Die Braut des Herzogs - Sophia Farago - E-Book

Die Braut des Herzogs E-Book

Sophia Farago

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Beschreibung

Julian Romsey, Herzog von Wellbrooks, hat es gründlich satt, Opfer der Nachstellungen heiratswütiger Mütter und hoffnungsvoller Debütantinnen zu sein. Darum beschließt er kurzerhand, dem Rat seiner Großmutter zu folgen und endlich zu heiraten. Mit der Brautsuche gibt er sich keine große Mühe und stimmt der von seiner Großmutter vorgeschlagenen Braut unbesehen zu – auch wenn es sich anhört, als sei sie eine Landpomeranze, wie sie im Buche steht. Allerdings schwebt ihm ohnehin nur eine Vernunftehe vor, da der attraktive Aristokrat nicht plant, mehr als milde Zuneigung für seine Zukünftige zu empfinden. Miss Olivia Redbridge fällt aus allen Wolken, als sie von dem Antrag des Herzogs erfährt, denn sie ist seit ihrer nicht gerade erfolgreich verlaufenen ersten Saison vor sechs Jahren nicht mehr in London gewesen. Statt sich um modische Kleider und Gesellschaftsklatsch zu kümmern, hat sie ihrem verwitweten Vater das Haus geführt und bei der Erziehung ihrer jüngeren Geschwister geholfen. Doch nun hat sich Lord Redbridge wieder verheiratet, und obwohl sie ihre Stiefmutter sehr mag, möchte Olivia jetzt gerne selbst heiraten und ihren eigenen Haushalt leiten. Darum schlägt sie Wellbrooks Antrag auch nicht gleich aus, sondern macht sich auf den Weg nach London, wo nicht nur ihr, sondern auch dem Herzog eine große Überraschung bevorsteht ...

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Seitenzahl: 440

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Sophia Farago

Die Braut des Herzogs

Roman

Edel Elements

Copyright dieser Ausgabe © 2013 by Edel Elements, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg.

Copyright © 2006 by Sophia Farago

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-103-3

edel.comfacebook.com/edel.ebooks

Inhalt

Buchcover

Titelseite

Impressum

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

I.

Das Haus von Lord Linham, am Ende der Brook Street im vornehmen Londoner Stadtteil Mayfair gelegen, erstrahlte in festlichem Glanz. Eine Kutsche nach der anderen fuhr vor; ihnen entstiegen Damen in eleganten Roben, tief dekolletiert, die Taille enggeschnürt, begleitet von Herren in noblem Frack und Zylinder.

Im Inneren des Hauses herrschte lebhaftes Treiben. Obwohl es erst Ende April und somit noch früh in der Saison war, versprach der Ball, der zu Ehren des Debüts von Miss Julie Linham gegeben wurde, ein voller Erfolg zu werden. Wochenlang war emsig für dieses Ereignis gearbeitet worden. Lady Linham hatte zahlreiche zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt, und auch die eigene Dienerschaft war in unermüdlichem Einsatz gestanden.

Der Aufwand hatte sich gelohnt: die Kristallüster an den Decken des Ballsaales funkelten im Schein zahlloser Kerzen. Die Spiegel in schweren Goldrahmen, die eigens für diesen Anlaß an den Längsseiten des Saales angebracht worden waren, warfen das Licht tausendfach zurück. Üppige Blumenbouquets, in den Lieblingsfarben von Mylady – Weiß und Rosé – gehalten, tauchten den Raum in ein Blütenmeer und bildeten mit den neuerworbenen Vorhängen aus schwerer altrosa Seide eine harmonische Einheit. In den angrenzenden Räumen waren Sitzgelegenheiten aufgestellt worden, und Spieltische in der Bibliothek (die der Herr des Hauses nur mit äußerstem Widerwillen zur Verfügung gestellt hatte) garantierten, daß sich auch Tanzunwillige gut unterhalten konnten.

Lady Heather Linham, eine korpulente Dame Mitte fünfzig, stand, in eine voluminöse Kreation aus dunkelrosa Krepp gehüllt, zusammen mit ihren beiden ältesten Kindern am Fuße der Treppe, die in den Ballsaal hinabführte, um die ankommenden Gäste zu begrüßen. Die Debütantin war eine junge Dame von siebzehn Jahren. Blonde Haare, die mit Hilfe eines heißen Eisens zu festen Locken gedreht worden waren, umrahmten ihr blasses Gesicht. Rote Flecken auf den Wangen verrieten die Aufregung, die Miss Julie Linham angesichts ihres ersten großen Auftretens in der Gesellschaft erfaßt hatte. Davon abgesehen sah sie jedoch reizend aus. Da sie zudem eine stattliche Mitgift zu erwarten hatte, zweifelte niemand daran, daß es an Bewerbern um ihr Herz und möglicherweise für den Ehestand nicht mangeln würde.

Ein paar Schritte hinter der in zartes Rosa gekleideten Miss Linham stand ihr Bruder, Lord Charles Linham, der Hausherr. Er war neun Jahre älter als seine Schwester und hatte bereits vier Jahre zuvor das Erbe seines Vaters angetreten. Vielleicht war es der Umstand, daß er in so frühen Jahren – er war kaum großjährig geworden – die Verantwortung für seine Mutter, die drei jüngeren Geschwister und ausgedehnte Besitzungen hatte übernehmen müssen, der ihn früh hatte erwachsen werden lassen. Lord Linham wirkte älter als seine sechsundzwanzig Jahre. Er war ein gesetzter Mann, der wie seine Mutter etwas zur Korpulenz neigte. Seine sportlichen Ambitionen waren gering. Denn wenn er auch ein leidlich guter Schütze war, selbstverständlich sein eigenes Gespann lenkte und sogar ab und zu in Jackson’s Boxclub gesehen wurde, so geschah dies weniger, um besondere Fertigkeiten in einer dieser Sportarten zu erwerben, oder aus Neigung, sondern allein um den gesellschaftlichen Konventionen Genüge zu tun. Er war nie nach der neuesten Mode gekleidet und verachtete die Eitelkeit der tonangebenden Dandys aus tiefster Überzeugung.

Seine einzige Leidenschaft gehörte der Medizin. Er widmete seine Freizeit dem Studium heilkundiger Schriften, war über alle Leiden seiner Mitmenschen bestens informiert, konnte Krankheiten und Todesursachen vieler wichtiger Persönlichkeiten aus der Geschichte nennen und scheute sich auch nicht, seiner Umgebung Ratschläge in allen medizinischen Belangen aufzudrängen. Er galt mithin allgemein als ehrbarer junger Mann – aber auch als das, was junge Stutzer wie Mr. George Romsey einen »verdammt aufgeblasenen, langweiligen Kerl« nannten.

In diesem Augenblick konnte Lord Linham nicht seinem Hobby frönen. Die Musikkapelle intonierte soeben den Eröffnungstanz, und ihm oblag es, als erster seine Schwester aufs Parkett zu führen.

Es blieb Lady Linham überlassen, später ankommende Gäste alleine zu begrüßen. Der Tanzsaal war bereits überfüllt. Mylady blickte mit sichtlicher Genugtuung in die Runde. Nichts verdeutlichte den Erfolg eines Ballabends mehr, als wenn die Gäste am nächsten Tag klagten, es sei geradezu unangenehm voll gewesen. Als der Gästestrom abriß, verließ auch sie den Platz am Fuße der Treppe und schwebte auf eine Gruppe von Damen zu, in der sie ihre intimste Freundin Lady Mable Darlington entdeckt hatte.

»Es ist wirklich ein außergewöhnlich gelungener Abend, meine Liebe«, sagte diese sofort, als sie ihre Freundin näher kommen sah. »Ich dachte gerade, wie bedauerlich es ist, daß meine Nichte diesen Ball noch nicht miterleben kann.« Sie wandte sich an die umstehenden Damen: »Ich habe meine Nichte Olivia, die Tochter meiner viel zu früh verstorbenen Schwester, eingeladen, diese Saison bei mir zu verbringen.«

»Ist das nicht das unscheinbare Landkind, das Sie bereits einmal vor Jahren vergeblich unter die Haube bringen wollten, meine Teuerste?« erkundigte sich Mrs. Kirkgate, die wegen ihrer bissigen Bemerkungen ebenso bekannt wie gefürchtet war.

Lady Darlington errötete leicht: »Olivia ist keineswegs unscheinbar«, beeilte sie sich mit Nachdruck zu versichern. »Sie ist eine äußerst attraktive junge Dame.«

Da sie selbst ihre Nichte seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hatte, konnte sie nur hoffen, daß die Behauptung auch den Tatsachen entsprach.

