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Justus, Peter und Bob haben es in diesem Doppelband mit zwei heißen Fällen zu tun. Da hilft nur eines: cool bleiben! Der Feuerteufel: Der Grusel-Autor Aaron Moore wird von einem dämonischen Feuerteufel bedroht und bangt um sein Leben. Können Justus, Peter und Bob den Fluch bannen? Sie kämpfen gegen Geister und Dämonen und gegen die vier Elemente. Ein auswegloses Unterfangen? Die drei ??? und der Feuergeist: Das kleine private Opernhaus Califia in Rocky Beach steht vor dem Aus. Zu allem Überfluss gehen im Keller des Gebäudes mysteriöse Dinge vor sich. Und dann bricht während einer Aufführung ein Großfeuer aus! War es Brandstiftung? Justus erkennt als Einziger, was sich tatsächlich hinter den Kulissen abspielt. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt!
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Seitenzahl: 303
Dämonen des Feuers
Kosmos
Umschlagillustration von Andreas Ruch, Düsseldorf
Umschlaggestaltung von der Peter Schmidt Group, Hamburg,
auf der Grundlage der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
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© 2022, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG,
Pfizerstraße 5–7, 70184 Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur
ISBN 978-3-440-50481-9
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Der Feuerteufel
erzählt von André Marx
Kosmos
Der Zombie starrte ihn aus nur einem hervorquellenden Auge an. Seine Haut war von Geschwüren übersät und hing in blutigen Fetzen vom Schädel. Der zahnlose Mund grinste und Peter glaubte seinen stinkenden Atem zu riechen. Schaudernd wandte er sich ab – und blickte in das Gesicht eines zähnefletschenden Werwolfs. Ein Vampir mit blutglänzenden Eckzähnen und ein blickloser Totenschädel rahmten ihn ein. Der Raum war gefüllt mit Gestalten, die schlimmer waren als seine furchtbarsten Albträume. Von allen Seiten grinsten zahnlose Münder, funkelten rot leuchtende Augen, schimmerten bleiche Schädel. Sie verfolgten jede Bewegung der Besucher, ohne sich selbst zu rühren. Peter erkannte einige Figuren aus dem Kino wieder: Darth Vader, Freddy Krüger, das Alien, der Killer aus ›Scream‹. Andere dagegen hatten mit Filmen nicht das Geringste zu tun. Sie waren einer ganz anderen Welt entsprungen, einer mythischen und äußerst düsteren. Ihre Züge waren grob, aus dunklem Holz geschnitzt und erinnerten weniger an Monster aus Hollywood als vielmehr an uralte Götter.
Peter blickte fasziniert in die schwarzen Augenhöhlen einer Göttermaske, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Er zuckte zusammen und fuhr herum. Hinter ihm stand ein Mädchen mit kurzen dunklen Haaren und grinste ihn an. Sie war vielleicht etwas jünger als er. Um den Hals trug sie ein auffälliges silbernes Medaillon, das mit geheimnisvollen Zeichen versehen war. Für einen Moment kniff sie die Augen hinter ihrer kleinen runden Brille zusammen, als überlegte sie, doch dann kehrte das Grinsen zurück.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte sie.
»Mich das nächste Mal nicht so erschrecken«, bat Peter. »Das ging mir durch und durch.«
»Ich weiß. Funktioniert immer.«
»Wundert dich das? In diesem Gruselkabinett kommt einem ja schon das Grausen, wenn man sich nur umsieht. Hier ist es wirklich unheimlich. Arbeitest du hier?«
Sie nickte und streckte ihm die Hand entgegen. »Roxanne Elfman. Der Laden gehört Kathy Goldenberg, der einzigen Maskenfachfrau von Santa Monica. Sie ist meine Nachbarin. Hin und wieder helfe ich ihr nach der Schule im Geschäft.«
»Peter Shaw«, stellte Peter sich vor.
»Ich weiß.«
Er runzelte die Stirn.
Roxanne lächelte. »Du bist einer der drei Detektive aus Rocky Beach, stimmt’s?«
»Äh … ja. Kennen wir uns?«
»Ich kenne dich«, erklärte Roxanne. »Aus der Zeitung. Ich habe schon öfter von euch gelesen. Ihr habt doch vor kurzem erst diesen Museumsfall aufgeklärt.«
Peter nickte, nicht ohne Stolz. »Stimmt. Darüber ist ein Artikel in der ›Los Angeles Post‹ erschienen.« Er verschwieg, dass Bobs Vater diesen Artikel geschrieben hatte.
»Es ist doch bestimmt wahnsinnig aufregend, als Detektiv zu arbeiten, oder?«
»Na ja«, antwortete Peter verlegen und spürte, dass er ein wenig rot wurde. »Das machen wir nur nebenbei. Schließlich gehen wir noch zur Schule. Und meistens rutschen wir eher zufällig in unsere Fälle hinein. Ich jedenfalls reiße mich nicht gerade darum.«
»Hast du nicht Lust mir ein bisschen was von euren Abenteuern zu erzählen?« Roxannes Augen leuchteten.
»Also …« Peter sah auf die Uhr. »Ich habe eigentlich nicht viel Zeit und wollte mich nur ein wenig umsehen. Diese Masken sind nämlich wirklich fantastisch. Woher kommen die alle?«
Roxanne konnte ihre Enttäuschung nur schlecht verbergen. Doch dann hob sie die Arme und machte eine weit ausholende Geste, die den Laden und die ganze Welt einschloss. »Von überall her«, verkündete sie stolz, als gehörte das alles ihr. »Mrs Goldenberg ist früher viel gereist und hat Masken aus der ganzen Welt zusammengetragen. Erst war es nur eine Sammlerleidenschaft, doch dann wurde nach und nach ein Geschäft daraus. Außerdem ist sie Handwerkerin. Ihre Werkstatt ist gleich nebenan. Einige der Masken hier hat sie selbst gemacht. Diese venezianische dort drüben mit dem Federschmuck zum Beispiel.«
»Die verkaufen sich bestimmt gut«, vermutete Peter.
