Die Chroniken von Gor 1: Der Krieger - John Norman - E-Book

Die Chroniken von Gor 1: Der Krieger E-Book

John Norman

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Beschreibung

Auf der gegenüberliegenden Seite der Erde, von der Sonne verborgen, liegt ein geheimnisvoller Planet: Gor - die Gegenerde. Niemand auf Erden weiß etwas von der Existenz dieser grausamen und barbarischen Welt, auf der die Völker von Legenden umrankten Priesterkönigen beherrscht werden. Eines Tages wird der britische Dozent Tarl Cabot mit Hilfe eines Sternenschiffes nach Gor gebracht. Auf der Gegenerde muss Cabot ein furchtloser Krieger werden, um zu überleben. In Ko-ro-ba beginnt das Abenteuer seines Lebens ...

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Seitenzahl: 340

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John Norman

Der Krieger

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg August 2023 Titel der amerikanischen Originalausgabe TARNSMAN OF GOR © by John Norman Published in agreement with the author, c/o BAROR INTERNATIONAL INC., ARMONK, NEW YORK, USA Deutsche Übersetzung: © 2023 Atlantis Verlag Alle Rechte vorbehalten. Titelbild: Timo Kümmel E-Book: André Piotrowski ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-901-1 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

1 Eine Handvoll Erde

Mein Name ist Tarl Cabot. Man sagt, dass mein Nachname im fünfzehnten Jahrhundert als Verkürzung aus dem italienischen Namen Caboto entstanden sei. Soviel ich weiß, gibt es jedoch keine Verbindung zu Caboto, dem venezianischen Entdecker, der das Banner Heinrichs VII. in die neue Welt trug. So eine Verbindung erscheint aus einer Reihe von Gründen unwahrscheinlich, weil meine Angehörigen einfache Händler aus Bristol waren, allesamt hellhäutig und mit einem absolut unübersehbaren Schopf grellroten Haares geschmückt. Trotzdem bleiben solche Zufälligkeiten, selbst wenn sie nur geografischer Natur sind, im Bewusstsein der Familien verwurzelt – unser stiller Protest gegen die Register und Rechnungen von Existenzen, die in Ballen verkauften Tuches bemessen wurden. Ich stelle mir gerne vor, dass es einen Cabot in Bristol gegeben haben könnte, einen von uns, der unserem Namensvetter dabei zusah, wie er am frühen Morgen dieses zweiten Mai im Jahre 1497 Anker warf.

Vielleicht fällt Ihnen auch mein Vorname auf, und ich versichere Ihnen, dass er mir genauso viel Ärger gemacht hat, wie möglicherweise Ihnen, besonders während meiner frühen Schuljahre, als er fast so viele körperliche Auseinandersetzungen auslöste wie mein rotes Haar. Sagen wir einfach, es ist kein gewöhnlicher Name, kein gewöhnlicher Name in unserer Welt. Er wurde mir von meinem Vater gegeben, der verschwand, als ich noch klein war. Ich hielt ihn für tot, bis ich mehr als zwanzig Jahre nach seinem Verschwinden seine seltsame Nachricht erhielt. Meine Mutter, nach der er sich erkundigt hatte, war verstorben, als ich ungefähr sechs Jahre alt war, etwa zur Zeit meiner Einschulung. Biografische Einzelheiten ermüden leicht, deshalb mag es ausreichen, wenn ich festhalte, dass ich ein kluges Kind war, ziemlich groß für mein Alter und mit einer Kindheit bei einer Tante, in der es mir an nichts fehlte, außer möglicherweise an Liebe.

Zu meiner Überraschung gelang es mir, mich an der Universität in Oxford zu immatrikulieren, aber ich möchte mein College nicht in Verlegenheit bringen, in dem ich seinen etwas zu sehr verehrten Namen in diese Erzählung einbeziehe. Ich erreichte einen anständigen Abschluss, ohne dabei weder mich noch meine Lehrer in Erstaunen zu versetzen. Wie viele andere junge Männer war ich einigermaßen gebildet, in der Lage diesen oder jenen Satz in griechischer Sprache zu verstehen und vertraut genug mit den Abgründen der Philosophie und der Wirtschaft, um zu begreifen, dass ich vermutlich nicht in die dazugehörige Welt passen würde, zu der man offenbar eine geheimnisvolle Beziehung zu brauchen schien. Ich war aber auch nicht bereit, zu meiner Tante zurückzugehen und dort zwischen Regalen voller Tücher und Bänder mein Leben zu beenden. Deshalb brach ich zu einem aufregenden Abenteuer auf, das aber insgesamt nicht allzu gefährlich erschien.

Da ich lesen konnte, nicht allzu dämlich war und genug gelernt hatte, um die Renaissance von der Industriellen Revolution zu unterscheiden, bewarb ich mich bei mehreren kleinen amerikanischen Colleges um eine Dozententätigkeit in Geschichte – englischer Geschichte natürlich. Ich erzählte ihnen, dass ich etwas mehr akademisch gebildet sei, als es tatsächlich der Fall war, und sie glaubten mir. In ihren Empfehlungsschreiben waren meine Tutoren, allesamt nette Menschen, freundlich genug, diese Illusion nicht zu zerstören. Ich glaube, sie genossen diese Situation ziemlich, was sie sich natürlich offiziell mir gegenüber nicht anmerken lassen wollten. Es war wieder ein kleiner Unabhängigkeitskrieg. Eines der Colleges, an denen ich mich bewarb, vielleicht eines, das etwas weniger misstrauisch war als der Rest – ein kleines liberales Männer-College für Geisteswissenschaften in New Hampshire –, verhandelte mit mir, und schon bald hatte ich mein erstes und, wie ich vermutete auch mein letztes Rendezvous mit der akademischen Welt.

Mit der Zeit würde man meine Schwindeleien aufdecken, aber zunächst hatte ich meine Überfahrt nach Amerika in der Tasche und eine Anstellung für mindestens ein Jahr. Dieses Ergebnis war für mich erfreulich, wenn auch überraschend. Ich gebe zu, ich war etwas verärgert, da ich den Verdacht hegte, dass man mich vor allem aus dem Grund eingeladen hatte, dass ich als ausländischer Lehrer ein Exot sein würde. Ich hatte keine Veröffentlichungen und bin sicher, dass es mehrere Kandidaten anderer amerikanischer Universitäten gegeben haben muss, deren Zeugnisse und Fähigkeiten weit besser geeignet waren als meine, mit Ausnahme meines britischen Akzentes. Gut, es würde die üblichen Einladungen zum Tee geben, zu Cocktails und zum Abendessen.