»Ihre Tochter ist ein einnehmendes, kleines Ding«, wechselte Lady Sefton das Thema, an ihre Gastgeberin gerichtet, »ich bin sicher, sie wird eine glänzende Partie machen.«

»Bei dieser Mitgift dürfte das kaum zu verhindern sein«, setzte Mrs. Kirkgate hinzu.

Es blieb Lady Linham erspart, nach einer passenden Antwort zu suchen, denn in diesem Augenblick kündigte der Butler das Eintreffen eines weiteren Besuchers an. Da es bereits nach elf Uhr war, hatte er seinen Posten am Eingang des Saales verlassen, um die Lakaien beim Einschenken der Getränke zu beaufsichtigen. Als er den späten Gast erkannte, eilte er umgehend zur Türe des Ballsaales zurück. »Seine Gnaden, der Herzog von Wellbrooks!« verkündete er mit eindrucksvoller Stimme.

Erwartungsvolle Ruhe senkte sich über den Saal, als seien sämtliche Gespräche mit einem Male verstummt. Alle blickten gespannt die Treppe empor. Lady Linham wandte sich um, ein Triumphgefühl leuchtete in ihren Augen. Er war doch noch gekommen! Fast hätte sie die Hoffnung schon aufgegeben. Erst die Tatsache, daß Seine Gnaden unter ihren Gästen weilte, machte den Abend zu einem beneidenswerten Erfolg. Wellbrooks gehörte zu den besten Kreisen, er war in vieler Hinsicht tonangebend, einer der begehrtesten Junggesellen Londons. Natürlich, er war Lady Linhams Neffe. Und doch hatte sie nicht damit rechnen dürfen, daß seine verwandtschaftlichen Gefühle so weit gehen könnten, den Ball seiner Cousine zu besuchen. Er mied für gewöhnlich alle Veranstaltungen, die zu Ehren von Debütantinnen stattfanden. Nicht einmal Miss Morgans Ball, der letzte Woche gegeben wurde, hatte er mit seiner Anwesenheit beehrt. Und dabei galt Miss Morgan als die hübscheste Debütantin dieser Saison. Aber zu Julies Ball war er gekommen!

Nun stand der Herzog auf der obersten Stufe der Treppe und ließ seinen Blick langsam über die anwesenden Gäste schweifen. Nichts als unverhohlene Langeweile spiegelte sich auf seinem Gesicht. Das Aufsehen, das sein Erscheinen erregte, konnte ihm unmöglich entgangen sein. Und doch war er es viel zu gewöhnt, um sich etwas anmerken zu lassen. Seit seinem ersten Erscheinen in der Öffentlichkeit hatte man ihn umschmeichelt und hofiert. Stets hatte man ihm das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein. Ein seltenes Schmuckstück, das jeder gerne für seine Familie gewinnen wollte.

Den knapp Zwanzigjährigen hatte das Verhalten der Gesellschaft erschreckt und abgestoßen. Es dauerte nicht lange, da bat er seinen Vater, ihm ein Offizierspatent zu kaufen. England lag bereits seit längerem mit Frankreich im Krieg. Napoleon, der sich 1804 zum Kaiser der Franzosen gekrönt hatte, hatte in beispiellosen Eroberungskriegen einen großen Teil Europas unter seine Herrschaft gebracht und seine zahlreichen Brüder und Schwestern als Könige eingesetzt. Unter dem Oberkommando des Herzogs von Wellington kämpften englische Truppen in Spanien gegen den Feind. Der junge Wellbrooks wollte sich lieber den Strapazen des Krieges aussetzen, um für seine Heimat Siege zu erringen und seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen, als in London zu bleiben und sich den Gefechten auf dem Heiratsmarkt auszuliefern. Vor zwei Jahren war sein Vater gestorben, und er war nach London zurückgekehrt, um sein Erbe anzutreten. Die Jagd der heiratsfähigen Mädchen auf ihn hatte nun noch viel vehementer eingesetzt. Wenn er auch mit Einladungen und Gunstbezeugungen überhäuft wurde, so schien ihm das im Gegensatz zu früher nichts mehr auszumachen. Keine der zahllosen Bemühungen der Gesellschaft, ihn zu erfreuen oder zu beeindrucken, konnte seine Unnahbarkeit durchdringen oder seine Langeweile erschüttern.

Lady Linham blickte erwartungsvoll zu ihrem Neffen empor, der gemächlich die Treppe zum Ballsaal hinabschritt. So hatte sie Gelegenheit, seine elegante Erscheinung zu bewundern. Die dunkelblaue Jacke aus feinem Tuch saß wie angegossen. Das Halstuch war auf unnachahmlich individuelle Weise gefaltet. Sein einziger Schmuck war eine goldene Uhrkette, die bereits sein Großvater getragen hatte, und eine Nadel mit einem einkarätigen Brillanten am Halstuch.

Mit ihrem strahlendsten Lächeln begrüßte Lady Linham Wellbrooks, während er sich galant über ihrer Hand verbeugte.

»Willkommen in unserem Hause, Wellbrooks. Wir freuen uns sehr, dich zu sehen. Ich hatte schon befürchtet, du würdest dich gar nicht in der Stadt aufhalten.«

Der Herzog hob überrascht seine rechte Augenbraue: »Was veranlaßte dich zu diesem Gedanken, liebe Tante?« wollte er wissen. »Ich versichere dir, ich habe die letzten Wochen in der Stadt verbracht.«

Wie immer wurde Mylady bei dem arroganten Blick ihres Neffen nervös: »Ich dachte nur«, erwiderte sie mit leichtem Tadel in ihrer Stimme, »deine Großmutter ist bereits vor einer Woche bei uns eingetroffen, um am heutigen Ball teilzunehmen. Alle Verwandten haben ihr einen Besuch abgestattet. Du bist der einzige, der sie noch nicht aufgesucht hat.«

»Dann werde ich mich beeilen, Versäumtes nachzuholen«, antwortete ihr Neffe kühl. Er verbeugte sich leicht und machte sich auf die Suche nach seiner Großmutter.

Er ließ seine Tante mit Zweifeln zurück, ob es wirklich so klug war, ihn an seine Pflichten als Enkel zu erinnern. Sie hätte es bei weitem vorgezogen, wenn er in der kurzen Zeit seiner Anwesenheit – denn sicher würde er den Ball bald wieder verlassen – ihre Tochter zum Tanz geführt hätte. Statt dessen plauderte er nun mit ihrer betagten Mutter in einem der hinteren Zimmer.

Der Herzog wußte, daß er seine Großmutter im grünen Salon finden würde. Das war der Raum, in dem sie sich am liebsten aufhielt, wenn sie bei ihrer Tochter zu Besuch war. Doch es war gar nicht so leicht, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Zahlreiche Eltern ergriffen die Gelegenheit beim Schopf, um ihm ihre Tochter vorzustellen. Eine entfernte Cousine seines verstorbenen Vaters, eine besonders energische Dame, ging sogar so weit, ihn an der Hand zu fassen und diese an ihre Enkelin weiterzureichen. Dazu äußerte sie den unmißverständlichen Befehl, er möge das Mädchen zum Tanz führen. Dem Herzog lag bereits eine seiner scharfen Abfuhren auf der Zunge. Da fiel sein Blick auf das feingeschnittene Gesicht der Debütantin. Große blaue Augen blickten flehend zu ihm empor, und die hübsch geschwungenen Lippen zitterten. So unterdrückte er seinen ersten Impuls, verbeugte sich vor ihr und geleitete das Mädchen auf das Parkett.

Das Aufsehen, das er damit erregte, war enorm. Man fragte sich, wie es kam, daß er gerade dieses Mädchen um einen Tanz gebeten hatte, während er die anderen nicht zur Kenntnis zu nehmen schien. Vielerlei Vermutungen über die Absichten Seiner Gnaden wurden angestellt. Der Herzog konnte nur dankbar sein, daß es eine hübsche junge Dame war, der er zu so unverhoffter Popularität verhalf. Nach dem Tanz brachte er seine Partnerin zu ihrer Duenja zurück. Sofort scharte sich eine große Zahl von Bewunderern um das Mädchen. Ihre Großmutter lächelte zufrieden. Sie hatte ihr Ziel erreicht.

Nun bemerkte der Herzog seinen Freund MacAlister, der gemeinsam mit seinem Schwager an einer Seitenwand des Ballsaales stand und ihn mit amüsiertem Lächeln beobachtete. Er steuerte sofort auf die beiden zu.