»Geht so. Die meisten Leute interessieren sich nicht dafür. Ihr Geld verdient Mrs Goldenberg mit Hollywood, wie so viele in dieser Gegend. Frankenstein oder Dracula verkaufen sich hundertmal besser als die wirklich wertvollen Masken. Ich persönlich mag sie nicht besonders. Aber von irgendwas muss Mrs Goldenberg ja leben.«
Peter fühlte sich ertappt, denn auch er hatte zuerst auf die ihm bekannten Filmgesichter geachtet und alle anderen Masken weitgehend ignoriert. Nun ließ er seinen Blick noch einmal durch den Verkaufsraum gleiten und betrachtete die anderen Objekte genauer: Die meisten hatten einen mehr oder weniger grimmigen Gesichtsausdruck. Er erkannte afrikanische, japanische und indische Motive wieder, doch in den meisten Fällen reichte Peters Wissen über die verschiedenen Kulturen der Erde nicht aus und er konnte die Masken keinem Volk eindeutig zuordnen.
»Im Gegensatz zu Frankenstein oder Dracula haben alle ihre eigene Geschichte. Das ist das Besondere an diesen Masken. Jede ist ein Einzelstück, handgefertigt, und einige sind weit über hundert Jahre alt.«
Roxanne ergriff Peters Arm und zog ihn ein paar Meter weiter, um ihm eine Maske zu zeigen, die unter einem Halogenstrahler einen Ehrenplatz an der Wand hatte: Ein freundliches Geschöpf, um dessen Vogelgesicht sich Schlangen rankten, blickte auf sie herab. Es war so ziemlich das Skurrilste, was Peter je gesehen hatte. »Eine Kolam-Maske aus Sri Lanka«, erklärte Roxanne. »Mein absoluter Liebling. Sie hat eine ganz besondere Aura. Oder die da vorn: Mit ihr hat der Schamane eines afrikanischen Stammes seinen Kriegsgott beschworen.«
»Faszinierend«, fand Peter. »Du bist ganz schön fit auf diesem Gebiet, was?«
»Wenn Mrs Goldenberg Zeit hat, erzählt sie mir alles über ihre Leidenschaft«, erklärte Roxanne. »Wäre die Kolam nicht ein hervorragender Wandschmuck für dein Zimmer? Oder euer Detektivbüro?« Sie grinste ihn schelmisch an.
»Ich fürchte, dafür reichen weder mein Taschengeld noch das, was ich beim Rasenmähen in Nachbars Garten verdiene«, entgegnete Peter mit einem Blick auf das kleine Preisschild. »Aber du willst natürlich etwas verkaufen, schon klar. Zufällig brauche ich tatsächlich noch eine gruselige Maske.«
»Für Halloween«, mutmaßte Roxanne.
Peter nickte. »Ich bin auf eine Party eingeladen und da macht sich ein einäugiges, schleimiges Gesicht doch ausgesprochen gut.« Er wandte sich wieder den Filmmasken aus Gummi zu und begutachtete deren Preise. »Diese hier haben vielleicht keine eigene Geschichte, aber ich kann sie mir leisten.«
Ein Windspiel klingelte, als die Ladentür geöffnet wurde und ein weiterer Kunde hereinkam: ein großer, schlanker Mann mit schulterlangen Haaren, der trotz des warmen Wetters einen langen schwarzen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen trug. Er war blass, als würde er sich nie in der Sonne aufhalten. Peter fühlte sich spontan an eine Gestalt aus einem Vampirfilm erinnert. Roxanne blickte sich um und strahlte übers ganze Gesicht, als sie den Kunden erkannte. »Mr Moore!« Roxannes anfängliche Begeisterung für Peter und die drei ??? verpuffte so schnell, wie sie aufgeflammt war. »Schön, Sie zu sehen!«
»Schön, von dir bedient zu werden, Roxanne«, antwortete Mr Moore. Beide würdigten Peter keines Blickes.
Ein wenig beleidigt wandte sich der Zweite Detektiv ab und betrachtete wieder die Masken. Welche sollte er nun nehmen – den Zombie oder Frankensteins Monster? Wovor würden sich Justus und Bob mehr gruseln? Während er hin und her überlegte, verfolgte er ungewollt das Gespräch zwischen Roxanne und Mr Moore im vorderen Teil des Ladens.
»Ist Mrs Goldenberg nicht da?«
»Die kommt in einer halben Stunde wieder. Morgen ist es so weit, nicht wahr? Morgen erscheint Ihr neues Buch. Ich freue mich schon!«
Mr Moore lachte. »Es sind keine Bücher, Roxanne, das sage ich dir jedes Mal. Es sind Heftchen.«
»Für mich sind es Bücher«, erklärte Roxanne. »Ihr letztes hat mir auch wieder sehr gut gefallen.«
»Nicht nur dir.«
»Was heißt das? Haben Sie wieder säckeweise Fanpost bekommen?«
Erneut ein Lachen. »Habe ich noch nie, liebe Roxanne. Höchstens fünf Briefe pro Woche. Aber nein, diesmal ging die Verehrung meiner Werke über einen schlichten Brief hinaus.«
»Hat Ihnen jemand Blumen geschickt?«
»Bedauerlicherweise nicht.« Mr Moore senkte die Stimme: »Jemand hat mein eigenes Grab angezündet.«
Unwillkürlich drehte Peter sich um. Moore fing seinen neugierigen Blick auf und Peter sah schnell wieder weg.
»Vielleicht solltest du erst deine Kundschaft zu Ende bedienen, bevor ich dir die Geschichte erzähle.«
Einen Augenblick später tauchte Roxanne neben ihm auf und fragte betont freundlich: »Hast du dich entschieden?«
»Äh … ja. Ich nehme den Zombie hier.«
»Gut.« Roxanne griff nach der Gummimaske und ging damit eilig zur Kasse. »Elf Dollar fünfundneunzig.«
Peter kramte nach seiner Geldbörse. Nicht gerade wenig für einen Halloween-Spaß. Aber er hatte schon immer eine Schwäche für Zombies gehabt. Obwohl – oder gerade weil – er sich maßlos vor ihnen gruselte. Er bezahlte und verstaute die Maske so umständlich wie möglich in seinem Rucksack. Doch die Rechnung ging nicht auf: Anstatt zu Mr Moore zurückzugehen und sich weiter mit ihm zu unterhalten, wartete Roxanne geduldig lächelnd, bis Peter fertig war.
