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Grania kehrt mit ihrem alkoholsüchtigen Vater, dem Earl of Kilkerry, auf die Insel Grenada zurück, wo der Earl eine Plantage verwaltet. Dort angekommen, erfahrt sie, dass ihr Vater eine Heirat mit dem gewalttätigen Roderick Maigrin arrangiert hat, um sein eigenes Einkommen zu gewährleisten. Voller Abscheu, flieht sie in der ersten Nacht auf der Insel aus Maigrins Haus zusammen mit einem Diener aus ihrer Kindheit nach Secret Harbour, um sowohl der Heirat, als auch einer Rebellion der Sklaven zu entkommen – in die Arme eines flüchtigen Piraten aus Martinique.
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Seitenzahl: 191
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Grania lief hastig die Treppe hinauf und blieb lauschend oben stehen.
Das Haus war dunkel, aber es war nicht nur die Dunkelheit, die sie ängstigte. Sie fürchtete sich beim Klang der Stimmen, die aus dem Eßzimmer drangen, und sie fürchtete sich vor der angespannten, düsteren Atmosphäre.
Während des letzten Monats hatte sie sich mit fast kindlicher Erregung darauf gefreut, wieder in Grenada zu sein. Sie hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen, wo alles wieder so sein würde, wie es vor ihrer Abreise vor drei Jahren gewesen war.
Stattdessen war alles völlig anders verlaufen, kaum daß sie die grünen Inseln erreicht hatte, die sie immer an Smaragde in einer blauen See erinnert hatten.
Als ihr Vater ihr gesagt hatte, daß er sie nach Hause bringen würde, war sie so sicher gewesen, daß sie wieder glücklich sein würde, daß sie dasselbe Glück genießen würde wie damals, als sie auf der verzauberten Insel gelebt hatte.
Sie wurde nicht nur von fröhlichen Menschen bewohnt, sondern, wie Grania glaubte, auch von Göttern und Göttinnen, die auf den Gipfeln der Berge residierten, und von Feen und Zwergen, die zwischen den Muskat- und Kakaobäumen dahinhuschten.
„Es wird schrecklich aufregend sein, wieder in Secret Harbour zu sein“, hatte Grania auf der Überfahrt zu ihrem Vater gesagt.
Die See war ruhig und glitzerte in der Sonne, und die Matrosen, die auf den Masten herumkletterten, sangen Lieder, die ein Teil von Granias Erinnerungen an ihre Kindheit waren.
Als ihr Vater nicht antwortete, schaute Grania ihn fragend an.
„Machst du dir Sorgen über etwas, Papa?“
In den vergangenen Tagen hatte er nicht so viel getrunken wie zu Anfang der Reise. Trotz seines „ausschweifenden Lebens“, wie ihre Mutter es immer genannt hatte, sah er immer noch überraschend gut aus.
„Ich möchte bei Gelegenheit mit dir sprechen, Grania“, erwiderte er, „über deine Zukunft.“
„Über meine Zukunft, Papa?“
Ihr Vater antwortete nicht.
Angst ergriff Grania.
„Was sagst du da?“ fragte sie. „Meine Zukunft liegt bei dir. Ich werde mich um dich kümmern, wie Mama es getan hat, und ich bin sicher, daß wir sehr glücklich zusammen sein werden.“
„Ich habe andere Pläne für dich.“
Grania starrte ihn ungläubig an.
Doch bevor sie nachfragen konnte, war einer der Schiffsoffiziere zu ihnen getreten, um sich mit ihnen zu unterhalten.
Darüber, was er ihr sagen wollte, machte sie sich den ganzen Tag über Gedanken. Sie wollte später am Abend mit ihm darüber sprechen, aber sie hatten mit dem Kapitän gespeist. Nach dem Essen war ihr Vater nicht mehr in der Lage gewesen, mit irgendjemandem eine zusammenhängende Unterhaltung zu führen.
Der nächste Tag war nicht anders verlaufen und auch nicht der darauffolgende. Erst als die hohen Berge, die Grania so gut kannte, am Horizont auftauchten, traf Grania ihren Vater allein an der Schiffsreling.