Mir gefiel Amerika sehr gut, obwohl ich im ersten Semester ordentlich zu tun hatte, indem ich mich verzweifelt durch diverse Texte kämpfte und versuchte, genug englische Geschichte in mein Gedächtnis zu pauken, um wenigstens ein klein wenig Überblick und Vorsprung vor meinen Studenten zu behalten. Zu meinem Missfallen musste ich feststellen, dass man als Engländer nicht automatisch ein Fachmann für englische Geschichte war. Glücklicherweise wusste mein Fachbereichsleiter, ein freundlicher, besinnlicher Herr, dessen Spezialgebiet amerikanische Wirtschaftsgeschichte war, noch weniger darüber als ich – oder war zumindest taktvoll genug, mich das glauben zu lassen.

Die Weihnachtsferien waren eine große Erleichterung für mich. Ich verließ mich besonders auf die Zeit zwischen den Semestern, um aufzuholen oder besser, um meinen Vorsprung vor den Studenten auszubauen. Aber nach den ersten Halbjahreszeugnissen, den Tests und der Bewertung des ersten Semesters plagte mich das schier unwiderstehliche Bedürfnis, das britische Empire fallen zu lassen und auf einen sehr, sehr langen Spaziergang zu gehen – es wurde sogar ein Campingausflug in die nahe gelegenen White Mountains. Ich lieh mir von einem meiner wenigen Freunde auf dem College, auch einem Dozenten, allerdings in dem beklagenswerten Unterrichtsfach Leibeserziehung, eine Campingausrüstung, zu der vor allem Rucksack und Schlafsack gehörten. Wir hatten gelegentlich miteinander gefochten und waren hin und wieder gemeinsam spazieren gegangen. Ich frage mich manchmal, ob ihn nicht die Neugierde gepackt hat, was aus seiner Campingausrüstung oder aus Tarl Cabot geworden ist. Mit Sicherheit war der Vorstand des Colleges neugierig und auch verärgert über die Unannehmlichkeiten, einen Dozenten mitten im Jahr ersetzen zu müssen, denn auf dem Campus dieses Colleges hat man nie wieder etwas von Tarl Cabot gehört.

Mein Freund mit dem Unterrichtsfach Leibeserziehung fuhr mich ein paar Meilen in die Berge und setzte mich dort ab. Wir vereinbarten, uns drei Tage später am selben Platz wiederzutreffen. Als Erstes überprüfte ich meinen Kompass, als hätte ich geahnt, was mich erwartete, und dann ließ ich die Straße immer weiter hinter mir. Schneller als ich es bemerkte, war ich tief im Wald allein und kletterte. Wie Sie vermutlich wissen, ist Bristol eine ausgesprochen erschlossene und kultivierte Gegend, und ich war auf meine erste Begegnung mit der Natur nicht wirklich gut vorbereitet. Sicher war das College etwas ländlich, aber es war zumindest eine Einrichtung echter Zivilisation. Ich hatte keine Angst und war zuversichtlich, dass ich, wenn ich beständig in irgendeine Richtung gehen würde, auf die eine oder andere Straße oder auch zu einem Fluss gelangen würde. Es wäre unmöglich, mich zu verlaufen oder zumindest für längere Zeit zu verschwinden. Vor allem war ich freudig erregt, allein mit mir, den grünen Kiefern und den verstreuten Schneeflächen zu sein.

Gut zwei Stunden trottete ich dahin, bevor ich schließlich dem Gewicht meines Gepäcks Tribut zollen musste. Ich verzehrte eine kalte Mahlzeit und setzte meinen Weg fort, immer tiefer in die Berge hinein. Jetzt war ich froh, dass ich regelmäßig ein oder zwei Runden um den Sportplatz des Colleges gelaufen war.

An diesem Abend ließ ich mein Gepäck in der Nähe einer Felsplattform fallen und begann, etwas Holz für ein Feuer zu sammeln. Ich hatte mich ein wenig von meinem provisorischen Lager entfernt, als ich erschrocken innehielt. Links lag, nicht weit von mir, in der Dunkelheit etwas am Boden, das zu glühen schien. Es war ein ruhiges, mattes blaues Strahlen. Ich legte das Holz beiseite, das ich gesammelt hatte, und näherte mich dem Objekt, mehr neugierig als besorgt. Es entpuppte sich als ein rechteckiger Metallumschlag, ziemlich dünn, nicht viel größer als ein gewöhnlicher Briefumschlag, den man zum Briefeverschicken benutzt. Ich berührte ihn; er fühlte sich heiß an. Meine Nackenhaare richteten sich auf, meine Pupillen weiteten sich. Ich las in ziemlich altertümlicher englischer Schrift auf den Umschlag geschrieben zwei Worte – meinen Namen Tarl Cabot.

Es musste ein Scherz sein. Irgendwie war mir mein Freund gefolgt und versteckte sich irgendwo in der Dunkelheit. Ich rief seinen Namen, lachte. Es kam keine Antwort. Ich tobte für kurze Zeit durchs Unterholz, rüttelte an den Büschen, schlug den Schnee von den tief hängenden Zweigen der Kiefern. Dann wurde ich langsamer, vorsichtiger, wurde ruhiger. Ich würde ihn finden! Etwa fünfzehn Minuten vergingen und mir wurde kalt. Ich wurde ärgerlich und brüllte nach ihm. Ich weitete meine Suche aus, behielt aber den fremdartigen Metallumschlag mit dem blauen Leuchten im Mittelpunkt meiner Erkundungen. Schließlich wurde mir klar, dass er das seltsame Objekt hinterlegt haben musste, damit ich es finden konnte, während er jetzt wohl schon längst auf dem Weg nach Hause war oder irgendwo in der Nähe kampierte. Ich war mir sicher, dass er nicht in Rufweite war, da er ansonsten schließlich geantwortet hätte. Es war nicht länger komisch, nicht wenn er in der Nähe war.

