Die Bezauberer - James Ellroy - E-Book

Die Bezauberer E-Book

James Ellroy

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Beschreibung

Freddy Otash hat eine Verabredung mit dem Tod! Los Angeles im August 1962: Die Stadt leidet unter einer Hitzewelle. Marilyn Monroe wird tot aufgefunden. Ein halbwegs bekanntes Filmsternchen entführt. Das LAPD schaltet auf Angriff: Kann Chief Bill Parker aus Marilyns Tod Kapital schlagen? Der legendäre Schnüffler Freddy Otash soll ihm Informationen beschaffen. Der unehrenhaft entlassene Ex-Cop ist schmierig und korrupt. Doch er ist der Richtige für den Job. Freddy kämpft sich durch einen menschlichen Dschungel, wo niemand will, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Er nimmt sich auch Jack und Bobby Kennedy vor und mit ihnen gleich das ganze Weiße Haus. Und schließlich entlarvt er Marilyn Monroes letztes Spiel, in einem alptraumartigen Los Angeles, das er mit erschaffen hat und das ihn jetzt mit sich selbst konfrontiert: mit seiner Komplizenschaft und seinem Wahn.

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Die Bezauberer

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1981 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.

Stephen Tree ist in Zürich geboren und aufgewachsen und hat an der dortigen Schauspielakademie Regie studiert. Er ist Autor zahlreicher Funkfeatures und Monografien sowie seit der „Underworld-Trilogie“ leidenschaftlicher Ellroy-Übersetzer.

Freddy Otash hat eine Verabredung mit dem Tod!

Los Angeles im August 1962: Die Stadt leidet unter einer Hitzewelle. Marilyn Monroe wird tot aufgefunden. Ein halbwegs bekanntes Filmsternchen entführt. Das LAPD schaltet auf Angriff: Kann Chief Bill Parker aus Marilyns Tod Kapital schlagen? Der legendäre Schnüffler Freddy Otash soll ihm Informationen beschaffen. Der unehrenhaft entlassene Ex-Cop ist schmierig und korrupt. Doch er ist der Richtige für den Job. Freddy kämpft sich durch einen menschlichen Dschungel, wo niemand will, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Er nimmt sich auch Jack und Bobby Kennedy vor und mit ihnen gleich das ganze Weiße Haus. Und schließlich entlarvt er Marilyn Monroes letztes Spiel, in einem alptraumartigen Los Angeles, das er mit erschaffen hat und das ihn jetzt mit sich selbst konfrontiert: mit seiner Komplizenschaft und seinem Wahn.

James Ellroy

Die Bezauberer

Roman

Aus dem Amerikanischen von Stephen Tree

Ullstein

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Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel The Enchanters bei Alfred A. Knopf, New York.© 2023 by James Ellroy© der deutschsprachigen Ausgabe 2024 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinUmschlaggestaltung: zero-media.net, München nach einer Vorlage von Chip KiddUmschlagmotive: (c) J R Eyerman/The LIFE Picture Collection/Shutterstock, (c) picture alliance/AP Images | George Brich,© ARCHIVIO GBB, Glasshouse Images, Magite Historic, PictureLux / The Hollywood Archive, / Alamy Stock Photo,© Film Favorites / Freier Fotograf, New York Daily News Archive, Bettmann / Kontributor / Getty ImagesWir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Alle Rechte vorbehaltenAutorenfoto: © Marion EttlingerE-Book powered by pepyrus

ISBN 978-3-8437-3196-6

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

THE LOSERS CLUB – Klub der Verlierer

VERTRAULICHES MEMORANDUM

TEIL 1 LOCKWEIBCHEN

1

2

3

FOTOGRAFISCHES GEDÄCHTNISERINNERN / EINPRÄGEN / DURCHARBEITEN –

TEIL 2 ABHÖRMASSNAHMEN

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

TEIL 3 WAHRHEITSSERUM

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

TEIL 4 PSYCHO-SPIELE

28

29

30

31

32

33

TEIL 5 FRAUENTAUSCH

34

35

36

37

38

TEIL 6 SEX-WIDERLING

39

40

41

42

43

44

45

TEIL 7 OPIUM-TRAUM

46

FOTOGRAFISCHES GEDÄCHTNISERINNERN / EINPRÄGEN / DURCHARBEITEN –

TEIL 8 ROTE LINSE

47

48

49

50

51

52

53

TEIL 9 BLACK BAG

54

55

56

57

58

59

60

61

62

63

64

65

66

TEIL 10 FICK-SAMMELKARTEN

67

68

69

70

71

72

73

74

75

DRAMATIS PERSONAE

WER SIND DIE BEZAUBERER?

GLOSSAR VON POLIZEILICHEN UND KRIMINALSPRACHLICHEN BEGRIFFEN, CODIERUNGEN UND ABKÜRZUNGEN

Anhang

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

THE LOSERS CLUB – Klub der Verlierer

Widmung

FürFrançois Guérif

Motto

Herr, lass mich nicht zu Schanden werden; denn ich rufe dich an. Die Gottlosen müssen zu Schanden werden und schweigen in der Hölle.

Psalmen, 31:18

THE LOSERS CLUB – Klub der Verlierer

Beverly Boulevard Ecke La Cienega

Schicke Stammkneipe derBEZAUBERER

April 1962

VERLIERERDER WOCHEEDDIEFISHER

VERTRAULICHES MEMORANDUM

Von: Lt. J. T. Meadows jr. / #294883

Abt. f. Öffentliche Sicherheit & Intel-Nachrichtendienst

Los Angeles Police Department

An: Chief Daryl F. Gates, Polizeidirektor a. D.

Dana Point, Kalifornien

(per gesichertem Telefax)

Betr.: Überwachung Trauerfeier Fred Otash & zugehörige Observationen zu den Vorgängen im Sommer 1962 (gem. Absprache)

10. 10. 92

Sir:

Die Abdankung ist gestern Morgen auf dem Forest-Lawn-Friedhof Glendale erfolgt. Angesichts Ihrer neuerlichen Medien-Notorietät (verbunden mit der erzwungenen Frühberentung) erscheint mir Ihr Verzicht auf eine persönliche Teilnahme durchaus nachvollziehbar. Da mein Vater – an Ihrer Seite – in die Vorgänge des Sommers ’62 miteinbezogen war, ehrt mich das Vertrauen, das Sie als Beobachter und Berichterstatter in mich setzen, besonders.

Am Trauergottesdienst haben insgesamt dreiundvierzig Personen teilgenommen. Ein libanesischer Pfarrer hat aus dem Neuen Testament vorgelesen und auf das »bunte Leben des frohgemuten Freddy O.« verwiesen. Ein Trauergast, der ehemalige Mirror-News-Journalist Morty Bendish, ließ Tony Valdez, den Nachrichtensprecher von Channel 5, wissen, »dass er der eigentliche Verfasser des Pastorensermons sei, den ihm wiederum Freddy selber diktiert habe«. Dies verbunden mit dem Hinweis, dass Mr. Bendish bei den Vorgängen des Sommers 1962 ein bezahlter LAPD-Spitzel war.

Beim »Sermon« handelt es sich um eine geschönte Lebensdarstellung des verstorbenen Mr. Otash. Seine LAPD-Dienstzeit von 1945–1953 wurde darin ebenso beschrieben wie seine spätere »Herrschaft als ungekrönter König der Hollywooder Privatdetektive«. Im »Sermon« übergangen wurden Mr. Otashs Aktivitäten als freischaffender Erpresser, bezahlter Schläger, Organisator von Erpressungs-Scheidungen, Rennpferd-Doper, Informant von Chief William H. Parker, Zuhälter und Drogenbeschaffer für Präsident John F. Kennedy und als Lockspitzel von Generalstaatsanwalt Robert F. Kennedy bei der Gemeinschaftsaktion des LAPD und der Bundesanwaltschaft im Sommer ’62. Der Pastor beendete Mr. Bendishs »Sermon«, indem er Mr. Otash als »Höllenhund, der Hollywood im Griff hatte«, und »strahlendes Vorbild aller libanesischen Amerikaner« pries. Eine Schlussbemerkung, die einige Trauergäste mit lautem Lachen quittierten.

Zu den Trauergästen:

Im Wesentlichen Mr. Otashs Nachbarn aus den Park Wellington Apartments sowie drei ehemalige Mitarbeiter der längst geschlossenen Otash-Detektei: Phil Irwin, »Ratte« Robbie Molette und Nathaniel »Nasty Nat« Denkins, der langjährige Leiter von Nasty Nat’s Soul Patrol auf Radio KBLK. Irwin, Molette und Denkins waren bei den Ereignissen des Sommers ’62 Nebenfiguren, doch einige als »zentrale Akteure« einzustufende Persönlichkeiten haben ebenfalls am Trauergottesdienst teilgenommen. Es waren dies:

Die beiden überlebenden Mitglieder der »Herrenhut-Truppe« des LAPD, die Sergeants a. D. Harry Crowder und Clarence »Red« Stromwall;

der stellvertretende US-Staatsanwalt Edgar Chacõn, der im Sommer ’62 unter Robert F. Kennedy als Untersuchungsbeamter des Justice Departments tätig war;

Roddy McDowall, ein bekannter TV- und Filmschauspieler und »Underground«-Regisseur homosexueller Pornofilme;

Eddie Fisher, Musiker und Nachtklub-Sänger, der zur Trauerfeier gemeinsam mit dem ehemaligen Major-League-Pitching-Ass Bo Belinsky erschien. Mr. Fisher war der vierte Ehemann von Elizabeth Taylor. Wobei Mr. Otash und Mr. Belinsky im Sommer ’62 Miss Taylor erfolgreich mit einer Scheidungsklagen-Erpressung abgezockt haben;

TV- und Theaterschauspielerin Lois Nettleton, die der Trauerfeier gemeinsam mit der Schwester von John und Robert Kennedy, Patricia Kennedy Lawford, beiwohnte, der Ex-Ehefrau des verstorbenen Schauspielers Peter Lawford. Die beiden Damen verhielten sich wie altvertraute Freundinnen. Sie verließen den Trauergottesdienst in einer Limousine mit Chauffeur. Ich habe den Wagen bis zur St.-Vibiana-Kathedrale in Downtown L. A. beschattet. Sie zündeten Altarkerzen an, mutmaßlich für Freddy Otash, und ließen sich in ihrer Limousine zum nahe gelegenen Pacific Dining Car Restaurant chauffieren. Ich habe sie in der Cocktail Lounge beobachtet. Sie betranken sich und haben mehrmals auf Freddy Otash angestoßen. Miss Nettleton sagte einmal laut: »Wir hätten ihn mehr lieben sollen.«

