Die Chaosschwestern voll im Einsatz - Dagmar H. Mueller - E-Book

Die Chaosschwestern voll im Einsatz E-Book

Dagmar H. Mueller

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Beschreibung

Noch mehr »Chaosschwestern«: Die Erfolgsreihe geht weiter!

Frühlingsgefühle bei den Chaosschwestern! Livi hofft immer noch auf ein bisschen Aufmerksamkeit von Klassenschwarm Daniel, während Kenny ihren Traumjungen schon längst erobert hat. Nur zu dumm, dass Sinan das plötzlich ganz anders sieht ... Aber zum Glück gibt´s ja Tessa. Als Expertin in Sachen Liebe ist auf sie Verlass ... oder? Nur Malea muss sich mit einem ganz und gar unromantischen Problem herumschlagen ...

Liebeschaos und Kicherkatastophen – die Chaosschwestern sind wieder in ihrem Element!

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Seitenzahl: 272

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cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Für alle Chaosschwestern-Fans, die mir so tolle Mailsmit Ideen und Rückmeldungen schicken!Und für Aaron, Ating, Antje, Almut und Hamburg-Dag!

D. H. M.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

1. Auflage 2012

© 2012 cbj, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild und Innenillustrationen: Franziska Harvey

Umschlagkonzeption: Basic-Book-Design, Karl Müller-Bussdorf

Lektorat: Kerstin Weber

iM · Herstellung: UK

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-641-07366-4

www.die-chaosschwestern.de

www.cbj-verlag.de

… Weltbürgerin (das zeigt doch wohl schon der hawaiianische Name!).

… Tiefseeforscherin (später).

… eine knallharte, gerissene, mit allen Wassern der Weltmeere gewaschene Spionin (so etwa wie James Bond, nur weiblich natürlich).

… keine Welle hoch genug. Als echte Surferin schreckt sie auch auf dem Land vor kaum einer Herausforderung zurück.

… Sternenguckerin (abends durchs Dachfenster).

… Ponybesitzerin (im Traum).

… große Schwester (eines Tages, wenn sie Mama endlich überredet hat, noch ein weiteres Kind zu bekommen. So lange ist sie leider nur »eine« Schwester. Aber ist doch völlig egal, ob die anderen älter oder jünger sind. »Klein« ist sie jedenfalls nicht.).

… gut drauf (»Lasst mich bloß in Ruhe!«).

… auf jeden Fall groß genug, um jederzeit mitzumachen, mitzureden und mit aufzubleiben.

… irgendwie fehl am Platz in dieser Familie (nach Aussage von ihr selber) und kann den Gedanken nicht ganz aufgeben, als Baby im Krankenhaus vertauscht worden zu sein, nur leider sprechen alle familiären Fakten gegen diese Hoffnung versprechende Theorie.

… langweilig (nach Aussage von Malea).

… gaaanz toll (nach Aussage von Kenny, weil Livi oft mit ihr malt, bastelt oder ihr vorliest).

… eben eine von unzählig vielen Schwestern (nach Aussage von Tessa).

… schön (das ist nun mal so, dafür kann Tessa ja nichts).

… interessiert an fast allem (besonders am anderen Geschlecht, schließlich muss sie sich aufs Leben vorbereiten, und zu Hause hat sie nur wenig Anregung in der Beziehung – zumindest, was das andere Geschlecht angeht).

… wirklich nicht dumm. (Wenn die Lehrer das endlich mal einsehen würden!)

… jeden Tag schwer beschäftigt (da gibt es ständig neue Telefonnummern zu sortieren, Make-up-Produkte zu vergleichen und Mails an Dodo, Tessas beste Freundin, zu schicken).

Man muss sich im Leben auf klare Ziele konzentrieren, um voranzukommen. Das findet Rema, unsere REnate-oMA. Aber das weiß ich sowieso schon. James Bond macht das nämlich auch immer so. Der konzentriert sich so meerwasserklar auf seine Ziele, dass um ihn herum die Welt einstürzen könnte und er würde trotzdem den Schurken, den er fangen will, fangen oder die geklauten Geheimpapiere, die er von miesen Erpressern zurückrauben will, zurückrauben. Ja. Der einzige Haken an der Sache ist nur, dass das in meinem Leben irgendwie nicht wirklich funktioniert. Natürlich hat James Bond auch nicht so eine Familie wie ich. Bei uns ist es nämlich fast unmöglich, sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Es passieren ständig so viele andere Dinge um einen herum …

Wooooaaaa! Was für ein Film! Was für Wellen!

Hab mir gerade unter der Bettdecke »Gefährliche Brandung« angesehen. Das ist der obercoolste, wellenbrecherhärteste, megaschärfste Geheimagentenfilm, den ich kenne. (Also mal abgesehen von den James-Bond-Filmen natürlich!) Und dann spielt er auch noch auf den hawaiianischen Inseln, seufz.

Den DVD-Player hab ich mir von meiner größten Schwester Tessa ausgeliehen. Natürlich hab ich Tessa nicht gesagt, dass ich ihn mir ausleihe. Sonst hätte die gleich wieder Krämpfe bekommen. Sie ist schrecklich knauserig mit ihren Sachen und behauptet immer, wir würden ihr so viel kaputt machen.

