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Joy, Anfang 30, lebt in Berlin. Sie arbeitet als Übersetzerin und ist seit Jahren leidenschaftliche Boxerin. Nach dem Tod ihrer Mutter kehrt sie für einige Wochen zu ihrem Vater Simon nach Hamburg zurück. Simon ist Landschaftsarchitekt und Zen-Buddhist. Zwischen Tochter und Vater flammen alte Konflikte neu auf. Die Beziehung mit Elena, Anfang 40 und Sportdozentin, trägt entscheidend dazu bei, dass Joy sich diesen Konflikten und ihren Gefühlen stellt, statt sie "wegzuboxen". Als Marathonläuferin bringt Elena den langen Atem mit, den es erfordert, Joy in jeder Hinsicht aus der Reserve zu locken ...
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Seitenzahl: 384
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FRAUEN IM SINN
Verlag Krug & Schadenberg
Literatur deutschsprachiger und internationaler
Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,
historische Romane, Erzählungen)
Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen
rund um das lesbische Leben
Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.
Manuela Kuck
Die Boxerin
Roman
K+S digital
1
Sie bewegt sich wie eine Tänzerin, dachte ich, als Nadine zum ersten Mal in den Boxclub kam. Wie eine klassische Tänzerin. Das war im Sommer, vor den Anschlägen in New York und Washington, als viele Frauen neugierig auf den Boxsport geworden waren, nachdem Regine Halmich Stefan Raab verprügelt hatte und die Töchter von Joe Frazier und Muhammad Ali aufeinander losgegangen waren. Nadine erinnerte mich sofort an Joy – wahrscheinlich war es die Art, wie sie ihr Kinn hob, als ich mit einem kurzen, schnellen Blick ihren zarten, fast zerbrechlich wirkenden Körper erfasste. Vielleicht verglich ich auch die meisten jungen Frauen, die ähnlich leicht und zierlich gebaut sind, mit meiner ehemaligen Schülerin, die ich vor beinahe zehn Jahren kennengelernt hatte, als sie wie Nadine Anfang Zwanzig gewesen war und ihre Heimatstadt Hamburg verlassen hatte, um nach Berlin zu ziehen. Wundern würde es mich nicht – wir haben einander viel bedeutet, und so ist es trotz aller Veränderungen bis heute geblieben.
Nadine kam zögernd näher, und ich sah, dass es abgesehen vom Gewicht und der Größe mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten zwischen den beiden gab. Joy hatte sehr kurze blonde Haare, die auch heute noch einen widerspenstigen Wirbel im Nacken bilden, rätselhafte graue Augen und machte mit ihrem muskulösen und sehnigen Körper sofort einen energiegeladenen Eindruck auf mich – allerdings war sie bereits seit einigen Jahren Boxerin, als sie zu mir kam. Mit Anfang Dreißig ist sie heute immer noch genauso durchtrainiert wie damals, aber sonst hat sich viel in ihrem Leben geändert. Nadine trug ihre langen dunklen Haare hochgebunden, so dass ihr schmaler Hals zur Geltung kam. Sie hatte einen blassen Teint und verträumte blaue Augen. Während ich mir bei Joy sofort hatte vorstellen können, dass sie sich flink und kraftvoll im Ring bewegen würde, spürte ich bei Nadine mit jedem Schritt, den sie auf mich zukam, meine Skepsis wachsen: Diese feingliedrige junge Frau schien mir in einem Boxclub völlig fehl am Platz. Eine Einschätzung, zu der ich in den fünfzehn Jahren meiner Tätigkeit als Boxtrainerin noch nie so schnell gelangt war.
Die Frauen, die in meinen Boxclub kommen, haben ganz unterschiedliche Motive, ausgerechnet diesen Sport zu wählen. Die einen machen jede Mode mit, die anderen wollen erfahren, ob sie sich auf einen Zweikampf einlassen können, manche möchten sich lediglich fit halten, viele suchen eine Möglichkeit, in kurzer Zeit jede Menge Kalorien zu verbrauchen oder ihre Aggressionen loszuwerden. Manchmal entdecke ich eine echte Kämpferin. Eine Frau, die in den Ring will oder muss. Aber nicht jede ist talentiert genug. So wie Joy. Nadine konnte ich mir als Tänzerin vorstellen. Oder als Turnerin. Aber nicht als Boxerin, schon gar nicht in einem richtigen Zweikampf im Ring.
Wahrscheinlich bekam sie meine Bedenken mit, denn als wir einander vorgestellt hatten und ich ihr von den verschiedenen Trainingsangeboten berichtete, während wir durch die Halle schlenderten, hörte sie zwar aufmerksam zu und stellte viele detaillierte Fragen, erwiderte aber mein Lächeln kaum. Ich war verunsichert, denn auf der einen Seite sehe ich es durchaus als meine Aufgabe an, herauszufinden, warum jemand boxen möchte, auf der anderen Seite steht es mir nicht zu, noch vor der ersten Stunde ein Urteil zu fällen. Ich traute mir und meinen Bedenken nicht so recht über den Weg, denn Nadine ist genau der zarte, mädchenhafte Typ, den sich kaum jemand mit Boxhandschuhen vorstellen möchte, geschweige denn mit einer blutigen Nase. Meine Irritation wuchs, als ich feststellte, dass sie die einzelnen Trainingsgeräte offensichtlich zumindest dem Namen nach kannte. Die meisten Menschen wissen, was ein Sandsack ist und auch, wozu man ihn benutzt, aber dass es so was wie eine Maisbirne gibt, gehört nicht unbedingt zur Allgemeinbildung.
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