Fazit:

Ich halte es für unwahrscheinlich, dass der Tod von Freddy Otash die Gerüchte über eine heimliche Zusammenarbeit von LAPD und Staatsanwaltschaft, die vor dreißig Jahren zu so viel Spekulationen geführt haben, neu anfachen wird. Das einzigartige Zusammenwirken von Filmstars, bedeutenden Politikern, korrupten Hollywood-Figuren und einer bösartig kriminellen Halbwelt ist aus dem öffentlichen Gedächtnis so gut wie verschwunden, und die meisten bekannten oder notorischen Beteiligten sind nun tot oder legen aus guten Gründen Wert darauf, über die damaligen Vorgänge zu schweigen. Der Einzige, der über die ganze Geschichte Bescheid wusste, war Freddy Otash, und der ist tot. Wobei ich ernstliche Zweifel hege, dass er irgendwelches belastendes Beweismaterial und/oder diesbezügliche Berichte hinterlassen hat. Bedenken Sie: Sie waren jenen Sommer selbst beteiligt, Sir. Sie wissen genau, dass Freddy am damaligen Schlamassel am meisten Schuld hat und entsprechend durch das Horten belastender Dokumente am meisten zu verlieren gehabt hätte.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Lt. J. T. Meadows jr. / #294883 / ÖSITN

TEIL 1 LOCKWEIBCHEN

(4. August 1962)

1

(LOS ANGELES, SAMSTAG, 04. 08. 62, 20:23 UHR)

Die Fallhöhe betrug fünfundzwanzig Meter. Die Klippenkante bestand aus loser Erde und bot keinen Halt. Wir schleppten den Mistkerl an den Rand und zeigten ihm die Aussicht.

Den Pasadena Freeway, Fahrtrichtung Süden. Nördlich der Abfahrt Chavez Ravine und Downtown L. A. Fließender Verkehr im 100-km/h-Tempo.

Der Mistkerl hieß Richard Douglas Danforth / weiß, männlich, Amerikaner / ca. 36. Keine Green-Sheet-Vorstrafe, keine Suchanzeigen, keine Haftbefehle. Eine farblose Type mit Mexenfrisur und Sir-Guy-Hemd.

Ich hielt seinen rechten Arm. Max Herman den linken. Red Stromwall drückte ihm den Kopf nach unten und zwang ihn, die Aussicht wahrzunehmen.

Freddy O. und die Herrenhüte. Wieder mal gemeinsam unterwegs. Bill Parker hatte »Springt!« gesagt. Wir »Wie hoch?« gefragt. Wir sollten heute Abend einen Entführungsfall lösen.

Harry Crowder und Eddie Benson bewachten den Verdächtigen #2. Sie hatten ihn neben ihren Streifenwagen gestellt. Sie bedrohten ihn, ließen ihn den Autolärm hören, zeigten ihm die Aussicht. Er hieß Morris Hershel »Buzzy« Stein / weiß, männlich, Amerikaner / 42. Mit einer bereits 1938 angelegten Sexualstraftäter-Akte. Nachweislicher Vergewaltiger und zwanghafter Mösen-Lecker. Danforth und Stein waren übel dran. Auf Entführung stand die Gaskammer.

Was wir taten, war absolut illegal und improvisiert. Kurz und ungut:

Eine B-Filmschauspielerin namens Gwen Perloff war gewaltsam entführt worden. Heute, spätnachmittags. Sie wohnte in einem schnieken Haus in der Nähe des Strip. Drei Männer hatten sie auf dem Bürgersteig gepackt. Sie trugen Fidel-Castro-Masken. Und wurden von zahlreichen Augenzeugen beobachtet. Sie schubsten sie in ein in zweiter Reihe geparktes Fahrzeug und preschten nach Süden. Besagtes Fahrzeug konnte ein 58er Dodge oder ein 56er Chevy Nomad sein. Miss Perloff spielte Nebenrollen in Horror- und Tanzfilmen. Sie war eine Vertragssklavin bei Twentieth Century-Fox. Der Strip fiel in die Zuständigkeit des County Sheriffs. Wo auch die Anzeige erfolgt war, aber –

Fox-Obermacker Darryl Zanuck hatte Wind von der Geschichte bekommen. Eine unbekannte Frau hatte bei ihm angerufen. Sie hatte Danforth und Stein verpfiffen und eines der beiden Mädchenverstecke preisgegeben. Zanuck hatte bei seinem Spezi Bill Parker angerufen. Worauf Chief Bill den Entführungsfall an sich riss. Er schickte Freddy und die Herrenhüte zu einem Haus an der 6th Street Ecke Dunsmuir Avenue. Wir schnappten uns Danforth und Stein. Die Perloff war anderweitig versteckt. Danforth und Stein wollten nicht sagen, wo. Stein zufolge waren noch drei weitere Entführer beteiligt. Die hätten das Ding gedreht, nicht er und Richie. Von da an hielt Stein die Klappe. Harry und Eddie bearbeiteten ihn mit Schlaghandschuhen. Stein hielt immer noch die Klappe. Dito Danforth. Was die Todesdrohung und die Freeway-Absturz-Show erforderlich machte.

Ich umklammerte Danforths rechten Arm. Max den linken. Red drückte ihm den Kopf nach unten und zwang ihn hinzusehen.

Max insistierte: Wo ist das Mädchen? Red insistierte: Raus damit, oder du fliegst. Harry, Eddie und Triebtäter Stein standen drei Meter von der Abbruchkante entfernt.

L. A. Mitte August, feucht-heiß und stickig. Max und Red hatten ihre Hemden und Jacketts durchgeschwitzt. Danforth wand sich und zappelte. Er grub seine Füße ein und versuchte, um sich zu schlagen. Erdklumpen flogen von der Klippe. Die Scheiß-Absturzkante rückte bedrohlich nahe.

Ich warf einen Blick auf Max und Red. Sie wirkten ungeduldig. Ich umklammerte Danforths Arm. Er versuchte, sich loszureißen. Meine Hand wurde taub. Mir zitterten die Beine. Max und Red waren gut zwei Meter groß und gut zwei Zentner schwer. Ihnen zitterten die Beine.

»Du strapazierst unsere Geduld, Richie«, sagte Red. »Das kann nicht die ganze Nacht so weitergehen. Sag endlich, wo das Mädchen ist, dann machen wir hier Feierabend.«

Danforth kicherte und spuckte Red auf die Schuhe. »Ich find das lustig«, sagte er.

Ich streifte meinen Messing-Schlagring über und hieb ihm in die Nieren. Er unterdrückte einen Schrei und bohrte die Füße ein. Ich spähte über den Klippenrand. Die Wagen schossen vorbei – ständig und schnell.

Max seufzte. Red seufzte. »Runter mit ihm, Freddy«, sagte Max.

Sie ließen los. Ich schubste Danforth von der Klippe. Für den Bruchteil einer Sekunde strampelte er in der Luft. Er rief so was wie »Alles nur Mache«. Ich konnte hören, wie er auf ein Autodach aufschlug. Wie Bremsen quietschten. Wie Räder dumpf über ihn hinwegrollten. Ich sah, wie ihn ein schräger Scheinwerferkegel anstrahlte. Ein aufgemotzter Cadillac schleifte ihn an der Leitplanke entlang und riss ihm beide Füße ab.

2

(LOS ANGELES, SAMSTAG, 04. 08. 62, 22:09 UHR)

Wir rasten mit Code 3 ins Valley. Sheriff-Streifen sausten an uns vorbei. In zwei Wagen, dicht an dicht. Ich saß bei Max und Red. Harry und Eddie fuhren vorneweg.

Buzzy Stein hatten wir bei den Leichen-Verantwortlichen der Highland Park Station gelassen. Buzzy hatte dem Schauspringen zugesehen und ein Geiselversteck in Encino verpfiffen. Gwen Perloff war in einer leeren Junggesellenbude an der Woodman Avenue in Encino untergebracht. Die Fidel-Castro-Trottel hatten sie in einem Besenschrank versteckt. Max hatte den zuständigen Sheriff-Bullen angerufen. Der von der Polizeistation West Hollywood aus die Rettungsaktion leitete.

»Motel-Mike« Bayless. Ruhmsüchtiger Helden-Bulle und Vollzeit-Wichtigtuer. Der seinerzeit, ’50, im Don José Motel vier Mexen umgelegt hatte. Deren Skalpe ihm zu Kopf gestiegen waren. Weib und Kind hatten ihn als »Motel-Mike« anzusprechen. Sein Hund hieß Motel-Mike Junior.

Sechs Sheriff-Streifen fuhren an uns vorbei. Der Ventura Freeway war voll heulender Sirenen und blinkender Alarmleuchten. Was auf internen Behörden-Knatsch verwies. Bill Parker hatte den eigentlich in die County-Zuständigkeit von Sheriff Pete Pitchess gehörenden Fall an sich gezogen. Sowohl Parker wie Pitchess waren Filmbusiness-Arschkriecher. Parker ließ sich wegen Darryl F. Zanuck zu krummen Touren hinreißen. Worauf Pitchess bei der Rettung jedes Maß verlor. Wahrscheinlich hatte der alte Zanuck was mit Gwen Perloff laufen. Daher der ganze Ärger.

Max reichte mir seinen Flachmann. Ich nahm zwei Schlucke. Womit sich meine sechzehntägige Abstinenz erledigt hatte.

Der Schluck tat seine Wirkung. Mein Gehirn drehte auf. Das Schauspringen ging mir nicht aus dem Kopf. Wie Danforth Alles nur Mache! gekreischt hatte. Die Entführung wirkte unglaubhaft. Ich musste an Marie »Schneiderpuppe« McDonald denken.

Das war Anfang ’57 gewesen. Marie war beruflich am Ende. Die Studios ließen sie links liegen. Ihre Nightclub-Show haute nicht hin. Da dachte sie sich eine wilde Geschichte aus. Sie behauptete, von Gewalttätern entführt und in der Nähe von Palm Springs ausgesetzt worden zu sein. Sie machte kurz Schlagzeilen, ehe sie sang- und klanglos in der Versenkung verschwand.