Huch, wieso funktioniert denn die Rückspieltaste jetzt nicht mehr? Ach egal, genug geguckt. Ich bin sowieso so müde, dass ich die Augen kaum noch aufhalten kann. Und denken kann man eh viel besser mit geschlossenen Augen.

Ich schiebe den DVD-Player unter mein Bett, hole tief Luft und denke an den supercoolen FBI-Agenten Johnny Utah und den nooooch viel cooleren Wellenreiter Bodhi aus »Gefährliche Brandung«. Oh, Mann! Da muss ich echt gleich noch mal seufzen. Wie die auf den Brettern stehen! In hochhaushohen Wellen! Total konzentriert. Der Körper eins mit der Welle, mit dem Brett, mit der ganzen Welt! Woooohooo!

Eigentlich bin ich schon echt gut im Surfen. Letzten Sommer in Spanien habe ich den Fortgeschrittenen-2-Kurs locker mitgemacht. So locker, dass es fast langweilig war. Ich brauche neue Herausforderungen! Ich brauche echte Wellen. Riesenwellen! Und ich könnte – genau wie Bodhi – stundenlang, tagelang, wochenlang nur aufs Wasser starren und auf die eine, die einzige, die richtige Welle, auf die Welle meines Lebens warten!

SEUFZ! Aber dafür muss ich erst mal dahin kommen. Nach Hawaii, meine ich. Denn hier bei uns in der Kastanienallee gibt es nicht das kleinste bisschen Wasser weit und breit. Und schon gar keine Wellen. Das einzige, was hier wellig ist, sind Tessas gefärbte und mit dem Lockenstab bearbeitete Haare. Und ein paar von Auroras Federn vorne am Hals. (Aurora ist übrigens unser Huhn.)

Warum passiert nie was richtig Aufregendes in meinem Leben? Solche Sachen wie in James Bonds Leben. Oder in Johnny Utahs Leben! Oder in Bodhis Leben! Warum kommt bei uns nie ein Agent ins Haus und sagt: »Ihr Einsatz, Malea Bond. Wir brauchen Sie!«

Ja, das wäre cool.

Und dann grinse ich nur lässig und sage: »Ich bin bereit.«

Hihihi! Iris und Cornelius würden sehr sorgenvoll aussehen, weil solche Aufträge natürlich schrecklich gefährlich sind. Rema würde »Ach, ach, ach!« sagen. Und meine Schwestern würden neidisch gucken. Na gut, Tessa würde sich wahrscheinlich dabei die Fingernägel lackieren, aber sie würde mit einem Auge doch neugierig zu mir rüber schielen. Aber keiner würde versuchen, mich aufzuhalten, weil alle genau wissen, dass die Welt mich braucht und sie mich deshalb gehen lassen müssen.

Und dann würde ich gehen. Sehr lässig lächelnd und sehr ruhig. Malea Bond ist wieder mal im Einsatz! Ja! Maaaann, das wäre sooo gut!

Aber genau da fällt mir wieder Aua von heute Morgen ein. Der sah nämlich gar nicht gut aus. (Noch grässlicher als sonst.) Und ruhig war er schon überhaupt nicht. Kein bisschen. Der bibberte so sehr, dass ihm glatt die Hälfte von seiner schimmelig stinkenden Wurststulle aus dem Mund rausfiel. E-ke-lig.

Aua ist überhaupt total eklig. Und doof. Deswegen nennen wir ihn ja auch Aua. Weil er nämlich so doof ist, dass es weh tut – autsch. Eigentlich heißt er Sascha Auermann. Und seit zwei Monaten sitzt er im Unterricht neben mir. Was schreeeeeecklich ist! Aber so gebibbert und gezittert wie heute hat er noch nie. Ich meine, ist doch nicht normal, im März in einem schönen warmen Klassenraum so zu frösteln, dass man kaum das Pausenbrot in den Mund kriegt!

Ich fand das so merkwürdig, dass ich mich sogar erbarmt habe, mit dem Kerl zu sprechen. Das tue ich nämlich sonst nicht. Aua stinkt und ist so dämlich wie eine Steckrübe. Mit so was möchte man ehrlich nicht redend gesehen werden! Aber heute hab ich es wenigstens mal versucht. So gut man eben mit einem reden kann, der etwa die Gehirngröße eines Karpfens hat. (Und auch sonst sehr viel Ähnlichkeit mit glupschäugigen Fischen.)

»IST was?«, hab ich erst mal ganz freundlich und unverfänglich gefragt und ihn angemessen entsetzt angestarrt.

Da sind ihm gleich noch ein paar Brocken mehr aus dem Mund gefallen. Das Karpfenmaul klappte weit auf. Allerdings ohne eine Antwort zu geben.

»Hast du irgendwas oder so?«, hab ich dann nachgehakt. Natürlich sah ich da schon etwas unfreundlicher aus. Man kann ja nicht endlos geduldig lächeln wie ein Seepferdchen.

»Urrrrrffff«, machte Aua und glotzte noch dämlicher.

