Die Begegnung - Max Herrmann-Neiße - E-Book

Die Begegnung E-Book

Max Herrmann-Neiße

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Beschreibung

Diese vier Erzählungen: Die Begegnung, Lucy und Marie, Das Experiment und Die Klinkerts, die als Novellenzyklus zu lesen sind, sind eine Abrechnung mit dem Provinziellen, die Seele des Kleinstadtmenschen wird seziert; saftig und doch voll Ironien sind die Geschichten, in denen auch immer die humane Botschaft von Toleranz und Pazifismus erkennbar ist. Diese Erzählungen gehören erzähltechnisch zum Besten, was in den 20er Jahren des 20. Jahrhundert in Deutschland an Prosa geschrieben wurde. Max Herrmann-Neiße, auch Herrmann-Neisse, (* 23. Mai 1886 in Neiße, Schlesien) hat Gedichte, Romane, Theaterstücke und Prosatexte geschrieben und war in den späten zwanziger Jahren einer der bekanntesten Berliner Literaten, wozu neben seinen Texten, auch die auffällige Gestalt und Erscheinung beitrugen. Zahlreiche Künstler, darunter George Grosz und Otto Dix, porträtierten ihn zu dieser Zeit. Kurz nach dem Reichstagsbrand 1933 floh Herrmann-Neiße gemeinsam mit seiner Frau zunächst in die Schweiz, dann über die Niederlande und Frankreich nach London, wo er sich im September 1933 niederließ. Im April 1941 starb er in London an den Folgen eines Herzinfarkts und wurde auf dem East Finchley Cemetery in London beigesetzt.

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Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Die Begegnung

Lucie und Maria

Das Experiment

Die Klinkerts

Über den Autor

E-Books im Reese Verlag:

Impressum

Hinweise und Rechtliches

 

Max Herrmann-Neiße

 

 

Die Begegnung

 

 

Vier Erzählungen

 

 

Reese Verlag

 

 

 

 

 

Die Begegnung

 

 

