Die drei !!!, 86, Rätselhafter Raub (drei Ausrufezeichen) - Mira Sol - E-Book

Die drei !!!, 86, Rätselhafter Raub (drei Ausrufezeichen) E-Book

Mira Sol

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Beschreibung

Kim, Franzi und Marie sind "Die drei !!!". Mutig und clever ermitteln die drei Detektivinnen und sind jedem Fall gewachsen. Aus einer Ausstellung verschwinden wertvolle Porzellanpuppen. Sind die Puppen wirklich zum Leben erwacht? Ein gruseliger Fall für Kim, Franzi und Marie.

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Rätselhafter Raub

Mira Sol

KOSMOS

Umschlagillustration von Ina Biber, Gilching

Umschlaggestaltung von Sabine Reddig

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Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2020, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-50053-8

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Die dunklen Straßen der Galaxie

Ein Kranz aus winzigen Blüten und Perlen schmückte ihr langes rotblondes Haar. Das Gesicht war blass, fast bleich, die Augen sehr groß und von einem unglaublichen Blau. Wie auf der spiegelnden Oberfläche eines Bergsees brach sich das Licht in ihnen und aus ihrem Innern schien ein geheimnisvolles Leuchten zu kommen.

»Wunderschön«, hauchte Marie. »Das sind echte Elfenaugen.«

Kim nickte stumm. Sie konnte sich gar nicht mehr losreißen von diesem unendlichen Blau. Sie hatte das Gefühl, dass diese Augen bis in die Tiefen ihrer Seele sahen.

»Was für ein Blick«, hörte sie Franzi murmeln. Ihre Freundin bewegte sich langsam von rechts nach links und wieder zurück. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Sie beobachtet mich. Das ist gruselig.«

David räusperte sich. »Das ist eine Puppe. Und sie schielt. Deswegen meint man, sie guckt einem hinterher.«

Mit einem Schlag war der Zauber verflogen.

Kim sah ihren Freund vorwurfsvoll an. »Sie hat einen magischen Silberblick. Es ist doch egal, ob das eine Puppe ist. Sie wirkt so lebendig …«

»Stimmt«, unterbrach David sie. »Sie sieht wirklich toll aus. Genau wie all die anderen.« Er deutete auf die fünf großen gläsernen Vitrinen, in denen bestimmt fast hundert antike Puppen effektvoll in Szene gesetzt waren. »Wir können ja bald wiederkommen und uns die Ausstellung in aller Ruhe ansehen. Aber jetzt wartet Jens-Dieter Rohloff auf uns. Die Lesung fängt in einer Stunde an.«

Kim zuckte zusammen. »Wir müssen noch die Mikrofone testen, und die Musik.« Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg und ihr Herz schneller zu schlagen begann. »Jetzt bin ich total aufgeregt.«

»Wir schaffen das.« David klopfte ihr auf die Schulter und lächelte. »Auf in die alte Bibliothek.«

Franzi winkte der Puppe mit den Elfenaugen zu. »Wünsch Kim und David Glück!«

Im Vorbeilaufen verdunkelte Franzis Schatten das Gesicht der Puppe. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte Kim ein Augenzwinkern wahrzunehmen. Sie schüttelte den Kopf und beeilte sich, den anderen zu folgen.

Zügig durchquerten sie den Ausstellungsraum und liefen durch eine breite Flügeltür, hinter der ein Gang mit dunkelblauen Seidentapeten lag.

Die Mädchen kannten sich aus im alten Wasserschlösschen im Jakobipark. In dem verwinkelten Gebäude mit den vielen Türmen und Erkern hatten die drei Detektivinnen vor einiger Zeit einen spannenden Fall gelöst.

Der glänzende Parkettboden knarrte unter ihren Füßen, während sie auf die dunkle Holztür am Ende des Gangs zusteuerten. Sie hörten dumpfe Fanfarenklänge und gedämpften Trommelwirbel. Durch einen Spalt am Boden blitzte grelles Licht auf.

