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Carsten Leinhäuser ist katholischer Priester und setzt sich mal zornig, mal humorvoll dafür ein, dass die Kirche wieder wird, was sie einst war: ein Hoffnungsschimmer, ein Rettungsboot, agil, mutig, verständlich und greifbar. Ein Buch für alle, die sich nach neuen Formen sehnen, um ihren Glauben zu leben. »Sie sind riesengroß, stark, gewaltig. Und sie sind tot, ausgestorben: die Dinosaurier. Heute ist unsere Zeit. Doch manchmal kommt mir der Gedanke, dass es immer noch ›Dinos‹ gibt. Die Kirche ist so einer. Und ich arbeite für sie. Läuft auch ihre Zeit ab? Vor etwa 2000 Jahren, als die Kirche entstand, war sie alles andere als ein behäbiger Dinosaurier. Sie war ein Hoffnungsschimmer für Menschen auf der Suche. Ein Rettungsboot für Ertrinkende und Gestrandete. Ein Licht in dunklen Zeiten. Ein frischer Wind für jene, deren Leben eng und stickig geworden war. Die Christinnen und Christen der ersten Jahrhunderte waren wahre Meister darin, die Frohe Botschaft in die Lebenskontexte ihrer Zeit zu übersetzen. Das Christentum, die Kirche, konnte sich alleine deshalb auf der ganzen Welt ausbreiten, weil es so unglaublich agil, mutig und flexibel auf ›den Zeitgeist‹ reagierte. Für die ersten Christen und Christinnen war klar: Wenn die Zeiten sich ändern, wenn Kulturen unterschiedlich ticken, ist es unsere Aufgabe, die Frohe Botschaft da reinzutragen. Sie anzupassen. Und zwar so, dass die Menschen sie verstehen können. Dass sie etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Konkret. Greifbar. Irgendwie sind uns diese Kreativität, dieser Mut, dieses Gottvertrauen im Lauf der Zeit verloren gegangen. Aus dem ›frischen Wind‹ ist eine angestaubte Bibliothek voller Regelwerke geworden. Aus dem agilen jungen Lebewesen Kirche ein sturer alter Dinosaurier. Dieser Dinosaurier kann – im Gegensatz zu den ausgestorbenen Vorfahren – aber wirklich denken. Hin und wieder scheint es sogar, als habe er verstanden, dass seine Zeit abläuft. ›Wir müssen was tun. Nicht irgendwann, sondern sofort. Am besten gestern!‹, rufen immer mehr Christinnen und Christen auf der ganzen Welt. Darunter eine stetig wachsende Zahl von Ordensleuten, Priestern und Bischöfen. Es knirscht und brodelt mittlerweile nicht mehr nur unter der Haube. Verzweifelt versuchen manche nach wie vor, am Überlebenskonzept der Dinosaurier festzuhalten. Oder an der romantischen, jedoch unrealistischen Vorstellung, man könne Dinosaurier (wie in Jurassic Park) wiederbeleben, wenn etwas schief geht. Wie wird es ausgehen? Wird die Kirche am Ende einer der Dinosaurier der Weltgeschichte sein, dessen Zeit schlicht und einfach vorbei ist? Oder wird es ihr gelingen, das Feuer der Frohen Botschaft weiterzutragen und ›die Hülle drum herum‹ so zu verändern, dass sie Menschen erreicht und begeistert? Woran und wie könnte und müsste Kirche sich anpassen, damit sie nicht nur über- sondern auch aufleben kann? Auf alle diese Fragen habe ich keine fertigen Antworten – aber ein paar Gedanken und Ideen, die ich euch in diesem Buch mitgebe. In der Hoffnung, dass da draußen jede Menge Christinnen und Christen sind, die von Jesus und seiner Botschaft begeistert sind. Die mitdenken, die mutig sind und kreativ. Die etwas dazu beitragen wollen, dass wir nicht in das gleiche dämliche Fettnäpfchen treten, wie die Dinosaurier.« Carsten Leinhäuser
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Seitenzahl: 154
Carsten Leinhäuser
Kirche muss sich endlich ändern Mit Messerschnitten von Martin Glomm
Knaur eBooks
»Sie sind riesengroß, stark, gewaltig. Und sie sind tot, ausgestorben: die Dinosaurier. Doch manchmal kommt mir der Gedanke, dass es immer noch ›Dinos‹ gibt. Die Kirche ist so einer. Und ich arbeite für sie – als Priester. Als die Kirche vor etwa 2000 Jahren entstand, war sie alles andere als ein behäbiger Dinosaurier. Sie war ein Hoffnungsschimmer. Das Christentum war unglaublich agil und reagierte flexibel auf ›den Zeitgeist‹. Irgendwie ist uns diese Kreativität verloren gegangen. Aus dem ›frischen Wind‹ ist eine angestaubte Bibliothek voller Regelwerke geworden.
