Die Drei auf der Platte - Paul Rosenhayn - E-Book

Die Drei auf der Platte E-Book

Paul Rosenhayn

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Beschreibung

Der Band umfasst sechs Kriminalerzählungen um Paul Rosenhayns berühmten Detektiv Joe Jenkins: "Die Drei auf der Platte", "Jenseits der Tür", "Das Telephongespräch", "Das Tor der Tränen", "Der unsichtbare Gast" und "Die Dame mit der Zigarette". In der Titelerzählung "Die Drei auf der Platte" sucht eine junge Fotografin Joe Jenkins auf und fragt ihn um Rat in einer seltsamen Angelegenheit: Sie hat den Auftrag erhalten, ein ganz bestimmtes Foto zu machen. Gemeinsam mit ihrem Auftraggeber wartet sie vor einem bestimmten Gebäude auf der Straße, bis zwischen zwei Apfelhändlern ein heftiger Streit entsteht. Als ein dritter Mann zu ihnen tritt, um zu schlichten, erhält sie den Auftrag zur Fotografie: "Die Drei müssen auf die Platte." Abends um neun will ihr Auftraggeber die belichtete Aufnahme abholen. Zufällig trifft sie nachmittags einen bekannten Fotografen, der zwei Tage zuvor genau denselben Auftrag erhalten hat: sich streitende Apfelhändler; der Mann der dazwischentritt; das Foto. Doch bevor er sein Foto dem Auftraggeber hatte übergeben können, wurde ihm die Platte gestohlen. Als sie dann auch noch erfährt, dass auch noch ein dritter Fotograf, am Vortag, das gleiche Bild gemacht hat und daraufhin brutal in seinem Labor überfallen und beraubt wurde, fürchtet sie um ihr Leben. Joe Jenkins beginnt seine Ermittlungen ... Die fünf anderen Erzählungen stehen der ersten an Spannung und Originalität nicht nach. Krimis für Kenner und Feinschmecker!-

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Die Drei auf der Platte

Sechs Abenteuer des Joe Jenkins

Paul Rosenhayn

31. bis 40. Tausend

Die Drei auf der Platte

© 1919 Paul Rosenhayn

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711592564

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Die Drei auf der Platte

〈Kopenhagen〉

Der Portier des Hotels „Kongen af Danmark“ trat in die Lounge. „Hier ist die Dame, Mr. Jenkins“, sagte er, indem er ehrerbietig die Mütze zog.

Der Angeredete erhob sich.

Hinter der Eintretenden schloß sich geräuschlos die Tür. Der Portier warf noch einen neugierigen Blick durch die Glasscheibe und verschwand in dem Gewimmel der Gäste, die die große Halle des Hotels füllten. — — —

Der Amerikaner warf einen Blick auf die Karte, die er in seiner Hand hielt. „Fräulein Inge Birkelund?“ las er ab und blickte der jungen Dame fragend ins Gesicht. Sie nickte, indes ein leichtes Rot in ihre Wangen trat.

Der Detektiv ließ seine grauen Augen wohlgefällig auf der jungen Dame ruhen, die ihm in ihrer blonden Frische mit einer reizenden Mischung von Selbstbewußtsein und Befangenheit entgegenlächelte — ein Bild junger nordischer Schönheit. Das dunkelblaue Kleid war diskret und doch geschmackvoll geschnitten und verriet die Angehörige des guten Bürgerstandes.

„Wollen Sie nicht Platz nehmen?“

Die junge Dame nickte und ließ sich mit jener einfachen Sicherheit, die alle ihre Bewegungen zu kennzeichnen schien, in dem dargebotenen Korbsessel nieder, indem sie nachdenklich den Blick senkte.

Wieder sah Joe Jenkins flüchtig auf die Visitenkarte. „Sie sind Berufsphotographin, mein Fräulein?“

Inge Birkelund blickte auf und machte eine zustimmende Bewegung. „Ich habe ein kleines Atelier in der Tordenskjoldsgade.“

„Tordenskjoldsgade,“ wiederholte der Detektiv sinnend, „die ist, wenn ich nicht irre, ganz hier in der Nähe, am Kongens Nytorv?“

„Sie verbindet die City mit dem Hafen. Ich habe mich erst vor kurzem selbständig gemacht; es ist ein glücklicher Zufall, daß ich dies Atelier gefunden habe. Es liegt im vierten Stock, aber ich habe Fahrstuhl. Die Miete, die ich zahle, ist verhältnismäßig bescheiden — gleichwohl bin ich hier ganz in der Nähe des hauptstädtischen Verkehrs. Ich bin erst seit einem Vierteljahr selbständig; daher werden Sie sich denken können, daß die Aufträge noch recht spärlich fließen. Eine jede neue Bestellung bedeutet für mich immer ein kleines Fest.“

„Sehr begreiflich“, stimmte Joe Jenkins zu. „Und ich vermute: eine derartige Bestellung ist der Grund, der Sie zu mir führt?“

Die junge Dame sah den Amerikaner einen Augenblick schweigend an. Dann sagte sie langsam, indem sie tief Atem schöpfte:

„Ja, Mr. Jenkins. Eine Bestellung ist in der Tat der Grund. Eine Bestellung, die ich heute morgen erhalten habe und die mir mehr und mehr in einem unbegreiflichen — ja, ich möchte fast sagen: in einem unheimlichen Licht erscheint.“

„Es kam also, wenn ich recht vermute, heute Vormittag jemand zu Ihnen ins Atelier, um sich photographieren zu lassen?“

„Nein. Es handelte sich um eine Freiaufnahme.“

„… die Sie also, wie ich höre, so in Aufregung gebracht hat. Ist der Gegenstand der Aufnahme ein so seltsamer?“

„Im Gegenteil. Er ist denkbarst alltäglich.“

„Nun also …?“

„Es sind die Begleitumstände, die mich befremden — die mich in Angst versetzen.“

„Bitte erzählen Sie.“

Die junge Dame warf einen Blick in der Runde.