»Herr Rohloff ist schon da«, stellte David fest. »Unsere Lesung wird bestimmt der absolute Knaller mit seiner Geräuschuntermalung.« Er hielt kurz inne und lauschte. »Das ist die Filmmusik von Krieg der Sterne, spitze!«

Kim atmete tief durch und zog die schwere Holztür auf. Augenblicklich schwoll die Musik zu einer ohrenbetäubenden Geräuschkulisse an. Lichtblitze schossen durch den Saal. Sie trafen auf die Regale, in denen tausende in Leder gebundene Bücher standen. Die goldenen Schriftzeichen auf den Rücken reflektierten das grelle Licht, sodass es schien, als würden glühende Funken aus ihnen springen.

Kim kniff geblendet die Augen zusammen. »Nicht schlecht!«, rief sie gegen die Fanfaren an.

»Großartig!«, brüllte David zurück.

Jens-Dieter Rohloff saß an einem Pult in einer Ecke des Raums und tippte auf seinem Laptop. Die schwarze Hornbrille war ihm bis zur Nasenspitze gerutscht, das kurze dunkle Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab.

Kim musste grinsen. Rohloff sah aus wie ein besessener Computer-Gamer, der unbedingt das nächste Spiele-Level erreichen wollte. In Wirklichkeit war der Mann ein berühmter Bestseller-Autor. Er schrieb spannende Science-Fiction-Romane, die weltweit Beachtung fanden. Seine Lesungen, die er mit Sound- und Lichteffekten untermalte, waren legendär.

Die drei !!! hatten Rohloff vor einiger Zeit bei den Ermittlungen zu einem Fall kennengelernt. Seitdem war besonders Kim mit ihm in Kontakt geblieben. Er hatte ihr wertvolle Tipps für den Fantasy-Krimi gegeben, den sie mit David zusammen geschrieben hatte. Auch die Idee, das fertige Manuskript bei einem Schreibwettbewerb einzusenden, stammte von ihm.

Tatsächlich hatten Kim und David den ersten Platz gemacht! Der kleine, aber feine Verlag, der den Wettbewerb ausgeschrieben hatte, würde ihren Roman im kommenden Programm als E-Book herausbringen. Kim konnte es immer noch nicht richtig fassen.

Heute fand ihre erste öffentliche Lesung statt. Jens-Dieter Rohloff hatte sich um alles gekümmert und Kim und David eine unvergessliche Vorstellung versprochen.

In einer Stunde würden die zehn Reihen von Klappstühlen im Bibliotheks-Saal besetzt sein und das Publikum den Szenen lauschen, die Kim und David aus ihrem Roman Die dunklen Straßen der Galaxie vorlasen.

Kim lief ein Schauer über den Rücken. Hoffentlich verhaspelte sie sich nicht, David stieß das Mikrofon nicht um und es passierte auch sonst kein Missgeschick. Sie betrachtete misstrauisch die Scheinwerfer, die neben dem Pult auf wackeligen Ständern befestigt waren.

In dem Moment sah Jens-Dieter Rohloff hoch und erkannte David und die Mädchen. Er tippte auf der Tastatur, Fanfarenklänge und Lichtblitze erstarben. »Da seid ihr ja endlich!«

Kim lief zu ihm und gab ihm die Hand. »Entschuldigen Sie bitte. Wir sind in der Puppenausstellung im roten Salon hängen geblieben.«

Rohloff nickte und stand auf. Er begrüßte David, Franzi und Marie und streifte dabei versehentlich einen der Ständer. Die darauf montierte Lampe begann gefährlich zu schwanken. »Die Ausstellung ist beeindruckend, nicht wahr? Viele der Puppen sind weit über hundert Jahre alt und echte Seltenheiten. Ein großer Teil stammt aus der Sammlung meiner Patentante Elvira Reumann.«

