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»Ellroy ist der wichtigste zeitgenössische Krimiautor.« Der Spiegel Los Angeles 1958: Dave Klein, Lieutenant des LAPD, ist Cop und Gangster, Ermittler und Killer zugleich. In dem Sumpf aus Gewalt, Korruption und Drogen versteht er es meister-haft, seinen Kopf über Wasser zu halten. Bis das FBI im mafiösen Milieu der Berufsboxer ermittelt und er zwischen die Fronten gerät. Band 4 des berühmten L.A.-Quartetts. Lesen Sie auch Die Rothaarige. Die Suche nach dem Mörder meiner Mutter - James Ellroys wichtigsten autobiographischen Text; ein Klassiker der Kriminalliteratur.
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Das Buch
Der Lieutenant des Los Angeles Police Department, Dave Klein, ist Cop und Gangster, Ermittler und Killer zugleich. In dem Sumpf aus Gewalt Korruption und Drogen versteht er es meisterhaft, seinen Kopf stets über Wasser zu halten. Bis er den Auftrag des mächtigen Filmproduzenten Howard Hughes annimmt. Er soll dem Mogul eine Schauspielerin zurückbringen, die sich geweigert hat, nach seiner Pfeife zu tanzen. Aber Dave verliebt sich hoffnungslos in das clevere Blondchen…
White Jazz ist ein echter Ellroy. Mit scharfen Strichen zeichnet der Autor das Los Angeles von 1958 als Stadt der gefallenen Engel, als Ort von Gewalt und Grausamkeit. »Ellroys Romane beginnen da, wo die Recherchen der Polizei nicht mehr weiterführen, und wenn sie enden, sind die Morde zwar geklärt, aber nichts wird dadurch besser.« (Der Spiegel)
Der Autor
James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, etliche seiner Bücher wurden verfilmt, darunter L. A. Confidential und Die Schwarze Dahlie (Black Dahlia)
Von James Ellroy sind in unserem Hause bereits erschienen:
Die Underworld-Trilogie:
Ein amerikanischer Thriller
Ein amerikanischer Albtraum
Blut will fließen
Die L.A.-Serie:
Die Schwarze Dahlie
Blutschatten
L. A. Confidential
White Jazz
Außerdem:
Crime Wave
Der Hilliker-Fluch
Perfidia
James Ellroy
White Jazz
Kriminalroman
Aus dem Englischenvon David Eisermann
Ullstein
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ISBN 978-3-8437-1025-1
Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch
2. Auflage 2001
© 1992 für die deutsche Ausgabe by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
© 1992 by James Ellroy
Titel der amerikanischen Originalausgabe: White Jazz
(Alfred A. Knopf, New York
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: Getty Images / © Michael O'Neill
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Im Grunde besitze ich nur meinen Geburtsort und bin besessen von seiner Sprache.
Ross MacDonald
Für Helen Knode
Ich habe nichts als den Willen, mich zu erinnern. Fieberträume, die Zeit läßt sich rückgängig machen – ich bin ganz nah dran und wache mit der Angst auf, wieder alles zu vergessen. Auf Fotos bleibt die Frau jung.
L. A. Herbst 1958.
Zeitungsartikel: eine Kombination finden zwischen Namen und Ereignissen, dermaßen brutal, daß sie nach einer Verbindung schreien. Es ist Jahre her – die Geschichte bleibt lückenhaft. Die Leute sind tot – oder zu mächtig, um sie beim Namen zu nennen.
Ich bin alt, habe Angst zu vergessen:
Ich habe Unschuldige umgebracht.
Ich habe heilige Eide gebrochen.
Ich habe mit dem Grauen Geld verdient.
Fieber – die Zeit brennt. Ich will der Musik nachgehen – mich drehen, damit fallen.
L. A., Herald-Express, 17.Oktober 1958:
Ermittlungen im Boxmilieu kommen voran; Federal Grand Jury vernimmt Zeugen
Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Los Angeles kündigte gestern an, Beamte des Bundeskriminalamtes FBI ermittelten im »Mafia-unterwanderten« Milieu der Berufsboxer in Südkalifornien, um ausreichende Beweise für eine Schwurgerichtsverhandlung zu sichern.
Bundesanwalt Welles Noonan, zuvor beim McClellan-Ausschuß zur Untersuchung von illegalem Glücksspiel, teilte mit, daß FBI-Ermittler im Auftrag des Bundesjustizministers aufgrund von Informationen nicht näher genannter Quellen in Kürze die schillernde »Mafia-Randfigur« Mickey Cohen vernehmen werden. Cohen, vor dreizehn Monaten aus der Haft entlassen, soll Gerüchten zufolge die Verträge einer Reihe hiesiger Berufsboxer manipuliert haben. Gegenwärtig unter Polizeischutz verhört werden der Bantamgewichtler Reuben Ruiz, Lokalfavorit bei den Boxkämpfen in der Sporthalle »Olympic«, und Ex-Fliegengewichtler Sanderline Johnson, der in Gardenia als Croupier in einem Spielclub arbeitet. Eine Pressemitteilung des Justizministeriums nannte Ruiz und Johnson »Zeugen der Anklage«.
In einer persönlichen Bemerkung zu Herald-Reporter John Eisler sagte Bundesanwalt Noonan: »Unsere Ermittlungen stecken noch in den Kinderschuhen, aber wir haben Grund zu der Hoffnung, daß sie am Ende erfolgreich sein werden. Hier geht es nicht bloß um irgendeinen Fall von Schiebung, sondern um eine durchorganisierte Struktur, ein Racket, dessen krebsgleiche Tentakeln bis in andere Zweige des organisierten Verbrechens reichen, und falls wir genug gerichtsverwertbares Material finden, erscheint eine allgemeine Untersuchung von Mafia-Aktivitäten in Südkalifornien durchaus möglich. Der Zeuge Johnson hat unseren Ermittlern versichert, daß Schiebung bei Boxkämpfen nicht die einzige belastende Information ist, von der er Kenntnis hat, doch fangen wir am besten damit an. Bisher gilt unser Augenmerk jedenfalls erst nur dem Boxsport.«
Sprungbrett für eine politische Karriere?
Die Meldung über die Boxsport-Ermittlungen ist mit Skepsis aufgenommen worden. »Das glaube ich erst, wenn die Geschworenen echte Schuldsprüche verteilen«, sagte der ehemalige FBI-Agent William F. Degnan, der heute in Santa Monica im Ruhestand lebt. »Mit zwei Zeugen läßt sich noch nicht erfolgreich ermitteln. Außerdem bin ich bei Presseverlautbarungen grundsätzlich argwöhnisch: Das riecht nach Eigenwerbung.«
Ähnlich wie Degnan denkt man auch bei der Staatsanwaltschaft von Los Angeles. Ein Staatsanwalt, der es vorzog, anonym zu bleiben, meinte zu der Untersuchung: »Das ist doch reine Politik. Noonan ist befreundet mit (dem Senator für Massachusetts und Präsidentschaftsanwärter) John Kennedy, und ich habe gehört, daß er 1960 selbst für den Posten des Generalstaatsanwalts von Kalifornien kandidieren will. Die laufende Untersuchung soll nur seinen Wahlkampf unterstützen, weil Bob Gallaudet (der die Geschäfte des Staatsanwalt von Los Angeles gegenwärtig kommissarisch wahrnimmt, aber in zehn Tagen den Posten auf Dauer übernehmen dürfte) mit ziemlicher Sicherheit von den Republikanern nominiert wird. Sehen Sie, diese ganze Untersuchung durch Bundesbeamte soll lediglich zeigen, daß die hiesigen Behörden mit den Verbrechen vor der eigenen Haustür nicht fertig werden. Noonans Pläne für einen Prozeß sind einfach ein politisches Sprungbrett.«
Bundesanwalt Noonan, 40, lehnte es ab, diese Spekulationen zu kommentieren, aber ein unerwarteter Verbündeter verteidigte ihn mit gehörigem Elan. Morton Diskant, Bürgerrechtsanwalt und demokratischer Stadtratskandidat für den Fifth District, sagte unserer Zeitung: »Ich traue dem Los Angeles Police Department nicht zu, die Ordnung aufrechtzuerhalten, ohne die Rechte der Bürger zu verletzen. Der örtlichen Staatsanwaltschaft mißtraue ich aus dem gleichen Grund, Robert Gallaudet genießt mein besonderes Mißtrauen, gerade wegen seiner Unterstützung für (Fifth District Republikaner-Stadtrat) Thomas Bethune, meinen politischen Gegner im Amt. Gallaudets Position in der Chavez-Ravine-Angelegenheit ist verantwortungslos. Er will verarmte Lateinamerikaner aus ihren Wohnungen vertreiben, um Platz für ein Baseballstadion der L. A. Dodgers zu schaffen. Das ist meiner Meinung nach verbrecherischer Leichtsinn. Welles Noonan hat demgegenüber gezeigt, daß er ein entschlossener Verbrechensbekämpfer und gleichzeitig ein Freund der Bürgerrechte ist. Boxen ist ein schmutziges Geschäft, bei dem Sportler um den Verstand geprügelt werden. Mein Beifall gilt Mr.Noonan für seinen Mut, diesen Kampf aufzunehmen.«
Zeugen unter Polizeischutz
Bundesanwalt Noonan hat auf die Äußerungen von Morton Diskant reagiert: »Ich schätze seine Unterstützung, aber ich will parteipolitische Meinungsäußerungen aus der Sache heraushalten. Es geht hier um den Boxsport und wie wir am besten seine Verbindungen zum organisierten Verbrechen kappen. Wir haben nicht vor, als Bundesbehörde in die Befugnisse des Los Angeles Police Department einzugreifen oder den Kollegen des LAPD auf andere Weise ins Handwerk zu pfuschen.«
Unterdessen dauern die Ermittlungen an. Die Zeugen Ruiz und Johnson befinden sich in einem Hotel im Stadtzentrum im Schutzgewahrsam durch FBI-Agenten und zwei vom LAPD überstellte Beamte: Lieutenant David Klein und Sergeant George Stemmons Junior.
