obwohl er mehrere Monate in Bombay war, blieb seine Arbeitssuche erfolglos. Da erhielt er von seinem Schwiegervater in Mangalore eine Einladung, sich seinem Stoffhandel, den er neu aufgebaut hatte, anzuschließen. Gegen Ende 1917 begann er also bei seinem Schwiegervater zu arbeiten. Doch die Gebräuche der Geschäftswelt, die mit List, Tricks und Kniffen arbeitete, um erfolgreich zu sein, sagten ihm nicht zu. Es kam unausweichlich zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und seinem Schwiegervater, und Vittal trennte sich von ihm.

1919 machte er sich in Mangalore selbstständig, indem er Saris färbte und bedruckte, und machte in einem kleinen Raum seine Farb- und Druckexperimente. Da erkrankte seine Frau an den Pocken, und seine Tochter litt an schwerem Husten. Vittal hielt Tag und Nacht Wache am Bett der Kranken. Nach einiger Zeit erholte sich Ramabai, aber Rukmabais Zustand wurde täglich schlimmer und schließlich lebensbedrohlich. In seiner Verzweiflung betete er zu Sri Pandurangashram Swami vom Chitrapur-Math, dessen Foto in seinem Zimmer hing und der ein großer Yogi gewesen war. Da stahl sich Ruhe und Frieden in sein aufgewühltes Herz, und Rukmabais Zustand verbesserte sich schnell.

Diese Erfahrung veränderte Vittals Lebenseinstellung. Zunehmend ergriff ihn eine Art Leidenschaftslosigkeit. Er sprach nur noch von Gott und den Lehren der Heiligen. Vor allem seinem älteren Bruder Sitaram, der ebenfalls sehr religiös war, öffnete er sein Herz.

Vittals Geschäft mit den farbigen Stoffen vergrößerte sich. Er benötigte größere Räumlichkeiten und eröffnete zusätzlich einen Laden in der Stadt. Sitaram unterstützte ihn sehr. Es wurde ein großes Haus gemietet, in dem er fortan mit seiner Familie wohnte und das zugleich als Werkstatt diente. Der Laden war für die Bestellungen und Geschäfte gedacht. Er nannte seine Firma „Sri Sitaram Vittal Co.“ Er lud auch seinen Schwager Chandragiri ein, sich am Geschäft zu beteiligen, und dieser wurde zum neuen Geschäftspartner. Die Familien zogen Mitte 1919 in die neue Unterkunft.

Das Geschäft florierte. Vittal kümmerte sich um die Herstellung der Stoffe zuhause und Narsingrao, sein ältester Bruder, der sich ihm inzwischen ebenfalls angeschlossen hatte, um den Laden in der Stadt. Vittal legte sein Herz und seine Seele in die Arbeit und leitete seine Arbeiter an. Es war normal, ihn mit farbbespritztem Hemd und Dhoti zu sehen. Die Stoffe waren so beliebt, dass sie sogar bei einer Ausstellung in Mangalore eine Goldmedaille gewannen.

Vittal kümmerte sich sehr um seine Arbeiter und zahlte ihnen mehr Lohn als üblich und als er sich leisten konnte. So wurden die Defizite immer größer. Er besaß kein Kapital und keinen Notgroschen. Allmählich stürzte das Unternehmen in die finanzielle Katastrophe. Im Laufe der Zeit verließen seine beiden Partner das Geschäft. Zu dieser Zeit arbeitete Vittal mit großem Enthusiasmus an einem Projekt zur Gründung einer elektrisch betriebenen Webstuhlfabrik als Aktiengesellschaft in Mangalore. Er gab sich große Mühe, alle notwendigen Statistiken und Daten zu sammeln, und arbeitete die Satzung aus, aber das Vorhaben scheiterte an der mangelnden Unterstützung und Resonanz seitens der örtlichen Kapitalisten.

Am Abend fand Vittal Erholung in der Gesellschaft seines Bruders Sitaram und vergaß für einige Zeit seine geschäftlichen Sorgen. Sie sprachen über alle möglichen Themen, über Religion, Literatur und Politik und auch über Mahatma Gandhi, den alle sehr verehrten.

Auf der Suche nach Gott

Stationen der ersten Pilgerreise von Ramdas

Ramdas wird zum Bettelmönch und geht auf Pilgerreise

Ramdas Erzählung aus „Auf der Suche nach Gott“ beginnt mit der letzten Phase seines Familienlebens. Fortan berichtet er selbst.