Ich kehrte zu dem Gegenstand zurück und hob ihn auf. Er schien jetzt kühler zu sein, obwohl ich noch immer ein deutliches Gefühl von Wärme spürte. Es war wirklich ein seltsamer Gegenstand! Ich brachte ihn in mein Lager und entzündete ein Feuer, das mich gegen die Dunkelheit und die Kälte schützen sollte. Trotz meiner dicken Kleidung zitterte ich. Ich schwitzte. Mein Herz schlug heftig. Ich war kurzatmig. Ich hatte Angst. Dementsprechend langsam und ruhig versorgte ich das Feuer, öffnete eine Dose Chili und stellte einige Stöcke auf, die das zierliche Kochgeschirr über dem Feuer halten sollten. Diese häuslichen Tätigkeiten beruhigten meinen Puls, und es gelang mir, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich geduldig sei und nicht mal allzu neugierig, was in dem Metallumschlag sein würde. Als das Chili zu kochen begann – nicht früher –, wandte ich meine Aufmerksamkeit dem merkwürdigen Gegenstand zu. Ich drehte ihn in meinen Händen hin und her und betrachtete ihn im Licht des Lagerfeuers. Er war ungefähr zwölf Zoll lang und vier Zoll breit. Ich vermutete, dass er etwa hundertzehn Gramm wog. Die Farbe des Metalls war blau; etwas an seiner Ausstrahlung war noch immer eindrucksvoll, doch das Leuchten verblasste langsam. Auch schien der Umschlag, als ich ihn berührte nicht mehr besonders warm zu sein. Wie lange hatte er, auf mich wartend, im Wald gelegen? Vor wie langer Zeit hatte man ihn dort hinterlegt?

Während ich noch darüber nachdachte, verlosch das Glühen abrupt. Wäre es etwas früher erloschen, hätte ich den Umschlag nie im Wald finden können. Es war fast so, als ob das Leuchten mit der Absicht des Absenders in Verbindung stehen würde, als ob das Leuchten verlöschen durfte, als es nicht länger benötigt wurde. Die Botschaft ist überbracht, sagte ich zu mir selbst und fühlte mich dabei ein wenig dümmlich. Ich fand meinen privaten Scherz nicht besonders lustig.

Ich sah mir die Beschriftung näher an. Sie ähnelte einer aus der Mode gekommenen englischen Schrift, aber ich wusste zu wenig über solche Dinge, um das Datum genauer als grob zu erraten. Etwas an der Schrift erinnerte mich an eine Kolonisierungsurkunde, ein Blatt, das für eine Illustration in einem meiner Bücher fotokopiert worden war. Vielleicht siebzehntes Jahrhundert? Die Schrift selbst schien in den Umschlag eingearbeitet zu sein, eingebunden in die Struktur des Metalls. Ich konnte an diesem Umschlag weder eine Naht noch einen Falz finden. Ich versuchte, den Umschlag mit meinem Daumennagel einzuritzen, doch es gelang mir nicht. Ich kam mir reichlich dumm vor und griff zum Dosenöffner, den ich zum Öffnen der Chilidose benutzt hatte und versuchte, die Metallspitze durch den Umschlag zu treiben. So leicht der Umschlag auch zu sein schien, er widerstand der Spitze, als hätte ich versucht, einen Amboss zu öffnen. Nun drückte ich mit meiner ganzen Körperkraft auf den Dosenöffner. Die Spitze des Dosenöffners bog sich im rechten Winkel um, doch der Umschlag hatte keinen Kratzer.

Ich befühlte den Umschlag vorsichtig, neugierig und versuchte herauszufinden, ob er geöffnet werden konnte. Auf der Rückseite des Umschlags gab es einen kleinen Kreis, in dem der Abdruck eines Daumens zu sein schien. Ich wischte die Stelle an meinem Ärmel ab, doch der Abdruck verschwand nicht. Meine anderen Fingerabdrücke ließen sich sofort abwischen. So gut ich konnte, untersuchte ich den Abdruck im Kreis. Er schien, ebenso wie die Schrift, ein Teil der Metallstruktur zu sein, die Grate und Linien waren extrem fein.

Schließlich war ich überzeugt, dass sie Teil des Umschlags waren. Ich drückte mit meinem Finger darauf, nichts geschah. Ermüdet von diesem seltsamen Tun legte ich ihn beiseite und wandte meine Aufmerksamkeit dem Chili zu, das jetzt über dem kleinen Lagerfeuer blubberte. Nachdem ich gegessen hatte, zog ich Stiefel und Mantel aus und kroch in meinen Schlafsack.

Ich lag da, neben dem erlöschenden Lagerfeuer, schaute empor zum Himmel, der zwischen den Ästen zu sehen war, und bewunderte den anorganischen Glanz eines unbekannten Universums. Lange lag ich wach, fühlte mich allein, aber nicht so allein, wie man sich manchmal in der Wildnis fühlt; ein Gefühl, als wäre man das einzige lebende Wesen auf dem Planeten, als lägen die wichtigsten und nächsten Dinge – das Verhängnis und das Schicksal vielleicht – außerhalb unserer kleinen Welt, irgendwo in den einsamen und fernen Weidegründen der Sterne. Ein Gedanke traf mich mit plötzlicher Heftigkeit, und ich fühlte Angst, aber ich wusste nun, was zu tun war. Diese Sache mit dem Umschlag war kein Scherz und kein Trick. Etwas tief in dem, was mich ausmachte, wusste es und hatte es von Anfang an gewusst. Fast wie im Traum, aber dennoch mit lebendiger Klarheit, schob ich mich ein Stück aus meinem Schlafsack. Ich rollte mich zur Seite, warf etwas Holz auf das Feuer und griff nach dem Umschlag. Im Schlafsack sitzend, wartete ich darauf, dass das Feuer etwas aufloderte. Dann legte ich meinen rechten Daumen sorgfältig auf die Einbuchtung im Umschlag und drückte fest zu. Er reagierte auf den Druck, wie ich es erwartet, wie ich es befürchtet hatte. Vielleicht konnte nur ein Mann diesen Umschlag öffnen – einer, dessen Daumen zu diesem seltsamen Schloss passte. Einer, dessen Name Tarl Cabot war. Der augenscheinlich nahtlose Umschlag brach mit einem Geräusch auf, das an Zellophan erinnerte.

Ein Gegenstand fiel aus dem Umschlag, ein Ring aus rotem Metall, der ein einfaches C als Wappen trug. In meiner Aufregung bemerkte ich ihn kaum. Die Innenseite des Umschlags, der sich auf überraschende Art und Weise wie eine fremde Luftpost geöffnet hatte – bei der Umschlag und Briefpapier eins sind –, war beschriftet. Es war dieselbe Schrift wie bei meinem Namen auf der Außenseite. Ich bemerkte das Datum und erstarrte, meine Hände umklammerten das metallische Papier. Das Schreiben war auf den dritten Februar 1640 datiert. Es war vor über dreihundert Jahren datiert worden, und ich las es in der sechsten Dekade des zwanzigsten Jahrhunderts. Merkwürdig, auch der Tag, an dem ich diese Nachricht las, war der dritte Februar. Die Unterschrift am Ende des Briefes war nicht in dieser alten Schrift; sie hätte in modernem kursivem Englisch geschrieben sein können.

