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Ein neuer Kriminalfall für die beliebten Detektive aus Rocky Beach. Spannung hoch zwei! Der Top-Star der Skinationalmannschaft erhält mysteriöse Drohbriefe. Wer bedroht die Sportlerin und versucht ihr zu schaden? Auf Skiern und Snowboards nehmen Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews die Ermittlungen auf. Sie erleben ein sportlich-spannendes Abenteuer in den Bergen des amerikanischen Weltcup-Ortes Vail. Gefangen! Seit dem Abgang einer Lawine sitzen die Detektive in einer Berghütte fest. Sie sind nicht allein! Haben die anderen Personen mit einem weit zurückliegenden Unfall zu tun? Die drei ??? haben eine üble Vorahnung. Zwei Fälle im Schnee – doppeltes Abenteuer für Fans!
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Seitenzahl: 334
Veröffentlichungsjahr: 2025
Die drei ??? Die weiße Gefahr
2 Fälle in einem Band
Ben Nevis
KOSMOS
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Umschlagsabbildung: © Silvia Christoph, Berlin
© 2025, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Pfizerstraße 5–7, 70184 Stuttgart
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Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-51194-7
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Cover
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Hauptteil
Ausgerutscht!
Fußspuren im Schnee
Geisterlift
Aufgeweckt!
Die verbotene Zone
Gestürzt!
Geistermesser
Das Weiße Grab
Dicke Luft
Tolle Burschen
Alte Geschichten
Mit dem Kopf durch die Wand
Gefährliches Spiel
Ein interessanter Fund
Das Astloch
Im Eis
Maskerade
Das Geheimnis der Lawine
Flucht
Angriff im Schnee
Ein überraschender Anruf
Ein dunkles Vorzeichen
Die neue Cousine
Karen hat viel zu erzählen
Peter riskiert viel
Justus ahnt Schlimmes
Ein Junge namens Toni
Schock im Schnee
Peter sitzt fest
Der Trick mit dem Netz
Neue Pläne
MacManoman braucht starken Kaffee
Justus dreht einen Looping
Die drei ??? stellen eine Falle
Peters Sondereinsatz
Das Blatt wendet sich
Die Sache wird heiß
Jagd im Schnee
MacManoman kommt kaum zu Wort
Die drei ???Das weiße Grab
Ben Nevis
KOSMOS
»Vorsicht!«, rief Peter. Das Auto schlitterte zur Seite und die weiße Schneewand schien unaufhaltsam auf den Zweiten Detektiv zuzurasen.
Trotz seiner Müdigkeit reagierte Bob blitzschnell. Er ging vom Gas und steuerte gegen. Wie Irrlichter huschten die Scheinwerfer des VW Käfers über die an den Straßenrand gefrästen Schneehaufen. Doch durch Bobs abruptes Lenken schlingerte das Auto nun in die andere Richtung, geriet auf die Gegenspur und begann sich zu drehen, sodass die Schneemauer an der Abgrenzung der Straße sich jetzt bedrohlich vor Justus’ Seitenfenster aufbaute.
»Achtung, Bob!«, schrie der Erste Detektiv.
»Mist!« Wild kurbelte Bob am Steuerrad. Ein Unfall war kaum noch zu vermeiden. Das Auto fing sich ein wenig und Bob gab Gas, um es wieder auf den Fahrstreifen zu bekommen. Doch das war ein Fehler: Die Hinterreifen drehten durch und spritzten wie eine Eisdüse den Schnee in die Luft. Der VW schwenkte nach links aus. Eine Sekunde später drückte sich der Wagen frontal in einen riesigen Schneehaufen hinein und blieb darin stecken. Den Motor hatte Bob bei der Aktion abgewürgt.
Plötzlich war alles ganz still. Vor den drei ??? glimmte milchiges Licht, das die in den Schnee gepressten Frontscheinwerfer erzeugten. Justus drehte sich um. Hinter ihnen war alles in den roten Schein der Rückleuchten getaucht, der die Schneeflocken wie feurige Sterne tanzen ließ. Der Niederschlag wurde stärker. Justus sah in den grauschwarz verhangenen Himmel über ihnen, der alles in seine Stille tauchte. »Seid ihr okay?«, fragte Bob atemlos. Der Schreck war ihm gehörig in die Glieder gefahren.
Peter war durch den Gurt gerutscht und schob sich ächzend zurück auf den Sitz. »Bis auf ein mittelschweres Schleudertrauma geht es mir gut«, sagte er. »Nein, keine Angst. Alles okay.« Er drehte sich um zur Rückbank. »Und du, Justus?«
»Schon in Ordnung«, sagte der Erste Detektiv und rieb sich den Arm, den er sich an der Seitenwand gestoßen hatte. »Leider hat sich die Verpflegung auf die Reise gemacht. Ausgerechnet das dicke Käsesandwich, das ich mir aufgehoben habe, liegt aufgeklappt im Fußraum.«
»Hoffentlich mit der Käseseite nach oben«, sagte Peter.
»Natürlich mit der Käseseite nach unten«, stellte Justus klar.
»Wir werden bald etwas Ordentliches zu essen bekommen«, beruhigte Bob. »Vor Kurzem haben wir das Ortsschild von Clearwater Springs passiert! Das Hotel ist nicht mehr weit.«
»Das Snow Paradise«, sagte Justus, »die einzige Übernachtungsmöglichkeit in dieser Enklave. Ich hoffe, die sind auf einen sehr hungrigen Magen eingerichtet.«
»Davon gehe ich aus!«, sagte Peter. Er hatte sich um die Reise gekümmert. Denn es war seine Idee gewesen, mit seinen beiden besten Freunden an diesem abgelegenen Ort ein paar Tage im Schnee zu verbringen und eine Skitour zu machen. Fernab von allen Detektivgeschichten, die die drei ??? zu Hause ständig auf Trab hielten. »Aber zuerst müssen wir das Auto wieder flottkriegen. Auch wenn hier fast kein Verkehr ist, stehen wir nicht gerade ungefährlich in der Gegend herum.«
Bob nickte und schaltete sicherheitshalber die Warnblinkanlage an. Dann stieg er aus, um sich den Schaden zu besehen. Peter und Justus folgten ihm. Der Schnee fiel und fiel. Dabei war es fast windstill.