Ich dachte über Buzzy Stein nach. Er hatte das Versteck verpfiffen. Jedoch nicht die Castro-Typen. Er behauptete, die hätten Gwen Perloff geschnappt. Die Augenzeugen-Aussagen über das Entführungsfahrzeug passten nicht zu –

Max setzte meinem Nachdenken ein Ende. »Danforth hat einen Fluchtversuch unternommen«, sagte Max. »Er ist falsch abgebogen und vom Klippenrand gestürzt. Ich habe nach dem Telefonat mit Mike Bayless beim Chief angerufen. Der Chief hat ein paar Unfalltechniker zum Aufräumen vorbeigeschickt. Der Chief weiß, was Sache ist, lässt aber unsere geschönte Version gelten.«

Red lachte. »Motel-Mike ist ein Aufschneider. Er hat den umgelegten Mexen Belastungs-Kanonen in die Hand gedrückt. Da kann man nur lachen. Die waren nämlich gar keine richtigen 211er. Die haben bloß kurz in die Kasse gelangt und sich ein paar Muschi-Heftchen aus dem Pornoregal gegriffen, bevor sie wieder losrannten.«

Ich zündete mir eine Zigarette an. »Eines will mir nicht in den Kopf. Ausgerechnet Bayless soll fürs shit arbeiten – beim ›Sheriff-Informations-Beschaffer-Team‹ –, wo wir doch alle wissen, wie ernst Pete Pitchess seine Info-Beschaffung nimmt.«

»Yeah«, sagte Max. »Und wie kommt ausgerechnet Bayless dazu, einen Entführungs-Notruf der West Hollywood Squad entgegenzunehmen?«

Ich machte ein Fick-dich-Zeichen. Zwei weitere Sheriff-Streifen heulten an uns vorbei. Wir folgten den blinkenden Rücklichtern von Harry und Eddie und wechselten in die äußerste rechte Spur. Wir nahmen die Abfahrt Woodman und fuhren zügig nach Norden.

Der Ventura Boulevard hielt uns auf. Wir überfuhren ein Rotlicht und gelangten in den Wohnbereich von Encino. Irgendwo im Nordosten heulten mehrere Sirenen gleichzeitig. Wir überfuhren eine Reihe von Stoppsignalen und erwischten einen Trupp Sheriff-Streifenwagen. Denen wir durch eine nördliche Seitenstraße folgten. Besagte Seitenstraße war eng und vollgestellt. Wir schubsten mit unseren Stoßstangen ein paar Mülltonnen weg, und Haushaltsabfall flog durch die Luft.

Die Seitenstraße endete in einer Sackgasse an der Saticoy Street. Ich hatte ein Déjà-vu. Ich wusste, dass ich schon mal hier gewesen war. Doch meine Gehirnwellen blockten. Ich wusste nicht mehr, wann und wie. Mein Sommer hatte aus zu vielen Schnaps- und Pillenräuschen bestanden.

Die Sheriff-Streifen bogen nach Osten ab. Unsere zwei Police-Department-Schlitten fuhren dicht hinter ihnen.

Die Gegend wurde mieser. Von Ranch-Villen zu Apartment-Blocks. Zu Swinger-Absteigen. Zu Seitensprung-Nestern. Zu Stewardessen-Unterkünften. Zu Schwuchtel-Wohnungen und Einzimmer-Absteigen für ausgehaltene Mädchen.

Wirsahen Folgendes:

Acht Sheriff-Wagen hatten vor dem Tiki-Torch Village Position bezogen.

Wir drifteten zur anderen Straßenseite und blieben mit quietschenden Bremsen stehen. Sechs uniformierte Deputys sicherten den Ausgang zur Straße. Mit Pumpguns in der Hand. Riesige Tiki-Fackeln flankierten das schmiedeeiserne Tor. Die Hitze war San-Fernando-Valley-stickig. Die Fackeln schieden Propan aus. Das zum Himmel stank. Einem Himmel, der drückend und schwer über uns lastete.

Die Herrenhüte und Freddy O. Wir waren nur zur Beobachtung da. Den einen Kerl hatten wir umgebracht, den anderen eingesperrt. Das LAPD war früh in Aktion getreten. Die Leute vom Sheriff deutlich später. Dann sehen wir mal zu, wie sie das Mädchen retten.

Wir stiegen aus unseren Streifenwagen und mischten uns unter die Menge. Max und Harry reichten ihre Flachmänner rum. Die Herrenhüte mit Freddy O. wärmten sich ordentlichauf. Eddy baggerte eine Pan-Am-Stewardess an und erhielt ihre Telefonnummer. Eine Mexen-Mieze meinte, im Tiki-Torch Village sei immer was los. Was der ihr zugehörige schafsgesichtige Co-Pilot bestätigte. Vier Sheriff-Bullen seien gerade ins Gebäude reingegangen. Es ginge um so was wie eine Starlet-Entführung.

Irgendwer rief: »Keine Verdächtigen drinnen.«

Irgendwer rief: »Wir haben das Mädchen.«

Ich stellte mich auf die hintere Stoßstange einer Sheriff-Streife. Und hatte gute und umfassende Sicht. Die Flintenträger öffneten das Tor und traten zurück. Sie kommen, sie kommen.

Motel-Mike Bayless erschien. Groß gewachsen, mit dummer Schönlings-Visage. Und oberschniekem Messerhaarschnitt.

Er geleitete Gwen Perloff ins Freie. Sie war kein Starlet, trug Brille, war mindestens fünfunddreißig. Groß und knochig. Eine umwerfende Lehrerinnen-Type im Sommerkleid.

3

(LOS ANGELES, SAMSTAG, 04. 08. 62, 23:28 UHR)

Der Todessturz. Die schräge Lehrerin. Samstagabend-Kicks, die aus dem Ruder gelaufen sind.

Ich ging durch meine Bürowohnung und machte Bestandsaufnahme. Ich war unruhig und kribbelig. Ich prägte mir meine vier Zimmer detailgenau ins fotografische Gedächtnis ein.

Mein Inventar:

Eine in Schachteln eingelagerte Abhörausrüstung. Ein LAPD-Dienst-Telex. Ein Beweissicherungs-Koffer. Eine forensische Polaroid-Kamera. Vier Aktenschränke – mit jeder Menge Belastungsakten und Belastungsschnappschüssen. Eine Schachtel mit Belastungswaffen und zwei Pumpguns. Dazu Totschläger mit Gürtelhalter, Handschellen und weiteres Fesselungsmaterial.

Ich hatte seinerzeit, ’46, an der University of Southern California einen Abendkurs besucht. Kriminalistik für Polizeibeamte. Ein Nazi-Professor namens Hans Maslick hatte eine besondere Technik zur kontrollierten Nutzung des fotografischen Gedächtnisses entwickelt. Man beobachtet Tatorte in Innenräumen und prägt sich kleinste Einzelheiten ein. Man schaut lange hin und speichert alles an besonderen Gedächtnisorten ab. Wo das Gesehene frisch und verlustfrei aufbewahrt wird. Ich habe mich selbstständig zum Eidetiker ausgebildet und vergesse nie, was ich mir mal eingeprägt habe. Ich schaue genau hin und überarbeite und verfeinere meine Technik. Das lüftet mir den Kopf und hilft mir, meine Gier nach Schnaps und Drogen im Griff zu behalten.

Der Mann mit dem fotografischen Gedächtnis. Meine penibel ausgelegten Arbeitsmittel. Und meine letzte, nicht abzuschüttelnde Erinnerung. Der Zuhälter-Caddy, der Richie Danforth an der Leitplanke entlangschleift und ihm die Füße abreißt.

Ich stellte meine Sachen wieder in den Dielenschrank zurück. Ich ging meine Erinnerungen systematisch durch, wobei ich mich auf mein fotografisches Gedächtnis stützte.

Mein Projektor und Privatkino, mit jeder Menge Filmspulen. Lois Nettleton in Stadt ohne Maske und in der TV-Serie Alcoa Presents. Von der Glotze zum Broadway. Lois als Maggie in DieKatze auf dem heißen Blechdach. Als Zweitbesetzung der Hauptrolle. Ich hatte mir jeden grandiosen Moment und jeden Patzer eingeprägt.

Von Lois zu Pat. Ein eingerahmtes Foto. V-J Day, der Tag, an dem Japan kapitulierte, in Kodacolor festgehalten. Pats zu langes Truppenunterhalterin-Abendkleid. Meine picobello Marine-Parade-Uniform.

Sie war irgendwas zwischen schlaksig und königlich. Mit einem einschüchternden Familiennamen, dem sie nicht entkam. Damals hatte sie’s versucht. Jetzt wusste sie’s besser. Hinter uns funkelte und glitzerte der Hollywood Boulevard. Ich hatte mir jedes anonyme Gesicht und das Blitzen jeder Fensterscheibe eingeprägt.

Meine Träumerei verflog. Der Todessturz setzte mir zu. Wir würden ungeschoren davonkommen. Da war ich mir sicher. Gewisse Leute hatten ZU VERSCHWINDEN. Vergewaltiger. Einstiegs-Sittiche. Geiselnehmer. Entführer-Erpresser und sexuell motivierte Straftäter. Bill Parker würde jeden Ärger im Keim ersticken. Die hiesigen Pressefritzen würden die Öffentlichkeitsarbeit von El Jefe 1:1 mittragen. Buzzy Stein würde die wirklichen Entführer nicht verpfeifen. Ich verkleinerte den Bildausschnitt und beschwor zwei Bilder herauf:

Der zappelnde und fallende Ricky Danforth. »Alles nur Mache!« Die Meute vor dem Tiki-Torch Village – Bullen und Stewardessen, die sich an der Show aufgeilten. Eine Pan-Am-Stewardess, die mit Harry Crowder ein paar Samba-Schritte tanzte. Eddie Benson, der vierzehn Telefonnummern einsammelte. Ich auf meinem Stoßstangen-Hochstand.

Der Mann mit dem fotografischen Gedächtnis. Totale von oben. Motel-Mike Bayless und Gwen traten ins Freie. Gwen wirkte gelassen und gepflegt. Um 22:00 Uhr abends, bei 34° Hitze. Sie war in einen Besenschrank eingesperrt gewesen. Ohne dass an ihrem pfefferminzgrünen Kleid irgendwelche Schweißflecke zu erkennen gewesen wären. Keinerlei Rückstände eines Klebeband-Knebels im Gesicht. Keinerlei Wundstellen von engen Fesseln. Sie schien bemerkenswert beherrscht.

Sie war eine Schauspielerin, die einen Auftritt vor einer Menschenmenge hinlegte. Einige Männer pfiffen. Einige zugedröhnte Stewardessen sprangen hoch und winkten. Motel-Mike stand etwas von Gwen entfernt. Er versuchte gar nicht erst, das verstörte Entführungsopfer zu trösten. Er stellte vielmehr vor all den Leuten klar, dass er mit dem großen, schlaksigen Weibsstück nicht intim war.

Ich schloss die Augen. Das löschte das Zimmerlicht und rückte meinen inneren Linsendeckel zurecht. Und gönnte mir eine Überlegungspause.