Fast ein Jahr lang kämpfte sich Ramdas durch eine Welt voller Sorgen, Ängste und Schmerzen. Es war eine Zeit von schrecklichem Stress und Unruhe, die er selbst verursacht hatte. In diesem völlig hilflosen Zustand voller Elend schrie er in seinem Herzen: „Wo ist Erleichterung? Wo ist Ruhe?“ Der Schrei wurde gehört, und aus der großen Leere kam die Stimme: „Verzweifle nicht! Vertraue Mir, und du sollst frei sein“ – und dies war die Stimme von Ram. Diese ermutigenden Worte Rams erwiesen sich als ein Rettungsring, der einem Mann zugeworfen wird, der in den stürmischen Wellen einer tobenden See um sein Leben kämpft. Die große Gewissheit besänftigte das schmerzende Herz des hilflosen Ramdas wie sanfter Regen, der auf durstige Erde fällt. Von da an wurde ein Teil der Zeit, die früher ganz den weltlichen Angelegenheiten gewidmet war, für die Meditation Rams verwendet, die ihm wirklichen Frieden und Erleichterung schenkte. Allmählich wuchs die Liebe zu Ram, dem Geber des Friedens. Je mehr Ramdas über Seinen Namen meditierte und ihn aussprach, desto größer wurde die Erleichterung und Freude, die er fühlte. Die Nächte, die frei von weltlichen Pflichten waren, wurden im Laufe der Zeit fürs Ram-Bhajan genutzt, mit kaum einer oder zwei Stunden Schlaf. Seine Hingabe für Ram nahm sprunghaft zu.

Tagsüber, als Ramdas von Sorgen und Ängsten geplagt wurde – Geldsorgen und andere Sorgen – kam Ram ihm auf unerwartete Weise zu Hilfe. Wann immer er also frei von weltlichen Pflichten war – sei es auch nur für einen kurzen Zeitraum – meditierte er über Ram und sprach Seinen Namen aus. Wenn er auf der Straße ging, rief er immer wieder „Ram, Ram“. Die Dinge der Welt verloren für Ramdas ihre Anziehungskraft. Bis auf eine oder zwei Stunden in der Nacht gab er den Schlaf um Rams willen auf. Finessen in Kleider wurden durch grobes Khaddar ersetzt. Das Bett wurde durch eine bloße Matte ersetzt. Zwei Mahlzeiten wurden auf eine Mahlzeit pro Tag reduziert, und nach einiger Zeit wurde auch diese zugunsten von Kochbananen und gekochten Kartoffeln aufgegeben. Chilis und Salz wurden völlig gemieden. Kein Geschmack außer für Ram. Die Meditation über Ram ging unaufhaltsam weiter. Sie nahm die Stunden des Tages und die sogenannten weltlichen Pflichten in Beschlag.

In dieser Phase kam eines Tages Ramdas‘ Vater zu ihm – von Ram geschickt –, nahm ihn zur Seite und gab ihm die Upadesh des Ram-Mantras „Sri Ram, Jai Ram, Jai Jai Ram“. Er versicherte ihm, dass, Ram ihm ewiges Glück schenken würde, wenn er dieses Mantra immer wiederholen würde. Diese Einweihung durch den Vater, der danach von Ramdas als Gurudev angesehen wurde, beflügelte den Aspiranten in seinem spirituellen Fortschritt. Immer wieder wurde er von Ram dazu angehalten, die Lehren Sri Krishnas in der Bhagavad Gita, von Buddha in „The Light of Asia“, von Jesus Christus im Neuen Testament, von Mahatma Gandhi in „Young India“ und „Ethical Religion“ zu lesen. Die junge Pflanze der Bhakti zu Ram wurde auf diese Weise in der elektrisierenden Atmosphäre genährt, die durch den Einfluss dieser großen Männer auf den Geist des bescheidenen Ramdas entstand. Zu dieser Zeit dämmerte es ihm langsam, dass Ram die einzige Wirklichkeit war und alles andere falsch war. Während das Verlangen nach dem Genuss weltlicher Dinge schnell abnahm, wurde auch die Rücksicht auf „mich und mein“ schwächer. Das Gefühl von Besitz und Beziehung verschwand. Alle Gedanken, der ganze Verstand, das ganze Herz, die ganze Seele waren auf Ram konzentriert, Ram der alles zudeckt und aufsaugt.