Peter spürte die hohen Berge, die irgendwo im Dunkel aufragten und deretwegen sie gekommen waren. Dann wischte er prüfend mit der Hand durch den Schnee. Pulvriges Weiß ergoss sich über die Kofferraumhaube. »Mit etwas Glück sind nur ein paar Beulen im Blech!«
»Also holen wir unsere Limousine mal aus dem Schlamassel«, sagte Justus und klopfte sich die Schneeflocken vom Pullover. »Am besten, Peter und ich schieben dich raus, Bob!«
Der dritte Detektiv nickte, setzte sich zurück ans Steuer, startete den Motor und legte den Rückwärtsgang ein. Während die beiden anderen sich gegen das Auto stemmten, gab er vorsichtig Gas. Die Reifen drehten leicht durch, fanden dann aber Halt, und langsam rollte der VW auf die Straße zurück.
Nachdem Bob wieder angehalten hatte, beugte sich Justus über die Frontpartie des Autos. »Nur ein kleiner Blechschaden«, stellte er fest. »Die Lichter sind okay. Der Kotflügel ist leicht eingedrückt, aber die Reifen sind frei. Hättest du die Schneeketten aufgezogen, Bob, wäre das nicht passiert!«
»Kann ja keiner ahnen, dass es kurz vor Ankunft noch mal so weit raufgeht und glatt wird!«
Kopfschüttelnd trat Justus an die Fahrertür. »Clearwater Springs liegt auf exakt 2238 Höhenmetern. Die Berggipfel der White Bows gehen bis auf 4000 Meter hoch. Das habe ich euch gestern alles erzählt. Hört ihr mir eigentlich manchmal auch zu?«
»Trotzdem hätte ich die Kontrolle über das Fahrzeug nicht verloren, wenn ich nicht abgelenkt worden wäre«, sagte Bob.
»Abgelenkt?«, rief Peter entrüstet. Er prüfte am Heck des Wagens, ob ihre drei Paar Ski die Rutschpartie gut überstanden hatten. Glücklicherweise ja. Wie die Spitzen eines Zauns ragten sie über das Dach des Käfers. »Wer hat dich abgelenkt? Ich? Weil ich so laut beim Radio mitgesungen habe? Nun schieb die Schuld doch nicht immer auf andere!«
»Dich habe ich doch gar nicht gemeint«, rief Bob. »Steig lieber ein. Sonst passiert noch ein Unfall!«
Als hätte er es geahnt, wurde ein lautes Motorengeräusch hörbar. Eilig sprangen Peter und Justus in den VW. Bob fuhr den Wagen auf die rechte Fahrbahnseite. Grelles Licht blendete sie plötzlich. Als das andere Fahrzeug näher kam, sahen sie, dass es sich um einen Pick-up handelte, der mit einer vorne befestigten großen Schaufel Schnee von der Straße räumte. Als es auf Höhe des Käfers war, blieb das Gefährt stehen.
Das Fahrerfenster wurde heruntergelassen. »Irgendwelche Probleme?« Die Stimme der Frau klang samtig, aber bestimmt. Hinter ihr tauchte der Kopf eines großen, weiß-braun gefleckten Hundes auf, der auf dem Beifahrersitz gesessen haben musste. Er drängte sich neben die Frau und bellte. »Ruhig, Snoopy!«, sagte sie. Der Hund gehorchte und schnüffelte.
Vorsichtshalber zwinkerte Bob Snoopy freundlich zu. »Danke, Madam, keine Probleme«, rief er gegen den Lärm des Motors an, »nur eine kleine Rutschpartie. Wir sind auf dem Weg ins Snow Paradise.«
»Da habt ihr es nicht mehr weit!«, rief die Frau zurück. »Nach ein paar hundert Metern seid ihr da! Ihr könnt es schwer verfehlen. Es gibt nur fünf Häuser in Clearwater Springs. Über der Parkplatzeinfahrt leuchtet ein weißer Stern! Wollt ihr ein paar Tage bleiben?«
Bob nickte. »Wir wollen die Skitour in den White Bows gehen. Wie es aussieht, gibt es ja mehr als genug Schnee!«
»Allerdings! Bei dem Wetter müsst ihr auf Lawinen aufpassen. Bleibt auf der markierten Route. Und meidet vor allem das Weiße Grab!«
»Das Weiße Grab?« Bob runzelte die Stirn. »Was meinen Sie damit?«
»Fragt Walt Duffy vom Tourist-Office … oder, äh, wer eben da ist. Man wird euch alles erklären. Ich muss jetzt weiter, Jungs!« Sie zeigte auf die Straße, die bereits wieder komplett mit frischem Schnee bedeckt war. »Bin schon eine ganze Weile unterwegs.«
Bob bedankte sich für die Auskunft und der Pick-up fuhr ruckartig davon. Justus drehte sich um und sah, wie sich die Rücklichter langsam im Grau auflösten. »Weißes Grab«, murmelte er.
»Das fasziniert dich jetzt, Just, oder?«, sagte Peter provozierend. »Wenn ich dich daran erinnern darf: Wir haben ein paar Tage frei und wollen einfach nur in die Berge! Ich weiß ja, dass dir ein neuer Fall lieber ist, als auf Tourenski durch den Schnee zu stapfen. Aber du hast mir versprochen, dass wir nach den vielen Aufträgen der letzten Zeit ausnahmsweise nicht in ein Abenteuer geraten. Zumindest nicht in ein kriminalistisches! Und genau deshalb habe ich diesen abgelegenen Ort rausgesucht!«
»Das können wir später noch besprechen, Kollegen.« Bob legte den Gang ein und gab vorsichtig Gas. »Jetzt freue ich mich erst einmal aufs Essen und dann auf mein Bett!«
Peter gähnte. »Und ich erst mal! Nach der langen Fahrt! Aber was ich dich noch fragen wollte: Was hat dich denn vorhin abgelenkt, Bob, wenn ich es nicht war?«
»Ich weiß nicht, ob du das jetzt wirklich hören willst, Zweiter. Das Erste, was man von Clearwater Springs sieht, ist eine kleine Kirche. Wahrscheinlich ist sie dir nicht aufgefallen, weil sie auf meiner Seite lag, und Justus hat da noch vor sich hin gedöst. Ich habe sie zunächst auch nur aus den Augenwinkeln gesehen, schemenhaft, als das Scheinwerferlicht sie gestreift hat. Die Zufahrt war geräumt, sodass man einen Moment lang einen guten Blick hatte. Neben der Kirche lag ein Friedhof. Und da war so ein seltsam schwebendes Licht bei einem der Grabsteine, gerade so, als wäre ein Geist unterwegs …«
»Ein Geist?«, unterbrach Peter erschrocken. »Komm mir nicht mit so etwas! Die Fahrt hierher war schon unheimlich genug.«
»Wahrscheinlich war es auch nur ein Mensch mit einer Taschenlampe!«, sagte Bob grinsend.