„Bevor wir nach Hause kommen, mußt du mir sagen, was du vorhast, Papa“, bat sie ihn eindringlich.
„Wir fahren nicht sofort nach Hause“, erwiderte der Earl of Kilkerry.
„Nicht nach Hause?“
„Nein. Ich habe es so arrangiert, daß wir ein oder zwei Nächte bei Roderick Maigrin verbringen.“
„Warum?“ fragte Grania scharf.
„Er möchte dich sehen, Grania. Er freut sich sehr darauf, dich zu sehen.“
„Warum?“ fragte Grania wieder, doch diesmal zitterte ihre Stimme. Sie hatte das Gefühl, als müßte ihr Vater all seinen Mut zusammennehmen, bevor er ihr antwortete.
In einem brummigen Ton, der ihr seine Verlegenheit verriet, erklärte er: „Du bist achtzehn Jahre alt geworden. Es wird Zeit, daß du heiratest.“
Einen Augenblick lang konnte Grania nichts erwidern, ihr verschlug es sogar den Atem.
Dann sagte sie mit einer ihr fremden Stimme: „Soll das heißen, Papa, daß - daß Mr. Maigrin mich heiraten will?“
Noch während sie die Frage stellte, hielt sie den Gedanken daran für zu unwahrscheinlich, als daß sie darüber nachdenken könnte.
Sie erinnerte sich an Roderick Maigrin. Er war ein Nachbar, den ihre Mutter nie geschätzt und den sie somit nie nach Secret Harbour eingeladen hatte.
Er war ein untersetzter, trinksüchtiger Mann mit einer rauhen Sprache, den man für einen grausamen Herrn auf seiner Plantage gehalten hatte, wie Grania sich erinnerte.
Er war fast so alt wie ihr Vater. Der Gedanke an eine Heirat mit ihm war so absurd, daß Grania darüber gelacht hätte, wenn sie nicht solche Angst gehabt hätte.
„Maigrin ist ein guter Mann“, sagte ihr Vater, „und sehr reich.“
Das war nicht die ganze Antwort, dachte Grania später.
Roderick Maigrin war reich, und ihr Vater befand sich wie üblich in einem Zustand der Mittellosigkeit. Er mußte sich selbst bei dem Rum, den er trank auf die Großzügigkeit seiner Freunde verlassen. Es war der Hang ihres Vaters zur Trunksucht und zum Glücksspiel gewesen, durch den er seine Plantagen vernachlässigt und der ihre Mutter vor drei Jahren veranlaßt hatte, wegzulaufen.
„Welche Erziehung kannst du dir, an diesem Ort erhoffen, Liebes“, hatte sie zu ihrer Tochter gesagt. „Wir treffen niemanden als diese zügellosen Freunde deines Vaters, die ihn ermutigen, jeden Penny seines Einkommens zu vertrinken und verspielen.“
„Papa tut es immer leid, daß er dich verärgert, Mama“, hatte Grania erwidert.
Einen Augenblick lang war der Blick ihrer Mutter ganz weich geworden. Dann hatte sie gesagt: „Ja, es tut ihm leid, und ich habe ihm verziehen und immer wieder verziehen. Aber jetzt muß ich an dich denken.“
Grania hatte ihre Mutter nicht verstanden.
„Du bist so reizend, mein Liebling“, hatte ihre Mutter hinzugefügt, „und es ist nur richtig, daß du die Gelegenheit hast, gesellschaftlich ebenbürtige Menschen zu treffen und auf Bälle und Partys zu gehen, deren Teilnahme dir aufgrund deiner Position zusteht.“
Wieder hatte Grania sie nicht verstanden. Es hatte keine Partys auf Grenada gegeben. Ihr Vater und ihre Mutter hatten lediglich Freunde in St. George’s oder Charlotte Town besucht.
Sie selbst war jedoch sehr glücklich auf Secret Harbour gewesen und hatte mit den Kindern der Sklaven gespielt, wenn auch Gleichaltrige bereits zur Arbeit herangezogen wurden.