Kolumne »Hollywood Cavalcade«, Hush-Hush-Magazin, Ausgabe vom 28.Oktober 1958:
Mickey, auf Bewährung draußen, geht eigene Wege – und dabei parterre
Hört euch das an, Fans: Meyer Harris Cohen, der fabelhafte, gute alte böse Mickster ist seit September ’57 auf Bewährung draußen. Drei bis fünf Jahre sollte er wegen Steuerflucht absitzen. Seine Verbindungen zum gemeinen Volk sind mittlerweile dahin, und so fabriziert diese Exstütze der Mafia nur heftige Schleuderspuren in der Stadt der Gefallenen Engel, die er mal mit blanker Bestechung, brutaler Bonhomie und blauen Bohnen beherrschte. Riecht ihr den verbrannten Gummi? Dann hört genau hin: ganz im Vertrauen, ganz heimlich, ganz Hush-Hush.
April 1958: Lana Turners Tochter sticht Cohens ehemaligen Henker Johnny Stompanato ab, dabei ist die kleine Katze erst vierzehn und sollte Ballkleider fürs Schulfest anprobieren, statt vor Muttis Schlafzimmer mit dem Messer zu warten. Schade, Mickster: Johnny war zirka ’49 bis ’51 dein bester Schläger, vielleicht hätte er dir ja helfen können, nach deiner Haft wieder ins Geschäft zu kommen, Aber nicht doch: Du hättest wirklich nicht Lanas sünd-sationelle Liebesbriefe an Johnny verkaufen sollen – wie wir hörten, hattest du Stompos Liebesnest in Benedict Canyon schon durchwühlt, als der Kühlwagen mit Johnny noch ’nen Parkplatz vor dem Leichenschauhaus suchte.
Weiter geht’s mit kille-kitzelnden Enthüllungen über unsern allerliebsten Mickster:
Unter dem wachsamen Blick seines Bewährungshelfers hat Mickey seitdem Versuche unternommen, sich aufzurappeln und wieder in die Gänge zu kommen. Er kaufte sich eine Eisdiele, die bald schon zum kriminellen Treffpunkt wurde, bis sie pleite ging, weil Scharen von Eltern ihren Kindern verboten, weiter hinzugehen. Er steckte Geld in ein eigenes Nachtklubprogramm, Kabarett für Schlaflose im Club Largo. Es durfte geschnarcht werden: müde Witze darüber, wie Eisenhower Golf spielt und was Lana T. und Johnny S. mit »Oscar« anstellen, Stompos preisverdächtig großem Anhängsel. Und – schiere Verzweiflung – der Mickster lobte den Herrn, als Billy Graham im Stadion »Coliseum« mit seiner Jesus-Tournee haltmachte!!! Mickey hatte die Chuzpe, als Werbegag sein Judentum an den Nagel zu hängen!!! Schäme dich, Mickster, schäme dich!!!
Jetzt wird alles nur noch schlimmer.
Sache ist:
Ermittler des FBI werden sich auch Mickey in Kürze vorknöpfen, weil er an den Profiverträgen zweier hiesiger Box-Luschen gedreht haben soll.
Sache ist ferner:
Vier von Mickeys Schlägern – Carmine Ramandelli, Nathan Palevsky, Morris Jahelka und Antoine »der Fisch« Guerif – sind auf rätselhafte Weise verschwunden und vermutlich von einem oder mehreren unbekannten Tätern kaltgemacht worden, und (sehr merkwürdig, liebe Freunde der Volksmusik) Mickey hält sein Mundwerk (das sonst kaum stillsteht) in diesem Punkt absolut und fest geschlossen.
Gerüchte sickern aus der Unterwelt: Zwei überlebende Cohen-Mordschützen (Chick Vecchio mit Bruder Salvatore »Touch« Vecchio, als Schauspieler kein Erfolg, dafür aber wenigstens ganz apart parfümiert) planen ruchlose Umtriebe außerhalb von Mickeys Wirkungskreis. Mickster, du bist parterregegangen – wir haben gehört, daß du dein Geld nur noch mit Münzspielgeräten und Automaten auf der Southside machst: Zigaretten, Präservative mit und ohne Noppen, einarmige Banditen, abgestellt in verqualmten Tanzschuppen für Neger. Schäm dich noch mal, Mickey! Ein Jude beutet Schwarze aus! Kleinkram und unter deiner Würde, wo du doch einst in ganz L. A. die Geschäfte auf deine betäubend zupackende Weise im Griff hattest.
Seid ihr im Bild, Fans? Mickey Cohen rollt nur noch auf den Felgen, und er braucht Zaster, Pinke-Pinke, richtig viele Kröten. Das erklärt auch unsere urkomischste Offenbarung, die hier fetzig und verwegen zum allererstenmal zu Gehör gebracht wird.
Unglaublich aber wahr:
Meyer Harris Cohen ist neuerdings im Filmgeschäft!!
Mach Platz, C. B. De Mille: Der fabelhafte, gute alte böse Mickster finanziert stiekum einen billigen Horrorstreifen, der gerade in Griffith Park gedreht wird! Er hat das Geld seiner ausgebeuteten Neger gespart, um sich mit Variety International Pictures für die Produktion von Der Atomvampir greift an! zusammenzutun. Das ist aufregend, das wird billiger, als die Gewerkschaft erlaubt, und eine Pleite von dramatischen Ausmaßen!
Am Rande bemerkt:
Immer auf der Suche, wie er einen Penny sparen kann, hat sich Mickey unseren wohlriechenden Liebesknaben Touch Vecchio für eine Hauptrolle geholt- und unser »Händchen« wärmt sich bereits ganz, ganz heiß am Star des Films: dem süßen Verführer vom anderen Ufer, Rock Rockwell. Homogenisierte Späße hinter der Kamera! Hier habt ihr’s zuerst gehört.
Schlußbemerkung:
Auftritt für Howard Hughes – Mister Flugzeugindustrie persönlich, lustvoll lüstern auf liebliche Hollywood-Frauen. Früher hat ihm die Produktionsfirma RKO gehört, heute produziert er unabhängig und hält sich bekanntlich rundum phantastisch ausgestattete Damen, die unter »persönlichem Vertrag« stehen – sprich kleine Filmrollen gegen häufige nächtliche Besuche. Tatsache: Wir haben läuten gehört, daß Mickeys weibliche Hauptdarstellerin den busenfreundlichen Film- und Flugzeugkenner mit laufendem Propeller stehenließ – sie hat tatsächlich ihren Hughes-Vertrag hingeschmissen und in Scrivners Drive-In Autofahrern das Tablett ans Fenster gebracht, bis Mickey vorfuhr und nach einer Schokomilch lechzte.
Bist du so verschossen, Mickster?
Hat sie dein Herz gebrochen, Howard?
Zeit, in dieser Kolumne die Gangart zu wechseln. »Hollywood Cavalcade« richtet einen offenen Brief an die werte Polizei von Los Angeles:
»Liebes LAPD,
vor kurzem wurden in verlassenen Häusern im Raum Hollywood drei Wermutbrüder erwürgt und verstümmelt aufgefunden. Ganz Hush-Hush: Wir haben gehört, daß der noch nicht gefaßte Mörder ihnen nachträglich noch die Luftröhren zerdotzt hat, mit roher Gewalt. Die Presse hat diesen selten grauenhaften Morden kaum Beachtung geschenkt, nur den sünd-sationell gepolten L. A. Mirror scheint es zu kümmern, daß drei Bürger von Los Angeles ein so endgültig entnervendes Ende gefunden haben. Die Mordkommission ist mit der Sache nicht befaßt worden, bisher kümmern sich erst zwei Polizisten aus Hollywood um den Fall. Fans, der Stammbaum des Opfers entscheidet immer noch über das Tempo der Ermittlungen – hätte unser genickbrechender Psychopath statt dessen drei respektablen Bürgern die Luft abgedreht, würde Kripochef Edmund J. Exley keine Zeit verschwenden und eine volle Untersuchung in Gang setzen. Bekanntlich können zugkräftige Spitznamen dabei helfen, die Öffentlichkeit auf die schmutzigen Geschäfte von Verbrechern aufmerksam zu machen. Damit der Ruf nach Gerechtigkeit erschallt, gibt Hush-Hush dieser anonymen Mordbestie hiermit einen Namen: ›Wermut-Willy-der-Würger‹, und richtet die Bitte ans LAPD, ihn zu finden und einen scharfen Termin in San Quentins grüner Zelle für ihn zu buchen. Da wird mit Gas gekocht, und dieser Killer verdient eine Behandlung auf allen vier Flammen.«
Sobald es Neues vom »Wermut-Willy-dem-Würger« gibt, lest ihr es hier, und nicht vergessen, Fans: Hier habt ihr es zuerst gehört, ganz im Vertrauen, ganz heimlich, ganz Hush-Hush.
I
LEBEN PUR
1
Die Aufgabe: Razzia auf ein illegales Wettbüro, Journalisten dazuholen – die Tintenkleckser sollen den Boxermittlern ein bißchen Feuer machen.
Aus Angst, wir kriegen ihn wegen Unzucht dran, hat so eine Schwuchtel vierzehn Telefonanschlüsse ausgeplaudert, einen Ticker mit Ergebnissen vom Pferderennen. In Exleys Notiz stand: etwas Stärke zeigen, später die Zeugen im Hotel ausquetschen – rauskriegen, was die FBI-Leute vorhaben.
Er selbst: »Wenn die Dinge unschön werden, lassen Sie die Reporter keine Bilder machen, Lieutenant. Sie sind doch Anwalt. Denken Sie dran, wie sauber Bob Gallaudet seine Fälle mag.«
Ich hasse Exley.
Er glaubt, für mein Examen in Jura hätte ich jemanden bestechen müssen.
Ich sagte: »Vier Mann, Schrotflinten, Junior Stemmons als meine rechte Hand.« Exley: »Mit Schlips und Kragen, schließlich kommt das Fernsehen. Und keine Treffer aus Versehen – ihr arbeitet für mich, nicht für Mickey Cohen.«
Eines Tages stopfe ich ihm eine Bestechungsliste in den Hals.