»Was unternimmt man bei so einem Wetter und überdies um eine solche Uhrzeit mit einer Taschenlampe auf einem Friedhof?«, meldete sich Justus von der Rückbank und fügte ohne Unterbrechung hinzu: »Dritter, dreh sofort um! Wir sollten nach dem Rechten sehen!«
»Nein, das sollten wir nicht!«, rief Peter und befahl entschieden: »Bob, fahr bitte sofort ins Hotel!«
Doch Bob bremste den Wagen ab. Nach mehrfachem Hin- und Herrangieren auf der engen Straße gelang es ihm, das Auto zu wenden. »Wenn wir jetzt nicht nachschauen, wird Justus für den Rest des Abends keine Ruhe mehr geben«, begründete er seine Entscheidung. »An Schlaf wird dann nicht zu denken sein! Wir bleiben nur ganz kurz, Peter. Bestimmt habe ich mich getäuscht. Nach so einer langen Fahrt kann man wirklich Gespenster sehen. In ein paar Minuten sind wir dann im Hotel. Versprochen!«
»Diese Art Versprechen kenne ich«, murmelte Peter.
Langsam fuhr Bob die Straße zurück. Kopfschüttelnd saß Peter neben ihm, während Justus gespannt zwischen den Vordersitzen hindurch durch die Windschutzscheibe blickte. Vom Pick-up war nichts mehr zu sehen, aber auf der geräumten Straße hatten die Reifen nun besseren Griff. Nach etwa vierhundert Metern ließ Bob den Wagen ausrollen und schlug das Lenkrad nach rechts ein. Die Lichtkegel des VW Käfers erfassten eine kleine Holzkirche, die unter der Schneelast auf ihrem Dach schier zusammenzubrechen schien.
Die Zufahrt verbreiterte sich zu einem Parkplatz, der von einer kniehohen Steinmauer begrenzt war. Bob lenkte den Wagen neben sie und stoppte. Hinter der Mauer lugten ein paar Holzkreuze hervor, die sich schemenhaft vor der Kirche abhoben. Gemeinsam starrten die Jungen auf die Szenerie.
»Da ist niemand«, sagte Peter erleichtert. »Schon gar kein Geist! Also lasst uns umdrehen.«
»Moment!«, sagte Justus. In der Hand hielt er plötzlich eine Taschenlampe, die er aus seinem Rucksack gezogen hatte. »Ich möchte mir das kurz anschauen. Du kannst gerne im Auto warten, Peter.«
Der Zweite Detektiv blieb sitzen und sah wie unbeteiligt durch das Seitenfenster. Justus beließ es dabei und wartete, bis Bob ausgestiegen war und den Sitz nach vorne geklappt hatte. Dann quälte er sich durch die enge Öffnung hinaus in die Kälte. »Wo exakt hast du das seltsame Leuchten gesehen?«, fragte er Bob.
Bob schlug die Fahrertür zu. »Das kann ich dir nicht genau sagen.« Der Schnee dämpfte seine Schritte, als er auf die kleine Mauer zuging. »Es muss hier vorne gewesen sein. Sonst hätte ich ja nichts bemerkt.«
Die beiden Detektive stiegen über das schneebedeckte Mäuerchen. Justus beleuchtete den Boden. »Da«, sagte er, »Fußspuren!« Er schritt darauf zu und bückte sich. »Sie sind trotz Neuschnee noch gut zu erkennen.«
Es war eindeutig. Eine Person war von der Kirche aus auf die Mauer zugegangen, war umgedreht und wieder zurückgelaufen.
Plötzlich kam Bob das alles nicht mehr so seltsam vor. »Möglicherweise war tagsüber jemand auf dem Friedhof, hat hier etwas Wichtiges vergessen oder verloren und ist es holen gekommen. Seinen Schlüssel zum Beispiel.«
»Hm.« Justus schritt weiter und blieb dann abrupt stehen. »An diesem Grab hat sich die Person jedenfalls aufgehalten. Schau! Da ist Schnee weggeräumt worden und jemand hat versucht, zu graben!« Er bückte sich. »Aber die Person ist natürlich gescheitert. Der Boden ist gefroren. Dann ist sie zur Mauer gegangen, ist umgedreht und wieder zur Kirche gelaufen.«
»Vielleicht wurde er gestört?«
Justus leuchtete auf das Holzkreuz, das in eine Art Steinsockel eingelassen war. An ihm war ein kleines Schild befestigt.
»W. Duffy«, las er vor. »Hieß nicht der Mann vom Touristenbüro ebenfalls Duffy?«
»Wahrscheinlich heißen hier alle Duffy«, sagte Bob. »So abgelegen, wie die Ortschaft ist.«
»Bob, sieh dir das Todesdatum an! Das ist noch gar nicht so lange her. Und der Mann oder die Frau ist nicht mal fünfzig geworden!« Justus blickte sich um. Alles war dunkel. Das einzig Helle waren die Scheinwerfer des Autos und dessen Innenbeleuchtung. Peter hatte das Fenster heruntergekurbelt und sah zu ihnen hinüber. Immer noch fiel Schnee, wenn auch weniger dicht als vorher.
»Sollen wir den Fußspuren folgen?«, fragte Bob.
Justus nickte. Sie warfen einen Blick zurück zu Peter und liefen los. Die Person war wieder zur Kirche gegangen und dann auf einen Fußweg eingebogen, der ins Dunkel führte.
»Wahrscheinlich geht es da zum Ort«, überlegte Justus.
»Gehen wir?«, fragte Bob. »Peter ist allein.«
»Und?«, fragte der Zweite Detektiv, als Justus und Bob wieder ins Auto eingestiegen waren.