Gwen Perloff sah aus wie ein Lockweibchen. Durchaus möglich, dass sie in Darryl Zanucks Starlet-Stall die aktuelle Hauptstute war. Zanuck war bei Fox der Obermacker und stand entsprechend voll in der Schusslinie. Cleopatra, der große Toga-Flop, hatte Fox an den Rand des Ruins und in Existenz- und Geldnöte getrieben. Ein Filmdebakel von Weltformat. Liz Taylor war mit Richard Burton liiert. Sie schwoften nachts durch Rom und bumsten in den Requisitenkammern der Cinecittà. Um die Defizite zu decken, musste Fox möglicherweise das ganze Studiogelände abstoßen. Darryl Zanuck war der Obermacker und hatte den entsprechenden Ärger am Hals. Und da rief ihn eine Frau an, um einen unbedarften Entführungsplan zu verpfeifen.

Ich überdachte die Cleopatra-Gerüchte. Fox-Bonze Zanuck, Fox-Starlet Gwen Perloff. Ich warf mir zwei Dexedrin ein, um trotz der späten Nachtzeit ordentlich in Schwung zu kommen. Ich führte mir erneut die erste gemeinsame Aktion von Freddy O. und den Herrenhüten vor Augen.

Mai ’54. Der Rote Teufel alias George Collier Akin. Einstiegs-Sittich, Sadist und Vergewaltiger. Der sich auf Mädchenheime der University of the State of California spezialisiert hatte. UND SCHLICHT UND EINFACH ZU VERSCHWINDEN HATTE.

Er trug eine rote Teufelsmaske. Er quälte seine Opfer mit Monster-Sprüchen aus Horrorfilmen. Wir lauerten ihm vor einem Studentinnen-Wohnheim auf. Mit .45er Colts und Ithaca Pumpguns mit Rattengift-versetzten Schrotladungen. Der Schalldruck ließ vier Scheiben im Parterre zerspringen.

Mein Geschäftstelefon klingelte. Ich nahm nach zweimaligem Läuten ab. Eine britische Stimme stammelte was in den Hörer. Ich erkannte die Stimme. Das war Peter Lawford. Er war halb betrunken und völlig verängstigt.

Ich verstand »Dinner Party« / »erschien nicht« / »Leiche gefunden«. »Nimm dich zusammen«, sagte ich, »eins nach dem anderen.«

Lawford atmete schwer. Die Telefonleitung bekam statische Störungen. Ich verstand »zu spät zur Dinner Party« / »oh, mein Gott« / »Marilyn Monroe«. Mehr konnte ich dem Gekeuche und Gebrabbel nicht entnehmen. Dann stand die Telefonleitung wieder. Er war rübergefahren / er hatte die Pillendosen gesehen / die Haushälterin war nirgendwo – Freddy, sie war kalt.

Ich pfiff durch die Zähne. Was die Leitung völlig zum Durchdrehen brachte, worauf der Mistkerl Lawford erschreckt aufkreiiiiischte. Ich hörte, wie Münzen durch einen Schlitz fielen. Der Mistkerl warf Zehn-Cent-Stücke in ein Münztelefon.

Lawford murmelte und keuchte. Ich hörte »Meine Frau, Pat«. Damit war alles klar. »Geh zum Haus zurück und warte in deinem Wagen. Ich bin gleich da.«

Lawford brach in Schluchzen aus. Freddy, du hast Herz. Sie war so begabt und so –

Ich hängte auf und wählte Bill Parkers Privatnummer. Worauf sich Spulenklicks in den Wählton mischten. Der Chief pflegte seine Anrufe auf Band aufzunehmen. Örtliche Wichtigtuer und Stänkerer pflegten aus Jux und Tollerei beim Boss anzurufen.

»Wer da?«, sagte Parker.

»Fred Otash, Sir.«

»Rufst du wegen Rückendeckung an? Keine Angst. Alles geregelt. Mr. Danforth ist euch entkommen und hat die Höhe der Böschung falsch eingeschätzt. Mr. Stein sitzt in Haft, und der Sheriff wird sich um die drei gesuchten Verdächtigen kümmern.«

Ich zündete mir eine Zigarette an. »Betrifft was anderes, Sir.«

»Fass dich kurz. Was für ein ›anderes‹?«

»Marilyn Monroe ist tot. Sieht nach Pillenüberdosis oder Suizid aus. Peter Lawford hat sie gefunden und bei mir angerufen. Er wartet vor dem Haus auf mich. Ich fahre hin.«

Ein Klopfen erklang aus der Leitung. Ich kannte den Trick. Parker klopfte mit einem Bleistift an den Hörer, um Zeit für eine passende Antwort zu finden. Ich schätzte die Dauer des Klopfens auf –

»Unsere Intel-Abteilung verfügt über ausführliche Akten über Miss Monroe und ihre Filmfreunde, Politiker-Kameraden und Liebhaber, bis und mit John und Robert Kennedy. Peter Lawford versorgt seinen Schwager Jack mit Rauschmitteln und Mädchen, in Zweitauflage deiner Rolle als Zuhälter und Dealer des jungen Senators Mitte der 50er-Jahre. Du zählst zu den intimsten L. A.-Kennern, Freddy. Wie weit bist du aktuell informiert?«

Ich musste leer schlucken. »Ich bin auf dem neuesten Stand, Sir.«

»So?«, sagte Parker. »Wie das?«

»Im Zusammenhang mit meinem jüngsten Auftrag.«

»Über den du mir ausführlich Bericht erstatten willst? Bei unserer nächsten Unterredung?«

»Jawohl, Sir.«

Weiteres Telefonklopfen. Das nicht aufhören wollte. Ich stoppte es mit meiner Uhr. Zwei Minuten und sechzehn Sekunden.

»Geh zurück zum Haus. Beruhige Lawford und sorg dafür, dass er den Mund hält. Geh rein und führe eine vollständige forensische Untersuchung durch. Ich postiere Wachen an der Liegenschaftsgrenze, um allfällige Passanten fernzuhalten. Morgen um 08:00 Uhr triffst du die Herrenhüte bei PC Bell in Santa Monica. Du besorgst dir Miss Monroes Telefonanruflisten für das laufende Kalenderjahr ebenso wie ihre aktuellen Mautzahlungen. Und ich werde mein Bestes tun, das Ganze unter Verschluss zu halten und, soweit möglich, gedeihlich zu nutzen.«

Der Nachtklub-Verkehr verstopfte den Strip. Die Wagen krochen an Ciro’s und am Crescendo vorbei. Ich wich auf südliche Seitenstraßen aus und fuhr von Santa Monica Richtung Wilshire Boulevard. Der Verkehr war so gut wie verschwunden. Ich gelangte zur Barrington Avenue Ecke San Vicente Boulevard. Im Geschäftsviertel von Brentwood war alles geschlossen.

Ich fuhr weiter über die Carmelina Avenue. Die Gegend wurde laufend schicker. Mit bemerkenswert großen Rasenflächen und hohen Hecken. Mit netten Häuschen im spanischen Stil und deren luxuriöse Großausgaben.

Da war der Fifth Helena Drive. Da war Monroes Haus. Vor dem Peter Lawfords kirschroter Rolls-Royce parkte.

Scheinwerfer blinkten kurz auf. Zweimal an und aus. Das waren Parkers Wachhunde in Zivilfahrzeugen. Sie parkten auf der anderen Straßenseite, ein Stück vom Rolls entfernt.

Ich blinkte zurück und stellte mich vor den Rolls. Wir standen Kühlerhaube an Kühlerhaube. Ich stupste ihn mit der Stoßstange an und blendete auf, um den Schwanzlutscher wach zu rütteln. Seine Frontscheibe erstrahlte gleißend hell. Lawford zwinkerte und tastete nach einer Zigarette. Ich schaltete meine Lichter aus und stieg aus dem Wagen.

Lawford öffnete die Passagiertür. Ich rutschte neben ihn. Wir waren von grünem Leder und gemasertem Holz umgeben. Lawford zitterte am ganzen Leib. Ich reichte ihm meinen Flachmann. Randvoll mit Dschungelsaft – 151er Rum versetzt mit Benzedrinpulver.

Er nahm einen tüchtigen Schluck. Bitte jetzt keine Fluppe anzünden – das Zeug könnte explodieren.

»Okay«, sagte ich. »Sie ist tot. Jetzt geht es darum, einige besonders wichtige Freunde von ihr zu schützen, wobei ich keine Namen zu nennen brauche.«

Lawford lebte bereits auf. Dschungelsaft wirkt umgehend.

»Ich weiß, von wem du sprichst, weil das nämlich meine eigene Familie betrifft. Mir missfällt, dass du sie kennst und dass du es wagst, sie auf so selbstverständliche Weise in den Mund zu nehmen.«

Ich versetzte ihm zwei Beruhigungsohrfeigen. Er schnappte nach Luft. Ich griff mir den Flachmann und nahm selber zwei ordentliche Züge.

»Ich mag Jack. Bobby kann mir gestohlen bleiben, aber das gehört nicht hierher. Wenn die Leiche von Frau Sowieso entdeckt wird, brauchen sie Freunde, und in dieser Stadt sind solche Freunde beim Los Angeles Police Department zu finden, und ich habe Auftrag, dir auszurichten, dass die Freundschaft von Chief Parker ihren Preis hat.«

Lawford brach der Schweiß aus. Eine heiße Nacht, Dschungelsaft, Ohrfeigen.

»›Frau Sowieso‹ ist der größte weibliche Filmstar unserer Zeit, und bei den Männern, die du so lässig als ›Jack‹ und ›Bobby‹ bezeichnest, handelt es sich um den Präsidenten und den Generalstaatsanwalt der Vereinigten Staaten. Abgesehen davon, dass meine Frau –«

Ich versetzte ihm eine Beruhigungsohrfeige. Er schnappte nach Luft und schluchzte. Ich warf ihm mein Einstecktuch zu.

»Marilyn war nicht mehr als ein Oberklassen-Lockweibchen. Wobei ich über sie, Jack und Bobby Sachen weiß, die du dir gar nicht vorstellen kannst. Und mit wem du verheiratet bist, brauchst du mir nicht zu erzählen, weil mir das echt zusetzt.«

Er wischte sich Gesicht und Nacken ab. Er sah mich an. Heiße Nacht, Dschungelsaft, Ohrfeigen. Ihm in die Augen sehen. Die Anspielung auf Pat begriff er nicht.

»Wo ist der Generalstaatsanwalt? Heute früh stand was im Herald. Etwas über eine Rede in San Francisco.«

Lawford wischte sich die Nase. Und hatte mein Einstecktuch in zwei Sekunden versaut.

