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"Die Rivalin" führt die Geschichte von Rieke und Paula fort, die in "Hungrige Herzen" ihren Anfang nahm. Paula hat es satt, Schokoriegel zu vermarkten, und wechselt den Job. Als sie sich um den Werbeetat eines Herstellers von Inlineskates bemüht, lernt sie Ariane Köster kennen, eine faszinierende Frau von Ende Dreißig, die es gewohnt ist, den Ton anzugeben. Rieke hat inzwischen geschäftliche Probleme und muss neue Wege einschlagen. Paula unterstützt sie in beruflicher Hinsicht, doch privat fühlt Rieke sich häufig zurückgesetzt. Sie wünscht sich mehr Zweisamkeit mit Paula. Paula hingegen hat zunehmend Herzklopfen, wenn sie Ariane begegnet ...
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Seitenzahl: 383
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FRAUEN IM SINN
Verlag Krug & Schadenberg
Literatur deutschsprachiger und internationaler
Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,
historische Romane, Erzählungen)
Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen
rund um das lesbische Leben
Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.
Manuela Kuck
Die Rivalin
1
Rieke wartete im Wagen auf mich, und ich freute mich, sie zu sehen. Ich ließ den Frühlingswind über mein Gesicht streichen und atmete tief durch, während ich über den Parkplatz auf sie zuging. Der Tag war anstrengend gewesen, und es tat gut, jetzt einfach abschalten zu können.
Rieke hatte die Fensterscheibe heruntergekurbelt und hob mir ihr Gesicht entgegen. Ich küsste sie.
»Hallo, du siehst ja ganz schön groggy aus«, sagte sie dann. »Magst du eine Runde spazierengehen? Oder hast du Lust, in nettem Ambiente ein paar Kalorien einzufahren?«
Sie lächelte spitzbübisch. Manchmal nahm sie mich mit meiner Essproblematik einfach auf die Schippe, und ich kam erstaunlich gut damit klar.
»Wir könnten auch zu Georg fahren«, schlug sie weiter vor. »Er hat gestern angerufen und meinte, bei ihm könnte man schon auf der Terrasse sitzen und wir seien herzlich eingeladen, das bei Kaffee und Kuchen oder Wein und Knabberzeug auszuprobieren. So gesehen kann man ja eigentlich immer auf der Terrasse sitzen– also auch bei Schneeregen, Blitzeis und in tosendem Frühlingsgewitter. Ich habe ihm jedoch gesagt, dass ich für derlei Freiluftbetätigungen eher Temperaturen um die fünfundzwanzig Grad plus Sonne bräuchte. Stell dir vor, das konnte er gar nicht so recht nachvollziehen. Komischer Kauz!«
Ich lachte und stieg ein. Georg, ein ehemaliger Zimmermann und phantasievoller Hobbykoch, der die Sechzig bereits überschritten hatte, wohnte in einem kleinen Haus in Teltow, direkt hinter der südwestlichen Berliner Stadtgrenze, und war ein alter Freund von Rieke, den ich inzwischen auch sehr zu schätzen wusste. Anfangs waren mir sein eindringlicher Blick und seine gradlinige, knurrige Art gehörig auf die Nerven gegangen, mittlerweile hatte ich den alten Brummbären ins Herz geschlossen. Doch nach einem Besuch stand mir trotzdem nicht der Sinn.
»Ein andermal vielleicht«, sagte ich. »Ich würde jetzt lieber mit dir allein sein.«
Rieke zwinkerte mir zu und pfiff durch die Zähne. »Das höre ich natürlich gerne. Wohin darf ich dich entführen?«
Wir entschieden uns nach kurzer Diskussion, in den Grunewald zu fahren, um das freundliche Wetter auszunutzen.
»Gab es etwas Besonderes in der Gruppe?« fragte Rieke, als wir zwanzig Minuten später händchenhaltend durch den Wald spazierten.
Ich gehörte seit ungefähr einem halben Jahr einer Gruppe von essgestörten Frauen an, die sich regelmäßig trafen und ihre Probleme oder auch Fortschritte besprachen. Am frühen Abend hatte ich an einer Sitzung teilgenommen. Sie war, wie meistens, anstrengend gewesen. Einmal Eßstörungen, immer Eßstörungen? Manchmal hatte es wirklich den Anschein. Wer rasant auf die Vierzig zuging und sich seit den Jugendjahren mit Magersucht oder Bulimie herumschlug, durfte getrost davon ausgehen, dass sie Teil seines Lebens geworden war und es wohl auch bleiben würde. Mein Therapeut Bastian hatte letztens ähnliches verlauten lassen. Je ausgeglichener ich war und je sicherer ich mich fühlte und mit den Alltagsanforderungen zurechtkam, desto weniger Einfluss hatte die Eßstörung auf mein Befinden, meine Entscheidungen, meine Gefühle. Sie blieb im Hintergrund– um dort allerdings aufmerksam zu lauern. War ich voller Unruhe, musste ich Konflikte lösen oder fühlte ich mich unwohl in meiner Haut, war mein Kalorienzähler schnell zur Stelle und die Essenseinteilerin gab eifrig ihre Kommentare ab, dicht gefolgt von der Oberschenkelvermesserin.
Ich wog durchschnittlich vier bis fünf Kilo mehr als im letzten Spätherbst, als Rieke mit mir in die Klinik gefahren war, weil ich zu viele Abführtabletten genommen und vom Durchfall gefährlich geschwächt war. Jahrelang hatte ich regelmäßig zu Abführtabletten gegriffen, um mein Gewicht zu halten oder zu drücken. Seinerzeit hatten Kim und ich uns gerade getrennt, und sie hatte in einem üblen Streitgespräch meinen wunden Punkt getroffen. Nun brachte ich also etliche Kilo mehr auf die Waage, die ich mal in Hundertgrammschritten, dann wieder pfundweise zugelegt hatte und die mir manchmal den Angstschweiß auf die Stirn trieben, obwohl ich wusste, dass es lächerlich war. Ich hatte ein für meine Größe und mein Alter immer noch niedriges Gewicht und war sehr schlank. Aber tief im Inneren fühlte ich mich oftmals dick, pummelig, unansehnlich. Außenstehende können das kaum nachvollziehen und halten es wahrscheinlich für kokette Spinnerei. Letztens sagte mir ein Kollege, den ich länger nicht gesehen hatte, dass ich so wohl aussähe und dass die etwas runderen Wangen mir besonders gut stünden. Rundere Wangen? Ich erschrak. Zog den Bauch ein, überprüfte mein Kinn. Nagende Unruhe. Wenn das verzerrte Bild, das ich von mir selbst hatte, mich zu sehr bedrängte –immerhin wusste ich, dass es verzerrt war, doch ändern konnte ich es trotzdem nicht–, dachte ich an Sabine. Sie war auch in der Gruppe gewesen und an Weihnachten im Jahr zuvor an Magersucht gestorben.
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