»Ich frage mich, warum jemand nachts heimlich eine Leiche ausgraben will«, sagte Justus und machte es sich bequem.
Peter stöhnte auf. »Ausgraben? Bist du dir sicher?«
»Sah tatsächlich so aus«, sagte Bob. »Peter, mir scheint, dass dein Plan, uns in eine harmlose Gegend zu führen, gehörig schiefgelaufen ist.« Er startete den Motor.
»Es gibt bestimmt einen einfachen Grund für das alles«, sagte Peter. »Vielleicht …«
»Na?«, fragte Justus.
»… vielleicht wurde versehentlich eine wertvolle Uhr mit begraben, die zur Erbschaft gehört.«
»Genau so wird es sein«, sagte Justus ironisch.
»Oder es war ein wildes Tier!«
»Mit Taschenlampe und Winterstiefeln?«
Peter schwieg. Ihm fiel kein harmloser Grund ein, warum jemand nachts bei Schneetreiben ein Grab ausheben wollte.
Inzwischen war Bob wieder auf die Straße gefahren und sie hatten zwei frei stehende Häuser passiert. Eins der Fenster war von einem flimmernden Licht erleuchtet.
»Fernsehen scheint es hier immerhin zu geben«, sagte Bob und grinste. »Aber sonst herrscht absolut tote Hose. Ich kann verstehen, warum du den Ort ausgesucht hast, Peter!« Er passierte eine Kurve und stieg plötzlich auf die Bremse, bis er realisierte, dass das Ungeheuer links am Straßenrand nur eine große, abgestellte Pistenraupe war. »Die haben eine Skipiste hier?«, murmelte er verwundert. »Für wen haben die die denn? Doch nicht für die zwei, drei Tourengeher, die hier in der Woche vorbeikommen?«
Aber Peter erklärte begeistert: »Im Internet habe ich davon gelesen. Es gibt auch einen Skilift. Die Piste soll sogar ganz abwechslungsreich sein. Wir können sie ja mal ausprobieren. Macht bestimmt Spaß, wenn man den Hang ganz für sich allein hat!«
»Ich bin dabei«, sagte Bob. Sie hatten die Kurve durchfahren und vor ihnen strahlte der weiße Stern des Hotels auf. Darunter leuchtete in geschwungenen Buchstaben der Schriftzug Snow Paradise. Der dritte Detektiv bog auf den Parkplatz ein. Nur drei weitere Wagen standen auf dem Gelände. Einer war von dickem Schnee bedeckt, auf den beiden anderen hatte sich erst eine dünnere weiße Schicht gebildet. »Da sind wohl noch andere heute Abend eingetroffen«, sagte Bob. »Ganz allein sind wir also nicht!« Er stellte das Auto nahe dem Eingang ab und machte den Motor aus. »Mann, habe ich einen Kohldampf!«
Den verspürten die beiden anderen Detektive auch. Sie schnappten sich ihr Gepäck und betraten wenige Augenblicke später einen einfachen Flur, an dessen rechter Seite sich eine Art Empfangstresen befand. Er war unbesetzt.
Wenn niemand da ist, sind wir gerade mit etwas anderem beschäftigt, stand auf einem kleinen Pappschild. Dann klingelt oder macht euch sonst wie bemerkbar. Ein Pfeil wies auf eine Kuhglocke, wie man sie aus Europa kannte. Justus schellte. Nichts passierte. Er schellte noch einmal. Plötzlich flog die Haustür auf und ein vielleicht vierzigjähriger Mann in Daunenjacke und Winterstiefeln kam herein. Er klopfte sich den Schnee von der Kleidung. »Wartet ihr schon lange?«
»Nein«, sagte Peter, »gerade erst angekommen. Gehören Sie zum Hotel?«
»Ich bin der Inhaber«, sagte der Mann und zog Jacke und Mütze aus. Dunkle kurze Haare, ein scharf geschnittenes Gesicht. »Joe Patwin. Herzlich willkommen!«
Indigener Abstammung, dachte Justus. Auch der Name sprach dafür. Mit einem Blick auf die nassen Stiefel fragte er: »Sie waren draußen? Ungemütlich dort.«
Mr Patwin zwängte sich hinter die Theke. »Ja. Musste noch was besorgen. Ihr seid bestimmt die Peter-Shaw-Gruppe, die die Four-Hill-Tour machen möchte?«
»Korrekt«, sagte Peter. »Nett, das mit der Kuhglocke aus den Alpen!«
»Made in China«, sagte Patwin.
Sie erledigten die Formalitäten, dann fragte der Zweite Detektiv: »Auf der Herfahrt haben wir eine Pistenraupe gesehen, wie groß ist denn das Skigebiet hier?«
»Wir nennen es Little Aspen. Ist ironisch gemeint. Es gibt nur eine Abfahrt, aber die hat es durchaus in sich. Sehr lang und teilweise steil. Ihr könnt sie gerne fahren, Details erfahrt ihr im Touristenbüro.«
»Da wollten wir sowieso noch hin«, sagte Peter, »wegen der Tour. Hat es denn so spät noch auf?«
»In einer Stunde wieder. So ungefähr. Den Ausgang raus, ums Haus rum und wieder rein. Aber jetzt zeige ich euch euer Zimmer.«
Sie mussten eine Treppe hochsteigen, dann kamen sie in einen schmalen Gang. »101, gleich das erste Zimmer auf der rechten Seite«, sagte der Hotelbesitzer und öffnete die Tür. »Wem darf ich den Schlüssel geben?«
»Gerne mir«, sagte Justus. »Wann gibt es Abendessen?«
»Wann seid ihr bereit?«, fragte Patwin zurück.
Bob sah die anderen an. »In einer Viertelstunde? Wir räumen noch das Gepäck aus.«
»Passt. Die Stube ist unten, einfach den Gang neben der Rezeption weiter geradeaus.«
Die drei ??? bedankten sich und sahen sich im Zimmer um. Das Doppelbett war bezogen und auch die breite Couch, die an der Rückwand stand. Ein ländlicher Schrank, ein kleiner Tisch, drei Bistro-Stühle. Seitlich eine halb offene Tür, durch die man ein modernes Bad mit Dusche und Toilette erahnen konnte. Schlicht, aber durchaus mit Geschmack.
