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Der sechste Band bringt ein Wiedersehen mit allen liebgewonnenen Mitgliedern der Familie Barnett. Bertram, der achte Viscount Panswick, kehrt nach sieben Jahren in Preußen nach England zurück, um die Verwaltung von Lancroft Abbey zu übernehmen. Da er bisher kein Glück in der Liebe hatte, bittet er seine Angehörigen ihm passend Bräute vorzustellen. Diese dürfen auf keinen Fall seinen Verflossenen ähneln, weder eine Herzogstochter sein, noch blonde Locken und vergissmeinnichtblaue Augen haben. Eliza, die als Dreizehnjährige ihren Vater und Bertram zum Wiener Kongress begleitet hatte, ist seit sieben Jahren heimlich in den Viscount verliebt. Da sie eine Herzogstochter, blond und blauäugig ist, denkt niemand daran, sie als perfekte Braut ins Rennen zu schicken. Also muss sie selbst tätig werden. Die beiden kommen sich näher, auch wenn gewisse Umstände Eliza dazu verleiten, Bertram vorzugaukeln, sie sei verlobt. Bis eines Tages der erfundene Verlobte auftaucht …
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Seitenzahl: 564
Kurzbeschreibung:
Der sechste Band bringt ein Wiedersehen mit allen liebgewonnenen Mitgliedern der Familie Barnett.
Bertram, der achte Viscount Panswick, kehrt nach sieben Jahren in Preußen nach England zurück, um die Verwaltung von Lancroft Abbey zu übernehmen. Da er bisher kein Glück in der Liebe hatte, bittet er seine Angehörigen ihm passende Bräute vorzustellen. Diese dürfen auf keinen Fall seinen Verflossenen ähneln, weder eine Herzogstochter sein, noch blonde Locken und vergissmeinnichtblaue Augen haben.
Eliza, die als Dreizehnjährige ihren Vater und Bertram zum Wiener Kongress begleitet hatte, ist seit sieben Jahren heimlich in den Viscount verliebt. Da sie eine Herzogstochter, blond und blauäugig ist, denkt niemand daran, sie als perfekte Braut ins Rennen zu schicken. Also muss sie selbst tätig werden. Die beiden kommen sich näher, auch wenn gewisse Umstände Eliza dazu verleiten, Bertram vorzugaukeln, sie sei verlobt. Bis eines Tages der erfundene Verlobte auftaucht …
Sophia Farago
Die perfekte Braut
Lancroft Abbey Reihe Band 6
Roman
Edel Elements
Edel Elements
Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2020 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg
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Copyright © 2020 by Sophia Farago
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Agency GmbH, München.
Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München
Lektorat: Dr. Rainer Schöttle
Korrektorat: Tatjana Weichel
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-96215-3-717
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Natürlich kannst du die Lancroft-Abbey-Reihe auch mit diesem Roman beginnen. „Die perfekte Braut“ ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Doch ich denke, sie macht dir noch mehr Spaß, wenn du die Familienmitglieder bereits kennst und sie hier zum großen Finale wiedertriffst.
Eine Liste der wichtigsten Personen und Begriffe findest du im Anhang.
Dieses Buch widme ich in fröhlicher Erinnerung meiner Mutter. Hätte ich ihr mit vierzehn nicht ein Buch von Georgette Heyer aus der Hand nehmen und vorlesen dürfen, weil ich mich eigentlich darüber lustig machen wollte, wäre ich wohl nie dem Regency-Fieber verfallen.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Die Familie Barnett im Jahr 1822
Andere wichtige Personen im 6. Band der Lancroft Abbey Reihe
Fachbegriffe (nicht nur) aus der Welt der Regency Zeit
Für meine lieben Leserinnen und Leser, die die Familie Barnett noch nicht kennen:
Als George Barnett, der siebte Viscount Panswick im Jahre 1810 an einem heimtückischen Fieber verstarb, hinterließ er seine tatkräftige Witwe Louise, fünf Kinder, den Landsitz Lancroft Abbey in Kent und einen Berg von Schulden.
Nach dem Trauerjahr fasste die Viscountess einen riskanten Heiratsplan: Ihre zweitälteste, weil in ihren Augen schönste Tochter Penelope sollte, ausgestattet mit dem letzten Geld, eine Saison in London verbringen, um dort den reichen Ehemann zu finden, der bereit wäre, Familie und Landsitz vor dem finanziellen Ruin zu retten. Leider verliebte sich Penelope in einen vollkommen unpassenden Gentleman. Als aber schließlich die älteste Tochter Frederica den reichen Earl of Derryhill heiratete, waren die finanziellen Sorgen vergessen, Penelope konnte sich weiter um die geliebten Schafe kümmern, brauchte keine Verlobung wider Willen einzugehen und das Leben bewies anschaulich, dass sich so mancher Unpassende bei näherem Hinsehen durchaus als der Richtige entpuppen konnte. Die dritte Barnett–Schwester Vivian, die stürmische Braut, fand in London nicht nur einen Ehemann, sondern auch die verschwundene Cousine Agatha wieder, die schließlich Bertram, den jungen Viscount Panswick, dessen Dienstherrn, den Duke of Landmark, und seine dreizehnjährige Tochter Lizzy nach Österreich begleitete. Während Agatha und der Duke Küsse am Wiener Kongress tauschten, hatte Bertram Pech in der Liebe und trat in Preußen in den diplomatischen Dienst. Inzwischen wurde sein Bruder Nicolas, der Jüngste der Geschwister Barnett, aus einem Dandy in Nöten ein erfolgreicher Kauf- und glücklicher Ehemann. Nun wird es auch für Bertram Zeit, nach Hause zurückzukehren, um seine Pflichten als Erbe zu übernehmen und sich eine perfekte Braut zu suchen.
Februar 1822
Lancroft Abbey, Kent
So hatte sich Bertram Barnett, der junge Viscount Panswick, seine Rückkehr nach Lancroft Abbey wahrlich nicht vorgestellt. Sieben lange Jahre hatte er nun als Diplomat auf dem Kontinent verbracht, und sein straffer Terminplan hatte ihm in all der Zeit keinen einzigen Besuch in der Heimat gestattet. War es da vermessen gewesen, anzunehmen, dass ihn seine Familie gebührend empfangen würde? Dass ihn seine drei Schwestern Frederica, Penelope und Vivian umschwirren und mit Fragen löchern würden und seine drei Schwager bereitstünden, um ihm in männlicher Herzlichkeit auf den Rücken zu klopfen? Ja, er hatte es nicht einmal für ausgeschlossen gehalten, dass sich seine gestrenge Mama, überwältigt von Rührung und Dankbarkeit über seine gesunde Heimkehr, dazu herablassen könnte, ihn kurz in die Arme zu ziehen. Doch nun empfing ihn nichts als ein gottverlassener Vorplatz, über den der eisige Wind verdorrte, braune Blätter wirbelte.
Es hatte wieder leicht zu schneien begonnen. Die gefrorenen Flocken kamen hart von der Seite und schmerzten auf seinen ohnehin schon kalten Wangen. Panswick zog den Kragen seines tannengrünen Reisemantels unter dem Kinn noch etwas enger zusammen. Warum erschien Shipton nicht, der alte Butler, um ihm einladend die Tür aufzuhalten und ihn in seinem Haus willkommen zu heißen? Er musste doch das Einfahren der Kutsche gehört haben. So ein Klappern der Räder auf dem unebenen Pflaster drang doch für gewöhnlich auch in die hintersten Räume. Er beugte sich in das Innere des Wagens, um seinen Reithut von der Bank zu fischen, auf die dunklen Locken zu stülpen und dort festzudrücken.
„William!“, brüllte er in Richtung der Stallungen. Warum tauchte denn nicht einmal ein Pferdeknecht auf, um die Rösser ins Trockene zu bringen? Man hatte ihm in der Poststation von Wadhurst ein Paar recht gute Renner angeschirrt, die nun dampfend und unruhig mit den Hufen scharrten und dringend abgerieben werden mussten.
„William! Warum kommt denn da keiner?“, rief Bertram noch einmal, so laut er nur konnte. Mit Verbitterung stellte er fest, dass der Wind seine Worte forttrug.
Also machte er kehrt, ging zum Hauseingang hinüber und ließ den Türklopfer aus Messing mehrmals so heftig gegen das Türblatt donnern, dass man es im Inneren unmöglich überhören konnte. Dennoch rührte sich nichts. Wenn nicht Rauch aus einzelnen Kaminen aufgestiegen wäre, hätte er annehmen müssen, dass nicht nur er es gewesen war, der Lancroft Abbey vor langer Zeit verlassen hatte, sondern dass das Anwesen gänzlich verwaist war. Der Rauch jedoch zeugt davon, dass es Feuer in Kaminen gibt, dachte er, um sich selbst zuversichtlicher zu stimmen. Wo es Feuer in Kaminen gab, da gab es für gewöhnlich auch Menschen. Er trat einige Schritte vom Haus weg, um die Fenster im ersten Stock zu inspizieren. Seine Mutter hätte doch schon längst vom Schreibtisch aufstehen müssen, wo sie für gewöhnlich saß, um eines der vielen Bücher der Guts- oder Hausverwaltung zu kontrollieren. Wenn sie ihm schon nicht freudestrahlend entgegenkam, warum war sie dann nicht zumindest an eine der Scheiben getreten und hatte den Vorhang einen Spaltbreit zur Seite geschoben, um nachzusehen, wem die Kutsche gehörte und wer da vor dem Haus so unelegant herumschrie? Doch die Gardinen bewegten sich nicht.