Ich hörte schon Carla und Valerie hinter mir kichern. Mann, war mir das peinlich! Also tippte ich mir nur verächtlich (mit dem Blick zu Aua) an die Stirn – was Aua ganz richtig als Abschiedsgruß wertete – drehte mich um und haute ab.

Leider hörte das Gezittere aber in der nächsten Stunde immer noch nicht auf. Ich war kurz davor, ihm meine Jacke anzubieten. Allerdings wollte ich verständlicherweise nicht, dass sie danach nach Aua stinkt, also hab ich es doch nicht getan.

Aber – ich meine – normal ist das nicht, oder?

Klopf-klopf-klopf!

Huch, wer ist das denn? Ich schaue zur dunklen Tür. Das wird doch nicht etwa Tessa sein, die ihren DVD-Player sucht? Ich fummle nach dem Teil unter meinem Bett und schiebe es sicherheitshalber noch etwas tiefer.

»Malea?«, piepst ein kleines Stimmchen vom Flur, das verdammt nach meiner kleinen Schwester, und zum Glück nicht nach Tessa, klingt. »Malea, bist du wach?«

Ja, Ziele sind eine Sache. Meine Familie ist eine andere Sache. Aber dieses Mal werde ich mein Ziel nicht vergessen. Ziel: Ich will – nein, ich WERDE endlich mal einen richtigen Agententhriller erleben. (Fettes Wort! THRILLER – klingt toll!) Ein richtiges James-Bond-Abenteuer, jawohl! Und zwar noch diese Woche. Noch bevor Rema ihren fünfundsechzigsten Geburtstag am Samstag feiert. Und ich werde mich NICHT von meiner Familie davon abhalten lassen!

Ich kann oft nicht einschlafen. Einfach deswegen, weil ich immer so viel zu denken habe. Verstehe echt nicht, wie manche Leute so rucki-zucki wegschnarchen können. Wann denken die denn über die Probleme der Welt nach?

Dass ich nachts nicht viel schlafe, heißt aber nicht, dass ich wild darauf bin, ständig irgendwelche Familienmitglieder bei mir im Bett zu haben. »Kenny?«, wispere ich.

Die Klinke wird heruntergedrückt, die Tür öffnet sich und herein lugt die kleine Nase meiner kleinen Schwester.

»Maleaaa …!« Das Ende meines Namens geht unter in einem erbärmlichen Schniefen.

Sofort richte ich mich kerzengerade auf. »Kennylein! Was ist denn los?« Ich halte bereitwillig meine Decke auf. »Hast du schlecht geträumt?«

Kenny schließt die Tür leise hinter sich, hüpft mit einem Satz in mein Bett und kuschelt sich an mich. »Uhuhuuuu! Gaaaanz scheußlich!«

Sie bibbert und zittert. Fast so schlimm wie Aua heute morgen.

»Kenny! Ist ja gut!« Ich drücke meine kleine Schwester an mich.

Sehr ungewöhnlich, dass sie nachts zu mir ins Bett hüpft. Normalerweise ist Livi ihr Rettungsanker. »Schläft Livi schon?«

»Neiheiiiin …«, wimmert Kenny. »Sie hat gesagt, sie braucht ihre Ruhe. Buhuuuu!«

Wie? Livi braucht ihre Ruhe? Das klingt so gar nicht nach meiner jüngeren großen Schwester. Livi würde für Kenny ihre letzte freie Minute geben. Besonders, wenn Kenny so aufgelöst ist. Sehr merkwürdig. Ich seufze.

»Aber sie ist in ihrem Zimmer?«, versuche ich sicherzugehen. (Nicht, dass sie wieder nachts rumschleicht und Hühner aus Käfigen oder Eisbären aus der Ostsee rettet! Livi ist in der Richtung alles zuzutrauen.)

Kennys Kopf nickt. »Mhmmm – buuuuu!«

Ich wiege sie sanft hin und her.

»Und Iris und Cornelius?«, frage ich sehr schwesterlich und streiche Kenny über ihr strubbeliges Haar. Ich will ja nicht, dass es so aussieht, als wolle ich sie loswerden.

»Mama ist doch mit Rema Essen gegangen, weil sie über Remas Burztag sprechen wollen, und Papa … Papa – buhuhuuuu!«

»Ja? Was ist mit Papa?«, hake ich nach. »Papa ist sauer auf sein Schlagzeug …«, wimmert Kenny – jetzt schon etwas ruhiger, »… weil es nicht in den Bandraum will und … und …«

»Und?«

»Und weil es sich mit der Wand im Flur gestritten hat.«

Ich versuche mir vorzustellen, was passiert ist. »Das Schlagzeug hat sich mit der Wand gestritten?«

»Ja«, behauptet Kenny und schnieft.

Ich angele nach einem Papiertaschentuch in meiner Nachttischschublade.

»Und jetzt ist es kaputt«, meint Kenny, nachdem sie sich die Nase geputzt hat. (Hauptsächlich an meinem Nachthemd, leider weniger am Taschentuch.)

»Das neue Schlagzeugteil?«, frage ich.

