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Kommissarin Merryweather, die Vertretung von Inspektor Cotta, schickt Justus, Peter und Bob zu einem verlassenen Bunker an der Steilküste von Rocky Beach. Dort soll es angeblich spuken, doch für solchen Kinderkram hat die Großstadtpolizistin keine Zeit. Als die drei Detektive am Bunker ankommen, hören sie geisterhafte Stimmen und werden plötzlich von einem Unbekannten eingesperrt. Schnell wird den Freunden klar, worum es geht: Ein alter Fall holt Merryweather ein und die drei ??? stecken mittendrin.
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Seitenzahl: 149
und der Geisterbunker
erzählt von Ben Nevis
Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
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© 2021, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur
ISBN 978-3-440-50317-1
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Justus Jonas zog seinen Freund Peter Shaw tief zu sich hinter die Mülltonne. »Da vorne …«, flüsterte er so leise, dass Peter es gerade noch vernahm, »da schleicht sich jemand an!«
Peter starrte auf die nächtliche Straße. Dummerweise sah er nichts. Es war dunkel und nur ab und zu schuf eine Straßenlaterne eine kleine Lichtinsel unter sich. Doch, tatsächlich: War da nicht ein Schatten, der sich eng an die Autos gedrückt langsam näherte? Geradewegs auf den silberfarbenen Mercedes zu, der nur wenige Meter weiter rechts von ihnen am Straßenrand parkte. Ein wunderschönes altes Auto, schwach beschienen von der Laterne, die darüber im Wind sanft an einer Oberleitung hin und her wippte.
»Tatsächlich!«, flüsterte Peter. »Hoffentlich sieht er uns nicht.«
Die Papiertüte in Justus’ Hand knisterte. Mit tiefen Zügen blies der Erste Detektiv der drei ??? sie auf.
»Er wird uns zwar nicht sehen, aber hören, wenn ihr so weitermacht«, sagte Bob Andrews leise. Mit seinem Handy in der Hand kauerte er ein Stück weiter hinter einem Zierstrauch. »Achtung: Gleich gilt Code sieben!«
Sie schwiegen und spannten die Muskeln an. Ein Mann schälte sich aus dem Schatten heraus, eine schwarze Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Etwas blitzte in seiner Hand auf: ein Messer!
»Der Reifenstecher!«, entfuhr es Peter.
Die drei Detektive beobachteten, wie sich der Mann umblickte und auch kurz in ihre Richtung sah. Doch offenbar bemerkte er die Jungen nicht. In einer schnellen Bewegung kauerte er sich neben das Heck des Mercedes. Die Hand mit dem Messer holte zum Stich aus.
»Code sieben«, stieß Bob hervor. Fast im gleichen Moment sprangen die drei Freunde auf.
»Halt!« Justus trat aus seinem Versteck. Der Mann war nur wenige Meter entfernt. Doch weit genug, dass er noch fliehen konnte. »Sie sind der Reifenstecher von Rocky Beach!«, rief der Erste Detektiv. »Der Attentäter, der es auf schöne alte Autos abgesehen hat. Ergeben Sie sich, Sie sind überführt!«
Der Mann hatte seine Bewegung unterbrochen und sich herumgedreht.
Auch Peter und Bob kamen nun aus ihrem Versteck hervor.
Kurz befürchteten die drei ???, dass der Reifenstecher sie angreifen würde. Schließlich hatte er ein Messer! Doch er erkannte seine Chance zur Flucht, sprang auf und sprintete los. Die drei ??? rannten hinterher. Der Kerl war schnell, sodass Justus schon nach wenigen Metern den Anschluss verlor. Auch Bob stoppte ab, nur Peter konnte mithalten. Doch er gab nicht sein Äußerstes und hielt Abstand. Gleich würde der Flüchtende die nächste Kreuzung erreichen.
»Stehen bleiben!«, brüllte Justus und ließ die aufgeblasene Papiertüte knallen. Es klang wie ein Schuss.