»Die Puppen sind toll«, stimmte Marie zu. Mit einem gezielten Griff stoppte sie die schaukelnde Lampe neben Rohloff. »Ich habe beim Stichwort Puppen bisher immer nur an Barbies oder langweilige Babypuppen gedacht. Aber diese hier sind anders. Sie sind richtige kleine Persönlichkeiten.«

Rohloff lächelte. »Der Satz könnte von Elvira stammen. Übrigens, Kim und David: Ihr könnt euch bei ihr bedanken. Durch die Ausstellung bin ich auf diese geniale Location für die Lesung gestoßen.«

»Die Bibliothek ist super!« David trat nervös von einem Bein aufs andere. »Ich glaube, wir sollten so langsam mal loslegen.«

»Natürlich.« Jens-Dieter Rohloff schlug David auf die Schulter. »Wir müssen nur noch eure Mikros testen.«

»Prima«, krächzte Kim. Besorgt stellte sie fest, dass sie weiche Knie bekam. Unsicher lief sie neben David zu dem Tisch mit den zwei Stühlen am Ende des Saals. Sie zog den Papierstapel mit ihrer ausgedruckten Geschichte aus dem Rucksack.

Marie und Franzi nahmen in der ersten Reihe Platz. Sie reckten Kim die Daumen entgegen.

David setzte sich, schob eine Wasserflasche und zwei Gläser zur Seite und klopfte gegen das Mikro. Ein metallisches Pochen hallte aus den Lautsprechern. »Eins, zwei, drei, POWER!!!«, fügte er hinzu und grinste Kim an. Seine Stimme wurde von Rauschen und Knacken überlagert.

»Kein Problem, das kriegen wir hin«, versprach Rohloff. Mit federnden Schritten lief er zum Pult zurück und betätigte einige Regler an einem Gerät, das neben dem Laptop stand. »Jetzt versuch es noch mal!«

David sprach erneut ins Mikro, dieses Mal erklang seine Stimme voll und klar im Raum.

»Wunderbar«, stellte Rohloff fest. »Und nun du, Kim.«

Mit zitternden Fingern zog Kim das Mikro näher zu sich heran. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und wie durch Watte hörte sie sich sagen: »Ich glaube, ich kann das nicht.«

»Du musst das Mikro einschalten!«, rief Rohloff. »Es ist der kleine Knopf am Griff.«

»Du kannst das«, flüsterte David ihr zu. »Wir machen das zusammen. Da kann nichts schiefgehen!«

Kim nickte David dankbar zu. Sie schaltete das Mikro ein, holte tief Luft und begann zu lesen. Die Worte klangen sofort vertraut. Ihr Herzschlag beruhigte sich. Plötzlich fühlte sich Kim sicher und stark und ihre Stimme klang voll und kräftig, während sie den Abschnitt zu Ende las.

»Perfekt!«, rief Rohloff. »Jetzt probiert mal die Szene im Raumschiff, in der Junos das Gegengift von Laurina bekommt. Ich spiele die Musik ein.«

Während die Fanfarenklänge anschwollen, blätterten Kim und David in ihren Ausdrucken zum Kapitel vor.

»Das wird richtig gut«, sagte David. Er rückte näher an Kim heran.

Sie spürte die Wärme seines Arms an ihrem und schmiegte sich daran. »Ja, das glaube ich auch!«

Eine halbe Stunde später klatschte Jens-Dieter Rohloff in die Hände. »Wunderbar, es funktioniert perfekt!«

»Ihr macht das wirklich gut!«, rief Marie. »Man kann sich toll in Junos und Laurina hineinversetzen, wenn ihr lest.«

»Absolut!«, bestätigte Franzi.

Kim lehnte sich erleichtert zurück.

David legte einen Arm um sie. »Siehst du!«

Hoffentlich klappt es nachher auch so gut, schoss es Kim durch den Kopf.