»Na, Julian?« fragte MacAlister. »Wir hatten nicht erwartet, dich hier zu sehen. Dabei scheinst du den Abend wirklich zu genießen. Wer war denn die junge Dame, die du mit deiner Aufmerksamkeit ausgezeichnet hast?«

»Ich habe keine Ahnung«, erklärte der Herzog. »Ich werde rasch meiner Großmutter guten Abend sagen und dann diese Stätte ohne weitere Verzögerung verlassen. Mein Leben ist nicht so einfach wie das eure. Ihr steht da, völlig unbehelligt. Keine Hyäne wirft euch ihre heiratsfähige Tochter an den Hals. Ihr ahnt gar nicht, wie gut es euch geht.«

Die beiden Freunde grinsten schadenfroh.

»Diesen Vorzug kannst du leicht genießen«, sagte MacAlister gelassen, »du brauchst nur zu heiraten, Julian. Dann geht es dir so wie uns.«

Der Herzog schnaufte verächtlich und machte sich weiter auf die Suche nach seiner Großmutter.

Er fand die alte Dame, wie er es erwartet hatte, im grünen Salon. Sie saß auf einer kleinen Bank, umringt von einer großen Zahl von Bekannten, und hielt Hof.

Lady Addlethorpe war eine zierliche kleine Lady, die weißen Haare zu adretten Löckchen gedreht. Cremefarbene Spitzen schmückten Kragen und Manschetten ihrer Ballrobe. Sie machte den Eindruck einer Großmutter wie aus dem Bilderbuch. Niemand, der sie nur vom Sehen kannte, hätte bei ihr einen wachen Verstand und eine gefürchtete, scharfe Zunge vermutet. Sie hatte ihrem seligen Gatten drei Töchter geschenkt und glücklicherweise als viertes Kind auch einen Erben geboren. Nun lebte sie zurückgezogen im Dowerhouse von Addlethorpe Park in Sussex. Einmal im Jahr, zur Saison, weilte sie für einige Wochen im Hause ihrer zweitältesten Tochter Lady Linham, die dem Aufenthalt ihrer kritischen Mutter stets mit Bangen entgegensah. Ihre älteste Tochter, die Mutter des Herzogs, die ihrem Herzen am nächsten gestanden hatte, war zu ihrem Leidwesen bereits gestorben. Die jüngste Tochter, Charlotte, war immer noch ledig, obwohl sie die Dreißig bereits vor Jahren überschritten hatte. Sie lebte bei ihrer Mutter als eine Art Gesellschafterin.

Lady Addlethorpe, die sich eben mit einem alten Bekannten unterhielt, sah den Herzog auf sich zukommen. Sie blickte ihm voller Stolz entgegen. Schon immer hatte sie eine Schwäche für gutaussehende Männer gehabt, und nun erschien es ihr überdies, als würde Julian ihrem geliebten seligen Gatten immer ähnlicher werden. Er war großgewachsen, seine breiten Schultern verrieten den Sportler. Die brünetten Haare waren etwas länger, als es die von Beau Brummell kreierte Mode vorsah. Er hatte sie mit lockerem Schwung aus der Stirne gekämmt. Der Blick aus seinen tiefbraunen Augen, der oft so herablassend kühl sein konnte, ruhte nun voller Wärme und Freundlichkeit auf ihr. Er trat näher und beugte sich galant über ihre Hand.

»Großmama, Sie sind wirklich ein Lichtblick«, sagte er und küßte die dargebotene Wange.

»Ihr könnt alle gehen!« wandte sich Mylady an die Umstehenden. »Kein Grund mehr, sich mit einer alten Frau zu unterhalten. Wirklich, geht. Und amüsiert euch gut.«

Als die Bekannten auf solch energische Art vertrieben worden waren, wandte sie sich ihrem Enkel zu und klopfte einladend neben sich auf das Sofa.

»Setz dich und laß deine Entschuldigungen hören. Warum hast du mich nicht schon längst aufgesucht? Ich bin jetzt bereits tagelang in der Stadt, und alle Verwandten haben es der Mühe wert gefunden, mich willkommen zu heißen.«

»Arme Großmama«, bemerkte der Herzog mitfühlend. Er war weit davon entfernt, zerknirscht zu sein. »Haben sie dich sehr angeödet?«

Ihre Ladyschaft ließ ihr tiefes Lachen ertönen: »Du hast wohl wenig Familiensinn, Wellbrooks?« wollte sie wissen.

»Gar keinen«, erwiderte ihr Enkel lächelnd.

Ein Lakai trat näher, um den beiden ein Glas Champagner zu servieren. Diese Unterbrechung nützte eine hagere, große Dame, auf deren schütterem grauem Haar eine mächtige Witwenhaube thronte. Sie hatte im Türrahmen auf eine günstige Gelegenheit gewartet, um Wellbrooks mit ihrer Tochter bekannt zu machen.

»Meine liebe Lady Addlethorpe«, rief sie aus und stürzte, ihre widerstrebende Tochter am Handgelenk gefaßt, auf die ältere Dame zu. »Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie so gegen alle Konventionen anspreche. Aber es ist mir einfach ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich freue, Sie bei so guter Gesundheit zu sehen.«

Lady Addlethorpe neigte huldvoll ihr Haupt und reichte der Dame zwei Finger: »Mrs. Stamperford, wenn ich nicht irre«, sagte sie betont hoheitsvoll. Dabei musterte sie beiläufig die kleine, pummelige Gestalt im hellblauen Rüschenkleid, die halb verdeckt hinter ihrer Mama stand, die Augen sittsam zu Boden gerichtet.

»Ist das eine Ihrer Töchter?« Es klang nicht gerade begeistert.

»Wie freundlich von Mylady, daß Sie sich an mich erinnern. Ja, das ist wirklich meine Tochter. Meine jüngere Tochter Eliza, um genau zu sein.« Sie schob das Mädchen vor Lady Addlethorpe, damit es seinen Knicks machen konnte. »Meine älteste Tochter Abigail hat vor zwei Jahren debütiert. Und sie hat bereits in ihrer ersten Saison geheiratet. Nicht daß ich mich beklage, denn die Ehe ist außerordentlich glücklich. Ich habe bei der Erziehung meiner Mädchen den allergrößten Wert darauf gelegt, daß sie all die Fähigkeiten erlernen, die zur Führung eines großen Haushalts unumgänglich sind. Ja, ja sie geben perfekte Ehefrauen ab, meine Lieblinge. Und doch …«, sie kramte umständlich ein Taschentuch aus ihrem Retikül, um damit die Augenwinkel abzutupfen, »… und doch ist es immer wieder eine Qual für ein Mutterherz, eines ihrer Kinder zu verlieren. Ich hoffe inständig, daß mir meine liebe Eliza noch lange erhalten bleibt.« Die begehrlichen Blicke, die sie dem Herzog zuwarf, straften diese Worte Lügen. Erbittert stellte sie fest, daß Lady Addlethorpe nicht geneigt schien, ihr ihren Enkel vorzustellen.

Sie wußte natürlich, wer der Mann war, der neben der alten Dame saß. Er war schließlich der einzige Grund gewesen, das Gespräch mit Lady Addlethorpe zu suchen. Ein unglückliches Geschick hatte es gewollt, daß sie noch nicht offiziell miteinander bekannt gemacht worden waren. So beschloß sie, ohne lange zu zögern, auch hier die Initiative zu ergreifen: »Und das ist Ihr ältester Enkel, nicht wahr, Mylady? Es freut mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Euer Gnaden. Mein Sohn ist ein so eifriger Bewunderer Ihrer Kutschierkunst. Und meine Eliza hat gerade unlängst zu mir gesagt: ›Mama‹, sagte sie, ›Seine Gnaden, der Herzog von Wellbrooks, sieht aus wie ein Märchenprinz.‹ Nicht wahr, das sagtest du doch?« Sie schob ihre Tochter, die über und über errötet war, noch weiter nach vorne, damit sie dem Herzog ihre Hand reichen konnte, wobei sie einen tiefen Knicks machte. Seine Gnaden verbeugte sich knapp und wandte sich dann demonstrativ seiner Großmutter zu. Die ungebetene Gesprächspartnerin mußte erkennen, daß die Unterhaltung mit ihr beendet war. Sie erklärte beleidigt, daß sie Ihre Ladyschaft nun nicht mehr länger aufhalten wolle, und zog, Eliza im Schlepptau, von dannen. Das Mädchen folgte ihr nun mit viel größerer Bereitwilligkeit.

»Was für ein vulgäres Weib«, stellte Lady Addlethorpe fest, als die beiden außer Hörweite waren. »Sie hatte Glück, daß sie die Frau von Jack Stamperford ist, den ich schon als kleinen Jungen gekannt habe. Sonst hätte ich ihr eine scharfe Abfuhr erteilt.«

Der Herzog winkte ab: »So sind sie doch alle«, sagte er.