Ich hatte die Unterschrift ein- oder zweimal zuvor auf einigen Briefen gesehen, die meine Tante aufgehoben hatte. Ich kannte die Unterschrift, obwohl ich mich nicht an den Mann erinnerte. Es war die Unterschrift meines Vaters, Matthew Cabot, der verschwand, als ich noch ein Kind war.

Ich war benommen, erschüttert. Mein Blick verschwamm, ich konnte mich nicht bewegen. Alles wurde für einen Augenblick schwarz, doch ich schüttelte mich und biss die Zähne zusammen, sog langsam die scharfe, kalte Bergluft ein, einmal, zwei- und dreimal. Ich sammelte den stechenden Kontakt zur Realität in meinen Lungen und versicherte mich, dass ich am Leben war, nicht träumte, dass ich in meinen Händen einen Brief mit einem unglaublichen Datum hielt, erhalten mehr als dreihundert Jahre später in den Bergen bei New Hampshire, geschrieben von einem Mann, der, wenn er noch am Leben war, nach unserer Zeitrechnung nicht älter als fünfzig Jahre sein musste, von meinem Vater.

Selbst jetzt noch kann ich mich an jedes Wort dieses Briefes erinnern. Ich glaube, ich werde seine einfache, kurze Nachricht, in die Zellen meines Gehirns gebrannt, bei mir tragen, bis ich, wie man andernorts sagt, zu den Stätten des Staubes zurückgekehrt bin.

Der dritte Tag des Februar im Jahre unseres Herrn 1640

Tarl Cabot, Sohn:

Vergib mir, aber ich habe in diesen Dingen kaum eine andere Wahl. Es ist entschieden worden. Tu, was auch immer Du glaubst, dass es das Beste für Dich ist, doch das Schicksal ist Dir bestimmt und Du kannst ihm nicht entkommen. Ich wünsche Dir und Deiner Mutter Gesundheit. Trage den Ring aus rotem Metall an Deinem Körper und bring mir, wenn Du willst, eine Handvoll unserer grünen Erde mit.

Wirf diesen Brief fort. Er wird vernichtet.

In Liebe

Matthew Cabot

Ich las den Brief immer wieder und wurde unnatürlich ruhig. Es schien mir einleuchtend, dass ich nicht verrückt war, oder wenn doch, dass Verrücktheit ein Zustand geistiger Klarheit und Verstehens war, weit entfernt von den Qualen, die ich erwartet hätte. Ich legte den Brief in meinen Rucksack.

Mir war ziemlich klar, was ich zu tun hatte – aus den Bergen zu verschwinden, sobald es hell wurde. Nein, das könnte schon zu spät sein. Es wäre verrückt, in der Dunkelheit herumzustolpern, aber es gab nichts, was ich sonst hätte machen können. Ich wusste nicht, wie viel Zeit ich hatte, aber auch wenn es nur ein paar Stunden waren, konnte es ausreichen, zu einer Straße, einem Fluss oder einer Hütte zu kommen.

Ich prüfte meinen Kompass, um die Richtung zurück zur Straße zu finden. Ich sah mich unsicher in der Dunkelheit um. Eine Eule rief einmal, etwa hundert Meter rechts von mir. Irgendetwas dort draußen beobachtete mich vielleicht. Es war ein unangenehmes Gefühl. Ich zog meine Stiefel und den Mantel an, rollte den Schlafsack zusammen und schnürte mein Gepäck. Ich trat das Feuer auseinander, trampelte die Glut aus und schob Dreck über die Reste. Als das Feuer erlosch, bemerkte ich ein Glitzern in der Asche. Ich bückte mich und hob den Ring wieder auf. Er war warm von der Asche, hart, materiell – ein Stück Realität. Er war da. Ich ließ ihn in die Tasche meines Mantels gleiten und machte mich in die Richtung auf, in die mein Kompass zeigte und versuchte, zur Straße zurückzufinden.

Ich kam mir dumm vor, hier in der Dunkelheit herumzuwandern. Ich forderte ein gebrochenes Bein oder einen kaputten Knöchel geradezu heraus, wenn nicht sogar ein gebrochenes Genick. Dennoch: Wenn es mir gelang, eine Meile oder mehr zwischen mich und das alte Lager zu bringen, so konnte das ausreichen, mir das Gefühl der Sicherheit zu geben, das ich brauchte – wovor, das wusste ich nicht. Ich könnte dann den Morgen abwarten und im Hellen weiterziehen, sicher und zuversichtlich. Überdies wäre es auch ein Leichtes, bei Licht die Spuren zu verbergen. Das Wichtigste war es, nicht beim alten Lager zu sein.

Ich befand mich ungefähr zwanzig Minuten auf meinem gefährlichen Weg durch die Dunkelheit, als zu meinem Entsetzen der Rucksack und die Bettrolle auf meinem Rücken in einer blauen Flamme zu zerplatzen schienen. Es dauerte nur einen Augenblick, sie mir vom Rücken zu reißen, und verblüfft starrte ich, stocksteif, auf das blaue Flammenbündel, das die Kiefern allseits um mich herum mit acetylenartigen Flammen erleuchtete. Es war, als würde ich in einen Glutofen starren. Ich wusste, dass der Umschlag in Flammen aufgegangen war und dabei meinen Rucksack und meine Bettrolle vernichtet hatte. Ich erschauderte, als ich darüber nachdachte, was hätte geschehen können, wenn ich den Umschlag in meiner Manteltasche gehabt hätte. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kommt es mir seltsam vor, dass ich nicht auf der Stelle losrannte, und ich weiß nicht, warum, denn mir kam durchaus der Gedanke in den Sinn, dass das helle einem Leuchtgeschoss ähnliche Licht meine Position verraten hätte, wenn sie für irgendwen oder irgendwas von Interesse gewesen wäre. Mit einer kleinen Lampe kniete ich neben den Resten von Rucksack und Bettrolle nieder. Die Steine, auf die sie gefallen waren, waren schwarz. Es gab keine Spur mehr von dem Umschlag. Er schien sich ganz aufgelöst zu haben. Ein unangenehmer saurer Geruch lag in der Luft, eine Art Rauch, der mir nicht vertraut war.