Der Viscount spürte nun, neben seiner Verbitterung, auch die Enttäuschung eines kleinen Kindes, für das man am Weihnachtsabend vergessen hatte, ein Geschenk zu besorgen. In jenen langen Stunden an Bord des Schiffes, das ihn in die Heimat zurückgebracht hatte, als die Wellen gegen den Rumpf peitschten und der Wind so laut tobte, dass man sein eigenes Wort kaum verstand, da hatte er in seiner Koje gelegen und sich die Szene seiner Heimkehr in den buntesten Farben ausgemalt. Während die Öllampe mit knarzenden Geräuschen beängstigend hin- und hergeschwungen war, hatte er sich ausgemalt, wie es sein würde, wieder im gemütlichen Wohnzimmer von Lancroft Abbey zu sitzen und unter einem der ausladenden Gobelins der staunenden Zuhörerschar von seinen Erlebnissen auf dem Kontinent zu berichten. Alle hätten sich gefreut, dass er wieder gesund und munter unter ihnen war und sich nun seinen Pflichten als Gutsherr und Erbe stellen wollte. Bertram schnaufte unwillig. Das war ja ein großartiger Anfang seiner Laufbahn als Hausherr, wenn es niemand für notwendig hielt, ihm auch nur die Tür zu öffnen. Ja, mehr noch, wenn man ihn einfach auf dem kalten Vorplatz stehen und frieren ließ, als wäre er ein ungebetener Wanderarbeiter.
„William!“, brüllte er ein weiteres Mal und schlug die Arme vor dem Körper zusammen, als könnte er damit die Kälte vertreiben. Wo blieb der Bursche bloß? Wo war der Butler? Warum hörten ihn seine Familienmitglieder nicht? Er hatte sein Kommen doch angekündigt! In jenem Brief, in dem er sie auch gebeten hatte …
„William haben wir hier keinen mehr. Der ist letztes Jahr nach Tunbridge gezogen. Wegen irgendeiner Tante oder Cousine, so genau weiß ich das auch nicht.“
Bertram fuhr herum und sah einen Burschen aus Richtung der Stallungen auf sich zukommen, der sich die Hände an einer klobigen, braunen Schürze abwischte. Er schien es nicht eilig zu haben, sich nach seinen Wünschen zu erkundigen. Diesen jungen Stallknecht hatte er noch nie gesehen.
„Mit Verlaub, ich halte es für keine gute Idee, die Pferde einfach so in der Kälte herumstehen zu lassen, Sir“, hörte er ihn sagen. „Das bekommt ihnen nicht.“
„Großartiger Ratschlag“, entfuhr es Bertram, der sonst eher nicht zu Sarkasmus neigte. „Vielleicht hätte er die Güte, sich um die Rösser zu kümmern, statt hier kluge Reden zu halten? Sie müssen nach Wadhurst zurückgebracht werden. Doch ich denke, dafür ist morgen auch noch Zeit.“
„Und ich denke, das können Sie gleich selbst erledigen, Sir“, meinte der Bursche und klopfte einem der Tiere aufmunternd auf den Hals. „Wir empfangen nämlich nicht.“
„So, tun wir das nicht?“ Bertram verspürte zunehmend Gefallen an sarkastischen Kommentaren.
Der Stallbursche schüttelte den Kopf. „Nein. Die alte …“ Ein strenges Heben zweier Augenbrauen ließ ihm eine Korrektur empfehlenswert erscheinen. „Ich wollte sagen, die verwitwete Viscountess Panswick ist nicht im Haus. Und unser Herr, der nämlich der Viscount Panswick ist, wird erst in ein oder zwei Tagen zurückerwartet. Wenn Sie also bis dahin mit einem Gasthaus vorliebnehmen wollen, Sir? Oder vielleicht doch besser gleich nach Wadhurst zurück…“
„Wo ist Shipton?“, unterbrach ihn Bertram.
„Mr Shipton“, antwortete der Bursche und legte die Betonung seiner Worte auf Mister, so als stünde es ihm zu, den ungebetenen Gast in die Schranken zu weisen, „hat sich zwei Tage freigenommen, Sir. Seine Nichte heiratet nämlich heute unten in Rotherfield. Er kommt am Abend zurück, rechtzeitig, um alles für unseren … Ah, guten Tag, Mylady. Ich wusste nicht, dass Sie im Haus sind, denn ich habe gar kein Pferd gesehen. Kann ich etwas für Sie tun?“
Auf diese Worte konnte sich Bertram zuerst keinen Reim machen, doch dann folgte er dem schwärmerischen Blick des Burschen zum Haus zurück. Überraschung wäre eine äußerst untertriebene Bezeichnung für das Gefühl gewesen, das ihn dabei ergriff. Entgeisterung traf es wohl eher. In der offenen Tür stand das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie war zierlich und klein. Unter dem Husarenmantel aus blaugrauem Samt lugte ein Tageskleid hervor, das Blumen im selben Farbton aufwies. Die Farbe ihrer hochmodischen Kleidung verstärkte das strahlende Blau ihrer Augen. In der Hand hielt sie, neben einem Paar kalbslederner Handschuhe, auch einen hohen Reithut. Ihre blonden Haare mochten wohl einmal fein säuberlich aufgesteckt gewesen sein, doch jetzt hatten sich einige Locken selbstständig gemacht und ringelten sich an den Schläfen. Als die entzückende junge Dame ihn sah, röteten sich ihre Wangen und mit einem jubelnden Aufschrei stürzte sie sich auf ihn. Er war so verdutzt, dass er, ohne nachzudenken, die Arme öffnete, um sie zu umfangen. Während sein Herz wie verrückt klopfte, fragte er sich bitter, welcher seiner Verwandten ihm einen derart bösen Streich spielen mochte.
Vier Wochen vorher
Januar 1822
Hillcroft Place, in der Nachbarschaft von Lancroft Abbey, Kent
„Mein lieber Freund, hören Sie gut zu, jetzt wird es interessant …“
Bevor Bertrams Mutter, die verwitwete Viscountess Panswick, den letzten Absatz des Briefes ihres Sohnes vorlesen konnte, nahm sie zuerst den Zwicker von der Nase, um ihn mit einem Taschentuch aus feinem Batist zu reinigen, das sie aus der eingenähten Tasche ihres flaschengrünen Tageskleids gezogen hatte. Zum einen galt es, Fingerabdrücke zu entfernen, die das Lesen erschwerten, zum anderen beabsichtigte sie damit, die Dramatik ihres Vortrags noch weiter zu steigern.
„Also, ich fand bereits Panswicks Schilderungen über die Zustände in Preußen durchaus interessant“, meinte ihr Gegenüber, Baron Glanshowe, und klopfte mit seiner emaillierten Schnupftabakdose dreimal auf die Platte des kleinen Tischchens neben seiner Armlehne. Dann öffnete er die Dose routiniert mit dem linken Daumennagel und entnahm ihr eine Prise, die er geräuschvoll in eines seiner Nasenlöcher zog. „Ich bedaure es immer noch, dass er nicht bereits im letzten Jahr Lancroft Abbey einen Besuch abgestattet hat, wie er dies ursprünglich geplant hatte. Ich hätte den jungen Spund herzlich gern hierher eingeladen, um ihm ins Gewissen zu reden. Wie lange will er Sie denn noch so über Gebühr belasten, meine Teure? Es ist doch unerträglich, dass er keine seiner Pflichten wahrnimmt und sich …“
Ein strenger Blick ließ ihn den Satz nicht vollenden. Stattdessen murmelte er ein begütigendes: „Ich weiß. Ich bin ja schon still, meine Liebe.“
Er tätschelte ihre Hand und freute sich, dass sie ihn gewähren ließ. Nach dem Tod seiner Gattin vor einigen Monaten waren die Besuche von Lady Panswick der einzige Lichtblick in seinem Leben. Sie zu erzürnen war daher das Letzte, was er im Sinn hatte. Außerdem hatten sie diese Unterhaltung über ihren Sohn schon mehrmals geführt, und immer wieder hatte die Viscountess darauf bestanden, dass es ihre eigene Entscheidung gewesen war, ihrem Ältesten die diplomatische Laufbahn zu ermöglichen. Und dass sie es nicht schätzte, wenn man diese in Zweifel zog.
„Vor sieben Jahren war er noch zu jung und zu unerfahren, um Lancroft Abbey zu leiten“, fühlte sie sich zu einer Erklärung veranlasst. „Seine Unruhe und sein Entdeckergeist mussten erst befriedigt, sein Urteilsvermögen gestärkt werden, bevor er hier Verantwortung übernehmen konnte.“
Das hatte sie Glanshowe bereits mehrmals erklärt. Obwohl er sie vor sieben Jahren, als Panswick die Insel in Richtung Kontinent verließ, noch gar nicht gekannt hatte, durchschaute er sie in der Zwischenzeit gut genug, um zu wissen, dass auch sie damals noch nicht bereit gewesen war, die Zügel aus der Hand zu geben. Er hoffte inständig, dass dies mittlerweile der Fall sein würde, und tätschelte abermals liebevoll ihre Hand. „Ich wünsche mir nur, dass Sie künftig mehr Zeit für mich haben, das ist alles, meine Teuerste. Sie wissen, ich würde Sie am liebsten den ganzen Tag um mich haben.“
Bei diesen Worten schlich sich ein zartes Rot über Lady Panswicks Wangen. Wäre eines ihrer Kinder anwesend gewesen, ihm wären wohl vor Erstaunen die Augen aus den Höhlen gefallen.