Kenny nickt. »Und Papa schimpft auf die Wand, weil die ja schuld ist und weil die Trommel so teuer war, und er hat mir überhaupt nicht zugehört.«

»Oh je«, tröste ich sie, »aber mach dir nichts draus, Kenny. Das hat Cornelius nicht böse gemeint.«

Ich kann mir inzwischen gut vorstellen, was passiert ist. Cornelius hat heute seine neue Bass-Trommel geliefert bekommen. Ein fettes Teil, das bestimmt schwer in den Keller zum Bandraum zu transportieren ist. Und – mal ehrlich – der Geschickteste in allen praktischen Dingen des Lebens ist Cornelius ja nicht gerade. Und die Treppe runter zum Keller ist nicht sehr breit. Kein Wunder, dass Kartons da anfangen, sich mit Wänden zu streiten. Ich kichere leise.

»Das ist nicht komisch!«, schnaubt Kenny.

Ich ruschele mich wieder zurück in meine Kissen.

»Willst du hier schlafen?«, biete ich großmütig an.

»Mmhmmm, okay«, nuschelt Kenny kuschelig und wühlt sich noch etwas tiefer unter meine Decke.

»Und willst du vielleicht mir erzählen, was du geträumt hast?«

»Was gaaaanz Schreckliches«, behauptet Kenny.

»Raus damit!«, ermuntere ich sie. Schreckliche Sachen muss man loswerden. Sonst fangen sie in einem drin an zu schimmeln. Das weiß ja jeder.

»Da war Sinan«, meint Kenny. Und augenblicklich klingt ihre Stimme wieder piepsig und nah am Weinen.

Sinan geht in eine Klasse mit Kenny und seit zwei Monaten sind die beiden voll verliebt. Sooo süß! Manchmal kommt Sinan zu uns und dann spielen Kenny und er mit Aurora. Und manchmal geht Kenny zu Sinan nach Hause, wo sie Fußballbücher angucken und leckeres türkisches Essen von Sinans Mama serviert bekommen, und dann kommt Kenny mit einem Zuckerwatte-Lächeln nach Hause, als hätte sie ein ganzes Glas Blubber-Sekt getrunken.

»Also, da war Sinan?«, stelle ich fest.

Kenny nickt. »Ja, und ich. Und … und … und dieser fiese Vogel. Der ist über uns geflogen. Der war riiiiesig. Und sooo fiese!«

»Wollte der euch was tun?«, frage ich vorsichtig.

»Ja. Nein. Doch«, sagt Kenny und schluckt, als hätte sie den fiesen Vogel direkt in ihrem Hals sitzen. »Der flog immer näher und näher und als er direkt über uns war, wurde es ganz dunkel um uns herum – so groß war der. Und ich hab geschrien und Sinan … und Sinan …«

»Und Sinan hat auch geschrien?«, versuche ich zu helfen. »Weil ihr beide solche Angst hattet?«

»NEIN!«, ruft Kenny.

»Ihr hattet keine Angst?«

Von Kenny kommt irgendwas, das wie eine gequälte Katze klingt.

»ICH hatte Angst«, presst sie schließlich hervor, »sooo schreckliche Angst. Aber der dumme Sinan …« Sie schluchzt auf. »… der hat überhaupt nichts gemerkt! Und dann … und dann hat der Vogel ihn mit seinen Krallen gepackt und ist einfach …«, Kenny weint jetzt bitterlich, »… und ist einfach mit ihm weggeflogen. Ganz weit weg. Bis ich ihn nicht mehr sehen konnte. Ich hab geschrien und geschrien, aber …«, die Schluchzer werden leiser, doch sie klingt furchtbar traurig, »… aber keiner ist gekommen und hat mir geholfen.«

»Oh Gott, der arme Sinan!«, sage ich. »Hat er auch geschrien?«

»NEIN!«, heult Kenny wieder auf. »Der blöde Sinan hat nur gelacht und fand das total komisch, dass er weggeflogen wurde!«

Ich starre eine Sekunde lang erstaunt auf die dunkle Decke über uns.

»Und dann?«, frage ich. »Was passierte dann?«

»Dann bin ich aufgewacht«, sagt Kenny. Sie zieht einmal kräftig ihre kleine Nase hoch, aber ihre Stimme klingt wieder normal.

»Das ist ja merkwürdig«, stelle ich fest.

Ich meine, das ist es doch wirklich. Na gut, Traumdeutung ist vielleicht nicht gerade meine Stärke. Kann mir auch nicht vorstellen, dass James Bond sich viel mit irgendwelchen Träumen abgibt. Hat er ja auch gar keine Zeit zu. Aber wieso träumt Kenny so ein Zeug?

»Hast du vielleicht einen doofen Film gesehen, wo so was vorkam?«

»Quatsch!«, meint Kenny. »In Filmen kommen doch nicht ich oder Sinan vor.«

»Aber vielleicht Vögel«, gebe ich zu bedenken.

»Eiermatschquatsch!«, meint Kenny, »der fiese Vogel ist kein Film. Der fiese Vogel war echt fies. Und Sinan war zu blöd, um das zu merken.«

»So was!«, sage ich, um irgendwas zu sagen. Aber mehr fällt mir leider nicht ein. Ich drücke sie noch einmal an mich. »Vielleicht sollten wir jetzt schlafen?«

Und um Kenny das Gefühl zu geben, dass sie hier sicher ist – denn das ist sie ja wirklich, wo sollte sie sicherer sein als im Bett von mir? –, füge ich zuversichtlich hinzu: »Hier kommen ganz bestimmt keine fiesen Vögel ins Zimmer.«

Das scheint Kenny immerhin auch zu glauben. Sie kuschelt ihren Wuschelkopf unter meine Schulter.