Mir ging der Gedanke durch den Kopf, dass der Ring, den ich in die Manteltasche gesteckt hatte, in ähnlicher Weise in Flammen hätte aufgehen können, doch unerklärlicherweise bezweifelte ich das. Es mochte einen Grund dafür geben, dass irgendjemand den Brief zerstört hatte, vermutlich gab es jedoch keinen, den Ring zu zerstören. Warum hätte man ihn schicken sollen, wenn er nicht behalten werden durfte? Außerdem war ich wegen des Briefes gewarnt worden – eine Warnung, die ich dummerweise missachtet hatte –, doch ich war aufgefordert worden, den Ring zu tragen. Was auch immer der Ursprung dieser furchterregenden Ereignisse war, Vater oder nicht, es schien mir nicht schaden zu wollen. Aber, dachte ich mir irgendwie bitter, Springfluten und Erdbeben wollten vermutlich auch keinen Schaden anrichten. Wer kannte schon die Eigenarten der Dinge oder Kräfte, die in dieser Nacht in den Bergen wirksam waren, der Dinge oder Kräfte, die mich vielleicht zerschmettern könnten, beiläufig, so wie man ein Insekt zertritt, unschuldig oder ohne es zu bemerken oder ohne Rücksicht?

Ich besaß noch immer den Kompass, und er stellte eine starke Verbindung zur Realität her. Die lautlose, aber sehr intensive Auflösung des Umschlags in Flammen hatte mich kurzfristig verwirrt – das und die plötzliche Rückkehr der Dunkelheit nach dem entsetzlich hellen Licht des schwindenden Umschlags. Mein Kompass würde mich hier fortführen. Mit meiner Lampe untersuchte ich ihn. Als ihr dünner scharfer Schein die Oberfläche des Kompasses traf, blieb mein Herz stehen. Die Nadel kreiste wild, schlug vor und wieder zurück, als seien die Naturgesetze plötzlich in ihrer Wirksamkeit beschnitten worden.

Zum ersten Mal, seit ich den Umschlag geöffnet hatte, begann ich, die Kontrolle zu verlieren. Der Kompass war mein Anker gewesen, dem ich vertraute. Ich hatte mich auf ihn verlassen. Nun war er verrückt geworden. Es gab ein lautes Geräusch, aber heute denke ich, es muss der Klang meiner eigenen Stimme gewesen sein, ein plötzlicher angstvoller Schrei, für den ich für immer die Schande tragen muss.

Danach rannte ich wie ein wahnsinniges Tier in alle Richtungen, in jede Richtung. Wie lange ich rannte, weiß ich nicht. Es können Stunden gewesen sein, vielleicht auch nur ein paar Minuten. Ich rutschte und fiel Dutzende Male hin, rannte in die stacheligen Zweige der Kiefern, deren Nadeln mir ins Gesicht stachen. Vielleicht habe ich geschluchzt. Ich erinnere mich an den Geschmack von Salz in meinem Mund. Aber vor allem erinnere ich mich an eine blinde, kopflose Flucht, eine panikerfüllte, unwürdige, ekelerregende Flucht. Einmal sah ich zwei Augen in der Dunkelheit, ich schrie, rannte vor ihnen davon, während ich das Schlagen von Flügeln und den verwunderten Ruf einer Eule hinter mir hörte. Ein anderes Mal schreckte ich eine kleine Gruppe von Wildtieren auf und fand mich mitten unter ihren aufspringenden Körpern wieder, die mich in der Dunkelheit herumstießen.

Der Mond ging auf, und die Bergwelt wurde plötzlich von kalter Schönheit erleuchtet, weiß glitzerte der Schnee auf den Bäumen und an den felsigen Hängen. Ich konnte nicht mehr weiterrennen. Ich fiel zu Boden, schnappte nach Luft und fragte mich plötzlich, warum ich losgerannt war. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich absolut unkontrollierte Panik; sie hatte mich erfasst wie ein groteskes Raubtier mit seinen Pranken. Ich hatte ihr nur für einen Augenblick nachgegeben, und sie war zu einer Kraft geworden, die mich fortgetrieben und mich herumgeworfen hatte, als sei ich ein Schwimmer, gefangen in tosenden Wassern – eine Kraft, der man nicht widerstehen konnte. Sie war jetzt wieder verschwunden. Ich durfte ihr nie wieder nachgeben. Ich sah mich um und erkannte die Felsplattform, neben die ich meine Bettrolle gelegt hatte, und die Asche meines Feuers. Ich war zu meinem Lager zurückgekehrt. Irgendwie hatte ich gewusst, dass ich es tun würde.

Als ich da im Mondlicht lag, fühlte ich die Erde unter mir an meinen schmerzenden Muskeln; mein Körper war bedeckt mit einem übel riechenden Film aus Angst und Schweiß. Ich spürte, dass es gut war, Schmerz wahrzunehmen. Gefühle waren wichtig. Ich war am Leben.

Ich sah das Schiff herabsinken. Für einen Moment ähnelte es einem herabfallenden Stern, doch dann wurde es deutlich sichtbar und materiell wie eine breite dicke Silberscheibe. Es war lautlos und sank auf die Felsplatte nieder, fast ohne den leichten Schnee aufzuwirbeln, der darauf verstreut war. Ein schwacher Wind strich durch die Nadeln der Kiefern, und ich erhob mich auf meine Füße. Während ich aufstand, glitt eine Tür des Schiffes leise nach oben. Ich musste einsteigen. Die Worte meines Vaters tauchten in meiner Erinnerung auf: Das Schicksal ist dir bestimmt. Ehe ich das Schiff betrat, hielt ich an der Seite des großen flachen Felsens an, auf dem es stand. Ich bückte mich und nahm, worum mein Vater mich gebeten hatte, eine Handvoll Boden von unserer grünen Erde mit. Auch ich spürte, dass es wichtig war, etwas mitzunehmen, etwas, das auf eine bestimmte Weise der Boden war, der mich hervorgebracht hatte. Die Erde meines Planeten, meiner Welt.