Vom Erröten abgesehen, hätte ein unbeteiligter Beobachter die Gesprächspartner für Geschwister halten können. Beide waren weißhaarig, was der Tatsache entsprach, dass sie längst in der zweiten Hälfte ihres Lebens standen. Sie waren groß und hager und dem Landleben entsprechend praktisch gekleidet. Der Leinenrock seiner Lordschaft war, ebenso wie die altmodischen Kniebundhosen, ganz in Schwarz gehalten, was ihn deutlich als Witwer auswies. Seit Kurzem trug er jedoch die Weste in einem satten Violettton, als Zeichen dafür, dass der Tod seiner Gattin nun schon länger als ein halbes Jahr zurücklag und er die strenge Trauerzeit als beendet betrachtete.
Das Ehepaar Glanshowe war, begleitet von der Schwester der Baronin, vor wenigen Jahren in die Nachbarschaft von Lancroft Abbey gezogen. Die Viscountess hatte einen Anstandsbesuch absolviert und war, wie die selige Baronin es in dem ihr eigenen Humor auszudrücken pflegte, „fortan quasi auf Hillcroft eingezogen“. Da sich die vier auf Anhieb gut verstanden hatten, traf man sich regelmäßig zum Tee, spielte Karten und diskutierte über König, Gott und die Welt. Als die beiden Schwestern im letzten Jahr an einer schweren Influenza erkrankten, war die Viscountess aufopfernd an ihrer Seite. Als sie starben, organisierte sie die Beerdigungen und unterstützte den einsamen Witwer fortan in allen Belangen der Haushaltsführung. Vor allem aber leistete sie ihm Gesellschaft. Da ihnen die Spielpartner fehlten, hatten sie die Karten längst mit dem Schachbrett vertauscht, und da es ohnehin vor allem sie beide gewesen waren, die die Gespräche am Laufen gehalten hatten, als sie noch zu viert waren, flossen die Unterhaltungen fast ebenso lebhaft dahin wie in der fröhlichen Zeit vor der Erkrankung der beiden Damen. Dass der Baron oft alte Geschichten aufwärmte, in denen seine verstorbene Gattin die Hauptrolle spielte, störte die Viscountess nicht, hatte sie in ihr doch selbst eine gute Freundin gefunden gehabt.
Hätte man Lady Panswick gefragt, in welcher Beziehung sie zum Baron stand, so hätte sie ernsthafte Probleme gehabt, dies zu definieren. Aber zum Glück war niemand da, der sie das fragte. Von ihren Kindern lebte allein ihre zweitälteste Tochter Penelope in der Nähe. Doch die war mit ihrer eigenen Familie, den Schafen, dem Mischen von Heilmitteln und ihren medizinischen Studien viel zu beschäftigt, als dass sie sich Gedanken über die Bekanntschaften ihrer Mutter gemacht hätte.
„Also, lieber Freund“, sagte ihre Ladyschaft nun, nachdem der Zwicker wieder an seinem Platz saß, „mein Sohn Panswick schreibt: Ich kann Mama nicht oft und nicht genug dafür danken, dass sie mir das Leben ermöglichte, das ich die letzten achtundzwanzig Lenze führen durfte, …“
„Hört, hört …“, murmelte seine Lordschaft, was ihm wieder einen tadelnden Blick einbrachte. Wenn es um eines ihrer Kinder ging, da duldete ihre Ladyschaft keine Kritik von außerhalb der Familie. Nicht einmal von ihm. Offensichtlich wusste sie nicht, ob er diese Worte anerkennend oder ironisch gemeint hatte. Er wusste es ja selbst nicht.
„Doch damit ist in Kürze Schluss“, las die Viscountess weiter. „Ich habe für den 18. Februar die Passage auf einem Schiff gebucht, das mich nach Dover bringen wird, wo ich drei Nächte bei meinem Bruder Nicolas zu verbringen gedenke, um seine mir ja leider noch unbekannte Gattin Claire und ihre Familie kennenzulernen. Wahrscheinlich am 23., spätestens jedoch am 24. Februar werde ich auf Lancroft Abbey eintreffen und kann es gar nicht erwarten, Euch alle nach so langer Zeit wieder in die Arme zu schließen. Zu diesem Zeitpunkt werde ich bereits den diplomatischen Dienst quittiert haben und auf Lancroft Abbey all meine Aufgaben aus den kundigen Händen von Mama übernehmen. Um diese Pflichten jedoch bestmöglich zu meistern …“ Die Viscountess unterbrach sich und sah kurz zu ihrem Gastgeber hinüber, um ihm zu signalisieren, dass nun etwas besonders Bemerkenswertes folgen würde. „Jetzt kommt es“, fügte sie zur Sicherheit auch noch hinzu. „… brauche ich eine passende Gattin an meiner Seite.“
Daran fand seine Lordschaft nichts Ungewöhnliches. Lady Panswick nippte an ihrem Tee, bevor sie fortfuhr: „So schwer es mir auch fällt, dies zuzugeben, so hat die Vergangenheit gezeigt, dass ich meinem Urteil bei der Partnerwahl nicht trauen kann. Ihr kennt mich so gut wie niemand anderes. Wahrscheinlich kennt Ihr mich besser, als ich mich selbst kenne. Und, was in diesem Zusammenhang fast noch wichtiger ist, Ihr kennt und liebt Lancroft Abbey. Niemand weiß so gut wie Ihr, welche Eigenschaften und Talente die zukünftige Viscountess mitbringen muss, um mit mir gemeinsam die Zukunft unserer geliebten Heimat abzusichern.“
Die Viscountess hielt kurz inne, nahm den Zwicker ab und massierte die roten Druckstellen auf der Nase. Dabei sah sie erwartungsvoll zu ihrem Gastgeber hinüber.
„Das klingt doch sehr vernünftig“, meinte dieser und ließ abermals die Schnupftabakdose aufschnappen. „Die Ehe zwischen meiner Frau und mir kam durch einen Pakt zwischen ihrem Vater und meinen Vormund zustande – und sieh uns an! Wir waren mehr als fünfunddreißig Jahre verheiratet und sind, wie Sie wohl selbst bemerkt haben, meine Liebe, gut miteinander ausgekommen. Bittet Sie Ihr Sohn, ihm eine passende Braut zu suchen?“
Wieder nahm er eine kräftige Prise und schnäuzte sich dann ausgiebig.
„Nicht nur mich“, informierte ihn die Viscountess und griff wieder zum Zwicker, „uns alle. Hören Sie nur …“ Sie las weiter: „Überlegt Euch bitte, welche junge Dame als perfekte Braut zu mir passen könnte. Trefft Eure Wahl und bringt die junge Dame bereits im Februar nach Lancroft Abbey mit, wenn wir alle unser Wiedersehen feiern. Eure Zustimmung vorausgesetzt, möchte ich gern zwei oder besser drei Wochen mit Euch allen und den jungen Damen verbringen. So kann ich die Mädchen näher kennenlernen und in Ruhe meine Auswahl treffen. Außerdem habe ich Euch, meine liebe Familie, an der Seite, wenn ich mich wieder an das Leben in der Heimat gewöhne. Ihr ahnt nicht, wie oft und innig ich Euch alle vermisst habe.“
Die Viscountess griff wieder zur Teetasse. Nie hätte sie zugegeben, dass sie bei diesen Worten schlucken musste. Also las sie schnell weiter: „Im Anschluss an diese Wochen wird es einen Frühlingsball geben. Ich hoffe, Mama, Du findest es nicht vermessen, dass ich Dich bitte, diesen vorzubereiten. Auf dem werde ich, wenn alles in meinem Sinne läuft, meine Verlobung bekannt geben. Ihr merkt, wie sehr ich Eurem Urteil vertraue, ich möchte die Auswahl der perfekten Braut allein Euch überlassen. Nun noch etwas besonders Wichtiges …“ Ihre Ladyschaft sah hoch und informierte den Baron, dass ihr Sohn es für nötig gehalten hatte, dieses Wort dreimal zu unterstreichen. „Aufgrund meiner schmerzhaften Erfahrungen in der Vergangenheit gibt es einige Einschränkungen, die ich Euch zu beachten bitte. Bei der Auserwählten darf es sich keinesfalls um die Tochter eines Herzogs handeln …“ Sie sah hoch. „Bertram hatte einst ein Tendre für … der Name tut nichts zur Sache. Sie war eine Herzogstochter. Es ging nicht gut aus“, murmelte sie, mehr zu sich selbst, als um den Baron zu informieren. „Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: … keinesfalls um die Tochter eines Herzogs handeln, da diese von Geburt an so sträflich verwöhnt werden, dass sie dem Landleben nichts abgewinnen können und sich stets, trotz etwaiger gegenteiliger Beteuerungen, nach den glänzenden Bällen und sonstigen gesellschaftlichen Vergnügungen der Hauptstadt sehnen. Die Braut darf weder klein und zierlich sein noch blond, und sie darf auf keinen Fall – diese Worte hat mein Sohn abermals mehrfach unterstrichen – vergissmeinnichtblaue Augen haben.“
Sie hielt abermals inne und ließ das Schreiben sinken. „Ich verstehe nicht, was die Farbe der Haare oder gar der Augen für eine Rolle spielen soll, aber das andere erscheint mir vernünftig“, lautete ihr Kommentar. „Es braucht Zähigkeit, Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen, wenn man dieser verantwortungsvollen Rolle gewachsen sein will. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Auch wenn unser neuer Verwalter recht tüchtig zu sein scheint, braucht der Viscount eine robuste Frau an seiner Seite. Eine, die sich nicht für Modefirlefanz interessiert und den ach so schönen Künsten hingibt, sondern die auch mal zupacken kann, wenn Not am Mann ist. Sie muss bereit sein zu lernen, wie man Dienstboten führt und sich Respekt durch Wissen, Umsicht, aber auch durch Gerechtigkeit erwirbt.“ Lady Panswick überlegte kurz, bevor sie fortfuhr: „Am besten wäre natürlich, sie brächte bereits gewisse Grundkenntnisse mit, aber das ist bei den jungen Damen heutzutage wahrscheinlich zu viel verlangt. Außerdem muss sie natürlich mit einem Gig kutschieren können und sich sicher im Sattel halten. Unsere Besitzungen sind weitläufig …“
„Ich denke …“, seine Lordschaft drehte nachdenklich die emaillierte Schnupftabakdose zwischen den Fingern, „da wüsste ich jemanden, den ich Ihnen empfehlen könnte.“
„… und es ist wichtig, dass sie regelmäßig bei den Pächtern vorbeischaut“, setzte die Viscountess, ganz in Gedanken, ihre Aufzählung fort. Dann hielt sie jedoch abrupt inne, denn seine Worte waren nun bis zu ihr durchgedrungen. „Tatsächlich? Wen meinen Sie, mein lieber Glanshowe? Kenne ich die junge Dame? Sie lebt doch nicht etwa hier in der Gegend?“
Der Baron schüttelte den Kopf. „Nein. Sie kommt aus dem Umkreis von Oxford, aus Kennington, um genau zu sein. Es handelt sich um meine Nichte Lucille. Sie ist nicht nur eine tüchtige junge Dame, sie ist auch aus erstklassigem Stall. Ihr Vater ist mein seltsamer Cousin Hayloft.“
Die Viscountess hatte sich vorgebeugt, höchst interessiert, Näheres über die junge Dame zu erfahren. Nun war sie für einen kurzen Augenblick abgelenkt. „Hayloft? Hayloft? Sie sprechen doch nicht etwa vom Earl?“
„Von eben diesem“, bestätigte ihr Gesprächspartner, und es klang nicht wirklich begeistert.
