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Eine starke Frau. Eine perfide Verschwörung - Hochspannung vor mittelalterlicher Kulisse!
Augsburg ,1515: Nach dem Tod ihres Mannes führt Julia dessen Arbeit als Brunnenmeister fort. Doch der Zunftobere Neumiller traut einer Frau allein die Wasserversorgung der Stadt nicht zu. Er stellt Julia vor ein Ultimatum: Entweder sie heiratet innerhalb von drei Monaten einen neuen Mann - oder sie verliert Stand und Haus.
Fieberhaft sucht Julia nach einem Ausweg. Als sie hinter eine Verschwörung kommt, die bis in die obersten Kreise der Stadt reicht, entspinnt sich ein Machtkampf zwischen ihr und dem erbarmungslosen Zunftoberen. Kann Julia ihr Wissen nutzen, um ihre Freiheit zu erkaufen? Oder bringt sie sich damit erst recht in Gefahr?
In dieser Reihe haben wir die schönsten, spannendsten und fesselndsten Romane von Peter Dempf zusammengestellt. Die Romane erzählen vom Leben starker Frauen in vergangenen Zeiten: von ihrem Mut, ihrer Kraft und ihrer Leidenschaft, von ihrem Kampf gegen Intrigen, Hass, Verrat und für die eigene Freiheit. Jeder Roman kann einzeln für sich gelesen werden.
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Seitenzahl: 567
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Weitere Titel des Autors
Über dieses Buch
Über den Autor
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Die Figuren der Handlung
Glossar
Danksagung
WEITERE TITEL DES AUTORS
Das Amulett der Fuggerin
Das Gold der Fugger
Der Teufelsvogel des Salomon Idler
Der Traum von Eldorado
Die Botschaft der Novizin
Die Geliebte des Kaisers
Die Sterndeuterin
Die Tochter des Klosterschmieds
Fürstin der Bettler
Herrin der Schmuggler
Mir ist so federleicht ums Herz
ÜBER DIESES BUCH
Eine starke Frau. Eine perfide Verschwörung – Hochspannung vor mittelalterlicher Kulisse!
Als Julias Mann, der Brunnenmeister von Augsburg, stirbt, gerät sie in eine prekäre Lage. Ohne Mitleid stellt der Zunftobere Neumiller sie vor ein Ultimatum: Entweder verheiratet sie sich innerhalb von drei Monaten neu, oder sie verliert Stand und Haus. Ein Machtkampf zwischen Julia und dem erbarmungslosen Zunftoberen entspinnt sich, in dem es bald nicht mehr nur um die Wahl des nächsten Brunnenmeisters und Julias Freiheit geht, sondern um eine Verschwörung, die bis in die obersten Kreise der Stadt reicht …
Ein hervorragend recherchierter, fesselnder historischer Roman - Peter Dempf entführt uns in die verwinkelten Gassen des mittelalterlichen Augsburg.
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ÜBER DEN AUTOR
Peter Dempf, geboren 1959 in Augsburg, studierte Germanistik, Sozialkunde und Geschichte für das Lehramt am Gymnasium. Der mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnete Autor schreibt neben Romanen und Sachbüchern auch Theaterstücke, Drehbücher, Rundfunkbeiträge und Erzählungen. Bekannt wurde er aber vor allem durch seine historischen Romane. Peter Dempf lebt und arbeitet in Augsburg, wo unter anderem seine Mittelalter-Romane Die Brunnenmeisterin, Herrin der Schmuggler und Das Amulett der Fuggerin angesiedelt sind.
Homepage des Autors: www.peter-dempf.de.
Peter Dempf
DieBrunnenmeisterin
Historischer Roman
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2016 by Peter Dempf und Bastei Lübbe AG, Köln
Dieses Werk wurde vermittelt durch AVA international GmbH, Münchenwww.ava-international.de
Für diese Ausgabe:Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Dr. Ulrike Brandt-Schwarze, BonnCovergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven von © KathySG/shutterstock; © irisphoto1/shutterstockeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-8700-1
www.be-ebooks.dewww.lesejury.de
Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser;aus Wasser ist alles und ins Wasser kehrt alles zurück.
Thales von Milet
In der Brunnenstube im Obergeschoss des Kleinen Wasserturms war laut und deutlich ein Kratzen und Schaben zu hören, das selbst das Rauschen des Wassers übertönte. Julia hielt kurz inne, bevor sie den letzten Krug Heißwasser in die Zinkwanne goss, um sich ein Bad zu bereiten. Sie lauschte auf das Geräusch. Eine Katze? Draußen am Turm? An der Außenwand? Auf dem Dach? Unmöglich. Gut möglich allerdings, dass jemand an der Außenwand herumkletterte. Es hörte sich an, als würde eine Person mit den Füßen immer wieder abrutschen.
Der Kleine Wasserturm gehörte wie der Große Wasserturm, an den er sich schmiegte, und der Kastenturm zu dem Wasserwerk im Süden von Augsburg, das die Trinkwasserversorgung der Stadt sicherte.
Julia kannte sich aus in der Brunnenmeisterei. Bis zu ihrer Hochzeit mit Purkhart Löscher war ihr Vater Auberlin Sixt der für das Augsburger Wasserwerk verantwortliche Brunnenmeister gewesen. Dann hatte er seine Stelle für seinen Altgesellen und Schwiegersohn geräumt. Vor einem halben Jahr hatte sich Julia von ihrem Mann gewünscht, hier oben im Turm eine Wanne aufgestellt zu bekommen, in der sie baden konnte. Unten im Brunnenmeisterhaus waren ständig die Gesellen und Lehrlinge in die Stube geplatzt, wenn sie in der Wanne saß oder sich gerade wusch. Sie hatte nicht abschätzen können, ob das zufällig geschah oder absichtlich, doch es war ihr unangenehm gewesen – obwohl sie manchmal ein Prickeln verspürt hatte, wenn die jungen Kerle sie, die junge Frau des betagten Brunnenmeisters, begutachteten. Dieser hatte der Bitte seiner anziehenden Gemahlin bereitwillig nachgegeben, um sie den Blicken der Gesellen und Lehrlinge zu entziehen, und neben dem großen Brunnenbecken im Kleinen Wasserturm eine Zinkwanne aufstellen lassen. Michael, der Altgeselle, hatte sie mit Lienhard, einem der Lehrlinge, über die Treppenspindel heraufgeschleppt, die aus dem Brunnenmeisterhaus direkt in den Kleinen Wasserturm hinaufführte. Hier oben wurde Julia nicht überrascht, wenn sie sich abtrocknete. Hier riss keine Menschenseele die Tür auf, während sie sich ankleidete.
Die Brunnenmeisterin seufzte zufrieden und warf einen Blick hinauf zu den runden Oberlichtern. Doch nichts war zu sehen. Das Geräusch war verstummt. Sie lauschte noch eine Weile, und schließlich war sie sich sicher: Sie hatte sich getäuscht, sich das alles nur eingebildet, war überspannt. Das Rauschen des Wassers aus den Zuleitungen übertönte vieles, und das Zusammenspiel von Mechanik und Rohrleitungen gab manchmal die merkwürdigsten Laute von sich.
Julia schloss kurz die Augen und überlegte, durch welches Oberlicht der Unbekannte, wenn dort wirklich jemand war, in ihre Badestube schauen würde. Dann drehte sie sich so, dass sie dem Rundfenster zum Großen Turm hin den Rücken zukehrte. Sie stellte den Krug ab, öffnete die Schlaufen ihres Kleides an den Schultern, ließ es zu Boden gleiten, bückte sich und prüfte das Wasser in der Wanne. Es war noch immer kalt. Die drei heißen Füllungen aus der Küche unten im ersten Stock der Brunnenmeisterei hatten es kaum erwärmt. Sie fröstelte.
Dennoch genoss sie das lebendige Wasser um sich her, das sich aus den Rohren des Wasserspeiers in den großen Behälter ergoss. Die Luft war gesättigt von Nässe und hinterließ auf der Haut einen feinen Film aus Feuchtigkeit. Das Atmen fiel leichter an Sommertagen wie diesen, wenn draußen der Staub in kleinen, sich drehenden Wirbeln durch die Straßen getrieben wurde und Nasen und Kehlen reizte.
Die Wasserräder und Pumpen ließen die Wände und den Boden hier oben erbeben. Wenn Julia die Augen schloss und sich nur auf die Geräusche und das Vibrieren des Bodens konzentrierte, hatte sie das Gefühl, neben einem der größten Wasserfälle der Welt zu stehen. Julias Vater, der alte Brunnenmeister Auberlin Sixt, hatte ihr einmal erzählt, so fühle sich auch der Rheinfall bei Schaffhausen an, vor dem er als Geselle auf der Walz einmal gestanden hatte. Es war der Anteil ungebändigter Natur, die jedem Wasser zu eigen war.
Julia nahm einen Leinenlappen, tauchte ihn ins Wasser und begann, sich damit abzureiben. Sie strich wohl zum tausendsten Mal fest über ihren linsengroßen Leberfleck über dem rechten Mundwinkel – in der Hoffnung, dass er verschwinden würde. Gleichzeitig wusste sie, dass sie diesen Makel bis ins Grab tragen würde.
Sie bückte sich immer wieder, befeuchtete den harten Stoff und fuhr sich damit über den Mundwinkel, die Schenkel, den Bauch, rieb ihre Brüste ab und versuchte, auch den Rücken damit zu erreichen. Sie hatte die kleine Störung beinahe schon vergessen, als sich für einen Moment das Licht veränderte. Der Raum verdunkelte sich leicht.