»Ich muss Sinan beschützen«, brabbelt sie leise, bevor sie einschläft, »ich muss auf Sinan aufpassen …«

Ich weiß nicht, ob ich irgendetwas brabbele, bevor ich einschlafe. Aber falls ja, wird es bestimmt so was Seufzendes sein wie: »Kein Wunder, dass man in diesem Haus seine eigenen Ziele ständig aus den Augen verliert. Ach!«

»Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein,

hangen und bangen in schwebender Pein,

himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt –

glücklich allein ist die Seele, die liebt.«

Johann Wolfgang von Goethe

Wir lesen in der Schule Goethe. Ehrlich! Ich meine …

… GOETHE! GÄHN!

Was sollen wir denn mit diesem Opa heute noch anfangen, der vor zweihundert Jahren irgendwelche Gedichte und Bücher geschrieben hat? Ich meine, was soll der uns denn zu sagen haben in einer Welt, in der es eigentlich nur ums blanke Überleben geht? Um das Überleben von vielen Tieren, Pflanzen und auch um das Überleben von uns Menschen! Da brauche ich mir gar keine Kriege anzugucken, da langt schon, wenn man sich nur mal ein paar Umweltkatastrophen reinzieht.

Aber nein, die sture Frau Tönning, unsere Deutschlehrerin, will nicht vernünftig über die Probleme unserer Welt reden. Nein, stattdessen will sie unbedingt schmalzige Gedichte von Goethe lesen. Im Unterricht! Und das für die nächsten zwei Monate! Kann die das nicht bei sich zu Hause auf dem Sofa machen, wenn sie unbedingt ihre Zeit damit vertrödeln will?

Eben klopfte Kenny an der Tür und wollte irgendwas. Was, weiß ich nicht mehr. Ich konnte nicht richtig zuhören, weil ich so damit beschäftigt war, Tagebuch zu schreiben. Es gibt nämlich etwas, über das ich seit Wochen nachdenke. Sogar mehr noch als über … oder nein, vielleicht nicht mehr, aber intensiver. Also auf eine bestimmt Art jedenfalls …

Also, was ich sagen will, ist: Ich denke irgendwie anders über diese Sache nach, als ich sonst über Dinge nachdenke. Ich meine, über Dinge, wie Umweltschutz und Tierschutz oder ähnlich Sinnvolles eben. Und ich merke außerdem, dass sich diese andere Sache vom Reinschreiben ins Tagebuch nicht wirklich verändert.

Ich finde, sonst ist es nämlich oft so, dass einem Dinge sehr viel klarer werden, wenn man sich die Mühe macht, sie aufzuschreiben. Irgendwie sieht man dabei die Lösung des Problems meist schon. Oder zumindest einen Ansatz, mit dem man was anfangen kann.

Ich sehe aber gar nichts. Nur hundert beschriebene Seiten der letzten Wochen, auf denen im Grunde immer das Gleiche steht. Und keine Lösung in Sicht. Aber das allergrößte Problem an meinem Problem ist, dass es nicht mal jemanden gibt, mit dem ich darüber reden kann. Was in dieser Familie keine wirkliche Überraschung ist, aber eben noch ein weiteres Problem. Weil ein bisschen Reden nämlich vermutlich mehr helfen würde, als immer nur das Gleiche aufzuschreiben.

Ich kann nicht mal mit Gregory darüber reden. Obwohl Gregory vermutlich auch gerade nebenan in seinem Haus sitzt und ebenfalls noch nicht schläft. Also wäre es doch wirklich nett, mit ihm zu reden, statt hier allein zu brüten. Aber, wie gesagt, mit Gregory kann ich darüber überhaupt gar nicht reden. Das hab ich schon ein paar Mal probiert. Das macht ihn nur schlechtlaunig.

Vielleicht liegt das daran, dass Gregory ein Junge ist. Also fühlt er bestimmt anders als Mädchen. Und deswegen geht ihm das vielleicht komplett auf den Zeiger, wenn ich plötzlich dauernd über Daniel reden will. Der – ähm – nämlich mein Problem ist! (Oder zumindest ein Teil meines Problems. Der nette Teil. Grins!)

Ich meine, kann man ja aus Gregorys Sicht vielleicht verstehen. Gregory interessiert sich eben mehr für Computerspiele oder Fußball, und vor allem natürlich für die Umwelt. Deshalb arbeiten wir ja auch zusammen in unserer Umwelt-AG. Und seit einem Monat haben wir auch eine Tierschutz-Gruppe gegründet mit einer eigenen Webseite, bei der uns Gregorys Vater, Gerold Grünberg, geholfen hat. Was echt sooo super ist! Unsere Gruppe heißt Auroras Freunde und die Webseite heißt genauso.