„Wir sind allein“, sagte der Detektiv.

„Es war heute morgen um halb zehn, als ein Herr zu mir kam und mich fragte, ob ich bereit sei, eine Freiaufnahme unter seiner Leitung zu machen. Es handle sich um eine scherzhafte Amateuraufnahme, und er müsse zur Bedingung machen, daß ich einen ganz kleinen Apparat benutze, so daß die zu Photographierenden die Aufnahme gar nicht gewahr würden. Ich erklärte dem Herrn, daß ich einen solchen Apparat nicht besitze.“

„Das habe ich mir ungefähr gedacht,“ sagte er lachend und zog aus seinem Paletot einen Kodak, den ich auf den ersten Blick als einen sehr teuren und kostbaren Apparat erkannte. Die Kamera war so klein, daß man sie bequem in ein Handtäschchen stecken konnte. „Wir werden das Bild eben nachher vergrößern,“ erklärte er, „das ist sehr einfach. Die Hauptsache ist, daß die Diskretion gewahrt bleibt, damit der Scherz nicht mißlingt. — — Ich muß Sie etwa für einen halben Tag in Anspruch nehmen,“ fuhr er fort. „Was verlangen Sie für diese Zeit?“

„Fünfzig Kronen“, sagte ich.

Mein Besucher lächelte. Dann gab er mir zur Antwort: „Sie sind zu bescheiden, mein Fräulein.“

Also kurz und gut, wir einigten uns auf Dreihundert Kronen. „Ich wünsche gute Arbeit und zahle guten Preis,“ erklärte mein Besucher. Und ich — nun, ich hatte keinen Grund, darüber böse zu sein.“

„Natürlich nicht. Nannte der Herr seinen Namen?“

„Nein. ‚Die Hauptsache ist‘, so erklärte er, ‚daß Sie genügend Zeit mitbringen, um einige Stunden mit mir warten zu können. Denn ich kann Ihnen nicht genau sagen, wann die Aufnahme stattfinden wird. Wollen Sie die Güte haben, sich sofort anzukleiden und mit mir zu kommen? Mein Wagen hält unten. Und damit Sie nicht etwa ein Risiko fürchten: hier sind Hundert Kronen als Anzahlung.‘“

Mir schwindelte es ordentlich im Kopf. Das war ein Glücksfall, wie ich ihn bei meiner kurzen Praxis nie zu erhoffen gewagt hätte! Ich nahm schleunigst Hut und Mantel, und fünf Minuten später saßen wir beide in einem Auto, das vor der Tür gewartet hatte.

Die Fahrt ging durch den Westen von Kopenhagen, am Oerestedspark vorüber nach der Vorstadt St. Jörgens. Hier, an einem kleinen Wäldchen, gegenüber der Danebrogsgade, hielt das Auto. Mein Begleiter drückte auf den Ball: ‚Hier wollen wir warten‘ und ließ das Fenster herunter.

Die Danebrogsgade war um diese Morgenstunde durchflutet von wimmelndem Geschäftsverkehr, erfüllt vom ohrenbetäubenden Lärm der Ausrufer und der Karrenhändler. Ich warf einen Blick auf mein Gegenüber. Mein generöser Kunde saß ruhig auf seinem Platze und blickte gleichmütig auf das Treiben vor uns. Man sah, daß ihn das alles nicht interessierte.

Die Zeit verstrich unendlich langsam. In der Nähe ist die Matheuskirche; ich hörte jede Viertelstunde schlagen. Allmählich wurde ich müde und hungrig. Aber auch daran hatte mein Besucher gedacht. Er zog eine große Rolle Schokolade aus der Tasche und bot mir von den staniolumwickelten Talerstücken soviel an, wie ich wollte. „Nehmen Sie nur, das vertreibt den Hunger und erhält frisch und munter.“

Plötzlich, es mochte fast zwölf Uhr sein, sah ich, wie er zusammenzuckte. Ich folgte der Richtung seines Blickes, aber ich konnte beim besten Willen nichts besonderes entdecken — höchstens, daß ein paar Leute in den Häusern aus- und eingingen, die er unverwandt anzustarren schien.

Wieder verging eine lange Zeit, während der sich nichts ereignete.