Noch bevor ihr bewußt wurde, was geschah, hatte ihre Mutter sie weggebracht. Sie waren sehr früh am Morgen aufgebrochen, während ihr Vater sich von den Ausschweifungen der letzten Nacht erholte. Im malerischen Hafen von St. George’s, den man überblicken konnte, lag ein großes Schiff. Kaum waren sie an Bord, legte das Schiff ab und fuhr auf die offene See weg von der Insel, die so lange Granias Zuhause gewesen war.
Erst als sie London erreicht hatten und ihre Mutter mehrere alte Freunde wiedergesehen hatte, erkannte Grania, wie abenteuerlich ihre Mutter sich erwiesen hatte, als sie mit achtzehn Jahren den hübschen Earl of Kilkerry geheiratet hatte. Sechs Jahre später war sie dann mit ihm ausgezogen, um ein neues Leben auf einer fremden Insel in der Karibik zu beginnen.
„Deine Mutter war so schön“, hatte eine von Mutters Freundinnen zu Grania gesagt. „Als sie uns verließ, war es, als ob London ein funkelndes Juwel verloren hätte. Jetzt ist sie wieder hier und strahlt wie in alten Tagen. Wir sind sehr glücklich, sie wiederzusehen.“
Aber es war nicht so wie früher, merkte Grania bald, denn der Großvater war jetzt tot, und ihre anderen Verwandten waren alt geworden und lebten nicht mehr in London. Sie hatten auch nicht genügend Geld, um in der fröhlichen Gesellschaft, die den jungen Prinzen of Wales umgab, eine Rolle zu spielen.
Dennoch gelang es Gräfin Kilkerry, dem König und der Königin vorgestellt zu werden, und sie versprach Grania dasselbe, sobald sie alt genug war.
„In der Zwischenzeit“, sagte sie, „wirst du hart arbeiten müssen, meine Liebste, um all das nachzuholen, was du bis jetzt versäumt hast.“
Grania arbeitete wirklich sehr hart an sich, denn sie wollte ihrer Mutter Freude bereiten.
Es gab eine Schule, die sie täglich besuchte, und es gab Lehrer, die eigens in das kleine Haus kamen, das ihre Mutter in Mayfair gemietet hatte.
Es blieb kaum Zeit für etwas anderes als ihren Unterricht, auch wenn ihre Mutter eine Reihe von Freunden hatte, die sie immer wieder zum Essen ausführten und sie in die Oper oder nach Vauxhall begleiteten.
Grania fiel auf, daß ihre Mutter ohne die ständige Sorge um die Trink- und Spielleidenschaften ihres Vaters bedeutend jünger und viel schöner aussah. Abgesehen davon standen ihr die neuen Kleider, die sie sich sofort nach Ankunft in London gekauft hatten, außerordentlich gut.
Die weiten Musselinröcke, die seidenen Schärpen und die kleidsamen Schultertücher, die ihre Mutter trug, unterschieden sich stark von den Kleidern, die sie für sich und Grania in Grenada selbst genäht hatte.
In St. George’s gab es kaum Auswahl an Stoffen, so daß Grania die gleichen hellen, schlichten Baumwollstoffe getragen hatte, die der Stolz und die Freude der dort ansässigen Frauen waren.
In London hingegen entwickelte sie ihren eigenen Geschmack, nicht nur in Kleidern, sondern auch in Möbeln, Gemälden und Menschen.
Dann, als sie fast achtzehn Jahre alt war und ihre Mutter sie dem König und der Königin vorstellen wollte, erkrankte die Gräfin.
Vielleicht war sie gegen Nebel und Kälte empfindlicher geworden, weil sie so lange in einem warmen Klima gelebt hatte, oder es lag an dem heimtückischen Fieber, das in London ständig umging.
Was immer es auch gewesen war, die Gräfin wurde immer schwächer, bis sie eines Tages Grania bat: „Du solltest deinem Vater schreiben und ihn bitten, daß er sofort zu uns kommt. Es muß sich jemand um dich kümmern, wenn ich sterbe.“
Grania stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
„Denk nicht ans Sterben, Mama! Es wird dir bessergehen, sobald der Winter vorbei ist. Es ist nur die Kälte, weshalb du hustest und dich so schwach fühlst.“
Doch ihre Mutter hatte auf ihrer Bitte bestanden. Grania fand es nur richtig, daß ihr Vater wissen sollte, wie krank sie war, und so hatte sie ihm geschrieben. Sie wußte sehr gut, daß es einige Zeit dauern würde, bis ihr Brief beantwortet wurde. Zudem hatten sie in den Jahren der Trennung nur sporadisch von ihm gehört.
