Die Chaosschwestern und Pinguin Paul - Sarah Bosse - E-Book

Die Chaosschwestern und Pinguin Paul E-Book

Sarah Bosse

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Beschreibung

Das Chaos kommt ins Kino!

Die Schwestern Livi, Tessa, Malea und Kenny sind das personifizierte Chaos. Dabei könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Es scheint, als ob ihre einzige Gemeinsamkeit der Nachname Martini ist. So versuchen sie, sich größtenteils aus dem Weg zu gehen und so wenig wie möglich miteinander zu unternehmen – schließlich kann man sich seine Familie nicht aussuchen. Doch als Pinguin Paul, der vor einem Magier-Duo mit üblen Plänen flüchtet, in ihr Leben tritt, müssen sie ihre Ausweichstrategie überdenken ...

Der Roman zum Kinofilm über die vier chaotischen Schwestern, basierend auf der beliebten Kinderbuchreihe von Dagmar H. Mueller. Das Buch enthält viele exklusive Filmfotos.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 153

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SARAH BOSSE

Das Buch zum Film, geschrieben von Sarah Bosse

nach einem Drehbuch von Korbinian Wandinger & Mike Marzuk

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

© 2024 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Geschrieben von Sarah Bosse, basierend auf dem Drehbuch von Korbinian Wandinger & Mike Marzuk zum Kinofilm »Die Chaosschwestern und Pinguin Paul«, Blue Eyes Fiction GmbH & Co. KG

Redaktion: Carola Henke

Umschlaggestaltung: Guter Punkt GmbH & Co. KGunter Verwendung des Filmplakats, designed by The Dream Factory (https://thedreamfactory.eu/)

Fotos im Innenteil: © 2023, blue eyes Fiction GmbH & Co. KG: Martin Menke, Oliver Oppitz, Frank Dicks, Andreas Schlieter

ah · Herstellung: bo

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Reproduktion: Lorenz+Zeller GmbH, Inning a. A.

ISBN 978-3-641-30860-5V001

www.cbj-verlag.de

Kapitel 1

Kenny wusste genau, dass Cornelius es überhaupt nicht leiden konnte, wenn sie auf dem Sofa fläzte und sich vom Fernsehen berieseln ließ. Besonders schlimm fand ihr Vater es, wenn sie wahllos durch die Programme zappte. Aber der bekam das ja gerade nicht mit. Außerdem war es Kenny egal. Gerade war sie an einem Programm hängen geblieben, in dem aus dem städtischen Tiergarten berichtet wurde. Den Zoo kannte Kenny, weil sie ihn mit ihrer Familie schon mehrmals besucht hatte. Kurz waren einige Aufnahmen von den Elefanten und von den Giraffen gezeigt worden, doch nun war eine junge dunkelhaarige Frau im Bild, die einer anderen, älteren Frau mit kurzen grauen Haaren ein Mikrofon vor den Mund hielt. Gerade wollte Kenny weiterzappen – sie hatte keine Lust, sich solch ein Interview anzuhören –, da sah sie im Hintergrund Pinguine durchs Bild watscheln. Pinguine fand Kenny toll! Also hörte sie sich doch an, was die beiden Frauen da zu bereden hatten. Die Reporterin hatte Kenny schon öfter im Fernsehen gesehen und wusste, dass sie Gülcan Bulut hieß.

»Der städtische Tiergarten hat kürzlich erst den renommierten Jane-Godall-Preis für die hervorragende Nachzucht der gefährdeten Humboldt-Pinguine erhalten«, erklärte Gülcan Bulut und fragte die andere Frau, die so nett in die Kamera lächelte und mit Dr. Grobecker, Leiterin des Tiergartens, vorgestellt wurde, was ihr dieser Preis bedeute.

»Tierwohl und Artenschutz stehen bei uns an erster Stelle«, erklärte Dr. Grobecker. »Und so freuen wir uns natürlich sehr, dass dieses Engagement gewürdigt wird.«

»Aber Sie müssen zugeben, dass unsere Breitengrade nicht gerade die Umgebung sind, in der zum Beispiel Pinguine normalerweise leben«, gab die junge Reporterin zu bedenken.