Wird die Kirche am Ende einer der Dinosaurier der Weltgeschichte sein, dessen Zeit abgelaufen ist? Woran und wie könnte und müsste Kirche sich anpassen, damit sie nicht nur über-, sondern auch aufleben kann? Ich habe keine fertigen Antworten – aber die Hoffnung, dass da draußen jede Menge mutige Christinnen und Christen sind, die dazu beitragen wollen, dass wir nicht in das gleiche Fettnäpfchen treten wie die Dinosaurier.«
Carsten Leinhäuser
»Lebe das, was du [...]
Die Dinos dachten auch, sie hätten noch Zeit
Die guten alten Zeiten
Mittelgroße Hunde. Kleine Marder.
Du bist doch auch einer von denen!
Was wächst. Was nicht. Oder: »Gärtnern für Hoffende«
Meditation beim Mistschaufeln
Das stinkt zum Himmel
Gemeinsam Mist schippen: Der Synodale Weg
Immer wieder sonntags
Aufwachen
Haltung
Beten
Ganz anders
Neuevangelisierung
Die sieben Werke der Barmherzigkeit
»Der Zölibat ist ein Geschenk für die Kirche«
Aufsatteln und festhalten
Bist Du noch da?
Mehr als fromme Soße?
Die Hirtin
»Immer wieder diese Homos …«
Liebe gewinnt
Eine Strafe Gottes?
Die ganze Botschaft in einem Satz …
Richtig, lieber Mitbruder Georg
SEX!
Angst. Mut.
Achterbahn
Klare Ansage
Trotzdem
Lass uns noch etwas bleiben
In den Wellen
Narrenschiff
Niederknien
Esperança Em um Novo Dia
Der Traum vom Fliegen
Festgefahren
Achtung, Gefahr!
Gespielt wird zusammen
Rom
Mächtig und reich
Kirche geht auch anders
Fundamental
Weil wir euch brauchen
Im Büro vom Chef
Kommt her. Mir nach!
Zehn Gebote für eine Kirche von morgen
Und plötzlich siehst du Farben
»Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast.
Und wenn es noch so wenig ist.
Aber lebe es.«
Frère Roger
Für all jene, die versuchen, Jesus nachzufolgen.
Auf dass wir niemals vergessen mögen,
dass wir Lernende sind.
Und Suchende.
Und Liebende.
Ein Leben lang.
Sie sind groß. Sie sind stark. Sie sind gewaltig. Sie bevölkern die gesamte Erde. Ihre Schritte lassen den Boden erbeben. Mit mächtigen Flossen durchpflügen sie das Meer. Mit weiten Schwingen erheben sie sich in die Lüfte. Sie geben den Ton an. Sie sind die Krone der Schöpfung!
Und sie sind: tot. Ausgestorben, vom Angesicht der Erde verschwunden.
Nur ein paar versteinerte Knochenreste haben sie hinterlassen. Sie sind: Geschichte.