2 Die Gegenerde

Ich erinnerte mich an gar nichts, vom Zeitpunkt an, wo ich in den Bergen von New Hampshire die Silberscheibe bestieg, bis jetzt. Erholt wachte ich auf, öffnete die Augen und erwartete fast, mein Zimmer im Ehemaligenhaus des Colleges zu sehen. Ich bewegte meinen Kopf ohne Schmerzen oder andere Beschwerden. Ich schien auf einem harten, flachen Gegenstand zu liegen, vielleicht auf einem Tisch. Er stand in einem runden Raum mit niedriger Decke, etwa sieben Fuß hoch. Es gab fünf kleine Fenster, nicht groß genug, um einen Mann durchzulassen; sie erinnerten mich eher an Schießscharten für Bogenschützen in einem Burgturm, dennoch ließen sie genug Licht ein, dass ich meine Umgebung erkennen konnte.

Auf der rechten Seite hing ein Wandteppich, eine gut gewebte Szenerie einer Jagd, wie ich vermutete. Sie war phantastisch ausgeschmückt. Die mit Speeren bewaffneten Jäger ritten auf einer Art riesiger Vögel und griffen ein hässliches Tier an, das mich an einen Eber erinnerte, nur dass es größer war, unproportioniert gegenüber den Jägern. Seine Kiefer trugen vier Hauer, gebogen wie Krummsäbel. Das Ganze erinnerte mich mit der Vegetation, dem Hintergrund und der klassischen Ernsthaftigkeit der Gesichter an einen Wandteppich der Renaissance, den ich auf einer Urlaubsfahrt nach Florenz im zweiten Jahr meines Studiums gesehen hatte.

Gegenüber dem Wandteppich hing – zur Dekoration, wie ich annahm – ein Rundschild mit zwei dahinter gekreuzten Speeren. Der Schild ähnelte den alten griechischen Schilden auf einigen rot verzierten Vasen im Londoner Museum. Die Bemalung des Schildes war mir unverständlich. Ich war mir nicht sicher, ob sie eine Bedeutung hatte. Es hätte ein alphabetisches Monogramm oder auch nur eine Laune des Künstlers sein können. Über dem Schild hing ein Helm, der auch an einen griechischen Helm, möglicherweise aus der Zeit Homers, erinnerte. Er hatte einen Y-förmigen Schlitz für Augen, Nase und Mund im ansonsten sehr soliden Metall. Von dem Helm ging, in Verbindung mit dem Schild und den Speeren, eine animalische Würde aus, so als seien sie jederzeit zum Einsatz bereit wie das berühmte Gewehr der Kolonialzeit über dem Kamin. Sie waren poliert und glänzten matt im Zwielicht.

Außer diesen Gegenständen und zwei Steinblöcken, die möglicherweise Stühle sein sollten, und einer Matte an der Seite war der Raum kahl. Wände, Decke und Fußboden waren glatt wie Marmor und in klassischem weiß. Ich konnte keine Tür entdecken. Ich erhob mich von dem Steintisch – es war tatsächlich ein Tisch – und ging zum Fenster. Ich schaute nach draußen und sah die Sonne; es musste unsere Sonne sein. Sie schien möglicherweise einen Bruchteil größer zu sein, aber es war schwer, das sicher zu sagen. Ich war ziemlich zuversichtlich, dass es unser wunderbarer gelber Stern war. Wie auf der Erde war der Himmel blau. Mein erster Gedanke war, dass dies die Erde sein müsste und die etwas größere Sonne eine Illusion. Offensichtlich konnte ich atmen und das bedeutete notwendigerweise eine Atmosphäre, die einen großen Anteil an Sauerstoff besaß. Es musste die Erde sein. Doch als ich am Fenster stand, wusste ich, dass dies nicht mein Mutterplanet sein konnte. Das Gebäude, in dem ich mich wiedergefunden hatte, gehörte zu einer undefinierbaren Anzahl von Türmen – endlose Reihen flacher Zylinder unterschiedlicher Größen und Farben, verbunden mit engen, bunten Brücken, die sich lässig zwischen ihnen aufspannten.

Ich konnte mich nicht weit genug aus dem Fenster lehnen, um den Boden zu sehen. In der Ferne erkannte ich Hügel mit einer Art grüner Vegetation, aber ich konnte nicht unterscheiden, ob es Gras war oder nicht. Verwundert über meine Lage wandte ich mich wieder dem Tisch zu. Beim Hinübergehen verletzte ich mir beinahe meinen Oberschenkel an dem Steingebilde. Ich hatte für einen Moment das Gefühl zu straucheln oder benommen gewesen zu sein. Ich ging im Raum umher. Ich kletterte auf den Tisch, fast so wie ich eine Treppe im Ehemaligenhaus hochgestiegen wäre. Es war anders, eine andere Beweglichkeit. Weniger Gravitation. Das musste es sein. Dann war dieser Planet also kleiner als unsere Erde, und wenn man von der offensichtlichen Größe der Sonne ausging, etwas näher bei ihr.

Meine Kleidung war gewechselt worden. Meine Jagdstiefel waren verschwunden, meine Pelzmütze, der schwere Mantel und auch der Rest. Ich war in eine Art rot gefärbte Tunika gekleidet, die an der Hüfte mit einer gelben Kordel zusammengebunden war. Ich hatte den Eindruck, dass ich trotz meiner Abenteuer, trotz meiner panischen Flucht in den Bergen sauber war. Man hatte mich gewaschen.

Ich bemerkte, dass der Ring aus rotem Metall mit dem C als Wappen auf den zweiten Finger meiner rechten Hand gesteckt war. Ich war hungrig. Ich versuchte, meine Gedanken zu sammeln, während ich auf dem Tisch saß, aber es waren zu viele. Ich fühlte mich wie ein Kind, das nichts wusste, das man in eine komplizierte Fabrik oder einen großen Laden mitgenommen hatte und das nicht in der Lage war, seine Eindrücke zu sortieren, unfähig, die neuen und fremden Dinge zu begreifen, die auf es einprasselten.

Eine Wandplatte schob sich zur Seite, und ein großer rothaariger Mann, ungefähr Mitte Vierzig, und ähnlich gekleidet wie ich, trat hindurch. Ich hatte nicht gewusst, was ich hätte erwarten sollen, wie diese Leute aussähen. Dieser Mann war von der Erde, ganz offensichtlich.

Er lächelte mich an und trat näher, legte mir seine Hände auf die Schultern und sah mir in die Augen. Er sagte zu mir und, wie ich fand sehr stolz: »Du bist mein Sohn Tarl Cabot.«

»Ich bin Tarl Cabot«, sagte ich.