Julia hob den Kopf und spähte zu den Lichtöffnungen empor. Nichts. Keine verdächtige Bewegung, kein Kopf, keine neugierigen Augen. Sie stand noch eine Weile so da, den einen Arm um ihre nackten Brüste geschlungen, ihre Scham mit der anderen Hand bedeckend, und überlegte, ob sie dieser Beobachtung abgeneigt war. Sie fühlte, wie ihr Blut in Wallung geriet, wenn sie daran dachte. Dann stieg sie entschlossen in die Wanne. Sie sah wohl schon Gespenster. Sie schob es auf die Tatsache, dass sie seit längerer Zeit ihr Bett nicht mehr mit einem Mann geteilt hatte. Da konnte es geschehen, dass man wunderliche Dinge sah. Sicher ging die veränderte Lichtstimmung auf eine Wolke zurück, die sich kurzzeitig vor die Sonne geschoben hatte.
Julia streckte sich in der Zinkwanne aus, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und lächelte. Nun empfand sie das Wasser als angenehm kühl, und es half ihr, die Hitze etwas zu dämpfen, die sich in ihr ausgebreitet hatte.
Was Gedanken so alles bewirken konnten!
Seit zwei Monaten war sie nun Witwe und führte die Geschäfte des Brunnenmeisters allein. Nur Michael, der Altgeselle ihres verstorbenen Mannes, der schon viele Jahre in der Brunnenmeisterei arbeitete, half ihr. Ihren Vater konnte man nicht mitzählen. Zwar verstand Auberlin Sixt noch immer viel von der Mechanik und hörte es, wenn eine der Pumpenwellen oder Druckröhren einer Überholung bedurfte, doch arbeiten konnte er nicht mehr. Er war blind.
Wie böse war er gewesen, als sie vor nunmehr drei Jahren Purkhart Löscher geheiratet hatte. Dieser war zwanzig Jahre älter als sie selbst gewesen, beinahe so alt wie ihr Vater. Dennoch hatte Auberlin Sixt für Purkhart den Platz geräumt. Er hatte seinem Altgesellen, der seinen Meister gemacht hatte und nun sein Schwiegersohn wurde, die Stelle überlassen. Auberlin Sixt hatte sich aufs Altenteil zurückgezogen und sich nur das lebenslange Wohnrecht ausbedungen. Seither saß er meist am Fenster seines Zimmers, das auf die Straße zum Roten Tor hinausging, und schaute hinaus, obwohl er doch blind war.
Julia war ihm zwar unendlich dankbar dafür gewesen, dass er Purkhart zu seinem Nachfolger gemacht hatte, musste jedoch täglich die Sticheleien ihres Vaters ertragen.
»Was willst du mit dem alten Narren?«, hatte er geschimpft. »Der macht dir keine Kinder mehr.«
Er hatte recht behalten. Ihre Ehe war unfruchtbar geblieben. Und vor etwas mehr als zwei Monaten war Purkhart Löscher dann bei einem Unfall zu Tode gekommen. Als ein paar Deicheln* auf einem Karren zu der Stelle transportiert wurden, wo sie für eine Wasserleitung verlegt werden sollten, hatte sich eine der hölzernen Röhren gelöst und den Brunnenmeister unter sich begraben. Dabei war er so unglücklich gefallen, dass er sich das Genick gebrochen hatte. Ein rascher Tod.
Da war es wieder, das Geräusch. Julia fuhr hoch und starrte nach oben, doch auch diesmal war nichts zu sehen. Die Okuli, die runden Oberlichter, ließen weiterhin nur Licht herein, die unteren rechteckigen Fenster waren geschlossen und von außen nicht zu erreichen.
Julia ließ ihren Blick aufmerksam von einem Fenster zum anderen gleiten. Da war nichts, und doch fühlte sie sich nicht mehr sicher. Eine Ahnung bemächtigte sich ihrer, dass sie tatsächlich nicht mehr allein war, und ließ sie nicht mehr los. Während sie langsam aus der Wanne stieg, behielt sie die Oberlichter im Auge. Sie griff nach einem Tuch, trocknete sich ab und rieb ihre Haut wieder warm.
Sie legte gerade das Handtuch zusammen und wollte es über den Wannenrand hängen, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung am Rundfenster nahe dem Großen Wasserturm wahrnahm. Sie drehte sich nicht sofort um, sondern versuchte, sich so zu stellen, dass sie einen raschen Blick nach oben werfen konnte.
Tatsächlich gewahrte sie einen Schatten, der aber gleich wieder verschwand. Aus Angst, den heimlichen Zuschauer zu erschrecken, wagte sie nicht, direkt zu den Oberlichtern hinaufzuschauen. Womöglich stürzte der Unbekannte ab. Das wollte sie nicht verantworten. Da sie aber unbedingt herausfinden wollte, wer sie so unverfroren beim Baden beobachtete, begann sie, sich aufreizend zu bewegen, lief nackt hierhin und dahin und zeigte gerade so viel von ihrem Körper, dass der Fremde nicht verschwand. Dabei versuchte sie, in eine bessere Blickposition zu gelangen.
Sie umrundete das große Wasserbecken, doch als sie dann den Blick zum Oberlicht hob, war der Spuk vorbei. Sie glaubte zwar, einen dunklen Wuschelkopf gesehen zu haben, doch sie konnte sich auch getäuscht haben. Sie hoffte allerdings, dass der Altgeselle Michael der Schelm war, der sich hier ein Vergnügen gönnte. Und auch wenn sie es nicht guthieß, hinterließ diese Heimlichkeit doch eine Erregung in ihr, die ihr guttat: Sie war noch nicht so alt, dass die Männer sich nicht mehr für sie interessierten.
Lächelnd forderte sie das Schicksal noch ein wenig weiter heraus – vielleicht ließ sich der Beobachter ja noch einmal locken. Sie ging zurück zur Wanne, hob ihr Unterkleid an, wusch sich zwischen den Beinen und ließ dann das Tuch fallen. Sie musste sich bücken, um es aufzuheben, und das tat sie steif und ungelenk und mit dem sicheren Wissen, dass es dem Mann in der Fensteröffnung den Verstand rauben würde. Erst dann kleidete sie sich in aller Ruhe wieder an.
Sie säuberte die Zinkwanne und horchte darauf, wie der heimliche Beobachter seinen Platz räumte, wie er sich zurückzog und dabei immer wieder ausrutschte. Während sie Kanne für Kanne den Überlauf hinunterschüttete, schwor sie sich, Michael zur Rede zu stellen und ihn gleichzeitig aufzufordern, beim Oberen der Zunft der Zimmerleute, zu der auch die Brunnenmeister gehörten, um ihre Hand anzuhalten. Michael war lange genug Geselle gewesen, um den Meistertitel zu erwerben. Und der Erfolg war ihm umso sicherer, als er dabei gleichzeitig um die Hand der Witwe des Brunnenmeisters warb. Wenn er zu schüchtern war, würde sie nachzuhelfen wissen. Dieses heimliche Beobachten musste jedenfalls ein Ende haben. Als sie an die verträumten Blicke dachte, die er ihr ständig zuwarf, wurde sie wütend. Sie musste mit ihm reden. So bald wie möglich.
*Glossar am Ende des Buchs
Das Krachen und der Schrei vom Werkhof her drangen beinahe gleichzeitig bis hinauf in ihre Stube. Es folgte ein Fluchen und Schimpfen, dann das hastige Scharren von Gegenständen, die beiseitegeräumt wurden, und die sich überschlagenden Stimmen mehrerer Männer.
Julia dachte kurz daran, dass Michael am Morgen gesagt hatte, sie wollten den neuen Deichelbohrer ausprobieren, mit dem die Baumstämme zu Röhren für die Wasserleitungen durchbohrt wurden. Sie warf ihre Stickarbeit beiseite, raffte den Rock und eilte die Treppe hinab. Von unten hörte sie das Poltern schwerer Stiefel. Auf dem letzten Treppenabsatz hielt sie inne und besah sich das Geschehen unten in der Werkstatt. Michael hatte einen der Lehrlinge auf der Schulter hereingetragen. Ihm folgten der Altlehrling Lienhard und Bertram, ein weiterer Geselle. Zu zweit legten sie den Jungen vorsichtig auf die Werkbank. Es war Jakob, der erst seit einem Monat Lehrling bei ihr war. Er blutete stark aus einer Wunde am rechten Arm. Der Junge stöhnte und jammerte vor Schmerzen und war nur halb bei Besinnung. Blut pulste in großen Mengen aus dem verletzten Arm.
Julia zögerte nur kurz, dann war sie bei den Männern.
»Reißt ihm das Hemd auf«, befahl sie rasch. Dann drehte sie sich um und rief laut zur Küche hinauf nach der Magd.
»Bring heißes Wasser, wir müssen eine Wunde auswaschen! Und bring Verbandszeug mit. Rasch, Marie!«
Sie nahm das Hemd, riss einen Streifen davon ab und band Jakobs Oberarm ab. Die Blutung wurde schwächer. Mit einem Blick, der Verletzungen durchaus abschätzen konnte, weil sie immer wieder mit solchen Wunden zu tun hatte, sah sie, dass dem Jungen wohl nicht mehr zu helfen war. Etwas hatte die große Ader im unteren Teil des Oberarms zerrissen. Das konnte kaum heilen.