»Ja, er ist da oben. Er wohnt im Saint Francis.«

»Ruf ihn an und hol ihn her«, sagte ich. »Bill Parker wünscht ihn zu sprechen.«

Lawford wischte sich die Augen und drehte den Zündschlüssel. Ich rutschte aus dem Wagen. Der Rolls preschte Vollgas nach Westen. Ich pfiff und signalisierte den Wachpolizisten – ich gehe jetzt rein.

»Umfängliche forensische Bestandsaufnahme.«

»Bei Monroe zu Hause, zum Zweiten.

Meine Beweisaufnahme-Ausrüstung passte in einen Koffer und war bestens bestückt. Unter anderem mit einer Polaroid-Kamera. Dreißig Rollen Film und achtzig Blitzlichtlampen. Fingerabdruckutensilien. Gummihandschuhe. Faserkämme und Fasertütchen sowie ein Fasersauger mit Federaufzug.

Sprühdosen. Ninhydrin für Blutflecke, saure Phosphatase für Samenflecken-Nachweise. Fläschchen mit Stöpseln für Flüssigkeitsproben. Zwölf Rollen Klebeband – zur Fingerabdruckaufnahme und für Staubproben.

Lawford hatte das Gartentor und die Vordertür offen gelassen. Mit der Anordnung der Innenräume kannte ich mich aus. Ich holte meine Taschenlampe hervor und steckte den Schaft zwischen die Zähne. Ich war voll wie eine Strandhaubitze. Ich schaltete mein fotografisches Gedächtnis ein.

Mein Beweissicherungskoffer war schwer und unhandlich. Ich schleppte ihn die Stufen hoch und ins Haus rein. Ich zog die Tür zu und schob den Riegel vor. Fotografisches Gedächtnis plus Taschenlampe. Zielen, beleuchten, wahrnehmen und einprägen.

Das deprimierend unordentliche Wohnzimmer. Das klassische Monroe-Chaos. Sehen wir uns als Erstes die Leiche an.

Ich ging in ihr Schlafzimmer. Meine Taschenlampe wies mir den Weg. Ich sah blanke weiße Wände, zugezogene Vorhänge, den dunklen matten Holzboden.

Der Nachttisch und die Pillendosen. Das Telefon neben dem Bett. Marilyns linke Hand, als ob sie nach etwas greifen wollte. Sie lag flach auf dem Rücken zwischen zwei weißen Laken.

Ich fuhr mit der Hand darunter. Sie war nackt / ihre Haut war kalt / die Decken hatten keine Wärme gespeichert.

Ich sah mir die Dosen an. Nembutal, Seconal, Chloralhydrat. Instant-Traumland. Der Mist sorgte für tiefen Schlaf.

Unter dem Nachttisch stapelten sich Filmskripte. Garniert mit Mäusescheiße. Da drüben stimmte etwas nicht.

Ein Uhrenradio. Umgestürzt und runtergefallen. Genau zwischen Bett und Nachttisch. Der Stecker steckte noch in der Wand.

Mal angenommen, sie war halb weggetreten und schlug um sich. Sie hatte mehrere Möglichkeiten. Noch mehr Pillen oder ein Griff zum Telefon für einen letzten Hilferuf?

Ich kniete mich neben das Bett und leuchtete sie aus der Nähe an. Und fand die zweite Unstimmigkeit.

Getrocknete Wischstreifen. Fingerabdruck-Wischstreifen. Entlang der Oberhälfte und der seitlichen Griffe des Geräts. Wobei am oberen Wischstreifen blassblaue Fasern klebten.

Ich öffnete meinen Beweissicherungskoffer. Ich nahm die Fasern mit der Pinzette auf und tütete sie ein. Sie sahen nach Frottee aus. Ich puderte die Ober- und Griffseiten ein. Die Wischspuren waren nun deutlich zu sehen. Ich nahm zwei Gummihandschuh-Abdrucke ab. Schlussfolgerung:

Hier war eine Tatortsäuberung erfolgt. Eindeutiger Hinweis auf professionelle Wischarbeit.

Die Vorder- und Hinterseite des Geräts bestanden aus Stoff / Drahtgitter. Das hieß, dass dort keine Fingerabdrücke aufgenommen werden konnten. Ich saß auf dem Bett und prägte mir sämtliche Einzelheiten des Radios ein. Man beachte die Wischspuren auf dem Einstellknopf. Man beachte den Zeiger, der auf All-News-KLEZ eingestellt war. Ich drehte am Lautstärkenknopf und bekam Ton. Durch das statische Rauschen hindurch war ein Reporter zu vernehmen.

»… kühne Entführung im Schatten des schicken Sunset Strip. Starlet Gwen Perloff –«

Die Reporterstimme ging in Rauschen unter. Ich drehte am Einstellknopf. Ich hörte »ein Tatverdächtiger stürzte in den Tod« und noch mehr Statik. Ich hörte »Tatverdächtiger in Gewahrsam« und dann Rauschen, Brummen, Knistern und Fiepsen.

Ich rüttelte an der Antenne. Ich hörte »Und hier ein Update zu unseren Nachrichten von 21:05 Uhr. Nach den drei Männern wird nach wie vor gefahndet.«

Ich hievte meinen Beweissicherungskoffer aufs Bett und lehnte den Deckel gegen Monroe. Ich holte meine Polaroid raus und legte einen Zwölferfilm rein. Ich setzte das zugehörige Blitzgerät auf und schraubte eine Birne ein. Ich drückte auf den Auslöser.

Das Zimmer wurde gleißend hell. Grelles Licht fiel auf die weißen Leintücher und die weißen Wände. Ich hatte den Nachttisch und den toten weißen Arm im Bild. Das Telefon und die Pillenpackungen. Weißblondes Haar auf einem weißen Kissen.

Ich wartete sechzig Sekunden und zog dann den Abzug frei. Bild #1: ein totes Lockweibchen. Ich steckte den Abzug in meinen Beweissicherungskoffer und schoss sechs weitere Schlafzimmer-Aufnahmen. Das Uhrenradio, den Nachttisch, die Pillendosen. Den ganzen Raum mit Weitwinkel. Von halbnah das Bett. Von ganz nah das eine entblößte Bein und das unordentliche weißblonde Haar.

Zwölf Blitzlichter platzten. Zwölf gedanklich eingeprägte Erinnerungsbilder. Ich musste mir merken, was ich sah.

Ich ging ins Wohnzimmer. Ich leuchtete die Wände und den Boden ab und lud die Polaroid nach. Da entdeckte ich Auffälligkeit #3.

Hochflorige Teppiche. Mit tiefen Fußabdrücken. Von großen Männerfüßen / schwerem Schuhwerk / starke Faserknickung. Fußabdrücke, die von und zu einem östlich gelegenen Fenster führten, das etwa zu einem Viertel offen stand. Die Fußabdrücke eines groß gewachsenen Mannes. Der weite Schritte machte.

Ich holte mein Maßband raus und wickelte es aus. Ich leuchtete repräsentative Fußabdrücke mit der Taschenlampe an und legte mein Maßband zwischen die Abdrücke. 66 cm. 64,5 cm. 76 cm. Der lange Mann musste zwischen 1,85 und 1,90 groß sein.

Ich steckte neue Blitzlichter ins Gerät. Ich knipste die Spuren mit und ohne Maßband. Ich knipste lose Farbsplitter neben dem Sims am offenen Fenster.

Er war durch dieses Fenster eingedrungen. Die Fasern waren von einem Fuß niedergetreten worden. Sie richteten sich vor meinen Augen wieder auf und glätteten sich. Das hieß: Der lange Mann hatte sich heute ins Zimmer eingeschlichen. Das LAPD-Labor konnte anhand meiner Aufnahmen ein Gangprofil erstellen.

Ich suchte die Wohnung ab. Ich leuchtete systematisch Wände und Böden aus. Wobei ich umgehend Anomalien #4 und 5 entdeckte.

Wanzenfassungen. Als Stecker getarnt. Flach in die Täfelung eingearbeitet. Eine im Wohnzimmer / eine im Gästeschlafzimmer.

Das waren nicht meine Abhöreinrichtungen. Meine hatte ich vor zwei Wochen ausgebaut. Diese Abhöreinrichtungen waren funktionslos. Die Kabelanschlüsse waren durchgetrennt.

Meine Fassungen waren länglich. Die hier waren quadratisch. Ich hatte meine Abhörvorrichtungen ausgebaut. Da waren diese Fassungen noch nicht vor Ort gewesen.

Ich schraubte die Fassungen aus und steckte sie in meinen Beweissicherungskoffer. Das sah nach L. A. Sheriff oder FBI-Ware aus. Die Japsen-Transistoren waren ein unmissverständlicher Hinweis.

Abhörvorrichtungen verwiesen auf möglicherweise abgehörte Telefonleitungen. Die Monroe-Wohnung verfügte über drei Anschlüsse. Wohnzimmer, Gästeschlafzimmer und Marilyns Boudoir. Ich schritt alles ab und überprüfte die Apparate.

Ich nahm jeden Hörer ab und schraubte die gelochten Hör- und Sprechfassungen ab. Ich suchte nach eingebauten Kleinmikros und fand nichts. Aber – ich bemerkte runde Abstandshalter. Das hieß, die drei Telefone waren abgehört worden. Die Abstandshalter waren zerkratzt und korrodiert. Meine Abstandshalter und Mikros waren in die Handgriffe eingesetzt worden. Monroe hatte das Haus im Februar gekauft und war am 10. März eingezogen. Mein Abhörauftrag hatte am 11. April begonnen.

Ich fotografierte die drei Abstandshalter und schraubte die Sprech- und Hörbuchsen wieder auf. Ich steckte die feuchten Abzüge in meinen Beweissicherungskoffer. Ich arbeitete mich zu Monroes Schlafzimmer zurück und suchte es nach Fasern und Abdrücken ab.

Harte Böden. Zwei Bettvorleger am Fuß des Bettes. Ein furnierter Toilettentisch. Der Boden würde keine trockenen Fasern zurückbehalten. Die Teppiche schon. Der Ankleidetisch wies gute Berührungsflächen auf, die latente Abdrücke liefern könnten.

Ich beleuchtete den Boden und saugte die Teppiche ab. Ich füllte ein halbes Beweistütchen mit winzigen Fäden und unbekanntem Dreck. Ich stäubte die Griffflächen des Toilettentischs ein und bekam Teilabdrücke, Flecke und Schmieren.

Monroe war ein Messie. Das hatte ich bei meinen vorigen Einbrüchen entdeckt. Die Schubladen des Toilettentischs waren eine Durchsuchung wert. Ich konnte ganz neuen Schwachsinn finden. Vielleicht sogar was Relevantes.