Ihre Ladyschaft hingegen hätte nicht begeisterter sein können.
„Ich wusste gar nicht, dass Sie mit einem Earl verwandt sind, mein Lieber. Ich kenne den derzeitigen zwar nicht persönlich, bin aber seinem Vater vor vielen Jahren einmal auf einem Jagdempfang begegnet. Das war so um 1805, als Panswick, also mein Mann, noch lebte. Damals war der Earl schon reichlich betagt, schien mir aber ein äußerst seriöser und angenehmer Gentleman zu sein, der besonders viel Wert auf Moral und Anstand legte, wenn ich mich richtig entsinne. Warum nennen Sie seinen Sohn seltsam?“
„Ihre Worte beschreiben meinen Onkel Hayloft recht gut, meine Liebe, ich bewundere Ihr Erinnerungsvermögen. Sie müssen wissen, dass mein armer Vater verstarb, als ich noch kurze Hosen trug, was den Earl für lange Zeit zu meinem Vormund machte.“ Er schwieg, seufzte und hob nachdenklich die Augenbrauen, ehe er fortfuhr: „Ich gebe es nur ungern zu, aber in all den Jahren beschlich mich stets das Gefühl, dass er mich seinem eigenen Sohn vorzog. Das war vielleicht insofern verständlich, da ich, im Gegensatz zu meinem Cousin Cedric, in Eton ein ebenso fleißiger Schüler war wie später ein lernbegeisterter Student in Oxford. Mir machte es nichts aus, mich an Onkels strenge Anweisungen zu halten, entsprachen sie doch im Großen und Ganzen meinen eigenen Überzeugungen und meinem ernsthaften Wesen. Cedric sah das ein wenig anders.“
„Ihr Cousin war also ein Versager und daher eine bittere Enttäuschung für den armen Earl?“, schloss ihre Ladyschaft messerscharf. Der Baron schüttelte zuerst den Kopf, bevor er das Gesicht verzog und zu nicken begann. „Ja und nein, meine Liebe. Seine Prüfungen bestand er mit Bravour. Mein Onkel hätte also allen Grund gehabt, auch auf ihn stolz zu sein. Stattdessen hielt er ihm vor, dass er die erstklassigen Zensuren weniger dem ernsthaften Studium der Bücher verdankte als seinem Charme und seiner raschen Auffassungsgabe. Was aber noch viel schwerer wog: Cedric fühlte sich schon als Junge der Kunst verpflichtet. Er malt.“
„Du lieber Himmel!“ Lady Panswick verstand sofort, welchen Kummer der alte Earl verspürt haben musste. „Ein Earl! Der hat doch wahrhaft andere Pflichten, als den Tag mit Pinsel und Farbe zu vergeuden.“
„Sie sagen es, Sie sagen es!“ Der Baron fand es wieder einmal an der Zeit, Myladys Rechte kurz zu drücken. „Dann kam der Tag, an dem sich mein Cousin verliebte …“
„In eine völlig unpassende Frau, möchte ich wetten.“
„Sie sagen es, Sie sagen es!“, wiederholte er. „Aus verarmtem Landadel, soweit ich mich erinnere. Ich habe die junge Dame nie persönlich kennengelernt. Beide waren noch viel zu jung, um eine Entscheidung von solch großer Reichweite treffen zu können, dennoch haben sie sich heimlich verlobt.“
„Du lieber Himmel!“, wiederholte nun auch die Viscountess.
„Mein Onkel erfuhr zum Glück rechtzeitig von dieser unpassenden Verbindung und arrangierte Cedrics Vermählung mit Deidre, der Tochter seines besten Freundes. Wie ich hörte, war sie das absolute Gegenteil der heimlichen Verlobten. Diese hatte Cedrics Begeisterung für die schönen Dinge geteilt und war, wie Onkel es nannte, ein Flattervogel, was immer er damit genau ausdrücken wollte. Deidre hingegen war bodenständig und solide. In der Ehe waren die Aufgaben dann klar verteilt: Sie kümmerte sich um das Anwesen, er sich um die Malerei. Nachdem sie ihm als zweites Kind einen Sohn und Erben geboren hatte, blieben beide zwar weiter in Hayloft House wohnen, gingen jedoch getrennte Wege.“
Die Viscountess nickte. Was hatte sie nur selbst für ein Glück gehabt! Auch ihr war es überlassen gewesen, sich um das Anwesen zu kümmern, während ihr Gatte fast ausschließlich an den Expeditionen ihres Neffen interessiert war. Er hatte zwar dafür fast das ganze ererbte Vermögen verschleudert, aber zumindest konnten sie stets gut miteinander reden. Und was noch wichtiger war: Panswick hatte nicht gemalt!
„Eines nebligen Herbsttages vor fünf Jahren verunglückte Deidre mit dem Gig“, fuhr der Baron fort. „Sie war seither gelähmt und auch nicht mehr ganz richtig im Kopf. Also wurde es nichts mit dem geplanten Debüt meiner Nichte Lucille in London. Im Gegenteil, sie musste über Nacht erwachsen werden und in die Fußstapfen ihrer Mutter treten.“
„Und der Earl?“
Der Baron zuckte mit den Schultern. „Der hat wohl weitergemalt“, sagte er trocken.
Ihre Ladyschaft ließ ein bellendes Lachen hören, bevor sie sich ihm mit ernster Miene zuwandte. „Sie meinen also, dass die Tochter so eines Malers, Earl hin oder her, die passende Gattin für meinen ältesten Sohn und Erben abgeben könnte? Kann sie denn ihre versehrte Mutter allein lassen?“ Die Skepsis der Viscountess war unüberhörbar.
„Zu Ihrer zweiten Frage muss ich Sie informieren, dass Deidre vor einem Jahr gestorben ist. Leider, oder wie ich so frei bin, Ihnen zu gestehen, zum Glück für alle Beteiligten. Was die erste Frage betrifft, so lautet meine Antwort aus ganzem Herzen: aber gewiss, meine Liebe.“
Je länger der Baron über seine spontane Idee nachdachte, desto besser gefiel sie ihm. „Da die Mutter das Krankenlager hüten musste und der Vater sich weigerte, mehr Pflichten als unbedingt nötig zu übernehmen, musste Lucille die Verantwortung tragen. Der langjährige Verwalter, auf den Deidre vor ihrem Unfall große Stücke gehalten hatte, stand ihr dabei bis zu seinem Tod zur Seite. Von ihm bekam sie eine umfassende Ausbildung in allen relevanten Belangen. Mit zweiundzwanzig übernahm sie allein das Ruder in ihrem Elternhaus und leitet Gut und Haushalt seither höchst erfolgreich.“
Ihre Ladyschaft erwog diese Worte und fühlte sich noch ein wenig mehr an sich selbst erinnert. Seit einem halben Jahr hatte sie allerdings mit Mr Buxhall einen neuen Verwalter. Inzwischen hat er viele Aufgaben an sich gerissen, und sie hatte ihn gewähren lassen. Er war ein gebildeter, fleißiger Mann, zudem aus gutem Haus, ja sogar über ein paar Ecken mit ihrem ältesten Schwiegersohn, dem Earl of Derryhill verwandt. Es fiel ihr allerdings schwer, sich mit seinen modernen Ansichten anzufreunden. Sie konnte nur hoffen, dass Bertram damit besser zurechtkommen würde. Doch daran wollte sie jetzt nicht denken, denn eine andere Frage war vorrangig: „Wenn dem so ist, wie Sie sagen, mein Freund, dann ist doch Ihre Nichte im Haus des Vaters unabkömmlich. Sie kann doch nicht mit Panswick verheiratet sein, sich um Lancroft Abbey kümmern und gleichzeitig auf Hayloft House nach dem Rechten sehen!“
„Das ist mir bewusst, meine Liebe. Müsste sie das, hätte ich Ihnen den Vorschlag nicht unterbreitet. Wie mir Lucille in ihrem letzten Brief verriet, trägt sich jedoch ihr jüngerer Bruder Wilbur mit dem Gedanken, auf Brautschau zu gehen. Dankbarkeit ist ihm ein Fremdwort. Im Gegenteil: Er erwartet, dass seine Schwester das Haus verlässt, sobald die Hochzeitsglocken läuten, um Platz für die künftige Lady Hayloft zu machen.“
„Sie mögen ihn nicht.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Nicht im Geringsten“, gab er unumwunden zu. „Er ist ein arroganter junger Stutzer. Ich mochte ihn allerdings schon nicht, als er noch kurze Hosen trug. Wie auch immer: Gut aussehend und reich, wie er nun mal ist, wird es nicht mehr lange dauern, bis er eine passende Braut gefunden hat, und dann wird wiederum das freudige Ereignis nicht allzu lange auf sich warten lassen.“
„Ich verstehe“, sagte ihre Ladyschaft, die diese Überlegung für vernünftig hielt. „Die Aussicht auf den hohen Titel wird die Brautschau auch nicht gerade erschweren.“
Der Baron lachte auf und meinte, dass das anzunehmen wäre.