»Vielleicht erzählst du mir ein anderes Mal mehr über euch?«
»Ja, vielleicht.«
»Auf Wiedersehen!«
»Wiedersehen«, murmelte Peter, nickte Mr Moore kurz zu und verließ den Laden. Unschlüssig blieb er einen Moment auf dem Bürgersteig stehen, dann sah er auf die Uhr: kurz vor fünf. In wenigen Minuten war er mit Bob und Justus auf dem Schrottplatz verabredet. Schnell schwang Peter sich auf sein Rad und düste los Richtung Rocky Beach.
Der Schrottplatz gehörte Justus’ Onkel und Tante, die auf dem Gelände einen Trödelmarkt aufgemacht hatten. Es war Justs Idee gewesen, das Unternehmen ›Gebrauchtwarencenter T. Jonas‹ zu taufen. Das klang seriöser als Trödelmarkt und seitdem florierte das Geschäft. Die Leute kamen aus der ganzen Umgebung nach Rocky Beach, nur um bei Titus Jonas einzukaufen. Zwischen all den Verkaufsständen, dem Bürohaus, dem Schuppen für die wetterempfindlichen Waren und den riesigen Schrottbergen, die sich überall auftürmten, ging der große Campinganhänger, der etwas abseits neben der Freiluftwerkstatt stand, fast unter. Alle Kunden des Gebrauchtwarencenters gingen davon aus, dass das alte, verstaubte Ungetüm zum Verkauf angeboten wurde, doch ernsthaft danach gefragt hatte noch niemand. Und das war auch gut so, denn tatsächlich befand sich in seinem Inneren die Zentrale der drei ???: ein voll ausgestattetes Detektivbüro mit eigenem Telefonanschluss und Labor. Dies war der geheime Versammlungsort von Justus Jonas, Bob Andrews und Peter Shaw. Hier hatte so mancher spannende Fall seinen Anfang und auch sein Ende gefunden. Doch heute war Peter in Eile, weil eine andere Aufgabe auf sie wartete: Die drei ??? mussten Rakos aus dem dunklen Verlies des Elfenkönigs Tha-Eru befreien, in dem er seit gestern gefangen war.
Peter schoss über die staubige Einfahrt und brachte sein Rad zum Stehen. Bevor er es zur Zentrale schob, öffnete er seinen Rucksack und holte die Maske heraus. Er zog sie über den Kopf, schlich zur Tür des Wohnwagens und riss sie mit lautem Gebrüll auf. Durch die kleinen Gucklöcher sah er Bob und Justus vor dem Computer sitzen. Völlig ungerührt.
Der Erste Detektiv Justus Jonas drehte sich kurz um, warf einen kritischen Blick auf den Zombie und knurrte: »Wurde aber auch Zeit.«
»Buh!«, versuchte Peter sein Glück bei Bob.
»Wahnsinnig originell, Peter. Warum kommst du so spät?«
Enttäuscht zog der Zweite Detektiv die Maske vom Kopf. »Ihr könnt einem aber auch jeden Spaß verderben.«
Jetzt fingen die beiden an zu lachen.
»Warum habt ihr euch nicht erschrocken?«
»Weil wir dich bereits durch das Periskop gesehen haben«, grinste Bob und wies auf das mit Spiegeln versehene Ofenrohr, das in einer Ecke der Zentrale hing und durch die Decke nach draußen führte. Mithilfe dieser Konstruktion konnte man vom Inneren der Zentrale aus den gesamten Schrottplatz überblicken, ohne selbst gesehen zu werden.
»Gemein«, brummte Peter, musste dann jedoch selbst lachen. »Aber der Zombie kommt doch cool, oder?«
»Für die Halloween-Party bei Jeffrey?«
»Ja. Geht ihr eigentlich auch hin?«
»Klar. Ich mache ein Foto von deinem Gesicht, vergrößere es und bastle mir daraus eine Peter-Shaw-Maske.«
»Den Unterschied wird kaum jemand merken«, spottete Peter und betrachtete Justs eher füllige Statur. »Den Zombie habe ich gerade in Santa Monica gekauft, in einem absolut irren Laden. Und außerdem habe ich dort ein sehr seltsames Gespräch mitbekommen.«
»Hat das nicht Zeit bis später? Ich will jetzt endlich anfangen!« Justus wies auf den Computermonitor, über den verschiedene Fragezeichen in den Farben weiß, rot und blau wanderten. Sein erster selbst programmierter Bildschirmschoner, auf den er sehr stolz war.
»Genau!«, stimmte Bob zu und griff nach dem Joystick. »Jetzt geht’s los, gleich kriegt Tha-Eru was auf die Mappe!«
Peter öffnete den Kühlschrank und trank eine halbe Flasche Wasser leer, bevor er besorgt sagte: »Wir sind süchtig, wisst ihr das? Seit geschlagenen vier Tagen hängen wir jetzt vor diesem Spiel. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Hausaufgaben leiden, mein Training leidet und meine Eltern beschweren sich schon, weil ich nie zu Hause bin.«
»Also, ich find’s cool«, freute sich Bob. »Endlich ist die Fortsetzung von ›Jagd‹ erschienen und wir können wieder tage- und nächtelang aufregende Abenteuer erleben! Wenn wir das Spiel geschafft haben, hat das auch wieder ein Ende.«
»Bis Teil III erscheint«, erinnerte Justus. »Fang schon an!«
Als Bob das Spiel lud, berichtete Peter in kurzen Sätzen, was er in dem Maskengeschäft erlebt hatte. »Es ist schon seltsam, wenn ein wildfremder Mensch einen erkennt. Sind wir tatsächlich so berühmt?«
»Nun werd mal nicht größenwahnsinnig, Peter«, warnte Bob. »Solange noch keine Horde kreischender Mädchen morgens vor deiner Haustür darauf wartet, dass du zur Schule fährst, musst du dir keine Sorgen machen.«
Peter winkte ab. »Ist ja auch egal. Eigentlich beschäftigt mich etwas ganz anderes: Was kann dieser Mann gemeint haben, als er sagte, jemand habe sein Grab angezündet?«
»Bist du sicher, dass du dich nicht verhört hast?«, hakte Justus nach.