»Ich bin dein Vater«, sagte er und schüttelte mich kraftvoll an den Schultern. Wir gaben uns die Hände, ich meinerseits ziemlich steif, und trotzdem gab mir diese Geste aus meiner Heimat ein wenig Sicherheit zurück. Ich war überrascht, festzustellen, dass ich nicht nur akzeptierte, dass dieser Fremde aus meiner Welt war, sondern auch der Vater, an den ich mich nicht erinnern konnte.

»Deine Mutter?«, fragte er mit ernstem Blick.

»Gestorben, schon vor Jahren«, sagte ich.

Er sah mich an. »Von all den vielen, liebte ich sie am meisten«, sagte er, wandte sich ab und ging durch den Raum. Er wirkte sehr stark betroffen, erschüttert. Ich wollte ihn nicht gern haben, aber ich stellte fest, dass ich nicht anders konnte. Ich ärgerte mich über mich selbst. Er hatte meine Mutter und mich verlassen, oder nicht? Was war es wert, wenn er jetzt Bedauern verspürte? Und was sollte es bedeuten, wenn er jetzt von »all den vielen« sprach, wer immer das auch sein sollte? Ich wollte es gar nicht wissen.

Dennoch: Trotz all dieser Dinge spürte ich, dass ich durch den Raum zu ihm gehen wollte, ihm meine Hand auf den Arm legen und ihn berühren wollte. Ich fühlte mich irgendwie mit ihm verwandt, mit diesem Fremden und seiner Trauer. Meine Augen waren feucht. Etwas berührte mich stark, geheimnisvoll; Erinnerungen voller Leid, die geschwiegen hatten, verstummt für viele Jahre – die Erinnerungen an eine Frau, die ich kaum gekannt hatte, an ein sanftes Gesicht, an Arme, die ein Kind geschützt hatten, das voller Angst in der Nacht aufgewacht war. Und ich erinnerte mich plötzlich an ein anderes Gesicht – hinter ihrem.

»Vater«, sagte ich.

Er richtete sich auf und wandte sich mir zu, der ich auf der anderen Seite dieses einfachen, fremden Raumes war. Es war mir unmöglich zu sagen, ob er geweint hatte. Er sah mich mit traurigen Augen an, und seine recht ernsten Gesichtszüge erschienen für einen Moment zart. Als ich in seine Augen sah, wurde mir mit einer unbegreiflichen Heftigkeit und einer Freude klar, was mich immer noch verwirrt, dass es jemanden gab, der mich liebt.

»Mein Sohn«, sagte er.

Wir trafen uns in der Mitte des Raumes und umarmten uns. Ich weinte, und auch er weinte, ohne Scham. Ich erfuhr später, dass auf dieser fremdartigen Welt, Männer Gefühle haben und diese auch zeigen durften, und dass die Heuchelei der emotionalen Zurückhaltung auf diesem Planeten nicht so geschätzt wurde wie auf meinem.

Schließlich trennten wir uns wieder.

Mein Vater betrachtete mich gleichmütig. »Sie wird die Letzte sein«, sagte er. »Ich hatte nicht das Recht, ihr zu erlauben, mich zu lieben.«

Ich schwieg.

Er spürte meine Gefühle und sagte abrupt: »Danke für dein Geschenk, Tarl Cabot.«

Ich schaute ihn verwirrt an.

»Die Handvoll Erde«, sagte er. »Eine Handvoll Boden von dem Planeten, auf dem ich geboren bin.«

Ich nickte, mochte nicht sprechen; ich wollte, dass er mir all die tausend Dinge erzählen sollte, die ich wissen musste, um all die Geheimnisse aufzulösen, die mich von meiner Geburtswelt fortgerissen und in diesen seltsamen Raum, auf diesen Planeten, zu ihm, meinem Vater, gebracht hatten.

»Du musst hungrig sein«, sagte er.

»Ich möchte wissen, wo ich bin und was ich hier soll«, erwiderte ich.

»Natürlich«, sagte er, »aber du musst auch essen.« Er lächelte. »Während du deinen Hunger stillst, werde ich mit dir reden.«

Er klatschte zweimal in die Hände, und die Wandplatte schob sich wieder zur Seite.

Ich war verwirrt.

Durch die Öffnung kam ein junges Mädchen, etwas jünger als ich, mit blondem zurückgebundenem Haar. Sie trug ein ärmelloses Kleidungsstück mit diagonalen Streifen, dessen kurzer Rock einige Zoll oberhalb ihrer Knie endete. Sie war barfuß, und als ihre Augen scheu in meine blickten, waren sie blau und voller Ehrfurcht. Mein Blick blieb an ihrem einzigen Schmuckstück hängen – ein leichtes, stahlähnliches Band, das sie als Halsreif trug. So schnell wie sie gekommen war, verschwand sie auch wieder.

»Du kannst sie heute Abend haben, wenn du möchtest«, sagte mein Vater, der das Mädchen kaum bemerkt zu haben schien. Ich war nicht sicher, was er meinte, aber ich sagte nein.

Da mein Vater darauf bestand, begann ich zu essen, widerwillig, ohne meine Augen von ihm zu nehmen und ohne die Nahrung wirklich zu schmecken, die einfach, aber ausgezeichnet war. Das Fleisch erinnerte mich an Wild; es war nicht das Fleisch eines Tieres, das mit industriellem Tierfutter aufgezogen wurde. Es war über offener Flamme gegrillt worden. Das Brot war noch heiß vom Ofen. Die Früchte – Trauben und eine Art Pfirsiche – waren frisch und so kalt wie der Schnee in den Bergen. Nach dem Essen kostete ich das Getränk, das man in nicht unangemessener Weise als einen glutvollen Wein, leuchtend, trocken und stark beschreiben konnte. Ich erfuhr später, dass er Ka-la-na genannt wurde. Während ich aß und auch danach erzählte mein Vater.