Junior bereitete alles vor: Die Straße im Niggerviertel sauber mit einer Postenkette abgesperrt, Schutzpolizei vor den Hinterausgängen. Reporter, Streifenwagen, wir unter unseren Sakkos mit Druckrepetierern Kaliber .12.
Sergeant George Stemmons Junior übte schnelles Ziehen mit dem Revolver. Tohuwabohu: Ringsum gammelten Neger vor den Häusern, machten große Voodooaugen. Den Blick auf mein Ziel geheftet – Vorhänge vor, die Einfahrt zugeparkt, drinnen Wettbetrieb mit voller Besetzung. Betonmauern, die Tür sicher aus Stahl.
Ich pfiff. Junior kam zu mir, dreht die Waffe um den Finger.
»Steck die nicht weg. Die brauchst du gleich.«
»Aber ich hab doch die abgesägte Schrotflinte im Wagen. Wir kommen durch die Tür und–«
»Da kommen wir nicht durch. Die ist aus Stahl. Sobald wir dagegenhämmern, verbrennen die ihre Unterlagen. Warte … Du gehst doch manchmal jagen – Enten?«
»Klar, Dave, aber–«
»Hast du die passenden Patronen dafür dabei? Einfachen Vogelschrot?«
Junior lächelte. »Das breite Fenster. Das schieß ich raus, der Vorhang fängt den Schrot, und wir rein.«
»Genau das sagst du auch den anderen. Und den Clowns mit der Filmausrüstung sagst du, sie dürfen drehen, mit schönen Grüßen von Chief Exley.«
Junior lief zurück, warf die Patronen raus, lud neu. Kameras soweit, Pfiffe, Applaus: schwarze Penner, billiger Wein.
Hände hoch, abzählen–
Acht: Junior verkündet die Botschaft.
Sechs: Die Männer schwärmen aus.
Drei: Junior hält auf das Fenster.
Eins: »Los!«
Die Scheibe platzt KA-WUMM laut laut laut, der Rückstoß haut Junior um. Unsere Bullen zu baff, um zu schreien: »VOLLTREFFER!«
Fenstervorhänge in Fetzen.
Schreie.
Ranlaufen, aufs Fensterbrett. Nichts als Chaos: Überall Blut, Papiergeld- und Wettscheinkonfetti. Telefontische umgeworfen, eine panische Flucht. An der Hintertür schlugen sich die Buchmacher mit Fäusten.
Ein Nigger spuckte Glas.
Einem kleinen Mexikaner fehlten ein paar Finger.
»Polizei! Halt oder wir schießen!« – falsch, Junior.
Ich schnappte ihn mir und brüllte: »Hier drinnen sind Schüsse gefallen, eine Auseinandersetzung unter beschissenen Kriminellen. Wir sind nur durchs Fenster rein, weil wir dachten, wir kriegen die Tür nicht auf. Sprich nett mit den Journalisten und sag ihnen, sie hätten bei mir was gut. Hol unsere Leute zusammen und sorg verdammte Hacke dafür, daß sie kapieren, wo’s langgeht. Hast du das verstanden?«
Junior riß sich los. Fußgetrampel – Zivilbeamte stürmten das Fenster. Tarnungslärm, ich zog meine Zweitwaffe. Zwei Kugeln in die Decke, die Waffe abgewischt. Beweise. Und weggeworfen. Verdächtige flach auf dem Boden, Handschellen.
Stöhnen, Patronenhülsen, der Gestank von Blut.
Ich »stieß« auf die Waffe. Reporter kamen reingelaufen; Junior hielt sie hin. Raus auf die Veranda, frische Luft.
»Du schuldest mir elfhundert, Herr Rechtsanwalt.«
Die Stimme anpeilen: Jack Woods. Vielseitig – Buchmacher/Schläger/bezahlter Killer.
Ich kam ein paar Schritte näher. »Hast du unsere Show mitgekriegt?«
»Ich bin hier gerade vorbeigekommen. Hör mal, diesen Knaben Stemmons mußt du aber wirklich an die Leine legen.«
»Sein Papi ist Inspector. Ich soll auf ihn aufpassen, also kann ich als Lieutenant den Captain markieren. Hast du hier eine Wette laufen?«
»Stimmt.«
»Gefällt es dir im Niggerviertel?«
»Bin selbst im Wettgeschäft, also hab ich überall meine eigenen Wetten gesetzt, um gute Laune zu machen. Dave, ich krieg elfhundert von dir.«
»Woher weißt du, daß du gewonnen hast?«
»Das Pferderennen war abgekartet.«
Die einheimischen Journalisten hatten gequatscht.
»Ich zweig es von dem Geld ab, das wir als Beweismittel sicherstellen.«
»C’est la guerre. Wie geht’s übrigens deiner Schwester?«
»Meg geht’s gut.«
»Sag ihr hallo von mir.«
Polizeisirenen. Schwarzweiße Streifenwagen.
»Jack, hau jetzt ab.«
»Gut, dich gesehen zu haben.«
Auf dem Revier Newton Street buchteten wir die Saukerle ein.
Als ich ihre Personalien überprüfte, bestanden Haftbefehle gegen neun von ihnen. Eines der Herzchen hieß »Missing Fingers«: Vergewaltigung, versuchter Totschlag, Betrug, und lag da leichenblaß, vielleicht im Sterben – ein Sanitäter hatte ihm Kaffee und Aspirin verpaßt.
Ich lieferte die von mir plazierte Kanone ein, Wettscheine, Geld, minus der elfhundert für Jack Woods. Junior und der Pressereferent der Polizei konnten sich auf was gefaßt machen.
Ich vergeudete zwei Stunden mit reiner Drecksarbeit.
Um sechzehn Uhr dreißig war ich zurück im Büro und sah die Telefonnotizen durch: Meg hatte hinterlassen, ich solle sie besuchen, Welles Noonan ließ bestellen, ich sei ab achtzehn Uhr zur Bewachung der Zeugen eingeteilt, und Exley: »Ich will einen detaillierten Bericht.«
Das hieß noch mehr Drecksarbeit an der Schreibmaschine:
»4701 Naomi Avenue, vierzehn Uhr. Kurz vor Beginn einer Razzia auf ein illegales Wettbüro hörten Sergeant George Stemmons Junior und ich, wie innerhalb des Gebäudes Schüsse abgegeben wurden. Um eine Panik zu vermeiden, teilten wir dies den anderen Beamten nicht mit. Auf meinen Befehl wurde mit Schrotmunition auf das Vorderfenster geschossen. Sergeant Stemmons beruhigte die übrigen Beamten, Schrot sei Teil unserer Angriffsstrategie. Ein Revolver Kaliber .38 wurde gefunden. Wir nahmen sechs Buchmacher fest. Die Personalien der Tatverdächtigen wurden im Revier Newton Station erfaßt. Die Verwundeten erhielten ausreichende Erste Hilfe und Krankenhausbehandlung. Nachprüfungen ergaben, daß gegen die sechs Buchmacher bereits zahlreiche Haftbefehle vorlagen. Sie werden im Gefängnis der Hall of Justice in Untersuchungshaft genommen. Nach den Paragraphen 614.5 und 859.3 für besonders schwere Fälle des Strafgesetzbuchs von Kalifornien wird Anklage gegen sie erhoben. Alle sechs Männer werden zu den Schüssen und zur illegalen Vermittlung von Pferdewetten befragt werden. Die Verhöre werde ich selbst durchführen – als Einsatzleiter muß ich persönlich die Richtigkeit aller vorgetragenen Behauptungen garantieren. Die Presse wird nur in geringem Umfang über die Vorfälle berichten: Die Reporter am Einsatzort waren auf schnellen Ablauf der Ereignisse nicht vorbereitet.«
Die Unterschrift: »Lieutenant David D. Klein, Dienstnummer 1091, Commander, Sittendezernat.«
Durchschläge gingen an Junior und Kripochef Exley.
Das Telefon–
»Sitte, Klein.«
»Davey? Hast du mal eine Minute für einen alten Gaunerkumpel?«
»Mickey, Herrgott noch mal.«
»Jaja, ich weiß, ich soll dich nur zu Hause anrufen. Aber – Davey? Kannst du Sam G. einen Gefallen tun?«
G. stand für Giancana. »Ich denke schon. Was denn?«
»Du paßt doch auf diesen Croupier auf, nicht wahr?«
»Ja.«
»Na – also die Heizung in seinem Schlafzimmer sitzt locker. Der hält es da einfach nicht mehr aus.«
2
Reuben Ruiz schaukelte mit seinem Stuhl hin und her: »Das ist ja so scharf hier. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen.«
Die Suite im Hotel Embassy, neunter Stock: mit Wohnraum, Schlafzimmer, Fernseher. Der Zimmerservice brachte das Essen und den Schnaps.
Ruiz rülpste seinen Scotch noch mal hoch, ein ruheloser Prolet. Sanderline Johnson stand beim Fernsehen der Mund offen. Zeichentrickfilme.
Junior übte schnelles Ziehen mit dem Revolver.