Manchmal waren wohl Briefe auf der Reise über das Meer verlorengegangen, doch dann trafen andere ein, die lange und ausführliche Informationen über das Haus, die Plantagen, die Preise, die für Muskat- und Kakaobohnen erzielt worden waren, enthielten, und ob es eine gute Saison für Bananen gewesen sei.
Dann wieder erhielten sie nach monatelangem Warten Briefe, die nur ein paar mit unsicherer, zitternder Schrift hingekritzelte Zeilen enthielten. Wenn solche Briefe eintrafen, erkannte Grania an der Art, wie ihre Mutter die Lippen zusammenkniff und sich ihre Gesichtszüge verschlossen, daß sie daran dachte, wie richtig ihre Entscheidung gewesen war.
Grania wußte, wenn sie zu Hause gewesen wären, gäbe es die gleichen, sich immer wiederholenden Szenen wegen der Trunksucht ihres Vaters, die gleichen Entschuldigungen und die gleichen Versprechen, die er nicht halten würde.
Einmal hatte Grania zu ihrer Mutter gesagt: „Da wir hier in England dein Geld ausgeben, Mama, wie schafft es Papa zu Hause?“
Einen Augenblick lang hatte sie geglaubt, ihre Mutter würde nicht antworten, doch dann hatte die Gräfin erwidert: „Das bißchen Geld, das ich besitze, wird jetzt für dich ausgegeben, Grania. Dein Vater muß lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Es kann ihm nichts Besseres passieren, als daß er lernt, sich nur auf sich selbst zu verlassen, anstatt von mir abhängig zu sein.“
Grania hatte sich dazu nicht geäußert, aber sie war überzeugt, daß ihr Vater immer jemanden finden würde, von dem er abhängig war. Und wenn er sich nicht auf ihre Mutter stützen konnte, dann auf einen seiner Freunde, mit denen er trank und spielte.
Wie schlecht er sich auch benahm, wieviel er auch trank, wie sehr sich ihre Mutter auch über seine Nachlässigkeit in Bezug auf die Plantage und sie beklagte, so besaß der Earl doch einen irischen Charme und eine Ausstrahlung, der jeder, der ihn kannte, kaum widerstehen konnte.
War er nüchtern, dann war es für Grania unheimlich lustig und aufregend mit ihm. Sein Lachen war ansteckend und seine erfundenen Geschichten höchst amüsant.
„Gib deinem Vater zwei Kartoffeln und eine Holzkiste, und er überzeugt dich, es ist eine Kutsche mit einem Pferdegespann, die dich zu einem Königspalast führt“, hatte ein Freund ihres Vaters zu Grania gesagt, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Sie hatte diese Bemerkung nie vergessen.
Und es stimmte.
Ihr Vater hielt das Leben für ein prickelndes Abenteuer, das er nie ernst nehmen konnte, und jeder, der sich in seiner Gesellschaft befand, hatte Schwierigkeiten, anders zu denken. Doch jetzt wußte Grania, daß die drei Jahre, die sie getrennt gelebt hatten, ihn verändert hatten.
Er konnte noch immer lachen, konnte den Geschichten, die er erzählte, noch immer einen Zauber verleihen, der unwiderstehlich war. Und doch hatte sie während der Fahrt über den Atlantik gewußt, daß er etwas vor ihr verheimlichte.
Als sie dann endlich in Grenada ankamen, wußte sie, was es war.
Sie hatte es als selbstverständlich vorausgesetzt, daß er sie nach dem Tod ihrer Mutter bei sich haben und versuchen wolle, ein glückliches Leben zu zweit aufzubauen. Stattdessen, und es war unglaublich, wollte er, daß sie einen Mann heiratete, den sie bereits als Kind verabscheut hatte und von dem er wußte, daß ihre Mutter ihn abgelehnt hätte.