Die Dinosaurier.
Bis heute weiß niemand so genau, warum sie vor etwa 65 Millionen Jahren verschwunden sind. So lange waren sie vergessen, dass sie noch nicht mal in der Bibel auftauchen. Kein Extratag in der Schöpfungsgeschichte für die Erschaffung der Dinosaurier. Kein Platz für Frau und Herrn T-Rex auf der Arche (wäre auch ganz schön eng geworden). Und leider auch keine endgültige Erklärung, warum sie Platz machen mussten für all jene Lebewesen, die erst lange nach ihnen entstanden sind. Hier und da gibt’s ein paar entfernt verwandte Nachfahren. Aber auch die erinnern sich wohl nicht mehr an ihre Ur-ur-ur…-Ahnen.
Alles, was wir heute wissen, ist: In erdgeschichtlichen Dimensionen gedacht, ging es recht flott. Es dauerte, wenn man in derart großen Maßstäben denkt, nur einen »Augenblick«, bis die Tiere ausgestorben waren. Innerhalb weniger Tausend Jahre war alles vorbei. Und dabei dachten die Dinos, sie hätten noch alle Zeit der Welt vor sich …
Stopp. Der letzte Satz war grober Unfug: Natürlich dachten die Dinos das nicht – denn für derart komplexe Überlegungen waren ihre Gehirne viel zu klein. Sie waren, um es salopp zu sagen, viel zu einfach gestrickt. Aber wenn sie hätten denken können … dann hätten sie sich vielleicht zu großen Krisentreffen versammelt. Bis auf ein paar Faktenleugner hätten die mächtigen Tiere dabei vermutlich die immer deutlicher werdenden Anzeichen wahrgenommen, dass es für sie bald eng werden könnte. Sie hätten zumindest festgestellt, dass die Situation mehr und mehr aus dem Ruder läuft. Sie hätten vielleicht einen Plan ausgetüftelt, um dem Wandel der Zeiten zu begegnen.
Auch damals hätte es vermutlich Zögerer und Zauderer gegeben. Sie hätten sich lautstark zu Wort gemeldet und gerufen: »Lasst es uns langsam angehen, mit Bedacht. Wir sind schließlich die Krone der Schöpfung, stark und schön und mächtig. So schnell kann uns nichts und niemand etwas anhaben. Wir haben alle Zeit der Welt!«
Und dann? Dann wären sie trotzdem ausgestorben. Sie hatten schlichtweg keine Zeit mehr. Selbst ein Charles Darwin mit seinem »Survival of the fittest« hätte ihnen nicht weiterhelfen können. Denn die Dinos hätten diesen evolutionstheoretischen Gedankengang aufgrund ihrer mangelnden Englischkenntnisse garantiert falsch verstanden: Die »fittest« sind nun mal nicht die »Stärksten« – sondern jene, die sich am besten an sich ändernde Umstände anpassen, um zu überleben.
Forscher*innen haben verschiedene Theorien aufgestellt, wie die Zeit der Dinos vor etwa 65 Millionen Jahren zu Ende ging. Manche vertreten die These, dass mehrere starke Vulkanausbrüche oder ein Meteoriteneinschlag auf der Yucatán-Halbinsel in Mexiko eine Kettenreaktion auslösten. Dass große Mengen an Lava und Staub das Land bedeckten und die Sonne verdunkelten. Dass giftige Gase alles Leben auslöschten und ein heftiger Klimawandel einsetzte, dem auch die Dinosaurier zum Opfer fielen.
In vielen Theorien zum Untergang der mächtigen Tiere taucht ein weiterer Gedankengang – in Variationen – immer wieder auf: Könnte es sein, dass die Dinos es schlichtweg verpasst haben, sich an eine sich mehr oder weniger rasant ändernde Umwelt anzupassen? Waren sie in ihrer evolutionären Entwicklung einfach zu langsam? Fanden sie in der Folge nicht mehr genügend Nahrung, keine geeigneten Lebensräume – und konnten sich nicht mehr in ausreichendem Maß fortpflanzen?