Zwei Karrenhändler erschienen aus entgegengesetzten Richtungen und faßten, uns gerade gegenüber, Posto, just vor einem der Häuser, die mein Begleiter so gespannt betrachtete. Und wieder sah ich etwas Seltsames: in dem Augenblick, da er der Karrenhändler, die große Berge von Äpfeln auf ihren Wagen hatten, ansichtig wurde, bemerkte ich, daß er einen unruhigen Blick zu mir hinüberwarf. Die beiden Verkäufer fingen an, ihre Waren auszurufen, um die Vorübergehenden anzulocken. Hin und wieder blieb einer stehen. Bald bei diesem, bald bei jenem, um ein paar Äpfel zu kaufen. Sei es nun, daß der eine von ihnen eine größere Lungenkraft entwickeln mochte als der andere, sei es, daß das Aussehen seiner Waren überzeugender war: kurz und gut, der eine mochte wohl Grund haben, auf den anderen wütend zu sein — denn plötzlich lagen sich die beiden in den Haaren, wobei sie sich gegenseitig mit einem unglaublichen Stimmenaufwand anschrien. Ein paar Leute blieben stehen, teils amüsiert, teils ängstlich. Die beiden wälzten sich raufend auf dem Trottoir und boxten sich nach allen Regeln der Kunst. Fenster wurden aufgerissen. Amüsierte Gesichter blickten hinunter. Zurufe schwirrten durch die Luft. Endlich, nachdem die beiden ihre „Aussprache“ für erledigt halten mochten, gingen sie wieder, als ob nichts geschehen wäre, an ihre Karren, um weiter zu verkaufen.

Wir beide, mein Gegenüber und ich, beobachteten diese Szene mit einem begreiflichen Interesse. Plötzlich berührte mich mein Nachbar am Arm und sagte halblaut mit einer Stimme, deren Zittern ich deutlich spürte:

„Stellen Sie Ihren Apparat ein und halten Sie sich bereit.“

Ich zuckte halb erschreckt, halb verwundert zusammen und tat wie mir befohlen war: ich schätzte die Helligkeit des Lichtes ab, um die Irisblende entsprechend einzustellen; dann blickte ich fragend auf meinen Auftraggeber — denn ich wußte vorläufig gar nicht, wohin ich den Apparat zu richten hatte.

„Nehmen Sie jenes Haus ins Objektiv,“ murmelte er, „so daß die beiden Karrenhändler mit auf das Bild gelangen.“

Ich nickte, denn nun erkannte ich deutlich den scherzhaften Zweck unserer Expedition — das Bild sollte wohl eine komische Type aus dem Volksleben werden. So saß ich schweigend, immer den Gummiball in der Hand, als plötzlich zu meinem Erstaunen die beiden Karrenhändler, ohne daß ich hätte sagen können, warum, sich wieder in den Haaren lagen. Diesmal schrien sie sich zwar nicht an, dafür prügelten sie sich aber um so heftiger. Niemand wagte, dazwischen zu treten, als plötzlich ein Herr aus dem Hause trat, auf das ich meinen Apparat gerichtet hatte, und auf die beiden Männer zuging, sichtlich in der Absicht, den Schiedsrichter zu spielen.

„Los!“ kommandierte mein Kunde in diesem Augenblick, „die Drei müssen auf die Platte.“

Ich drückte auf den Ball — die Aufnahme war gemacht.

Fast im selben Augenblick gab mein Auftraggeber dem Chauffeur das Zeichen durch den pneumatischen Apparat, und a tempo sausten wir davon. Ich beugte mich ein wenig aus dem Fenster und konnte noch konstatieren, daß der Fremde sein Schiedsrichteramt mit bewundernswürdiger Schnelligkeit ausgeübt hatte: die beiden Karrenhändler hatten einander den Rücken gedreht und schickten sich an, abzuziehen. Der Herr selbst war verschwunden — er mochte vielleicht in jenen Wagen gestiegen sein, der dort drüben gestanden hatte und der nun in rasender Fahrt zur Stadt fuhr — in der gleichen Richtung wie wir, kaum zweihundert Schritt hinter uns. Wieder drückte mein Nachbar auf den Signalball: der Chauffeur schaltete die letzte Geschwindigkeit ein, und wir sausten in einem Tempo durch die Vesterbrogade, daß der Wagen hin und herschleuderte, so daß ich ein paarmal fürchtete, wir würden umwerfen.

Mein Begleiter hatte während der ganzen Zeit die Hände in den Taschen gehabt. Jetzt zog er die Linke aus dem Paletot und nahm behutsam die Kassette mit der Platte aus dem Apparat, indem er sie mir hinüberreichte. Dabei warf ich einen erstaunten Blick auf seinen rechten Arm, und erst jetzt erkannte ich, daß ihm die rechte Hand fehlte. Ein zweckloser Handschuh, der in der Tasche angenäht zu sein schien, baumelte an dem Armstumpf. Er sah meinen Blick und lächelte ein wenig. „Nun werden Sie begreifen, warum ich diese leichte Aufnahme nicht selbst gemacht habe,“ nickte er. „Mir fehlt die rechte Hand.“

Joe Jenkins zog ein kleines goldenes Etui aus der Westentasche und knipste es auf. „Rauchen Sie?“

„Danke.“ Die junge Dame zog behutsam eine der kleinen dünnen Zigaretten aus der Dose. „Ich bemerkte noch, daß mein Begleiter mehrere Male durch die Rückscheibe sah.“