Marie kam herbeigesprungen, eine Kanne mit heißem Wasser in der einen und frische Tücher in der anderen Hand. Eine Schüssel hatte sie sich unter den Arm geklemmt.
»Jakob!«
Sie schrie seinen Namen, als sie den verletzten Jungen sah, und hätte beinahe den Krug fallen lassen. Gerade noch rechtzeitig griff Julia zu, erwischte den Henkel und stellte das Gefäß auf den Tisch. Die Schale jedoch polterte zu Boden und zersprang in tausend Scherben.
Dann erst verstand Julia: Jakob war Maries jüngster Bruder.
Doch die Brunnenmeisterin hatte keine Zeit, sich mit Maries Schrecken auseinanderzusetzen.
»Rasch, hol eine neue Schüssel!«, fuhr sie die Magd an.
Marie stand da wie angewurzelt, hatte die Hände vor den Mund geschlagen und starrte auf den leblosen Körper.
»Jakob, Jakob, Jakob, Jakob«, flüsterte sie unaufhörlich, als könnte sie damit das Unglück bannen.
»Rasch, hol eine neue Schüssel«, wiederholte Julia barsch.
Marie hob den Kopf und sah sie mit leerem Blick an, dann nickte sie und stürzte aus dem Raum.
Mittlerweile war Julias weiße Schürze voller Blut. Sie tauchte das frische Tuch in den Krug und begann, die Wunde zu säubern, während die Männer um den Jungen herumstanden. Der schrie bei der ersten Berührung auf und zuckte zusammen.
»Haltet ihn wenigstens fest, ihr nichtsnutzigen Kerle«, knurrte Julia in Richtung der Männer, die daraufhin Jakobs Arme und Beine ergriffen.
»Wie ist das passiert?«, fragte sie, an Michael gewandt, der direkt neben ihr stand. Er roch nach Harz und frischer Tanne.
»Beim Deichelbohren. Das Holz hat sich verkantet, und der Bohrer ist abgerissen. Der Schaft hat dem Jungen den Arm aufgeschnitten.«
Julia arbeitete rasch, aber vorsichtig. Ein hässlicher Riss lief vom Ellenbogen ausgehend den Muskel hinauf bis unter die Achsel. Vom Muskel selbst war nichts mehr zu sehen. Die Sehne war vermutlich abgerissen.
Der neue Deichelbohrer sollte mit Wasserkraft angetrieben werden. Ihr Mann hatte sich davon eine schnellere Durchbohrung der Stämme versprochen. Drei Röhren pro Tag statt nur einer einzigen.
»Warum stand Jakob neben dem Bohrer?«, fragte sie, während sie sich über Jakob beugte und die Verletzung untersuchte.
»Er wollte sehen, wie die neue Maschine arbeitet.«
Julia seufzte. Sie konnte in der Wunde den kleinen Schlauch der Arterie sehen. Sie würde ihn abbinden müssen, bevor er sich zurückzog und im wunden Fleisch verschwand. Dann wäre der Junge verloren.
»Wenn Jakob viel Glück hat«, sagte sie leise, »und ich meine viel Glück, dann wird sich die Wunde nicht entzünden und der Faden, mit dem ich jetzt die Arterie hier abbinde, auch keine Eiterung verursachen. Dann wird er wenigstens den Arm behalten, wenn er ihn auch nie wieder gebrauchen kann. Falls es anders kommt, müssen wir ihm den Arm abnehmen. So oder so wird er zum Krüppel.«
Hinter ihr kreischte Marie auf, die mit der neuen Schüssel in der Tür der Werkstatt stand.
»Nein, das könnt Ihr ihm nicht antun. Nicht Jakob!«
»Marie«, sagte Julia beschwichtigend, »noch ist es nicht so weit. Gib mir die Schüssel – und dann lauf hinauf in die Nähstube und hol einen gewachsten Zwirn und eine Nadel. Schnell, bevor es zu spät ist.«
Die Magd sprang davon. Diesmal schneller. Julia nahm wahr, wie sie zwei Stufen auf einmal nahm, während sie nach oben lief.
»Und du, Michael, hol eine der feinen Zangen und eine Kerze.«
Der Altgeselle nickte. Ohne ihr in die Augen zu sehen, verließ er den Raum und ging hinüber in den Schuppen auf der anderen Seite des Hofes, in dem sich die alte Werkstatt befand, um das Gewünschte zu holen.
Julia betete, dass sie rechtzeitig zurück sein würden, bevor Jakobs Schock sich löste und die Ader in die Wunde schlüpfte. Dann würde der Junge unweigerlich verbluten.
Unterdessen säuberte sie ihre Hände mit heißem Wasser. Schließlich erschien Marie mit dem Zwirn, und auch Michaels Schritte waren zu hören. Lienhard, der Lehrling, hatte in der Zwischenzeit eine Kerze entzündet.
»Du musst die Ader halten«, sagte Julia so selbstverständlich wie möglich zu Michael.
Sie nahm ihm die feine Zange aus der Hand, hielt sie kurz über die Kerzenflamme, dann griff sie in die Wunde, packte den Stummel der Hauptader und zog ihn etwas an. Jakob stöhnte auf, hielt aber sonst still.
»Nimm!«, befahl sie, und die Zange wechselte zu Michael. Sie streckte ihren Arm aus, und Marie legte ihr den Zwirn in die Hand. Mit einer raschen Bewegung knüpfte sie einen Knoten um die blutdunkle Röhre und verschloss sie so.
»Fertig!«, sagte sie nur.
Michael ließ los, und die Ader verschwand in der Wunde.
Alles Weitere war Julia vertraut. Sie säuberte die Wunde, legte die Wundränder aneinander und begann, sie zusammenzufügen, wie sie zwei Stoffteile zusammennähte, um daraus ein Kleid zu fertigen.
Erst als die Wunde geschlossen war, spürte sie, wie sich der Boden unter ihren Füßen bewegte. Dabei war es nicht der Boden, es waren ihre Knie, die weich wurden und sie nicht mehr halten wollten. Sie ließ sich auf den hölzernen Schemel sinken, den Michael ihr hingestellt hatte.
»Wie konnte das passieren?«, fragte sie, die Augen vor Anstrengung geschlossen.
»Ich … ich weiß es nicht … ich war nicht dabei«, erwiderte Michael leise.
Julia hob den Kopf und sah den Altgesellen an.
Sein dunkler Wuschelkopf mit den kaum zu bändigenden Haaren war an einer Seite feucht vom Blut des Jungen. Aus seinen ebenso dunklen Augen sprachen Trauer und Verzweiflung.
»Was sagst du da? Sie arbeiten am Deichelbohrer, und du bist nicht in der Nähe?«
Julia war entsetzt. Es tat ihr besonders weh, Michael dafür zu maßregeln.
»Ich … ich war zur Vordertür geholt worden. Der Zunftobere der Zimmerer …«
»Was schert dich der Zunftobere der Zimmerer?«, schrie Julia ihn an. Michael senkte schuldbewusst den Kopf. »Du darfst deinen Platz nicht verlassen. Du weißt, wie der Apparat arbeitet, und nur du! Herrgott.«
In diesem Augenblick verdunkelte sich der Raum, als sich eine mächtige Gestalt zur Tür hereinschob.
»Mir war danach hereinzukommen«, dröhnte ein Bass, der Gläser zum Zittern gebracht hätte. »Ich musste nur zuvor die Unglücksstelle besichtigen. Der Treibriemen war zu stark geharzt. Sie konnten den Bohrer nicht rechtzeitig anhalten. Eindeutig die Schuld des Altgesellen.« Der mächtige Mann mit einem bis zur Brust reichenden Bart, dessen ehemalige Schwärze mit den Jahren einem Gespinst aus schwarzen, rötlichen, blonden und weißen Haaren gewichen war, baute sich vor Julia auf. »Löscherin! Schon wieder ein Vorfall! Der dritte seit …«
»Schweigt!«, fuhr Julia ihn an. »Niemand redet so mit mir. Auch Ihr nicht, Mathias Neumiller.«
»Julia Löscherin«, donnerte die Stimme des Zunftoberen der Zimmerleute durch die Werkstatt. »Ihr werdet doch nicht leugnen wollen, dass diese Vorfälle den Eindruck vermitteln, Ihr würdet … nun ja … Ihr wärt überfordert.«
Julia drehte ihm den Rücken zu.
»Michael«, sagte sie so ruhig, wie es ihr möglich war. »Bring den Jungen nach Hause. Marie soll sich um ihn kümmern. Jede Stunde wird der Verband gewechselt. Und nur sauberes Linnen, hast du gehört? Sauberes Linnen und sonst nichts. Keine Quacksalberei!«
Julia sah Jakob an, als Michael ihn gemeinsam mit Bertram hinaustrug. Der Junge lag noch immer da wie tot, weiß wie die Wand. Als wäre alles Blut aus ihm herausgelaufen. Dann wandte sie sich wieder dem Zunftoberen zu.
»Und jetzt zu Euch, Mathias Neumiller. Aus meinem Haus, bevor ich mich vergesse!«
Er rührte sich nicht von der Stelle, verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie unverwandt an.