Eines Nachts, während er die Süße Seines Namens trank, wurde Ramdas dazu gebracht, in folgender Weise zu denken: „Oh Ram, wenn Dein Sklave Dich gleichzeitig so mächtig und so liebevoll findet, und derjenige, der Dir vertraut, sich des wahren Friedens und Glücks sicher sein kann, warum sollte er sich nicht ganz auf Deine Barmherzigkeit verlassen, die nur möglich ist, wenn er alles aufgibt, was er „mein“ nennt? Du bist alles in allem für Deinen Sklaven. Du bist der einzige Beschützer in der Welt. Die Menschen sind verblendet, wenn sie erklären: ‚Ich tue dies, ich tue das. Dies gehört mir, jenes gehört mir.‘ Alles, oh Ram, gehört Dir, und alle Dinge werden allein von Dir getan. Das einzige Gebet Deines Sklaven an Dich ist, ihn unter Deine vollständige Führung zu nehmen und sein ‚Ich‘-Sein zu beseitigen.“

Dieses Gebet wurde erhört. Ramdas‘ Herz stieß einen tiefen Seufzer aus. Ein vager Wunsch, allem zu entsagen und im Gewand eines Bettlers auf der Suche nach Ram über die Erde zu wandern, wehte durch seinen Geist. Jetzt veranlasste ihn Ram, wahllos das Buch „The Light of Asia“ aufzuschlagen, das zu diesem Zeitpunkt vor ihm lag.

Seine Augen ruhten auf den Seiten, auf denen die große Entsagung des Buddha beschrieben wird, der sagt: „Denn nun ist die Stunde gekommen, in der ich dieses goldene Gefängnis, in dem mein Herz gefangen ist, verlassen werde, um die Wahrheit zu finden, die ich von nun an um aller Menschen willen suchen will, bis sie gefunden ist.“

Dann schlug Ramdas das Neue Testament auf und stieß auf die folgenden eindeutigen Worte von Jesus Christus: „Und jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen.“9

Dann wurde er auf die gleiche Weise veranlasst, sich auf die Bhagavad Gita zu beziehen, und er las das folgenden Sloka: „Gib alle Pflichten auf und komme allein zu Mir, um Zuflucht zu finden. Sorge dich nicht. Ich werde dich von allen Sünden befreien.“10

Ram hatte sich also durch die Worte dieser drei großen Avatare – Buddha, Christus und Krishna – geäußert, und sie alle wiesen denselben Weg: Entsagung.

Sofort fasste Ramdas den Entschluss, um Rams willen alles aufzugeben, was er bis dahin als sein Eigen betrachtet hatte, und die Welt des Samsara zu verlassen. Während dieser Zeit war seine Kleidung sehr einfach. Sie bestand aus einem Stück Stoff, das den Oberkörper bedeckte, und einem weiteren, das um den Unterleib gewickelt war. Am nächsten Tag besorgte er sich zwei Kleidungsstücke in Gerrua oder rotem Ocker.11 Er schrieb in derselben Nacht zwei Briefe, einen an seine Frau, die er seit einiger Zeit als seine Schwester ansah, und einen an einen guten Freund, den Ram mit Ramdas in Kontakt gebracht hatte, um ihn von seinen Schulden zu befreien.

Der Entschluss war gefasst. Um fünf Uhr morgens verabschiedete er sich von einer Welt, die für ihn jede Anziehungskraft verloren hatte und in der er nichts mehr finden konnte, was er sein Eigen nennen konnte. Der Körper, der Geist, die Seele – alles wurde Ram zu Füßen gelegt, dem ewigen Wesen, das voller Liebe und Barmherzigkeit war.

Der Morgenzug brachte Ramdas von Mangalore nach Erode, einem Eisenbahnknotenpunkt. Er hatte eine Summe von 25 Rupien und einige Bücher mitgenommen, darunter die Gita und das Neue Testament.

In Erode fand er sich seltsam hilflos, ohne Pläne oder Gedanken für die Zukunft. Er wusste nicht, wohin Ram ihn führen würde. Er irrte eine Weile umher, und als die Dunkelheit hereinbrach, ging er zu einer kleinen, niedrigen Hütte am Straßenrand und fand am Eingang eine Mutter mittleren Alters vor, die er um etwas zu essen bat. Die freundliche Mutter nahm ihn sofort in ihrer Hütte auf und servierte ihm Reis und Quark. Die Mutter war sehr gütig. Nur mit großer Mühe konnte sie dazu gebracht werden, etwas Geld für das Essen anzunehmen.

Als er die Hütte verließ, ging er zum Bahnhof. Er legte sich dort in eine Ecke und ruhte sich eine Weile aus. Er wusste nicht, was er tun oder wohin er gehen sollte. Um Mitternacht läutete eine Glocke, die die Ankunft eines Zuges ankündigte. Er stand auf. Ein Tamile in seiner Nähe fragte, wohin er wolle. Ramdas war nicht in der Lage, etwas darauf zu antworten. Ram allein konnte seine Zukunft bestimmen. Dieser Freund versprach Ramdas, ihn bis nach Trichinopoly mitzunehmen, wohin er unterwegs war. Ramdas gab ihm Geld für den Kauf einer Fahrkarte, und beide stiegen in den Zug. Es war Abend, als der Zug den Bahnhof von Trichinopoly erreichte.