Dr. Grobecker reagierte darauf mit einem noch breiteren Lächeln. »Das ist richtig. Aber Humboldt-Pinguine kommen mit den Temperaturen hier sehr gut zurecht. Zudem schaffen wir eine artgerechte Umgebung, in der sie sich wie zu Hause fühlen können. Und solange sie in ihrer Gemeinschaft, in ihrer Familie sind, geht es ihnen bei uns ausgezeichnet.«

Plötzlich hörte man im Hintergrund lautes Gemurmel und erstaunte Rufe. Irgendetwas hatte die Aufmerksamkeit der Besucher erregt, die sich in einer Menschentraube vor dem Pinguingehege versammelt hatten, und auch die junge Reporterin war für einen Moment abgelenkt und kicherte.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigte sich die Leiterin des Tierparks vor der laufenden Kamera.

Gülcan Bulut errötete und grinste verwirrt. »Seltsam. Ich hätte schwören können, einer dieser Pinguine da hinten hätte gerade … wie soll ich das ausdrücken? Getanzt?«

Der Kameramann nahm dies zum Anlass, das Objektiv zum Gehege hinüberzuschwenken, wo gerade die Fütterung der schwarz-weißen Vögel begann.

Frau Grobecker seufzte hörbar. »Ja, das ist leider so. Einer unserer Pinguine, Paul, er … tanzt tatsächlich. Wir haben ihn und zwei weitere Pinguine vor ein paar Monaten aus einem Zirkus herausgekauft, wo sie nicht artgerecht gehalten wurden.«

»Aber wäre ein tanzender Pinguin nicht ein Publikumsmagnet?«, fragte die Reporterin ein wenig vorschnell und zog damit unübersehbar den Unmut der Tierparkleiterin auf sich, die nun sofort einen schärferen Ton anschlug.

»Aber gerade das ist nicht unsere Philosophie!«, erklärte sie, um Haltung bemüht. »Paul wird sich hier bei uns das Tanzen leider nicht abgewöhnen. Er macht es immer, wenn er Hunger bekommt. Im Zirkus hat man ihn so konditioniert. Tanzte er, gab es eine Belohnung.«

Gülcan Bulut räusperte sich. »Aber, wenn Sie das nicht zur Schau stellen wollen, was können Sie denn dann tun?«

Jetzt machte Frau Grobecker ein ernstes Gesicht. »Unsere einzige Möglichkeit: Um Paul zu schützen, werden er und seine Familie in wenigen Tagen nach Südamerika gebracht, dem natürlichen Lebensraum der Humboldt-Pinguine. Wir arbeiten dort mit einer ausgezeichneten Auswilderungsstation zusammen, wo man die Tiere an ein freies Leben in der Wildnis gewöhnt.«

Für diese Story schien Gülcan Bulut sofort Feuer und Flamme zu sein. »Vielleicht könnten wir dabei sein, um davon zu berichten?«

Die Leiterin des Tierparks räusperte sich hörbar. Hier, vor laufender Kamera, würde sie diesbezüglich natürlich überhaupt keine Zugeständnisse machen. »Vielleicht bringen wir erst einmal diese Story zu Ende?« Etwas ungeduldig schob sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Was mir ein Anliegen ist: Natürlich kann man zu Hause eine Tierdokumentation anschauen. Einige wenige Menschen haben vielleicht sogar die Möglichkeit, zum Beispiel nach Amerika zu reisen, aber hier, in unserem Tierpark, haben alle Kinder die Möglichkeit, fremde Tiere hautnah zu erleben. Und ich bin überzeugt, dass sich Kinder wie Erwachsene dadurch mehr für die Lebensbedingungen von Tieren weltweit interessieren und einsetzen.«

Kenny hatte den Worten der Tierparkleiterin einigermaßen aufmerksam gelauscht, aber eigentlich hatte sie nur Augen für die tollen schwarz-weißen Watschelvögel gehabt, die viel kleiner waren als alle anderen Pinguinarten und die sich deshalb doch prima eignen würden als …

Kenny sprang auf. »So einen will ich!«, rief sie entschlossen.