„Vielleicht spähte er nach dem andern Auto?“

„Fast schien es mir so. Einmal glaubte ich zu hören, wie er erleichtert aufseufzte. Ich warf einen schnellen Blick durch das kleine Fenster im Fond — von dem andern Auto war nichts mehr zu sehen. Mit einer Stimme, aus der es fast wie frische Zuversicht klang, fragte er: „Soll ich Sie nach Hause fahren, in die Tordenskjoldsgade?“ Ich schüttelte den Kopf. „Es ist Zeit, zum Essen zu gehen. Ich nehme meine Mahlzeiten in einem kleinen Restaurant in der Ny Adelgade.“

„Das Königliche Theater tauchte auf. Links drüben,“ bat ich. „Es genügt, wenn Sie die Güte haben würden, mich an der Ecke der Ny Adelgade abzusetzen.“

Das Auto stoppte auf das gegebene Zeichen. Mein Kunde öffnete den Schlag, stieg aus und half mir aus dem Wagen. Dann blickte er in die kleine Gasse hinein. „Also nicht wahr: Sie machen einen Abzug, einen einzigen — nicht mehr. Ja, allen Ernstes, um das eine muß ich Sie bitten: daß Sie nicht etwa für sich selbst — sozusagen zu Ihrem Privatvergnügen — eine zweite Kopie anfertigen. Mir liegt aus verschiedenen Gründen daran, die ich Ihnen so schnell nicht auseinanderzusetzen vermag.“

Ich war fast ein wenig gekränkt. „Mit dem besten Willen wüßte ich nicht, was mich an dieser Aufnahme so sehr interessieren könnte,“ sagte ich kühl.

„Nun, nun,“ lenkte er begütigend ein und lächelte, „es wäre ja schließlich kein Verbrechen. Wann kann ich mir den Abzug holen?“

„In drei Stunden kann er fertig sein.“

Er blickte auf die Uhr. „Nun, sagen wir: ich werde heute abend punkt neun Uhr bei Ihnen sein.“

„Dann stieg er in das Auto und sauste in der Richtung nach der Bredgade davon.

Das kleine Restaurant in der Ny Adelgade, in dem ich zu essen pflege, gehört zum Klubhaus des Vereins der dänischen Photographen, dessen Mitglied ich bin. Ich esse dort gut und billig, und außerdem habe ich Gesellschaft: denn es verkehren ausschließlich Berufsgenossen dort, Leute, die ich kenne und mit denen mich gemeinschaftliche Interessen verbinden.“

Der Amerikaner nickte: „Und nun ereignete sich etwas, was Ihnen dieses harmlose Erlebnis plötzlich in einem andern Lichte erscheinen ließ?“

Die junge Dame senkte den Kopf. „Ja, Mr. Jenkins.“

„Wollen Sie nicht endlich anzünden?“ schlug der Detektiv lächelnd vor; „es spricht sich besser bei einer dampfenden Queen — und vor allem: ruhiger.“

„Ich danke sehr.“ Die junge Dame tat ein paar hastige Züge und nahm die Zigarette im nächsten Moment wieder zwischen die Finger.

„Der Raum war, wie immer um diese Zeit, überfüllt. Ich ging suchend durch die Reihen, begrüßte hier und dort einen Bekannten und fand endlich an einem Tischchen Platz, an dem zwei Kollegen saßen. Der eine von ihnen war beim Dessert, der andere las bereits eifrig die „Politiken“. Den ersteren kannte ich flüchtig — den anderen gar nicht. Der Kellner erschien; ich suchte mir ein paar Leckerbissen aus und bestellte obendrein zur Feier des Tages eine Flasche Wein.

Mein Bekannter, der manchmal beobachtet hatte, wie einfach ich zu essen pflege, sah mich von der Seite an. Endlich sagte er neckend: „Nun, Fräulein Birkelund, mir scheint, Ihre Geschäfte entwickeln sich.“

Ich lachte. „Es geht, Gott sei Dank. Ich habe heute auf einen Schlag Dreihundert Kronen verdient.“

Der Herr, der die „Politiken“ studierte, beugte sich plötzlich um die Zeitung herum und sah mich mit einem forschenden Blicke an, um gleich darauf seine Lektüre wieder aufzunehmen.

„Dreihundert Kronen,“ wiederholte mein Bekannter. „Alle Achtung! Das war wohl eine besonders schwierige Aufnahme?“

„Durchaus nicht,“ gab ich lachend zur Antwort; „eine ganz einfache Geschichte: ich habe an der Danebrogsgade ein Haus photographiert, vor dem sich zwei Apfelhändler balgten.“

„Und dafür,“ fragte mein Bekannter erstaunt zurück, „Dreihundert Kronen?“

Plötzlich ließ der Lesende sein Zeitungsblatt fallen und starrte mir mit unverhohlener Bestürzung ins Gesicht. „Dreihundert Kronen,“ wiederholte er und seine Stimme zitterte, „zwei Apfelhändler, die sich balgen … aber das ist ja …“

„Nun, was soll das sein?“

„Das ist ja genau derselbe Auftrag, den ich vor drei Tagen hatte. Und genau dasselbe Honorar. Nur daß die Aufnahme nicht an der Danebrogsgade vor sich ging, sondern am Botanischen Garten.“