Dann vergingen ein paar schweigsame Minuten, bevor sich die Viscountess mit beiden Händen auf den Schoß klopfte, als deutliches Zeichen, dass sie eine Entscheidung getroffen hatte. „Ich vertraue Ihrem Urteil, Glanshowe. Wenn Sie sagen, Ihre Nichte sei die ideale Gattin für meinen Sohn, dann glaube ich Ihnen.“ Sie zögerte kurz. „Die junge Lady ist doch nicht allzu unerfreulich anzusehen, nicht wahr? Keine blonden Haare, keine … wie hat er geschrieben? Keine irgendwie blauen Augen?“
Der Baron beeilte sich, diese Bedenken zu zerstreuen. „Die Haare sind dunkel, aber ich bitte um Verständnis, dass sich ihre Augenfarbe meiner Kenntnis entzieht.“
„Ja, ja, ist schon in Ordnung, daran wird es wohl nicht scheitern. Ich denke, man kann überdies davon ausgehen, dass das Benehmen einwandfrei und der Ruf unbefleckt ist …“
„Selbstverständlich kann man das.“
„Dann soll es so sein. Ich werde gleich morgen früh eine passende Einladung formulieren und einen Boten nach Oxford schicken. Wir haben schließlich keine Zeit zu verlieren.“
Laut und deutlich durchschlug ein Gong die ruhige Atmosphäre des Salons. Die Blicke des Barons schnellten zur kleinen Marmoruhr auf dem Kaminsims hinüber. „Wie schnell doch die Stunden vergehen, wenn Sie mir Gesellschaft leisten, liebe Viscountess“, sagte er. Er erhob sich, als er merkte, dass ihre Ladyschaft bereits behände aus ihrem Lehnsessel hochgeschnellt war.
„Nun denn, dann wird es wohl Zeit für mich, Sie zu ersuchen, die Pferde anspannen zu lassen und …“, begann sie.
„Es sei denn“, unterbrach sie der Baron, „Sie hätten die Güte, auch beim Abendessen an meiner Seite zu bleiben. Dann würde selbstverständlich auch ich auf das Umkleiden verzichten, und …“
„Sehr gut“, ihre Ladyschaft sank wieder auf den Sitz zurück. „Ich bin froh, dass Sie mich das fragen. Natürlich bleibe ich gerne noch ein wenig hier, um Ihnen Gesellschaft zu leisten. Ihre Köchin versteht es, wahre Wunder zu vollbringen, und außerdem kann ich es gar nicht erwarten, noch mehr über ihre Nichte zu erfahren. Was denken Sie, wen wird sie zu ihrer Begleitung mitbringen? Wer ist ihre Duenna? Kennen Sie sie? Ist das eine angenehme Frau?“
„Geben Sie bitte in der Küche Bescheid“, sagte seine Lordschaft zum Butler, der eingetreten war, um ihn an den Gong zu erinnern. „Ihre Ladyschaft wird mir beim Essen Gesellschaft leisten.“
„Wo waren wir stehen geblieben?“, fragte er. „Ach ja, bei der Anstandsdame. Lucille hat keine. Da sie im Haus ihres Vaters lebt und sich nur in dessen Umkreis bewegt, hat man beschlossen, darauf zu verzichten. Andererseits werden wir wohl mit der Anwesenheit des Earls rechnen müssen.“
„Das soll mir recht sein“, meinte die Viscountess. „Wir haben eine Mehrheit an Ladys, da bin ich um jeden Gentleman froh, der die Zahl bei Tisch ausgleicht. Da mein Sohn diesen besagten Brief“, sie deutete auf das Schreiben vor sich auf dem Beistelltisch, „auch an seine Schwestern und seine Cousine Agatha geschickt hat, ist davon auszugehen, dass Ihre Lucille nicht die einzig mögliche Kandidatin bleiben wird. Also ist die Anwesenheit eines weiteren Gentlemans durchaus willkommen. Selbst wenn es ein Maler ist“, fügte sie hinzu und brachte ihn damit zum Schmunzeln.
„Gilt das auch, wenn er seine Staffelei mitbringt und ein bisweilen verschrobener Kauz ist?“, vergewisserte er sich.
„Selbst dann“, antwortete sie leichthin. „Es gibt wahrlich Schlimmeres.“
Ebenfalls vier Wochen vorher
Januar 1822
Stadtpalais des Duke of Landmark, Grosvenor Square, London
„Jetzt halten Sie doch endlich still, Mylady! Wenn Sie weiterhin so zappeln, dann werde ich es niemals schaffen, das neue Seidenband in Ihr Haar zu flechten.“
Lady Eliza Hawick lächelte ihrer Kammerzofe im Spiegel Verzeihung heischend zu. Wie sollte sie es aber auch schaffen, ruhig sitzen zu bleiben, wenn sich ihre Welt gerade aus den Angeln hob? Wenn es hieß, dass der Mann, von dem sie seit Jahren träumte, im Februar nach England zurückkehren würde? Sie konnte es gar nicht erwarten, ihm endlich wieder gegenüberzustehen. Diesen liebevollen Blick aufzufangen, den er ihr immer dann zugeworfen hatte, wenn sie etwas Kluges oder Amüsantes gesagt hatte. Bertram kam zurück! Genau zum richtigen Zeitpunkt, da alle Verwandten darauf warteten, dass sie sich endlich entscheide, welchem ihrer Verehrer sie die Hand zum Bund reichen wollte. Noch hielten sie sich zurück, sie zu drängen, aber wer wusste denn, wie lange das so bleiben würde? Sie war inzwischen zwanzig Jahre alt geworden. Außerdem war ihre beste Freundin Venetia seit Kurzem vergeben und konnte von nichts anderem mehr sprechen als von ihrem anbetungswürdigen Verlobten. Eliza wollte auch so verliebt und glücklich sein!
Während sie vor der Frisierkommode saß, eifrig bemüht, still zu halten und Ethel nicht länger bei der Arbeit zu stören, da wanderten ihre Gedanken sieben Jahre zurück. An jenen denkwürdigen Morgen, als ihr der junge Viscount in der Bibliothek ihres Vaters, des Dukes of Landmark, zum ersten Mal gegenübergestanden hatte. Sie war damals dreizehn gewesen und in höchstem Maße unglücklich. Ihre Mutter war schon lange tot und ihre Anstandsdame, Papas Cousine Cordula, war eine verbiesterte, alte Schreckschraube gewesen. Jeder Tag bestand aus Belehrungen und Tadel. Wenn sie den Mund aufmachte, um etwas zu fragen, dann hieß es, sie sei dumm. Wenn sie etwas erbat, war sie unbescheiden. Wenn sie, was ohnehin selten vorkam, versuchte, ihren Standpunkt klar zu machen, dann hieß es, sie wäre frech und gäbe Widerworte, die nicht zu dulden wären. Und dass sie mit so einem Verhalten niemals einen passenden Ehemann finden würde. Die Fröhlichkeit, die das Haus beherrscht hatte, als Mama noch lebte, war bleierner Schwere gewichen. Papa, der Tante Cordula offensichtlich ebenso verabscheute, war kaum zu Hause. Er ging im Außenministerium seinen Pflichten als Diplomat nach und verbrachte die Abende in seinem Club. Die wenigen Freundinnen, die sie gehabt hatte, waren von der Tante in kürzester Zeit vertrieben worden. War es da ein Wunder, dass sie, die alle Lizzy nannten, immer stiller und schüchterner wurde und sich immer mehr in sich zurückgezogen hatte?