Er stieg aus dem Zug und ging in die Stadt. Die ganze Zeit über, den ganzen Weg von Mangalore, erklang das göttliche Mantra von Sri Ram auf seinen Lippen. Er konnte es nie vergessen. Das Aussprechen von Rams Namen allein stärkte und ermutigte ihn. In der Nacht ruhte er auf der Veranda eines Hauses am Straßenrand aus. Am nächsten Morgen machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Srirangam, etwa sieben Meilen von Trichy entfernt, wo er gegen acht Uhr eintraf.

Hier wurde Ramdas zum ersten Mal in das Geheimnis von Rams Absicht eingeweiht, ihn aus seinem früheren Leben und Umfeld herauszuholen. Der Zweck war, ihn auf eine Pilgerreise zu heiligen Schreinen und Flüssen mitzunehmen.

In Srirangam floss der wunderschöne Fluss Kaveri in seiner ganzen Reinheit und Majestät. Er ging zum Fluss und badete in seinem klaren Wasser. Hier am Ufern des Kaveri legte er auf Rams Befehl das Gewand eines Sannyasin an. Es war ein bedeutsamer Schritt, und indem er ihn tat, gab Ram ihm eine völlig neue Geburt. Die weißen Kleider, die er zuvor getragen hatte, wurden dem Kaveri geopfert, der sie in seinem rauschenden Wasser davontrug. Er zog die orangefarbene Kleidung an und sprach das folgende Gebet:

„Oh Ram! Oh unendliche Liebe, Beschützer aller Welten! Es ist allein Deinem Wunsch zu verdanken, dass Dein demütiger Sklave dazu gebracht wurde, Sannyas zu nehmen. In Deinem Namen allein, oh Ram, hat er das Samsara aufgegeben und alle Fesseln und Bindungen durchtrennt.

Oh Ram, segne Deinen armen Verehrer mit Deiner Gnade. Möge Ramdas mit Kraft, Mut und Glauben ausgestattet sein, um in Deinem Namen, Ram, die folgenden Gelübde auszuführen und alle Prüfungen und alle Arten von Entbehrungen zu ertragen, die den Weg eines Sannyasin auf seinem Weg durch das raue und gefahrvolle Leben eines Bettelmönchs ausmachen:

1. Dieses Leben soll von nun an ganz der Meditation und dem Dienst für Sri Ram geweiht sein.

2. Strenges Zölibat wird eingehalten. Alle Frauen werden als Mütter betrachtet.

3. Der Körper soll mit der durch Bhiksha beschafften Nahrung oder mit dem, was als Almosen angeboten wird, erhalten werden.“12

Die Aufregung einer neuen Geburt, eines neuen Lebens mit der süßen Liebe von Ram war zu spüren. Ramdas‘ kämpfende Seele überkam der Friede. Der innere Aufruhr war beendet. Rams eigene Hände schienen den Kopf seines Sklaven zu berühren – Ram segnete. Oh Tränen, fließt weiter, aus reiner Freude über die Befreiung! Kummer, Schmerz, Angst und Sorge – alles verschwand, um nie wieder zu kommen. Alle Ehre gebührt Dir, Ram. Der große Segen kam von Ram: „Ich nehme dich unter Meine Führung und Meinen Schutz – bleibe immer Mein Ergebener – dein Name soll Ramdas [Diener Rams] sein.“

Ja, Ramdas, was für ein großes Privileg es ist, der Diener von Ram zu werden, der ganz Liebe, Güte, völliges Erbarmen, völliges Verzeihen ist!

Nun kam er zu einem Dharmashala in der Nähe des Flusses und fand einige Sadhus vor, die am Durchgang, der zur Hauptstraße hinausführte, auf dem Boden saßen. Sie waren damit beschäftigt, das Ram-Bhajan zu singen, begleitet von Zimbeln und Ektar. Sie sangen den glorreichen Namen von Ram. Ramdas hockte sich neben die beiden jungen Sannyasins und stellte sein Lota, das er in Trichy erworben hatte, vor sich hin, um Bhiksha von den Pilgern zu empfangen, die nach ihrem Bad vorbeikamen. Das Bhajan der beiden jungen Verehrer war wirklich sehr lieblich. Die Zeit verging sehr angenehm.

Gegen zwölf Uhr mittags war das Bhajan zu Ende. Die jungen Sadhus bemerkten, dass nur drei Viertel-Anna-Stücke auf dem vor ihnen ausgebreiteten Tuch lagen, alles, was sie für den Tag bekommen hatten. (Eine Anna ist 1/16 Rupie.) Mit einem enttäuschten Blick meinte einer von ihnen: „Seit dem Morgen singen wir den Ruhm Gottes, und Er hat uns nur so viel gegeben. Der Hunger rumort im Magen. Wie sollen wir Essen beschaffen, oh Gott? Ist das Bhajan vom Morgen bis jetzt nur neun Pies wert?“ (Ein Pies ist ein Zwölftel einer Anna.)