Der Mann wandte sich kurz um und wollte dann weiterrennen. In dem Moment preschte ein Streifenwagen auf die Straße. Zwei Polizisten sprangen heraus. Mit geübten Griffen entwanden sie dem Flüchtenden das Messer und rangen ihn zu Boden. Der Mann fluchte lautstark.
»Gut gemacht«, sagte Officer Brown, einer der Polizisten, wenige Momente später. Der Reifenstecher, ein etwa vierzigjähriger Mann mit bleichem Gesicht, saß mit Handschellen im Polizeiwagen. »Den Ganoven haben wir schon lange gesucht! Er hat tatsächlich eine Vorliebe für schöne alte Autos. Eure Falle ist hervorragend zugeschnappt!«
»Sogar der Mercedes, den Onkel Titus aufmöbeln soll, ist unversehrt geblieben«, sagte Justus stolz. »Und das Timing war hervorragend: Sie haben genau im richtigen Moment die Kreuzung blockiert.«
»Dank Code sieben plus 20 Sekunden«, sagte Officer Brown und zeigte auf das Display seines Handys. »Und was bedeutet bei euch Code sechs?«
»Warten«, sagte Peter trocken.
Officer Brown lachte. »Inspektor Cotta wäre stolz auf euch. Ihr seid eine wirklich gute Hilfstruppe.«
Justus hatte genau zugehört. »Wieso wäre?«, fragte er nach. »Ist Inspektor Cotta nicht vor Ort?«
Der Officer schüttelte den Kopf. »Nein. Heute Nachmittag hat er sich auf eine mehrwöchige … Fortbildung verabschiedet. Nun …«, er überlegte kurz, »sagen wir besser: eine Pause. Er hat kurzfristig einen Platz für eine Erholungskur bekommen. Die letzten Jahre waren wohl etwas anstrengend.«
»Das hätte er uns ruhig mitteilen können«, sagte Justus ein wenig beleidigt.
»Er wollte euch kurz vor der Aktion nicht irritieren«, antwortete der Officer. »Er vertraut mir. Und es hat ja auch geklappt! Ich weiß nur nicht, ob seine Vertretung begeistert davon sein wird, dass so junge Detektive der Polizei von Rocky Beach unter die Arme greifen. Das ist schon etwas ungewöhnlich …«
»Eine Vertretung, sagen Sie? Wer ist es?«, fragte Bob nach.
»Kommissarin Lisa Merryweather«, sagte Brown und rollte vielsagend mit den Augen. »Seit ein paar Tagen auf unserer Station. Direkt aus Los Angeles. Sie soll wohl mal für ein paar Wochen in einer anderen Umgebung ›frische Luft schnuppern‹. Ich finde sie ein wenig …« Er stockte.
»Eingebildet?«, half Justus nach.
»Das wäre nicht ganz das richtige Wort. Sie ist eher … nicht ganz ausgefüllt. Gelangweilt. Sie sagt, sie sei anderes gewohnt, als sich um ausgebüxte Katzen und verlorene Hausschlüssel in einem verschlafenen provinziellen Fischerdörfchen zu kümmern.«
»Sie hat unseren stolzen Heimatort Rocky Beach als ein verschlafenes provinzielles Fischerdörfchen bezeichnet?«, fragte Justus empört.
Der Polizist nickte. »So in etwa drückte sie sich aus. Sie scheint nicht viel von uns zu halten. Den Einsatz mit dem Reifenstecher hat sie sofort an mich delegiert. Zu uninteressant. Und wenn sie dann noch mitbekommt, dass wir von ein paar Jugendlichen unterstützt werden …«
»… dann fühlt sie sich von den Mord- und Drogendramen aus L.A. in eine Kleinkindkrimiserie versetzt«, führte Justus den Gedanken zu Ende.