»Was um Himmels willen meinst du damit?« fragte Ihre Ladyschaft erstaunt. »Was soll das heißen, so sind sie alle?«

Sie war ein derart anmaßendes Verhalten, wie es Mrs. Stamperford an den Tag gelegt hatte, ganz und gar nicht gewöhnt.

»Ja, denkst du denn, das sei mir zum ersten Mal passiert? Denkst du, es sei das erste Mal, daß mir eine Mutter mit hochfliegenden Plänen ihre heiratsfähige Tochter geradezu aufdrängt?« fragte der Herzog bitter. »Warum, meinst du wohl, meide ich derartige Veranstaltungen? Kannst du dir vorstellen, wie es ist, eines der begehrtesten Objekte am Heiratsmarkt zu sein? Ich kann es dir sagen: es ist unerträglich!«

Seine Großmutter betrachtete ihn eingehend von der Seite und schwieg geraume Zeit nachdenklich.

»Ich glaube, ich habe eine Idee, wie dir geholfen werden könnte«, sagte sie schließlich.

Bevor sie ihm jedoch ihre Überlegungen darlegen konnte, wurde sie von ihrer Tochter, Lady Linham, unterbrochen. Diese hatte die Furcht ihrer Mutter gegenüber niedergerungen und war gekommen, um den hohen Gast zu entführen.

»So viele Gäste haben bereits nach Wellbrooks gefragt, Mama. Ich kann es nicht zulassen, daß er sich den ganzen Abend im Hinterzimmer vergräbt, um mit dir zu plaudern.«

Der Herzog erhob sich widerstrebend und blickte mit resigniertem Lächeln auf seine Großmutter hinab.

»Statte mir morgen einen Besuch ab, Julian«, sagte diese und schenkte ihrem Enkel ein warmes Lächeln. »Dann können wir alles in Ruhe besprechen. Ich erwarte dich um zehn Uhr.«

Der Herzog beugte sich nieder, um ihre Wange zu küssen.

»Ich werde pünktlich sein«, versprach er.

Dann bot er seiner Tante den Arm und ließ sich von ihr in den Ballsaal zurückführen.

II.

Es war am nächsten Morgen, gegen neun Uhr, als Seine Gnaden das Schlafzimmer verließ und gemächlich die breiten Stufen in die Eingangshalle hinabschritt. Er war korrekt für einen Vormittagsbesuch gekleidet. Enganliegende Hosen in zartem Biskuitgelb. Die Jacke aus feinstem Tuch. Die Spitzen seines Kragens waren frisch gestärkt, doch nicht ganz so hoch, wie es die herrschende Mode vorschrieb. So war es Seiner Gnaden möglich, den Kopf zu drehen, ohne die ganze Spitzenpracht zu verderben. Das Halstuch war kaskadenartig geknüpft, die Stiefel spiegelblank poliert. Sein Kammerdiener hatte eine spezielle Rezeptur für die Politur erfunden, und er verwendete Stunden darauf, die Stiefel seines Herrn auf Hochglanz zu bringen. Es war ihm eine Genugtuung zu wissen, daß er die Kammerdiener einiger anderer Herrn der feinen Gesellschaft mit seiner Kunst zur Verzweiflung brachte. Noch so verlockende Bestechungsversuche konnten ihn nicht dazu hinreißen, sein Rezept zu verraten, das er als sein strengstes Geheimnis hütete.

»Man stelle sich vor«, hatte er erst kürzlich der Köchin unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, »der neue Kammerdiener von Lord Greenhood hat mir doch tatsächlich eine sehr ordentliche Summe geboten, wenn ich ihm nur verrate, ob ich Champagner für meine Stiefelpolitur verwende. Natürlich hat er kein Sterbenswörtchen erfahren. Ich würde Seine Gnaden nie derart schamlos hintergehen.«

Wenn der Herzog auch vielleicht etwas von der unverbrüchlichen Treue seiner Dienerschaft ahnte, so verschwendete er weder einen Gedanken an seinen Kammerdiener noch an dessen Stiefelpolitur, als er die Halle seines Hauses betrat. Im Vorbeigehen warf er einen kritischen Blick in den mannshohen Spiegel, entfernte ein Staubkorn vom linken Ärmel und öffnete die Türe zum Frühstückszimmer.

Der Butler war eben dabei, mit einem der Diener den Frühstückstisch zu decken. Nun wandte er sich abrupt um und hätte vor Erstaunen fast das Sahnekännchen fallen lassen. Er faßte sich jedoch rasch und wünschte korrekt einen guten Morgen. Dabei hoffte er, Seine Gnaden habe seinen entgeisterten Blick nicht bemerkt. Doch Wellbrooks ließ sich nicht täuschen:

»Du hast recht, Hindley«, meinte er mit leichtem Schmunzeln, »es ist verdammt früh. Meine Großmutter erwartet meinen Besuch. Sag im Stall Bescheid. Ich brauche meine Braunen in genau einer halben Stunde. Und nun wollen wir einmal sehen, wie mir das Frühstück so früh am Morgen schmeckt.«

Hindley, der den Appetit seines Herrn sowie dessen Abneigung zu warten kannte, beeilte sich, einen der Diener zu den Ställen zu schicken. Dann begab er sich höchstpersönlich in die Küche, um die Köchin von der überraschenden Tatsache in Kenntnis zu setzen, daß der Hausherr umgehend zu frühstücken wünsche.

Zwar war Seine Gnaden auch an anderen Tagen kein extremer Langschläfer. Nur selten verließ er sein Schlafzimmer erst nach der Mittagsstunde, wie es viele Herrschaften von Stand zu tun pflegten. Daß er aber zu so früher Stunde sein Frühstück einnehmen wollte, sorgte in der Küche für Aufregung. Mrs. Rushend, die Köchin, wies ein Küchenmädchen an, rasch den Kessel über das Feuer zu hängen, um Wasser zu wärmen. Dann machte sie sich selbst an das Braten von Eiern und Schinken. Diese Aufgabe konnte sie an keines der Mädchen übertragen. Nur sie wußte, wie Seine Gnaden die Eier bevorzugte und welcher Schinken dafür zu nehmen war. Henry, der erste Diener, trug Platten mit Wurst, Fisch und Tomaten nach oben. Edward folgte mit dem kalten Braten.

»Ich sage Ihnen, Mr. Hindley, das hat etwas zu bedeuten«, meinte die Köchin in wichtigem Ton, als sie Eier und Schinken auf einen vorgewärmten Teller gleiten ließ. »Ohne Grund steht Seine Gnaden nicht so bald am Morgen von seinem warmen Lager auf. Es sollte mich nicht wundem, wenn uns bald eine Vermählung ins Haus stünde.«

Der Butler erlaubte sich ein kleines Lächeln: »Hier versagt Ihr Spürsinn, liebe Mrs. Rushend«, meinte er erhaben. Stolz darauf, die wahren Pläne seines Herrn für diesen Vormittag zu kennen. »Seine Gnaden werden von seiner Großmutter erwartet. Sie wissen doch, wie Lady Addlethorpe ist, nicht wahr?« Es blieb dahingestellt, ob er damit ausdrücken wollte, daß Ihre Ladyschaft immer zu so früher Stunde aufzustehen pflegte, oder ob sie ihre Besucher zu jeder von ihr gewählten Stunde pünktlich zu sehen wünschte und keine Verspätung duldete. Auch dann nicht, wenn es sich um den Herzog von Wellbrooks handelte.

Mrs. Rushend wischte sich ihre Hände an der Küchenschürze ab. »Denken Sie an meine Worte«, sagte sie wissend.

Pünktlich um zehn Uhr fuhr der Wagen des Herzogs vor dem Hause seines Cousins in der Brook Street vor. Gekonnt brachte er seine Braunen vor dem Haustor zum Stehen. Seine Tante Charlotte, die eben ans Fenster getreten war, um durch einen Vorhangspalt die Ankunft ihres Neffen mitzuerleben, registrierte diesen Umstand mit Unmut: »Ein Herzog sollte nicht selbst kutschieren«, sagte sie zu ihrer Mutter, die neben ihr vor dem Kamin saß. »Es schickt sich nicht.«

Trotz des freundlichen Aprilmorgens war ein kleines Feuer entfacht worden. Die alte Dame versuchte soeben vergeblich, ihre Beine in eine bereitgelegte Wolldecke zu hüllen.