Ich versuchte es mit einer Unterhaltung. »Na, Reuben.«
Reuben markierte ein paar Gerade. »Na, Lieutenant.«
»Sag mal Reuben, hat Mickey C. versucht, an deinem Profivertrag zu drehen?«
»Er hat, wie man sagt, den Wunsch geäußert, daß mein Manager ihn dran beteiligt. Hat die Brüder Vecchio geschickt, um mit ihm zu reden, aber dann hat er Schiß gekriegt, weil Luis zu ihnen gesagt hat: ›Los, bringt mich um, denn ich werd auf keinen Fall was unterschreiben.‹ Wollen Sie wissen, was ich davon halte? Mickey hat keine Eier. Er traut sich nicht mehr, Leute zu erpressen.«
»Aber du hast sie, die cojones. Du singst.«
Er setzte wieder ein paar kurze Gerade in die Luft vor sich. »Mein Bruder steht wegen Fahnenflucht vor Gericht. Möglicherweise kommt er in ein Bundesgefängnis. Ich selbst habe drei Kämpfe im Olympic vor mir, die mir Welles Noonan mit Vorladungen versauen kann. Meine Leute kommen leicht in Schwierigkeiten, die ganze Familie, alles Diebe. Da gefällt mir einfach die Idee, auf der Seite der sogenannten Strafverfolgung ein paar Freunde zu haben.«
»Meinst du, Noonan hat gegen Mickey gut was in der Hand?«
»Nein, Lieutenant, das glaube ich nicht.«
»Kannst mich Dave nennen.«
»Ich werd Sie ›Lieutenant‹ nennen, weil ich bei den Leuten von der Strafverfolgung schon genug Freunde habe.«
»Wen denn?«
»Zum Beispiel Noonan und seinen Kumpel vom FBI, Shipstad. Ach ja – kennen Sie Schoolboy Johnny Duhamel?«
»Na klar. Der hat die Handschuhe auch angehabt, ist Profi geworden und hat dann gleich wieder aufgehört.«
»Wer seinen ersten Profikampf verliert, tut besser dran, gleich wieder aufzuhören. Das hab ich ihm auch gesagt, denn Johnny und ich sind alte Freunde, und Johnny ist heute Officer Schoolboy Johnny Duhamel, beim verfluchten LAPD, bei der richtigen Anti-Mafia-Truppe, nichts weniger. Er ist dicke mit dem – wie nennt ihr den? – legendären Captain Dudley Smith. Also ich habe genug verfluchte–«
»Ruiz, paß auf, was du sagst.«
Junior hatte die Schnauze voll. Johnson drehte den Fernseher auf, Mickymaus brüllte.
Junior kappte den Ton. »Ich habe Johnny Duhamel kennengelernt, als ich an der Polizeiakademie unterrichtet habe. Beweismittel, da war er ein verflucht guter Student. Mir gefällt es nicht, wenn sich Kriminelle an Polizisten ranmachen. ¿Comprende, pendejo?«
»Pendejo, ja? Jetzt bin ich der stupido, und du bescheuerter Cowboy spielst hier mit deiner Kanone wie die schwule Maus im Scheißfernsehen.«
Ich zupfte an meiner Krawatte, gab Junior das Signal: SCHLUSS DAMIT
Sofort hörte er auf mit dem Revolverdrehen und schwieg.
Ruiz: »Stimmt. Ich kann sicher noch einen Freund gebrauchen, Dave. Willst du was Bestimmtes wissen?«
Ich drehte den Fernseher wieder voll auf. Johnson war hingerissen – Daisy Duck törnte Donald an. Ruiz: »Also, Dave. Hast du dich hier reinschleusen lassen, um mich auszuhorchen?«
Ich setzte mich zu ihm, halbprivat. »Wenn du tatsächlich noch ’nen Freund gebrauchen kannst, mußt du schon was bieten. Was hat Noonan in der Hand?«
»Ehrgeiz.«
»Das weiß ich. Biet mir was an.«
»Na, ich hab halt Shipstad und diesen anderen Kerl vom FBI reden gehört. Die haben gesagt, Noonan hätte Sorgen, daß die Boxermittlungen nicht weit genug gehen. Jedenfalls hätte er einen Ersatzplan.«
»Ach ja?«
»Und zwar so eine Art allgemeine Sache gegen unerlaubtes Glücksspiel und organisiertes Verbrechen, hauptsächlich auf der Southside. Dope, Spielautomaten, weißt du. Illegale Münzautomaten und diese ganze Scheiße. Ich hab mitgekriegt, wie Shipstad was gesagt hat. Das LAPD stellt in farbigen Mordfällen keine Nachforschungen bei den Negern an, und das hängt alles damit zusammen, daß Noonan, daß der neue Staatsanwalt – wie heißt der noch?«
»Bob Gallaudet.«
»Genau. Bob Gallaudet. Jedenfalls soll der dabei schlecht aussehen, damit Noonan ihn schlagen kann bei der Wahl zum Generalstaatsanwalt.«
Das Niggerviertel und die Münzautomaten waren das Letzte, was Mickey C. noch laufen hatte.
»Was ist mit Johnson?«
Ruiz kicherte böse. »Guck dir den mexikanischen Mulatten doch an. Glaubst du, daß der mal dreiundvierzig, null und zwei stand?«
»Reuben, biete mir was.«
»Okay, du willst was geboten kriegen. Also, der Arsch ist so gut wie schwachsinnig, aber er hat ein sagenhaftes Gedächtnis. Er kann sich Spielkarten merken, ganze Blätter, deshalb haben ihm ein paar Jungs von der Mafia einen Job im Lucky Nugget in Gardenia gegeben. Er kann eine ganze Unterhaltung im Kopf behalten, und ein paar von den Burschen waren, wie man so sagt, nicht so diskret in seiner Nähe. Ich hab gehört, daß er für Noonan aus dem Stand diese Gedächtniskunststücke liefert, was–«
»Ich versteh schon.«
»Gut. Meine eigenen Probleme kriege ich in den Griff. Aber damit ist meine Familie nicht aus dem Schneider. Ich hätte dir das alles gar nicht erzählen dürfen, aber weil du mein Freund bist, kann ich ja wohl sicher sein, daß die Figuren vom FBI nichts davon mitkriegen. Nicht wahr, Dave?«
»Genau. Iß schön zu Abend und ruh dich aus, okay?«
Licht aus um Mitternacht. Ich nahm mir Johnson vor, Junior blieb mit Ruiz im Wohnraum.
Johnson las im Bett ein Heftchen: »Gottes geheime Macht kann dir gehören.« Ich zog mir einen Stuhl ran und achtete auf seine Lippen. »Erkenne die kürzeste Verbindung zu Jesus. Es gibt eine jüdisch-kommunistische Verschwörung, um das christliche Amerika zu durchrassen. Schicken Sie Ihre Spenden an die folgende Postfachadresse. Bla, bla, bla.«
»Sanderline, ich will dich mal was fragen.«
»Äh-ja, Sir.«
»Glaubst du das, was du da liest?«
»Ah – ja, Sir. Hier steht gerade, daß eine Frau, die schon gestorben war, wieder zum Leben erwacht ist und gesagt hat, daß Jesus allen Spitzenspendern im Himmel jedes Jahr ein neues Auto garantiert.«
JESUSKRÜPPEL.
»Sanderline, hast du in deinen letzten paar Kämpfen was gegen den Kopf gekriegt?«
»Nee, nee. Ich hab Bobby Calderon gestoppt, Abbruch ohne Entscheidung, und ich hab eine nicht einstimmige Entscheidung an Ramon Sanchez verloren. Sir, glauben Sie, Mr.Noonan besorgt uns bei der Gerichtsverhandlung ein warmes Mittagessen?«
Ich holte die Handschellen raus. »Leg die an, solange ich pissen bin.«
Johnson stand auf, gähnte und streckte sich. Ich sah nach der Heizung – massive Röhren, kein Ballast.
Das Fenster offen. Draußen ging es neun Stock runter. Dieser Clown von einem Mischling lächelte.
»Sir, was meinen Sie, was für einen Wagen fährt Jesus selbst?«
Ich schlug seinen Kopf gegen die Wand und warf ihn aus dem Fenster. Er schrie.
3
Wie Mordkommission: Selbstmord, Fall erledigt.
Die Staatsanwaltschaft: Selbstmord möglich.
Junior und Ruiz sagten aus: Sanderline Johnson war nicht ganz dicht.
Also: Ich habe gesehen, wie er sein Heft las. Ich bin eingenickt. Als ich aufwachte, erklärte Johnson, er könne fliegen. Er war schon durchs Fenster, bevor ich noch einen Ton sagen konnte.
Ich wurde verhört: das FBI, unsere Leute, die Staatsanwaltschaft. Tatsache war, Johnson schlug auf einem geparkten De Soto auf, war beim Aufprall tot, keine Zeugen. Bob Gallaudet schien es zu gefallen, daß einem politischen Gegner die Chancen vermasselt worden waren. Ed Exley bestellte, ich solle um zehn Uhr zu ihm ins Büro kommen.
Welles Noonan war der Ansicht, einzunicken sei für einen Polizeibeamten ein Beweis der Unfähigkeit, eine Blamage, und für einen Anwalt eine jämmerliche Entschuldigung. Mein alter Spitzname, »der Vollstrecker«, gab Anlaß zum Verdacht.
Die folgenden Punkte kamen gar nicht erst zur Sprache: Paragraph 187Strafgesetzbuch – vorsätzlicher Totschlag, mögliche Ermittlungen durch eine auswärtige Behörde, eine interne Anklage oder Disziplinarstrafe.
Ich fuhr nach Hause, duschte und zog mich um. Reporter hatten sich noch nicht gemeldet. In der Stadt besorgte ich ein neues Kleid für Meg. Das tat ich jedesmal, wenn ich jemanden umgebracht hatte.
Zehn Uhr.
Mit Exley warteten Gallaudet und Walt Van Meter auf mich, der Leiter für politische Ermittlungen. Dazu Kaffee und Kuchen – Scheiß drauf.
