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Rowohlt E-Book Theater Vier Frauen Mitte 50 erhalten die Einladung zu einem kostenlosen Wohlfühltag und landen in einer Wellness-Oase, wo man mit ihnen den Horror ihrer Weiblichkeit durchbuchstabiert, von Anorexie bis Zyklusstörungen. So unterschiedlich die Lebensentwürfe von Frau Luhmann (alleinerziehende Angestellte), Frau Grau (Pathologin und überzeugter Single), Frau Merz-Dulschmann (Hausfrau und Mutter) sowie Frau Töss (Anwältin und ewige Geliebte) sind, so ähneln sich doch ihre Probleme: das vorgebliche Schwinden sexueller Attraktivität oder gleich die soziale Ächtung, das unausgesprochene Diktat männlicher Urteile und Normen. Dass sich hinter der Versorgung mit Mode- und Frisurentipps ein perfider Plan verbirgt, merken die vier Frauen beinahe zu spät, bevor sie endlich zum Gegenschlag ausholen und sich aus dem Fegefeuer sämtlicher Frauenzeitschriften dieser Welt befreien.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 59
Sibylle Berg
Die Damen warten
Rowohlt E-Book
Darstellerinnen alle unbestimmt um die/über 50, keine Witzfiguren, keine Perücken, keine Kleidung, die übertrieben drollige Aussagen macht:
FRAU MERZ-DULSCHMANN, ordentliche Frau, rundlich, naiv wirkend, Hillary-Clinton-Typ
FRAU LUHMANN, unauffällige Frau, grau, ordentlich, Hosen, man übersieht sie leicht
FRAU TÖSS, alles ein wenig zu blond, zu sexy
FRAU GRAU, schöne Professorin
MANN, der auch Musik macht, feminin wirkend
Eventuell als Video, in dem die Frauen in ihrer Umgebung zu sehen sind.
Musik: Billy Joel, «The Downeaster ‹Alexa›».
FRAU MERZ-DULSCHMANN
Mein Haus befindet sich in einer Sackgasse.
Das klingt wie ein Sozialdrama auf Arte.
Dabei ist mein Leben sehr – lebenswert, mit all diesen wunderbaren Jahreszeiten, die man in dieser Wohngegend zur Verfügung gestellt bekommt, um sich in ihnen auszuleben –
Und hier ist die Einladung zu einem kostenlosen Friseurtermin zum Frauentag.
Wir hatten uns damals bewusst für die Sackgasse entschieden, wegen der – Kinder, die nicht Kinder genannt werden wollen.
Sie stehen in der Sackgasse und warten auf andere junge Menschen, die sie zusammenschlagen können. Besser hier als an gefährlichen Knotenpunkten, nicht wahr, denn so weiß ich sie, während ich meinen vom Staat geförderten hausfraulichen Tätigkeiten nachgehe, in Sicherheit. Das geregelte Einkommen kommt durch meinen Mann, sozusagen, ein, den ich das letzte Mal vor, ähm … mit einem liebenden Blick betrachtet habe.
Das klingt jetzt wie der Satz aus dem Elendsdrama auf dem Kulturkanal, gesprochen von einer verbitterten Frau mit fettigen Haaren. Bin ich verbittert? Ich bin Hausfrau, Mutter, habe Rundungen an den richtigen Stellen, ein Mann will doch was in der Hand haben. Nun, nicht meiner, aber theoretisch liebt der Mann es doch, Fleischrollen zwischen seinen Pranken zu bewegen, als erbaute er ständig die Welt. Ich genieße die Freiheit, die das Leben theoretisch für mich bereithält.
Kinder brauchen ihre Mutter, gäben sich vermutlich aber auch mit einem Hund oder einem Roboter zufrieden.
FRAU LUHMANN
Das ist mein Sohn, an seinem Computer.
Hier ist meine Wohnung, in der er sich aufhält.
Und da sind die Socken, die er, mit Körperflüssigkeit abgefüllt, unter dem Bett aufbewahrt. Manchmal in der Nacht meine ich, dass sie sich zu Skulpturen der Anklage formieren.
Und hier haben wir die Einladung zu einer kostenlosen Typberatung zum Frauentag.
Mit ein wenig Disziplin ist es doch kein Problem, alleine ein Kind großzuziehen und Karriere zu machen. Vielleicht beides ein wenig lustlos und übermüdet. Auch scheint die Bezeichnung Karriere für meine Anstellung lächerlich, aber wir leben in einer Zeit, in der Hausmeister Facility Manager heißen und der Neoliberalismus nach Selbstausbeutung schreit. Das Selbstmarketing nicht zu vergessen. Um einen attraktiven Geschlechtspartner zu gewinnen. Auch wenn einem an Geschlechtlichem kaum liegt, wenn man alleinerziehend ist. Ich habe mein Leben lang Opfer gebracht, um mich heute wirklich als Opfer verstehen zu können. Die einzigen Momente, die mir gehören, finden jeden Morgen um vier statt. Wenn die Schlaftabletten ihre Wirkung verlieren, wenn der Junge schnarcht, ich, im Bett liegend, aus dem Fenster sehe und mir ist, als gäbe es die Welt allein durch mich. Sie ist mit mir entstanden, sie wird mit mir beendet sein. Bis die ersten Straßenbahnen quietschen.