»Ganz sicher. Findet ihr das nicht irgendwie seltsam?«
»Hört, hört! Peter wittert ein Geheimnis.«
»Mach dich nicht lustig, Bob. Der Typ war wirklich merkwürdig. So blass. Und dann diese komischen Klamotten. Er hatte was zu verbergen, sonst hätte er weitergesprochen. Ich glaube, er war Schriftsteller oder so. Jedenfalls sprachen sie über seine Bücher.«
Justus wurde hellhörig. »Moment mal. Wie hieß er, sagtest du? Moore? Vielleicht war es Aaron Moore.«
»Wer zum Teufel ist Aaron Moore?«
»Besser bekannt als Hawk Night, der Autor der Reihe ›Dämonenfeuer‹. Ich habe vor kurzem ein Interview mit ihm gelesen. Er wohnt hier in der Nähe. Der Artikel müsste hier noch irgendwo herumfliegen, da war auch ein Foto dabei.« Ratlos blickte sich der Erste Detektiv in der Zentrale um. Überall wuchsen Papierberge in die Höhe: alte Zeitungen und Zeitschriften, Computerausdrucke und Akten. »Wir müssen dringend mal aufräumen.«
»›Dämonenfeuer‹? Das sind doch diese Groschenromane«, sagte Bob verächtlich. »Literarischer Schund.«
Das Telefon klingelte. »Wer immer es ist – wimmle ihn ab!«, mahnte Bob. »Ich will jetzt endlich spielen.«
Der Erste Detektiv ging ran. »Justus Jonas von den drei Detektiven. – Ja, der ist hier, Augenblick.« Er reichte Peter den Hörer. »Für dich.«
Peter warf ihm einen fragenden Blick zu, doch Justus zuckte die Schultern. »Ja, Peter Shaw?«
»Hi, hier ist Roxanne.«
»Wer?«
»Roxanne. Von vorhin. Aus dem Maskenladen.«
»Äh …«
»Ich glaube, ich habe einen Fall für die drei ???.«
»Wie bitte? Woher hast du diese Nummer?«
»Von deiner Mutter.«
Peter verstand überhaupt nichts mehr. »Was?«
Roxanne lachte. »Ich habe dich erkannt, erinnerst du dich? Und ich weiß, dass du und deine Freunde aus Rocky Beach kommen. Also habe ich im Telefonbuch nachgesehen und bei dir angerufen. Deine Mutter gab mir dann diese Nummer. Wo bist du denn? In eurem Detektivbüro?«
»Äh … ja.«
»Tut mir Leid wegen vorhin. Ich wollte dich nicht einfach so stehen lassen. Das war sehr unhöflich. Aber dann kam Mr Moore und –«
»Und du hattest plötzlich keine Zeit mehr«, brachte Peter die Sache auf den Punkt. Dann beugte er sich über den Schreibtisch und schaltete den Lautsprecher des Telefons ein, damit Bob und Justus mithören konnten. »Was gibt es denn nun? Was meintest du mit einem neuen Fall?«
»Mr Moore hat Probleme. Ein Unbekannter terrorisiert ihn. Wahrscheinlich ein Psychopath, ein geisteskranker Fan. Du musst nämlich wissen, Mr Moore ist –«
»Schriftsteller«, unterbrach Peter sie. Er war immer noch gekränkt wegen Roxannes Verhalten und fuhr gelassen fort: »Er schreibt ›Dämonenfeuer‹, diese Groschenromane. Literarischer Schund.«
»Das ist kein Schund«, erwiderte Roxanne. Ihre Laune schwang schlagartig um. »Das sind hervorragende Romane.«
»Heftchen«, korrigierte Peter sie.
»Hast du je einen ›Dämonenfeuer‹-Band gelesen?«
»Äh … nein«, gestand Peter.
»Dann halt dich mit deinem Urteil gefälligst zurück. Was ist nun – nehmt ihr den Fall an?«
»Wir wissen ja noch nicht einmal, worum es genau geht.«
»Um ein brennendes Grab. Aber das weißt du ja schon.«
»Wie kommst du –«
»Du hast uns doch belauscht, oder nicht?« Roxanne lachte. »Ich nehme es dir nicht übel. Ein echter Detektiv kann wohl nicht anders. Aber es ist vielleicht am besten, wenn Mr Moore euch persönlich die ganze Geschichte erzählt. Ich habe ihm bereits von euch berichtet. Er will die Dienste der drei ??? in Anspruch nehmen und erwartet euren Besuch. Es ist nämlich dringend. Vielleicht ist sogar sein Leben bedroht.«
»Das klingt ja alles sehr geheimnisvoll.« Peter warf einen Blick zu Bob und Justus, doch die zuckten nur mit den Schultern. »Na schön. Wir werden mal darüber sprechen.«
»Wie ich aus der Zeitung weiß, lautet euer Motto ›Wir übernehmen jeden Fall‹«, erinnerte Roxanne ihn. »Ich hoffe, das ist nicht einfach so dahingesagt. Ruft mich an, wenn ihr euch entschieden habt. Dann können wir Mr Moore zusammen besuchen.«
Peter seufzte schwer. »In Ordnung.«
Sie gab ihm ihre Telefonnummer, dann legte Peter auf und sah seine beiden Freunde ratlos an. »Und?«
»Ein brennendes Grab bei Hawk Night und ein Psychopath, der ihm ans Leder will«, fasste Justus mit leuchtenden Augen zusammen. »Klingt vielversprechend.«
»Klingt verrückt, wenn du mich fragst«, widersprach Bob.
»Das auch«, gab der Erste Detektiv zu. »Aber das ist ja das Reizvolle daran. Ich wüsste zu gern, was hinter dieser Geschichte steckt.«
»Das heißt, wir müssen Rakos im Kerker des Elfenkönigs verschimmeln lassen«, vermutete Bob.