Das Schlafzimmer war heiß, echt heiß. Ich hatte ein Dexedrin-High und war vom Dschungelsaft angetörnt. Der Stöbern-und-Suchen-Auftrag geilte mich auf. Ich leuchtete das Bett ab und sah das weißblonde Haar auf dem Kissen.

Ich öffnete die oberste Schublade und schaute mir den Inhalt an. Ich notierte neun Paar Nylonstrümpfe und einen roten Häkelbikini. Ich knipste besagten Inhalt und wartete sechzig Sekunden ab. Ich holte den Abzug raus und steckte ihn in meinen Beweismittelkoffer.

Die Hitze im Raum wurde drückender. Ich begann zu schwitzen. Ein starker Wind ratterte an den Fensterscheiben. Ich fasste unter die Betttücher und berührte Marilyns Bein. Das sich eisig-tot und Zimmer-heiß zugleich anfühlte.

Schublade #2 enthielt diverse Unterröcke und Beutelchen mit Chanel N°5. Die heiße Zimmerluft vermischte sich mit Parfümresten. Ich zählte sechs Beutelchen und Unterkleider. Die Unterkleider waren alle hell pastellfarben. Sie hatten Schweißflecke unter den Armausschnitten. Die mich faszinierten.

Ich hob einen rosa Unterrock mit Brokatsaum hoch und hielt ihn mir dicht vors Gesicht. Ich bekreuzigte mich und unterdrückte das Bedürfnis, den ganzen Schwung zu befummeln.

Die Schublade klemmte nach dem Öffnen. Ich schüttelte sie und durchwühlte den Inhalt. Ich sah einen alten Schwarz-Weiß-Schnappschuss neben einem vergilbten Papierzettel. Ich wusste gleich Bescheid.

Das war ein L. A.-Pathologie-Foto. Carole Landis, die splitternackt auf einer Bahre lag. Eine Wasserstoff-blonde Noch-nicht-Monroe, die im Juli ’48 Barbiturate und Schnaps geschluckt und einen jammervollen Abschiedsbrief an ihre Fans hinterlassen hatte. Sie hatte sich schon vorher umzubringen versucht. Insgesamt vier Mal. Sie stand bei Ehemann #4. Sie hatte mehrmals Co-Star-Rollen bei Fox gespielt und war außerdem in mehreren kostengünstigen Schnellschüssen aufgetreten. Der britische Herzensbrecher Rex Harrison hatte sich geweigert, ihretwegen seine Frau rauszuschmeißen. Sie wohnte in einer Prachtvilla in Pacific Palisades oben, während es mit ihrer Filmkarriere bergab ging.

Vom Elend zur Geisterbahn. Auf dem vergilbten Papier stand eine Nachricht. Die aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben zusammengesetzt war. Das Papier war alt. Ebenso die Buchstabentypen. Die Nachricht lautete:

Sie liebte ich, bevor ich Dich liebte.Sie war netter. Du bist verzweifelter und ehrgeiziger.Ich musste lernen, Dich zu lieben. Sie lehrte mich, wie.

Ich knipste die Nachricht und das Pathologie-Foto. Im grellen Blitzlicht sah das Schlafzimmer auf verrückte Weise plötzlich ganz anders aus. Ich wartete sechzig Sekunden und zog den Abdruck ab. Ich steckte ihn in meinen Beweissicherungskoffer.

Ich stäubte das Pathologie-Bild ein und erhielt einen Teilabdruck und zwei Schmieren. Die ich fotografierte. Ich stäubte die Rückseite ein und fand nicht das Geringste.

Die Hitze im Zimmer stieg erneut an. Es wurde bedrückend stickig. Ich tütete das Pathologie-Bild und die Notiz ein. Ich steckte die Fotos in meinen Koffer. Ich lockerte die verklemmte Unterwäsche-Schublade und schob sie zu. Der Ruck löste einen Hebel aus.

Ein hölzernes Tablett unter der Schublade glitt raus und öffnete sich. Ich bin ein Eidetiker. Ich prägte mir Folgendes ein:

Ficki-Lutschi-Bilder. Vier insgesamt. Schwarz-weiße Polaroids. Die nackte Marilyn Monroe und ein fieser Fickpartner mit Riesentolle. Mit einem weißen Farbstreifen über den Augen. Der seine Identität kaschierte. Kräftig und muskulös gebaut. Die Monroe war die Monroe. Sie ficken, saugen, machen 69. Kamasutra vom Feinsten, Baby. Man beachte den billigen Motel-Hintergrund. Die Monroe sah jünger aus. Die Bilder verwiesen auf ’58 oder ’59.

Angetrocknete Samenschmiere. Ein Widerling hatte auf alle vier Bilder abgespritzt. Jede Menge toter Zellen und Blutgruppen-Hinweise. Die vom Labor getestet werden konnten, um den Spinner zu identifizieren –

FOTOGRAFISCHES GEDÄCHTNISERINNERN / EINPRÄGEN / DURCHARBEITEN –

   

Gedächtnis

TEIL 2 ABHÖRMASSNAHMEN

(9. April – 4. August 1962)

4

(LOS ANGELES, MONTAG, 09. 04. 62, 21:14 UHR)

The Losers Club – der Klub der Verlierer. Beverly Boulevard Ecke La Cienega. Ein Strip-Schuppen. Mit tagesaktuellen Bezügen. In dem sich große Komiker ungefilterte Auftritte gönnten. Lenny Bruce, Don Rickles, Mort Sahl. Hier durften sie ungehemmt loslegen. Und sich und andere als Verlierer feiern.

Vor dem Eingang hing ein großes Plakat. Auf dem der »Verlierer der Woche« angezeigt wurde. Heute war Eddie Fisher dran. Als Super-Stinker und Star-Attraktion. Ich war Eddies Leibwächter. Wir saßen im Künstlerzimmer. Mit gut bestückter Bar und appetitlichem Buffet. Man beachte die randvoll mit Barbituraten und Benzedrin vollgestopften Pokale.

»Nixon war bereits zweimal der Verlierer der Woche«, sagte Eddie. »Letzten Monat war Rock Hudson dran, nur weiß niemand, wieso.«

Ich zündete mir eine Zigarette an. »Die Sheriff-Sitte hat ihn im Hamburger Hamlet in flagranti erwischt, wie er einem jungen Soldaten einen geblasen hat. Das war ein Wink an die Insider. Rock hat ein privates Geheimleben. Der ist kein Dauerverlierer wie du und Nixon.«

Eddie lachte trocken. »Ich lasse das so stehen, weil es mich in Arbeitsstimmung versetzt, aber nur, wenn ihr Liz zur Verliererin des Jahrtausends ernennt. Ihr Make-up-Mann ist ein alter Kumpel von mir. Ich erhalte täglich Berichte vom Set. Wo alles auf eine Großkatastrophe hindeutet.«

Im Hinblick auf das Cleopatra-Durcheinander und die Schieflage von Fox. Der Dreh verschlang Irrsinnssummen und verlief chaotisch. Die Unterseekabel von Rom nach L. A. liefen rund um die Uhr heiß. Liz Taylor als Schreckschraube des Jahres neben dem traurigen Würmchen Eddie. Ständig im Schnaps- und Pillenrausch und an irgendwelchen geheimnisvollen Krankheiten leidend. Sich in schicken Hotelsuiten verkriechend, um Dickmacher in sich reinzustopfen. Sie bumste ihren Co-Star Richard Burton. Und wurde von Paparazzi auf der Via Veneto verfolgt.

Liz und Eddie hatten sich getrennt. Nach Rausschmiss von Ehemann #4 wurde Ehemann #5 in Schnellfick-Absteigen auf der Via Appia angewärmt. Was wiederum Eddie, Il Cornuto Supremo, ein zweites Mal zur Nachtklub-Sensation machte. Er hatte in Vegas und in der Cocoanut Grove Los Angeles für volle Häuser gesorgt. Heute trat er zum ersten Mal im Losers Club auf. Er verkaufte sich als Inbegriff des Verlierers. Sechshundert Eddie-Fans standen draußen Schlange.

Bei der drei Mitarbeiter von mir tätig waren. Die sich von scharfen Bienen Briefumschläge und Geldgeschenke zustecken ließen. Liebesbriefe, Nacktbilder und Schamhaarlöckchen inbegriffen.

Eddie tat sich an einem Scotch on the Rocks gütlich. »Mal abgesehen von den ganzen Liz- und Finanznöten würde der Riesenflop eine ideale Tierfilm-Vorlage abgeben. Zanuck will ihn neu drehen lassen, mit Lassie und Rin Tin Tin in den Hauptrollen.«

Ich lachte trocken. Bo Belinsky kam rein. Der neue Pitcher der L. A. Angels. Ein Frauenschwarm par excellence. Er kam aus Trenton, Eddie aus Philadelphia. Die beiden waren neuerdings beste Freunde. Und zogen gemeinsam um die Häuser und über Liz her.

Eddie und Bo umarmten sich. Und gaben ihre »Bruderherz-guter-Kumpel«-Nummer zum Besten. Ich verließ das Künstlerzimmer und verdrückte mich nach draußen.

Der La Cienega Boulevard war rappelvoll. Die Warteschlange erstreckte sich über zwei Blocks nach Norden. Nat Denkins, Phil Irwin und Robbie Molette kümmerten sich um die Menge. Sie kontrollierten die vorbezahlten Karten für Eddies Auftritte um 20:00, 24:00 und 02:00 Uhr. Sie brachten die Leute zum Lachen und scheuchten Minderjährige weg.

Ich zählte die Menge und bekreuzigte mich. Die Eddie-Nummer war eine Gelddruckmaschine. Das Ende noch nicht abzusehen. Die Nummer lief, solange Eddie als armes Schwein und Liz als römische Skandalnudel Schlagzeilen machten.

Ich brauchte die Arbeit. Ich war seit Monaten stier. Ich hatte für Chevy-Felix-the-Cat nicht voll abbezahlte Wagen zurückgeholt. Ich hatte für vergrätzte Schürzenjäger-Gattinnen Scheidungsabzocken organisiert. Bill Parker hatte mir Schlägeraufträge zugeschanzt, die für ordentliche Bullen zu heiß waren. Ich hatte Robbie, Phil und Nat fest in Teilzeit engagiert. Der Eddie-Auftrag war eine sichere Bank und ein Rettungsanker.

Eddies Auftritts-Musik drang nach draußen. Ich ging rein. Die Menge saß dicht gedrängt beisammen. Die Bar war vollgepackt. Man beachte die Sechsertische, an denen sich die Fans zu zehnt aneinanderquetschten. Sowie die Stehplätze an allen Wänden. Und die Baskenmützen-uniformierten Cocktail-Kellnerinnen in Beatnik-schwarzen Trikots.