Man weiß, wie solche zufälligen Bekanntschaften zustande kommen. In der Hauptstadt sehnten sich viele danach, dem vorbildlichen Künstler die Hand reichen zu dürfen; man spazierte auf dem Korso, ahnungslos, plötzlich raunte wer: »Das war Hermann Karst!«, da wurde flugs umgekehrt, zurückgerannt, dann wieder langsam herangepirscht und versucht, möglichst unbefangen des Meisters Züge zu erspähen. Natürlich sah man vor lauter Erregung nicht einmal genau. In diesem gottverlorenen Provinznest aber mußte ausgerechnet der Klempnermeister Worbs mit Hermann Karst an einem Tische sitzen und fast bis zur Bruderschaft gedeihen. Worbs war früh von Hause fort, ein geschäftlicher Gang, jeder kennt das, die Frau brummt hinter einem her: »Ausreden sind wohlfeil!« Man muß notgedrungen mit einer Grobheit auftrumpfen, lächelt aber innerlich, und kaum, daß sich das Haustor hinter einem schließt, wird die Zigarre angesteckt, vielleicht sogar ein leichtfertiges Lied gepfiffen, jedenfalls mit unternehmungslustigem Wiegeschritt in den freien Tag hineingestelzt. Worbs trat noch in den Wurstladen und kaufte ein großes Stück Polnische, die gerade frisch in der Mulde hereingebracht wurde, schäkerte dabei mit den Verkäuferinnen, man muß ein bißchen mit ihnen schmusen, dann wiegen sie besser ab, kurz vor der Brücke stand der Spediteur Exner bei seinen Möbelwagen und gab den Kutschern Anweisungen, da mußte doch haltgemacht und die Lage besprochen werden, was die Kerle einem die Pferde ruinieren, wie rabiat heutzutage die Packer sind. Am Wehr hockte wieder mal der Rentier Beyer beim Angeln; der weiß nicht, wie er dem Herrgott die Zeit totschlagen soll. Worbs guckt schnell auf die entgegengesetzte Seite, kommt da im Galopp der Rittmeister von Jeltsch angeprescht, heidi, wie der Hut vom Kopfe gerissen und mit unbändiger Kurve gedienert wird, übern ganzen Damm weg: »Habe die Ehre«, daß der Staub nur so ins offene Maul ballert, ach Gott, und dabei ist die Rechnung schon seit undenklichen Zeiten nicht bezahlt und wegen so eines kleinen Betrages möchte man sich die Sohlen von den Schuhen laufen. Worbs pfeift nicht mehr, und auch die Zigarre ist kalt geworden. Richtig muß doch an der Eisenbahnüberführung wieder dieser ekelhafte Krüppel den Gutdummen auflauern, der immer so widerlich seine Wunden zur Schau stellt, sich geradezu damit brüstet. Längst hätte er in einem Spital untergebracht sein können, wenn er nur seine Einnahmen darauf verwenden wollte, der hat gewiß manchen Tag eine bessere Kasse als ich, denkt Worbs, und ich muß den Kerl miternähren. Den Ausdruck »ekelhafter Krüppel« hat er übrigens vom Herrn Gewerberat; Worbs hatte damals im Schützenhause gesessen, sie waren von der Wallfahrt nach Sankt Rochus hier eingekehrt, der Tag war heiß gewesen, und als erst der Kürschnermeister eine Runde bezahlt hatte und der Bäcker eine andere, konnte man nicht zurückstehn, die Martha, das Biest, hatte gerade den Kunstgriff mit dem Geldstück vorgemacht, eine verfluchte Schweinerei übrigens, da war rot wie ein Puter der Herr Gewerberat hereingestürzt, ran ans Telefon und hineingemeckert, es solle doch mal die Polizei nach der Eisenbahnüberführung geschickt werden, um dem Skandal mit dem ekelhaften Krüppel ein Ende zu bereiten. Hinterher hatten die drei freilich über seine Wichtigtuerei gelacht und dem Bettler einen Schoppen hinausgeschickt mit der Warnung, zu verduften; aber eigentlich war Gewerberat doch ein reputables Amt, eine Autorität, das kann man schon sagen! Das könnte sein Artur vielleicht auch mal werden, der alte Worbs hatte sich damals gleich die Karriere erklären lassen, wenn er nur erst einmal das Abiturium bestanden hätte, kommt Zeit, kommt Rat. Jura soll er auf jeden Fall studieren, das ist und bleibt doch halt das vornehmste Studium! Der alte Worbs bekam immer noch einen ehrfürchtigen Schauder, wenn er mal als Zeuge das Amtsgericht betreten mußte. Am besten, man hat nichts damit zu tun. Aber wenn mir einer meine Ware schlecht macht, glatt verklagen! Und an seiner Tür stand »Mitglied des Vereins gegen Bettelei«. Ordnung muß sein, alles was recht ist! Es ist nur ein langwieriges Studium, dem Glöckner Kunze seiner geht nun schon ins vierzehnte Semester; der sitzt freilich von morgens bis ändern Tag morgens im Bahnhofshotel und sauft seinen Stiefel, ein Verhältnis soll er auch haben, und immer noch dieselbe aus der Primanerzeit her; unglückliche Eltern! Sein Artur war