Bob hatte mit anderem gerechnet. Er trat ans Fenster, um in die dunkle Nacht zu sehen. Wo die Berge waren, konnte man nur mutmaßen. Hinter den dichten Wolken hatte der Mond keine Chance. Sein Blick wanderte nach rechts. »Kollegen«, rief er überrascht aus, »ihr werdet es nicht glauben: Der Skilift läuft!«
»Der Skilift läuft?«, fragte Peter ungläubig. »So spät?« Er trat neben Bob. Tatsächlich. Der Einstieg zu dem Lift befand sich ein Stück weit hinter dem Pistenbully, den sie am Straßenrand entdeckt hatten. Im fahlen Licht einer an das Lifthäuschen angebrachten Lampe sah man Ankerbügel um Ankerbügel in der Dunkelheit verschwinden. Sie waren alle leer.
»Gespenstisch«, sagte Peter. »Niemand fährt mit.«
»Vielleicht testen sie den Motor«, sagte Bob.
»Um diese Uhrzeit?« Peter schüttelte den Kopf.
Neugierig kam auch Justus zu ihnen und blickte hinaus. »Da oben! Am Berg! Ein Lichtschein!«
Tatsächlich. Schräg über ihnen, wo der gegenüberliegende Berghang sein musste, entdeckten auch Peter und Bob das kleine flimmernde Licht, das sich aufwärtsbewegte. Manchmal verschwand es, dann tauchte es wieder auf, nur um gleich darauf wieder scheinbar zu verlöschen.
»Seltsam«, sagte Justus. »Erst dieses Licht am Grab, nun ein Flimmern am Berg. Wir scheinen in der Tat in eine gespenstische Gegend gekommen zu sein.«
Peter seufzte. Sie starrten noch eine Weile in die Nacht. Das rätselhafte Flackern tauchte nicht mehr auf. Dann stoppte der Lift. Das Licht am Häuschen erlosch und alles lag plötzlich im Dunkeln. Als wäre nichts gewesen … als hätten sie sich alles nur eingebildet.
»Na dann«, sagte Bob, »holen wir unser Gepäck!«
Zehn Minuten später öffnete Justus die Tür zum Speiseraum. Das Verstauen der Ski und das Schleppen der schweren Klamotten war in der dünnen Höhenluft anstrengend gewesen und der Erste Detektiv schnaufte immer noch.
Die Stube war so gut wie leer. Nur zwei Tische waren besetzt. Ein Mann, Ende vierzig, mit schmalem Gesicht und glatten dunklen Haaren, die ihm auf beiden Seiten bis unter die Wangen fielen, saß am Fenster und pickte mit einer Gabel Pommes frites aus einer gut gefüllten Schüssel. Sein geschmackvolles Hemd saß perfekt und seine ganze Erscheinung ließ darauf schließen, dass er normalerweise in nobleren Restaurants aß. Nun drehte er sich um und sah die drei ??? interessiert an.
Auch der andere Gast war männlich. Weit weniger elegant gekleidet als der Dunkelhaarige – er trug einen ausgeleierten Skipulli und alte Jogginghosen –, passte er eher in diese abgelegene Gegend. In der Hand hielt er ein fast leeres Bierglas und auf dem Teller vor ihm lagen die Reste eines Burgers, garniert mit einem Salatblatt und ein paar vereinzelten Pommes frites. Aus scharfen Augen, die wachsam über seinem wilden Bart aufblitzten, fixierte er die drei ???, als sei es geradezu ein Wunder, dass es in diesem Hotel so etwas wie neue Gäste gab.
Die drei Detektive kamen sich vor wie Tiere im Zoo. »Einen wunderschönen guten Abend!«, sagte Justus betont munter.
Keine Antwort.
Joe Patwin eilte durch eine Schwingtür herein, durch die es offenbar in die Küche ging. Er hatte sich eine Schürze umgebunden. »Da seid ihr ja. Setzt euch, ihr habt freie Platzwahl!«
Justus nickte und wandte sich an die zwei anderen Gäste: »Sind Sie auch wegen der Four-Hills-Tour hier?«, rief er etwas übertrieben heiter.
Der Mann mit dem Bart hob nur kurz sein Bierglas. Der andere reagierte gar nicht.
Die drei ??? verzogen das Gesicht und wählten den Tisch, der am weitesten von den beiden entfernt lag.
Patwin folgte ihnen beflissentlich und die Jungen bestellten drei extragroße Burger-Teller mit Pommes. Etwas anderes als Burger mit unterschiedlichen Beilagen gab es sowieso nicht. Der Hotelbesitzer hatte sich schon wieder abgewandt, als Justus fragte: »Sir, warum läuft eigentlich bei Ihnen der Skilift so spät am Abend?«
Patwin blieb stehen. »Der Lift? Da müsst ihr euch getäuscht haben.«
Justus sah ihn direkt an. »Und was war das für ein seltsames Leuchten am Berg?«
Da hob Patwin beschwichtigend die Hände. »Ihr habt es gesehen?«, fragte er fast flüsternd.
»Das Licht am Berg? Ja!«, sagte Justus laut.
»Das Gespenst«, flüsterte Patwin, »es ist also wieder da!«
»Welches Gespenst, Mr Patwin?«, fragte Peter.
»Der Tote aus dem Weißen Grab«, flüsterte der Hotelbesitzer. Seine Augen schienen zu flackern. »Er ist wieder da! Das bedeutet nichts Gutes!« Mit diesen Worten drehte er sich endgültig um und verschwand in der Küche.
»Seltsames Bergvölkchen«, sagte plötzlich der elegant gekleidete Mann am Fenster. Offenbar hatte er den Dialog mitbekommen. Er nahm sein Glas Wasser und kam zu den drei ??? herüber. »Darf ich?«
Justus wog unschlüssig den Kopf.
Der Mann interpretierte es als Einladung und setzte sich zu ihnen. »Ihr macht hier Urlaub?«, fragte er mit leiser Stimme. »So junge Leute wie ihr?«
»Warum nicht?« Bob sah Justus an.
»Wie ich bereits erwähnte, planen wir, die Four-Hills-Tour zu gehen«, erläuterte Justus.
»Seid ihr denn schon einmal in Clearwater Springs gewesen?«, fragte der Mann, der sich nach wie vor nicht vorgestellt hatte.