»Es ist nicht Euer Haus, Löscherin. Es gehört der Stadt und wird von meiner Zunft verwaltet. Das wisst Ihr so gut wie ich.«
Julia wusste es nur zu gut. Seit dem Tod ihres Mannes bekam sie das wöchentlich mindestens einmal von ihm zu hören. Doch sie war die Witwe des Brunnenmeisters, und gemeinsam mit ihrem Vater besaß sie das Wohnrecht, bis die Stadt einen neuen Brunnenmeister einsetzte.
Julia überlief es kalt. Sie war in diesem Haus aufgewachsen und konnte sich nicht vorstellen, es zu verlassen. Sie kannte und liebte jeden Winkel. Als Kind hatte sie gern die beiden bronzenen Wasserspeier gestreichelt, die rechts und links die schwere Haustür zur Stadt hin flankierten. Und dann hatte sie sich auf den Holzsteg gesetzt, der den direkt am Haus vorbeifließenden Lochbach überspannte, und die Beine herunterbaumeln lassen.
»Mein Vater war …« Julia versuchte Boden zu gewinnen, doch Neumiller fiel ihr mit seiner gewaltigen Stimme ins Wort.
»Euer Vater ist blind. Euer Mann ist vor zwei Monaten gestorben. Die Trauerzeit ist bald herum. Sucht Euch einen Mann – oder die Zunft wird Euch einen verpflichten.«
Wie der Blitz fuhr Julia herum. Hätten ihre Augen Flammen sprühen können, wie ein Drache Feuer speit, der Zunftobere wäre in einer heißen Lohe aufgegangen.
»Das wagt Ihr nicht!«
»Der Beschluss ist gefasst. Und wenn ich Euch hier herumpfuschen sehe, dann sollten wir uns damit beeilen, bevor noch mehr passiert. Je eher, desto besser.«
»Wen meint Ihr denn mit ›wir‹? Ihr habt doch schon ein Eheweib – und ich würde Euch auch nicht nehmen, selbst wenn ich Euch geschenkt bekäme.«
Neumiller lachte überlaut, aber es klang nicht heiter. In seiner Stimme lag bitterer Ernst, als er entgegnete: »Ihr werdet meinen Sohn heiraten, wenn Ihr keinen anderen Kandidaten findet, Löscherin!«
»Hannes? Euren Tunichtgut von Sohn? Er hat noch nicht mal sein Meisterstück abgeliefert. Niemals!«
Der Zunftobere stand da und sah auf sie herab. Julia war gut eineinhalb Köpfe kleiner als der vierschrötige Mann mit dem breiten, beinahe quadratischen Schädel.
»Das wird er. Verlasst Euch drauf. Ich warne Euch …«, fuhr Neumiller fort. »Wir könnten Euch zwingen … und dann müsst Ihr nicht nur aus dem Haus.«
Julia schnaubte durch die Nase. Sie würde sich durch diesen intriganten Kerl nicht einschüchtern lassen.
»Ihr wollt mich also auch aus der Stadt weisen. Nun, das will ich sehen!«
Sie hob ihren Rock an und stolzierte an dem Mann vorbei zur Treppe. Als sie an ihm vorüberstreifte, hielt der Zunftobere sie am Arm fest.
»Wir wollen Euch nicht demütigen, Löscherin. Aber es geht nicht anders, so begreift das doch.«
Julia riss sich mit einem Ruck los.
»Wie kommt Ihr dazu, mich anzurühren? Verschwindet. Auf der Stelle!«
Sie drängte sich an ihm vorbei und stieg in den ersten Stock hinauf.
»Ihr solltet Euch säubern. Ihr seht aus wie ein Metzger«, rief Neumiller ihr nach. »Ich komme wieder, dann aber mit der Entscheidung. Ihr könnt nicht davor weglaufen.«
In Julias Augen sammelten sich Tränen der Wut. Sie wusste, dass der Zunftobere sie wirklich zwangsverheiraten konnte. Er brauchte nicht viel dafür zu tun, nur den Hinweis zu geben, dass die Wasserkunst der Stadt Augsburg nicht unbeaufsichtigt, nicht in der Hand einer unerfahrenen Frau verbleiben durfte. Im Grunde aber war sie wütend darüber, dass der Zunftobere gerade heute aufgetaucht war und dass Michael sich immer noch nicht getraut hatte, sie anzusprechen.
»Hat er dir wieder gedroht?«
Julia fuhr zusammen, als sie, kaum dass sie in die Stube gestolpert war, die Stimme hinter sich hörte. In dem Sessel im Herrgottswinkel saß ihr Vater, beide Hände auf einen Stock gestützt, und sah sie an. Jedenfalls hätte das jeder angenommen, der ihn nicht kannte. Nur wer ihn genau ansah, konnte den grauen Fleck in dem rechten Auge erkennen, dort, wo das Dunkel der Pupille hätte sein sollen. Aber auch das linke Auge war nicht mehr zu gebrauchen. Zu schwach, sagte ihr Vater, zu trüb.
Einmal hatte Julia ihren Vater überreden wollen, sich den Star stechen zu lassen, doch Auberlin Sixt hatte sich strikt geweigert.
»Wenn mir der Herrgott diese Bürde aufgeladen hat, darf ich sie nicht von den Schultern werfen«, hatte er nur gesagt und hinzugesetzt: »Lieber bin ich blind, aber lebendig, als sehend und tot.«
Julia wusste, dass er damit auf Pater Cyrus anspielte, den Leiter des Heilig-Geist-Spitals, das gleich neben der Brunnenmeisterei lag. Vor nicht ganz vier Jahren hatte sich der Pater den Star stechen lassen. Und was sich anfänglich gut angelassen hatte, war ihm letztlich zur Hölle geraten. Nach einer Woche hatte sich das Auge entzündet, nach zwei Wochen war dem Pater der Eiter aus der Nase gelaufen, nach drei Wochen hatte ihm ein Eiterherd in der Augenhöhle den Augapfel aus dem Kopf gedrückt, und die Entzündung hatte sich auf das zweite Auge ausgeweitet. Pater Cyrus war verrückt geworden, hatte tagelang nur geschrien und seinen Gott angefleht, ihn zu erlösen, und war schließlich unter den qualvollsten Schmerzen gestorben. Sie hörte heute noch den Widerhall seiner Schreie im Innenhof des Brunnenmeisterhauses.
»Ich habe dich was gefragt, Kind!«, bohrte der alte Brunnenmeister nach.
Julia schrak aus ihren Gedanken auf.
»Ja, hat er«, sagte sie. »Aber lass es gut sein. Dich geht es nichts mehr an, Vater.«
»Und ob es mich was angeht!«, knurrte er. »Was der Kerl zu dir sagt, sagt er zu mir.«
»Er wird es nicht wahr machen.«
Das war Julias Hoffnung, die allerdings auf tönernen Füßen stand. Im Grunde wusste sie, dass die Zeit für eine Entscheidung knapp wurde.
»Herrgott, dann frag du ihn doch, wenn er schon nicht Manns genug ist!«, polterte Auberlin Sixt.
»Was? Wer?«, fragte Julia, völlig überrascht über den plötzlichen Ausbruch ihres Vaters.
Der Alte schien noch ein wenig weiter in sich zusammenzusinken, als er zu kichern anfing. Er musste den Kopf auf die beiden über dem Stockknauf gefalteten Hände legen, so sehr schüttelte ihn das Lachen.
»Kind, Kind, ich bin blind, aber nicht blöd. Glaubst du, es fällt mir nicht auf, dass du zu gurren anfängst wie eine Taube beim Schnäbeln, wenn der Michael seinen Fuß über die Türschwelle setzt? Glaubst du, ich merke nicht, dass du dich einmal die Woche mehr wäschst, als es geboten wäre? Vor allem dann, wenn der Altgeselle zum Abendessen kommt? Ist meine Nase verstopft, oder sind es meine Augen? Natürlich rieche ich den Lavendel in deinen Haaren – und sie duften so frisch wie bei deiner Mutter damals.«
Julia schüttelte den Kopf. Diesem alten Fuchs konnte man nichts vormachen.
»Ach ja, und all das sollen deine angeblich so gute Nase und deine nicht minder guten Ohren mitbekommen haben. Sonst bist du taub wie eine Nuss und riechst wie ein ganzer Keller voll Bier. Aber meinen Lavendelduft und den Klang meiner Stimme, die willst du bemerkt haben?«
Auberlin Sixt stieß seinen Stock energisch auf die Dielen.
»Ja. Und ich sage dir, pack ihn beim Haar und zerr ihn ins Bett, sonst kommt er womöglich gar nicht auf den Gedanken, dich zu freien.«
»Vater!«, rief Julia in empörtem Ton, auch wenn sie innerlich schmunzeln musste. Ihr Vater hatte noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Das war nicht immer gut angekommen, aber es hatte ihm auch nie geschadet. »Was denkst du nur … und warum gibst du mir solche Ratschläge?«
»Weil ich älter bin als du und weiß, wie das Leben so geht. Ich hatte zwei Frauen. Gott hab sie beide selig. Aber ich kannte sie alle beide vorher – und ich wäre immer noch ein unerfahrener Tölpel und nicht Meister, wenn mir die alte Brunnenmeisterwitwe damals nicht gezeigt hätte, wofür der Herr bestimmte Körperteile und Körperöffnungen geschaffen hat.« Abwehrend hob er eine Hand, weil er offenbar hörte, wie sie die Luft einsog und zum Protest ansetzte. »Bevor du mir jetzt eine Predigt über christliche Sitten und Moral hältst, lass dir gesagt sein, dass die Herren Geistlichen allesamt aussterben würden, wenn unsereins nicht das pflegen würde, wofür wir geschaffen wurden.«
Erneut stieß er seinen Stock heftig auf die Dielen. Dann stand er wankend auf.