Das Schiff, mit dem sie reisten und das im Hafen von St. George’s anlegen sollte, war, was in der Karibik üblich war, ein wenig vom Kurs abgewichen, um sie dort abzusetzen, wo ihr Vater es wünschte.
Roderick Maigrins Plantage grenzte an die Pfarrei von St. George’s, die von den Briten in „St. David“ umbenannt worden war. Auf der Insel war das die einzige Landpfarrei. Sie befand sich im Süden und war in Bezug auf die Schönheit der Landschaft und die Menschen, die dort lebten, der Pfarrei von St. George’s sehr ähnlich.
Auf Westerhall Point, einer kleinen, von blühenden Bäumen und Sträuchern bewachsenen Halbinsel, hatte Roderick Maigrin sich ein großes Haus errichten lassen, das ein wenig prahlerisch wirkte. Für Grania besaß es alle Charakteristiken seines Eigentümers. Aus diesem Grund konnte es ihr instinktiv nicht gefallen.
Sie konnte sich nie erinnern, es als Kind besucht zu haben, doch jetzt, da sie in einem Boot von Mr. Maigrin, das sie vom Schiff aus abgeholt hatte, an Land ruderten, hatte sie das entsetzliche Gefühl, ein Gefängnis zu betreten.
Eine Flucht wäre für sie unmöglich. Sie würde auch nicht mehr sie selbst sein, sondern eine vollkommen Ausgelieferte für den großen, rotgesichtigen Mann, der sie zur Begrüßung erwartete.
„Schön, Sie wiederzusehen, Kilkerry!“ rief Roderick Maigrin mit einer lauten, übertriebenen Stimme, wobei er dem Earl auf den Rücken klopfte.
Als er dann Grania die Hand hinstreckte und sie den Ausdruck in seinen Augen sah, schaffte sie es nur mit ungeheurem Willensaufwand, nicht zum Boot zurückzulaufen. Doch das Schiff verschwand bereits hinter der Inselspitze, bevor es nach Norden drehte, um im Hafen von St. George’s anzulegen.
Roderick Maigrin führte sie ins Haus, wo ein Diener bereits hohe Gläser mit Rumpunsch füllte.
In den Augen des Earls blitzte es, als er das Glas an die Lippen hob.
„Auf diesen Augenblick habe ich gewartet, seit ich England verlassen habe“, sagte er.
Roderick Maigrin lachte.
„Das habe ich mir gedacht“, verkündete er. „Also trinken Sie aus! Es ist noch genügend da, und ich möchte auf die Gesundheit dieses hübschen Mädchens trinken, das Sie mitgebracht haben.“
Er hob sein Glas, während er sprach, und Grania erriet aus dem lüsternen Blick seiner blutunterlaufenen Augen, daß er sie im Geiste auszog.
Sie haßte ihn so inbrünstig, daß sie nicht mit ihm in einem Zimmer bleiben konnte, ohne es ihm zu sagen. Sie bat, sich zurückziehen zu dürfen, doch als es Zeit zum Abendessen war, sah sie sich gezwungen, hinunterzugehen. Sie benahm sich mit all der Würde, die ihre Mutter von ihr verlangt hätte.
Wie erwartet, hatte ihr Vater zu dieser Zeit bereits eine Menge getrunken, und sein Gastgeber war ihm darin nicht nachgestanden. Grania ahnte, daß nicht nur der Punsch stark war, sondern das Benehmen der beiden Männer sich immer mehr zuspitzen würde.
Bald war keiner der beiden Männer mehr am Essen interessiert. Sie tranken nur noch, prosteten sich zu und freuten sich, daß die Zeremonie bald stattfinden würde.
Was Grania besonders beleidigte, war, daß Roderick Maigrin sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hatte, ihr einen Heiratsantrag zu machen, sondern ihre Einwilligung als selbstverständlich voraussetzte.
In London hatte man ihr bereits beigebracht, daß eine Tochter keine Fragen stellte, wenn ihre Eltern für sie Arrangements für eine Ehe einleiteten.
Zuerst überlegte sie, wie ihr Vater glauben konnte, daß ein grobschlächtiger, älterer, trinksüchtiger Mann wie Roderick Maigrin ein passender Ehemann für sie war. Dann erriet sie aus den Bemerkungen und Andeutungen Roderick Maigrins, daß er ihren Vater für das Privileg einer Ehe mit ihr bezahlte. Ihr Vater war mit dem Handel offenbar sehr zufrieden.