Nun war die Reihe sich zu wundern, an mir. Ich erzählte kurz den Verlauf des Vormittags, und fast bei jedem Worte nickte er: „Ganz so,“ murmelte er ein paarmal, „ganz so … ein untersetzter gutgekleideter Herr, dem die rechte Hand fehlte — ein Kodak, den er mitgebracht hatte — ein paar Stunden Wartezeit im Auto — zwei Apfelhändler, die sich balgen — ein Mann, der dazwischen tritt — in diesem Moment die Aufnahme — Hundert Kronen Anzahlung —“

„Jetzt verstehe ich,“ fiel ihm mein Bekannter lachend ins Wort, „Sie haben Ihre restlichen zweihundert Kronen nicht erhalten!“

„Doch, doch. Davon ist keine Rede.“

„Nun, worüber regen Sie sich da auf? Irgendein spleeniger Amateur, der auf diese Weise Zeit und Geld totschlägt.“

„Schon möglich. Aber nun kommt das Seltsamste von allem: die Platte ist mir am selben Abend durch einen Einbruch entwendet worden, kurz bevor der Besteller sie abholen wollte. Ja, das Merkwürdigste ist: nichts anderes wurde gestohlen als diese Platte — weder Geld, das ganz in der Nähe lag, noch Wertsachen noch irgendeine andere Platte oder dergleichen. Nichts als diese eine Platte und der Abzug.“

„Vielleicht hat dieser spleenige Herr gar selbst den Einbruch ausgeführt.“

„Nein. Er kam zu der verabredeten Zeit. Als ich ihm erzählte, daß der Abzug und die Platte fort seien, wurde er totenbleich — ja, ich hatte den Eindruck, als ob ihn die Nachricht in furchtbare Bestürzung versetzte. Er bezahlte mir gleichwohl den Rest und ging.“

„Einen Moment,“ unterbrach der Amerikaner die Sprechende, „wie hieß dieser Kollege? Hat er sich Ihnen vorgestellt?“

„Es war ein Herr Christophersen, Jens Christophersen.“

„Gut.“

„Ich muß gestehen: was ich hier eben gehört hatte, versetzte mich in eine eigentümliche Bestürzung. Nicht als ob ich Furcht gehabt hätte — aber der Gedanke an etwas Seltsames, an etwas Unbegreifliches tauchte plötzlich in mir auf. Was für ein merkwürdiger Mensch war das, der in Kopenhagen Aufnahmen machte von einer so banalen Szene — von der Balgerei zweier Apfelhändler! Ja, und nicht dies allein: der offenbar genau wußte, daß diese Balgerei mit Sicherheit in einer der nächsten Stunden zu erwarten war — der sich an Ort und Stelle einfand, um seinen Moment abzuwarten. Und dann — der andere — wer konnte ein Interesse daran haben, ihm diese Aufnahme durch Gewalt wieder zu entreißen — war das wirklich so harmlos? — oder steckte dahinter etwas ganz anderes?“

„Der Wirt ging durch die Reihen. Schon von weitem glaubte ich zu erkennen — an seinen heftigen Bewegungen, an seinem geröteten Gesicht —, daß er in Aufregung war. Hier und da blieb er stehen, um mit einigen Bekannten ein paar Worte zu wechseln, und jedesmal beobachtete ich, daß man ihn erstaunt anblickte. Endlich kam er an unsern Tisch. „Was gibt’s, Herr Hansen?“ fragte Christophersen.

„Eine unerhörte Geschichte,“ murmelte der Wirt. „Sie kennen doch Herrn Wingaard?“

„Wingaard?“ wiederholte Christophersen, „aber natürlich — der das Atelier am Toldboden hat?“

„Ganz recht.“

„Was ist’s mit Herrn Wingaard?“

„Er ist gestern abend überfallen worden. Er war mehrere Stunden besinnungslos und liegt noch jetzt schwerkrank im Bett. Die Polizei war sofort zur Stelle — aber sie konnte weder einen Grund noch einen Zweck für diesen Überfall finden — denn es fehlt nichts.“

Plötzlich fühlte ich, wie mich Christophersen von der Seite ansah. Etwas Zwingendes lag in diesem Blick, der mich förmlich durchdrang. Ich fühlte: Christophersen wünschte meinem Blick zu begegnen. Mit unendlicher Mühe hob ich endlich den Kopf — langsam; meine Lider waren plötzlich schwer und starr geworden. Ich sah Christophersen zitternd an — und da las ich in seinen Augen eine bange Frage. Wie durch einen Nebel sah ich sein Gesicht, das mir zunickte, und wie aus weiter Ferne hörte ich seine Stimme, die zu zittern schien:

„Wir wollen zu Wingaard fahren.“

Mechanisch, wie in einem beklommenen Traum, erhob ich mich. — — —

Die Wirtin empfing uns mit bekümmerter Miene und führte uns behutsam auf den Zehenspitzen zum Krankenzimmer.

„Er ist bei Bewußtsein,“ flüsterte sie. „Aber regen Sie ihn um Gotteswillen nicht auf; der Arzt hat äußerste Schonung befohlen.“ Damit öffnete sie die Tür und ließ uns beide, Christophersen und mich, eintreten.

Der Kranke lag mit geschlossenen Augen in den Kissen. Um seinen Kopf war ein breites weißes Tuch geschlungen, das die Blässe seines Gesichtes noch unterstrich.