»Der Neumiller hatte recht. Gerade riechst du wie ein ganzes Schlachthaus. Geh und wasch dir das Blut ab.«
Mit offenem Mund schaute Julia ihm nach, als er aus dem Raum schlurfte.
Während sie noch wie so oft darüber nachsann, ob ihr Vater wirklich blind war – so geschickt, wie er sich im Haus bewegte –, rief sie schon nach dem Altgesellen. Er würde ihr zur Hand gehen müssen.
Es dauerte nicht lange, und Michael stapfte, in jeder Hand eine Kanne mit heißem Wasser, vor ihr die Treppe zur Brunnenstube im Kleinen Wasserturm hinauf. Julia trug einen dritten Krug und über dem anderen Arm frische Kleidung für sich. Sie stellte ihren Krug ab und deutete auf die leere Zinkwanne.
»Hinein damit und zwei Krüge mit kaltem Wasser hinterher«, befahl sie, und Michael gehorchte.
Julia konnte seine Verlegenheit beinahe mit Händen greifen. Sein Gesicht war rot angelaufen, und sie glaubte nicht, dass es wegen der Anstrengung war, die Krüge die Spindeltreppe hochzuschleppen. Dafür war er zu kräftig, zu ausdauernd. Tagtäglich lief er im Wasserwerk treppauf, treppab, in diesem Labyrinth aus alten und neuen Gebäuden.
Die Hände in den Hüften stand sie da und beobachtete, wie unbeholfen er hantierte. Wer ihm zusah, hätte kaum geglaubt, einen der geschicktesten Handwerker vor sich zu haben, die Julia in der Brunnenmeisterei je gesehen hatte – und sie hatte in den Jahren, in denen ihr Vater hier gearbeitet hatte, viele kennengelernt.
»Du musst mir helfen, aus diesen verdreckten Kleidern herauszukommen«, sagte sie und schlüpfte aus ihren Holzschuhen. Dann wandte sie ihm den Rücken zu und deutete mit dem Daumen auf die Schlaufen an ihrer Schulter, mit denen das Oberkleid festgehalten wurde. »Meine Hände sind blutverkrustet.«
Zuerst war es so still hinter ihr, als wäre der Wasserzufluss, den die Pumpen durch die Röhren heraufförderten, kurzzeitig unterbrochen worden. Doch das kam ihr nur so vor, weil sie sich auf die Antwort des Altgesellen zu konzentrieren versuchte.
»Aber … ich … Marie … sollte doch …«, stotterte Michael vor sich hin.
»Marie hat mit ihrem Bruder gerade andere Sorgen«, herrschte sie ihn an. »Jetzt hilf mir, die Bänder zu lösen.«
Sie hätte das auch allein geschafft, wie sie es jeden Abend tat. Doch sie wollte die Entscheidung erzwingen. So, wie ihr Vater es ihr geraten hatte.
Julia horchte auf das Knarren der Dielen, als Michael näher trat. Sie schloss die Augen, wollte den Augenblick genießen. Doch niemand griff nach ihren Kleiderschlaufen, niemand umfasste sie oder legte ihr seine Hand auf die Hüfte.
Als sie sich verblüfft umdrehte, war der Altgeselle verschwunden. Wollte er mit ihr spielen? Hatte er sich versteckt? Sie suchte zuerst um das große Wasserbecken herum, doch Michael war nirgends zu finden. Sie sprang zur Treppe, die steil nach unten lief, und rief seinen Namen.
»Michael?«
Er stand auf der untersten Stufe und sah zu ihr hoch. In seinem Gesicht spiegelte sich Enttäuschung. Julia ahnte, dass sie zu weit gegangen war.
»Ich bin nicht der Spielball Eurer Launen, Meisterin«, sagte er leise. Enttäuschung lag in seiner Stimme – und Julia fühlte sich schuldig. Das hatte sie so nicht gewollt.
»Das … das ist keine Laune, Michael«, entgegnete sie verlegen.
Der Altgeselle brummte etwas Unverständliches und verschwand.
Warum sind Männer nur so schwer von Begriff?, dachte sie. Sie schlug mit der Faust gegen das hölzerne Geländer der Treppe und tat sich dabei ordentlich weh. Wollte er sie nicht? Einerseits beobachtete er sie heimlich durch die Rundfenster des Wasserturms, andererseits verschmähte er sie, wenn sich die Gelegenheit bot. Wer sollte das verstehen?
Sie drehte sich um und zerrte an den Schlaufen des Kleides. Sie riss sich das Gewand regelrecht vom Leib und stieg in die Wanne. Dann ließ sie den Blick über die Simse der Fensteröffnungen gleiten. Wehe ihm, er hatte sie sitzen lassen, um dann auf den Turm zu steigen und ihr von dort aus zuzusehen. Sie würde mit dem Holzschuh nach ihm werfen!
Fand er sie hässlich? Mochte er sie vielleicht doch nicht? Hatte sie seine Blicke falsch gedeutet, und es waren nicht die schmachtenden Augen eines Verliebten, der um Erfüllung bettelte, sondern die eines Mannes, der Mitleid hat mit der Frau, die vor ihm steht? Nein, das konnte nicht sein. So sehr konnte sie nicht täuschen. Zwar hatte sie keine Übung mehr in der Deutung von Männerblicken, doch eine Frau spürte, wenn jemand um sie warb.
Sie begann ihren Körper mit Seife und einem Lappen abzureiben und vom Blut des Jungen zu säubern. Sie tauchte ihre lockigen goldblonden Haare ins Wasser und spülte sie, bis sie sauber waren. Dann stieg sie aus der Wanne und warf ihr Kleid in den Bottich, um den Stoff und die blutverkrusteten Stellen einzuweichen. Schließlich kniete sie sich hin und begann, die verdreckten Stellen mit Seifenlauge zu bearbeiten. Sie schrubbte so verbissen, dass sie ausglitt und um ein Haar mit dem Oberkörper in die Wanne gerutscht wäre. Diese kippte leicht, eine Welle schlug gegen die Wand des Bottichs, und ein Schwall Laugenwasser ergoss sich in die Brunnenstube.
Julia fluchte leise. Rasch wrang sie ihr Unterkleid aus, ging in die Hocke und versuchte, das Wasser aufzuwischen, bevor es durch die Dielen in den unteren Raum sickerte, sonst würde es Flecken an der Decke geben.
Dabei bemerkte sie, dass die letzte Bohlendiele zur Außenwand hin locker war. Das Brett klapperte, als wäre es nicht richtig befestigt. Das stellte eine Gefahr dar. Wenn jemand auf die Diele trat und diese hochschnellte, konnte er sich schwer verletzen. Also prüfte Julia, wie locker sie war – und tatsächlich ließ sie sich anheben, wenn man fest auf das eine Ende drückte. Julia seufzte. Als Brunnenmeisterin musste sie solche Dinge reparieren lassen. Sie würde einen der Lehrlinge heraufschicken, damit er das Brett festnagelte. Allerdings schien es nicht so eilig zu sein. Die Diele hob sich nur, wenn man die Mauerseite betrat. Im Gang selbst lag das Brett satt auf und klapperte nur. Julia richtete sich auf, trat mit dem nackten Fuß auf die Außenseite der Diele, und tatsächlich klappte sie hoch. Ein Nagel würde genügen.
Noch bevor sich die Holzbohle wieder absenkte, entdeckte Julia etwas Merkwürdiges darunter. Einen Stoffbeutel. Ein Jutesäckchen. Aber das war sicher nur die Matte, die üblicherweise von unten gegen die Decke genagelt wurde, damit der Staub nicht durch die Ritzen nach unten fiel, sagte sie sich.
Doch sie wusste, dass sie dieser flüchtige Blick und die Ungewissheit über das, was sie gesehen hatte, den ganzen Tag und bis in die Nacht begleiten würden. Sie würde kein Auge zutun, bevor sie nicht noch einmal das Brett angehoben und nachgesehen hatte.
Sie trat erneut auf die Wandseite der Diele, doch diesmal griff ihre Hand nach der aufschnellenden Holzdiele und hob sie aus dem Gebinde. Darunter kam ein kleiner Raum zum Vorschein. Breiter als das Brett und mit Holz ausgekleidet.
Julia stand da wie versteinert. Das war ein Versteck!
Sie kniete sich hin und untersuchte den Hohlraum unter dem Fußboden. Er reichte eine weitere Männerhand breit zu jeder Seite unter die Nachbardielen und hatte eine Länge von gut fünf Fuß. Drei Gegenstände lagen darin: ein Dolch, ein Schwert und ein kleines Säckchen, so lang und schmal wie ihr Unterarm.
Der Dolch war an Griff und Parierstange mit Einlegearbeiten aus Silber und Gold verziert, die an den Enden in Edelsteinen ausliefen. Das Schwert war nicht weniger prächtig: Der Handgriff hatte eine Wicklung aus einer goldenen und silbernen Edelmetallkordel und wurde am Knauf hinten von einem rubinroten Stein abgeschlossen. Die Parierstange war ebenfalls vergoldet. Die Klinge glänzte ölig, und in der Blutrinne blitzten pflanzenartige Einlegearbeiten aus Gold.