damit wohl nicht zu vergleichen. Saufen tut der nicht, und die Mädels guckt er erst gar nicht an, wollt’s ihm auch anstreichen, nu da! Aber, weiß der Himmel, der Junge, der liest zuviel. Immer hockt er über den Schwarten, wo er was Gedrucktes sieht, schon hat er’s in den Krallen, was soll man machen, ungebildet will man auch nicht scheinen, und die Mutter, die unterstützt den Bengel noch, läßt sich von ihm vorlesen, kommt der Alte unversehens ins Zimmer, schwapp, wie abgehackt, kein Laut mehr, und die beiden schweigen indigniert über die leidige Störung. Dabei ist man doch der Ernährer! Oder etwa nicht? War ihm nicht gleich damals, vor zwanzig Jahren, abgeraten worden, sich mit der Zahlmeistertochter einzulassen? Geld hängt da nicht raus, aber Ansprüche zu machen verstehen die Zierpuppen. Dabei war sie das einzige Kind gewesen, verwöhnt bis dorthin und kein bißchen wirtschaftlich erzogen. Woher hätte sie’s auch haben sollen; von der Mutter erzählte man sich schöne Dinge, einer hatte sie noch als Büfettdame gekannt, das Pack von Sergeanten fragt nicht, woher der Zaster kommt, und dann war’s wie gewonnen, so zerronnen. Was brauchte eine Zahlmeistertochter auf die höhere Schule zu gehn, besser, sie lernte Kochen und Nähen, aber nein, ’s muß partout übern Stand sein! Und die hatte sich der Worbs in den Kopf gesetzt. Sie war nicht einmal von hier; bleibe im Lande und eheliche, was in Betracht kommt! Nein, der Balg hatte ’s ihm angetan! Arm und unpraktisch, das ist nichts für einen Handwerker. Damals hatte er sie justament genommen. Und sie hatte sich noch gesperrt, Sperrenzen gemacht, und schließlich, als sei’s eine Gnade, sich herabgelassen. Warum war er eigentlich gerade auf die verfallen? Er wußte es im Augenblick selber nicht mehr. Am Ende war’s doch nicht zum Schaden ausgeschlagen. Das Geschäft ging; daß die Frau nichts davon verstand, war eher ein Vorteil, da konnte sie ihm auch nicht dreinreden, zu einem Ladenfräulein langte es wohl Gott sei Dank, und einen Sohn hatte sie ihm auch geboren, und manche beneideten ihn um die gebildete Frau. Er war jetzt an der Franziskanerkirche und überlegte: sollte er hineingehn oder nicht? Die Brüder hatten schon was von ihm geschluckt, das heißt, daran war auch die Frau schuld, die lud sie zum Kaffee ein, dann blieben sie immer gleich oben und kriegten wer weiß was eingepackt und gingen weg, als ob das Geschäft wieder mal geflutscht hätte. Verdammt, warum waren in der letzten Zeit häufig solche Andeutungen gefallen: »Ihr Herr Sohn hat recht gute Anlagen ... Die katholische Wissenschaft braucht solche Köpfe ...«, was sollte das heißen, umsonst war das doch nicht gesagt, einen Hintergedanken haben die immer - »Gelobt sei Jesus Christus!« eben strich einer so harmlos wie möglich vorbei, auf leisen Sohlen und den Kopf eingeknickt, ganz Weltabgewandtsein, aber im Augenwinkel gleißte der Triumph: »Wir haben euch alle!« und das »In Ewigkeit, Amen!« kam wie eine Quittung zurück über pflichtgemäß beglichene Schuld. Man konnte nie wissen. Worbs hatte schon unwillkürlich den Kurs zum Kloster genommen, ärgerte sich über die eigenen Füße, die ihn so selbstverständlich ins Gehege der Mönche führten, machte automatisch die Geschichte mit dem Weihwasser, sah sich um. Richtig, man konnte kommen, wann man wollte, diese alten Schachteln hockten immer in den Kirchenbänken, und, aha, er pfiff durch die Zähne, seh ich recht, klebte da nicht am Beichtstuhl die Friseurstochter, die am Schluß der Theatersaison mit dem Heldenspieler ausgerückt war, soso, war die wieder zurückgekehrt und tat nun Buße in Sack und Asche, recht so, recht so. Das Geld war wohl verbraucht, das sie dem Alten aus der Kasse geklaut hatte, und der Herr Galan hatte nun weiter keine Verwendung mehr für sie gehabt, eine saubere Bagage, diese Komödianten, na, nun hatte es wohl Senge gesetzt zu Hause, ihm wurde ordentlich wohl bei der Vorstellung. Und er war wahrscheinlich der erste, der sie wieder gesichtet hatte; da konnte er doch seiner Frau eine Neuigkeit mitbringen, das macht Laune. Ja, wenn das seine Tochter wäre, der wollte er zeigen, was eine Harke ist, es pfiff ihm angenehm kitzlig in den Ohren, und die Haare hatte sich das Luder auch abschneiden lassen, die verrückte Person, das soll so was heißen. Das kommt davon, wenn der Vater Theaterfriseur ist, ihm konnte natürlich so was überhaupt nicht passieren mit seinen Kindern! - Halt, was heißt: konnte