Wie man es auch dreht und wendet, was damals geschah: Die Zeit der Dinos ist unwiederbringlich abgelaufen.
Als Jugendlicher war ich ein großer Fan der Jurassic Park-Filme. Im ersten Film wird von dem Versuch erzählt, die Dinosaurier mithilfe von in Bernstein eingeschlossenem Genmaterial wieder zu neuem Leben zu erwecken. Kurzfristig ist die Aktion von Erfolg gekrönt. Mittelfristig gehen alle Versuche ganz gewaltig in die Hose und es endet in einer Katastrophe. »Dinosaurier« passen einfach nicht mehr in diese Zeit und in unsere Welt. Ihre biologische Uhr ist abgelaufen. Die Dinos sind weg. Ein für alle Mal.
Heute ist unsere Zeit. Wobei mir manchmal schon der Gedanke kommt, dass es auch heute noch »Dinos« gibt. Wesen aus einer anderen Zeit. Die Kirche ist so ein Dino. Und ich arbeite für sie.
Könnte es sein, dass auch in diesem Fall die Uhr langsam abläuft? Oder dass sich das Tempo, mit dem die Entwicklung voranschreitet, bis keine Zeit zum Handeln mehr bleibt, sogar zunehmend beschleunigt?
Für eine Institution, die sich und ihre Gedankenwelt im Lauf von 2000 Jahren in einen behäbigen, schwerfälligen Dino verwandelt hat, scheint es jedenfalls nicht einfach zu sein, sich an Gegebenheiten anzupassen, die sich weiterentwickeln. Eine Gesellschaft, die sich ethisch und wissenschaftlich weiterentwickelt, scheint für die Kirche immer wieder eher eine Bedrohung als eine Chance zu sein. Statt Möglichkeiten zu suchen, wie man mit dem, was ist, friedlich koexistieren kann (das wäre ein Anfang), verteidigt der Dino knurrend und brüllend sein Revier.
Und auch wenn er schon lange im Sumpf feststeckt, tut er noch so, als könnte er wie gehabt und ohne Rücksicht auf irgendetwas voranschreiten und weiterziehen.
Auf seinem Weg hat der Dino immer wieder auch eine Spur der Verwüstung hinterlassen – und er tut es bis heute. Manches hat er achtlos platt getrampelt und umgerissen; er hat Menschen zutiefst verletzt – manchmal sogar ganz bewusst, in seinem Ringen, sich selbst zu verteidigen und sich keine Blöße zu geben.
Erschreckend und abstoßend ist auch sein Gehabe: Viel zu oft tut der Dino so, als ob die unübersehbaren Spuren seiner Verfehlungen peinliche Ausrutscher waren, die man doch bitte verzeihen möge. Nach dem Motto: Es waren halt andere Zeiten, er musste sein Revier verteidigen, ein Zurück hätte es nicht gegeben, Achtsamkeit wäre ohnehin nicht sein Ding. Und eigentlich sei er ein ganz Lieber …
Bisweilen gelingt es dem Dino sogar, Menschen dazu zu bewegen, Mitleid mit ihm zu haben. Sie tätscheln ihm dann liebevoll den Kopf und flüstern ihm ein »Du kannst ja eigentlich gar nichts dafür« ins Ohr. Es sei die böse Welt, die ihn in die Ecke getrieben habe und ihn nun ausrotten wolle. Welch ein Trauerspiel …
Vor etwa 2000 Jahren, als die Kirche entstand, war sie alles andere als von gestern. Sie war ein Hoffnungsschimmer für Menschen auf der Suche. Ein Licht in dunklen Zeiten. Ein Leuchtfeuer für Menschen in Not. Ein frischer Wind für jene, deren Leben eng und stickig geworden war. Jesus selbst benutzte wunderbare Bilder für das Reich Gottes, das anbrechen sollte: das Schiff, in dem er mit Fischern mitten im Sturm unterwegs war und in aller Seelenruhe schlief. Das Wasser und das Brot des Lebens, die alle umsonst bekommen. Oder das Bild des Guten Hirten, der sich um seine Schafe sorgt.