Ich setzte mich. Exley: »Lieutenant, Sie kennen Mr.Gallaudet und Captain Van Meter.«
Gallaudet lächelte über das ganze Gesicht. »Wir duzen uns. Dave und ich kennen uns seit dem Studium, und ich mache sicher kein Theater wegen gestern abend. Hast du die Zeitung gesehen, Dave?«
»Nein.«
»Im Mirror stand: ›FBI-Zeuge stürzt in den Tod‹, daneben: Selbstmörder sagt: Halleluja, ich kann fliegen!‹ Ist doch nett, oder?«
»So ein Dreck.«
Exley, kalt: »Der Lieutenant und ich werden das später diskutieren. In mancher Hinsicht hängt das ja wohl mit der vorliegenden Geschichte zusammen. Also fangen wir an.«
Bob trank einen Schluck Kaffee. »Die politischen Intrigen – schieß los, Walt.«
Van Meter hustete. »Also – meine Abteilung hat sich schon damit beschäftigt, und wir haben da einen Mann im Auge, einen linksgewickelten Anwalt, der regelmäßig die Polizei und Mr.Gallaudet durch den Dreck zieht.«
Exley: »Nun mal weiter.«
»Mr.Gallaudet soll nächste Woche in seinem Amt bestätigt werden. Er war früher selbst Polizeibeamter, und wir sprechen dieselbe Sprache. Er wird von der Polizei und einigen Leuten im Stadtrat unterstützt, aber–«
Bob unterbrach ihn. »Morton Diskant. Er liegt Kopf an Kopf im Rennen mit Tom Bethune um den Fifth-District-Stadtratsitz und macht mich schon seit Wochen schlecht. So auf die Tour, daß ich erst fünf Jahre in meinem Job bin und Kapital daraus geschlagen habe, als Ellis Loew als Staatsanwalt zurückgetreten ist. Und jetzt höre ich auch noch, daß er sich bei Welles Noonan einschmust, der 1960 gut und gerne mein Tanzpartner werden könnte. Außerdem ist Bethune sowieso eher unsere Kragenweite. Der Wahlausgang sieht knapp aus. Diskant stellt Bethune und mich als rechte Arschlöcher hin, und im Fifth District gibt es rund fünfundzwanzig Prozent Schwarze, von denen etliche wählen. Da kann man sich’s ja ausrechnen.«
Mir schwante was. »Diskant hetzt die Nigger mit Chavez Ravine auf, so in der Art: ›Gebt mir eure Stimme, damit eure mexikanischen Brüder nicht aus ihren Elendshütten gejagt werden, weil die herrschende Klasse ein Baseballstadion will.‹ Im Stadtrat steht es fünf zu vier dafür, und im November irgendwann stimmen sie endgültig drüber ab. Bethune ist wie Bob eine Interimslösung, und wenn er seine Wahl verliert, ist er bei der Abstimmung nicht mehr im Amt. Kommt Diskant rein, ist es eine Pattsituation. Wir sind alle wohlerzogene Weiße und wissen, daß die Dodgers gut fürs Geschäft sind, also packen wir’s an.«
Exley lächelte. »Ich hab Bob ’53 kennengelernt. Da war er Sergeant und an die Staatsanwaltschaft überstellt. An dem Tag, als er seine Zulassung als Rechtsanwalt bekam, trat er in die Republikanische Partei ein. Jetzt sagen uns die Experten, daß wir ihn nur zwei Jahre als Staatsanwalt hier bei uns behalten. Wenn du ’60 zum Generalstaatsanwalt aufsteigst, bringst du es noch bis zum Gouverneur. Und wirst du da haltmachen?«
Alle lachten. Van Meter: »Als ich Bob kennenlernte, war er Streifenpolizist und ich Sergeant. Heute sage ich zu ihm ›Mr.Gallaudet‹ und er zu mir ›Walt‹.«
»Für dich bin ich immer noch Bob. Damals hast du mich ›mein Junge‹ genannt.«
»Das werde ich auch wieder tun, Robert, falls du aufhörst, dich fürs Glücksspiel bei uns einzusetzen.«
Dummer Einbruch – schließlich würde das Gesetz das kalifornische Landesparlament keinesfalls passieren. In bestimmten Sperrbezirken sollte der Wettbetrieb mit Karten und Automaten zugelassen und dick besteuert werden. Die Bullen haßten die Idee und sagten Gallaudet nach, er unterstütze sie nur wegen der Wähler. »Das überlegt der sich auch noch anders, schließlich ist er Politiker.«
Niemand lachte. Bob hüstelte verlegen. »So wie’s aussieht, ist die Boxgeschichte erledigt. Nach Johnsons Tod haben die keine Tatzeugen mehr, und Noonan hat meinem Eindruck nach Reuben Ruiz sowieso nur als Aushängeschild benutzt. Meinst du nicht auch, Dave?«
»Ja, er kommt gut an, weil er hier eine Lokalgröße ist. Allem Anschein nach hat Mickey C. eine Art halbgaren Versuch gestartet, seinen Vertrag an sich zu bringen, also hat Noonan vermutlich vorgehabt, Mickey als den miesen Mann darzustellen.«
Exley versetzte mir einen Dolchstoß: »Wie wir wissen, sind Sie ein Experte für Mickey Cohen.«
»Wir kennen uns schon lange, Chief.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Ich habe ihm ein paar kostenlose juristische Ratschläge verabreicht.«
»Welcher Art?«
»In der Art wie: Leg dich nicht mit dem LAPD an. Und hüte dich vor Chief Exley, weil er dir nie genau sagen wird, was er will.«
Gallaudet blieb ruhig: »Das muß reichen, Leute. Ich habe diese Unterredung im Auftrag von Bürgermeister Poulson einberufen, und er wartet auf unser Ergebnis. Nur eine Idee noch: Wir behalten Ruiz auf unserer Seite und benutzen ihn als Strohmann, um die Mexikaner in Chavez Ravine zu beruhigen. Wenn die Räumungen Staub aufwirbeln, nehmen wir ihn für die Öffentlichkeitsarbeit. Haben wir nicht eine Art Einbruchsache gegen ihn in der Hand?«
Ich nickte. »Jugendknast. Einbruchdiebstahl. Ich hab mal mitgekriegt, er hat zu einer Bande von Einbrechern gehört, und ich weiß, daß seine Brüder Dinger drehen. Du hast recht, wir sollten ihn einspannen und dafür seine Familie aus dem Ärger raushalten.«
Van Meter: »Das gefällt mir.«
Gallaudet: »Was ist mit Diskant?«
Ich schlug hart zu. »Das ist ’ne rote Socke, der muß mit irgendwelchen Kommunisten zusammenhängen. Die finde ich und quetsche sie aus. Dann bringen wir sie ins Fernsehen, und die lassen ihn hochgehen.«
Bob schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Das ist viel zu vage. Außerdem reicht die Zeit nicht dafür.«
»Mädchen, Jungs, Alkohol – sagt mir bloß, wo sein schwacher Punkt sitzt. Hört mal, ich hab gestern abend Mist gemacht. Laßt mich dafür büßen.«
Die Stille dehnte sich lang, dröhnend. Van Meter seufzte: »Ich habe gehört, er mag junge Mädchen. Wahrscheinlich betrügt er seine Frau, und zwar ganz diskret. Er mag Collegehasen. Jung und mit Idealen.«
Bobs Grinsen ließ nach. »Das kann Dudley Smith arrangieren. Der kennt sich da aus.«
Exley reagierte merkwürdig heftig: »Nein, nicht Dudley. Klein, wer kommt für so was in Frage?«
»Ich kenne jemand aus der Redaktion von Hush-Hush. Für die Fotos kann ich Pete Bondurant kriegen, für die nötige Wanze Fred Turentine. Die Sitte hat letzte Woche erst eine einschlägige Adresse ausgenommen. Da ist genau das Richtige dabei: Das Mädchen sitzt, weil sie die Kaution nicht zahlen kann.«
Alle starrten mich an. Exley lächelte halb: »Dann büßen Sie also, Lieutenant.«
Bob G. blieb diplomatisch. »Wir haben zusammen Jura studiert. Dave hat mich seine Spickzettel lesen lassen. Sei nett, Ed.«
Nach dieser Schlußzeile tanzte er ab, Van Meter im Schlepptau.
Es mußte raus: »Stellt das FBI Ermittlungen an?«
»Das bezweifle ich. Johnson war letztes Jahr neunzig Tage zur Beobachtung in Camarillo, und die Psychiater dort haben Noonan gesagt, er sei ziemlich labil gewesen. Sechs FBI-Leute haben sich nach Zeugen umgesehen und nichts erreicht. Die wären blöd, wenn sie jetzt eine Ermittlung einleiteten. Sie sind sauber, Dave, aber mir gefällt der Geruch nicht.«
»Nach Fahrlässigkeit?«
»Ich meine Ihre langjährigen und sattsam bekannten kriminellen Verbindungen. Lassen Sie mich nett sein und sagen, daß Sie mit Mickey Cohen bekannt sind, der schließlich im Mittelpunkt unserer Ermittlungen steht, die Sie durch Ihre Fahrlässigkeit zum Erliegen gebracht haben. Menschen mit Phantasie könnten schnell auf irgendwelche Verschwörungsgedanken kommen, und Los Angeles ist voll von solchen Menschen. Sie sehen also–«
»Chief, hören Sie–«
»Nein, Sie hören zu. Ich hab Ihnen und Stemmons diesen Auftrag gegeben, weil ich auf Ihre Fähigkeiten vertraut habe, weil ich wissen wollte, wie Sie als Anwalt beurteilen, was das FBI in unserem Zuständigkeitsbereich vorhat. Und raus kommt dabei: ›Halleluja, ich kann fliegen‹, und: ›Kripomann döst, während Zeuge aus dem Fenster springt.‹«
Ich unterdrückte ein Lachen. »Worum geht es also?«
»Sagen Sie’s mir. Finden Sie raus, was das FBI in Planung hat.«
»Wohl nicht viel, nachdem Johnson tot ist. Ruiz hat mir erzählt, daß Noonan die vage Idee hatte, sich mit ein paar Rakkets auf der Southside zu befassen – Drogen, Spiel- und Kaufautomaten im Niggerviertel. Falls da was in Gang kommt, könnte das LAPD dabei schlecht aussehen. Aber gesetzt den Fall, Noonan schiebt da tatsächlich was an, muß er es immer noch vorher ankündigen – er steht auf Schlagzeilen. Das gibt uns Zeit.«
Exley lächelte. »Die Automaten auf der Southside gehören Mickey Cohen. Geben Sie ihm einen Tip, daß er die Dinger abbaut?«
»Nicht im Traum. Aber was anderes: Haben Sie meinen Bericht über das illegale Wettbüro gelesen?«
»Ja. Von der Ballerei mal abgesehen, war das in Ordnung … Was liegt an? Sie sehen aus, als ob Sie etwas von mir wollen.«
Ich goß Kaffee nach. »Tun Sie mir was Gutes im Austausch für die Sache mit Diskant.«
»Sie sind nicht in der Position, mich um Gefallen zu bitten.«
»Nach Diskant werde ich es sein.«
»Dann los.«
Ich würgte den Kaffee runter. »Bei der Sitte stinkt’s vor Langeweile. Und ganz zufällig bin ich durchs Raubdezernat gekommen und hab da am Schwarzen Brett einen Fall gesehen, der mir gefiel.«
»Der Überfall aufs Elektrogeschäft?«
»Nein, der Bruch im Pelzlager Hurwitz. Pelze im Wert von einer Million geklaut, keine Hinweise, und Junior Stemmons hat Sol Hurwitz erst letztes Jahr bei ’ner illegalen Würfelei hochgehen lassen. Er ist ein Spieler, eine ziemlich verkommene Type. Ich wette, da geht’s um Versicherungsbetrug.«
»Nein. Der Fall gehört Dudley Smith, und der hat einen eventuellen Versicherungsbetrug schon ausgeschlossen. Außerdem sind Sie ein leitender Beamter und kein Mann für Einzelfälle.«
»Dann machen Sie eine Ausnahme. Ich buchte den Roten ein, und Sie tun mir dafür was Gutes.«
»Nein, das ist Dudleys Job. Der Fall ist ihm längst zugeteilt. Außerdem möchte ich Sie nicht mit gut Verkäuflichem wie Pelzen in Versuchung führen.«
Ich wehrte ab: »Zwischen Dudley und Ihnen herrscht keine Liebe – Sie gönnen sich nichts. Er wollte doch der Chief hier werden, und dann haben Sie das Rennen gemacht.«
»Leute Ihres Rangs langweilen sich ständig und wollen wieder ganz vorne ran. Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie’s gerade auf diesen Fall abgesehen haben?«
»Raub ist eine saubere Sache. Wenn ich nur Raubüberfälle bearbeiten würde, würden Sie sich keine Gedanken wegen meiner Freunde machen.«
Exley stand auf. »Bevor Sie gehen, habe ich noch eine Frage.«
»Sir?«
»Hat Ihnen ein Freund gesagt, Sanderline Johnson aus dem Fenster zu befördern?«
»Nein, Sir. Aber sind Sie nicht froh, daß er gesprungen ist?«
Ich schlief die Sache im Hotel Biltmore aus, um den Reportern zu entgehen, die wahrscheinlich meine Wohnung belagerten. Traumlos. Um achtzehn Uhr brachte der Zimmerservice Frühstück und die Abendausgaben der Zeitungen. Neue Schlagzeilen: »Bundesanwalt verärgert über ›nachlässigen Cop‹«, »Kripomann bedauert Freitod eines Zeugen«. Das war Exley pur – seine Pressekonferenz, sein Bedauern. Auf Seite drei stand mehr von Exley: keine Fortschritte im Fall Hurwitz – eine Bande mit Werkzeug- und Elektronikkenntnissen, ein Wachmann bis oben in Verbandsmull, Dudley Smith beäugt einen Nerz.