»Ihr solltet euch am Ende der Lesung küssen«, unterbrach Franzi Kims Gedanken. »Wie Laurina und Junos, wenn sie mit dem befreiten Einhorn zurück zu ihrem Planeten fliegen.«

»Niemals«, entfuhr es Kim.

David sah sie enttäuscht an. »Warum denn nicht? Das ist doch eine gute Idee!«

Kim schüttelte den Kopf. »Meine Eltern bringen die Zwillinge mit. Die drehen durch, wenn sie uns beim Küssen sehen.«

Sie dachte an die fürchterlichen Grimassen und lauten, peinlichen Schmatzgeräusche, die ihre kleinen Brüder immer machten, wenn sie Kim und David zusammen antrafen. Solch eine Szene wollte sie bei ihrer ersten öffentlichen Lesung ganz bestimmt nicht haben.

David grinste. »Ich finde es lustig, wenn Ben und Lukas sich so aufführen. Sie blamieren sich doch nur selbst.«

Kim seufzte. »Stimmt auch wieder.«

»Weißt du was«, meinte David. »Wir entscheiden das nachher einfach spontan.« Er sah auf seine Armbanduhr. »In einer Viertelstunde geht es los. Ich verschwinde noch mal schnell zum Klo.« David stand auf und lachte plötzlich los. »Wenn man vom Teufel spricht.« Er deutete zur Tür.

Zwei Jungen mit verstrubbeltem Haar lugten herein. Kim atmete scharf aus. Es waren ihre kleinen Brüder.

David klatschte sich im Vorbeigehen mit ihnen ab und verschwand nach draußen.

»Hallo, Planschkuh!«, rief Ben fröhlich. »Wir wollten dir viel Glück wünschen.« Gefolgt von seinem Bruder lief er auf Kim zu.

In den Händen hielt er ein merkwürdiges Gebilde, dessen Hauptbestandteil eine Klopapierrolle war. An einem Ende waren zwei silbern glänzende CD-Scheiben befestigt, in deren Mitte ein grünes Lämpchen blinkte.

Ben stellte die Konstruktion vor Kim auf den Tisch. »Für dich. Das ist das Raumschiff, mit dem die Aliens in eurem Buch die Erde bombardieren.« Er hob die Klorolle schräg an. Zwei kleine Täfelchen rutschten heraus. »Mit Vollmilch-Nuss-Schokolade!«

»Viel Glück bei der Lesung«, krähte Lukas.

Die Jungen machten auf dem Absatz kehrt und rannten zur letzten Stuhlreihe. Lukas zog einen Mini-Fußball aus der Hosentasche und kickte ihn Ben zu.

»Danke, Jungs!«, rief Kim. Amüsiert betrachtete sie das Klorollenraumschiff. Manchmal waren ihre Brüder wirklich süß.

»Ben. Lukas. Benehmt euch!«, schallte es plötzlich durch die Bibliothek.

Kim musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass der Schatten, der im Blitztempo auf die beiden zueilte, ihre Mutter war. Ihre Stimme war unverkennbar: kräftig, durchdringend, Jahrzehnte geschult durch ihren Beruf als Lehrerin und Schulleiterin.

Frau Jülich stoppte den Fußball mit einem Ausfallschritt, hob ihn auf und stopfte ihn in ihre Handtasche. »Bitte setzt euch.«

»Menno«, maulten Ben und Lukas gleichzeitig, ließen sich aber sofort auf zwei Stühle fallen. Die Jungen verschränkten gleichzeitig die Arme vor der Brust und schoben das Kinn vor.