Julia musste schlucken. Diese Waffen waren ungeheuer wertvoll. Sie berührte weder Dolch noch Schwert, sondern griff nach dem unscheinbaren Jutesäckchen und wollte es herausheben, doch es war zu schwer. Julia stutzte und nahm beide Hände zu Hilfe. Als sie den Beutel auf dem Holzboden absetzte, gab es einen metallisch dumpfen Ton. Sie zog an der Schlaufe am oberen Ende und spähte hinein. Ihr stockte der Atem. Mit zitternden Händen kippte sie das Säckchen und schüttete einen Teil des Inhalts auf die Dielen: Es waren Goldmünzen. Rheinische Gulden. Rasch leerte sie den Inhalt ganz aus und begann fieberhaft zu zählen. Beim ersten Überfliegen kam sie auf zweihundert Gulden. Zweihundert. Das waren sechs Jahresgehälter eines Brunnenmeisters. Ein kleines Vermögen.
Rasch sah sie hinauf zu den Oberlichtern, doch dort oben war alles ruhig. Sie sammelte die Münzen in das Säckchen und legte es behutsam an seinen Ort zurück. Schließlich nahm sie die Diele und setzte sie wieder ein.
Erst jetzt besann sie sich darauf, dass sie noch immer splitternackt war. Sie warf ihr Hemd, mit dem sie den Boden aufgewischt hatte, zurück in den Bottich, trocknete sich mit einem Leintuch ab und zog sich ihre frischen Kleider über. Sie schlüpfte in ihre Holzschuhe, und, nachdem sie ihre Wäsche ausgewrungen hatte, entleerte sie das Wasser des Bottichs mit der Kelle über dem Abguss.
In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was waren das für Waffen? Wem gehörten sie, und wem gehörte das Geld? Wer hatte das alles versteckt? Ihr Mann? Wozu?
Die Fragen prasselten auf sie ein und verursachten in ihrem Kopf ein vielstimmiges Dröhnen. Sie hielt sich den Kopf mit beiden Händen. Wäre nur jemand bei ihr gewesen, mit dem sie darüber hätte sprechen und ihre Gedanken ordnen können.
Sie schrak auf, als Marie plötzlich neben ihr auftauchte.
»Lasst mich das machen, Herrin.«
»Oh, Marie. Du. Ich hab dich nicht gehört. Was willst du hier?«
»Helfen«, sagte die junge Frau nur.
Sie war blass, und man sah noch die Tränenspuren auf ihren Wangen. Ihr Mund war ein schmaler Strich aus Selbstbeherrschung.
»Wie geht es Jakob?«, fragte Julia leise.
Zuerst sagte Marie nichts, sondern griff nach der nassen Kleidung und wrang sie über dem Abguss noch einmal kräftig aus. Dann sah sie Julia direkt an. Erst jetzt fielen der Brunnenmeisterin die schwarzen Ringe um Maries Augen auf. Es sah aus, als hätten sich die Augen tiefer in den Kopf zurückgezogen.
»Jakob lebt«, presste Marie hervor. »Und er schläft.«
Julia nickte nur. Die Magd sammelte die Krüge ein und stellte sie neben den Abgang. Dann holte sie die nasse Kleidung, hielt sie gegen das Licht und faltete sie lose zusammen.
»Man wird noch einmal drübergehen müssen«, sagte sie tonlos. »Es sind nicht alle Flecken rausgegangen.« Sie hängte die Kelle zum Ausschöpfen wieder an die Außenwand des Bottichs, ging zur Treppe und nahm zwei der Krüge auf. »Den Rest hole ich nachher.«
Viermal, Julia hatte mitgezählt, war Marie über die kippende Bohle gegangen. Viermal hatte das Brett gehalten, ohne auch nur zu klappern. Viermal war Julia versucht gewesen, das Geheimnis auszuplaudern und mit der Magd zu teilen. Doch immer, wenn sie zum Reden ansetzte, sperrte sich etwas in ihr dagegen.
»Danke, Marie. Den letzten Krug und die nasse Wäsche nehme ich selbst mit hinunter.«
Die Magd nickte und verschwand. Einen kurzen Augenblick überlegte Julia, ob sie das Versteck ausräumen sollte, doch dann verwarf sie den Gedanken. Sie hatte es nur zufällig entdeckt. Es war bislang sicher gewesen, dann würde es auch weiterhin sicher sein. Sicherer jedenfalls als jeder andere Ort, den sie kannte.
Vorsichtig stieg sie die Treppe hinunter und ging in die Küche. Nachdem sie Marie den Krug in die Hand gedrückt und die Wäsche zum Waschen gegeben hatte, machte sie sich auf die Suche nach ihrem Altgesellen. Sie musste ihn zur Rede stellen. Er musste ihr erklären, wie es zu dem Unfall hatte kommen können.
Wie vermutet, fand sie Michael draußen beim Deichelbohrer. Er war gerade dabei, die Metallringe auf die Enden der Holzröhren aufzuschlagen, über die diese miteinander verbunden wurden. Diese Bleiverbindungen wurden halb in die Bohrung eingebracht und verhinderten so, dass Wasser austrat. Der Kiefernstamm war nicht in der Mitte angebohrt, sondern leicht zur Seite versetzt. Das geschah, um den Widerstand zu mindern, den das Kernholz dem Bohrer entgegensetzte. So ging es schneller.
Sogleich bemerkte Julia die gedrückte Stimmung unter ihren Leuten. Sie betrachtete den abgebrochenen Bohrer. Die Eisenstange mit dem Bohrgewinde lag krumm neben dem noch immer in das Holzgestell eingespannten Deichelstamm und war an der Bruchstelle dunkel von Blut.
»Ich dachte schon, dass Ihr Euch das ansehen wollt, Meisterin«, sagte Michael.
Lienhard und Bertram, der zweite Geselle, traten beiseite.
»Der Zunftobere hatte recht«, fuhr Michael fort. »Der Riemen, der den Bohrer antreibt, war zu stark geharzt. Er hat sich verhakt, vermutlich an einem Ast im Inneren. Der Junge konnte den Bohrer nicht mehr anhalten.«
Julia sah in die Runde. Die Männer hatten verlegen ihre Köpfe gesenkt, als wüssten sie, was jetzt kam, und wollten nicht antworten.
»Wer war für das Harzen verantwortlich?«
Nur Michael hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Er presste die Lippen aufeinander, sagte aber kein Wort.
»Hat jemand gesehen, wie der Junge nachgeharzt hat?«, fragte sie, diesmal schärfer.
Alle schüttelten die Köpfe.
»Wir waren am Vormittag nicht hier. Er könnte es aber gemacht haben«, sagte Michael.
Wieder senkten Lienhard und Bertram die Köpfe und drehten wortlos die Mützen in den Händen. Nur Michael schaute Julia weiter unverwandt an. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er seine Kappe auf dem Kopf behalten hatte.
»Was nicht erklärt, warum der Treibriemen so fest klebte«, fuhr Michael fort.
Er hob den Topf mit dem Harz an, der noch immer neben dem Deichelbohrer stand, roch daran und hob eine Augenbraue. Dann stellte er ihn wieder zurück. Stumm.
»Warum war der Junge allein? Es hätte jemand bei ihm sein müssen!« Julia zischte die Bemerkung regelrecht hervor, und in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie die Schlange war, die ihr Opfer erspäht hatte und jetzt in die Enge trieb.
»Ich hätte da sein müssen. Die Ausbohrungen sind meine Aufgabe.«
Michael stand vor ihr, ruhig, ganz Selbstsicherheit und Stolz. Er war der geborene Brunnenmeister. Jemand, der selbst in der schwierigsten Situation gelassen blieb und die Sache im Auge behielt, sich nicht aus der Fassung bringen ließ.
»Geht«, sagte Julia. »Ich gebe euch für heute frei. Verschwindet!«
Bertram und Lienhard drehten sich um und gingen auf das Pumpenhaus zu. Michael wollte sich ebenfalls abwenden und ihnen folgen.
»Du nicht!«, sagte Julia barsch und biss sich auf die Lippen. Sie hatte ihn nicht anfahren wollen. Warum gelang ihr ihm gegenüber kein normaler Ton?
Sie wartete, bis die beiden auf der anderen Seite des Brunnenbachs im Großen Wasserturm verschwunden waren. Dann trat sie dicht an Michael heran. Doch bevor sie ein Wort sagen konnte, kam er ihr zuvor.
»Ihr könnt gleich losschimpfen, Meisterin. Aber zuvor solltet Ihr zwei Dinge wissen und kurz darüber nachdenken.«
Michael bückte sich und hob den abgebrochenen Bohrer auf. Er zeigte auf die Bruchstelle.
»Seht Ihr das?« Dann ging er zum Harztopf und hielt ihn ihr unter die Nase. »Riecht Ihr das?«
Julias Wut war Überraschung gewichen. Was sollte sie sehen, was riechen?
»Sprich nicht in Rätseln, Michael!«
Der Altgeselle deutete auf die Stange – und tatsächlich fiel Julia auf, dass die eine Bruchstelle der Stange krumm und abgedreht wirkte, die andere aber völlig glatt war.