Während ein Gericht das andere ablöste, saß Grania an der Tafel und sprach kein Wort. Mit wachsendem Entsetzen hörte sie den beiden Männern zu, die sie behandelten, als sei sie eine Puppe ohne Gefühl, ohne Verstand und ohne eigene Meinung.
Sie sollte verheiratet werden, ob es ihr gefiel oder nicht. Damit sollte sie das Eigentum eines Mannes werden, den sie verachtete. Eigentum wie seine Sklaven, die nur deswegen lebten und atmeten, weil er es ihnen erlaubte.
„Ist irgendetwas Aufregendes vorgefallen, während ich weg war?“ fragte ihr Vater.
„Dieser verdammte Pirat Will Wilken kam eines Nachts, stahl sechs meiner besten Schweine und ein Dutzend Truthähne und schlitzte schließlich dem Jungen die Kehle auf, der ihn davon abhalten wollte.“
„Das war tapfer von dem Burschen“, meinte der Earl.
„Er war ein eingebildeter Narr, wenn Sie mich fragen, daß er sich ganz allein an Wilken herangewagt hat“, erwiderte Roderick Maigrin.
„Was gab es sonst noch?“
„Da ist noch ein anderer verdammter Pirat, ein Franzose. Der treibt sich ständig hier herum und nennt sich Beaufort. Wenn ich ihn erwische, jage ich ihm eine Ladung Blei zwischen die Augen.“
Grania hörte nur halb zu. Erst als die Mahlzeit zu Ende war und die Diener eine Anzahl von Flaschen auf den Tisch stellten, bevor sie den Raum verließen, nutzte Grania die Gelegenheit.
Sie war ganz sicher, daß ihrem Vater nicht mehr auffallen würde, ob sie noch da war oder nicht. Auch Roderick Maigrin würde seine Schwierigkeiten haben, wenn er versuchte, ihr zu folgen.
Sie wartete deshalb, bis sie sicher war, daß sie ihre Anwesenheit im Augenblick vergessen hatten. Dann huschte sie schnell und wortlos aus dem Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu.
Sie lief die Treppe hinauf in den kleinen Salon, in dem sie sich sicher fühlte, und überlegte zitternd, was sie tun könnte. Angestrengt dachte sie darüber nach, wen sie auf der Insel um Hilfe bitten könnte.
Doch selbst wenn ihr jemand beistehen würde, konnte ihr Vater sie zurückholen, ohne daß irgendjemand das verhindern oder dagegen protestieren könnte.
Sie stand da, versuchte händeringend einen Entschluß zu fassen und hörte das Lachen von Roderick Maigrin. Es war nicht nur das Lachen eines Mannes, der zu viel getrunken hatte, sondern der mit seinem Erfolg zufrieden und glücklich war. Ein Mann, der bekommen hatte, was er wollte. Plötzlich kannte Grania die Antwort.
Roderick Maigrin wollte sie nicht nur ihres Aussehens wegen - das hatte der Ausdruck seiner Augen verraten -, sondern auch, weil sie die Tochter ihres Vaters war und daher gesellschaftliche Bedeutung selbst in einer so kleinen Gemeinde auf Grenada besaß.
Sie vermutete, daß das der Grund war, weshalb er sich ursprünglich für ihren Vater interessiert hatte. Seine Beweggründe rührten nicht nur aus der Nachbarschaft, sondern weil er mit einem Mann befreundet sein wollte, der von der Regierung und von Leuten, deren Meinung allgemein für wichtig erachtet wurde, empfangen, respektiert und um Rat gefragt wurde.
Bevor sie die Insel verlassen hatten, hatte Grania den gesellschaftlichen Snobismus kennengelernt, der überall dort herrschte, wo die Briten regierten.
Ihre Mutter jedoch hatte immer sehr deutlich erklärt, daß sie Roderick Maigrin nicht so sehr wegen seiner Herkunft, sondern hauptsächlich wegen seines Benehmens ablehnte.
