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Die Branzilla ist eine Geschichte von Heinrich Mann. Sie gehört nicht zu seinen bekanntesten Werken, zeigt aber ganz eigene Facetten. Auszug: Die junge Sängerin verließ das Klavier und ging der dahinten noch lauschenden Gesellschaft entgegen. Ganz allein ging sie zwischen den Säulen, den Büsten mit pomphaft zurückgeworfenen Perückenköpfen über den weiten, spiegelnden Steinboden. Sie streckte sich sehr gerade, sah senkrecht vor sich hin; und die Arme ausgebreitet, hielt sie zwei blasse Fingerspitzen an ihrem großen, runden Rock, der sich rings um sie her am Estrich zerdrückte, wie sie vor der Prinzessin das Knie bog. Die Prinzessin bot ihr gnädig die Bonbonniere. »Welch einen Engel diese Kleine in der Kehle hat!« Die alten Frauen bewegten befriedigt die Fächer und lächelten ihren alten Galans zu, die sich räusperten und von Erinnerungen anfingen. Die jungen Männer zogen die Köpfe in die hohen Kragen ihrer braunen Röcke, ließen ihre Lorgnons gesenkt und preßten bleich die Lippen aufeinander. Eins der jungen Mädchen, das begehrteste von Rom, stand plötzlich auf - die gestickten Kränze ihres Saumes schaukelten über ihren kleinen Schuhen - und warf die Arme um die Branzilla.
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Seitenzahl: 53
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Die junge Sängerin verließ das Klavier und ging der dahinten noch lauschenden Gesellschaft entgegen. Ganz allein ging sie zwischen den Säulen, den Büsten mit pomphaft zurückgeworfenen Perückenköpfen über den weiten, spiegelnden Steinboden. Sie streckte sich sehr gerade, sah senkrecht vor sich hin; und die Arme ausgebreitet, hielt sie zwei blasse Fingerspitzen an ihrem großen, runden Rock, der sich rings um sie her am Estrich zerdrückte, wie sie vor der Prinzessin das Knie bog. Die Prinzessin bot ihr gnädig die Bonbonniere. »Welch einen Engel diese Kleine in der Kehle hat!« Die alten Frauen bewegten befriedigt die Fächer und lächelten ihren alten Galans zu, die sich räusperten und von Erinnerungen anfingen. Die jungen Männer zogen die Köpfe in die hohen Kragen ihrer braunen Röcke, ließen ihre Lorgnons gesenkt und preßten bleich die Lippen aufeinander. Eins der jungen Mädchen, das begehrteste von Rom, stand plötzlich auf – die gestickten Kränze ihres Saumes schaukelten über ihren kleinen Schuhen – und warf die Arme um die Branzilla.
»Wie Ihr glücklich sein müßt!« flüsterte sie am Halse der Sängerin. »Alle Liebe gehört Euch. In Eurer Stimme ist alle Liebe der Welt.«
Aber sie verwirrte sich unter dem harten und traurigen Blick aus den Augen der anderen. Sie trat zurück; die Branzilla stand wieder allein: ihr klares Vogelprofil gegen den Haufen gerichtet, den sie bewegt hatte.
Hinter ihr seufzte es. Einer ihres Alters, einer in schwarzer Seide, richtete Schwärmeraugen auf sie.
»Fräulein Adelaïde!«
»Exzellenz, Eure Dienerin.«
»Ihr dient niemandem«, sagte seine bedeckte Stimme, »auch nicht der Kunst. Die Kunst dient Euch. Sie kniet vor Euch: sie, unser aller Mutter. Und auch ich, dem die Kunst doch alles war, will nur noch vor Euch knien.«
»Das ist bequem.«
Und sie ging an ihren Platz. Er folgte sanft.
»Mein Haus, Adelaïde, erwartet Euch. Die Fenster blicken nach Euch aus, die alten Bilder sind erwacht und sind neugierig auf Euch. Meine Diener gehören Euch und wissen es. Die ersten Lehrer Italiens stehen bereit, Euch zu vollenden. Wann kommt Ihr? Die Hecken im Garten sind höher gewachsen, um vor den Weihelosen Euer Bild zu hüten. Die Mauern umtürmen eifersüchtig Eure einzigen Töne.«
Sie tat kleine harte Fächerschläge. Mit kalter Unterwürfigkeit:
»Ich stehe zu Diensten, Exzellenz. Meine Tante und ich, wir nehmen Eure Einladung an.«
Sie kamen; – und wie die Branzilla zwischen ihren neuen Atlaswänden aus zerrissenen Schachteln ihre Kleiderfetzen nahm, war Dario Rupa es, der sie ihr vom Arm hob.