»Hilf mir lieber, dieses Ding da über die Füße zu legen«, befahl sie unwillig, »anstatt mir einen Vortrag darüber zu halten, was sich deiner Meinung nach für einen Herzog schickt. Und dann sage diesem Tölpel von einem Diener, daß ich umgehend ein ordentliches Feuer im Kamin sehen möchte. Mit diesem Flämmchen kann man ja nicht einmal ein junges Mädchen wärmen, geschweige denn eine alte, gichtige Frau wie mich. Es sollte mich nicht wundern, wenn mich mein Enkel Charles absichtlich frieren ließe. Vermutlich denkt er, etwas Abhärtung könnte mir nicht schaden, der verhinderte Arzt!«

Sie schnaubte verächtlich und zog sich die Decke bis zur Brust hinauf. Dann wandte sie sich wieder ihrer Tochter zu: »Na, was stehst du noch herum?« fauchte sie. »Julian empfange ich alleine. Ich habe mit ihm zu reden, und was ich zu sagen habe, geht niemanden etwas an. Also geh.«

Derart unfreundlich aus dem Zimmer komplimentiert, machte sich Miss Charlotte auf die Suche nach einem Lakaien. In der Halle begegnete sie ihrem Neffen, der eben im Begriff war, dem Butler zu den Räumen seiner Großmutter zu folgen. Wie immer, wenn sie ihrem stattlichen Neffen gegenüberstand, errötete sie zutiefst und fiel in nervöse Befangenheit. Sie war nun schon weit in den Dreißigern und hatte die Hoffnung auf eine standesgemäße Heirat längst aufgegeben. Man munkelte etwas von einem Verlobten, den sie in ihrer Jugend über alles geliebt haben soll. Die Verlobung sei aus unbekannten Gründen geheimgehalten worden und eines Tages sei der Verlobte durch einen Unfall (oder war es ein Duell?) aus dem Leben geschieden. Lady Addlethorpe tat beide Versionen mit einem verächtlichen Achselzucken ab und sagte, die Wahrheit sei, daß ihre liebe Charlotte, obwohl ein braves Mädchen und ganz bestimmt tugendsam, nie eine Schönheit gewesen sei und bei Gott auch keine mehr werden würde. Darum habe man keine standesgemäße Ehe arrangieren können. Die ein, zwei Anträge, die ihre Tochter erhalten habe, seien von stadtbekannten Mitgiftjägern gekommen. Und man habe es vorgezogen, die Tochter lieber ledig als an der Hand eines Taugenichts zu wissen.

Nun begrüßte sie ihren Neffen mit einem gezwungenen Lächeln und erklärte, um ihn vorzuwarnen, daß Mama nicht bester Laune sei. Dann huschte sie an ihm vorbei, um sich in den Küchentrakt zu begeben.

Der Herzog betrat das Zimmer seiner Großmutter so knapp hinter dem Butler, daß diesem jede Möglichkeit genommen war, ihn anzukündigen. Er beugte sich über Myladys Hand und sagte lächelnd: »Wie fühlst du dich heute morgen, Großmama? Tante Charlotte meinte, du seist nicht gerade bester Laune. Soll ich mich nun fürchten und lieber wieder das Weite suchen?«

»Charlotte ist eine Schwätzerin«, entgegnete seine Großmutter mit einer wegwerfenden Handbewegung und machte sich daran, ihren Besucher eingehend zu betrachten.

»Du siehst gut aus, Julian«, stellte sie schließlich fest und fügte mit süffisantem Lächeln hinzu: »Man sieht dir deinen lockeren Lebenswandel kaum an.«

Die rechte Augenbraue ihres Besuchers schnellte hoch: »Ach, wirklich?« fragte er steif.

Die alte Dame registrierte zufrieden seine Empörung. »Komm, setze dich zu mir. Mit seiner Großmutter streitet man nicht. Und bei mir ziehst du ohnehin den kürzeren.«

Der Herzog lachte auf und ließ sich schwungvoll in einem Fauteuil nieder, der seiner Großmutter gegenüberstand.

»Mir einen lockeren Lebenswandel vorzuwerfen! Jetzt wäre es dir beinahe gelungen, mich aus der Reserve zu locken«, gestand er. »Das passiert mir nicht allzu häufig.«

»Natürlich nicht. Weil du dich mit lauter Leuten umgibst, die dir von vornherein recht geben«, erklärte seine Großmutter. »Du brauchst endlich jemanden, der zu seiner Meinung steht. Der dir widerspricht. Der aufzeigt, wenn du im Unrecht bist. Der dich aus deiner selbstgefälligen Ruhe holt …«

»Um Gottes willen, nein!« rief Seine Gnaden entsetzt.

Da in diesem Augenblick der Diener eintrat, um Holz im Kamin nachzulegen, ließ es Mylady damit bewenden, ihrem Enkel einen strengen Blick zuzuwerfen und sich jeder Äußerung zu enthalten. Dafür wandte sie sich dem Lakaien zu und gab genaue Anweisungen, wie ein ordentliches Feuer zu entfachen sei, da sie sich bei der Kälte, die in dem Raum herrschte, in Kürze den Tod holen würde. Noch dazu, wenn man bedachte, daß im ganzen Haus die Zugluft nur so durch die Ritzen pfiff.

Ihr Enkel beobachtete sie mit stillem Vergnügen und rückte unmerklich seinen Stuhl weiter vom Feuer weg.

Als der Diener seine Aufgabe einigermaßen zur Zufriedenheit des gestrengen Gastes ausgeführt hatte, verbeugte er sich und verließ erleichtert den Raum. Mylady wandte sich wieder dem Herzog zu.

»Wo waren wir stehengeblieben?« wollte sie wissen.

»Du sprachst davon, daß ich jemand brauche, der mir ständig widerspricht, der mir meine Ruhe nimmt und mir, kurz gesagt, das Leben zur Hölle machen soll«, erinnerte er sie freundlich.

»Unsinn!« rief die alte Dame energisch. »Keine Rede davon, daß dir dein Leben zur Hölle gemacht werden soll. Ganz im Gegenteil, eine Bereicherung deines Daseins soll sie sein. Sie soll dich aus deinem Alltagstrott der leeren Vergnügungen herausreißen und dein Leben in sinnvollere Bahnen lenken!«

Der Herzog war höchst amüsiert: »Das klingt ja verlockend«, meinte er mit leichtem Spott. »Nur eines beunruhigt mich, liebe Großmama. Wer ist dieser jemand, von dem du sprichst? Sollte es sich gar um eine Dame handeln? Und vor allem: Welche Funktion hast du ihr in meinem Leben zugedacht?« Sein Ton war leicht vorwurfsvoll geworden, so als hätte ihm seine Großmutter einen unmoralischen Vorschlag gemacht. Diese hatte genau verstanden, was er meinte, und kicherte wie ein junges Mädchen: »Also wirklich, Wellbrooks! Du meinst doch nicht etwa, ich hätte eine neue Mätresse für dich!« rief sie mit nicht ganz ernst gemeinter Entrüstung. »Was denkst du denn von deiner Großmutter, du junger Narr? Nein, nein, deine Mätresse mußt du dir schon selbst suchen. Das heißt …«

Der Herzog war in schallendes Gelächter ausgebrochen: »Du bist wirklich ein Schatz!« brachte er mühsam hervor. »Aber keine Angst, meine Liebschaften suche ich mir in der Tat schon selbst aus.«

»Das wirst du nicht tun!« rief Mylady streng.

»Ach?« fragte der Herzog überrascht. »Du sagtest doch eben …«

»Ich sagte nichts dergleichen!« unterbrach sie ihn und räumte gleich darauf ein: »Und wenn ich es sagte, dann habe ich es nicht so gemeint.«

»Aha«, antwortete ihr Enkel, noch immer belustigt. »Das hätte ich mir denken können. Schade.«

»Schluß jetzt mit dem Unsinn«, fuhr Lady Addlethorpe auf. »Ich sprach von deiner Heirat.«

Der Herzog wurde schlagartig ernst.

»Von meiner Heirat?« wiederholte er ungläubig. »Du schlägst mir doch nicht ernsthaft vor, daß ich heiraten soll?«

»Aber natürlich tue ich das«, erklärte Mylady ruhig. »Genau das ist der Grund, warum ich dich heute kommen ließ. Ich muß zugeben, der Gedanke, daß du dich vermählen solltest, ist mir bereits vor längerer Zeit in den Sinn gekommen. Schließlich wirst auch du nicht jünger, und es wird Zeit, daß du dir Gedanken um deine Nachkommen machst. Und doch wußte ich bisher nicht, wie ich dir diese Idee schmackhaft machen könnte. Gestern abend hast du mir von deinen Problemen erzählt. Und da wußte ich schlagartig, daß eine Eheschließung die Lösung all deiner Sorgen bedeutet. Überlege doch, welche Vorteile du hast, wenn du erst einmal in festen Händen bist: Mit einem Schlag hat die Jagd der heiratswilligen Mädchen auf dich ein Ende. Und du hast eine Frau an deiner Seite, um die du dich kümmern kannst. Überdies wirst du über kurz oder lang einen Sohn haben. Damit ist dein Cousin aus dem Rennen, den du ohnehin nie leiden konntest. Und ich auch nicht«, setzte sie als letzten Trumpf hinzu.