Die Christinnen und Christen der ersten Jahrhunderte waren wahre Meister darin, die Frohe Botschaft in die Lebenskontexte ihrer Zeit zu übersetzen. Mit Mut, Kreativität und Gottvertrauen waren sie unterwegs und erzählten von Gott auf eine Art und Weise, die von Menschen unterschiedlichster Kulturen verstanden werden konnte. Der Kern des Glaubens, all das, was trägt, wurde weitergetragen; das theologische »Gebäude drum herum« mit großer Freiheit angepasst, erweitert und umgebaut. Manches, was nicht mehr passte, wurde mutig verworfen.
Im Lauf ihrer Entwicklung hat sich die Gemeinschaft der Christ*innen von einer winzigen religiösen Minderheit im vorderasiatischen Raum zu einer weltübergreifenden Volkskirche entwickelt. Zu »dem globalen Player« schlechthin. Das Christentum, die Kirche, konnte sich alleine deshalb auf der ganzen Welt ausbreiten, weil es so unglaublich agil, mutig und flexibel auf »den Zeitgeist« reagierte. Für die ersten Christen und Christinnen war klar: Wenn die Zeiten sich ändern, wenn Kulturen unterschiedlich ticken, dann ist es unsere Aufgabe, die Frohe Botschaft in einer passenden Form weiterzugeben. Nicht auf dem Vorgestrigen zu beharren, sondern Sprache und Ausdruck dem anzupassen, was den Menschen entspricht. Damit sie das, worauf es ankommt, verstehen können. Damit die Botschaft, die sie erzählt bekommen, auch etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Konkret und greifbar.
Irgendwie sind uns Christ*innen diese Kreativität, dieser Mut, dieses Gottvertrauen im Lauf der Zeit verloren gegangen. Vom »frischen Wind«, der damals in der frühen Kirche wehte, ist vielfach gerade einmal ein laues Lüftchen geblieben, das nur noch wenige bewegt. Und aus dem lebendigen Schatz, den die ersten Christ*innen begeistert mit sich trugen, ist eine ziemlich angestaubte Bibliothek voller Regelwerke geworden. Was ist aus dem einst so agilen Wesen Kirche geworden …?
Eine mögliche Antwort auf diese Frage könnte sein: »Sie wurde zu mächtig.« Und dass Macht ein fieses kleines Miststück sein kann – ist hinreichend bekannt: Sie verleitet dazu, die eigene Position, den eigenen Besitzstand, die eigene Deutungshoheit mehr und mehr absolut zu setzen – und mit allen Mitteln gegen Verluste zu verteidigen. Macht immunisiert sich selbst gegen jegliche Form von Kritik und wird im Lauf der Zeit oft blind für berechtigte, konstruktive Einwände und Vorschläge. Sie nistet sich ein in einer eigenen Welt, schottet sich ab und offenbart genau dadurch ihre große Schwäche: Sie bleibt stehen. Wird unflexibel. Beginnt zu bröckeln. Zerfällt.
Die Bedeutung der Kirche nimmt spätestens seit dem letzten Jahrhundert mit zunehmender Geschwindigkeit ab. Die Volkskirche ist offensichtlich an ihrem Ende angekommen. Die Menschen kehren ihr in Scharen den Rücken. Selbst in den »Hochburgen des Katholizismus« hat der Putz schon lange begonnen zu bröckeln.