»So ähnlich, ja. Aber nun bringe ich lieber mal unseren heutigen Fang auf die Wache. Immerhin ein Reifenstecher, nach dem wir schon sehr lange fahnden!«
»Stets gern zu Diensten«, sagte Justus. Dann verabschiedeten sich die Jungen und machten sich auf den Weg ins Bett.
Am nächsten Morgen trafen sich die drei ??? in ihrer Zentrale. Die Zentrale war das Büro der Detektive und befand sich in einem alten, verbeulten Campinganhänger, der – versteckt unter viel Gerümpel – auf dem Gelände des Gebrauchtwarencenters T. Jonas stand, wo Justus seit dem Tod seiner Eltern vor vielen Jahren bei seiner Tante Mathilda und seinem Onkel Titus lebte.
Trotz ihres nächtlichen Erfolgs war die Stimmung unter den drei Detektiven nicht die beste. Die Aktion mit der Falle für den Reifenstecher war zwar eine nette kurze Abwechslung gewesen. Zu lange aber warteten die Jungen schon auf einen richtigen Fall, auf ein Verbrechen mit Rätseln und Geheimnissen, seltsamen Personen und vielleicht sogar gruseligen Erlebnissen. Dafür konnte die Festnahme nicht entschädigen.
In weniger als fünf Minuten hatte Bob alle relevanten Details des kurzen Vorfalls für ihr Aktenarchiv festgehalten und das Blatt Papier nicht wie gewohnt in die Abteilung Fälle, sondern nebendran in Sonstiges versenkt. Dann öffnete er eine Wasserflasche und trank einen Schluck.
Peter zwinkerte ihm zu und nickte in Richtung Justus.
Bereits seit Minuten starrte der Erste Detektiv gedankenversunken auf das Telefon, als ob er dadurch einen neuen Auftrag herbeimeditieren könnte.
Da klingelte es tatsächlich.
Justus schrak hoch. Das zweite Klingeln war noch nicht verklungen, da hatte er schon den Hörer in der Hand. »Justus Jonas von den drei Detektiven.« Mit der anderen Hand schaltete der Erste Detektiv den Verstärker an, sodass seine Freunde mithören konnten.
»Officer Brown hier.«
»Ach, Sie sind es«, sagte Justus enttäuscht, »Sie haben wohl noch Fragen zu gestern Abend?«
»Ja. Also, nein. Kommissarin Merryweather möchte euch sprechen!«
Hörbar ließ Justus Luft aus. »Ich verstehe. Ihre zeitweilige Kollegin möchte das junge dynamische Detektivteam kennenlernen, das der Polizei unter die Arme greift«, stellte er fest. »Ich ahne schon, was folgen wird. Nämlich ein Vortrag zum Thema Einmischen in die Polizeiarbeit. Abschließend gekrönt von dem Hinweis Lernt lieber für die Schule.«
»Vermutlich triffst du den Kern«, sagte Officer Brown. »Genau hat sie es nicht erläutert. Sie war in erster Linie mit dem Wegwischen eines Kaffeeflecks beschäftigt.«
»Hat das Treffen Zeit bis nächsten Monat?«, fragte Justus hoffnungsvoll.
»Oder vielleicht auch bis übernächsten?«, setzte Bob von hinten nach.
Der Officer lachte. »Sie dachte eher an gleich. Jetzt. Sofort!«
Justus stöhnte auf und sagte: »Okay, Officer Brown, bringen wir es hinter uns. Wir haben gerade sowieso eine Flaute. In zwanzig Minuten sind wir da.« Gereizt legte er auf. »Das hat mir gerade noch gefehlt. Eine überhebliche Polizistin, die uns die Leviten liest und uns unsere Arbeit verbieten will.«
»Das wissen wir doch noch gar nicht«, wandte Bob ein.
Justus schüttelte den Kopf. »Was denn sonst? Wir kennen doch die Leier: Das ist alles Polizeiarbeit und Ihr seid ja fast noch Kinder. Haltet euch da raus! Ich bin es leid, die Leute immer wieder von unserer Qualität überzeugen zu müssen.«
»Wir haben gerade sowieso keinen Fall«, sagte Peter. »Vielleicht können wir die Schreckschraube irgendwie freundlich stimmen. Mit einem Blumenstrauß oder so.«
»Ah, der Charmeur«, bemerkte Justus patzig.