»Er läuft uns ja nicht weg«, beruhigte Justus ihn. »Ich meine, wir sollten Mr Moore besuchen. Es könnte doch ganz interessant werden, den Autor von ›Dämonenfeuer‹ kennenzulernen, meint ihr nicht? Peter?«
»Seit wann werde ich denn gefragt? Also, meinetwegen können wir mal bei diesem Typ vorbeischauen. Nur damit ihr seht, dass er wirklich seltsam ist und ich nicht übertrieben habe.«
»Damit du Roxanne wieder siehst«, spottete Bob. »Das ist doch der wahre Grund für deine überraschend schnelle Zustimmung, oder?«
»Quatsch! Die interessiert mich gar nicht.«
»Na gut, belassen wir es dabei«, sagte Bob und lächelte viel sagend. »Fahren wir also zu Mr Moore alias Hawk Night!«
»Schön, dass ihr gekommen seid«, freute sich Roxanne, als die drei ??? sie am frühen Abend in Santa Monica abholten. Mrs Goldenbergs Maskenladen hatte gerade zugemacht und das Mädchen wartete auf sie an der Straße. »Justus Jonas und Rob Andrews, richtig?«
»Bob«, korrigierte der dritte Detektiv. »Bob Andrews.«
»Verzeihung. Ich bin Roxanne Elfman.« Sie reichte den beiden die Hand. »Ich find’s wirklich toll, dass ich euch kennen lerne. Ich habe einiges über euch gelesen. Wirklich unglaublich, was ihr schon alles erlebt habt. Ich will alles über eure Fälle wissen! Wie habt ihr es nur immer wieder geschafft, den Tätern auf die Schliche zu kommen?«
»Das war meist Justs Verdienst«, gestand Peter.
»Ich habe mich in der Vergangenheit lediglich bemüht meine geistigen Fähigkeiten optimal einzusetzen«, fügte der Erste Detektiv ohne eine Spur von Bescheidenheit hinzu. »Wenn du willst, erzähle ich dir gern mehr darüber. Aber vielleicht sollten wir uns erst Mr Moore vorstellen und diesen neuen Fall unter die Lupe nehmen.«
»Du hast recht. Er wohnt in den Santa Monica Mountains in einem abgelegenen Haus. Ich hoffe, ich finde den Weg nach seiner Beschreibung.«
»Du warst noch nie da?«, wunderte sich Peter. »Ich dachte, du kennst ihn.«
»Nur aus dem Laden. Er sammelt Masken und ist Stammkunde bei Mrs Goldenberg. Und ich kenne natürlich seine Bücher. Du ahnst nicht, wie aufgeregt ich war, als er eines Tages in das Geschäft kam. Hawk Night persönlich! Ich habe ihn natürlich sofort erkannt und ihn nach seinen neuesten Werken gefragt. Er war so nett!«
»Dein Idol?«, hakte Bob nach. »Schreibt er denn noch etwas anderes als ›Dämonenfeuer‹?«
»Nein. Wieso?«
»Na ja … ich meine … diese Heftchen sind ja literarisch nicht gerade besonders wertvoll.«
»Sie sind spannend«, konterte Roxanne.
»Mag sein. Wenn man unglaubwürdige Geschichten über Geister und Dämonen spannend findet.«
»Mr Moores Bücher sind weit mehr als nur Geschichten«, antwortete Roxanne verärgert. »Er ist der einzige Autor, der erkannt hat, dass die Welt voll ist mit übernatürlichen Mächten, wenn man nur bereit ist sie zu sehen.«
Bob hob überrascht die Augenbrauen. »Wenn du meinst.« Mehr sagte er nicht.
»Fahren wir doch einfach hin. Dann werden wir zumindest sehen, was es mit den brennenden Gräbern auf sich hat«, schlug Peter vor, der einen Streit vermeiden wollte.
Roxanne schloss ihr Fahrrad auf, das an der Hauswand lehnte, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg aus Santa Monica hinaus in die Berge. Sobald sie den hektischen Verkehr der Stadt hinter sich gelassen hatten, ging es bergauf. Schmale, wenig befahrene Bergstraßen schlängelten sich durch dichte Eichenwälder und an großen Orangenplantagen vorbei. Die Gegend wurde immer verlassener. Je steiler es nach oben ging, desto langsamer wurden vor allem Justus und Roxanne, die sich während der Fahrt angeregt über die bewegte Vergangenheit der drei Detektive unterhielten. Justus genoss Roxannes Verehrung und erzählte so kompliziert und geschwollen wie möglich von ihren spektakulärsten Fällen – auf Kosten ihrer Geschwindigkeit. Schließlich krochen sie nur noch im Schritttempo dahin. Peter, der sich in seinem sportlichen Ehrgeiz maßlos unterfordert fühlte, wusste, dass Drängeln bei Justus keinen Sinn hatte. Also fuhr er immer ein Stück im Sprint bergauf, um sich dann wieder zu den anderen zurückrollen zu lassen und die Strecke ein zweites Mal zurückzulegen.
Nachdem sie auf diese Weise ein paar Meilen geschafft hatten, bog Roxanne plötzlich links ein. Wieder ging es bergauf, diesmal jedoch über einen holprigen Feldweg, der offenbar häufiger von Wanderern als von Autos benutzt wurde. Der Pfad führte bald in einen dichten Wald, in den kaum ein Lichtstrahl drang.
»Bist du sicher, wir sind hier richtig?«, fragte Peter unsicher.
»So hat Mr Moore mir den Weg beschrieben. Er sagte, er wohne sehr einsam. Gleich muss es rechts hochgehen und –«
»Hoch!«, brummte Justus. »Natürlich. Unser Gruselautor wohnt wahrscheinlich auf dem Gipfel des höchsten Berges der gesamten Santa Monica Mountains.«
»– und dann sind wir auch schon da.«
Tatsächlich führte nach wenigen Hundert Metern eine Abzweigung noch weiter in die Höhe. Dort endete der Wald und das verblassende Tageslicht schimmerte ihnen entgegen. Als die letzten Bäume zurückwichen, lag eine weite, grasbewachsene Bergkuppe vor ihnen.