»Der Bohrer ist angesägt worden. Er musste brechen. Irgendwann. Und dann dieser eigentümliche Geruch, als wäre eine tote Ratte ins Harz gefallen.«
»Und was bedeutet das?«
»Knochenleim«, sagte Michael. »Das Harz ist mit Leim versetzt worden. Harz allein hätte niemals so geklebt. Der Knochenleim erwärmt sich durch die Umdrehungen des Bohrers, verliert Wasser und wird immer zäher, bis er schließlich zusammen mit dem Harz so fest wird, dass sich der Treibriemen nicht mehr von der Welle lösen lässt.« Er sah Julia in die Augen. »Das war Absicht. Hier wollte jemand, dass ein Unglück geschieht«, sagte er leise, beinahe verschwörerisch. Dann straffte er sich. »Ja, ich hätte heute an der Bohrung stehen sollen, aber Bertram hatte mich gebeten, ihm dabei zu helfen, das Hebewerk in der unteren Stadt zu säubern. Und die Bohrung, die soll man allein nicht machen. Es ist zu gefährlich. Der Junge wusste, dass er etwas Verbotenes tat.« Er hielt kurz inne, wohl weil ihm das Geschehen noch zu deutlich vor Augen stand und ihm für einen Moment die Luft abschnürte. »Jakob war im falschen Augenblick an der falschen Stelle. Es sollte mich treffen, nicht ihn. Ich hätte heute gebohrt, wenn Purkhart … ich meine, wenn Euer verstorbener Mann, der Brunnenmeister … wenn er hier gewesen wäre.«
Julia stand da wie versteinert. Hatte sie eben noch vor Zorn gesprüht, war sie jetzt voller Angst um Michael. Ihre ganze Wut war einer warmen Zuneigung gewichen – am liebsten hätte sie ihn an sich gezogen, wenn es schicklich gewesen wäre.
Sie versuchte zu sprechen, musste aber zweimal ansetzen, bis es ihr möglich war, weil ihre Kehle zu trocken war, um einen Ton hervorzubringen. Sie musste schlucken.
»Es galt dir?«
Michael zuckte mit den Achseln. Er sah ihr in die Augen, und Julia hätte sich beinahe darin verloren.
»Die einzige Erklärung. Schließlich hätte ich den ganzen Tag am Bohrer gestanden. Wir müssen achtzig Deicheln bohren. Damit sind wir zwei Monate beschäftigt.«
»Ich weiß«, flüsterte Julia. Sie fühlte, wie sie rot wurde, als sie das zu denken begann, was unmittelbar darauf aus ihrem Mund sprudelte.
»Bist du deshalb eben vor mir davongelaufen?«, fragte sie. Sie hielt die Hand vor den Mund, weil sie selbst nicht glauben konnte, was sie gesagt hatte.
»Ihr hättet mich womöglich nicht ausreden lassen. Weil Ihr enttäuscht wart und dachtet, ich hätte Euch hintergangen.«
Julia nickte. Ja, das wäre durchaus möglich gewesen. Doch sie wollte nicht, dass Michael sie falsch verstand. Sie versuchte, ihrer Stimme diesmal einen sanfteren Klang zu geben.
»Tu das nicht wieder, Michael, hörst du. Nie wieder!«
Sie musste sich setzen. Sie musste ins Haus und sich setzen. Sie eilte davon, schämte sich, auch nur einen Augenblick an ihm gezweifelt zu haben. Sie stieg hinauf zur Küche und rief an der Tür nach der Magd.
»Bring mir einen Krug warmes Bier, Marie. Ich muss nachdenken.«
In ihrer Kammer im zweiten Stock des Brunnenmeisterhauses ließ sie sich auf einen Stuhl sinken. Sie hätte ihn fragen sollen, hätte Michael fragen sollen, wer so etwas tat. Sie musste gemeinsam mit ihm überlegen, wer hinter all diesen Dingen stand. Was geschah hier, ohne dass sie es bemerkte?
Als Marie ihr das Bier brachte und das Zimmer verließ, rief sie ihr nach: »Der Altgeselle soll kommen. Ich hab was mit ihm zu besprechen.«
Wer sägte einen Bohrer an? Wer versteckte Gold unter den Dielen des Turms? Woher kamen die mit großer Kunstfertigkeit gearbeiteten Waffen und all die Rheinischen Gulden? Es waren zu viele Fragen, und sie hatte zu wenige Antworten darauf.
Julia betrat das Zimmer ihres Vaters, den Krug mit warmem Bier in der Hand. Der Geruch nach Schweiß und Feuchtigkeit begrüßte sie, ein Geruch, der ihr von klein auf so sehr vertraut war und ihr immer ein Gefühl der Sicherheit gegeben hatte. Wenn sie als Kind nachts nicht schlafen konnte, weil das Mahlen der Schaufelräder oder das beständige Rauschen des Wassers sie wach hielt, hatte sie sich hierher geflüchtet und sich an ihren Vater gekuschelt, eingehüllt von diesem Geruch wie in ein warmes Laken.
»Vater? Ich würde gerne mit dir reden.«
»Ich hab mich schon gefragt, wann du kommst.«
»Bitte? Warum?«
»Man muss diesen jungen Böcken Zeit lassen. Sie sind überfordert mit diesem Ding da zwischen ihren Beinen. Ich sag’s dir. Ging mir damals nicht anders. Wenn das hart wird, dann …«
»Vater!«, unterbrach sie ihn scharf. »Darum geht’s jetzt nicht.«
»Ach! Nicht? Ich dachte immer, es geht nur darum. Hat schon bei Adam und Eva damit angefangen. Ich sag’s dir.«
Auberlin Sixt hatte sich mit dem Gesicht zum einzigen Fenster gesetzt, als wolle er hinausschauen. »Bevor du gleich fragst, ja, ich kann hell und dunkel unterscheiden. Deshalb sitze ich lieber mit dem Gesicht zum Fenster als mit dem Hintern.«
»Vater! Du redest wie ein junger Tunichtgut.«
»Ist das so? Wunderbar. Wollte ich immer schon, durfte ich nur nicht. Was man in der Jugend versäumt hat, sollte man im Alter nachholen.«
Julia seufzte hörbar. Da winkte sie der Alte zu sich und klopfte auf sein Knie.
»Komm her, Kindchen. Du wolltest mit mir reden. Was hast du auf dem Herzen?«
Julia setzte sich auf den Schoß ihres Vaters, schlang die Arme um seinen Hals, drückte ihr Gesicht an seine Wange, atmete den säuerlichen Geruch des alten Mannes tief ein – und begann zu weinen. Sie wusste nicht, warum, sie wusste nur, dass es ihr guttat.
Ihr Vater legte eine Hand auf ihren Rücken und streichelte sie.
Sie kannte keine Familie, deren Väter ihre Kinder in den Arm nahmen oder sie gar herzten. Auberlin Sixt war da eine Ausnahme – und sie hatte das noch nie so stark empfunden wie jetzt. Auch wenn er ein loses Mundwerk hatte, ihr Vater war ein offener und gütiger Mensch. Mit warmherziger und humorvoller Nachsicht hatte er sie großgezogen und in ihr immer die Tochter seiner zweiten Frau gesehen, die kurz nach Julias Geburt gestorben war.
»Was hast du auf dem Herzen?«, wiederholte er, als sie sich wieder beruhigt hatte.
»Wer könnte es darauf anlegen, mich als unfähige Vertreterin meines Mannes hinzustellen?«, fragte sie leise und wusste die Antwort bereits, bevor ihr Vater den Mund öffnete.
»Willst du das wirklich wissen, Julia?« Er zögerte und räusperte sich, dann fuhr er fort. »Die gesamte Stadt. Der Brunnenmeister muss ein Mann sein. Er muss sich auskennen mit den Schaufelrädern, mit der Mechanik der Pumpen und Wasserräder, mit den Becken, den Zuführungen, dem Druckausgleich, den Brunnen. Er muss Handwerker sein, gelernt, erfahren. Keine Frau, auch wenn sie noch so geeignet wäre, kann diesen Beruf ausüben. Nicht in den Augen der Stadtoberen, nicht in den Augen der Bürger.«
Er schwieg, und Julia fühlte sich ein wenig erleichtert. Ihr Vater hatte nur das bestätigt, was sie ohnehin wusste.
»Es gibt keinen Ausweg, nicht wahr?«
»Für dich als Frau? Nein. Du musst einen Gesellen heiraten und ihm damit die Brunnenmeisterstelle verschaffen. Du hast nur die Wahl, den Mann zu heiraten, den du willst. Aber das wird nicht leicht …«
Julia nickte. »Danke«, flüsterte sie und umarmte ihren Vater noch einmal. Dann löste sie sich von ihm, stand auf und ging zur Tür. Auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal um.
»Vater, hat Purkhart Geschäfte mit dem Adel oder den Kaufleuten der Oberstadt gemacht?«
Der alte Brunnenmeister drehte ihr sein Ohr zu. Sein Gesicht schien zu versteinern.
»Wie … wie meinst du das?«, fragte er scharf.
»Hat er sich bezahlen lassen? Für besondere Verdienste? Heimlich?«
Jetzt wandte sich der Alte ganz zu ihr um. Sein Gesichtsausdruck verriet Zorn und unterdrückte Wut. Die Antwort kam kurz und nachdrücklich.
»Du weißt, dass ich mit Purkhart nicht einverstanden war. Aber ich hätte dich ihm niemals gegeben, wenn ich geglaubt hätte, er sei kein ehrbarer Handwerker. Nein. Er hat niemals …«
Julia unterbrach ihren Vater.