Schuld daran ist nicht nur ein Beharren auf starren Strukturen und Regeln, die viele Menschen als weltfremd empfinden, sondern vor allem auch der Missbrauch, der in unterschiedlichsten Formen unter dem Dach der Kirche geschehen ist. Zehntausende Menschen wurden weltweit von Amtsträgern der Kirche missbraucht, verletzt und gedemütigt, ganze Existenzen zerstört und vernichtet. Für jeden einigermaßen vernünftig denkenden Menschen ist das kaum zu begreifen – mehr noch: völlig irrsinnig.
Hin und wieder scheint es so, als habe der Dino, von dem hier die Rede ist, inzwischen verstanden, dass seine Zeit abläuft. Versammlungen finden regelmäßig statt. Verschiedene Möglichkeiten, was zu tun ist, um das Blatt zu wenden, und wie es weitergehen könnte, werden diskutiert.
»Wir müssen etwas tun. Nicht irgendwann, sondern sofort. Am besten gestern!«, rufen immer mehr Christinnen und Christen auf der ganzen Welt. Darunter auch eine stetig wachsende Zahl von Ordensleuten, Priestern und Bischöfen. Es knirscht und brodelt mittlerweile nicht mehr nur im Verborgenen.
Viele engagierte Christ*innen fordern zu Recht eine stärkere Beteiligung an den Prozessen, die nun anstehen – allen voran die Frauen. Menschen, die sich nicht länger ausgrenzen lassen wollen, erheben ihre Stimmen. Sie sind nicht mehr zu überhören!
Verzweifelt versuchen manche »Bewahrer« nach wie vor, am Überlebenskonzept der Dinosaurier festzuhalten. Sie tun so, als ob der Wandel nicht längst eingesetzt hätte. Einige halten an der romantischen, jedoch unrealistischen Vorstellung fest, man könne Dinosaurier (so wie im Film Jurassic Park) wiederbeleben. Und wieder andere glauben, dass man nichts überstürzen müsse, weil noch genügend Zeit bliebe, um alles in Ruhe zu analysieren, bevor man einen nächsten Schritt macht, den man dann vielleicht bereuen müsste.
Unter jenen, die (noch) als Mitglieder in der Kirche geblieben sind, gibt es im Groben zwei Denkrichtungen und Grundhaltungen: Da sind jene, die von den »guten alten Zeiten« träumen und versuchen, sie so gut es geht festzuhalten. Andere fordern eine mehr oder weniger rabiate Kernsanierung. Nun könnten sich in der Theorie recht einfach und schnell Lösungen und Kompromisse finden, würden beide »Fraktionen« sich einvernehmlich auf den Ratschlag des Apostels Paulus einigen: »Prüft alles und behaltet das Gute!« (1 Thess5, 21) Doch schon hier scheitert es an den grundverschiedenen Sichtweisen: Ist etwas schon alleine deshalb »gut«, weil es über Jahrhunderte lang eine Tradition war – wie zum Beispiel der Pflichtzölibat oder die Beschränkung der Weiheämter auf die männliche Hälfte der Erdbevölkerung? Und ist etwas schon alleine deshalb schlecht, weil es neu und bis dato unerprobt ist?
Die Stimmung ist angespannt, die Stimmen werden lauter. In etlichen Punkten liegen seit Jahrzehnten alle Argumente auf dem Tisch – ohne dass sich etwas sichtbar bewegt.
Genau hier sind wir an dem Punkt angelangt, der die Dinos vielleicht das Leben gekostet hat: Obwohl alle Möglichkeiten offenstehen – beispielsweise etwas Ungewohntes auszuprobieren, dabei zu lernen und möglicherweise noch einmal neu zu entscheiden –, bleiben wir beim Status quo.
Verpassen wir so den letzten Moment zum Umlenken? Warten wir, bis das Fundament so stark weggebröckelt ist, dass ein Totalschaden unvermeidbar ist? Warten wir einfach ab, was passiert, und sterben dann still und leise aus? Weil wir am Ende dann doch zu sehr den guten alten Zeiten nachhängen?