FRAU TÖSS
Da ist die Anwaltskanzlei. In der ich keine Teilhaberin bin.
Da ist der Kollege, der mich ständig im Kopierraum bedrängt hat. Das ist der Kollege, der mir immer einen Klaps auf das Gesäß gab. Das ist der Kollege, der gerne herablassende Bemerkungen über meine Trikotagen macht. Beweise für meine Attraktivität, denke ich mir.
Hier liegt die Einladung zu einer kostenlosen Gesichtsbehandlung zum Frauentag.
Ich genieße die Ruhe in meinem Appartement.
Nicht besonders.
Treffe ich auf Bekannte, so interessieren sie sich ausschließlich dafür, ob ich unterdessen einen Partner gefunden habe. Von Geschlechtspartnern redet man mit über Vierzigjährigen nicht mehr. «Partner», sagen die Bekannten und stellen sich einen Pensionär vor, den ich beim Tangotanzen getroffen habe und dem ich im Anschluss eine herzensgute Betreuerin sein darf. Für den Umstand, dass er sich in meiner Wohnung aufhält, könnte ich ihm ein schönes Lebensende bereiten und immer weiter mit ihm Tango tanzen, dabei würde ich meine Haare schütteln, und er würde «Mein Wildfang» sagen. Nach meinem Beruf fragt mich keiner. Ich mich auch nicht.
Ich wollte immer einen Mann. Jetzt habe ich einen, den ich mit einer anderen Frau teile.
FRAU GRAU
Da ist die Reihe der Vorgesetzten, die ich im rechtsmedizinischen Institut, an dem ich arbeite, gehabt habe, während ich 25 Jahre lang bei der Vergabe des Postens übergangen worden bin.
Hier haben wir eine Einladung zu einer kostenlosen Massage zum Frauentag.
Claire Goll hatte ihren ersten Orgasmus mit achtzig. Ich hatte ihn noch nie. Also nicht mit einem Sexualpartner. Es hat mich nie interessiert, was mit meinem Körper zu erzeugen ist, ich hatte geglaubt, mein Intellekt hälfe mir, seine Schranken zu überwinden.
Das Bild einer geschlechtsneutralen, wissenschaftlichen Person, die, in Frieden gelassen vom sexistischen Diskurs, ihrer Arbeit nachgeht, hat sich nicht eingestellt.
Ich baute, weil mein Körper Bedürfnisse hatte, früher, als er noch Hormone produzierte, Temple Grandins Berührungsmaschine nach, mit ihren wunderbaren, seitlich gepolsterten Platten, die sich, elektrisch ausgelöst, an meinen Körper drücken. Das waren meine Momente der Umarmung, mir hat nichts gefehlt. Ich hatte ja mich.
MANN
Das ist die Kirche, in der ich vor meiner Ausbildung zum Hair-Make-up-Artist als Pfarrer tätig war. Marienanbetung, Hexenverbrennung. Die Nummer.
In meinem heutigen Beruf kann ich mehr.
Bewirken, mit Gottes Hilfe.
In meinem Privatleben, das im Gegensatz zum öffentlichen bei meiner Mutter stattfindet, was sich pathologischer anhört, als es ist, denn meine Mutter ist eine sehr – aktive Person, sitze ich oft auf dem Bett, höre Schlager und denke darüber nach, wie ich dem Krieg seine Mannhaftigkeit zurückgeben kann. Immer wenn ich fast auf eine Lösung gekommen bin, in Rollenspielen, steht meine Mutter im Türrahmen. Meist lacht sie mich aus. Und ich sitze auf meinem Bett und weiß: Wenn Gott mich wirklich liebt, kann er in meinem Fall nicht gleichgültig bleiben.
Eine Wellness-Oase. Springbrunnen, Windspiele, Schuhgeschäfte. Wird durch schnelle Live-Umbauten später zu Arbeitsstelle, Zuhause etc.
Licht an. Die Damen, bereits im Raum, bekommen Behandlungen, probieren Klamotten an, Frisuren etc.
Musik: The Stranglers, «Golden Brown».
FRAU TÖSS
Verstörend, wie riecht es denn hier?
FRAU GRAU
Alter? Elend? Verzweiflung? Suchen Sie sich was aus.
MANN
Nicht wahr, die Schokowickel duften besonders – nachhaltig.
So, meine Damen, mit wenigen Handgriffen, die ich Ihnen heute zeige, gelingt es jeder Frau, ihren leicht störenden Eigengeruch zu überdecken.
FRAU GRAU
Was sind denn Sie für ein Vogel?
MANN
Nennen Sie mich einfach Horst. Ich bin heute nur für Sie da. Einen Tag, ein volles Verwöhnprogramm lang!
FRAU TÖSS
Wenn ich gewusst hätte, dass unsere Behandlung von einem Mann, also … äh … behandelt wird – ich hoffe, ich rieche nicht nach Schweiß.
MANN
Keine Sorge. Ich arbeite fast nur mit Frauen.
FRAU TÖSS
Was meinen Sie damit?
MANN