Raub war eine schöne Sache: die Leute hochgehen lassen und ihre Beute zu Geld machen.
Ich kümmerte mich um den Kommunisten. Telefonierte.
Fred Turentine, Abhörspezialist, willigte ein – gegen fünfhundert Dollar. Pete Bondurant sagte mir die Fotos zu – tausend Dollar, schließlich habe er den Fotoburschen zu bezahlen. Pete und Hush-Hush – die Sache kam in Gang.
Die Oberaufseherin im Frauengefängnis schuldete mir noch einen Gefallen. Sie informierte mich über La Verne Benson, und wir waren quitt. La Verne – zum drittenmal wegen Prostitution drin. Keine Kaution. Noch kein Verhandlungstermin. Sie hatte eine Einzelzelle. Die harten Lesben im Knast meinten es gut. Als ich La Verne an der Strippe hatte, schlug ich vor, ich könnte ihre Akte verlieren – ja! ja! ja!
Ich wurde kribbelig. Das ganz normale Kribbeln nach einem Mord. Als ich es nicht mehr aushielt, nahm ich den Wagen.
An der Wohnung vorbei – Reporter – keine Zuflucht. Ich fuhr Richtung Mulholland, Tempo 100, 120, 140. Das Heck begann zu schlingern, die Vorderräder gaben nach – ich bremste ab, um nachzudenken.
Ich dachte über Exley nach.
Er war kalt und brillant. 1953 hatte er vier Nigger erschossen und damit den Fall Nite Owl erledigt. Im Frühjahr 1958 dann kam raus, daß er die falschen Männer getötet hatte. Der Fall wurde von Exley und Dudley Smith neu aufgerollt, es war das größte Ding in der Geschichte von L. A.: mehrfacher Mord, Erpressung mit Pornomaterial, Verschwörungen – diesmal löste Exley den Fall ganz. Merkwürdigerweise brachte sich sein Vater um. Inspector Ed erbte das Geld. Thad Green trat als Leiter der Kripo zurück, Chief Parker überging Dudley und ernannte Edmund Jennings Exley, sechsunddreißig Jahre alt.
Beide konnten hassen. Exley und Dudley gönnten sich nichts.
Die Kripo blieb, was sie war – nur Exley kam mit seinem eisigen Stil.
Bis zu Megs Wohnung standen die Ampeln auf Grün. Vor dem Haus bloß ihr eigener Wagen. Ich sah sie durchs Küchenfenster.
Ich beobachtete sie.
Sie spülte – ihren Händen war ein Rhythmus anzumerken, vielleicht lief im Hintergrund Musik. Sie lächelte. Wir hatten fast die gleichen Gesichtszüge. Aber ihr Gesicht war sanft. Ich drückte auf die Hupe–
Ja, sie rückte ihre Brille, ihr Haar zurecht. Ein besorgtes Lächeln.
Ich lief die Stufen hinauf. Die Haustür stand offen. »Ich hatte so ein Gefühl, daß du mir ein Geschenk mitbringst.«
»Wieso?«
»Als das letzte Mal was über dich in der Zeitung stand, hast du mir ein Kleid gekauft.«
»Du bist die Clevere von uns beiden. Also los, mach’s schon auf.«
»War es schlimm? Im Fernsehen lief ein Kurzbericht.«
»Ein dummer kleiner Springinsfeld. Los jetzt, mach schon.«
»David, wir haben was zu bereden.«
Ich schob sie nach drinnen. »Na los doch.«
Sie riß das Papier in Fetzen, gab einen Jauchzer von sich, sprang vor den Spiegel – grüne Seide, paßte genau.
»Kommt’s hin?«
Sie drehte sich im Kreis, daß ihr fast die Brille runterfiel. »Machst du mal den Reißverschluß zu?«
Ich zog ihr das Kleid zurecht und den Reißverschluß hoch. Perfekt. Meg gab mir einen Kuß und sah prüfend in den Spiegel.
»Mein Gott, du und Junior. Er kann auch nicht aufhören, sich für was Besonderes zu halten.«
Als sie so im Kreis wirbelte, blitzte eine Erinnerung auf: Verabredung zum Schulfest. 1935. Der Alte hatte zu mir gesagt, geh du mit Sissy. Die Kerle, die hinter ihr her waren, paßten ihm nicht.
Meg seufzte. »Das Kleid ist wunderschön. Wie alles, was du mir schenkst. Wie geht es Junior denn?«
»Gern geschehen. Junior ist halb so schlau wie du. Eigentlich ist er für die Detectives nicht geeignet. Wenn sein Vater mir nicht den Posten bei der Sitte zugeschanzt hätte, würde ich ihm einen Tritt geben, damit er wieder unterrichtet.«
»Ist er nicht energisch genug?«
»Genau. Und obendrein noch empfindlich wie ein Hot dog. Wo steckt dein Mann?«
»Der sieht sich ein paar Blaupausen für ein Gebäude an, das er entwirft. Wo wir gerade davon sprechen…«
»Scheiße. Unsere Häuser, stimmt’s? Penner? Sind wieder mal welche abgehauen, ohne zu zahlen?«
»Das ist ein Slum, also tu nicht so überrascht. Es geht um Compton. Da sind drei Wohnungen im Rückstand.«
»Was soll ich tun? Schließlich bist du von uns beiden der Makler.«
»Zwei Wohnungen sind einen Monat überfällig, die dritte zwei Monate. Der Antrag auf Räumung braucht neunzig Tage, und das schließt einen Gerichtstermin mit ein. Du bist doch der Anwalt von uns beiden.«
»Ich hasse Gerichtsverfahren.«
Sie streckte sich in einem grünen Sessel aus. In ihrem grünen Kleid. Das Grün im Kontrast zu ihrem Haar, schwarz, einen Ton dunkler noch als meins. »Du bist gut mit Prozessen, aber ich weiß, daß du einfach ein paar Schläger mit falschen Unterlagen hinbeordern wirst.«
»Macht weniger Arbeit. Ich werde Jack Woods schicken oder einen von Mickeys Leuten.«
»Bewaffnet?«
»Aber sicher. Und gemeingefährlich. Jetzt sag mir noch mal, daß dir das Kleid gefällt. Sag’s mir, damit ich nach Hause und mich ausschlafen kann.«
Wir spielten unser altes Spiel: »Erstens ist das Kleid wunderschön, zweitens mag ich meinen großen Bruder, obwohl er das ganze gute Aussehen und den meisten Verstand abgekriegt hat. Drittens, wo wir gerade von den angenehmen Sachen sprechen, habe ich wieder mal mit dem Rauchen aufgehört. Meine Arbeit und mein Leben langweilen mich, und ich stelle mir vor, wie es wäre, Sex querbeet auszuprobieren, bevor ich vierzig bin und rein gar nichts mehr hermache. Und falls du viertens auch nur einen Mann kennst, der kein Bulle oder Verbrecher ist, würde ich dich bitten, mich mit ihm zu verkuppeln.«
Ich war an der Reihe: »Ich sehe einfach aus, wie’s sich für Hollywood gehört. Schlaf nicht mit Jack Woods, weil manche Leute die Angewohnheit haben, auf ihn zu schießen, und es nicht allzulang gehalten hat, als ihr das erste Mal versucht habt zusammenzukommen. Ich kenne zwar ein paar Staatsanwälte, aber mit denen würdest du dich langweilen.«
»Wer bleibt also? Wo ich als Gangsterliebchen schon durchgefallen bin.«
Das Zimmer schwankte – Erinnerungsfetzen. »Keine Ahnung. Komm, bring mich noch zur Tür.«
Meg streichelte über die grüne Seide. »Mir ist was aus unserer Zeit an der Universität eingefallen. Das Logikseminar, weißt du. Ursache und Wirkung.«
»Ach ja?«
»Ich … Na ja. In der Zeitung steht, daß so ein Strolch ums Leben gekommen ist. Und ich krieg was geschenkt,«
Das Zimmer schwankte übel. »Laß schon.