Justus schüttelte den Kopf.
»Dann wisst ihr also nichts von dem Lawinenunglück?«
»Von einem Unglück haben wir nichts gehört«, sagte Justus, »aber so etwas interessiert uns. Bitte erzählen Sie, Sir!«
»Ach, nein, ich will euch nicht ängstigen. Entschuldigt bitte.« Der Mann stand auf und ging zurück zu seinem Tisch.
»Lawinenunglück«, murmelte Peter. »Die Tour soll doch so sicher sein. Gerade deswegen habe ich sie ausgesucht!«
»Das ist sie bestimmt auch«, sagte Justus wie nebenbei. Ihm war aufgefallen, dass der Mann mit dem Bart die ganze Zeit über die Szene beobachtet hatte.
Die Küchentür schwang auf, doch diesmal kam nicht Mr Patwin heraus. Es erschien den Jungen vielmehr wie ein Zeichen, dass der Abend noch eine glückliche Wendung nehmen könnte. Das Mädchen, das aus der Küche trat, war etwa so alt wie die drei ???, sah äußerst gut aus und hatte eine Ausstrahlung, die die Jungen in ihren Bann zog.
In der rechten Hand balancierte sie ein Tablett mit drei Gläsern. Damit baute sie sich vor den drei ??? auf und sagte: »Normalerweise sehen in Clearwater Springs selten so nette Jungs vorbei! Schon ziemlich das Ende der Welt hier. Wer bekommt die Cola?«
»Cola … für mich«, stotterte Peter.
»Wasser?«
»Ja«, sagte Justus.
»Dann bekommst du die Limo«, sagte das Mädchen und sah Bob sekundenlang in die Augen.
Dessen Mund öffnete sich, doch es kam nichts heraus.
Das Mädchen stellte das Glas behutsam vor ihm ab.
»Habt ihr Freundinnen?«, fragte sie offenbar wieder in die Runde, doch sie sah Bob dabei an.
»Freundin, was ist das?« Justus grinste.
»Ich eher ja«, sagte Peter.
»Zurzeit nein«, murmelte Bob.
»Ich heiße Kelly«, sagte das Mädchen, »Kelly Patwin.«
»Kelly?« Justus lachte.
»Was ist daran so komisch?«, fragte Kelly.
»Seine … Freundin heißt so«, sagte Justus und deutete auf Peter. »Und dein Nachname ist Patwin, wie der des Hotelbesitzers?«
Kelly nickte. »Ich bin seine Tochter. Nun schaut nicht so ungläubig. In Clearwater wohnen echte Menschen, auch wenn es manchmal nicht so aussieht. In der Hauptsache die Familien der Patwins und die der Duffys. Außerdem haben sich im Laufe der Jahre noch ein paar Gäste und ein paar Bewohner des Weißen Grabs dazwischengemischt!« Sie lächelte. »Wer weiß das schon so genau?«
»Vorhin hat schon jemand das Weiße Grab erwähnt«, sagte Justus, »was ist das?«
»Kelly!« Das Gesicht des Hotelbesitzers war in der Schwingtür erschienen. »Das Hackfleisch brennt an«, rief er, »bitte komm mal in die Küche und kümmere dich darum!«
»Kannst du das nicht kurz tun?«, fragte Kelly zurück.
Patwin sah ihr fest in die Augen.
»Wie du meinst!« Sie drehte sich um und stapfte los.
»Kelly Lichtblick«, murmelte Peter, »jetzt ist sie leider verschwunden …«
Doch eine Minute später stand sie schon wieder vor den drei Detektiven mit zwei dampfenden Burger-Tellern in der Hand. Mr Patwin brachte den dritten, sodass die drei ??? schlecht an das vorige Gespräch mit dem Mädchen anknüpfen konnten. Justus sah auf die Uhr.
Als könnte er Gedanken lesen, sagte der Hotelbesitzer: »Esst in Ruhe fertig! Im Touristenbüro wird auf alle Fälle jemand für euch da sein.«
Also ließen sie es sich schmecken. Zwanzig Minuten später legten Justus, Peter und Bob Messer und Gabel beiseite und verließen satt und zufrieden das Restaurant.
»Wir müssen außen herumgehen«, erinnerte sich Bob.
Sie öffneten die Haustür. Immer noch fiel Schnee. Und es war empfindlich kalt geworden. Aber für die kurze Strecke brauchten sie keine Jacken, schnell joggten sie um das Haus herum. Das Touristenbüro war erleuchtet und Peter drückte die Tür auf.
Ein enger, kleiner Raum voller Drehsäulen mit Landkarten, Ansteckern und Aufklebern. Hinter der schmalen Theke war niemand. Peter entdeckte ein Schild mit der Aufschrift: Wenn keiner da ist, sind wir gerade mit etwas anderem beschäftigt. Dann klingelt oder macht euch sonst wie bemerkbar. Ein Pfeil wies auf eine Kuhglocke. Peter lächelte und schellte. Eine Tür ging auf und Mr Patwin trat ein. Noch im Gehen band er sich die Schürze ab und warf sie über einen Stuhl.
»Sie?«, fragte Justus.
Mr Patwin nickte und setzte eine Kappe auf, auf der die Worte Willkommen in Clearwater Springs standen. »Ich habe mehrere Jobs. Wir sind so wenige Leute hier!« Er grinste. Offenbar war ihm die Überraschung schon öfter gelungen.
»In welcher Funktion werden Sie uns denn noch so begegnen?«, fragte Justus.
»Tja … das war es im Wesentlichen! Und ich bin der Lokaljournalist. Wenn es überhaupt mal etwas zu berichten gibt, schreibe ich es auf und übermittle es an die Mountain Post unten im Tal. Und dann bin ich natürlich noch … für dies und das zuständig. Die Post zum Beispiel.«
»Sind Sie hier vielleicht auch der Pfarrer?«, fragte Bob.
Mr Patwin lachte. »Da wäre ich der Falsche. Ich bin kein Christ. Nein, einen Pfarrer können wir uns hier nicht leisten. Und die Gemeinde im Tal liegt über eine Stunde weit weg. Pater Samuel fährt für die Andacht in unserer Kirche alle vierzehn Tage die Serpentinenstraße hoch und wieder hinunter, oder wenn etwas passiert.«
»Wenn jemand stirbt zum Beispiel?«
»Ja, wenn jemand stirbt.«
»Wir hatten eigentlich einen Walt Duffy in diesem Büro erwartet«, sagte Justus.