Ja, solche Sachen kann man wirklich super mit Gregory machen. Leider kann man aber nicht ganz so gut mit ihm über Jungs reden. Und wie es ist, sich zu verlieben. Und all das …

Schätze, mit den meisten anderen Freundinnen könnte man das. Mit Gregory aber nicht. Zu blöd. Denn eine andere beste Freundin habe ich nicht.

Na ja, und während ich gerade ziemlich unglücklich an meinem Schreibtisch hockte (wo ich immer noch sitze) und aus dem offenen Fenster ins Dunkle starrte (heute war der erste warme Märztag und die Luft ist immer noch ganz lau – schööön!), da klopfte Kenny.

Die arme, kleine Maus! Bestimmt hatte sie schlecht geträumt oder so. Und was mache ich? Ich raunze ihr nur kurz zu, dass ich keine Zeit habe. Zum Glück hörte ich danach, dass sie in Maleas Zimmer gehuscht ist. Denn abgesehen davon, dass ich mit meinem Daniel-Problem kein Stück vorankomme, muss ich auch noch diese dämliche Deutsch-Hausaufgabe schreiben. Über Gähn-Goethe! Wir sollen das Gedicht, das wir heute bekommen haben, lesen und dann aufschreiben, was uns dazu einfällt.

Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein …

Oh nee, schon diese peinlich altmodische und schwülstige Sprache! Was soll mir wohl dazu einfallen? Hatte dieser Goethe über nichts Wichtiges zu schreiben?

Worüber schreibt er überhaupt? Ja, wovon redet der Kerl eigentlich? Redet der über sich? Ich verstehe kein Wort von diesem Schmalz.

Echt, ich sitze hier, raufe mir die Haare, könnte laut schreien vor Wut und Hilflosigkeit, weil mir keiner mit meinem wirklichen Problem hilft – aber gleichzeitig fühle ich tausend wühlige, wuschelige, kuschelige, pieksende, flirrende Marienkäfer in meinem Bauch herumtanzen. Und das ist manchmal wunderschön und manchmal einfach nur schrecklich.

Ich fühle mich so anders als früher. So verwirrt. Weil es immer rauf und runter zu gehen scheint. Mal bin ich einfach nur gut drauf – wenn ich an Daniel und sein tolles, lächelndes Gesicht und seinen muskulösen Körper denke und … hach! Und manchmal bin ich einfach nur verzweifelt, weil ich eben ich bin – und total allein – und vermutlich viel zu hässlich für so einen supertollen Jungen wie Daniel (auch wenn schon Fotos von mir in der Annette waren) und – Maaaaaaann!!!

Und dann soll ich auch noch so ein blödes Gedichtgeschreibsel lesen!

Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein. Hangen und bangen in schwebender Pein. (Was heißt eigentlich Pein? Ach ja, Schmerz, glaube ich.)

Na toll! Der Kerl scheint hin und her gerissen zu sein. Mal gut drauf, mal echt mies. Und wieso hängt er herum und bangt? Worum bangt er denn?

HUCH! Der fühlt sich ja genauso wie ich! Wie ich mit meinem Daniel-Problem!

Moment, und wie geht’s weiter?

Himmelhoch jauzend, zum Tode betrübt – glücklich allein ist die Seele, die liebt.

Boah! Ich fasse es nicht! Der Kerl schreibt vermutlich darüber, dass er VERLIEBT ist! Und dass er hofft, aber nicht weiß, ob … Mann, echt genauso wie ich!

Aber wieso schreibt er, dass allein derjenige glücklich ist, der liebt?

Dass ich liebe – dass ich Daniel liebe –, das ist ja genau mein Problem! Das macht mich ja wohl kein Stück glücklich! Im Gegenteil! Das macht mich echt verzweifelt. Und hilflos. Und auch echt traurig. Weil es ja eben nicht passieren wird. Dass er auch mich liebt, meine ich.

Ach.

Hups! Die Marienkäfer in meinem Bauch kribbeln und krabbeln gerade wieder. Bloß weil ich an Daniel denke. Und lächeln tue ich vermutlich ebenfalls. Aber glücklich macht mich das noch lange nicht! Echt nicht!

Oder meint dieser Goethe vielleicht, dass nur der glücklich ist, der lieben DARF? Also, der richtig liebt? Und nicht nur heimlich? Weil er nämlich zurückgeliebt wird?

Ach ja, das wäre schön …

Mist! Was schreib ich denn nun für die blöde Frau Tönning?

Ach, ich bin allmählich so wütend, weil alles so blöde ist und überhaupt, dass ich gute Lust hätte, einfach nur was komplett Verrücktes auf ein Blatt Papier zu kritzeln! Einfach nur, was mir gerade einfällt. Nur für mich. Danach schmeiße ich es einfach weg oder tue es in mein Tagebuch (was übrigens jetzt ein sicheres Schloss dran hat, sodass keine kleinen Schwestern darin schnüffeln können!). Ist bestimmt lustig, einfach nur mal irgendwas rauszublubbern, ohne dabei ständig vernünftig sein zu müssen. Und vielleicht fühle ich mich danach sogar besser. Könnte langsam auch etwas Schlaf gebrauchen. Aber so wütend, wie ich jetzt bin, kann ich sowieso nicht einschlafen.