Ihre Mutter kam mit geröteten Wangen zu Kim an den Tisch. »Hallo, mein Schatz! Papa ist auch gleich da, er sucht noch einen Parkplatz.« Sie beugte sich zu Kim und gab ihr zwei Küsschen auf die Wangen. »Ganz viel Glück! Ich bin so stolz auf dich.« Irritiert sah sich Frau Jülich um. »Wo steckt David denn? Die Lesung fängt doch gleich an.«

Kim blickte nervös auf ihr Handy. »In genau acht Minuten. David wollte nur kurz zur Toilette. Das ist jetzt allerdings schon eine ganze Weile her.« Sie wuschelte sich durchs Haar. »Ich schau mal nach.«

Alarm

Die Toiletten befanden sich im Kellergeschoss des Schlösschens. Kim sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab. Kurz darauf hatte sie den letzten Absatz erreicht und spähte durch das verschnörkelte Gitter am Geländer in den langen Gang vor ihr. Wo steckte David?

Dann sah sie ihn. Ihr Freund kniete in gebeugter Haltung am Boden. Mit einer Hand hielt er sich an der Heizung fest, die andere Hand steckte darunter.

»Was ist passiert?«, rief sie entsetzt und rannte, so schnell sie konnte, zu ihm.

David riss den Kopf hoch. »Kim!« Er zog seinen Arm unter der Heizung hervor und rappelte sich auf. »Wir sind zusammengestoßen und die Noten sind aus der Tasche gefallen.«

Erst jetzt bemerkte Kim, dass da noch eine weitere Person war. Es war ein dunkelhaariger, ungefähr sechzehn oder siebzehn Jahre alter Junge. Er kniete in einigen Metern Entfernung ebenfalls auf dem Boden. In einer Hand hielt er einen Stapel zerknitterter Papiere.

»Hi«, sagte der Junge mit einem schiefen Lächeln. Er schob die Papiere ins Außenfach einer großen Tasche, die an der Wand lehnte. »Ist blöd gelaufen. Aber jetzt haben wir alles wieder beisammen, glaube ich.« Er stand auf und pustete sich die Haare aus der Stirn. Eine kleine Narbe blitzte am Haaransatz auf. »Ich muss los, sonst komme ich zu spät zum Akkordeonunterricht.«

David nickte. »Tut mir echt leid. Ich hab einfach nicht aufgepasst.«

Kim unterdrückte ein Lächeln. Ihr Freund war manchmal etwas tollpatschig. Zum Glück war bei seinen kleinen Unfällen bisher nie etwas Ernsthaftes passiert. Auch jetzt schien alles glimpflich abgelaufen zu sein.

Wie zur Bestätigung antwortete der Junge: »Kein Problem. Die Tür hat ja nur den Akkordeonkoffer getroffen und nicht meinen Kopf.« In einer fließenden Bewegung schwang sich der Junge den schwarzen Kasten über die Schulter und lief los. »Macht’s gut!«

»Warte!«, rief David. »Du musst hier die Treppe rauf. Die Räume der Musikschule sind im zweiten Stock.«

Der Junge blieb stehen. »A…ach so«, stotterte er. »Danke, ich bin zum ersten Mal hier. Tschüss!« Er machte kehrt und lief zur Treppe.

Sekunden später war er aus ihrem Blickfeld verschwunden.

»Wie spät ist es?«, fragte Kim.

»Wir haben noch fünf Minuten.«

»Nichts wie los!« Kim lief zur Treppe. Beim Vorbeigehen sah sie einen kleinen roten Gegenstand unter der Heizung hervorblitzen. Sie bückte sich und zog ein dünnes Aufgabenheft hervor. »Das gehört bestimmt dem Akkordeon-Jungen. Wir bringen es ihm schnell.«

David schüttelte den Kopf. »Dafür ist keine Zeit. Wir legen es einfach auf den Tresen hier bei der Garderobe.«

Kim nickte hektisch und platzierte das Heftchen gut sichtbar auf der Theke.

Dann rannten sie los.

Jens-Dieter Rohloff kam ihnen am Eingang zur Bibliothek entgegen. Er machte ein besorgtes Gesicht. »Ich wollte euch gerade suchen gehen. Was war denn los?«

David winkte ab. »Nur ein kleines Missgeschick.« Er fasste Kim an der Hand. »Dann wollen wir mal!«

»Prima.« Der Autor eilte zu seinem Pult.