»Ach, Walt. Ja, Walt hat das hier gemacht, bevor er von uns gegangen ist.«
Unmerklich stieß Justus Bob in die Seite. W. Duffy, das hatte auf dem Grabkreuz gestanden.
Mr Patwin hielt kurz inne und fragte dann mit einem schwer zu deutenden Unterton in der Stimme: »Wer hat euch von Walt erzählt?«
»Eine Frau in einem Räumfahrzeug, die wir nach dem Weg gefragt haben. Sie hatte einen Hund dabei.«
»Das war Laurenne! Sie ist Walts Schwester, wisst ihr? Sie kann sich einfach nicht daran gewöhnen, dass Walt tot ist. Ihr einziges Andenken ist Snoopy, sein Hund. Den liebt sie über alles. Seit ein paar Wochen behauptet sie steif und fest, dass der Geist von Walt umgeht. Und ich sage euch, da kann sogar etwas dran sein! Ihr habt ihn ja offenbar auch gesehen.«
Justus wiegte den Kopf. »Ich kann bestätigen, dass wir irgendetwas gesehen haben. Dass es ein Geist war, würde ich nicht zu behaupten wagen. Woran ist Mr Duffy denn gestorben?«
»Der Weiße Tod«, sagte Mr Patwin. »Eine Lawine. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Es geschah oben in den Bergen, am Weißen Grab!«
»Und wo befindet sich dieses Grab?«
»Moment, ich zeige es euch.« Der Hotelbesitzer nahm eine Landkarte aus einer Verkaufssäule, faltete sie auseinander und deutete mit dem Finger auf einen Punkt. »Hier ist Clearwater Springs. Wenn ihr die Four-Hills-Tour macht, werdet ihr auf dieser Linie die Berge passieren. Zum Schluss geht es dann über die Straße zu uns zurück. Die Tour ist anstrengend, aber ungefährlich. Die meisten brauchen drei Tage, manche schaffen es in zwei. Unterwegs trefft ihr auf zwei unbewirtschaftete Schutzhütten, aber das wisst ihr vermutlich.«
Peter nickte. So weit hatte er sich informiert.
Der Hotelbesitzer redete weiter. »Dort findet ihr jeweils einen Notruf. Mobiltelefone funktionieren nur an wenigen Stellen. Den Schlüssel zu den Hütten erhaltet ihr von mir. Wartet, ich kann ihn euch gleich mitgeben.«
Peter steckte ihn ein. »Und die Strecke ist wirklich sicher?«
»Seit Jahrzehnten hat es dort keine Lawinen mehr gegeben. Das liegt daran, dass der Schnee in der Regel jenseits eures Weges abgeht. An den gefährlichen Stellen existieren Brücken und Schutzwälle, die wir gerade erst erneuert haben.«
»Deswegen habe ich genau diese Tour ausgewählt«, unterbrach Peter. »So schön es in den Bergen auch ist: Ich habe keine Lust, unter Schnee begraben zu werden!«
»Da hast du richtig entschieden«, sagte Mr Patwin. »Aber zurück zu eurer Frage: Passt auf, dass ihr nicht vom Weg abkommt und zum Weißen Grab gelangt!« Er zeigte auf die Karte. »Hier ist es. Meidet dieses Gebiet unbedingt! Habt ihr mich verstanden? Walt war nicht der erste Tote, den es dort gegeben hat. Kein Wunder, dass dort oben ein Geist umgeht!«
Die drei ??? beugten sich über die Landkarte. Mr Patwins Finger deutete neben den ersten Berg, den sie passieren mussten. »Morgen früh steigt ihr hoch bis an diesen Bergrücken. Dort gabelt sich der Weg dreifach. Ganz links geht die Piste mit der Talabfahrt ab, schräg links kommt ihr zu eurer Skitour. Doch wenn ihr rechts abzweigt und über den Kamm auf die andere Seite gelangt, folgt dort eine weite Senke. Ein kleiner Gletscher hat sie ausgeschliffen. Mitten im Gelände, direkt neben dem Gletscher, steht eine Hütte, die vor allem im Sommer genutzt wird. Sie ist schon sehr alt, wurde oft zerstört, aber immer wieder aufgebaut.« Er sah auf. »Meistens durch Lawinen. Es hat auch einige Menschen erwischt. Deswegen heißt die Gegend bei uns das Weiße Grab.«
»Warum ist dieses Gebiet so lawinengefährdet?«, fragte Bob.
»Am Hang darüber befindet sich eine große, in Richtung der Senke abfallende Ebene. Der Wind weht hier große Schneemassen auf. Irgendwann hält das Ganze nicht mehr, besonders jetzt, wo der Winter seinem Ende zugeht. Der Schnee kommt ins Rutschen und brettert als Lawine ins Tal. Das ist eine Gewalt, die du dir kaum vorstellen kannst. Sie reißt alles mit. Kein Baum, kein Haus kann sich dagegenstemmen, und alles wird unter dem Schnee begraben. Allerdings ist die Hütte einigermaßen sicher, seit wir sie von der Bergseite her mit einem breit gezogenen Erdwall geschützt und über ihr ein dickes Grasdach angelegt haben. So hat sie schon mehrere Winter überstanden.«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Peter. »Da werden wir ganz bestimmt nicht hinfahren. Nicht für alles Geld der Welt!«
»Von dem hättest du dann auch nicht mehr viel«, sagte Mr Patwin.
»Versprochen«, sagte Peter. Und fügte mit einem Seitenblick auf Justus hinzu: »Für die Tour werden wir drei Tage brauchen. Bekommen wir die Verpflegung von Ihnen?«
»Morgen früh stellt euch Kelly alles bereit. Wie du es bestellt hast. Wann wollt ihr starten?«
»Spätestens um acht«, meinte Peter, bevor jemand anderes etwas sagen konnte.