Der Herzog blickte sie lange Zeit schweigend an, tief in Gedanken versunken. Die Idee schien ihm unglaublich, ja geradezu verrückt. Und dennoch, sie war einfach genial.

Er lächelte versonnen: Man nehme eine einzige Frau und durchkreuze damit die Pläne der übrigen. Der Weg würde frei sein für allerlei Unternehmungen, ohne daß ihn aufdringliche Eltern störten. Und dazu konnte man George einen entscheidenden Dämpfer versetzen. Der Bursche war viel zu sicher, daß einst die Herzogswürde auf ihn übergehen würde, und er lebte bereits jetzt auf zu großem Fuß.

Ja, der Plan seiner Großmutter gefiel ihm immer besser, je länger er ihn überdachte. An seine zukünftige Frau verschwendete er keinen Gedanken. Es gab schließlich genügend Vernunftehen, die recht zufriedenstellend verliefen. Da würde sich schon ein passendes Arrangement finden lassen.

»Ja, du hast recht«, sagte er daher. »Ich sollte mich verheiraten.«

Lady Addlethorpe, die ihn mit wachsender Ungeduld beobachtet hatte, hielt überrascht die Luft an. Sie hatte mit Widerspruch gerechnet. Und nun hatte sie mit ihrem Vorschlag ohne lange Diskussion Anklang gefunden. Sie hätte viel darum gegeben, Wellbrooks Gedanken lesen zu können. Zweifel kamen in ihr auf, ob sie ihm tatsächlich das Richtige vorgeschlagen hatte.

»Aber sage doch, liebe Großmama«, fuhr ihr Enkel fort, »du hast dir doch sicher auch Gedanken darüber gemacht, wer als passende Braut für mich in Frage käme. Bestimmt hast du schon ein Mädchen im Auge.«

»Das habe ich in der Tat«, gab Lady Addlethorpe zu.

»Dann sag mir, wer es ist. Denkst du an Miss Stamperford? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, denn du magst ihre Mutter nicht. Wie wäre es mit Christina O’Brian? Oder vielleicht Cousine Linham?«

»Du kennst sie nicht«, unterbrach ihn die Großmutter unwillig.

»Ich kenne sie nicht?« wiederholte Seine Gnaden überrascht.

»Nein, du kennst sie nicht«, bekräftigte Mylady. »Sie lebt zurückgezogen in der Nähe von Bath. Soviel ich weiß, gab sie vor fünf oder sechs Jahren ihr Debüt in London. Aber zu dieser Zeit bist du ja auf dem Kontinent gewesen.«

Der Herzog nickte. »Ist sie standesgemäß?« vergewisserte er sich.

»Aber natürlich«, empörte sich Mylady, »du kannst versichert sein, daß ich sehr gut weiß, was einem Wellbrooks angemessen ist. Besser als so mancher andere.«

»Ist schon gut«, beruhigte sie ihr Enkel. »Ich weiß, daß du mir nie eine unpassende Partie vorschlagen würdest. Aber nun heraus mit der Sprache: Wer ist sie?«

»Ich denke an Miss Olivia Redbridge«, antwortete die alte Dame würdevoll. »Sie ist die älteste Tochter von Lord Redbridge, einem Viscount. Er besitzt ein Landgut in der Nähe von Bath. Keine riesigen Ländereien, aber durchaus passabel. Da ihre Mutter schon vor Jahren gestorben ist, hat Miss Redbridge die Führung des Haushaltes übernommen. Es sind vier oder fünf Geschwister zu versorgen …«

»Also mittellos«, stellte der Herzog nüchtern fest.

Seine Großmutter war nicht sehr erfreut über diese Unterbrechung: »Na ja, nicht gerade mittellos«, protestierte sie. Doch es klang mehr wie ein Eingeständnis.

»Ist sie hübsch?« wollte er wissen.

»Sie ist groß und hat eine tadellose Figur. Ihre Züge sind durchaus einnehmend, die rotblonden Haare …«

»Eine Schönheit ist sie also auch nicht«, unterbrach er sie abermals.

»Sie hat ein erfreuliches Äußeres«, protestierte Mylady nun schon heftiger. »Vielleicht ist sie nicht gerade modisch …«

»Um Himmels willen, das wird ja immer schlimmer!« stöhnte Wellbrooks auf. »Sie ist weder begütert noch schön und überdies altmodisch! Was ist es wohl, was sie dir als passende Gattin für mich erscheinen läßt?«

»Es gibt für eine Ehefrau wichtigere Eigenschaften als Schönheit und Reichtum«, entgegnete Lady Addlethorpe schroff.

»Ach, wirklich?« fragte der Herzog skeptisch.

»Ja, natürlich! Intelligenz, Anmut und Stil. Eine gesunde Portion Hausverstand, die Fähigkeit, ein großes Haus zu führen und an deiner Tafel zu repräsentieren. Ein Herz für Kinder und eine gute Hand für die Dienerschaft …«

»Und das alles hat deine Miss …«, fragte er, amüsiert über den Eifer, mit dem seine Großmutter all diese Tugenden aufgezählt hatte.

»Redbridge«, ergänzte sie. »Jawohl. Sie wäre eine perfekte Herzogin.«

Ihr Enkel sah sie eindringlich an: »Gut«, sagte er schließlich ernst und bestimmt. »Es soll sein, wie du es wünschst. Ich werde dieser Miss Redbridge meinen Antrag machen.«

Der Herzog sah keinen Grund, die Dinge weiter hinauszuschieben. Noch am Nachmittag desselben Tages setzte er seinen überraschten Sekretär davon in Kenntnis, daß er sich zu verheiraten gedenke.

Mr. Jonathan Bactexter war ein ernster junger Mann, der, wenn es nach seinen Wünschen gegangen wäre, die politische Laufbahn eingeschlagen hätte. Er war der jüngste Sohn eines Landpfarrers aus Kent. Die Pfarrei seines Vaters lag in der Nähe der weitausgedehnten Besitzungen von Brooks Hall. Leider hatte er keinen Gönner, der seine politischen Ambitionen hätte unterstützen können. So bewarb er sich um die Stelle eines Sekretärs beim gegenwärtigen Herzog, als dieser, von Spanien zurückgekehrt, befunden hatte, daß er für zahlreiche Arbeiten einer helfenden Hand bedürfe.

Hatte Mr. Bactexter auch anfangs Befürchtungen gehegt, seine hochstrebenden Ideale wären mit dem Lebenswandel eines Mannes der ersten Gesellschaft nicht vereinbar – nur zu bekannt waren die Vergnügungen der Herren aus dem Kreise des Prinzregenten, zu zahlreich ihre Skandale –, so konnte er am Herzog von Wellbrooks keinen Makel erkennen. Seine Gnaden hegte keinerlei Ambitionen, sein Erbe am Spieltisch durchzubringen, er sorgte für eine tadellose Verwaltung seiner Güter, nahm bisweilen sogar seinen Sitz im Oberhaus ein, und sein Privatleben ging so diskret vonstatten, daß er nie in einen ernsthaften Skandal verwickelt war. Der Herzog, der die stille Art seines Sekretärs bald zu schätzen gelernt hatte, betraute ihn mit immer weitreichenderen Aufgaben. Es dauerte nicht lange und Bactexter war ihm unentbehrlich geworden.

»Gestatten Sie, Euer Gnaden, daß ich Ihnen meine Glückwünsche entbiete«, sagte dieser nun mit einer leichten Verbeugung. Die Überraschung über die unerwartete Neuigkeit war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Darf ich fragen, welcher Dame Sie einen Heiratsantrag gemacht haben, Sir?«

Der Herzog, belustigt über die Neugierde seines Sekretärs, antwortete: »Natürlich darfst du fragen, Bactexter. Allerdings habe ich noch keinen Antrag gemacht. Das sollst du für mich erledigen, schriftlich.«

»Sehr wohl, Euer Gnaden«, sagte der Sekretär so ruhig, als sei dieses Ansinnen eine Selbstverständlichkeit. »Die Dame befindet sich nicht in London?«

»Nein, sie lebt auf dem Lande«, bestätigte Wellbrooks, »es handelt sich um Miss Olivia Redbridge.«

Erfreut stellte er fest, daß er den sonst so unerschütterlichen Sekretär immer weiter aus der Fassung brachte. »Schreibe ihr, was du für richtig hältst. Daß der ehrenwerte Julian Antony und so weiter … Kündige mein Kommen für … na, sagen wir Freitag der nächsten Woche an.«

»Aber, Sir. An diesem Abend findet doch der Ball im Carleton House statt. Seine Hoheit, der Prinzregent, wird sicher mit Ihrem Erscheinen rechnen«, wandte Bactexter ein, der alle Termine Seiner Gnaden im Kopf hatte.