Apropos »die guten alten Zeiten«: Eine der großen Stärken der jungen Kirche war es, sich gegenüber einer sich rasant entwickelnden Welt offen zu zeigen. Den Anfang hat Jesus gemacht, indem er die fromme Blase seiner jüdischen Umwelt durchaus wertschätzte, sie aber nicht absolut setzte.
Er suchte Kontakt zu den »Unfrommen«, den Heiden, den Fremden, den Ausgegrenzten. Und er war dabei völlig frei von Berührungsängsten und einer lähmend-langweiligen »das haben wir schon immer so gemacht«-Denke.
Wenn man den Evangelien Glauben schenken kann, wusste Jesus schon früh, dass ihn genau das letztlich innerhalb von nur kurzer Zeit das Leben kosten wird.
Seine Nachfolger*innen, die ersten Christ*innen, gingen diesen Weg weiter. Das Neue Testament berichtet von der intensiven Suche früher christlicher Gemeinden nach Wegen, auch Menschen jenseits des eigenen Tellerrands zu erreichen und für die Frohe Botschaft zu begeistern. Das ging nicht ohne Experimente. Und es ging auch nicht, ohne die Kulturen »der anderen«, der Griechen, der Römer und vieler mehr, ernst zu nehmen und einzubeziehen.
Auf dem Weg von der Antike über das Mittelalter in die Neuzeit war die Kirche über weite Strecken die größte Förderin der Wissenschaften, der Medizin, der Philosophie und des Dialoges mit dem Islam.
Was müssen das für spannende Zeiten gewesen sein!
Zeiten, in denen Christ*innen und ihre Kirche mit Mut, Freude und Neugier auf das »Fremde« zugingen. Mit der Bereitschaft, eigene Haltungen und Traditionen stetig weiterzuentwickeln. Gegebenenfalls sogar krass zu verändern oder fallen zu lassen. Mit der inneren Überzeugung, dass der Geist Gottes in der Zeit wirkt und stetig dabei hilft, die Frohe Botschaft besser zu verstehen.
Heute spricht man in manchen Kreisen vom »Zeitgeist« und rümpft dabei verächtlich die Nase. Man hat – wie einst die mächtigen Dinosaurier – Angst vor Veränderungen. Und man hält schon die Idee, über den eigenen Horizont hinauszublicken, für einen Frevel. Wann haben wir bloß angefangen, dem Heiligen Geist so sehr zu misstrauen?
Wie wird es ausgehen? Wird die Kirche am Ende einer der Dinosaurier der Weltgeschichte sein, deren Zeit irgendwann schlicht und einfach vorbei ist? Oder wird es ihr gelingen, sich zu erneuern und das Feuer der Frohen Botschaft weiterzutragen? Kann sich die Kirche so verändern, dass sie auch in Zukunft Menschen erreicht und begeistert?
Was sind dafür die Voraussetzungen? Und wie müsste Kirche sich an die heutige Situation anpassen, damit sie nicht nur über-, sondern auch aufleben kann?
Auf alle diese Fragen habe ich keine fertigen Antworten – aber in diesem Buch habe ich einige Gedanken und Ideen zusammengetragen, die ich Ihnen und euch mitgeben möchte. In dem Vertrauen darauf, dass viele Menschen gemeinsam dafür sorgen können, das es anders wird. Dass Kirche wieder agil und Hoffnung stiftend werden kann.
Ich habe die Hoffnung, dass Christinnen und Christen, die von Jesus und seiner Botschaft begeistert sind, gemeinsam jede Menge in Bewegung bringen können. Menschen, die mitdenken, die mutig und kreativ sind und etwas dazu beitragen wollen, dass wir nicht in das gleiche dämliche Fettnäpfchen treten wie die Dinosaurier, die es längst nicht mehr gibt.
Carsten Leinhäuser