»Gor«, sagte er, »ist der Name dieser Welt. In allen Sprachen dieses Planeten, bedeutet das Wort Heim-Stein.« Er machte eine Pause, weil er mein fehlendes Begreifen bemerkte. »Heim-Stein«, wiederholte er. »Einfach so. In den Dörfern der Bauern dieser Welt«, fuhr er fort, »wurde jede Hütte, um einen flachen Stein herum gebaut, der in die Mitte des runden Wohnraums gelegt wurde. In ihn ritzte man das Zeichen der Familie ein, und er wurde Heim-Stein genannt. Er war, sozusagen, ein Symbol der Souveränität, des Territoriums, und jeder Bauer war ein Souverän in seiner eigenen Hütte.«

»Später«, sagte mein Vater, »wurden Heim-Steine für Dörfer benutzt und noch später auch für Städte. Der Heim-Stein eines Dorfes wurde immer auf den Marktplatz gelegt. In einer Stadt legte man ihn auf das Dach des höchsten Turmes. Der Heim-Stein entstand auf ganz natürliche Weise, zur richtigen Zeit, um ein Mysterium zu erschaffen, mit den gleichen heißen, süßen Gefühlen, die die Eingeborenen der Erde gegenüber ihren Flaggen empfinden und die sie in diese investieren.«

Mein Vater war aufgestanden und schritt im Raum umher, seine Augen schienen seltsam lebendig. Später sollte ich mehr von dem verstehen, was er fühlte. Tatsächlich gibt es ein Sprichwort auf Gor; ein Sprichwort, dessen Ursprung in der Vergangenheit dieser seltsamen Welt verloren ging, und das besagt, dass jemand, der von einem Heim-Stein spricht, aufstehen soll, weil es dabei um Dinge der Ehre geht und Ehre etwas ist, das in den barbarischen Kodizes von Gor sehr respektiert wird.

»Diese Steine«, sagte mein Vater, »sind vielfältig in unterschiedlichen Farben, Größen und Formen, und viele davon sind kunstvoll geschnitzt. Einige der großen Städte haben kleine, ziemlich unansehnliche Heim-Steine, die aber unglaublich alt sind und in die Zeit zurückreichen, in der die Stadt noch ein Dorf oder nur ein Rudel berittener Krieger ohne festen Wohnsitz war.«

Mein Vater hielt an dem schmalen Fenster des runden Raumes inne, schaute zu den Hügeln in der Ferne und schwieg. Schließlich sprach er wieder.

»Wo auch immer ein Mann seinen Heim-Stein hinlegt, beansprucht er vom Gesetz her, dieses Land für sich. Gutes Land wird nur durch die Schwerter der Stärksten in dieser Gegend geschützt.«

»Schwerter?«, fragte ich.

»Ja«, sagte mein Vater, als sei da nichts Unglaubliches in dieser Aussage. Er lächelte. »Du musst noch viel über Gor lernen«, sagte er. »Es gibt eine Hierarchie der Heim-Steine, sozusagen. Zwei Soldaten, die sich einander für einen Acker fruchtbaren Bodens mit ihren Stahlklingen abschlachten würden, kämpfen Seite an Seite bis zum Tode um den Heim-Stein ihres Dorfes oder der Stadt, in deren Einflussbereich ihr Dorf liegt.«

»Ich werde dir eines Tages meinen eigenen kleinen Heim-Stein zeigen, den ich in meinen Räumlichkeiten aufbewahre. In ihm ist eine Handvoll Boden von der Erde, eine Handvoll Boden, den ich ganz am Anfang mitgebracht habe, als ich auf diese Welt kam – vor sehr langer Zeit.« Er schaute mich gleichmütig an. »Ich werde die Handvoll Erde aufbewahren, die du mitgebracht hast«, sagte er mit ruhiger Stimme, »und eines Tages kann sie dir gehören.« Seine Augen schienen feucht zu werden. Er fügte hinzu: »Wenn du lange genug lebst, um dir einen eigenen Heim-Stein zu verdienen.«

Ich erhob mich auf die Füße und schaute ihn an.

Er hatte sich von mir abgewandt, als sei er in Gedanken versunken. »Gelegentlich träumt ein Eroberer oder Politiker davon«, sagte er, »nur einen einzigen obersten Heim-Stein für den ganzen Planeten zu besitzen.« Dann nach einer längeren Pause sagte er, ohne mich anzusehen: »Es gibt Gerüchte, dass es solch einen Stein gibt, doch er liegt an einem geheimen Ort und ist die Quelle der Macht für die Priesterkönige.«

»Wer sind die Priesterkönige?«, fragte ich.

Mein Vater sah mich an, und er schien besorgt, als habe er möglicherweise mehr gesagt, als er beabsichtigte. Keiner von uns sprach in der nächsten Minute.

»Ja«, sagte mein Vater schließlich, »ich muss dir von den Priesterkönigen erzählen.« Er lächelte. »Aber lass mich auf meine eigene Art anfangen, damit du das Wesen der Dinge, von denen ich erzähle, besser begreifst.« Wir setzten uns am Steintisch einander gegenüber, und mein Vater begann, mir ruhig und methodisch viele Dinge zu erklären.

Während er sprach, bezeichnete er den Planeten Gor oft als die Gegenerde und verwendete so einen Namen aus den Schriften der Pythagoräer, die zuerst die Existenz solch eines Himmelskörpers vermutet hatten. Seltsamerweise war einer der Ausdrücke der goreanischen Sprache für unsere Sonne der Begriff Lar-Torvis, was das Zentrale Feuer bedeutet, ein weiterer Ausdruck der Pythagoräer, mit dem Unterschied, dass er nicht, soweit ich wusste, ursprünglich für die Sonne benutzt wurde, sondern für einen anderen Himmelskörper. Die gebräuchlichere Bezeichnung für die Sonne war Tor-tu-Gor, das sich als Licht über dem Heim-Stein übersetzt. Wie ich später erfuhr, gab es eine Sekte unter den Völkern, die die Sonne verehrte, aber sie war sowohl zahlenmäßig als auch von ihrem Einfluss her unbedeutend, verglichen mit den Anbetern der Priesterkönige, denen, was auch immer sie waren, göttliche Ehren zugesprochen wurden. Ihnen gehörte die Ehre – so schien es –, als älteste Götter von Gor verehrt zu werden, und in Zeiten der Gefahr konnte ein Gebet an die Priesterkönige selbst die Lippen des tapfersten Mannes verlassen.

»Die Priesterkönige«, sagte mein Vater, »sind unsterblich, zumindest glauben das die meisten hier.«

»Glaubst du das auch?«, fragte ich.

»Ich weiß es nicht«, sagte mein Vater. »Manchmal vielleicht schon.«

»Was für eine Art Menschen sind das?«, fragte ich.

»Man weiß nicht, ob es Menschen sind«, sagte mein Vater.

»Aber was sind sie sonst?«

»Vielleicht Götter.«

»Das ist nicht dein Ernst?«

»Doch«, sagte er. »Ist nicht eine Kreatur, die den Tod mit unermesslicher Kraft und Weisheit besiegt, es wert, so genannt zu werden?«

Ich schwieg.