Und da, ausgerechnet in der Zeit, als sie sich vom Kind zum jungen Fräulein entwickelte, war auf einmal Bertram Barnett auf der Bildfläche erschienen, der junge Viscount Panswick. Ein großer, stattlicher Mann von einundzwanzig Jahren, mit dunklem Haar und einem Gesicht, das die Steinmetze im alten Griechenland nicht feiner hätten meißeln können. Sein Lächeln erwärmte ihr einsames Herz und seine angeborene Herzlichkeit fegte wie ein frischer Wind in ihre trüben Tage. Da er mit drei Schwestern aufgewachsen war, war er im Umgang mit jungen Damen geübt, und so behandelte er sie von Anfang an mit einer gewissen brüderlichen Vertrautheit. Für sie jedoch war er etwas ganz anderes gewesen als ein Bruder. Schon damals hatte sie gewusst, dass er es sein würde, mit dem sie dereinst vor den Traualtar treten würde. Bertram Barnett hatte ihr Herz im Sturm erobert, und keinem anderen war es seither gelungen, ihn von dort zu vertreiben. Zu ihrem großen Glück hatte Vater ihn damals als Adjutanten eingestellt. Man schrieb das Jahr 1814, und Bertram sollte ihn zu einem Kongress nach Wien begleiten, wo die wichtigsten und mächtigsten Männer der Welt die Geschicke Europas neu ordnen wollten. Damals glaubte man doch tatsächlich noch, das korsische Ungeheuer Napoleon sei ein für alle Mal besiegt. Wie sehr man sich doch geirrt hatte!
Elizas Gedanken konzentrierten sich wieder auf jenen schicksalhaften Vormittag damals in der Bibliothek. Sie hatte soeben erfahren, dass sie mit nach Wien würde reisen dürfen. Sobald ihr klar wurde, dass dies auch bedeutete, der Fuchtel der Tante zu entkommen, die sich weigerte, eine derart beschwerliche Reise auf sich zu nehmen, da hatte es in ihrer Freude kein Halten gegeben. Sie würde mit dem schönsten, nettesten, aufregendsten … einfach großartigsten Mann der Welt nach Wien reisen (und damit meinte sie nicht ihren Papa) und so die Gelegenheit haben, die vielen Tage und Stunden in der Kutsche in seiner Gegenwart zu verbringen. Dazu kam noch ein weiterer Glücksfall, den sie ebenfalls Bertram zu verdanken hatte: Er überredete seine Cousine Agatha, sie als ihre Chaperon zu begleiten. Auf einen Schlag hatten sich damit die dunklen Schatten über ihrer Zukunft gelichtet und Vorfreude, Hoffnung und Zuversicht Platz gemacht. Agatha entpuppte sich als fröhliche, kluge Begleiterin, von der sie viel lernen konnte, und die sie sofort in ihr Herz schloss. Auch wenn sie es bis heute nicht so recht verstehen konnte, warum ihr Vater ausgerechnet die Frau, mit der er sich auf der langen Reise in einem fort gestritten hatte, einige Monate später zu seiner zweiten Ehefrau machte, so war sie mit seiner Entscheidung mehr als einverstanden. Lady Agatha war die beste Stiefmutter, die sie sich nur wünschen konnte. Und so sehr auch ihre beiden kleinen Zwillingsbrüder, die vor fünf Jahren geboren wurden, mitunter ihre Nerven strapazierten, war es doch schön, wieder Teil einer intakten, lebhaften Familie zu sein. Die Ehe zwischen Papa und Agatha lief allem Anschein nach sehr gut. Papa war nun auch viel öfter zu Hause als in ihren Kindertagen oder nahm sich die Zeit, seine Damen, wie er Agatha und sie nannte, zu Abendveranstaltungen zu begleiten. Wer jedoch davon ausging, dass die Wortgefechte zwischen ihm und seiner Gattin in der Zwischenzeit nachgelassen hätten, der irrte sich gewaltig. Bertram würde staunen, wenn er die beiden jetzt so miteinander erleben wird! Damals, auf der tagelangen, strapaziösen Reise eingepfercht in der Kutsche, hatten er und sie sich die Zeit damit vertrieben, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Schließlich galt es doch, sich im Österreich-Ungarischen Kaiserreich verständlich machen zu können. Eliza musste immer noch kichern, wenn sie daran dachte, an welch lustigen Konversationen sie sich damals versucht hatten. Bertram war ja so amüsant gewesen! Später dann, als sie längst in Wien angekommen waren, da hatte sie ihn kaum mehr zu Gesicht bekommen. Doch ihre gemeinsamen Deutschstunden jeden zweiten Tag, die hatte er trotz seiner vielen Pflichten nie ausfallen lassen. Nicht einmal dann, als er sich in diese … diese dämliche Hanni verliebte und …
„So, Mylady, wir sind fertig. Wollen Sie sich nicht den Schal um die Schultern legen? Es werden mehrere Damen anwesend sein, vielleicht finden Sie keinen Platz direkt beim Kamin …“
Ohne auf ihre Antwort zu warten, legte die Dienerin ein Plaid aus feinem Kaschmir über die Schultern ihrer jungen Herrin, das diese sofort dankbar vor der Brust zusammenzog. Es hatte denselben Blauton wie das Tageskleid aus Jaconet-Musselin, war allerdings um einige Nuancen dunkler und mit feinen grünen Streifen durchzogen. Ein Grün, das sich auch im Haarband wiederfand.
In diesem Augenblick wurde im Erdgeschoss laut und vernehmlich der Türklopfer angeschlagen. Einmütig eilten die beiden Mädchen zum Fenster, um sich durch einen Vorhangspalt zu vergewissern, wer die erste Besucherin war.
„Es ist das Wappen des Viscount Badwell“, erkannte Ethel mit einem kundigen Blick auf die glänzende Kutschentür.
„Lady Vivian kommt also auch?!“, rief Eliza erfreut. „Ich wusste nicht, dass Lady Agatha ihre Cousine ebenfalls eingeladen hat. Ich dachte, wir würde nur ihre beste Freundin Lady Inglesham und deren Schwägerin Lady Venetia erwarten. Wie schön, dass Vivian unsere Runde ergänzt.“ Eliza klatschte begeistert in die Hände. „Sie hat immer so unkonventionelle Ansichten. Das wird sicher wieder höchst amüsant.“
„Wie ist ihre Ladyschaft mit Ihnen verwandt, Mylady?“, fragte das Hausmädchen neugierig. „Das vergesse ich immer wieder.“
„Mit mir ist sie gar nicht verwandt“, erklärte Eliza und warf noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. „Bertram“, sie errötete und beeilte sich, sich zu korrigieren, „ich wollte sagen, seine Lordschaft, der Viscount Panswick, ist Lady Agathas Cousin. Er hat einen Bruder Nicolas und drei Schwestern, Frederica, die Countess of Derryhill, Penelope, die einen Mr Markfield geheiratet hat, und eben auch Lady Vivian, die Viscountess Badwell.“
Eliza liebte Bertrams Schwestern. Alle drei und auch seine Mutter, die Viscountess, hatten sie von Anfang an mit großer Herzlichkeit in der Verwandtschaft aufgenommen. Lady Vivian stand ihr von allen im Alter am nächsten.
„So“, sagte Eliza und griff nach ihrem Fächer, „jetzt muss ich mich wirklich beeilen …“
Die Kammerzofe hielt ihr die Tür auf, und sie hopste fröhlichen Schrittes ins Erdgeschoss hinunter. Schon schlug der Türklopfer ein weiteres Mal gegen die Messingplatte an der Haustür.
Eine halbe Stunde später hatten sich alle Damen auf das Innigste begrüßt und ihre Plätze rund um den Teetisch eingenommen. Die Hausherrin verteilte edle Tassen mit dampfendem Tee, die jetzt, da es draußen bitterkalt war, besonders gern entgegengenommen wurden. Die unterste Platte der silbernen Etagere war mit Gurkensandwiches gefüllt, in der Mitte gab es kleine Früchtekuchen und Shortbread, ganz oben einen Stapel jenes Hefegebäcks, das sich Topfengolatsche nannte. Lady Agatha hatte das Rezept, wie das vieler anderer Mehlspeisen, aus Wien mitgebracht. Nun sorgten diese allesamt in der Londoner Gesellschaft für Furore. Im mannshohen Kamin prasselte ein lebhaftes Feuer, und da der Kaminkehrerjunge die Abzüge erst kürzlich gereinigt hatte, war es im Empfangssalon angenehm warm, ohne dass es erbärmlich rußte.
Während die ersten Neuigkeiten ausgetauscht wurden, war Eliza hin und her gerissen. Sollte sie den Erzählungen lauschen, die ihr ihre beste Freundin Venetia, mit der sie auf der kleineren der beiden Bänke Platz genommen hatte, mit gedämpfter Stimme anvertraute? Oder lieber den Worten, die ihre Stiefmutter mit Lady Vivian und Lady Inglesham, der Gattin von Venetias Bruder, austauschte? Derzeit unterhielten sich die Damen zu Elizas Glück noch über eine Abendeinladung, bei der eine italienische Sängerin die Gäste zu Begeisterungsstürmen hingerissen hatte. Also konnte sie sich beruhigt Venetias Worten widmen. Doch bald schon würde sich das allgemeine Gespräch um Bertrams Rückkehr und seinen damit verbundenen Brief drehen, und davon durfte sie kein noch so kleines Detail verpassen.
„Ach, Lizzy!“ Venetia griff sich ans Herz, seufzte und rollte mit theatralischem Blick die Augen nach oben. „Findest du nicht auch, dass es keinen besser aussehenden Mann gibt als meinen Dingi? Ich kann es noch gar nicht fassen, dass ich diesen Mann den meinen nennen darf. Wie schneidig er in seinem roten Uniformrock aussieht! Sag, hast du je einen so ansehnlichen, stattlichen Mann gesehen?“
Hier war vom ehrenwerten Mr Archibald Dingshow die Rede, mit dem Venetia seit den Weihnachtsfeiertagen verlobt war.