Eine Zeitlang standen wir schweigend und blickten ihn an. „Er ist wach,“ flüsterte Christophersen mir zu, „sehen Sie, wie die Pupillen unter den Lidern hin- und herwandern.“

Ich legte behutsam die Hand auf seinen Arm. „Herr Wingaard …“, sagte ich leise …

Er schlug erschreckt die Augen auf und blickte uns verstört an. Dann ging ein Ausdruck des Erkennens über sein Gesicht; in seine Miene trat es wie ein leises Lächeln, und mit schwacher Stimme flüsterte er:

„Das ist recht, daß ihr gekommen seid.“

Die Wirtin öffnete die Tür und schob uns zwei Stühle hin. Sie warf einen Blick auf den Kranken, dessen Augen verlangend auf das kleine Tischchen gerichtet waren; sie nickte verstehend und goß ein Glas Sherry ein, das sie ihm reichte. Er trank es in drei Zügen aus, und ein freundlicheres Rot trat gleich darauf in sein Gesicht. Seine Stimme war merklich fester, als er wieder zu sprechen begann.

„Was sagt ihr zu dieser Geschichte? Ein Überfall auf einen — auf einen kleinen Photographen! Wenn so was einem reichen Manne passiert … das könnte man allenfalls begreifen; aber ein armer Teufel …“

Christophersen griff nach Wingaards Hand und drückte sie warm. „Es tut uns allen sehr leid, lieber Kollege,“ sagte er herzlich. „Ein so harmloser Kerl wie Sie, der keiner Fliege was zuleide tut! Von einem Racheakt kann wohl im Ernst keine Rede sein — denn wer sollte Ihnen wohl grollen, Wingaard? Man möchte beinahe annehmen: das war die Tat eines Verrückten. Denn da auch nichts gestohlen worden ist …“

Der Kranke schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nichts abhanden gekommen. Wenigstens nichts, was irgendwelchen Wert hätte.“

„Also doch?“ fragte ich beklommen, „etwas fehlt doch?“

„Ja,“ antwortete er, und der Hauch eines Lächelns ging wieder über sein Gesicht. „Die Polizei war heute früh hier, um eine Art Inventur zu machen. Nichts fehlt — nichts, außer …“

„… außer — — —?“ fragten wir beide atemlos.

„… außer einer photographischen Platte, die ich in der Tasche trug.“

Christophersen wandte den Kopf zu mir herüber. Ich fühlte, wie mir ein eiskalter Strom ins Gehirn schoß. Ein Dröhnen bohrte sich mir in die Ohren, wie das Brüllen von hundert Maschinen; ein wahnsinniger Druck krampfte mir das Herz zusammen.

„Eine Platte,“ wiederholte ich mechanisch, „eine Platte und ein Abzug? War denn etwas so wichtiges darauf, daß sich ein derartiges Verbrechen lohnte?“ Meine Finger flogen hämmernd wie im Fieber gegen die Sprossen der Bettstelle, während ich ihm angsterfüllt ins Gesicht blickte.

Christophersen legte seine Hand auf die meinige und sah mir in die Augen. „Ruhe!“ las ich in seinem Blick.

Der Kranke warf sich unruhig herum, und ein plötzliches Rot trat in seine Wangen. „Nichts wichtiges,“ sagte er mit einer Stimme, die merklich schwächer wurde. „Nichts wichtiges. Im Gegenteil. Das ist ja das Komische an der ganzen Geschichte. Nichts als zwei Apfelhändler, die sich prügelten und ein dritter Mann, der dazwischentrat.“

„Ich hatte in diesem Moment das Gefühl, als ob die Decke des Zimmers sich mit einem bohrenden Knirschen auf mich zu bewege. Die letzten Worte des Kranken tönten mir zitternd, wie durch ein Echo verzehnfacht, höhnend und drohend in den Ohren. Ich wollte aufspringen. Christophersen zwang mich durch einen Druck, der mich fast aufschreien machte, sitzen zu bleiben.

Der Kranke murmelte etwas, was ich nicht verstand. Dann wandte er sich mit einer apathischen Bewegung zur Wand und schloß die Augen. „Fieber,“ flüsterte Christophersen. „Kommen Sie, wir wollen gehen.“ —

„Eine Zeitlang gingen wir schweigend die Lange Linie hinunter; ein jeder hing seinen Gedanken nach. Tausend Kombinationen blitzten mir durchs Hirn; tausend verwarf ich wieder. Nein, ich sah keinen Ausweg aus diesem Labyrinth, keine Erklärung für diese Unbegreiflichkeiten. Was auf den ersten Blick erscheinen mochte wie das läppische Gebaren eines harmlosen Narren, wuchs sich hier zu einem raffinierten Plan, zu einem verbrecherischen System aus. In diesem Wahnsinn lag Methode. Und was mir, offen gestanden, in diesem Moment am meisten auf die Seele fiel: ich selbst war in Gefahr. Ich selbst. Denn auch ich hatte eine solche Aufnahme gemacht; ja, ich hatte die Platte noch bei mir. Ich wandte mich verstört um. Vielleicht schlich das Unheil schon hinter mir her? Belauerte mich? Vielleicht war ich ihm in diesem Augenblick bereits verfallen?