»Du meine Güte!«, staunte Peter und blieb stehen, um den Anblick auf sich wirken zu lassen. »Was ist denn das!«
Justus neben ihm murmelte: »Sieht aus, als käme es direkt aus einem Albtraum.«
Das Haus war ein wuchtiger Klotz, der auf dem Hügel thronte wie eine fette Fliege auf einem Stück Kuchen. Seine Mauern waren tiefschwarz und glänzten an einigen Stellen. Links und rechts gab es zwei gedrungene Türmchen, dazwischen ragten überall winzige Erker aus der Fassade. Das Haus war praktisch durchlöchert von Fenstern, doch erst auf den zweiten Blick fiel auf, dass sie ungewöhnlich klein waren. So wirkte das Haus viel größer, als es tatsächlich war. Doch das war noch nicht das Auffälligste an diesem Gebäude: Es war schief. Wie halb im Morast versunken, ragte es schräg in den Himmel. Vor den im Hintergrund langsam über den Himmel treibenden Schäfchenwolken sah es beinahe so aus, als würde es schwanken und jeden Moment umstürzen.
»Du hast recht, Justus«, gestand Bob. »Wie aus einem Albtraum. Wenn es jetzt noch blitzen und donnern würde, würde ich wahrscheinlich die Flucht ergreifen.«
»Genau so habe ich es mir immer vorgestellt«, sagte Roxanne ergriffen. »Hier spürt man förmlich die Mächte aus der Anderen Welt. Jetzt wisst ihr, was ich meine.«
Justus und Bob warfen einander irritierte Blicke zu, beschlossen jedoch auf Roxannes Bemerkung nicht einzugehen. »Seht mal, wie dunkel die Mauern sind. Ob es hier mal gebrannt hat?« Fragend wandte sich Bob an Roxanne.
Doch die verzog ratlos das Gesicht. »Ich habe keine Ahnung. Von einem Feuer hat Mr Moore nie etwas erzählt.«
»Hey!«, rief Peter plötzlich. »Sehe ich richtig? Ist das da vorne etwa ein Friedhof?« Er wies auf eine kleine Anzahl Rechtecke und Kreuze, die sich rechts neben dem Haus als Silhouetten vor dem immer dunkler werdenden Himmel abhoben.
»Tatsächlich. Ein Haus mit einem eigenen Friedhof. Das sehen wir uns mal an. Bestimmt finden wir dort den Grabstein, um den es geht.« Justus setzte sich in Bewegung, ohne auf die Zustimmung der anderen zu warten.
Je näher sie dem Haus kamen, desto mehr Details konnten sie im schwachen Licht erkennen: Die Türme, Erker und Fenster waren reich verziert und durch das schwarze Gestein zogen sich glänzende gezackte Linien wie Sprünge in einem Stück Glas. Ein aus schwarzen Steinplatten gelegter, ausgetretener Pfad führte vom Haus zu dem winzigen Friedhof, einer Ansammlung von etwa einem Dutzend steinernen Grabmälern. Es gab keine Wege, keine Blumenbeete und keine Umzäunung. Fast wie zu erwarten, stand keines der Grabmäler gerade. Durch das Fehlen auch nur der kleinsten Blume und die chaotische Anordnung der Gräber machte der Friedhof einen unendlich trostlosen Eindruck.
Die drei ??? und Roxanne wanderten langsam um die Anlage herum, dann trat Bob einen Schritt vor und warf einen Blick auf die Inschrift eines Grabsteins, der den Umriss eines Raben hatte. »Das gibt’s doch nicht!«
»Was denn, Bob?«
»Seht mal, wer hier begraben liegt!«
Neugierig traten die anderen drei heran. »Edgar Allan Poe«, las Peter. »Das ist doch dieser Schriftsteller.«
»Dieser Schriftsteller«, wiederholte Bob verächtlich. »Edgar Allan Poe ist einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts!«
»Der Begründer der modernen Kurzgeschichte«, fügte Justus hinzu.
»Und bekannt geworden vor allem durch seine Kriminalerzählungen und Schauergeschichten«, schloss Roxanne.
Peter hob abwehrend die Hände. »Verzeihung! Ich wusste nicht, dass ich hier in einem literarischen Zirkel gelandet bin.«
»Soweit ich weiß, ist Poe in Baltimore gestorben«, sagte der Erste Detektiv. »Dies kann unmöglich sein Grab sein. Das wüsste ich. Außerdem wäre es längst ein erklärtes Touristenziel. Was steht denn auf den anderen Grabsteinen?«
»Howard Phillips Lovecraft«, las Peter auf dem nächsten. »1890–1937. ›Das ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass der Tod die Zeit besiegt.‹ Was soll das denn bedeuten? Und seht mal, dieses unheimliche Wesen mit den vielen Tentakelarmen und dem Papageienschnabel, das in den Stein gemeißelt ist.«
»Lovecraft war ebenfalls ein Verfasser von Gruselgeschichten«, erklärte Roxanne. »Aber er starb wie Poe an der Ostküste der USA. Und das unheimliche Wesen ist Cthulhu, einer der dämonischen Götter aus Lovecrafts Geschichten.«
»Na, du kennst dich ja gut aus mit diesem Gruselzeug«, fand Peter.