Livi, die eigentlich Olivia hieß, hörte ihre kleine Schwester Kenny schon auf der untersten Treppenstufe, denn Kenny bewegte sich gerne wie ein kleiner Elefant durch das Haus. Livi holte tief Luft und beobachtete weiter konzentriert die beiden Geckos in ihrem Terrarium. In der Hand hielt sie ihr Smartphone, auf dessen Display die Ziffern der digitalen Stoppuhr weiterliefen. Die trampelnden Schritte kamen bedrohlich näher. Hatte man in diesem Haus denn nie seine Ruhe? Nicht mal, wenn man gerade eine hochwissenschaftliche Studie erarbeitete?

Livi zuckte mit dem Finger, um die Zeit zu stoppen. Dann notierte sie die Zeit auf einem Blatt Papier, auf dem lediglich oben die Überschrift stand: Aufsatz über das Paarungsverhalten von Geckos.

»Wow, erstes Lebenszeichen nach 37 Minuten. Ein Züngeln an der Frontscheibe des Terrariums.« Livi startete die Stoppuhr erneut, während Jane Goodall und Greta Thunberg von großen Postern an der Zimmerwand zufrieden auf sie herabblickten.

Jetzt dröhnten die Schritte direkt vor Livis Zimmer, und dann wurde die Tür mit solcher Wucht aufgestoßen, dass Livi vor Schreck der Stift abrutschte und einen Strich quer über dem Blatt hinterließ.

»Livi, ich hab ’ne tolle Idee. Ich will gar keinen Hund mehr, sondern …«, rief Kenny.

Doch Livi fiel ihr direkt ins Wort. »Verdammt! Kann man in diesem Irrenhaus nicht ein Mal seine Ruhe haben?«

Im selben Moment tat es Livi leid, dass sie ihre kleine Schwester so angefahren hatte. Zwar war sich Livi immer noch sicher, dass ihre Familie nicht wirklich ihre echte Familie war und sie als Neugeborenes im Krankenhaus vertauscht worden war, aber wenn sie sich für eine ihrer drei peinlichen Schwestern hätte entscheiden müssen, dann wohl für Kenny. Außerdem war Kenny erst sieben Jahre alt, da konnte sie vielleicht noch Einfluss nehmen.

Allerdings musste sich Livi zugestehen, dass sie das, was Kenny jetzt wieder tat, megapeinlich fand. Die kleine Schwester glotzte sie nämlich mit großen Augen an, hob ihre Faust ans Ohr und horchte. »Sashimi sagt, du hast ihn auch erschreckt!«, rief sie trotzig und empört.

Livi hob beide Hände, um sich zu entschuldigen. »Okay, sorry, Kenny … und sorry, Sashimi.« Dabei verdrehte sie die Augen, denn diese Sashimi-Nummer zog Kenny nun schon eine Weile ab. In diesem Fall ist es wirklich mal von Vorteil, dass ich eigentlich gar keine Freunde habe, dachte Livi, denn wenn die mitkriegen würden, dass meine kleine Schwester Zwiegespräche mit einem imaginären Silberfischchen führt, das sich in die dunklen Fingerritzen ihrer kleinen Hand verkrochen hat und das sie liebevoll Sashimi nennt, würden sie mich für vollkommen bekloppt halten. Oder im besten Fall Mitleid mit mir haben.

Livi holte einmal tief Luft und wandte sich dann ihrer kleinen Schwester zu. »Also, Kenny, was gibt’s Wichtiges?«

Doch Kenny kam nicht mehr dazu, ihrer Schwester von ihrem genialen Plan zu erzählen, sich als Haustier einen Humboldt-Pinguin zu wünschen, denn kaum hatte sie die erste Silbe über die Lippen gebracht, wurde sie auch schon von ihrer Mutter Iris unsanft angerempelt, die vollkommen hektisch, das Smartphone an ihr Ohr gedrückt, ins Zimmer gestürmt kam.