»Wir sind so arm, Exzellenz, daß wir unsere Wohnung nicht länger bezahlen konnten. Hätten wir Euch sonst belästigt?«
»Ich werde Euch durch dies Haus führen, das Eures ist.«
»Habt die Gnade, mich in das Musikzimmer zu führen … Habt die Gnade, mir zu erlauben, daß ich hier bleibe und studiere … Ihr wollt mich schon hinausweisen? Nur mir zuhören? Das wäre Eurer Exzellenz nicht würdig. Ihr müßt Besseres zu tun haben … Nein, ich esse nicht; Eure Exzellenz möge mich entschuldigen. Ein rohes Ei, einen Fenchel, und es ist genug. Keinen Wein. Ich bin Eure Dienerin.«
»Niemand sah Euch, Adelaïde, auf dem Korso, unter den Müßigen ohne Schicksal. Wäret Ihr nicht auch heute in geschlossener Karosse draußen hei den großen Ruinen? Allem Großen wißt Ihr Euch nahe; mühelos verkehrt Ihr mit der Größe und wachst an ihr. In den Denkmälern der Alten öffnet sich Euch die geisterhafte Pforte Eurer Kunst. Ihr seihst werdet groß werden.«
»Ich werde nichts lernen als heulen, wenn ich mit Euch schwatze.«
»Verzeiht mir! Ich gehe und lasse Euch Eurer Arbeit, die Euch so reich macht. Wie ich mich meiner ärmlichen Muße schäme!«
»Auch als er Eure Exzellenz erschuf, wird Gott gewußt haben, wozu.«
Sie dachte: ›Zu meinem Nutzen.‹
›... Da steht sie am Fenster, weiß umflossen. Ich habe im Dunkeln das Knie auf einen Stuhl gesetzt, recke den Hals nach ihrer Welt, atme ein wenig von ihrer Luft. Weiß sie von mir? Sie singt! Fünf Jahre schon höre ich sie singen, so nahe bei mir, und schweige. Schweige ich? Ist nicht ihr Gesang meine Seele, die endlich fliegen lernte und klingen? Ich breite die Arme aus; ich bin frei … Schwärmer! Sie singt: du bist stumm. Nur sie hat die geklärte, gleichmäßige Flamme: deine wälzt sich plump zum Himmel auf und fällt zurück in düsteres Schwelen. Du weißt deine Leidenschaft nicht zu ordnen; du stammelst, machst dich trunken und versagst wieder. Sieh ihre nüchterne Begeisterung, nüchtern wie die Ewigen, Himmlischen! Und vergeh! Nein: leben in ihr! Wenn es sein könnte: sie immer im Schauer des Mondes, ich immer dunkel zu ihren Füßen; und unsere Seelen fliegen auf, meine in ihrer, getragen von ihrer! Sie darf nicht fort, ich kann nicht hier unten allein zurückbleiben! … Adelaïde!‹
»Was hat Eure Exzellenz?«
»Verzeiht meinem verwirrten Sinn! Ich sah Euch mit dem Mondlicht das Fenster hinaufschweben, in den blauen Garten, schon fort, schon fort …«
»Das Fenster ist geschlossen, Exzellenz. Auch kann ich nicht fliegen.«
»Ich bin ein wenig erregt, vielleicht ein wenig in Angst, ich gestehe es, denke ich daran, daß Ihr nur noch einen Monat in diesem Hause weilen werdet.«
»Allzulange habe ich die Güte Eurer Exzellenz mißbraucht. Es wird Zeit, daß ich meine Schuld abtrage, indem ich durch meine Kunst, wenn es sein kann, den Ruhm Eurer Exzellenz erhöhe.«
»Adelaïde! Verstehe mich! Wolle mich verstehen! Ich bin ein eifersüchtiger Narr; ich würde leiden, wenn die andern dich hörten. Ach, nicht das ist's, was hatte ich zu sagen? Ich werde ohne dich ins Elend fallen, Adelaïde; ich werde sterben.«
»Ich bitte Eure Exzellenz, sich zu erheben. Vergißt sie denn den großen Abstand zwischen ihr und ihrer Dienerin? Es ist unmöglich, daß Ihr noch länger Eure Arme um meine Knie preßt!«
»Was tun? Welche Worte finden, die bis an dein Herz dringen? Ich liebe dich, du darfst nur mir singen! Ich will es!«
»Eure Exzellenz ist hart und erschreckt mich.«
»Verzeih! O verzeih! Nimm die Hände von den Augen. Ich könnte es keine Minute länger ertragen, daß du deine Augen gegen mich schützest! … Was hast du vor? Sprich mir mein Urteil!«
»Ich werde nach einem Monat im Teatro Argentino auftreten, Eure Exzellenz hat es versprochen! und werde, wenn Gott mir hilft, Eurer Exzellenz Ehre machen. Wer weiß, vielleicht bald werde ich Eurer Exzellenz das an mich gewendete Geld zurückzahlen können und Eure nicht mehr ganz so unwürdige Dienerin sein. Befehlt Ihr, daß ich die Arie beende?«
Er wankte ins Dunkel zurück.
›Nun singt sie wieder, wie Liebe selbst singt – und sie hätte kein Herz? Dies wäre nur der Schein eines Herzens, seine erdachte Nachahmung? Oder ist, was sie singt, ein Gebet an sie selbst? Die einzige, zu der sie betet? Die sie liebt? … Das also muß man sein, um groß zu sein? Oh, jetzt ist es an mir, meine Augen zu verhüllen …‹