Sollte ich sehenden Auges, mit verschränkten Armen, mich dem Verderben ausliefern?

Meine kleine Behausung in der Tordenskjoldsgade fiel mir ein — diese abgelegene stille kleine Dachwohnung. Und plötzlich graute mir vor meinen Räumen. Ich dachte an die Abendstunden, wenn die schweren Schatten über die Dächer Kopenhagens gingen — wenn ich allein über meinen Büchern saß …

„Ich kann nicht,“ sagte ich plötzlich. „Ich kann nicht in meine Wohnung zurückkehren. Um neun Uhr will er kommen. Bis dahin bin ich allein.“

Christophersen war schweigend neben mir hergeschritten, ohne mit einem Wort meinen inneren Kampf zu unterbrechen. Plötzlich sagte er, indem er stehen blieb:

„Joe Jenkins ist hier. Ich las es gestern in der Zeitung.“ —

Der Detektiv, der mit langsamen Schritten im Zimmer hin und her gegangen war, blieb stehen und wandte sich zum Fenster. Dort unten brauste das wimmelnde Treiben des Kongens Nytorv. Spärlicher Schnee lag auf den Bosketts. Das Licht der scheidenden Wintersonne fiel schräg in das dunkelnde Zimmer und umspielte die reinen Züge des jungen Mädchens, deren Augen mit ängstlicher Spannung an dem Gesicht des Amerikaners hingen.

„Eine seltsame Geschichte,“ sagte er. „Weiß Gott — eine der seltsamsten, die mir je vorgekommen sind. Soweit es in meinen Kräften steht, will ich natürlich gern versuchen, Ihnen zu helfen.“ Die junge Dame stand auf, blickte dem Amerikaner ins Gesicht und reichte ihm die Hand. „Ich danke Ihnen, Mr. Jenkins. Mir fällt ein Stein vom Herzen, das dürfen Sie mir glauben.“

„Also um neun Uhr will der Besteller kommen, um das Bild zu holen. Natürlich werde ich Sie nicht allein lassen. Was ich zunächst brauche, sind die Adressen Ihrer beiden Kollegen, die vor Ihnen von diesem seltsamen Herrn in Anspruch genommen wurden.“

„Jens Christophersen wohnt Thorvaldsenvej 16; Alex Wingaard am Toldboden 173.“

Der Detektiv schrieb die Adressen in sein Notizbuch. „Noch eins: wissen Sie vielleicht die Plätze, an denen die Aufnahmen stattgefunden haben?“

Die junge Dame sann nach. „Das Haus, das ich photographiert habe, hatte die Nummer Danebrogsgade 6,“ sagte sie. „Die beiden anderen weiß ich nicht — aber ich glaube, Christophersen erzählte mir etwas vom Botanischen Garten.“

Joe Jenkins klappte sein Notizbuch zu: „Ich werde versuchen, von den beiden Herren selbst Näheres zu erfahren.“

„Was soll ich jetzt tun, Mr. Jenkins?“

„Nun — Sie müssen wohl zunächst die Platte entwickeln. Vielleicht ist es Ihnen möglich, dies an einer neutralen Stelle zu besorgen — vielleicht bei einem Ihrer Herren Kollegen?“

„Ich könnte zu meinem früheren Chef gehen, dem Photographen Ramsland in der Oestergade.“

„Gut. Machen Sie Ihre Arbeit fertig und holen Sie mich um halb neun ab.“

„Hier im Hotel?“

„Ja.“

Joe Jenkins stand am Fenster des kleinen Ateliers in der Tordenskjoldsgade und blickte schweigend auf die dunkle Straße hinunter.

Eben schlug es neun Uhr. Ein Wagen tauchte aus dem Nebel auf und hielt unten vor dem Hause. Das Licht der Laterne fiel auf einen Herrn, der ausstieg und mit langsamen Schritten ins Haus ging.

„Ist das Ihr Besteller?“

Die junge Dame bückte sich tiefer über die Fensterbrüstung und spähte hinab. „Ja,“ flüsterte sie mit klopfendem Herzen, „er ist es.“

Ein feiner Ton summte durch das stille Haus. „Der Fahrstuhl,“ sagte sie halblaut.

Türen schlugen. Man hörte eine tiefe Männerstimme und darauf die dienstbereite Antwort des Portiers. Dann schrillte die Flurglocke.

„Stellen Sie mich nicht etwa vor,“ sagte Joe Jenkins lächelnd; „ich bin nichts als Ihr Gehilfe.“

Inge Birkelund ging hinaus und öffnete. Ein untersetzter Herr von wohlhabendem Aussehen trat ein. „Guten Abend,“ sagte er. „Nun — ist unsere kleine Arbeit gelungen?“

„Gewiß,“ erwiderte die Photographin. „Hier ist die Platte, und hier ist der Abzug. Sie sehen, er ist sehr scharf und deutlich geworden.“

„Sehr gut,“ nickte der Fremde. „Hier sind die restlichen Zweihundert Kronen — — Ich muß eilen,“ setzte er hinzu, „denn ich habe noch Geschäfte.“ Damit legte er Platte und Abzug in seine Brieftasche und ging mit festen Schritten aus dem Zimmer.