»Oh, Schätzchen. Tut mir leid«, rief Iris und packte ihre Jüngste geistesgegenwärtig am Arm, damit sie nicht quer durch das Zimmer schoss. »Nein, ich spreche mit meiner Tochter«, blaffte sie ins Telefon. »Aber noch mal: Ich will nur sichergehen, dass in unserem neuen Angebot das vegane Buffet enthalten ist.«

Livi atmete langsam aus und mahnte sich zur Ruhe. Es gab Momente, da fand sie, dass Iris sich eigentlich entscheiden sollte zwischen ihren beiden Jobs als Eventmanagerin und Mutter dieser absolut chaotischen Familie, wobei Livi sich dabei ausdrücklich ausnahm. Eins musste sie ihrer Mutter aber lassen: Sie sah stets aus wie aus dem Ei gepellt und hatte hier zu Hause die Hosen an.

Iris Martini hielt das Mikrofon ihres Smartphones mit der Hand zu. »Los, Kenny, mach den Fernseher unten aus und zieh dich an«, flüsterte sie. »Und du, Livi, hol die anderen.« Dann tippte sie demonstrativ auf ihre Armbanduhr.

»Nein. Natürlich bin ich mit Ihrer Arbeit zufrieden, sonst hätte ich Sie ja nicht eingestellt …«, plapperte sie jetzt wieder ins Handy, während sie Kenny vor sich her aus dem Zimmer schob.

Livi lehnte sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Ja, es war eine Tatsache: Man hatte in dieser Familie NIE seine Ruhe. So war das und nicht anders. Und wenn ihre Mutter schon im Kasernenhofton die Kommandos zischte, dann …

»Los, Livi! Wir kommen sonst zu spät zum Fototermin«, bellte von unten die Stimme der Mutter.

Livi seufzte, stoppte die Stoppuhr, klappte ihr Notizbuch zu und verließ das Zimmer.

Ihre ältere Schwester Tessa erwischte sie dabei, wie sie sich mit dem Smartphone in der Hand und einem türkisfarbenen Frottee-Turban auf dem Kopf vor dem Badezimmerspiegel in Position brachte, um eine neue Folge ihres Beauty-and-Lifestyle-Blogs »Alles-bessa-mit-Tessa« aufzunehmen. Livi beobachtete sie durch den Türspalt.

»Hey Friends and Followers, ihr werdet jetzt Zeuge von meiner coolen Haarfärbe-Aktion, bei der …«, trällerte Tessa und wickelte sich dabei das Handtuch vom Kopf. Livi hätte beinahe laut losgelacht, als sie sah, wie ihrer Schwester die Gesichtszüge entgleisten und ein spitzer Schrei durch das Haus gellte. Um das Lachen zu unterdrücken, schlug sich Livi schnell die Hand vor den Mund. Tessa sah wirklich aus, als hätte sie einen gesprengten Wischmopp auf dem Kopf. Doch es war nicht das erste Mal, dass eines ihrer Beauty-Treatments gehörig in die Hose ging. Livi tat so, als hätte sie nichts davon mitbekommen, und wollte gerade nach Tessa rufen, als auch schon ihr Vater Cornelius die Treppe heraufgestampft kam, sich vor der Badezimmertür aufbaute und brüllte: »Tessa! Wie lange willst du das Bad noch blockieren? Du wohnst hier nicht allein. Ich muss auch mal aufs Klo.«

Cornelius, noch im Pyjama, gab gerade den puren Kontrast zu seiner adrett gekleideten Frau ab.

»N-E-I-N!«, keifte Tessa. »Geh doch nach unten.«

»Das Klo unten ist immer noch verstopft!«, knurrte Cornelius.