„Er ist tatsächlich gut aussehend“, bestätigte Eliza, ohne zu zögern.
Venetia strahlte. „Ja, nicht wahr? Dazu auch noch so unglaublich liebenswert!“ Ihre Wangen röteten sich noch tiefer, während sie auch die nächsten Minuten dazu nutzte, ihrer Freundin von ihrem Verlobten vorzuschwärmen, seine originellsten und kühnsten Aussagen zu wiederholen und der Freude Ausdruck zu verleihen, dass er sie am selben Abend ins Theater ausführen würde. Alsdann ergriff sie Lizzys Rechte. „Ich schwöre dir, teuerste Freundin, verlobt zu sein ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist. Nicht nur, weil ich Dingi über alles liebe, nein, es ist auch diese unerwartete Freiheit, die ich genieße. Für Mädchen von Stand, wie wir es sind, gibt es doch nichts Herrlicheres …“
All diese Lobeshymnen hatte Eliza in den letzten Wochen schon zu oft gehört, als dass sie eines Kommentares würdig gewesen wären. Doch diesmal war auch eine neue Information dabei.
„Freiheit?“, wiederholte sie. „Was meinst du denn mit Freiheit? Inwiefern hat deine Verlobung …?“
Weiter kam sie nicht, da sich ihre Freundin wieder ans Herz gegriffen hatte und der schwärmerische Ausdruck auf ihrem Gesicht sich noch vertiefte, bevor sie ihr ins Ohr raunte: „Lizzy, du hast keine Ahnung, was es bedeutet, verlobt zu sein.“
Kaum waren diese Worte ihren Lippen entkommen, wurde Venetias Miene schuldbewusst. „Es tut mir leid, ich wollte damit natürlich nicht andeuten, dass ich dich für eine alte Jungfer halte. Das tue ich natürlich nicht, denn ich war ja bis vor Kurzem in der gleichen Situation. Was ich sagen wollte, war, dass ich zu meinem Glück einen ungewöhnlich toleranten, weltoffenen Verlobten gefunden habe. Wenn ich denke, was der armen Abigail Sandham passiert ist, du erinnerst dich doch noch an sie, Lizzy? Ihr Vater bestand darauf …“
„Venetia!“, forderte Eliza ungeduldig und bemühte sich gleichzeitig, mitzubekommen, was die anderen Damen soeben besprachen. „Du schnatterst schon wieder. Könntest du bitte zum Punkt kommen?“
Es folgte ein Schwall von Worten, die Venetia nur so aus dem Mund sprudelten. Alfred war, wiewohl der beste Mann auf Erden, leider kein begnadeter Tänzer. Da er wusste, wie gern sie übers Parkett wirbelte, hatte er nichts dagegen, dass sich andere Männer in ihre Tanzkarte eintrugen. Im Gegenteil, er hatte ihr letzten Donnerstag bei Almacks sogar passende Partner für die Quadrille oder die ländlichen Tanzfolgen vorgestellt und sich gefreut, als sie die Tänze genoss und sich gut unterhielt.
„Ist das nicht überaus reizend von ihm, Lizzy? Du glaubst gar nicht, wie befreiend es ist, mit jungen Männern ungezwungene Konversation machen zu können, ohne befürchten zu müssen, sie zu ermutigen oder gar den strengen Augen der Moralapostel nicht zu genügen. Seit Dingi um meine Hand angehalten hat, ist mir, als säße mein Korsett mit einem Schlag nicht mehr so eng und ich würde endlich freier atmen können.“
Eliza, die sich nicht genau vorstellen konnte, was ihre Freundin meinte, und gleichzeitig vom anderen Gespräch abgelenkt war, lächelte etwas zerstreut und beteuerte, wie sehr sie sich freue, dass Venetia glücklich war. Da fielen auf der anderen Seite des Teetisches die lang erwarteten, bedeutungsschweren Worte:
„Dann kam Bertrams Brief und versetzte uns alle in Aufregung.“ Lady Agatha hielt besagtes Schreiben in die Höhe.
„Bertrams Brief?“Auch Venetia war sofort abgelenkt. Sie wandte sich an ihre Schwägerin Lady Inglesham. „Panswick, von dessen Rückkehr du mir gestern erzählt hast, heißt mit Vornamen Bertram?“ Als diese nickte, fuhr sie herum, und ihr Blick fixierte die Freundin auf der Bank neben sich. „Das ist aber nicht derselbe Bertram, in den du schon so lange verliebt bist, oder etwa doch, Lizzy?“
Die so Angesprochene starrte mit großen Augen zurück und schüttelte kaum merklich den Kopf, so als könnte sie die andere damit ermahnen, kein weiteres Wort mehr zu verlieren. Eliza konnte es nicht glauben. Wie kam Venetia bloß dazu, etwas so Ungeheuerliches laut auszusprechen? Noch dazu im Beisein der beiden Damen und ihrer Stiefmutter? Während Lady Vivian die Augen zu Schlitzen zusammenzog und sie prüfend musterte, kam ihr Agatha mit der Antwort zuvor.
„Verliebt sein?“ Ihre Stimme klang strenger, als man es im Allgemeinen von ihr gewöhnt war. „Werde bitte nicht melodramatisch, meine gute Venetia! Ich darf dich daran erinnern, dass Eliza ganze dreizehn Jahre alt war, als sie meinen Cousin das letzte Mal gesehen hat. Ob sie ihm damals zugetan war? Natürlich. Schließlich behandelte er sie stets so, wie man eine liebgewonnene kleine Schwester behandelt. Eliza blickte zu ihm auf, das will ich gar nicht abstreiten. Es war verständliche, jugendliche Schwärmerei. Aber verliebt sein? Nein, dazu bestand nicht der geringste Grund. Panswick war und ist acht Jahre älter als deine Freundin. Außerdem ist es nun schon ganze sieben Jahre her, dass sie einander das letzte Mal gesehen haben.“
„Aber …“, versuchte Venetia einen Protest. Sie erinnerte sich offensichtlich nur allzu gut an die mit glänzenden Augen vorgebrachten Träumereien ihrer Freundin. Die waren nicht sieben Jahre her, sondern keine sieben Tage.
„Kein Aber!“, bestimmte die Hausherrin unnachgiebig, um sich dann zu ihrer Stieftochter umzuwenden. „Ich habe doch recht, nicht wahr, Lizzy?“
Diese nickte folgsam und zwang sich, tapfer zu lächeln. Was hätte sie vor den neugierigen Ohren der beiden Damen auch anderes tun sollen? Die Ladys würden ihre Münder doch nur zu einem kleinen spöttischen oder gar mitleidigen Lächeln verziehen, wenn sie eingestände, dass die sogenannte jugendliche Schwärmerei in all den Jahren nicht nachgelassen hatte und sie es kaum mehr erwarten konnte, Bertram endlich wieder gegenüberzustehen. Sollten Agatha und ihre Freundinnen doch denken, was sie wollten, und Pläne bezüglich passender Gattinnen schmieden, so viel sie wollten, sie wusste es besser. Sie würde vor allen anderen nach Lancroft Abbey reisen und dem Viscount beweisen, dass sie allein die perfekte Braut war, die er sich so sehnlichst wünschte. Er würde sie in seine starken Arme ziehen, und sie würden auf dem geplanten Frühlingsball der staunenden Menge ihre Verlobung bekannt geben …
„Bertram schildert uns die Art Frau, die wir ihm auf gar keinen Fall vorstellen dürfen. Wie kommt es eigentlich, dass er dich dabei so genau beschreibt, Lizzy?“, durchbrach Lady Badwells Stimme diese freudvollen Gedanken.
„Wie bitte?“ Eliza vermeinte, nicht richtig gehört zu haben.