Ich muss dann nur morgen auch früh genug in der Schule sein, um zu dem Gedicht schnell noch was von jemand anderem (Gregory?) abschreiben zu können.

Aber das dürfte kein Problem sein.

Ja, so mache ich es.

Also dann!

Was ich über das Gedicht von Goethe denke! (Und über mich und Daniel, hihihi!)

Liebe Frau Tönning,

»Goethe?« Felsbrockenalt!

»Hangen und bangen?« Man sollte nicht bangen. Jede Gewissheit ist besser als das schreckliche Nichtwissen und Bibbern.

»Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein?« Okay, das bin ich. Ziemlich doll ich, glaube ich.

»In schwebender Pein, himmelhoch jauchzend – zum Tode betrübt?« Na ja, ist vielleicht ein bisschen schwülstig ausgedrückt, aber gut, geht mir in letzter Zeit tatsächlich öfter mal so. Also, nun nicht gerade bis zum Tode – echt! Aber doch ziemlich betrübt.

»Glücklich allein ist die Seele, die liebt?« Tja. Das will ich mal nicht hoffen. Ich meine, ich werde ja wohl immer allein bleiben und keinen finden, der mich liebt, und sollte wohl deshalb auch nicht lieben, sondern … Ach, egal.

Und zum ganzen Gedicht: Ja, ja, irgendwie kann man sich da drin wiederfinden. Aber auch wieder nicht. Also, vielleicht treffen ein paar der Sachen, die Goethe aufgeschrieben hat, für mich zu. Aber nicht alles. Und können wir bitte nächstes Mal endlich was zum Thema Umweltschutz zu lesen bekommen? Na schön, auch wenn es irgendwie ganz interessant war, zu lesen, dass Mädchen auch vor zweihundert Jahren schon so hangend gebangt haben und vermutlich das Gleiche gefühlt haben wie Mädchen heute. Und ja – okay – auch wenn ich es nicht gut finde, zu hangen und zu bangen, zugegeben, ich tue es auch … Was eben daran liegt, dass ich auch liebe. Und zwar schon sehr lange. Sogar jemanden, den Sie kennen. Aber glücklich macht mich das nicht!

Olivia Martini

Hahaha, das macht Spaß! Ist wirklich ein gutes Gefühl, mal ganz feistfett direkt und ehrlich zu sein!

Ich lese mir grinsend mein Geschreibsel noch mal durch. Mann, wenn Frau Tönning das wirklich lesen würde, glaube ich, die würde in Ohnmacht fallen. Die nette, höfliche Livi! Hahaha! Und dann plötzlich so was.

Schade, dass ich den Zettel nicht mal Gregory zeigen kann. Würde so gern über all das mit ihm reden. (Mit wem soll ich sonst reden?) Und nun könnten wir ja sogar über dieses Gedicht reden und dabei auch auf meine Gefühle für Daniel kommen und … Ach, das wäre schön!

Wird aber leider nicht passieren. Na ja. Dann also ab damit in mein Tagebu…

»WAAAAAAAAAAAAHHHHH!!!«

Huch?

Mir fällt vor Schreck alles aus den Händen.

Himmel! Was war DAS?

Goethe und meine Familie haben etwa so viel gemeinsam wie ein lauschiger Weidenbaum und eine wild ratternde Waschmaschine. Nicht, dass ich meine Familie unbedingt als Waschmaschine bezeichnen möchte. Aber in ihr zu leben, fühlt sich wie ein ständiger Schleudergang an.

WAAAAAAAAAAAAHHHHH!!!«

SCHOCK! Wer um alles in der Welt schreit denn da so grauenvoll?

Der Schrei kam von draußen.

Glaube ich.

Ich springe erschrocken auf und lehne mich weit aus dem offenen Fenster hinter meinem Schreibtisch. Schockstockduster draußen. Ich klettere auf den Schreibtisch, um besser gucken zu können.

Am Ende unserer Straße funkelt nur eine einzige schwache Straßenlaterne. Die Kastanienallee ist eine kleine Nebenstraße, und kleine Nebenstraßen sind nicht so hell erleuchtet wie Hauptstraßen. Blöd.

Ich versuche mein Bestes, draußen was zu erkennen. Die Bürgersteige auf beiden Seiten sind leer. Die Straße ebenso. Die parkenden Autos sind dunkel. Hm. Ob vielleicht noch jemand in dieser lauen Nacht gerade das Fenster offen hat und nur seinen Fernsehkrimi auf Fußballstadionlautstärke gestellt hat?

»HIIIILFEEEE! AAAAAAAAHHHH!«

Hilfe? Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Der Schrei kommt doch nicht von draußen. Jedenfalls nicht von der Straße hier. Aber aus unserem Haus zum Glück auch nicht. (Obwohl bei uns gerne mal wechselnde Familienmitglieder »Hilfe!« schreien. Aus sehr unterschiedlichen Gründen.) Nein, der Schrei klang so, als ob er … ja, als ob er von hinten kam. Von hinten aus dem Garten.

Ich stürze aus meinem Zimmer und gegenüber rein in Maleas Zimmer und weiter zu ihrem Fenster, reiße den Vorhang beiseite und recke meinen Hals nach draußen. Auf die beiden kleinen Schreie von Malea und Kenny, die mich unter der Bettdecke erschrocken anstarren, kann ich gerade keine Rücksicht nehmen.