»Trombino und Brancato, dann Jack Dragna. Ich kann damit leben, Schatz.«
»Du liebst mich nicht so, wie ich dich liebe.
4
Vor meiner Tür standen immer noch Reporter. Schlangen ihren Fraß aus der Imbißbude runter.
Ich parkte hintenrum und stemmte ein Fenster auf, um ins Schlafzimmer zu kommen. Ohne Licht, das Fenster ein Stück auf und hörte den Kerlen beim Quasseln zu, um über die Anspielung von Meg wegzukommen.
Stimmt, was sie sagen: Ich bin ein Kraut, ein Deutscher, kein Jude – die Herkunft unseres Vaters verlor sich auf Ellis Island. 1938 kam ich zur Polizei von Los Angeles. 1942 Marineinfanterist im Pazifik. Seit 1945 wieder Polizist. Chief Horrall trat zurück, und William Worton wurde sein Nachfolger, ein blitzsauberer Generalmajor der Marines. Semper fi, auf ewig treu. Er stellte ein illegales Todeskommando aus lauter ehemaligen Marines zusammen. Wir bewiesen Corpsgeist, schlugen Streiks nieder und prügelten freche Exhäftlinge mit Bewährung in den Knast zurück.
Mein Jurastudium war auf eigenes Risiko gelaufen, die zivile Starthilfe für ehemalige Militärangehörige galt nicht für die Studiengebühren an der University of Southern California. Jobs für verschiedene Größen, Geldeintreiber für Jack Woods. »Der Vollstrecker.« Ich arbeitete für Mickey C. und regelte gewerkschaftliche Streitigkeiten auf die brutale Tour. Dann rief mich Hollywood – ich bin groß und sehe gut aus.
Nix. Aber so kam ich an die richtige Arbeit. Kitschpianist Liberace wurde erpreßt, Fotos von ihm und zwei Niggern mit großen Schwänzen – ich schlug die Sache nieder. Ich gehörte zu Hollywood, und ich gehörte zu Mickey C. Ich schaffte den Sprung zu den Detectives ins LAPD und wurde Sergeant. Ich bekam meine Zulassung als Anwalt und wurde Lieutenant.
Das war so richtig.
Richtig war auch, daß ich vergangenen Monat mehr als zwanzigtausend Dollar eingenommen hatte. Als Vollstrecker hatte ich genug verdient, um mir ein paar Häuser in den Slums zu kaufen, Slumlord zu werden. Ebenfalls richtig. Hatte es mit Anita Ekberg und der Rothaarigen aus der Spade Cooley Show getrieben. Falsch.
Jetzt erzählten sich die Journalisten nur noch Mist. Ihr nächstes Thema war Chavez Ravine. Ich schloß das Fenster und versuchte zu schlafen.
Meg sagte nein.
Fenster wieder auf. Keine Journalisten mehr. Im Fernsehen lief nichts außer Testbildern. Ich schaltete ab und angelte in meinen Erinnerungen – MEG.
Das ständige Gefühl, etwas sei furchtbar falsch gelaufen; wir waren uns zu lange zu nah, um es auszusprechen. Ich hielt die Fäuste des Alten von ihr ab, sie hielt mich davon ab, ihn umzubringen. Zusammen aufs College. Der Krieg. Briefe. Andere Männer, andere Frauen waren nichts dagegen.
Meine Jahre als »Vollstrecker«, als Rowdy. Meg war mein Kumpel, half mir beim Eintreiben. Als sie was mit Jack Woods anfing, sagte ich nichts. Das Studium fraß meine Zeit, und Meg ging auf ihre verrückte Solotour. Sie lernte zwei Gangster kennen: Tony Trombino, Tony Brancato.
Juni ’51 kamen unsere Eltern bei einem Autounfall ums Leben.
Die Nerven, das Testament–
Franz und Hilda Klein waren eben erst beerdigt worden. In einem Motelzimmer zogen Meg und ich uns aus, einfach nur, um zu sehen, wie es war. Wir lagen aufeinander. Jeder Kuß wie ein Rückstoß.
Es kam nicht dazu – Meg brach es ab. Gefummel: unsere Kleider, Worte, die Lichter aus.
Ich wollte es immer noch.
Sie nicht.
Sie spielte verrückt mit Trombino und Brancato.
Die Scheißer regten Jack Dragna auf. Jack – Nummer eins in L. A. Jack zeigte mir ein Foto: Meg mit Prellungen und Knutschflecken. Überführt: Trombino und Brancato.
Überführt: Die beiden hatten auf eigene Rechnung gearbeitet, ein Spielchen der Mafia hochgehen lassen.
Jack sagte zu mir: Du legst sie um und kriegst fünf Riesen.
Ich sagte ja.
Stellte ihnen eine Falle. Sie waren auf Erpressertour. Am 6.August, North Ogden Street. Die beiden Tonys in einem 49er Dodge. Ich hatte mich auf dem Rücksitz versteckt und schoß ihnen das Hirn aus dem Schädel.
Die Schlagzeilen: »Krieg unter Mafiosi« – Dragnas oberster Mordschütze wurde sofort festgenommen. Doch der hatte ein Alibi: Jack D.s Pfarrer. Ein ungelöster Fall. Sollen sich die verfluchten Spaghettifresser doch gegenseitig umbringen.
Ich kriegte meine fünf Riesen – und eine Überraschung auf Tonband: Eine männliche Stimme wütete über die Dreckskerle, die seiner Schwester was angetan hatten. Dragnas Stimme unkenntlich, ich dagegen war deutlich zu hören: »Ich bring die verdammten Scheißkerle um. Ich mach es umsonst.«
Mickey Cohen rief an. Jack hatte ihm erzählt, daß ich der Mafia einen Gefallen schuldete. Die Ehrenschuld für ein paar Gefallen. Es würde rein geschäftlich laufen – Jack würde sich bei mir melden, und ich würde mein Geld kriegen.
Sie hatten mich am Haken.
Sie gaben ihre Bestellungen auf:
Am 2.Juni 1953 legte ich einen Apotheker in Vegas um, der mit Drogen handelte.
Am 26.März 1955 waren es zwei Nigger, die die Ehefrau eines Mafioso vergewaltigt hatten.
Im September 1957 hörte ich ein Gerücht: Jack D. hatte es schwer am Herzen.
Ich rief ihn an.
Jack sagte: »Besuch mich doch.«
Ich fand ihn in einem Motel am Strand, ein fabelhafter Ort zum Ficken und Abkratzen. Der Himmel auf Erden für schmierige Südländer: Schnaps, Pornos, Huren.
Ich bettelte: Streich endlich meine Schulden.
Jack sagte: »Die Huren machen es sich gegenseitig.«
Ich erstickte ihn mit einem Kissen.
Mafia und Gerichtsmedizin waren sich einig: Herzanfall.
Dann rief Sam Giancana an. Mickey C. war sein Mann – wenn er die Bullen um einen Gefallen bitten mußte oder Leute umgelegt werden sollten.
Meg ahnte etwas. Ich unterdrückte den Teil, der sie betraf, und nahm die ganze Schuld auf mich.
Endlich Schlaf – unruhig, schweißnaß.
Das Telefon. Ich schnappte danach: »Ja?«
»Dave? Hier ist Dan Wilhite.«
Der Leiter des Rauschgiftdezernats. »Was liegt an, Captain?«
»Es geht um … ach, Scheiße. Kennen Sie J. C. Kafesjian?«
»Der Name ist mir ein Begriff. Der Mann spielt eine wichtige Rolle für uns.«
Wilhite sprach leise: »Ich rufe Sie von einer Bestattung an. Ich kann nicht frei sprechen, aber ich hatte auch niemanden, um ihn zu schicken. Also rufe ich an.«
Der Lichtschalter.
»Um was geht’s, ich bin schon auf dem Weg.«
»Es handelt sich um, Scheiße – bei J. C. ist eingebrochen worden.«
»Anschrift?«
»1684 South Tremaine. Das ist direkt–«
»Ich kenne die Ecke. Jemand hat die Wilshire Jungs angerufen, bevor Sie es erfahren haben – stimmt’s?«
»Genau. J. C.s Frau. Die ganze Familie war den Abend über nicht da, und Madge, Mrs.Kafesjian, ist als erste wieder nach Hause gekommen. Sie hat gesehen, daß eingebrochen worden war, und gleich das Revier in Wilshire angerufen. Schließlich ist auch J. C. mit Tommy und Lucille, seinen Kindern, nach Hause gekommen, aber da war alles schon voll von Beamten, die keine Ahnung von unserer – äh – Vereinbarung mit der Familie haben. Allem Anschein nach ist es nichts als ein bekloppter Einbruch, aber die Knaben von Wilshire tun sich schrecklich wichtig. J. C. hat meine Frau angerufen, und die hat sich ans Telefon gehängt und mich ausfindig gemacht. Dave…«
»Bin schon unterwegs.«
»Gut. Bringen Sie noch jemand mit, und zwar möglichst einen von Ihrer Einheit.«
Ich legte auf und versuchte, einen zweiten Mann – Riegle oder Jensen – zu erreichen. Keiner nahm ab. Scheiße. Also rief ich Junior Stemmons an: »Hallo?«
»Ich bin’s. Ich brauch dich, um was zu erledigen.«
»Ist das ein Einsatz?«
»Nein, wir sollen Dan Wilhite aushelfen. Die Wogen glätten bei J. C. Kafesjian.«
Junior pfiff. »Ich hab gehört, sein Junge hat ’nen schlimmen Sprung in der Schüssel.«
»1684 South Tremaine. Du wartest draußen auf mich. Ich erklär dir alles vor Ort.«
»Ich werde dasein. Sag mal, hast du die Spätnachrichten gesehen? Bob Gallaudet hat uns beispielhafte Beamte‹ genannt, aber Welles Noonan sagt, wir wären ›unfähige Schnorrer‹. Er hat gesagt, beim Zimmerservice Schnaps zu bestellen, hätte zu Johnsons Selbstmord beigetragen. Er hat gesagt–«
»Sei einfach da.«
Wilhite mußte sich auf unsere Hilfsaktion für einen vom LAPD geduldeten Drogenhändler verlassen können. Die Verbindung zwischen Rauschgiftdezernat und J. C. Kafesjian stand seit zwanzig Jahren – der alte Chief Davis hatte ihn angebracht. J. C.s Spitzeldienste erlaubten ihm, die Nigger ungestört mit Marihuana, Pillen und Heroin zu versorgen. Wilhite behielt ihn im Auge. J. C. ließ andere Drogenhändler hochgehen, soweit es unsere Vereinbarung betraf: das Rauschgift auf die Gegend südlich der Slauson Street zu beschränken. Nach außen war er durch die Filialgeschäfte seiner chemischen Reinigung getarnt. Sein Sohn trat als übler Schläger und Angeber auf.