Diese Frage wurde von Ramdas sogleich beantwortet: „Nein, junge Brüder, eurem Bhajan kann kein Wert beigemessen werden. Gott ist immer gütig und liebevoll. Er verlässt niemals diejenigen, die sich auf Ihn verlassen. Ram hat durch seinen bescheidenen Sklaven Geld für euer heutiges Essen geschickt.“ Mit diesen Worten gab er den Sadhus eine Rupie von dem Betrag, den er bei sich trug. Die armen Sadhus starrten ihn verblüfft an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie riefen: „Oh Gott, Deine Wege sind wunderbar – verzeih Deinen unwürdigen Sklaven. Wir haben an Dir und Deiner Liebe gezweifelt. Gib, dass wir in Zukunft niemals tadeln, sondern alle Leiden in Deinem Namen geduldig ertragen.“

Dann verließen die Sadhus den Ort. Ramdas schaute in sein eigenes Lota und entdeckte darin zwei Pies. Sein Herz hüpfte vor Freude beim Anblick dieser kleinen Münzen – den ersten Erlös seiner Bhiksha! Mit den Münzen kaufte er zwei kleine Kochbananen und aß sie mit großem Vergnügen.

Zu dieser Zeit saß ein anderer Sadhu in derselben Reihe rechts neben ihm, während die jungen Sadhus von vorhin links von ihm gesessen hatten. Nun erkundigte sich dieser Sadhu, wohin Ramdas gehen wollte. Er konnte natürlich keine Antwort auf diese Frage geben. Das konnte nur Ram. Da er keine Antwort erhielt, schlug der Sadhu vor, Ramdas mit sich nach Rameswaram zu nehmen, wohin er unterwegs war.

Oh Ram, Deine Güte ist in der Tat sehr groß. Um Deinen hilflosen Sklaven zu führen, hast Du diesen Sadhu zu ihm geschickt. Warum? Er kann für keinen anderen gehalten werden als für Ram selbst.

Von Zeit zu Zeit traf Ramdas Sadhus, die ihn nicht nur auf der Pilgerreise führten, sondern sich auch um ihn kümmerten. Alle diese Sadhus sollen durch Rams Willen Sadhuram heißen.

Der Führer wurde sofort akzeptiert. Ramdas hatte noch etwa neun Rupien bei sich, die er dem Sadhuram übergab und sich dabei sehr erleichtert fühlte. Geld mit sich zu tragen bedeutet, Angst mit sich zu tragen, denn es lenkt die Aufmerksamkeit von Zeit zu Zeit darauf. Nachdem er das Geld übergeben hatte, schlug er dem Sadhuram vor, die Rupien in Ein-Anna-Münzen umtauschen zu lassen und sie an die Armen zu verteilen, die an den Türen der Tempel bettelten. Diesen Wunsch erfüllte er. Nun warf sich Ramdas mehr denn je mit nur zwei Kleidern und ein paar Büchern – all seinen Besitztümern in der Welt – auf die Unterstützung von Ram. Er machte sich mit dem Sadhuram, den Ram als Führer geschickt hatte, auf den Weg. Er führte ihn zum Bahnhof, und beide stiegen in einen Zug, der nach Rameswaram fuhr. Keine Fahrkarte – Ram war die Fahrkarte und alles in allem.

Während Ramdas im Zug saß, setzte er seine Meditation über Ram fort. Der Zug fuhr weiter, bis er einen Bahnhof erreichte, der etwa sechs Meilen von Rameswaram entfernt lag. Hier kam ein Fahrkartenkontrolleur in das Abteil, in dem Ramdas und sein freundlicher Führer saßen. Nachdem er die Fahrkarten der anderen Fahrgäste kontrolliert hatte, wandte er sich an die Sadhus und rief: „Fahrkarten, Fahrkarten!“

„Keine Fahrkarten, Bruder, wir sind Sadhus“, lautete die Antwort.

„Ohne Fahrkarten könnt ihr nicht weiterreisen. Ihr müsst hier aussteigen“, sagte der Kontrolleur.