»Du hast recht. Dann reise ich am darauffolgenden Montag. Und vergiß nicht, das Schreiben an Lord Redbridge zu adressieren«, sagte sein Herr, sich zum Gehen wendend.

»Ja, Sir, natürlich, Sir«, meinte Bactexter, »und die Adresse?«

Der Herzog, der bereits die Türklinke in der Hand hielt, drehte sich kurz um: »Richtig, die Adresse brauchst du ja auch. Ich habe vergessen, mich danach zu erkundigen. Am besten, du fragst meine Großmutter selbst. Sie befindet sich zur Zeit im Hause meiner Tante Linham in der Brook Street.«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und ließ den armen Sekretär nun endgültig fassungslos zurück.

Der Herzog fühlte sich, zu seiner eigenen Überraschung, so beschwingt wie schon lange nicht mehr. Je intensiver er über die Idee seiner Großmutter nachdachte, desto anziehender erschien sie ihm. Seine Beweggründe unterschieden sich jedoch deutlich von denen Ihrer Ladyschaft.

Er bräuchte jemanden, der ihm widerspräche, hatte sie gemeint. Das war natürlich Unsinn. Auch wollte er niemanden, dem es gelang, seine kühle Arroganz zu durchbrechen, wie sie es genannt hatte. Wenn sie wüßte, wie lange er gebraucht hatte, um sich dieses Flair zuzulegen, das ihm Schutz bot und gleichzeitig seinen Wünschen Tür und Tor öffnete. Nein, daß ihm seine zukünftige Frau lästig fallen könnte, das würde er, weiß Gott, zu verhindern wissen. Überhaupt, er war gar nicht geneigt, sich zu viele Gedanken um seine unbekannte Braut zu machen. Wichtig waren allein die Folgen, die diese Vermählung, ja bereits die offizielle Verlobungsanzeige in der Gazette, zeitigen würden. Was wird das für einen Aufruhr geben! dachte er amüsiert. Der reiche Wellbrooks, einer der wenigen Herzöge, die zur Zeit im heiratsfähigen Alter waren, vermählt sich mit einem unbekannten Landmädchen. Ja, diese Aufregung würde wirklich eine willkommene Abwechslung im gewohnten Alltag bilden. Das Wichtigste aber war: Er war frei! Er war verlobt und dadurch frei. Ein absurder Gedanke. Aber er stimmte. Er würde sich mit einem Male wieder ungezwungen auf Bällen bewegen können, im Club würde kein Vater mehr von seiner Tochter zu schwärmen beginnen, wenn er in Ruhe die Zeitung lesen oder am Spieltisch sitzen wollte. Es war überwältigend.

III.

Der Anblick von Miss Olivia Redbridge, die in flottem Tempo ihr Gig selbst in Richtung Bath kutschierte, sorgte schon lange nicht mehr für Aufsehen. Früher hatten zwar viele gemeint, es schicke sich nicht für ein junges Mädchen ohne Anstandsdame, ja sogar ohne Groom, durch die Gegend zu fahren. Doch da war Olivia noch keine zwanzig gewesen. Inzwischen war sie jedoch dreiundzwanzig Jahre alt und die anerkannte Herrin von Redbridge Manor, so hatte man sich an diesen Anblick gewöhnt. Ungewöhnlich war vielleicht, daß sie seit kurzem ein Paar hübscher Brauner lenkte, die ein anderes Tempo anzuschlagen vermochten als der alte Gaul, mit dem sie bisher ihre Ausfahrten unternommen hatte.

Aber es war überhaupt vieles anders geworden auf Redbridge Manor, seit sich Seine Lordschaft vor vierzehn Tagen ganz überraschend wieder verheiratet hatte. Die neue Lady war eine höchst elegante Dame aus der Stadt und hatte allgemein großes Aufsehen erregt. Man stand ihr anfangs reserviert gegenüber. Schließlich hatten alle Miss Olivia ins Herz geschlossen. Und daß diese nun das Zepter abgeben mußte, das sie sechs Jahre lang mit Bravour geschwungen hatte, konnte sich kaum jemand vorstellen. Darum wollte man zuerst Olivias Reaktion abwarten, bevor man entschied, ob die neue Herrin in der Gegend willkommen war.

Olivia wirkte gutgelaunt wie stets, wie sie dasaß, aufrecht und selbstbewußt. Ihre langen rotblonden Haare waren straff aus dem Gesicht gekämmt und von einem breiten Strohhut beinahe verdeckt. Das Kleid war adrett, wenn auch keineswegs modisch. Es war bis zum Hals hochgeschlossen und am Handgelenk enganliegend. Die Schuhe waren derb, praktisch für Spaziergänge über Wiesen und auf morastigen Feldwegen.

Sie winkte den Bauern auf den Feldern zu, die ihre Arbeit unterbrachen und grüßend ihre Hüte zogen. Neben ihr in einem Korb klapperten einige Gläser mit selbsteingekochter Marmelade, die sie Mrs. Cookridge zu bringen versprochen hatte.

Mrs. Cookridge war eine Freundin ihrer Mutter gewesen. Sie war Olivia in der Zeit nach deren Tod zur Seite gestanden und war auch jetzt noch gerne mit Rat und Tat zur Stelle, wenn Olivia mit ihren Sorgen zu ihr kam. Sie drängte sich jedoch niemals auf und besuchte Redbridge Manor nur auf ausdrückliche Einladung, die Olivia jedoch öfter aussprach.

Sie selbst hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Lady Cookridge jeden Donnerstag zum Tee zu besuchen. Trotz des Altersunterschiedes waren die beiden gute Freundinnen geworden, und es hatte sich auch die Ältere längst angewöhnt, Olivias Meinung vor wichtigen Entscheidungen einzuholen.

Olivia hielt ihr Gig vor dem Haus ihrer Freundin im Zentrum von Bath an und übergab die Zügel dem Diener, der wie jeden Donnerstag um dieselbe Zeit auf sie gewartet hatte. Es war dies das erste Mal nach der Hochzeit ihres Vaters, daß sie das Haus von Mrs. Cookridge betrat. Diese hatte die vergangenen acht Wochen bei ihrer ältesten Tochter in Yorkshire verbracht, um ihr bei der Geburt ihres ersten Kindes beizustehen.

»Meine Liebe, ich freue mich so, dich zu sehen. Wie geht es dir?« fragte Mrs. Cookridge zur Begrüßung. Sie blickte ihren Gast prüfend an, so als wollte sie feststellen, ob die überraschende Vermählung ihres Vaters äußerlich Spuren an Olivia hinterlassen hatte.

»Oh, mir geht es gut, danke«, antwortete Olivia leichthin, küßte ihre Freundin auf beide Wangen und überreichte ihr den Korb mit den Marmeladengläsern.

»Wie nett, daß du daran gedacht hast«, freute sich Mrs. Cookridge. »Deine Marmelade ist wirklich einzigartig. Ich habe noch keine gekostet, die ihr gleichkäme.«

Olivia reichte dem Butler ihren Hut und die Handschuhe.