Kafesjians Haus im maurischen Stil war hell angestrahlt. Davor standen Juniors Ford und ein Streifenwagen.
In der Einfahrt erkannte ich Leute mit Taschenlampen. Stimmen. »Ach du liebe Scheiße«, sagte Junior Stemmons.
Ich parkte und ging hin.
Das Licht stach mir in die Augen. Junior: »Das ist der Lieutenant.« Sie senkten ihre Lampen. Es stank bestialisch nach Aas.
Junior stellte mir zwei Zivilbeamte vor. »Dave, das sind Officer Nash und Sergeant Miller.«
»Meine Herren, die Sache hier wird vom Rauschgiftdezernat übernommen. Sie kehren auf Ihr Revier zurück. Falls ein Bericht nötig sein sollte, erledigen das Sergeant Stemmons und ich.«
Miller: »Falls ein Bericht nötig sein sollte? Riechen Sie was?«
Mein Ton war beißend streng. »Liegt hier etwa ein Mord vor?«
Nash: »Eigentlich nicht, Sir. Aber Sie glauben nicht, wie dieser Dreckskerl Tommy Soundso mit uns geredet hat. Kommt einfach–«
»Gehen Sie rein, und richten Sie Ihrem Chef aus, daß Dan Wilhite mich geschickt hat. Sagen Sie ihm, das hier sei keine Routinesache, weil es um das Haus von J. C. Kafesjian geht. Wenn ihn das nicht überzeugt, soll er Chief Exley wecken.«
»Lieutenant–«
Ich griff mir eine der Taschenlampen und ging dem Geruch nach, bis ich an einen zerschnittenen Drahtzaun kam: Scheiße, zwei Dobermänner mit durchschnittener Kehle, geblendet, die Zähne in chemisch getränkte Putzlappen verbissen. Aufgeschlitzte Eingeweide und Blut – eine Spur von Tropfen führte zu einer aufgebrochenen Hintertür.
Drinnen konnte ich Geschrei hören – zwei Männer, zwei Frauen. Junior sagte zu mir: »Die Kerle vom Revier habe ich verscheucht. Die Familie hat ’nen ganz schönen Ton am Leib, was?«
»Erklär du es mir. Hab keine Lust, die Kafesjians zu befragen.«
»Na ja, die waren alle auf einer Party. Die Frau hat Kopfschmerzen gekriegt, also hat sie sich als erste ein Taxi nach Hause genommen. Dann hat sie die Hunde gefunden, hat gleich Wilshire angerufen und ist an Nash und Miller geraten. J. C., Tommy und die Tochter – die Kinder von ihr wohnen auch hier – sind dann ebenfalls eingetrudelt und haben ziemlich einen Aufstand gemacht, als sie die Bullen im Wohnzimmer fanden.«
»Hast du schon mit ihnen geredet?«
»Madge, das ist seine Frau, hat mir den Schaden gezeigt, aber dann hat J. C, ihr gesagt, sie soll die Klappe halten. Ein paar Stücke kostbares altes Silber sind gestohlen worden, aber trotzdem, das sieht alles ziemlich merkwürdig aus. Kannst du dir einen Reim auf die ganze Sache machen? Ich hab mit so was noch nie zu tun gehabt.«
Geschrei und Saxophonlärm.
»Das ist keine normale Einbruchsache. Was meinst du mit ›merkwürdig‹?«
»Nash und Miller haben ihre Zettel drangemacht. Du wirst schon sehen.«
Ich leuchtete den Garten ab und stieß auf Fleischstücke, die schaumig vor Speichel waren. Die Hunde waren vergiftet worden. Junior: »Erst hat er sie mit dem Fleisch da gefüttert, dann verstümmelt und sich dabei völlig verschmiert. Die Tropfen reichen bis zum Haus.«
Der Spur nach–
Die Hintertür war aufgebrochen worden. In einer Art Waschküche hatte jemand blutverschmierte Handtücher verstreut. Der Einbrecher hatte sich abgewischt.
Die Tür zur Küche war unversehrt. Er hatte den Riegel gefunden. Keine Blutspuren mehr, dafür Notizen von der Spurensicherung: »zerbrochene Whiskyflaschen«. In den herausgezogenen Küchenschubladen lagen Diebstahlvermerke: »antikes Silber«.
Die Kafesjians: »Wie kannst du blöde Nutte hier Bullen reinlassen, die uns nicht kennen?«
»Vater, ich bitte dich!«
»Wenn wir Hilfe brauchen, rufen wir Dan an!«
Auf dem Eßtisch lagen Fetzen von Fotos, beschriftet: »Familienfotos«. Oben im Haus lärmte das Saxophon.
Ich ging durchs Haus–
Die Teppiche waren zu dick, die Sofas samtüberzogen, die Tapeten aus Velours. Die Klimaanlage dekoriert mit Jesus-Statuen. Auf einem Teppich eine Notiz: »zerbrochene Schallplatten und zerrissene Hüllen« – The Legendary Champ Dineen: Sooo Slow Moods, Straight Life: The Art Pepper Quartett, The Champ Plays the Duke.
Neben der Hi-Fi-Anlage sauber gestapelte LPs.
Junior kam rein. »Habe ich’s dir nicht gesagt? Die Sache ist doch merkwürdig.«
»Wer macht den Krach hier?«
»Das Saxophon? Das ist Tommy Kafesjian.«
»Geh zu ihm rauf und sei nett. Entschuldige dich für die Störung und biete ihm an, daß wir uns um die Hunde kümmern. Frag ihn, ob er überhaupt möchte, daß wir Nachforschungen anstellen. Sei freundlich zu ihm, klar?«
»Dave, der Mann ist ein Verbrecher.«
»Keine Sorge, ich werde seinem Alten noch viel schlimmer in den Arsch kriechen.«
»DADDY, BITTE NICHT!«
»J. C., LASS DAS MÄDCHEN ZUFRIEDEN!«
Hörte sich nicht gut an. Junior rannte nach oben.
»GENAU, HAU AB!« Eine Tür wurde zugeschlagen, und »Daddy« stand direkt vor mir.
J. C. in Großaufnahme: ein schmieriger, dicker Südländer, alt geworden. Kräftig, pockennarbig, blutige Kratzspuren im Gesicht.
»Ich bin Dave Klein. Dan Wilhite hat mich geschickt, um nach dem Rechten zu sehen.«
Kafesjian blinzelte: »Was war denn so wichtig, daß er nicht selbst kommen konnte?«
»Wir können das hier ganz nach Ihren Wünschen behandeln. Falls Sie eine Ermittlung möchten, sind wir schon dabei. Falls Sie bloß einen Namen brauchen, nehmen wir nur Fingerabdrücke. Falls Sie zurückschlagen wollen, wird Dan Sie dabei in vernünftigem Rahmen unterstützen, wenn Sie wissen, was–«
»Ich weiß genau, was Sie meinen, und bei mir zu Hause räum ich selbst auf. Ich spreche nur direkt mit Captain Dan und nicht mit irgendwelchen Fremden, schon gar nicht in meinem Haus.«
Zwei Frauen drückten sich an uns vorbei. Die jüngere von beiden ließ kurz ihre Hände sehen – silbern lackierte Nägel, Blutstropfen.
»Jetzt haben Sie meine Mädchen gesehen, und die vergessen Sie gleich wieder. Die gehen Sie nichts an.«
Beide brünett, mit weichen Gesichtern – keine schmierigen Typen. Die Tochter hatte eine Dauerwelle.
»Haben Sie eine Idee, wer das getan hat?«
»Nicht für Sie, damit Sie’s ausquatschen. Der Konkurrenz erzählen, die mir und meiner Familie ans Leder will.«
»Konkurrenz in der Reinigungsbranche?«
»Machen Sie hier keine Witze! Schauen Sie sich das doch nur an! Da! Und da!«
An der Tür ein Zettel: »verunstaltete Kleidung«. »Da! Und hier! Schauen Sie sich das an!« J. C. riß an einem Türknauf. »Schauen Sie! Da und da!«
Ich schaute: ein kleiner Wandschrank. Jemand hatte kniekurze Frauenhosen breit an die Wand gepappt und im Schritt aufgerissen.
Ich sah Flecken, konnte sie riechen – Sperma.
»Hier gibt es nichts zu lachen. Ich kaufe Lucille und Madge soviel hübsche Sachen, daß sie einiges davon schon hier im Wohnzimmer aufbewahren müssen. Und jetzt schauen Sie sich das an! Da kommt so ein perverser Sittenstrolch und vergeht sich an Lucilles hübschen Sachen.«
Hurenhosen aus Tijuana: »Hübsch.«
»Nicht mehr so komisch jetzt, nicht wahr, Sie Laufbursche? Da vergeht Ihnen das Lachen.«
»Rufen Sie Dan an. Sagen Sie ihm, was wir für Sie tun können.«
»In meinem Haus räum ich selbst auf!«
»Schönes Stöffchen. Verdient sich ihre Tochter darin ihr Studium?«
Er ballte die Fäuste. Seine Adern schwollen. Die Kratzer fingen an zu bluten. Dieses fette schmierige Schwein drängte sich dicht an mich ran.
Schreie ein Stockwerk höher–