»Michael legt doch gerade den neuen Stadtbrunnen. Bis hinunter nach St. Moritz. Geplant hat die Strecke noch mein Mann. Da gibt es sicher Begehrlichkeiten … Also die Patrizier entlang der Strecke …«
»Jetzt sei endlich still, Julia. Purkhart hat keinen Vorteil genommen. Niemals! Und damit Schluss!«, fuhr ihr der Vater in harschem Ton über den Mund und unterstrich seine Ablehnung, solche Gedanken überhaupt zu besprechen, mit einer derart heftigen Handbewegung, dass er dabei mit der Faust unabsichtlich gegen die Lehne des Stuhls schlug.
Julia stutzte. Selten hatte sie ihren Vater so in Rage gesehen.
»Ich meinte ja nur …«, murmelte sie und zog sich zurück.
Sie selbst war keineswegs davon überzeugt, was ihr Vater da über Purkhart gesagt hatte. Zwar kannte auch sie ihren Mann als unbescholtenen und charakterfesten Handwerker, doch zweihundert Rheinische Gulden waren eine Versuchung. Das Einkommen von sechs Jahren. Das Schwert war sicherlich weitere dreihundert Gulden wert und der Dolch die Hälfte. Damit hätte Purkhart für seinen Lebensabend ausgesorgt gehabt.
Nachdenklich ging sie in ihre Kammer zurück und bemerkte erst jetzt, dass sie den Krug mit ihrem Bier vergessen hatte. Rasch zog sie ihre Holzschuhe aus, um keinen Lärm zu machen, und lief zur Stube ihres Vaters zurück. Als sie leise eintrat, saß er wieder am Fenster, vorgebeugt, als würde er tatsächlich in den Hof hinuntersehen und beobachten, was dort vor sich ging, den Krug mit ihrem Bier in der Hand.
Zuerst runzelte sie die Stirn, dann musste sie lächeln. Sie beobachtete ihn eine Weile, ohne ihn zu stören. Dann bemerkte sie, dass er nicht hinaussah, sondern den Kopf leicht schräg hielt. Er horchte darauf, was draußen vor sich ging. Das einzige Vergnügen, das dem alten Mann geblieben war.
Julia drehte sich um und schlich hinaus. Sie würde sich von Marie einen neuen Krug bringen lassen. Sie griff nach ihren Holzschuhen und nahm sie mit nach unten, ohne sie anzuziehen. Ihr Vater war zu hellhörig und würde aus dem Geräusch womöglich den Schluss ziehen, sie habe ihn belauscht.
Was sie nachdenklich stimmte, war die Art, wie er am Fenster gesessen hatte. Doch diese Gedanken waren schnell verflogen, als Michael vor ihr auftauchte.
»Ihr habt mich rufen lassen, Meisterin?«, fragte er und sah auf die Schuhe in ihrer Hand und auf ihre bloßen Füße.
Verlegen hob sie ein Bein. Dann bat sie den Altgesellen, ihr zu folgen. Sie ging voran in das Arbeitszimmer ihres verstorbenen Mannes. Dabei stellte sie auf der Schwelle die Holzschuhe ab und schlüpfte wortlos hinein. Sie war dem Gesellen keine Rechenschaft schuldig.
Sie stellte sich an den Tisch und drehte Michael den Rücken zu.
»Schließ die Tür«, sagte sie forsch und biss sich sofort auf die Lippen. Das hatte sie in diesem Ton nicht sagen wollen.
»Ich weiß nicht, ob das gut …«
»Aber ich weiß es«, unterbrach sie ihn, und wieder hatte sie den falschen Klang in ihrer Stimme. Sie hörte sich an wie eine Amazone, nicht wie eine Frau.
»Wie Ihr befehlt, Meisterin«, sagte Michael und zuckte mit den Schultern.
Sie spürte seinen Blick auf ihrem Haar und in ihrem Nacken. Er musterte sie genau.
Julia holte tief Atem, bemühte sich, das Kribbeln in ihrem Bauch erst einmal zu übergehen und ihn nicht gleich wieder anzufahren.
»Ich will dir nichts befehlen, Michael. Ich bin nur … Du musst wissen …«
Sie wusste nicht recht, wie sie anfangen sollte.
»Mein Vater … er hält große Stücke auf dich«, sagte sie schließlich und verdrehte gleichzeitig die Augen. Was war denn das für ein Satz gewesen, der ihr da entschlüpft war?
»Ach. Das freut mich«, erwiderte Michael zurückhaltend.
»Herrgott, jetzt mach es mir doch nicht so schwer«, schimpfte sie leise. »Was mache ich Euch schwer, Meisterin?«
Julia drehte sich zu ihm um. Sie blickte in ein Gesicht, das sie merkwürdig spöttisch lächelnd musterte.
»Du weißt ganz genau, was mir bevorsteht. Der Zunftobere der Zimmerleute will die Stelle des Brunnenmeisters besetzt wissen. Da ich aber in diesem Haus das Wohnrecht der Witwe genieße, solange mein Vater lebt, kann das nur geschehen, indem ich … indem ich …«
Sie geriet ins Stocken und musste nach Luft schnappen. Sie sprach wieder zu schnell, schneller jedenfalls, als so mancher in der Lage war mitzudenken.
»Und was habe ich damit zu tun?«, fragte Michael.
Bislang hatte er sich nicht von der Stelle gerührt.
»Was du damit zu tun hast? Du? Nichts …«, fauchte ihn Julia an und biss sich sofort auf die Lippen. Was war nur los mit ihr? Natürlich hatte er etwas damit zu tun!
»Na, was wollt Ihr dann von mir?«
Wieder klang er so, als wollte er sie zappeln lassen, als wolle er sie verspotten, und das verwirrte sie nur noch mehr.
»Ich meine … natürlich hast du etwas damit … es ist wichtig …«, stotterte sie. Die Gedanken drehten sich in ihrem Kopf wie in einem Karussell.
Julia wurde bewusst, dass sie bislang über Michaels Schulter weg auf den Türrahmen gestarrt hatte. Jetzt nahm sie den Altgesellen in den Blick und fand erneut dieses herausfordernde Lächeln, das jetzt allerdings härter wirkte als noch eben. Zweimal zuckten seine Mundwinkel, als müsste er ein Schmunzeln unterdrücken.
»Was ist wichtig?«, hakte er nach.
Julia verdrehte die Augen. Waren Männer immer so begriffsstutzig? Sie hatte doch eindeutig und ohne Zweifel gesagt, was sie sagen wollte.
Sie fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, von unten her über den Hals bis in die Augen und auf die Stirn. Sie musste aussehen wie eine Kirsche.
»Michael, willst du … ich meine … könntest du dir vorstellen … also … du musst nur Ja sagen, mehr nicht.«
Ob Michael mit diesem Kauderwelsch etwas anfangen konnte, wusste Julia nicht, aber mehr konnte und wollte, ja durfte sie nicht sagen.
Er hob eine Augenbraue. Dann trat er einen kleinen Schritt vor und nahm zum ersten Mal seine Kappe ab.
»Ich kann mir – vielleicht – vorstellen, Meisterin, was Ihr sagen wollt. Aber ich bin nur ein Geselle, dem es nicht zusteht, Euch ein solches Ansinnen vorzutragen. Bevor …« Er räusperte sich, und sie spürte, wie sie noch mehr errötete. »Bevor Ihr Euch von der Zunft diesen Mann aufzwingen lasst, solltet Ihr jedoch wissen …«
»Ja?«, unterbrach sie den jetzt in Gang gekommenen Redefluss Michaels und bereute es sofort wieder. Sie hatte ihn unterbrochen und damit aus dem Tritt gebracht.
»Ich … äh … wollte nur sagen …«
Die Tür öffnete sich, und Marie steckte den Kopf herein.
»Das frische Bier. Angewärmt. Ich gehe nachher in das Zimmer Eures Vaters, Meisterin, und hole den leeren Krug.«
Ohne den Altgesellen zu beachten, ging sie zum Schreibtisch und stellte den Krug ab. Natürlich hatte sie gelauscht, ohne dass sie es sich anmerken ließ. Julia wusste das, Michael wusste es ebenso – und daher war er sofort verstummt.
Sie mussten ein ungewöhnliches Paar abgeben. Beide standen sie voreinander, beide verlegen und hochrot bis über beide Ohren. Nur wer blind war für die Dinge zwischen Mann und Frau, hätte übersehen können, was sich zwischen ihnen abspielte. Und Marie war keineswegs blind.
»Herrin«, stieß sie mit ihrer Stimme in die Stille. »Wenn Ihr mich gerade nicht braucht, würde ich gerne nach Jakob sehen. Wie es ihm geht.«
Julia blickte sie verwirrt an, dann nickte sie. »Tu das, Marie. Und gib mir Bescheid, wenn ich etwas für ihn tun kann.«
Als Marie ihren Knicks machte, wachte Michael auf.
»Also, ich muss dann auch … die Deicheln … wir müssen heute noch die letzten für die obere Ableitung fertigstellen … danke … für … äh … Euer Verständnis, Meisterin.«
Bevor Julia aus ihrer Betäubung erwachte, waren die beiden draußen, und die Tür hatte sich geschlossen. Julia stand da wie versteinert. Sie hatte die Gelegenheit verpasst! Einen Wimpernschlag lang überlegte sie, ob sie Michael hinterherlaufen und ihn zurückholen sollte, aber dann ließ sie es bleiben. Die Witwe des Brunnenmeisters lief keinem Mann nach. Man würde sie für mannstoll halten. Sie musste auf ihren Ruf achten, wenn sie Michael irgendwann an sich binden wollte.