Doch Bob unterstützte Peter. »Ich finde es eine gute Idee. Möglicherweise ziehen wir sie damit auf unsere Seite und sie übergibt uns sogar einen Fall!«
»Träumer«, murmelte Justus, fügte dann aber hinzu: »Und wo bekommen wir so schnell Blumen her?«
»Deine Tante Mathilda hat doch in eurem Wohnzimmer …«
»Die sind zwei Wochen alt.«
»Auf dem Weg zum Revier gibt es einen Blumenladen …«
»Auch noch Geld ausgeben?« Justus überlegte. Dann lächelte er. »Onkel Titus hat letztens so eine kitschige Vase gekauft! Zehn Dollar hat er dafür gegeben – neun zu viel, wie Tante Mathilda geschimpft hat. Das Ding wird er sowieso nicht los. Wir geben ihm zwei Dollar, stecken eine Blume rein … Das kommt uns auf jeden Fall billiger.«
Die drei verließen die Zentrale und Justus kramte die Vase hervor. Er wickelte grob etwas Packpapier drum herum, knickte im Vorgarten eine Heckenrose ab, dann radelten die Jungen lustlos zur Polizeistation von Rocky Beach.
Officer Brown führte sie in das Büro von Inspektor Cotta. Hinter dessen Schreibtisch erwartete sie nun nicht der mitunter etwas launische, aber ihnen sehr wohlgesinnte Polizist, sondern eine sportliche blonde Frau Mitte vierzig. Sie war gerade dabei, auf der Tischoberfläche eine leicht abgegriffene Schminkschatulle hin und her zu schieben, unschlüssig, wo sie sie am besten platzieren sollte. Aus einem kleinen portablen Lautsprecher klang Oldie-Musik und ihr rechter Fuß wippte im Rhythmus so heftig mit, dass der rote Stöckelschuh fast zu Boden fiel. Sie sah auf und warf ihre Haare zurück. »Ah, da seid ihr ja!«
»Tag«, sagte Bob.
»Hallo.«
»Hi.«
So hatten sich die drei ??? Cottas Vertretung nicht vorgestellt. Ihren Erwartungen an eine Schreckschraube entsprach Lisa Merryweather nur bedingt. In ihrem altmodischen, bunten Kleid wirkte sie wie eine schräge, vielleicht sogar ganz witzige Einzelgängerin, die eine Aura der Unantastbarkeit umgab.
Die Kommissarin warf Officer Brown, der neugierig in der Tür wartete, eine Handbewegung zu. »Das wär’s, Brown!«
»Äh, ja. Ich gehe dann mal«, sagte der Officer zögernd. Offenbar war er neugierig, was seine Vorgesetzte zu sagen hatte.
Die wartete jedoch geduldig ab, bis er im Flur verschwunden war. »Ihr seid also diese Fragezeichen«, eröffnete die Polizistin dann das Gespräch und deutete auf den Stuhl, der vor ihrem Schreibtisch stand. »Ihr könnt euch setzen.« Sie bemerkte, dass das bei drei Personen schwierig werden würde. »Also, zumindest einer von euch. Ist jemand der Chef?«
»Wir stehen lieber«, sagte Justus.
»Auch recht.« Lisa Merryweather ließ ihren Blick über die Jungen schweifen. Ihre Miene verriet nichts. Dann fiel ihr Blick auf das seltsame Päckchen, das unter Justus’ Arm klemmte. »Ist das für mich?«
»Äh, ja.« Justus überreichte ihr das Geschenk. »Wir dachten, wir können Ihnen damit eine kleine Freude bereiten. Willkommen in Rocky Beach!«
Kommissarin Merryweather nahm das Päckchen entgegen. »Wie liebevoll verpackt«, sagte sie und die drei ??? waren nicht ganz sicher, wie sie das meinte. Gleich darauf hielt sie die unförmige pinkfarbene Vase, auf die ein rotes Herz gemalt war, vor sich. »Was für ein ausgefallener Geschmack!«
»Das gehört da eigentlich noch rein.« Justus zog die Hand hinter dem Rücken hervor und steckte die von der Fahrt etwas schlaff gewordene Blume in die Öffnung.