»Was soll das?«, fragte sich Justus. »Warum stellt hier jemand Grabsteine von Leuten auf, die in Wirklichkeit ganz woanders begraben liegen?« Unwillkürlich hob er seine rechte Hand zum Mund und begann seine Unterlippe zu kneten, was er immer tat, wenn er konzentriert nachdachte. Er schlenderte zum nächsten Grab, diesmal ein Kreuz. »E.T.A. Hoffmann. Das ist schon wieder ein Schriftsteller. Der liegt aber hundertprozentig in Europa begraben. Mal sehen, der nächste ist Bruce Black. Kenne ich nicht. Aber der ist erst seit zwei Jahren tot.«
»He! Das wird euch interessieren!«, rief Peter, der zu dem einzigen Kreuz aus Holz gegangen war. Es stand etwas abseits und wirkte uralt und verrottet. Doch als Bob und Justus näher kamen, erkannten sie, dass es verbrannt war. Die rechte Seite des Querbalkens fehlte vollständig, der Rest war verkohlt. Der Name des Toten war aus Metallbuchstaben zusammengesetzt, die halb geschmolzen das Holz zierten. Mit etwas Mühe konnte man sie noch entziffern: »Hawk Night! Das ist doch das Pseudonym von Aaron Moore! Tut mir Leid, Kollegen, aber ich verstehe gar nichts mehr.«
»Das ist entweder ein morbider Spaß oder total verrückt«, meinte Justus. »Dieser Mr Moore scheint ein sehr seltsamer Mensch zu sein.«
»Er ist nicht seltsam«, widersprach Roxanne. »Er ist –«
»Pst!«, zischte Peter. »Da ist jemand!«
»Was? Wo?«
»Da drüben am Waldrand! Ich habe gerade einen Schatten gesehen.«
Die Bäume waren vom Friedhof aus nur etwa zwanzig bis dreißig Meter entfernt. Angestrengt blickten Bob und Justus in die einbrechende Dunkelheit, doch es war nichts zu erkennen.
»Du fängst schon wieder an Gespenster zu sehen«, sagte Justus kopfschüttelnd. »Ein altes Haus, ein dunkler Wald, ein Friedhof – fertig ist der Gruselcocktail für den Zweiten Detektiv.«
»Mach dich nicht lustig, da war wirklich jemand!«, schwor Peter. »Da! Da ist er wieder!«
Nun sahen die anderen es auch: Eine schwarze Gestalt löste sich aus dem Schatten zwischen den Bäumen und kam langsam auf sie zu. Es war ein großer Mann in einem langen, dunklen Mantel. Unschlüssig blickten die vier ihm entgegen.
Als er nur noch wenige Meter entfernt war, sagte er: »Guten Abend, Roxanne. Willkommen auf Blackstone!«
»Mr Moore!«, rief Roxanne erfreut. »Warum kommen Sie denn aus dem Wald?«
»Ich war spazieren. Ich liebe diese frühen Abendstunden und nutze sie meistens für eine kreative Pause. Du hast also tatsächlich deine Freunde mitgebracht.« Nun stand Aaron Moore direkt vor ihnen und aus dem dunklen Schatten wurde ein ganz normaler Mensch, dessen Gesicht sie in dem schwindenden Licht jedoch nicht genau erkennen konnten.
Roxanne stellte die drei vor und Justus nutzte die Gelegenheit, eine ihrer Visitenkarten aus der Tasche zu ziehen. Er reichte sie Mr Moore.
»Ihr seid also tatsächlich Detektive«, murmelte ihr Gegenüber. »Ich habe Roxanne die Geschichte nicht ganz glauben können. Abgesehen davon war ich der Meinung, dass sich die Sache bestimmt von allein aufklären wird. Ich bin nicht sicher, ob es wirklich nötig ist, Detektive damit zu beauftragen.«
»Tatsächlich?« Justus warf Roxanne einen zweifelnden Blick zu. »Das habe ich anders gehört.«
»Aber die drei haben wirklich schon viele mysteriöse Fälle gelöst und eine Schwäche für unerklärliche Phänomene«, sagte Roxanne schnell. »Sie helfen Ihnen bestimmt gern.« Beschwörend wandte sie sich an die drei ???. »Nicht wahr?«
»Äh … klar«, versicherte Peter, dem peinliche Situationen zuwider waren.
»Wenn unsere Hilfe erwünscht ist«, fügte Justus hinzu.
»Na schön. Wie hoch ist denn euer Honorar?«
»Wir nehmen kein Geld«, erklärte Justus. »Ein Rätsel zu lösen ist Lohn genug für unsere Arbeit. Ein Geheimnis könnten Sie allerdings gleich zu Anfang für uns lüften. Was hat es mit diesem Friedhof auf sich? Hier liegen doch nicht wirklich Poe und Lovecraft begraben, oder?«
Mr Moore lächelte. »Nein. Auch wenn ich nichts dagegen hätte. Der einzige Tote, der tatsächlich unter der Erde ruht, ist Bruce Black, der Architekt, der Blackstone entworfen und auch darin gewohnt hat.«
»Blackstone?«, hakte Peter nach.
»Das Haus. So heißt es: Schwarzer Stein. Black wurde hier auf seinen eigenen Wunsch begraben. Er hat auch diesen Friedhof angelegt und die Grabsteine gebaut.«
»Warum?«
»Ein Spleen. Er war ein großer Verehrer der alten Meister der Gruselliteratur. Eigentlich sind diese Gräber eher als Denkmäler zu verstehen. Anstatt den Garten mit Statuen und Rosensträuchern zu verzieren, hat er eben einen Friedhof angelegt. Das passte auch viel besser zu ihm und zu Blackstone.«
»Sie kannten Mr Black?«, hakte Justus nach.
»Nicht persönlich. Ich habe nur viel über ihn gehört und gelesen. Und durch sein Haus habe ich noch einiges mehr über ihn erfahren.«
»Nach seinem Tod haben Sie es gekauft?«
Moore nickte knapp. »Vor zwei Jahren.«
»Na schön.« Die Neugier des Ersten Detektivs war vorerst befriedigt. »Kommen wir also zum eigentlichen Fall: dieses Holzkreuz. Warum steht es hier? Roxanne erzählte, dass jemand es angezündet hat. Was genau ist passiert?«
Er seufzte. »Ich wünschte, ich könnte diese Frage beantworten. Eines könnt ihr mir glauben: Ich habe es nicht aufgestellt. Ich schreibe zwar Horrorgeschichten, aber mein Humor ist nicht so schwarz, dass ich meinem zweiten Ich ein Grab errichten würde.«
»Dann hat es also jemand anders aufgestellt.«
»Ja, vergangene Nacht. Ich hatte gerade das letzte Kapitel des neuen ›Dämonenfeuer‹-Heftes beendet und ging einmal durchs Haus, um … nun ja, ich ging jedenfalls in den Keller und holte zur Feier des Tages eine Flasche Rotwein herauf. Ich setzte mich ins Kaminzimmer, von dessen Fenster aus man auf den Friedhof blicken kann. Plötzlich sah ich aus den Augenwinkeln ein Flackern. Ich dachte, es sei eine der Kerzen im Raum, doch dann bemerkte ich, dass der Lichtschein von draußen kam. Ich stand auf und ging zum Fenster. Auf dem Friedhof brannte etwas lichterloh. Ich erschrak fürchterlich. Schließlich stehen hier nur Grabsteine, also nichts, was Feuer fangen könnte. Ich lief hinaus, mit einem Eimer Wasser bewaffnet, und dort war dieses Kreuz, in grelle Flammen gehüllt. Ich konnte sie sofort löschen, aber ihr werdet euch denken, wie mir zu Mute war, als ich die Inschrift erkannte.« Er wies auf die halb geschmolzenen Buchstaben.