»Nicht mein Problem!«, motzte Tessa und zog die Badezimmertür mit einem Knall ins Schloss.

Ohne Livi zu beachten, stürmte der Vater an ihr vorbei die Treppe wieder hinunter.

Uff, dachte Livi, scheint wirklich dringend zu sein. Dann sah sie ihn eilig nach draußen verschwinden.

Also, auf zur Safari, dachte Livi und öffnete die Tür zum Zimmer ihrer jüngeren Schwester Malea, das eher dem Basislager einer Expedition glich als dem Zimmer einer Elfjährigen. Malea selbst bezeichnete sich als Weltbürgerin und lebte nach dem Motto, dass ihr Leben dafür bestimmt sei, die Welt mit all ihren wunderbaren Dingen zu entdecken und dafür überall und ständig auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.

Livi überraschte Malea vor dem Teleskop am offenen Fenster. »Spionierst du etwa schon wieder die Nachbarschaft aus?«

»Ja«, antwortete Malea trotzig. »Zu unserer aller Sicherheit.«

»Iris sagt, du sollst deinen Hintern nach unten schieben«, sagte Livi. »Wir müssen los.«

Fasziniert beobachtete Livi, wie Malea es schaffte, mit traumwandlerischer Sicherheit das Zimmer zu durchqueren, ohne dabei auf einen der unzähligen Gegenstände zu treten, die überall herumlagen, oder gar darüberzufallen. Dabei griff Malea scheinbar wahllos nach einigen Dingen, die sie in ihrer Messenger Bag verstaute. Seit Malea vor einiger Zeit einmal eine Säge zum Brötchenholen mitgenommen hatte – falls sich ihr unterwegs irgendwelche Äste in den Weg legen würden –, hatte Livi es aufgegeben, zu verstehen, nach welchem Prinzip die jüngere Schwester ihre Survival-Tasche packte.

Auf der Türschwelle zögerte Malea kurz. »Meinst du, ich sollte ’ne Säge mitnehmen?«

Livi überlegte nur kurz. Malea sollte nicht den Eindruck gewinnen, sie nähme sie nicht ernst. »Hm, ich glaube, die an deinem Taschenmesser reicht.«

Malea schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf, auf dem nicht nur eine rote Strickmütze thronte, sondern auch eine Schutzbrille, wie sie zum Beispiel beim Schweißen benutzt wurde. Man konnte ja nie wissen! »Mein Taschenmesser! Gut, dass du mich daran erinnerst. Wo ist denn jetzt mein Taschenmesser?«

Während Malea in dem Chaos zu suchen begann, balancierte Livi auf Zehenspitzen durch das Zimmer, um selbst einen neugierigen Blick durch das Teleskop zu werfen, und erstarrte. Grundgütiger! Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Sie sah Cornelius, ihr den Rücken zugewandt, am Ende des Gartens stehen und … auf den Komposthaufen pinkeln!

Peinlich berührt wollte sich Livi gerade abwenden, als sie beobachtete, wie ihr Nachbar Alisan Asman mit einem Müllbeutel in der Hand in den Garten geschlichen kam. Wollte der etwa schon wieder seinen Müll dort entsorgen? Und jetzt drehte Cornelius sich auch noch zu ihm um und hätte ihm beinahe auf seine tollen Designerschuhe gepinkelt.

»Was für Vollidioten!«, stöhnte Livi.

Kurz darauf kam die ganze Familie aus dem Haus gestürmt und nahm Kurs auf den alten Siebensitzer. So waren sie halt, die Martinis: keine Sekunde zu früh. Cornelius schlüpfte noch im Laufen in seine Jacke, und Tessa schob sich hektisch Haarsträhnen unter ihre modische Beanie. Sie hatte sich ihre verfilzten Haare in aller Eile noch zu dicken Zöpfen geflochten. Da jeder seinen festen Platz in dem betagten Auto hatte, gab es keine Diskussionen. Malea schlüpfte über die Rückbank in den Fond des Wagens, und Iris half Kenny, sich anzuschnallen.