Mit Buttons am Ausschnitt. Reiß uns auf – wir stehen drauf!!!!! Auf den Tischen standen Lavalampen und Plastikrückenkratzer. Einige dämliche Mistkerle schnappten sich die Rückenkratzer und hakten sie in den Trikots der Mädchen ein. Die Mädchen wichen den Aufreißern aus und servierten die Drinks in Fetzen.

Eddies Musiker schwankten auf die Bühne. Tenorsax, Trompete, Bass, Elektro-Keyboard. Alles Junkies aus dem Wayside-Alkoholiker-Knast auf Freigang. In engen schwarzen Anzügen, Schwuchtel-Stiefeln und halb dun.

Sie bauten auf und stimmten sich ein. Die Menge begann »EDDIE« zu rufen. Und da kam er schon –

Jetzt.

Eddie hüpfte auf die Bühne. Er schwenkte ein Handmikro am Kabel. Die Combo spielte schräge Akkordfolgen aus dem »Peppermint Twist«. Die Menge geriet aus dem Häuschen. Eddie twistete zur Bühnenmitte. Die Menge wurde ruhiger. Eddie wichste den Mikro-Griff. Die Menge geriet erneut aus dem Häuschen. Eddie machte auf großen weißen Bwana – Still gesessen, Kinderchen – der Meister spricht.

Die Menge wurde still. Der Mahatma hatte gesprochen. »Na?«, sagte Eddie. »Was gibt’s Neues bei euch?«

Die Menge geriet aus dem Häuschen. Sie stampften, juchzten, pfiffen, kreischten. Eine Cocktail-Kellnerin hüpfte auf die Bühne. Ihr Trikot hing in Fetzen. Die Combo spielte erneut den »Peppermint Twist.« Eddie schnappte sich die Kellnerin. Sie tanzten heiß und Hüften-schwenkend umeinander.

Die »EDDIE«-Rufe wurden lauter. Die Kellnerin sprang von der Bühne und wich den Grabschern im Zuschauerraum aus. Mahatma Eddie bedeutete Stille. Die Menge wurde still. Eddie stellte die Combo als seine Vier Muschiker vor. Die Menge johlte vor Vergnügen.

»Mein Plattenlabel, RCA Victor«, sagte Eddie, »hat mich aufgefordert, für mein nächstes Album ›ArrivederciRoma‹ und ›AfterYou’ve Gone‹ aufzunehmen. Aber denen hab ich’s gezeigt: ›Selbst meine Selbsterniedrigung kennt Grenzen.‹«

Die Menge johlte erneut. »Ich habe ein paar Neuigkeiten, soeben per Unterseekabel aus Rom bekommen. Meine künftige Ex, alias Liz, alias Cleopatra, soll ihre schmierigen Seelennöte bei einem Treffen der Anonymen Nymphomaninnen offenbart haben.«

Die Menge war nicht mehr zu halten. Eddie streichelte das Mikro erneut mit Wichs-Gesten und ließ die Hüften à la Wah-Watusi kreisen. Was angeheiterte College-Kids und einige Kellnerinnen im Zuschauerraum mit einer Watusi-Einlage begleiteten.

»Weitere Neuigkeiten aus Rom«, sagte Eddie. »La Repubblica zufolge soll Richard Burton beim Trevi-Brunnen einen italienischen Windhund gepimpert haben – aber da es sich um ein Weibchen handelt, kann ich nichts Abartiges daran erkennen.«

Die Menge stampfte und jubelte. Die Combo spielte »Fly Me to the Moon«. Eddie trat den Ständer aus dem Weg und sang.

Eddie ist ein armer Teufel mit zotteliger Langhaarfrisur. Wo nimmt er nur den wohlklingenden Bariton her?

Es ist 03:00 früh. Die nächtliche Abschlussrunde beiEddie daheim. Was vor Cleopatra mal Liz’ & Eddies Zuhause war.

Eine schicke Bleibe. Sechzehn Zimmer im Benedict Canyon. Für Eddie ein ständiger Anlass zur Klage. Er würde sich einschränken müssen. Liz war mit der Geld- und Besitzverteilung einverstanden – bis auf Weiteres. Sie würde bald klüger sein und ihn über den Tisch ziehen – demnächst. Beide hatten jede Menge Kinder aus jeder Menge vorangegangener Beziehungen. Beide hatten jede Menge Absteigen und Grundstücke. Beide hatten Studioverträge und wussten, dass Cleopatra einen miesen Ruf hatte.

Oy, oy, oy. Sein Rabbiner hatte ihn als »selbsthassenden Juden« beschimpft. Und ihn gedrängt, nach Israel auszuwandern und sich einem Kibbuz anzuschließen. Der Rabbiner hatte Liz als »überprivilegierte Schickse« und »giftige Frucht des goyischen Baumes« bezeichnet.

Oy, oy, oy. Eddie genoss den Wirbel in vollen Zügen. Seine Nachtklub-Karriere nahm erneut Fahrt auf, für ihn lief’s gut.

Die Manöver-Kritik fand in Eddies Trophäen-Zimmer statt. Zwischen grünen Ledermöbeln und Bildern von Eddie mit Kardinal Spellman und dem Kongo-Obermacker Patrice Lumumba. Zwei Beatnik-Kellnerinnen spielten Backgammon und beäugten Mordskerl Bo Belinsky. Reiß uns auf – wir stehen drauf!!!!! Eine Dienstleistung des Verlierer-Klubs. Sie hatten ihre zerrissenen Trikots abgelegt und knappe Bikinis angelegt. Die Eddie zur Verfügung gestellt hatte. Der über ein großes Bikini-Lager verfügte.

Eddie und Bo Belinsky lasen die Liebesbriefe von heute Abend durch und bewunderten ausgewählte Schnappschüsse. Bo trug Telefonnummern in Tabellen ein. Ich langweilte mich. Ich trank ein wenig Scotch on the Rocks und spielte mit Eddies Pitbull Roscoe. Meine Leute hielten draußen die Menge unter Kontrolle. Gut vierzig Fans waren uns aus dem Klub hierher gefolgt. Eddie hatte von seiner Haushälterin Schoko-Plätzchen backen lassen. Die Fans waren zu 99 % weiblich. Meine Kerle reichten Plätzchen rum und notierten sich massenweise Telefonnummern.

Ich war unruhig. Ich musste an Lois und Pat denken. Lois / Pat / Lois / Pat. Ich sprang von einer zur –

Das Telefon klingelte. Ich schreckte auf. Eddie nahm ab. Er fragte Wie bitte?. Und horchte. Er bedeckte den Hörer mit einem Kissen.

»Für dich, Freddy«, sagte er. »Jimmy Hoffa am Apparat. Er scheint gerade auf hundertachtzig zu sein.«

5

(LOS ANGELES, DIENSTAG, 10. 04. 62, 09:40 UHR)

Die Kennedys«, sagte Jimmy Hoffa. »Meinen Quellen zufolge kennst du das Gesocks seit Langem.«

Das Statler in Downtown. Eine sauber aufgeräumte Juniorsuite. Kaffee und Krapfen. Eine persönliche Begegnung. Wir saßen einander Knie an Knie auf zwei Stühlen dicht gegenüber.

»Jack kenne ich in der Tat schon lange. Sie haben bestimmt von der Geschichte gehört.«

Hoffa massierte seine Knöchel. »Du hast ihm mal aus Schwierigkeiten mit einem Callgirl rausgeholfen. Du hast verschiedene Optionen gehabt. Und dich für die falsche entschieden, und deine Beziehungen zu unserem künftigen Präsidenten gründlich versaut.«

Ich trank Kaffee. »Ich habe ihm meine Rechnung vorgelegt. Worauf Jacks Leute mich mit Falschgeld abgespeist haben. Ganz witzig eigentlich.«

Hoffa schlug sich aufs Knie. »Und sein beschissener Bruder, Bobby?«

Ich deutete ein comme ci, comme ça an. »Dem bin ich hier und da über den Weg gelaufen. Den kennen Sie wohl besser als ich.«

Hoffa ließ nicht locker. »Raus mit der Sprache. Was hältst du von dem Burschen?«

»Das McClellan-Komitee«, sagte ich. »Dem Bobby zugearbeitet hat, als Jack noch Senator war. Am Fernseher übertragene Anhörungen, Rund-um-die-Uhr-Überwachung, staatliche Buchprüfungen, Anklage-Erhebungen, sorgfältig vorsortierte Geschworenen-Gerichte, öffentliche Demütigungen wegen Ihrer ›angeblichen‹ Beziehungen zur organisierten Kriminalität. Und jetzt ist der kleine Schwanzlutscher der Chef der Obersten Anklagebehörde der Vereinigten Staaten und rückt Ihnen mit neuem Schwung auf den Pelz.«

Hoffa massierte seine Knöchel. »Haben dir beim ›angeblich‹ vielleicht die Mundwinkel gezuckt? Als ob das ohnehin allgemein bekannt wäre?«

Ich unterdrückte ein gespieltes Gähnen. »Sagen Sie mir, was Sie von mir wollen. Yeah, ich kenne die Brüder. Yeah, ich weiß, wie Sie zu denen stehen, und ich weiß, dass Sie wissen, womit ich mir meinen Lebensunterhalt verdiene.«

Hoffa wischte sich Krumen vom Schoß. »Jack K. vögelt Marilyn Monroe und ist gerade dabei, sie an seinen kleinen Bruder weiterzureichen. Was ich aus sicherer Quelle weiß, auch wenn ich sie nicht nennen kann. Ich will, dass du mir eine Belastungs-Akte über Monroe, Jack, Bobby und jede weitere Schnalle zusammenstellst, bei der diese Schlappschwänze ihn reinstecken, samt sämtlichen Schlafzimmernummern über Miss Marilyn Monroe selbst, die in Hollywood-Kreisen nicht zu Unrecht als Große Hure von Babylon bekannt ist.«

Tilt. Royal Flush. Goldesel. Ein Three-Cherry-Jackpot.

»Das erfordert ständige Abhörmaßnahmen und Aufnahmen. Dauer-Horchposten, Bandkopien und Transkripte, zusammenfassende Berichte, direkte Beobachtung der Monroe und anderer wichtiger Akteure, und das rund um die Uhr, wobei Ihnen selbstverständlich klar ist, dass Sie das eine Stange Geld kosten wird.«

Hoffa knurrte böse. »Du Kameltreiber stellst dir wohl vor, dass du James Riddle Hoffa über den Tisch ziehen kannst.«

Ich beugte mich dicht zu ihm rüber. Der Obermacker wich zurück. Der Punkt ging an mich.