Ramdas stand sofort auf und sagte zum Sadhuram, dass es Rams Wunsch sei, dass sie an diesem Ort aussteigen sollten. Der Sadhuram murrte über das Vorgehen des Kontrolleurs. Ramdas erwiderte: „Bruder, wir können nicht die ganze Strecke nach Rameswaram mit dem Zug fahren. Pilgerreisen sollte man zu Fuß machen. Aber irgendwie war Ram so freundlich, uns bis hierher mit dem Zug mitzunehmen. Wir müssen nur eine Strecke von sechs Meilen gehen, um Rameswaram zu erreichen. Es ist der Wille Rams, dass wir diese Strecke zu Fuß zurücklegen sollen. Sei fröhlich, Bruder.“

Sie machten sich auf den Weg. Als sie etwa zwei Meilen zurückgelegt hatten, brachte Ram sie mit einem Barbier in Kontakt. Seit er von Mangalore aufgebrochen war, hatte sich Ramdas noch nicht rasiert. Hier bekam er also zum ersten Mal seinen Bart, Schnurrbart und Kopf rasiert, wie es sich für einen Sannyasin gehört.

Im Tempel von Rameswaram, Wikimedia Commons, Foto: Mathanagopal, 2008

Als sie sich Rameswaram näherten, kamen sie zu einem Becken am Straßenrand namens Lakshman Kund. Nachdem sie in dieser Zisterne gebadet hatten, kamen sie an einer Reihe von kleinen Tanks vorbei, die verschiedene Namen trugen.

Schließlich lenkte Ram ihre Schritte zu dem berühmten Tempel von Rameswaram. Der Tempel ist ein gigantisches Bauwerk. Man verliert sich tatsächlich in den verwirrenden Passagen, Korridoren und Gängen, die zum Ort der Anbetung führen. Als die Sadhus sich dem Allerheiligsten näherten, fanden sie die Tür offen – der zeremonielle Gottesdienst für Rameshwar [Shiva] war in vollem Gange. Oh Ram! Aller Ruhm gebührt Dir! Die Gelegenheit und der Ort versetzten Ramdas Seele in Freudenschauer.

Hier kam Ramdas in Kontakt mit einigen Mahatmas, die auf ihrer Pilgerreise dorthin gekommen waren, von denen einer, Swami Govindananda, sehr freundlich zu ihm war. Der Swami sagte, er gehöre zum Math von Sri Siddharudha Swami von Hubli, und lud Ramdas zum Shivaratri-Fest im Hubli-Math ein, das in Kürze stattfinden sollte.

Ramdas blieb zwei Tage in Rameswaram. Der Sadhuram schlug vor, die Pilgerreise fortzusetzen, und führte ihn zum Bahnhof. Sie stiegen in einen Zug, der weiter nach Süden fuhr, und erreichten einen Ort namens Dhanushkodi. Als sie ausgestiegen waren, folgte Ramdas dem Sadhuram in Richtung Meer. Ramdas, der immer mit der Meditation von Ram beschäftigt war, hatte das Gefühl, sich in einem Traum zu bewegen – Ram, seine einzige Suche, sein einziger Gedanke, sein einziges Ziel.

Es waren etwa zwei Meilen bis zu der Stelle am Meeresufer, wo der Legende nach Sri Ramachandra die berühmte Brücke zur Überquerung des Meeres nach Lanka gebaut hatte. Auf halbem Weg zum Strand begann es zu nieseln. Die Jahreszeit war kalt, die Kleidung spärlich, aber Rams Freundlichkeit und Gnade waren sehr groß. Als sie zum äußersten Süden dieses vorspringenden Stücks sandigen Landes hinuntergegangen waren, badeten beide im Meer.13

Nach einem Tag Aufenthalt fuhren sie mit dem Zug nach Madura und erreichten bald die Stadt. Der Tempel von Madura wurde besichtigt. Der Meenakshi-Tempel ist ein wunderschöner Gebäudekomplex, in dem der Bildhauer sein ganzes Können unter Beweis gestellt hat. Die lebensgroßen, symmetrischen, in Stein gehauenen Statuen scheinen aus den breiten Säulen herauszutreten, die die obere Struktur des Tempels stützen. Sein Anblick ist, kurz gesagt, sehr imposant.

Am nächsten Tag wollte der Sadhuram weiterziehen. Bevor er dies tat, sagte er zu Ramdas, dass seine Pflicht, ihn nach Rameswaram zu führen, beendet sei und dass es ihm erlaubt sein sollte, sich von ihm zu trennen, um zum Wohnort seines Gurus zu gehen. Der Sadhuram war die ganze Zeit über sehr freundlich zu ihm gewesen und hatte sich auf allen Etappen der Reise sehr liebevoll um ihn gekümmert. An einem bestimmten Eisenbahnknotenpunkt verließ er Ramdas. Zuvor beteuerte er jedoch Ramdas, dass der Zug ihn nach Chidambaram14 bringen würde, einem bekannten Schrein.