„Mein Herr!“

Der Fremde drehte sich erstaunt herum. Joe Jenkins stand vor ihm.

„Sie wünschen?“

„Gestatten Sie mir eine Frage, mein Herr. Ich habe zwar nicht die Ehre, Ihren Namen zu kennen und ich habe auch kein Recht, danach zu fragen…“

„Darf ich also wissen — — —“ unterbrach ihn der andere.

„Ich bin der Gehilfe von Fräulein Birkelund. Es ist uns zufällig bekannt geworden, daß die Aufnahme, die sie heute früh gemacht hat, nicht die erste dieser Art ist — daß vielmehr zwei Aufnahmen der gleichen Art: zwei Apfelhändler, die sich balgen, schon von zwei anderen Kopenhagener Photographen gemacht worden sind.“

„Das ist meine Sache,“ entgegnete der Fremde in ziemlich hochfahrendem Ton. „Ich denke, das geht niemanden was an. Ich kann zu meinem Vergnügen so viel Aufnahmen machen lassen, wie ich will.“

„Sehr wohl. Aber es wird Ihnen weiter bekannt sein, daß sich an diese Aufnahmen seltsame Vorgänge geknüpft haben: das eine Mal ein Diebstahl; das zweite Mal ein Überfall, der um ein Haar zu einem Mord …“

„Ich weiß von nichts,“ entgegnete der Fremde in schroffem Ton. „Lassen Sie mich in Ruhe. Ich habe weder einen Diebstahl noch einen Mord begangen, das dürfen Sie mir glauben. Ich habe diese Aufnahme bestellt und habe sie bezahlt. Und ich denke, ich habe sie gut bezahlt. Adieu.“ Damit warf er die Tür hinter sich zu und ging an den Lift.

Der Treppenflur war leer. Der Portier hatte, offenbar aus Rücksicht auf den Besucher, den Fahrstuhl oben belassen und war zu Fuß die Treppe hinuntergegangen, um seinen Obliegenheiten nachzugehen.

„Wenn ich bitten darf.“ Inge Birkelund öffnete mit ihrem Schlüssel die Fahrstuhltür. „Treten Sie nur ein, mein Herr. Drücken Sie dann bitte auf den Knopf, auf dem ‚Parterre‘ steht und öffnen Sie unten beide Türen.“

„Ich danke“, sagte der andere kurz. Die Fahrstuhltür klirrte zu und der Lift glitt summend abwärts.

Als Inge Birkelund das Atelier wieder betrat, fuhr sie bestürzt zurück. Der Raum lag in tiefem Dunkel. „Was ist das? Wo sind Sie, Mr. Jenkins?“

Ein leises Lachen antwortete ihr. Vom Türrahmen her kam ein heller metallischer Ton — das Licht flammte wieder auf.

„Was bedeutet das?“

„Nichts. Nichts besonderes. Nur eine Meldung an meinen Assistenten auf der Straße, die ihm besagt: Achtung! Er kommt.“

„An Ihren Assistenten? Der Mann, der uns eben verläßt, wird also weiter beobachtet werden?“

Nur ein kurzes Lächeln ging statt aller Antwort über das Gesicht des Amerikaners.

„Soll ich Ihnen offen gestehen, Mr. Jenkins“, die Dame blickte zögernd zu ihm auf und ein leichtes Rot kam in ihre Wangen. „Ich hatte mich schon ein bißchen gewundert, daß Sie … den Herrn … wie soll ich sagen: aus den Augen gelassen haben.“ Der Detektiv nickte kurz. „Ich hatte ursprünglich beabsichtigt, ihn im Fahrstuhl hinunter zu geleiten. Aber Sie haben gehört, welch feindseligen Ton er anschlug, als ich mit ihm zu reden versuchte. Es war kein Zweifel: er hätte sich eine derartige Begleitung bestimmt verbeten. Darum verzichtete ich darauf — zumal mir daran lag, nicht seinen Argwohn zu erwecken.“

Joe Jenkins hatte dieses ganze Gespräch geführt, ohne die junge Dame anzusehen. Er stand in der Nähe des Fensters, und erst jetzt bemerkte Fräulein Birkelund, daß er unausgesetzt die Straße beobachtete.

„Aber das ist doch sonderbar …“ unterbrach er sich plötzlich.

„Was denn?“ fragte sie, durch den Ton seiner Stimme ängstlich gemacht.

„Nun … Ihr Kunde erscheint nicht.“

„Was heißt das?“

„Er muß längst unten sein. Aber ich warte vergeblich, daß er das Haus verläßt. Hat es etwa einen zweiten Ausgang?“

„Nein.“

„Sein Wagen steht noch immer regungslos an Ort und Stelle. Und der Chauffeur blickt unausgesetzt nach der Haustür — auch ihm fällt also das lange Ausbleiben seines Passagiers auf.“ Er drehte sich mit einer plötzlichen Bewegung um. „Sie entschuldigen mich. Wenn nicht alles täuscht, stimmt da etwas nicht.“

„Sie wollen mich verlassen, Mr. Jenkins?“

„Ich muß.“

Sie holte tief Atem und preßte die Hand auf das Herz. „Nein, ich bringe es nicht fertig, in dieser Unruhe allein zu bleiben.“

„Nun gut. Dann kommen Sie mit.“