„Dieser Mann ist grob und vulgär“, hörte Grania ihre Mutter zu ihrem Vater sagen, „und ich will ihn nicht hier in meinem Haus haben.“
„Er ist unser Nachbar“, hatte der Earl unbeschwert erwidert. „Wir haben nicht so viele Nachbarn, daß wir uns unseren Umgang aussuchen können.“
„Ich suche mir aber meinen Umgang aus, sobald es sich um Freundschaft handelt“, hatte die Gräfin erwidert. „Wir haben genügend andere Freunde, wenn wir uns Zeit nehmen, sie zu treffen, und keiner von ihnen möchte etwas mit Roderick Maigrin zu tun haben.“
Ihr Vater hatte weiter argumentiert, doch ihre Mutter war unnachgiebig geblieben.
„Ich mag ihn nicht, und ich traue ihm nicht“, hatte sie abschließend erklärt, „und ich glaube die Geschichten, die man sich über seine schlechte Behandlung den Sklaven gegenüber erzählt. Aus diesem Grund will ich ihn nicht hier haben.“
Ihre Mutter hatte durchgesetzt, daß Roderick Maigrin nicht nach Secret Harbour eingeladen wurde, doch Grania wußte, daß sie sich an anderen Orten der Insel zu ihren Trinkgelagen getroffen hatten.
Jetzt war ihre Mutter tot, und ihr Vater hatte beschlossen, daß sie einen Mann heiraten sollte, den sie nur verachten und hassen konnte.
Was soll ich tun?
Diese Frage hämmerte immer wieder in ihrem Kopf. Als sie schließlich in das angrenzende Schlafzimmer ging und die Tür absperrte, glaubte sie, daß selbst die Luft, die durch das offene Fenster hereinströmte, diese Frage ständig wiederholte.
Grania zündete keine Kerzen an, sondern trat ans geöffnete Fenster und schaute zum Himmel empor, der mit Tausenden von Sternen übersät war.
Das Mondlicht schimmerte auf den Pinien, die sich in der sanften Meeresbrise bewegten.
Während Grania so dastand, konnte sie den durchdringenden Geruch der Muskatnuß und des Zimts und den anhaftenden Duft der Gewürznelken riechen. Vielleicht bildete sie sich diese Düfte auch nur ein, aber sie gehörten so sehr zu ihren Erinnerungen an Grenada, daß sie glaubte, die Gewürze der Insel würden sie auf ihre Weise willkommen heißen.
Doch wo willkommen?
Bei Roderick Maigrin und der Angst, durch die sie eher sterben wollte, als sie ertragen.
Wie lange sie am Fenster stand, wußte sie nicht. Sie wußte nur, daß im Augenblick die Jahre, in denen sie in England gewesen war, völlig an Bedeutung verloren. Statt dessen war sie wieder ein Teil dieser Insel, wie sie es so viele Jahre ihres Lebens gewesen war.
Eine Welt der Kariben, Seeräuber und Piraten, der Stürme und Vulkanausbrüche, der Schlachten zwischen Franzosen und Engländern, zu Wasser und zu Land.
Alles war so vertraut, daß es ein Teil und damit untrennbar von ihr geworden war. Die Erziehung, die sie in London genossen hatte, schien sich in der warmen Luft zu verflüchtigen.
Sie war nicht mehr Lady Grania O’Kerry, sondern einer der Geister von Grenada, die in Blumen und Gewürzen und den sanft schlagenden Wellen des Meeres wohnten, die sie aus der Ferne hören konnte.
„Helft mir! Helft mir!“ rief Grania auf die Insel hinaus, als ob sie ihre Schwierigkeiten fühlen und ihr helfen könnte.
Lange Zeit später entkleidete Grania sich langsam und ging zu Bett.
Kein Geräusch hatte das Haus aufgeschreckt, als sie in die Nacht hinausgeblickt hatte. Grania war überzeugt davon, daß sie die Schritte ihres Vaters auf der Treppe gehört hätte, wenn er unsicher heraufgekommen wäre, um ins Bett zu gehen.
Aber sie kümmerte sich nicht mehr um ihn, so wie sie es so oft getan hatte, seit er in ihr Leben zurückgekehrt war.