Mrs Merryweather verzog das Gesicht. »Habt ihr ein schlechtes Gewissen? Wegen gestern Abend? Kinder im Einsatz?«
»Inspektor Cotta hat uns das erlaubt«, fing Bob an. »Wir helfen der Polizei hin und wieder. Keine großen Sachen. So eine Geschichte wie gestern Nacht, das war schon richtig gefährlich! So etwas trauen wir uns normalerweise nicht. Nicht, dass Sie falsch von uns denken.«
»Eher entlaufene Katzen und so«, sagte Peter. »Verlorene Haustürschlüssel.«
»Grundsätzlich sind wir weit davon entfernt, uns in die relevante Polizeiarbeit einzumischen«, ergänzte Justus.
Ein Strahlen lief über Lisa Merryweathers Gesicht. »Sehr gut! Genau solche Leute suche ich. Dann hat mir Inspektor Cotta nicht zu viel versprochen.« Sie deutete auf einen Stapel von Zetteln. »Entführte Hunde, entflogene Papageien und am Hafen eine Fischereikiste, aus der angeblich ein Fisch fehlt. Des Weiteren Beschwerden über die Eisdiele, die zu spät geöffnet hat. Und irgendein Mr Porter ruft dauernd an, weil Sachen in seinem Laden geklaut werden. Nur um sich fünf Minuten später erneut zu melden, dass sie von selbst wieder aufgetaucht seien.« Sie griff sich den ganzen Stapel. »Dies und noch viel mehr. Das könnt ihr alles haben! Fangt sofort damit an. Das mag ja ganz süß sein, hier in eurem kleinen Nest, aber ich möchte mich mit so etwas nicht beschäftigen. Ich komme aus Los Angeles, meine Herren, da geht es um Mord und Totschlag, Banküberfälle und millionenschwere Entführungen. Das ist meine Welt! Gerade erst habe ich einen Weltklassedieb überführt. Also? Übernehmt ihr?«
»Äh«, sagte Justus, »es gibt auf der Wache doch noch weitere Polizisten, denen Sie …«
»Soll ich die mit so einem Zeug belasten? Nein, wir müssen uns um die richtigen Fälle kümmern!«
»Haben Sie … denn welche? Ich dachte –«
Die Kommissarin grinste. »Das Telefon kann jeden Moment klingeln.« Sie wedelte mit den Papieren. »Also, greift zu!«
»Ich weiß nicht«, sagte Justus.
»Inspektor Cotta erzählte mir, ihr übernehmt jeden Fall. Dies sind mehr als zehn – schon überfordert?«
»N…nein«, stotterte Justus und suchte nach Worten. Er griff nach dem Stapel und begann zu blättern. »Die Katze von Mrs Wonderday. Die lief heute bei uns über den Schrottplatz, weit kann sie nicht sein. Den Fisch dürfte Rubbish George verspeist haben, unser Stadtstreicher. Er wohnt auf einem Boot im Hafen. Das mit der Eisdiele, das ist nur dieser nörgelige Mr Smith, der sich ständig über alles beschwert. Mr Porter hat sich von selbst erledigt und all die anderen Dinge … Nein, wirklich, das können Sie uns nicht antun, Mrs Merrywater.«
»Merryweather!«
»Entschuldigung, natürlich. Merryweather.«
»Aber ihr seid doch Detektive? Ihr habt sogar so etwas wie eine Visitenkarte?«
Justus überreichte sie ihr wortlos.