»Fast alle Plätze sind besetzt«, stellte David zufrieden fest, während sie nach vorne zum Lesungstisch liefen.

Kim nickte. Ihr war beim ersten Anblick des tuschelnden und gespannt wartenden Publikums nicht ganz wohl gewesen. Aber nun entdeckte sie so viele bekannte Gesichter, die ihr freundlich zulächelten, dass sie zunehmend ruhiger wurde. Franzis Familie war da, die Eltern von Marie und sogar Charlotte, Lena und Mona vom Schreibworkshop waren gekommen.

Kim setzte sich und atmete tief durch. David schob das Manuskript näher zur Tischkante.

Jens-Dieter Rohloff sprach ein paar kurze Begrüßungsworte, das Publikum klatschte. Leise setzten die Fanfarenklänge ein und das Licht wurde gedimmt. Kim konzentrierte sich auf den Text, der im Schein der kleinen Leselampe vor ihr lag.

Die Trommelwirbel wurden schneller. Dann folgte ein letzter Paukenschlag. Rohloff stoppte die Musik.

Im Publikum herrschte gespannte Stille.

Kims Einsatz begann. Sie las einen Abschnitt vor, in der in einer Rückblende von Laurinas und Junos’ Kindheit auf dem paradiesischen Planeten Floralis III erzählt wurde.

Noch stärker als bei der Probe fühlten sich die Worte, die sie las, wie gute alte Bekannte an. Vertraute Bilder zogen an Kim vorüber und trugen sie sicher durch den Text.

Bald war Kim an der Stelle angelangt, an der die sorglose Kindheit von Laurina und Junos zu Ende war: »Der Komet raste mit Lichtgeschwindigkeit auf ihren Heimatplaneten zu.«

Rohloff ließ einige Stroboskop-Blitze durch die Bibliothek schnellen und spielte dramatische Hintergrundmusik ein. »Laurina wusste, dass es nur eine einzige Rettung gab. Sie mussten unverzüglich den Raumgleiter starten. Auch wenn weder sie noch Junos jemals ein Modell mit Meteoritbeschleunigung gesteuert hatten …«

Der durchdringende Klang einer Alarmsirene war plötzlich zu hören. Die schrillen Töne schraubten sich höher und höher.

Kim verstummte und sah verunsichert zu Rohloff. So hatten sie das vorhin nicht geprobt. Außerdem war der Ton dermaßen laut, dass sie unmöglich dagegen anlesen konnte.

David winkte dem Autor.

Rohloff hob die Hände und machte ein fragendes Gesicht. Licht und Musik erstarben, das Sirenenheulen blieb.

Das Publikum wurde unruhig.

Im nächsten Moment wurde die Tür zur Bibliothek aufgerissen und ein Mann in einem grauen Arbeitskittel trat mit energischen Schritten ein. »Der Feueralarm wurden ausgelöst!«, rief er gegen die Sirenen an. »Bitte bewahren Sie Ruhe und verlassen Sie umgehend das Gebäude. Sammelpunkt ist der Platz vor der Steinbrücke.«

Die Leute fingen an, aufgeregt zu tuscheln, und erhoben sich von ihren Sitzen.

Kim sprang auf und sah sich alarmiert um. Sie schnupperte in die Luft, konnte aber keinen Brandgeruch ausmachen.

Franzi und Marie waren ebenfalls aufgestanden und warfen Kim besorgte Blicke zu.

Die Leute strömten nun aus der Bibliothek hinaus in den Gang. Zum Glück gaben der Hausmeister und Jens-Dieter Rohloff geschickt Anweisungen, sodass keine Panik ausbrach.

Die Flügeltüren zum roten Saal waren weit geöffnet, die Leute schoben sich zwischen den Vitrinen mit den Puppen hindurch zum Treppenhaus. Die alten Stufen aus Holz knarrten und ächzten unter der Last der Menschenmenge.