Cornelius hatte natürlich längst mitbekommen, dass sich Tessas Laune gefährlich dem Nullpunkt näherte, und versuchte, sie aufzumuntern. »Also, ich finde deine Haare wirklich mega! Sehen aus wie ein …«

»Wie ein explodierter Wischmopp! Sag es ruhig!«, raunte Tessa.

Cornelius zwinkerte ihr zu. »Genau das meinte ich.«

Tessa feuerte mit ihren Blicken Blitze auf ihren Vater und zog sich die Beanie weiter in die Stirn.

Iris schob Cornelius sanft, aber bestimmt zur Seite, als er sich ans Steuer setzen wollte. »Lass mal, wir sind eh schon spät dran.«

»So, einmal durchzählen, bitte!«, kommandierte Cornelius.

»Eins!«, knurrte Tessa.

»Drei!«, sagte Malea.

»Vier!«, rief Kenny.

»Wunderbar, alle da!«, stellte Cornelius fest.

Der Wagen hinterließ eine mächtige Staubwolke, als Iris energisch auf das Gaspedal trat und die Räder im Schotter nach Halt suchten. Mit heulendem Motor fuhr er davon. Der Staub senkte sich langsam. Und in diesem Moment trat Livi aus der Haustür der schönen alten Villa, die die Martinis geerbt hatten und seit einiger Zeit bewohnten.

Kopfschüttelnd sah Livi den Rücklichtern nach, zuckte die Schultern und seufzte. Das war nicht das erste Mal, dass sie Livi in ihrer Hektik vergaßen. Hätten sie mich mal im Krankenhaus nach meiner Geburt vergessen, dachte sie verdrießlich, zückte ihr Handy und startete die Stoppuhr.

Alles, was geschieht, ist zu irgendetwas gut, war eine von Livis Devisen. Wird man von der Familie vergessen, hat man Gelegenheit, unglaubliche Szenen zu erleben. Im selben Moment kam nämlich Deniz, der etwas schüchterne und verträumte Sohn vom Nachbarn, dem Eisfabrikanten Asman, angeschlendert. Deniz war sportlich und sah wirklich gut aus mit seinen längeren, fast schwarzen Haaren, wirkte in seiner Eisverkäufer-Kluft aber ziemlich albern, wie Livi fand. Als er Livi entdeckte, grüßte er und switchte um auf cool. Was ihm wie immer misslang.

»Hi! Vorsicht, Deniz!«, rief Livi. Doch zu spät. Deniz war mit seinem lässigen Hüftschwung über seine offenen Schnürsenkel gestolpert und verlor die Kontrolle über die Eisboxen, die er noch eine Sekunde zuvor gekonnt balanciert hatte. Die Boxen krachten auf den Boden und Deniz krachte hinterher.

Deniz, wie er leibt und lebt, dachte Livi amüsiert, wie sie ihn da mit dem Gesicht in der bunt verzierten Eistorte, die oben auf den Boxen gethront hatte, liegen sah. Sie fand, er war ein süßer Typ, aber irgendwie total verpeilt. Und natürlich stand er auf Tessa, wie Livi wusste, denn: Alle Jungen standen auf Tessa.

Offensichtlich hatte er sich nicht wehgetan, denn schon rappelte er sich – mit hochrotem Gesicht – wieder auf und kramte sein Zeug zusammen. Die Schimpftirade seines Vaters bekam Livi nicht mehr richtig mit, denn im selben Moment bremste der Familienvan wieder mit quietschenden Rädern auf dem Schotter vor ihr.

Livi stoppte die Uhr. Wow, dachte sie. Ganze 36 Sekunden! Immerhin. Es hatte nämlich auch schon mal acht Minuten gedauert, bis ihre Familie bemerkt hatte, dass sie sie vergessen hatte.

»Kommst du mit?«, fragte Cornelius durch das geöffnete Seitenfenster.

»Sehr witzig«, blaffte Livi und stieg in den silberfarbenen Van.