»Da bin mal ich. Dann sind da meine drei Mitarbeiter für die laufende Überwachung. Dann ist da noch Bernie Spindel für die technische Einrichtung. Das wird ein Hunderttausend-Dollar-Auftrag, oder mehr, falls er sich über den Sommer hinaus erstreckt. Sämtliche Saläre und Betriebskosten gehen auf Sie. Und Sie garantieren im Falle eines Falles Kautionen und Anwaltskosten. Sie fordern einen Hochrisiko-Auftrag und haben sich an den Einzigen gewandt, der ihn durchführen kann.«

Hoffa zupfte sich die Manschetten zurecht und kratzte sich die Eier. Hoffa drehte einen Manschettenknopf hin und her und schnippte Fussel vom Anzug.

»Okay. Bei ’nem Libanesen wie dir ist das wohl ein Schnäppchen.«

»Ich schicke Ihnen jede Woche die aktuellen Bänder«, sagte ich, »ebenso wie die zugehörigen Schreibmaschinen-Transkripte. Ich schicke Ihnen wöchentlich per Telex einen zusammenfassenden Bericht. Ich –«

Hoffa fiel mir ins Wort. »Das Monroe-Weibsstück hat gerade ein Haus in Brentwood gekauft. Das du gefälligst 1 A verwanzt. Jack und Bobby treiben’s in Peter Lawfords Haus am Coast Highway. Das du verwanzt. Lawford ist mit irgendeiner Kennedy-Schwester verheiratet, weiß nicht mehr, welcher …«

»Pat«, sagte ich. »Sie heißt ›Pat‹.«

Hoffa strich sich die Krawatte glatt. Hoffa rückte sich den Hosenbund zurecht und polierte seine goldene Armbanduhr.

»Übel, Freddy; ich will’s ausgesprochen übel. Ich erwarte jede Menge Schweinkram, mit Betonung auf Sex.«

Drecksarbeit-Vorbereitungen. Terrain ausspähen. Zugangs- und Abfahrtswege verorten. Mögliche Horchposten-Lokalitäten begehen.

Ich fuhr zum Strand. Das Lawford-Anwesen lag unmittelbar am Meer. Genau an der Grenze zwischen L. A. City und Malibu. Eine große landseitige Klippe überragte alles. Die geteerte Zugangsstraße war von schicken Ferienhäuschen gesäumt. Die über den Pacific Coastal Highway hinweg gute Ausblicks- und Einsichtspunkte boten. Das hieß Sichtkontakt.

Die Zugangsstraße machte mir zu schaffen. Unter mir fuhren andauernd Wagen rauf und runter. Der Dauerkrach vom Highway war ein Problem.

Ich stieg aus und stellte mich auf eine Leitplanke. Ich setzte ein Zoomobjektiv auf meine Rolleiflex und sah mir die Villa näher an. Groß, im spanischen Rancho-Stil. Mit zwei seitlichen Anbauten, die die Linienführung störten und den Gesamteindruck verdarben.

Ein beachtlicher Bau. Den ich auf knapp 700 Quadratmeter schätzte. Zweistöckig. Mit erstklassigem Strandzugang. Ich zoomte mich nahe ran und schoss Aufnahmen von Türen, Fenstern, Dachvorsprüngen. Ich bin ein geübter Spanner und Einbrecher. Jede Abhöraktion beginnt mit einem Einbruch.

Naturstein-Wege zogen sich oben und unten ums Haus. Sie führten zu einem Swimmingpool mit Meerblick und einem Ruheraum. Ich knipste eine nördliche Tür. Pat lief mir direkt vor die Linse.

Im Madras-Hemdblusenkleid und abgewetzten Sattelschuhen. Mit Schildpattbrille und Rolex-Herrenarmbanduhr. Echtzeit-Fotografie in Verbindung mit fotografischem Gedächtnis. Das war nun bald siebzehn Jahre her. Ich war dreiundzwanzig, Pat einundzwanzig. Der Hollywood Boulevard war außer Rand und Band.

Die Japsen hatten das Handtuch geworfen. Fremde fielen sich auf der Straße in die Arme. Ich sah Pat, sie sah mich, unsere Hirnwellen schlossen sich kurz. Unsere Küsse zogen sich in die Länge. Ein Fotograf auf Motivsuche knipste und besiegelte das historische Ereignis. Ich steckte ihm einen Zehner zu und erteilte ihm einen Auftrag. Bitte zwei Abzüge an die LAPD-Polizeiakademie. Wo ich in drei Wochen anfangen werde.

Pat packte mich und küsste mich erneut. Wir verloren telepathisch die Beherrschung. Wir gingen zum Hollywood Plaza und nahmen uns ein Zimmer.

Bei der einen Nacht ist es dann geblieben. Wir hatten diese eine Nacht und nicht mehr. Wir hatten uns Jahr für Jahr Weihnachtskarten geschickt, von ’45 bis heute. Pat heiratete Knallkopf Peter Lawford. Ich wurde der »Höllenhund, vor dem Hollywood kuscht« und eine Zeit lang Faktotum und Drogenlieferant ihres großen Bruders. Besagter »großer Bruder«? Heute der Präsident der Vereinigten Staaten. Und mich hatte man gerade angeheuert, dafür zu sorgen, dass er in der Scheiße landete.

Das Monroe-Haus. 12305 Fifth Helena Drive, Brentwood. Distanz notieren. 6,9 km östlich von Lawfords Strandbude gelegen. Rekognoszieren. Eine West-L. A.-Bleibe, wie’s im Buche steht.

Das Quasi-Dorf Brentwood lag im Osten. Oberklassen-Schick. Tankstelle, zwei Supermärkte, Drugstore. Gemeinde-Bibliothek, Espresso-Bar, Französisches Bistro. Wobei der Fifth Helena Drive und die benachbarten Blocks von wichtigen Durchgangsstraßen eingekesselt wurden.

Im Osten vom Bundy Drive. Im Süden vom San Vicente Boulevard. Im Norden vom Sunset Boulevard. Im Westen erstreckte sich ein breiter Grüngürtel. Die Helena Drives 2 bis 5 führten einen langen Block entlang und endeten in einer Sackgasse. Eine wohlhabende Wohngegend.

Was Überwachungsmaßnahmen aus einem geparkten Wagen heraus unmöglich machte. Das hieß, dass ich mir fünf Transporter besorgen und mit entsprechenden Firmenaufschriften versehen musste. PC Bell, Happytime Liquor, Luanne’s Dial-A-Florist. Außerdem zwei verbeulte Gärtnerkarren.

Das Haus selbst:

Weiß getüncht im spanischen Stil. Einstöckig. Für Brentwood bescheiden. Großer Vorgarten, kleiner Hintergarten. Ringsum von verputzten Gartenmauern umgeben. Vorne und hinten hohe Hecken. Mit einer Eichentür verschlossen und mit gefliesten Eingangsstufen.

Ich parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite und knipste. Man beachte die vorderen Kellerfenster. Alle zur Belüftung geöffnet. Späh mich aus, brich bei mir ein – die Bleibe schien danach zu schreien.

Ich hatte die Rückseite des Hauses bereits im Kasten. Ich dokumentierte die vergitterte Küchentür mit ihrem schwachen Hakenverschluss. Ich dokumentierte das nicht vergitterte Fenster des Dienstboteneingangs. Monroe hatte eine Teilzeit-Haushälterin. Ich hatte einen Herald-Artikel über ihr neues Haus und ihre Haushaltsführung gelesen. Die Haushälterin schlief meistens außer Haus. Späh mich aus, brich bei mir ein, verkabele mich für Tonaufnahmen.

Nat Denkins kannte jemanden beim Kfz-Amt von Hollywood. Dem er einen Hunni zusteckte, wofür er die Daten von Monroes Wagen erhielt. Sie fuhr einen 59er Buick Invicta. Phil Irwin knöpfte sich einen Mitarbeiter beim Kfz-Amt von Malibu vor. Die Lawfords besaßen fünf Karren. Pat fuhr ein 58er Bonneville Cabrio.

Herzchen und Pfeile. Freddy liebt Pat, Freddy liebt Lois. In die Palme bei Marilyns Vordertür zu schnitzen.

Ich warf mir zwei Dexedrin ein und rauchte Kette. Ich überwachte das Haus von außen. Da kam sie. Um 16:16 Uhr.

Sie war in einen weißen Bademantel gehüllt. Sie zog ihren Monroe-Flunsch. Hey, das hier ist mein neuer Vordergarten.

Ein Wagen verstellte mir die Sicht. Ein 60er Corvair, kirschrot-schwarz. Aus dem eine große Blondine ausstieg, die sich umschaute. Sechzehn- oder siebzehnjährig. Man beachte den Sticker auf der hinteren Stoßstange: »PALISADES HIGHSCHOOL, HEIMAT DER DOLPHINS«.

Das Mädchen ging über die Straße. Sie drängte sich durch die Hecke und stellte sich auf Zehenspitzen. Sie war hochgewachsen. Und ergatterte einen verdammt guten Einblick.

Marilyn winkte ihr zu. Das Mädchen kreischte auf und winkte zurück.

6

(LOS ANGELES, MITTWOCH, 11. 04. 62, 08:20 UHR)

Belastungsprofil. Tag #2. Die eigentliche Drecksarbeit beginnt.

Mit mir ging’s aufwärts. Von Eddie Fisher zu Jimmy Hoffa. Von Nachtklub-Schwänken zur Sex-Abzocke des mächtigsten Mannes der Welt und seines rachsüchtigen kleinen Bruders. Mit der schönsten Blondine im ganzen Land als Lockweibchen. Hochexplosives Material vor offener Flamme. Something’s got to give – da knallt’s, biegt’s oder bricht’s.

So hieß Monroes neuer Film. Der gegenwärtig bei Fox gedreht wurde. Lohnschreiber Morry Zolotow brachte mich auf den neuesten Stand. Die Monroe befand sich im Dauer-Pillenrausch. Die Monroe kam ständig zu spät. Die Monroe litt an immer neuen geheimnisvollen Krankheiten. Der Drehplan hinkte hinterher. Oberfilm-Mogul D. F. Zanuck war sauer, Regisseur George Cukor am Ausrasten.

Ich arbeitete in meinem Wohnzimmer-Büro. Nat Denkins hatte beim County-Grundstücksamt die Baupläne organisiert. Ich hatte die Grundrisse der Lawford- und Monroe-Liegenschaften studiert und mir mögliche Mikro-Installationen ausgedacht. Robbie Molette war bei PC Bell zugange. Er sah Telefonwartungs-Akten durch. Das war entscheidend. Denn Bell listete sämtliche Zweitanschlüsse und hielt deren genauen Anschlussort fest.