»Nun erzähle«, forderte sie ihre Freundin auf, »wie geht es deiner Tochter und dem Kleinen?«

»Danke. Emily geht es gut. Zum Glück war es keine schwere Geburt.« Sie schritt in den Salon voran, wo der Tee in einer schweren Silberkanne bereitstand. »Das Baby ist ein hübscher kleiner Kerl. Den Kopf voll dunkler Haare. Sie wollen ihn Alexander nennen, nach seinem Großvater«, erklärte sie stolz und reichte Olivia eine Tasse. »Doch nun zu dir. Ich gestehe, ich konnte es kaum glauben, als ich es erfuhr. Dein Vater hat wieder geheiratet? Lady Sudbury? Du hast mein aufrichtiges Mitgefühl, meine Liebe. Wie ist denn das alles gekommen?«

»Oh, dein Mitgefühl ist verschwendet!« rief Olivia fröhlich. Das setzte ihre Gastgeberin in Erstaunen: »Aber es muß doch schrecklich für dich sein, daß du nun eine fremde Frau Mutter nennen mußt.«

»Ich nenne sie nicht Mutter«, antwortete Olivia mit vor Schalk blitzenden Augen, »ich sage Marilla zu ihr.«

»So sei doch nicht so aufreizend«, forderte die Ältere streng, »du weißt genau, was ich meine. Also bitte, mache jetzt keine Späße und erzähle mir alles der Reihe nach!«

Olivia trank einen kleinen Schluck Tee und schickte sich in das Unvermeidliche: »Also, etwa vor einem halben Jahr lernte Papa Lady Sudbury kennen. Du kannst dich doch noch daran erinnern, daß er, wie jedes Jahr im Oktober, bei Lord Hamsham zur Fasanenjagd eingeladen war. Dieses Jahr weilte auch dessen verwitwete Cousine unter den Gästen. Marilla Sudbury. Du kennst sie doch, nicht wahr?«

»Ja, ich bin ihr in London einige Male begegnet«, erwiderte Mrs. Cookridge. »Aber ich gehöre nicht zu ihrem Bekanntenkreis. Eine hübsche Frau, soweit ich das in Erinnerung habe. Immer nach der neuesten Mode gekleidet.«

Die letzte Bemerkung war etwas abfällig geäußert, was nach einem Blick auf Mrs. Cookridges hagere Gestalt, die in ihrem dezenten dunklen Kleid gar nicht modisch wirkte, nicht verwunderte. Sie legte keinen Wert auf eine elegante Erscheinung, betonte oftmals, daß es Wichtigeres gab als ein aufgeputztes Äußeres, und hatte deshalb auch an Olivias uneleganter Aufmachung nie Anstoß genommen.

»Ja, das ist richtig«, nahm Olivia den Faden wieder auf. »Sie ist eine ausnehmend gutaussehende Dame. Obwohl sie schon Ende vierzig sein muß, denn sie hat einen erwachsenen Sohn, ist kaum eine weiße Strähne in ihrem Haar zu entdecken. Sie kleidet sich außerordentlich geschmackvoll und hat ein so feines, liebenswertes Wesen, daß es kein Wunder ist, daß sich Papa Hals über Kopf in sie verliebte.«

»Aber das klingt ja höchst erfreulich!« rief Mrs. Cookridge aus. Sie war darauf vorbereitet gewesen, ihre Freundin über die einschneidende Veränderung in ihrem Leben hinwegtrösten zu müssen. »Doch ich unterbreche dich. Fahr bitte fort. Er verliebte sich in sie, sagtest du?«

Olivia nickte: »Ja, so muß es wohl gewesen sein. Weißt du noch, wie verwundert ich war, daß Papa so verändert von diesem Jagdaufenthalt zurückkam? Er war nicht mehr so verschlossen wie früher. Vergrub sich nicht mehr den ganzen Tag in der Bibliothek, sondern ging seinen Pflichten auf dem Gut im verstärkten Maße nach. Na, und dann fuhr er öfter nach London. Das hatte er doch seit Mamas Tod kaum noch getan. Ich war natürlich weit davon entfernt zu ahnen, daß hinter all den Veränderungen eine Frau stecken würde. So fiel ich aus allen Wolken, als er vor zwei Monaten, du warst gerade nach Yorkshire abgefahren, erklärte, daß er sich zu verehelichen gedenke. Die Kinder waren natürlich ganz aufgeregt. Keiner von uns konnte sich vorstellen, daß wir nun eine Stiefmutter bekommen sollten. Und der Gedanke, daß Redbridge Manor künftig eine neue Herrin haben würde, daß ich mich wieder unterzuordnen hätte, wie es sich für eine unverheiratete Tochter geziemt, das hat mir anfangs schlaflose Nächte bereitet.«

Sie hielt kurz inne, und ihre Freundin nickte verstehend.

»Am nächsten Nachmittag war es dann soweit: Lady Sudbury sollte zu Besuch kommen. Wir warteten aufgeregt im Salon. Die Kinder hatten ihre besten Kleider angezogen. Mit verstörten, widerwilligen Gesichtern saßen sie in der Runde. Sophia schmollte, und nur ein Machtwort unseres Vaters konnte sie dazu bewegen, diesen Nachmittag nicht auf ihrem Zimmer zu verbringen. Wirklich kein gutes Vorzeichen für die erste Visite der neuen Hausherrin.«

Olivia lachte, als sie sich an diesen Nachmittag erinnerte: »Warum es dann ganz anders kam, kann ich dir beim besten Willen nicht erklären. Marilla hat alle Herzen im Sturm erobert. Vielleicht gelang es ihr, weil wir eine ältere Dame erwartet hatten. Strenger vielleicht. Die sofort versuchen würde, die Erziehung der Kinder an sich zu reißen … Ich weiß es nicht. Marilla hingegen wirkte so jugendlich und zerbrechlich. Gleichzeitig war sie so temperamentvoll und fröhlich. Vater hat wirklich die richtige Wahl getroffen. Sogar unsere Dienerschaft akzeptiert und liebt die neue Herrin. Auch jene, die bereits bei uns waren, als Mama noch lebte. Das mußt du dir vorstellen!«

Sie nahm einen weiteren Schluck aus der Tasse und fuhr fort: »Von diesem Tag an kam sie oft zu uns. Sie freundete sich mit allen Hausbewohnern an. Sie ließ sich von Mrs. Skipton das ganze Haus zeigen, lobte ihre Kochkunst und fragte sie nach einzelnen Rezepten. Sie spielte mit den Kleinen und schmökerte mit Sophia in einigen Ausgaben von La belle Assemblé, die sie aus London mitgebracht hatte. Nach kurzer Zeit konnten wir uns gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne sie gewesen war. Die Hochzeit vor vierzehn Tagen wurde im kleinen Kreise in der alten Kapelle gefeiert. Mein Bruder Gregory war aus Oxford gekommen. Lord Hamsham war der einzige Verwandte, den Marilla eingeladen hatte. Sie ist noch in Trauer um ihre Mutter, mußt du wissen. Das ist auch der Grund, warum die Trauung in aller Stille gefeiert wurde. Im Juni, wenn das Trauerjahr vorüber ist, soll die Eheschließung offiziell bekanntgegeben werden. So lange wollten die beiden mit der Heirat nicht warten. Das kann ich gut verstehen, denn Marilla konnte nicht im Hause eines verwitweten Mannes übernachten, ohne daß es Gerede gegeben hätte. Und die weite Anreise für ihre Besuche und die Aufenthalte in den Gasthöfen waren auf die Dauer doch zu beschwerlich. Die Hochzeit war ein schönes Fest. Wir haben viel gelacht, und es gab keinen, der Marilla nicht in sein Herz geschlossen hätte.«

»Und ihre Söhne?« wollte Mrs. Cookridge wissen. »Waren die nicht eingeladen?«

»Söhne?« wiederholte Olivia erstaunt. »Soviel ich weiß, hat sie nur einen Sohn, Harry. Er ist zur Zeit als Offizier in Belgien stationiert und konnte keinen Urlaub bekommen.«

Mrs. Cookridge dachte angestrengt nach: »Ich kann mich natürlich irren«, sagte sie schließlich. »Soweit ich mich erinnere, gab es da noch einen zweiten Sohn. Möglich aber auch, daß ich da zwei Familien verwechsle.«

Sie blickte Olivia offen ins Gesicht: »Was du mir erzählt hast, klingt alles sehr schön. Aber so erfreulich diese Heirat auch sein mag, für dich ist sie doch eine Katastrophe. Oder denkst du etwa, daß dich die neue Lady Redbridge auf dem Gut weiter frei schalten und walten läßt?«

Olivia lachte etwas wehmütig: »Nein, das ganz gewiß nicht. Sie ist es gewöhnt, ein viel größeres Haus zu führen, als es das unsere ist. Und sie hat bereits begonnen, die Zügel in die Hand zu nehmen. Es hat sich schon so manches verändert, allerdings nicht zum Nachteil. Jetzt, da die finanziellen Mittel vorhanden sind …«

»Ja, Sudbury war immens reich«, unterbrach sie Mrs. Cookridge. »Er hat also seine Witwe wohlversorgt zurückgelassen?«

»Ja, ganz sicher. Ich weiß zwar nicht, wie groß Marillas Vermögen ist, nehme jedoch an, es ist beträchtlich: Für unser Gut ist das natürlich ein Segen. Zumal sich Papa, nach anfänglichem Sträuben, bereit erklärt hat, Marilla für die längst fälligen Reparaturen und Modernisierungen aufkommen zu lassen. Auch die beiden Pferde vor meinem Gig sind aus ihrem Stall. Und für die Kinder ist es auch wunderbar: John kann nun doch nach Oxford gehen, und für die Mädchen wird eine ordentliche Gouvernante bestellt. Du weißt, dafür waren nie genügend Mittel vorhanden.«

»Ja, aber du! Was wirst du tun?« wollte Mrs. Cookridge wissen.