„Nun, er will keine Herzogstochter, du bist eine.“ Vivian begann die Aufzählung mithilfe der Finger zu unterstreichen. „Er will keinesfalls eine blonde, zierliche Braut. Du bist ohne Zweifel zierlich. Und blond bist du auch. Dann möchte er keine vergissmeinnichtblauen Augen …“
„Meine Augen sind eher blaugrün …“, lautete Elizas gestotterter Protest, der selbst in ihren eigenen Ohren wenig überzeugend klang. Kein Wunder, dass Bertrams Schwester auflachte. „Das kannst du doch nicht ernst meinen! Vergissmeinnichtblau, blaugrün, das ist doch einerlei. Welcher Gentleman würde da einen Unterschied erkennen? Hauptsache blau.“
Eliza presste die Lippen zusammen und schwieg. Was hätte sie auch darauf erwidern sollen? Es war ihr doch selbst ein Rätsel, was Bertram bewogen hatte, genau diese Zeilen zu verfassen. Zum Glück sprang ihr Agatha zur Seite. „Die Beschreibung hat doch nicht im Geringsten mit Eliza zu tun, Vivian, ich bitte dich! Die Sachlage ist eine ganz andere. Dein Bruder machte in Wien eine, wie soll ich es nennen … unglückliche Bekanntschaft mit einer zierlichen … äh … jungen … Blondine mit vergissmeinnichtblauen Augen. Diese Erfahrung wünscht er nicht zu wiederholen, das ist alles.“
„War sie denn eine Herzogstochter?“, wollte Lady Inglesham höchst interessiert wissen. Sie begann sogleich zu überlegen: „Welcher englische Duke war denn mit seiner Familie bei diesem Kongress? Und vor allem, wer hat eine blonde Tochter im passenden Alter?“
Agatha lachte zuerst auf und schüttelte dann den Kopf. „Sie war keine Herzogstochter, also kannst du aufhören, Mutmaßungen anzustrengen.“
Wenn die wüsste!, dachte sie und war gleichzeitig froh, dass ihre Freundin die Wahrheit niemals erfahren würde. Bertrams Angebetete namens Hanni war alles andere als eine höhere Tochter gewesen. Das Wort Freudenmädchen hätte es wohl eher getroffen. Doch darüber würde sie kein Wort verlieren. Es war ausgeschlossen, so ein verruchtes Thema im Salon eines englischen Dukes zu diskutieren. Allein schon das Wort Freudenmädchen auszusprechen hätte die guten Sitten verletzt. Außerdem war sie bestimmt nicht so dumm, die eigenen Pläne durch eine derartige Offenheit in Gefahr zu bringen. In ihren Augen war nämlich Lady Ingleshams Schwester Davina Johnston-Brooks, die jüngste Tochter des Earl of Wildmoore, die ideale Braut für ihren Cousin. Und wer, bitte, wollte seine Schwester einem Mann zur Frau geben, der nicht genügend Urteilsvermögen besaß, eine Dirne von einer vornehmen jungen Dame zu unterscheiden? Ihre Freundin Vera, Lady Inglesham, ganz gewiss nicht. Agatha seufzte. Sie konnte nur hoffen, dass Bertram in den letzten Jahren weiser und weltgewandter geworden war, sodass ihm ein derartiger Fauxpas nun nicht mehr passieren könnte. Während sie fieberhaft nach einer passenden Antwort suchte, ergriff Vivian das Wort, ersparte ihr damit die Peinlichkeit, eine Lüge auftischen zu müssen, und ergänzte so gleichzeitig das letzte Puzzleteil der Geschichte. „Mit der Herzogstochter ist wohl Clarissa Harristowe gemeint.“
Zu Agathas Glück war Lady Inglesham sofort abgelenkt. „Die Tochter des alten Duke of Stainmore? Hat sie nicht vor zwei, drei Jahren nach Schottland hinauf geheiratet?“
Vivian nickte. „Genau die. Bertram war vor einigen Jahren ganz vernarrt in sie und unsere Mutter hätte alles dafür getan, eine Herzogstochter in der Familie willkommen heißen zu können.“
Agatha runzelte die Stirn. „Wann war das?“, wollte sie wissen, „Daran kann ich mich gar nicht erinnern.“
„Das war, als du den Kontinent bereist hast“, erklärte Vivian, und Agatha lehnte sich zufrieden in ihrem Sessel zurück. „Ich besuchte damals noch Mrs Cliffords Institut für Höhere Töchter. Eines Tages tauchte Bertram bei mir auf, es ging ihm nicht gut.“
Diese Geschichte hörte nicht nur Agatha, sondern auch Eliza zum ersten Mal.
„Was war passiert?“, fragte sie mit angehaltenem Atem.
Vivian zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht mehr daran, was genau passiert war. Vielleicht hat er es mir aber auch gar nicht erzählt. Was ich mit Sicherheit noch weiß, ist, dass der gute Bertram an Liebeskummer litt. Er blieb damals eine ganze Woche bei mir. In jeder freien Stunde sind wir Seite an Seite über Wiesen und Felder galoppiert.“ Lady Badwell lächelte in der Erinnerung. „Das hat ihm wohl geholfen, wieder zu sich zu finden. Kurz darauf ist er nach London gereist und hat die Stelle beim Duke, also deinem späteren Gatten, angenommen, Agatha.“
„Aha, so war das also“, sagte ihre Cousine und besann sich wieder des eigentlichen Themas. „Nachdem das nun geklärt ist, wollen wir uns wieder der Gegenwart zuwenden. Wie es der Zufall will, werden Bertrams Vorgaben durch unsere Entscheidung eingehalten. Davina ist großgewachsen, nicht zierlich. Sie ist dunkelhaarig, nicht blond. Darüber hinaus ist sie die Tochter eines Earls und nicht die eines Herzogs. Wenn ich mich recht erinnere, dann sind auch ihre Augen dunkel, habe ich nicht recht, liebe Vera?“
Die liebe Vera stand nicht an, das zu bestätigen.
„Wunderbar“, meinte Agatha zufrieden. „Wir haben mit Davina die perfekte Gemahlin für den Viscount gefunden! Niemand könnte passender sein als sie.“ Sie sah Beifall heischend in die Runde.
Eliza war weit davon entfernt, ihr zu applaudieren. Im Gegenteil, sie hielt entsetzt die Luft an. Die Damen hatten sich bereits auf eine passende Braut geeinigt?
„Das stimmt, meine Liebe, eine bessere Gattin als meine kleine Schwester Davina könnte man ihm nicht wünschen“, bestätigte Lady Inglesham ihre schlimmen Befürchtungen. „Sie hat ein angenehmes Wesen und einen lebhaften Geist, ist aber nicht so klug, dass ein junger Mann vor Angst die Flucht ergreifen müsste. Sie singt wie ein Engel, spielt Klavier und Harfe geradezu göttlich und wurde, ebenso wie ich, von Mama bestens dafür ausgebildet, einen großen Haushalt zu führen.“
„Außerdem ist sie wunderschön“, entfuhr es Eliza, deren Vorfreude auf die kommenden Ereignisse einen schlimmen Dämpfer erhalten hatte.
„Wie recht du doch hast, meine Liebe“, stimmte ihr Agatha freudig zu. „Sie hat mir so leidgetan, als sie ihre zweite Saison vorzeitig abbrechen musste. Doch jetzt denke ich, es war ein Glücksfall, sonst hätte sie uns wahrscheinlich ein anderer Edelmann vor der Nase weggeschnappt.“ Sie wurde schlagartig ernst. „Da fällt mir ein, die kranke Person, um die sich Davina kümmern musste, ist ja in der Zwischenzeit verstorben, wie du mir geschrieben hast. War das eine enge Verwandte, Vera? Heißt das, dass die arme Davina verpflichtet ist, Trauerkleidung zu tragen?“
Bitte sag Ja!, flehte Eliza innerlich. Selbst eine Schönheit wie Davina konnte in schwarzen Kleidern keine Herzen höherschlagen lassen. Außerdem würde sie nicht tanzen dürfen …
„Das würde unseren Plänen einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen“, hörte sie ihre Stiefmutter sagen und bekam umgehend ein schlechtes Gewissen, weil sie so inständig hoffte, dass das der Fall war. Zu ihrem Leidwesen kniff Lady Inglesham zwar die Lippen zusammen, versicherte aber, dass von einer Trauerzeit keine Rede wäre.
Agatha atmete auf. „Ich bin froh, das zu hören. Ich brenne darauf, Bertram mit Davina bekannt zu machen! Sie war das hübscheste Mädchen der letzten Saison und konnte sich vor Verehrern kaum retten …“
Wem sagte sie das? Eliza hatte hautnah miterlebt, wie jeder junge Mann verträumte Augen und Schnappatmung bekam, sobald ihm Lady Davina gegenüberstand. Nicht, dass es ihr selbst an Verehrern gemangelt hätte. Aber man hielt sie wohl eher für niedlich und amüsant, Davina hingegen war mit ihrer eleganten Erscheinung, den langen Wimpern und ihrer vornehmen Blässe ein wahr gewordener Traum jedes Gentlemans. Eliza unterdrückte ein Seufzen. Bei so starker Konkurrenz würde es schwieriger werden, Bertram zu erobern, als sie gedacht hatte. Es musste ihr unbedingt gelingen, einige Tage vor Davina auf Lancroft Abbey einzutreffen. Dann hatte sie das Herz des Viscounts vielleicht schon gewonnen, ehe die Schönheit auf der Bildfläche erschien …
„Ihr beide habt eure Wahl vielleicht schon getroffen. Ich sage jedoch: gutes Aussehen ist nicht alles“, meldete sich da Lady Vivian zu Wort. Sie ließ den Satz wirken und inspizierte angelegentlich die auf der Etagere liebevoll drapierten kleinen Köstlichkeiten. Dann entschied sie sich für ein Stück Lavendel-Shortbread und beförderte es mit einer kleinen Silberzange auf ihren Teller. „Ich bin im Übrigen weit davon entfernt, deine Meinung darüber zu teilen, teuerste Vera, dass ein Mädchen zu klug sein kann, um einem Gentleman von Format zu gefallen. Eine Frau kann gar nicht intelligent genug sein. Daher haben Badwell und ich auch eine ganz andere Braut für meinen Bruder ins Auge gefasst.“ Sie knabberte am Gebäck. „Das ist köstlich, Agatha, mein Kompliment an die Köchin.“
Eine weitere Konkurrentin? Noch dazu eine kluge? Das hatte Eliza gerade noch gefehlt.
„Du willst deinen Bruder mit einem Blaustrumpf zusammenbringen?“, meinte Lady Inglesham, und ihre Stimme hatte einen spöttischen Tonfall angenommen. „Na, da wünsche ich dir viel Glück! Welcher junge Mann schenkt so jemandem einen zweiten Blick, wenn Davina in der Nähe ist?“
„An wen denkst du?“, erkundigte sich Lady Agatha, die wohl beschlossen hatte, die Worte ihrer Freundin zu überhören.
„Heather Oddington ist eine der talentiertesten Lehrerinnen, die wir seit Beginn unseres Instituts beschäftigen, und ich werde sie nur höchst ungern gehen lassen. Doch sie wird mit ihrer umsichtigen Art perfekt zu meinem Bruder passen.“