»Na also. Ihr seid genau die Richtigen! Aber wenn ihr nicht wollt …« Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Da wäre dann auch noch die Beschwerde über euch.«
»Be…schwerde?«
»Ja. Be-schwer-de. Ein gewisser Skinny Norris hat euch wegen nächtlicher Ruhestörung angezeigt. Gestern Abend habt ihr grölend und randalierend sein Grundstück geentert!«
»Wir …? Gestern? Skinny Norris? Mrs Merryweather, der … der will uns doch nur was anhängen«, stammelte Peter und kam in Fahrt. »Das ist wirklich die größte Unverschämtheit, die Sie sich vorstellen können! Bei der Beschattung des Reifenstechers mussten wir kurz seinen Vorgarten betreten …«
»Also doch!«
»… um den Weg abzukürzen. Nur ein paar Meter. Und wir waren mucksmäuschenstill! Schließlich durfte der Mann uns nicht hören.«
Die Kommissarin wiegte den Kopf hin und her. »Ich muss dieser Beschwerde leider pflichtgemäß nachgehen«, sagte sie, »und zwar unvoreingenommen. Ihr wart auf seinem Grundstück und es steht Aussage gegen Aussage, was den Lärm betrifft. Es besteht … allerdings die Möglichkeit, dass die Eingabe irgendwie … plötzlich unauffindbar ist.«
»Und unter welchen Bedingungen besteht diese Möglichkeit?«
»Ihr übernehmt diese Fälle. Und zwar ohne Wenn und Aber!«
Justus holte Luft. »Das ist Erpr…«
»Ja? Erpressung, wolltest du sagen? Ich würde es eher als eine freundliche Unterstützung beiderseits bezeichnen. Ihr kennt euch doch aus in dieser Gegend. Für euch ist das alles ruckzuck erledigt. Und jetzt muss ich euch bitten zu gehen, ich habe zu tun.« Sie wedelte mit der Hand Richtung Tür. »Ach, eins noch: Wenn ihr euch um den Brief von dieser Frau kümmert, die an irgend so einem Bunker draußen an der Küste Geisterstimmen hört, dann richtet ihr einen Gruß von mir aus: Ich lege keinen Wert auf Zeitungsberichte.«
»Zeitungsberichte. Natürlich«, sagte Justus irritiert und klemmte sich den Stapel unter den Arm.
»Geisterstimmen!« Die Kommissarin lachte auf. »Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte.«
»Sie glauben nicht an Spuk und Geister?«, fragte Peter nach.
»Natürlich nicht. Ich bin Polizistin!«
»So haben wir beide doch etwas gemein, Mrs Merryweather«, erklärte Justus, »denn auch wenn man uns drei ??? mit Fug und Recht als wahre Experten auf dem Gebiet des Übersinnlichen bezeichnen mag, so hat unsere Arbeit doch immer ergeben, dass es ganz profane Dinge sind, die hinter den geisterartigen Phänomenen stecken, die meist auf sehr schlichten Interessen habsüchtiger Zeitgenossen beruhen.«
Die Kommissarin zog die Stirn in Falten. »Ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstanden habe, Justus Jonas. Aber Chefs müssen sich offenbar manchmal so ausdrücken. Ich würde sagen: Der Grund für die meisten Arten von Spuk liegt in nichts anderem als in der Gier nach Geld.«
Die drei ??? wechselten ein paar Blicke.
»Wir schauen uns die Sachen an«, sagte Justus abschließend.
»Na also …« Lisa Merryweather nickte ihm aufmunternd zu. »Geht doch! Und danke für die Vase. Die passt wunderbar zu diesem Örtchen hier. Harmlos, bunt und herzig!«
»Puh«, stöhnte Bob, als sie zurück in der Zentrale waren, und fügte nach einem Blick auf den Stapel mit den Arbeitsaufträgen hinzu: »So hab ich mir das nicht vorgestellt. Warum haben die bloß diese Frau nach Rocky Beach geschickt?«