Der Meenakshi-Tempel von Madura, Wikimedia Commons, Foto: Bernard Gagnon, 2006

Der Tempelkomplex von Chidambaram, Wikimedia Commons, Foto: mujeebcpy, 2019

Deckengemälde im Tempel von Chidambaram, Wikimedia Commons, Foto: Richard Mortelt, 2017

Gegen Mittag fuhr der Zug in den Bahnhof Chidambaram ein. Ramdas stieg auf dem Bahnsteig aus. Er war jetzt ohne Führer. Ram hatte ihn zu einem Kind gemacht, ohne Pläne, ohne Gedanken an den nächsten Moment, sondern mit einem Geist, der immer an Ram dachte. Er traf einige Pilger auf dem Weg in die Stadt und folgte ihnen.

Zur Mittagszeit erreichte er das Gelände des Tempels von Chidambaram. Er ging hinauf zum Eingang, konnte aber keinen Zutritt erhalten, da niemand, ohne das Eintrittsgeld von vier Annas zu zahlen, eingelassen wurde. Er war ohne einen einzigen Pies, was er aber keineswegs bedauerte. Er wanderte eine Zeit lang durch die Ruinen, die den Tempel umgaben, und setzte sich nach einem Bad auf einen langen Stein in einem abgelegenen Teil in die Sonne. Es war jetzt etwa ein Uhr. Ramdas, der die ganze Zeit in das Ram-Japa vertieft war, öffnete sein kleines Bündel mit Büchern, nahm die Bhagavad Gita heraus und begann zu lesen. Er hatte noch nicht einmal ein halbes Dutzend Verse gelesen, als ein stämmiger Tamile auf ihn zukam und neben ihm Platz nahm.

Maharaj“, erkundigte er sich, „darf ich wissen, ob du heute etwas gegessen hast?“

„Nein“, antwortete Ramdas, „aber Ram sorgt vor. Bis jetzt hatte ich keine Sorge und keinen Gedanken daran. Du erinnerst mich daran, Freund.“

„Kannst du mir sagen, was für Nahrung du zu dir nimmst?“, fragte der Freund weiter.“

„Kochbananen, bitte“, erwiderte Ramdas.

Sofort stand der Freund auf, verschwand und kam nach kurzer Zeit mit einem Dutzend Kochbananen zurück, die er vor Ramdas hinlegte und ihn zum Essen drängte. Oh Ram, Deine Wege sind wunderbar!

Nach der Mahlzeit bat der Tamile, der von Ram selbst gesandt worden war, um sich um die Bedürfnisse seines bescheidenen Anhängers zu kümmern, Ramdas, ihm zu folgen. Am Eingang des Tempels bezahlte er acht Annas, das Eintrittsgeld für beide, und führte ihn in den Tempel. Nach dem Darshan der Götterstatuen zeigte er ihm das gesamte Innere des Tempels. Eine Seltenheit hier ist, dass das Dach des Hauptgebäudes mit Goldplatten bedeckt ist. Der von Ram gestellte Führer war sehr freundlich zu ihm. Im Tempel gab es in dieser Nacht eine große Puja und auch eine Prozession, die von Tausenden besucht wurde. Als all dies vorbei war, war es schon nach Mitternacht. Der tamilische Freund besorgte Ramdas einen Platz, wo er die Nacht verbringen konnte. Er gab Ramdas zu verstehen, dass er nur ein Pilger aus einer benachbarten Stadt sei, der gekommen war, um an der Puja und Prozession teilzunehmen, und dass er mit dem frühen Morgenzug zurückkehren wollte und durch Ramdas‘ kurze Gesellschaft für immer gesegnet sei. Ramdas‘ Herz war zu voll für Worte. Rams Freundlichkeit war unbeschreiblich.

Am nächsten Morgen ging Ramdas zusammen mit anderen Pilgern zum Bahnhof. Aber wohin er fahren sollte und mit welchem Zug, wusste er nicht. Sein Vorstellungsvermögen, um Pläne zu schmieden und Informationen zu suchen, war völlig abwesend. Ohne einen Führer fühlte er sich hilflos. Er verließ sich in allen Dingen auf Ram, an den er sich jeden Augenblick seiner Existenz erinnerte.

Als er den Bahnhof erreichte, stand ein Zug da, aber er wusste nicht, woher er kam und wohin er fuhr. Er ging zum Einlass hinauf und wollte gerade den Bahnsteig betreten, als der Schaffner ihm den Weg versperrte und sagte, dass er ohne Fahrkarte nicht einsteigen dürfe. Das war alles Rams Wille. Ram wollte nicht, dass er mit diesem Zug reiste. Wahrscheinlich würde er in eine Richtung fahren, wo Ramdas keine Pilgerstätten antreffen würde. Ram wusste es am besten.

In einiger Entfernung vom Bahnhof waren einige Steine unter einem Baum aufgeschichtet. Ramdas ging dorthin, setzte sich auf die Steine und machte mit seiner Meditation über Ram weiter. Es war schon nach Mittag, als ein weiterer Zug eintraf. Ramdas verließ den Ort und betrat den Bahnsteig, wobei ihn diesmal niemand am Einlass hinderte, denn dieser Zug war der richtige für ihn.