»Um neun«, sagte Justus und grinste. »Am liebsten allerdings nach einem ausgiebigen Frühstück um zehn.«
Ein Lächeln huschte über Mr Patwins Gesicht. »Ihr könnt auch mit dem Lift hochfahren«, sagte er. »Es kostet zwar zehn Dollar pro Person, aber dann seid ihr schon fast am Kamm.«
Während Peter entschieden den Kopf schüttelte, sagte Justus freundlich: »Das Angebot nehmen wir sehr gerne an, Mr Patwin!«
»Okay. Ich sage dem Mann von der Bergbahn Bescheid! Eher gegen etwas später dann?«
Peter gab auf und nickte.
»Habt ihr sonst noch irgendwelche Fragen? Andernfalls muss ich wieder vor ins Restaurant, die beiden anderen Gäste sind noch da!«
»Apropos Gäste«, sagte Justus, »warum kommen hier eigentlich so wenig Besucher hin, wenn die Gegend so schön ist?«
»Nun, es gibt attraktivere Ziele, die besser und schneller zu erreichen sind als Clearwater Springs«, sagte der Hotelbesitzer. »Wir sind schon ein wenig abgelegen. Leider. Und auch die beiden unbewirtschafteten Hütten schrecken wohl viele Besucher ab. Die sind wahrlich kein Luxus. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen!«
Bob hatte derweil in den Regalen gestöbert und zog ein kleines Buch heraus. »Das Weiße Grab«, las er den Titel murmelnd vor. »Die wechselvolle Geschichte eines heiligen Ortes! Interessant. Was kostet das?«
»Sieben Dollar. Da könnt ihr alles über die Hütte nachlesen. Man hat ein altes Tagebuch gefunden, das verschiedene Bewohner der Hütte über Jahrzehnte fortgeschrieben haben. Wir haben es kommentiert und erweitert und daraus dieses Buch gemacht.«
Bob sah auf das Titelblatt. Von Walt Duffy, stand da. »Ich kaufe es«, sagte er.
Mr Patwin kassierte das Geld. Da die drei ??? alles hatten, was sie brauchten, schloss der Hotelbesitzer das Touristenbüro. »Ihr könnt gerne innen durchgehen!«, bot er an und schmunzelte. »Schließlich gehört ihr fast schon hierher.«
Die Jungen nickten. Sie kamen am Büro von Mr Patwin vorbei und erreichten kurz darauf die Treppe. Da sie müde waren, gingen sie gar nicht mehr zurück in den Speiseraum, sondern direkt aufs Zimmer.
»Danke für die Informationen, Mr Patwin, und gute Nacht«, sagte Peter.
»Bis morgen früh!« Der Hotelbesitzer nickte ihnen zu und lief wieder in die Küche.
Gedankenvoll stiegen die drei ??? die Stufen hoch. Bob wollte unbedingt noch in das Buch schauen, bevor sie schlafen gingen. Justus dachte über ihre Beobachtungen nach und versuchte, einen Sinn dahinter zu erkennen. Peter hingegen war zwiegespalten. Einerseits war er voller Vorfreude auf die Tage im Schnee, andererseits hatte er das Gefühl, dass sich ein dunkler Schatten auf seinen schönen Plan von einem erholsamen Ausflug gelegt hatte.
Als die drei Detektive die Tür hinter sich geschlossen hatten, fragte Justus: »Was haltet ihr davon, wenn wir die Tour um einen Tag verschieben?«
»Nichts«, sagte Peter sofort. »Wir müssen pünktlich zurück sein!«
»Aber es gibt hier mehrere erstaunliche Dinge«, insistierte Justus. »Ich möchte zwar noch nicht von einem Rätsel sprechen oder gar von einem neuen Fall, aber die Sache mit dem Friedhof, mit den Lawinen, den Lichtern … Es ist so einiges seltsam hier. Nicht zuletzt das Verhalten der Leute. Zum Beispiel, als wir im Hotel eintrafen. Niemand war da und wenige Augenblicke später kommt Mr Patwin daher und klopft sich den Schnee von der Jacke.«
»Er war halt draußen«, sagte Peter.
»Bestimmt gelangt man auf einem Fußweg vom Hotel zur Kirche«, sagte Justus.
Peter holte Luft. »Hör auf, Justus! Hatten wir nicht mehr als genug Fälle in letzter Zeit? Bob, gib mir bitte recht!«
Bob setzte sich aufs Bett und legte das Buch auf sein Kopfkissen. »Ich verstehe euch beide«, sagte er. »Und ich möchte es mir mit keinem von euch verderben.«
»Dann sag doch einfach, was du willst!«, rief Peter.
»Die Fahrt war lang und es kann sein, dass uns unsere Eindrücke täuschen …«
»Das tun sie nie!«, unterbrach Justus.
»Lass mich doch mal ausreden! Ich meine, dass dieser Ort vielleicht seltsam ist und die Leute schrullig sind, aber kein Fall für die drei ??? dahinterstecken muss. Und wenn doch, dann holt er uns ohnehin ein. Ich schlage vor, wir machen uns morgen auf den Weg und sehen, was passiert.«
Justus schwieg, zupfte an seiner Unterlippe und schritt unschlüssig im Zimmer hin und her. Vor dem Fenster blieb er stehen und starrte in die Nacht.
»Okay«, sagte er nach einer Weile. »Einverstanden.«
Erleichtert atmete Peter aus.
Doch Bobs Gesichtsausdruck blieb nachdenklich. Das Licht am Berg, dachte er. Justus hat nur zugestimmt, weil er da oben nach dem Rechten sehen will. Aber auch den dritten Detektiv hatte dieser eigenartige Ort gepackt. Er nahm das Buch über das Weiße Grab und blätterte darin, während Peter und Justus ihre Schlafsachen auspackten.
Nachdem Justus und Peter im Bad gewesen waren und sich in ihre Betten gelegt hatten – Justus auf die Schlafcouch und Peter neben Bob –, berichtete der dritte Detektiv in Kurzform, was er gelesen hatte. »Dieser Platz oben in den Bergen ist schon lange bekannt. Die Indigenen waren die Ersten, die ihn für sich entdeckten. Der Ort galt bei ihnen als heilig und sie bauten eine Kultstätte darauf.« Er blickte auf. »Interessiert euch das überhaupt? Oder seid ihr schon am Einschlafen?«
»Sprich weiter«, sagte Justus, »ich höre dir zu.«
»Hmm«, brummte Peter schläfrig.