Peter schluckte unwillkürlich. »Wer kann denn das getan haben? Haben Sie jemanden gesehen?«
Mr Moore schüttelte den Kopf. »Nein. Aber der Waldrand ist gleich da vorne. Es wäre also gut möglich, dass sich letzte Nacht jemand ganz in meiner Nähe hinter den Bäumen versteckt hat, ohne dass ich ihn bemerkt habe.«
»Was haben Sie getan, nachdem das Feuer gelöscht war?«, wollte Justus wissen.
Er lachte nervös. »Ich bin einmal ums Haus geschlichen, um nach dem Täter zu suchen, dann habe ich mich eingeschlossen und die ganze Nacht kein Auge zugetan.«
»Wann war das?«
»So etwa um drei Uhr. Ich arbeite oft nachts.«
»Ist danach noch etwas passiert?«
»Nein. Als es hell wurde, bin ich dann doch eingeschlafen.«
»Haben Sie irgendwelche Spuren entdeckt?«
»Nein.«
»Warum haben Sie nicht die Polizei gerufen?«
Wieder lachte Mr Moore kurz auf. »Das ist ja ein richtiges Verhör. Sehr professionell, das muss ich schon sagen. Aber wir können uns drinnen besser unterhalten, meint ihr nicht? Es sei denn, ein dunkler Friedhof ist für euch genau der richtige Ort, um über einen solchen Vorfall zu diskutieren.«
»Also, für mich nicht«, sagte Peter schnell. Er war dankbar für einen Ortswechsel und wandte sich dem Haus zu. Doch dann durchfuhr ihn unwillkürlich ein Schauer, als er daran dachte, Blackstone zu betreten. Während sie darauf zugingen, betrachtete er die schwarzen Mauern eingehend – und blieb irritiert stehen. »Es ist gar nicht schief!«
»Wie bitte?«, fragte Justus.
»Das Haus. Ich dachte die ganze Zeit, es steht schief.«
»Tut es ja … Tut es nicht! Du hast recht, Peter, die Außenmauern sind absolut gerade.«
»Ein faszinierender Effekt, nicht wahr?«, lachte der Hausbesitzer. »Bruce Black war ein Meister seines Faches. Er hat die Fenster, Türme und Erker so entworfen, dass sie alle leicht schräg stehen. Dadurch gewinnt man den Eindruck, das ganze Haus würde sich zur Seite neigen. Dem ist aber nicht so. Tatsächlich sind die Wände kerzengerade.«
»Beeindruckend«, fand Roxanne. »Ganz Blackstone ist beeindruckend!«
»Warte, bis du es von innen gesehen hast«, kündigte Moore mit einem geheimnisvollen Lächeln an.
Sie erreichten die breite Treppe, die zu einer schweren Eichentür führte. Selbst die Stufen waren schief, doch auch das schien Absicht des Erbauers gewesen zu sein. »Nichts für alte Leute«, bemerkte Peter, der wegen der unterschiedlichen Stufenhöhen sofort das Gefühl hatte, jeden Moment zu stürzen. Über der Tür befand sich ein in den Stein gehauener Wasserspeier, ein Fabelwesen, das finster auf sie herabblickte und in einer Miniaturausgabe auch am eisernen Ring des Türklopfers zu finden war.
Während die drei ??? und Roxanne noch fasziniert den kunstvollen Türbogen betrachteten, flammte hinter ihnen plötzlich ein kleines Feuer auf. Mr Moore zündete mit einem Sturmfeuerzeug kleine Kerzen an und stellte sie in ausgehöhlte Kürbisköpfe, in die dämonische Fratzen geschnitzt waren. Die Kürbisse zierten das steinerne Treppengeländer. Sie hatten sie in der Dunkelheit gar nicht gesehen, doch jetzt erhellten sie in flackerndem Orange den schiefen Aufgang. »Mein selbst gebastelter Halloween-Schmuck«, erklärte Mr Moore und lächelte verlegen. »Ich weiß, Halloween ist erst in zwei Tagen, aber man kann nicht früh genug damit anfangen, die bösen Geister zu vertreiben.«
»Erst recht nicht nach einer Nacht wie der letzten«, stimmte Peter ihm zu, der vollstes Verständnis für Mr Moores Aberglauben hatte. Gleichzeitig aber war er unsicher, ob er sich angesichts der grinsenden Kürbisköpfe wohler fühlen sollte.
Mr Moore trat an ihnen vorbei und öffnete die Tür. »Hereinspaziert! Blackstone heißt euch willkommen!«
Peter hatte eine feudale Eingangshalle erwartet, doch er wurde enttäuscht: Direkt hinter der Tür führten fünf weitere Stufen nach oben, an die sich ein langer Flur anschloss. Selbst dieser Gang wirkte schief, als führe er von der Tür leicht abgewinkelt ins Haus hinein. Es war fast dunkel. »Wo ist denn hier der Lichtschalter?«, fragte Peter zögernd, nachdem er über die erste Treppenstufe gestolpert war.
»Oh, es gibt keinen. Besser gesagt: Es gibt keine Lampen.«