Hier kam er in Kontakt mit einem Sadhu, der sich sofort seiner annahm. Ram gab ihm einen weiteren Führer. Beide stiegen in den Waggon. Der neue Sadhuram war sehr fürsorglich. Er fragte ihn, wohin er zu gehen gedenke. Ramdas war verblüfft über diese Frage. Die einfache Wahrheit war, dass er es nicht wusste. Er antwortete: „Ram weiß es, und da du von Ram gesandt wurdest, um ihn zu führen, solltest du wissen, wohin er als nächstes gehen soll.“

Daraufhin sagte der Sadhuram: „Nun, ich bringe dich nach Tirupapuliyur und von dort nach Tiruvannamalai.“

„Wie du willst“, antwortete Ramdas. „Du bist Ram. Ramdas folgt dir, wohin du ihn auch bringst.“

Jetzt fuhr der Zug ab. Auf dem Vordersitz gegenüber von Ramdas saßen zwei junge Hindus mit englischer Ausbildung. Beide starrten eine Zeit lang den seltsamen, sorglosen und wunderlichen Sannyasin vor ihnen, d.h. Ramdas, an. Dann bemerkte einer von ihnen zum anderen auf Englisch (sie dachten, dass der Sannyasin vor ihnen der englischen Sprache nicht mächtig war): „Sieh dir den Sadhu uns gegenüber genau an. Glaube mir, er gehört zu einer Klasse von Sannyasins, die perfekte Betrüger sind. Der Kerl hat diese Lebensweise nur angenommen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dieser Mann ist ein echter Hochstapler und Schwindler.“

Diese Bemerkung fand die Zustimmung des anderen, der eine ähnliche Meinung über den armen Ramdas hatte. Sie sagten noch etwas, das er wegen des rollenden Geräusches des fahrenden Zuges nicht deutlich verstehen konnte. Oh Ram, wie nett von Dir, Ramdas in eine Situation zu bringen, in der er auf diese Weise von sich sprechen hören muss!

Anstatt sich zu ärgern, schickte er ein Gebet zu Ram, um die jungen Männer für ihre Offenheit zu segnen. Ramdas konnte nicht widerstehen, seine Dankbarkeit gegenüber diesen Freunden auszudrücken, und wandte sich daher mit zum Gruß gefalteten Händen an sie: „Oh liebe Freunde! Es ist Ramdas eine große Freude, zu gestehen, dass er mit der Meinung, die ihr über ihn geäußert habt, völlig übereinstimmt. Es stimmt, dass er ein Betrüger ist. Er hat sich einfach das Gewand eines Sannyasin angezogen, um damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber noch etwas ist an ihm zu bemerken: Er ist verrückt nach Ram, und jeden Moment schreit er zu Ihm, ihn rein zu machen und nur um Rams willen zu leben. Außerdem ist es seine bescheidene Einbildung, dass Ram ihn auf diese Pilgerreise mitnimmt, um ihn zu reinigen.“

Diese Rede überraschte die beiden Freunde, nicht so sehr wegen ihrer Bedeutung, sondern wegen der Erkenntnis, dass der vagabundierende Sannyasin Englisch verstand und daher den Sinn ihrer Bemerkungen, die er nicht verstehen sollte, begriffen hatte. Eine plötzliche Veränderung kam über sie, und beide fielen ihm zu Füßen und baten ihn um Verzeihung für ihre „unbedachten Bemerkungen“, wie sie es nannten. Daraufhin wurden sie sehr fürsorglich und freundlich. Sie erkundigten sich, ob er etwas zu essen brauche. Dies brachte ihm in Erinnerung, dass er den ganzen Tag über nichts gegessen hatte, einen Umstand, den er völlig vergessen hatte. Daraufhin erzählte er den beiden Freunden, dass er hauptsächlich von Früchten lebte und gerne jedes Almosen von ihnen annehmen würde.

Nach einiger Beratung mit dem Sadhuram überreichten sie ihm etwas Geld für den Kauf von Früchten für Ramdas. Rams Wege sind in der Tat unergründlich. Er ist ganz Liebe und Freundlichkeit!

9 Mt 19,29

10 Gita 8,66

11 Das ockerfarbene Gewand ist das Gewand der Entsagung für einen Bettelmönch (Sannyasin) im Gegensatz zum weißen Gewand des Verheirateten.

12 Normalerweise erfolgt dieser Ritus des Sannyas (der Entsagung) formell in Anwesenheit eines anderen Sannyasin, der ihm nach dem Bad die neuen Kleider und den neuen Namen gibt.

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