Nichts. Ich sehe nur unseren Rasen, die paar Obstbäume, den Zaun zum Garten von Gregory und seiner Mutter links und die Hecke zum Garten von Walter Walbohm rechts. Sonst nichts. Absolut nichts. Nicht mal Aurora. Obwohl die natürlich sowieso in ihrem Nest bei Walter Walbohm im Haus liegen sollte.

»Livi? Bist du das?«, wispert Malea und knipst das Licht an. Als sie mich erkennt, wird ihre Stimme fester. »Sag mal, haben sie dir Fische ins Hirn gesetzt? Was machst du hier?«

»SCHTTT!«, fauche ich sie an. »Und mach das Licht sofort wieder aus! Schnell!«

»Hä?«, macht Malea und rührt keinen Finger.

»Das Licht aus!«, fauche ich. »AUS!« (Komisch, dass man immer sofort das Bedürfnis hat, selbst nicht gesehen zu werden, sobald man die Lage nicht wirklich einschätzen kann.)

»Spinnst du?«, fragt Malea. »Wir haben geschlafen!«

Kenny hat nach ihrem kleinen Schrei nur »Oh, ach so, du bist es, Livi!« gesagt und die Augen gleich wieder zugemacht. Bloß Malea glotzt mich an, als hätte ich nicht mehr alle Hühnerfedern beisammen.

»Ich mach das Licht aus, wenn du wieder draußen bist«, grunzt sie. »Hau ab! Ich will schlafen!«

»Da …« Ich flüstere automatisch. »… da draußen hat jemand geschrien. Als ob er abgeschlachtet wird.«

Ich werfe einen schnellen Blick auf Kenny. Wir versuchen, solche Sachen wie abschlachten und so nicht zu sagen, wenn Kenny dabei ist. Iris will das nicht. Weil sie glaubt, dass Kenny sich das alles immer sofort vorstellt und gar nicht versteht, dass wir nicht wirklich abschlachten gemeint haben.

Oder habe ich das doch?

Es klang ziemlich gruselig.

Zum Glück ratzt Kenny bereits wieder tief und selig.

»Also da hat jemand tierisch laut geschrien«, füge ich etwas abmildernd hinzu. Ich flüstere immer noch. »Um Hilfe. Der hat um Hilfe geschrien.«

»Ehrlich?« Malea sieht augenblicklich interessierter aus.

Sie rappelt sich aus dem Bett raus, stapft zu mir rüber und drängelt sich neben mich ans offene Fenster. »Lass mal sehen!«

Doch auch Malea kann nichts erkennen. »Klang es wie Cornelius’ Stimme? Kenny hat erzählt, der hat vorhin mit seiner neuen Basstrommel gekämpft. Vielleicht tut er das ja immer noch.«

Cornelius? Ich überlege, dann schüttele ich den Kopf. »Nee, die Stimme klang ganz anders. Auf jeden Fall nicht wie einer von uns.«

»Nicht?« Malea sieht noch interessierter aus. Sie wird von Sekunde zu Sekunde wacher.

Wir lauschen noch mal in die Dunkelheit und versuchen beide, irgendwas in den Gärten zu erkennen, was kein Busch, Baum, Zaun oder Schuppen von Walter Walbohm ist. Irgendetwas muss doch da sein! Vielleicht ein verwundetes Tier?

Nee, das würde ja nicht »HILFE!« schreien.

Hm.

Genau da hören wir plötzlich ein Stöhnen. Ein unangenehm dunkles Stöhnen. Fast wie ein Röcheln. Ganz grässlich unheimlich klingt das. Über meinen Rücken laufen so viele Schauer, dass ich automatisch anfange zu zittern.

Doch Maleas Augen fangen an zu leuchten. »Hast du das gehört, Livi?«

Sie flüstert jetzt auch. Nein, sie haucht. Aber ihre Stimme klingt nicht zittrig. Kein Stück zittrig.

Das Röcheln draußen wird lauter. Bricht ab, setzt wieder an. Daneben hören wir irgendwas, das so klingt, als würde man was auf dem Rasen hin und her schieben.

Mir wird ein bisschen schlecht. »Ich glaube, wir sollten Cornelius Bescheid sagen.«

Malea guckt mich sofort finster und strafend an. »Spinnst du? Wir wissen doch noch gar nicht, was da unten los ist!«

»Eben«, versuche ich meinen Standpunkt klarzumachen. Wäre es nicht besser, hier einen Erwachsenen an unserer Seite zu haben?

»Aber wir sind nur zwei!«, bemerkt Malea ganz richtig, als wäre das die perfekte Erklärung. »Und wir wissen doch nicht, wie viele da unten sind!«

Ich begreife wirklich nicht, worauf sie hinaus will.

Malea sieht mich an, als wäre ich zu blöd, um von eins bis sieben zu zählen.

Sie schüttelt missbilligend den Kopf. »Echt, Livi! Wenn einer von uns auch noch auf Cornelius aufpassen muss, dann …«

Ich seufze. Wo sie recht hat, hat sie recht.